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Freitag, 4. Mai 2012

REISETAGEBUCH.Liebe auf Reisen. Böhmen, Krumlow



                Böhmen. Krumlow


Es ist unheimlich, welch Spiegel sie für mich sein konnte. Hatte ich nicht mehr gelernt von und durch sie, als sie durch mich? Wie schön war unser erster Ausflug in die Böhmischen Dörfer. Ich erinnere noch sehr genau die Fahrt nach Krumlow in Tschechien: Wir kamen an die Grenze … den Pass bitte. Mein Gott, ich war wieder einmal im Osten. Sofort veränderte sich alles, die Landschaft schien wilder, unberührter, auch die Menschen. Alles „primitiver“. Auch Hel sagte es. Die Orte weniger hergerichtet und zu Tode renoviert, vieles ganz verfallen, abbröckelnder Putz, die Strassen trister, weniger Farben, Grau in Grau.
Dann der Weg nach Krumlow an der Moldau entlang,  Menschenansammlungen und in der Moldau viele Kajaks, bunt, Wimpel und Volksfeste am Ufer, Und muss jetzt an die vielen aufgehäuften Steine in der Mitte des Flusses, wie Pfähle und Kreuze und jüdische Grabmäler, wo sich die Erinnerungssteine häufen, doch auch an archaische Indianermale inmitten der Moldau, die wir nach Krumlow entlanggefahren waren, denken.
Melancholie an der schwarzen Moldau. Und du sagtest mir, was ich für ein Gesicht hätte; etruskisch wirke es, klare Linien, doch durchscheine ein mystisches Licht, Kubismus auch - sei da drin - und Expressionismus von innen,  aber auch Mittelalterliches und etwas Asketisches  findest du in ihm, und übersetzt in Musik: Zwölfton, doch auch Mahler und viel Beethoven. Und ich versuchte ein Gegengeschenk, war aber unvorbereitet und spürte dir gegenüber einen Mangel an übersetzbarer Bildungsphantasie, doch du warst vorbereitet, hattest schon all das aufgeschrieben, schreibst heimlich an einem Ich über uns. Und ich hatte dir ja vorgeschlagen etwas gemeinsam zu schreiben, vielleicht  ein Gespräch über Generationen. „Nein, da ist es doch viel interessanter, unsere Liebesgeschichte aufzuschreiben“, sagtest du schnell. „Einen Ich zusammen?“ „Nein, das muss jeder für sich tun; die Perspektiven sind zu verschieden.“
Ich weiß, du möchtest es für dich in deiner Einsamkeit bewahren, und da darf nicht einmal ich eintreten. Und es hat dir leid getan, dass du mir deine nur für dich gedachte Schilderung unserer  Begegnung beim Götz  geschickt hast. Ich hatte ja auch „komisch“ darauf reagiert, weil wieder zu viel von A. darin die Rede war, auch eure Tage in Krumlow mit dem Königslied aus dem „Hochwald“, das mich an die Moldausteine erinnert, die wie Totenköpfe sein können:
„Es war einmal ein König, 
Er trug ne goldne Kron’.
Der mordete im Walde
Sein Lieb- und ging davon.

Da kam ein grüner Jäger:
„Gelt, König, suchst ein Grab?
Sieh da die grauen Felsen,
Ei springe flugs hinab.“

Und wieder war ein König,
Der ritt am Stein vorbei:
Da lagen weiße Gebeine,
Die goldene Kron’ dabei.“

Zum Plöckensteinsee kamen wir nicht, der  im Dreiländereck liegt, und mal die Ostwestgrenze war, keinen Übergang und keine Strasse nach „drüben“ hat, nur einen Fußweg heute zum Stifter-Denkmal und See am „Grenzknoten“, Höhen über tausend Meter, jenes Blau der Berge, die wie Feenhöhen auch aus deinem Elternhaus als Fernweh zu sehen sind, und auch in Krumlow, der „grauen Witwe der verblichene Rosenberger“ schien uns jenes Stück Dämmerblau und Dunkel herein, das leicht und schwermütig zugleich stimmt, weil das Land so tiefdunkel wie die Mitternacht ist und auch zu schön und zu weit ist für unseren Blick, der übrigens auch all das, was seit dem Krieg hier geschehen ist, samt Vertreibung wie wir alles Zeitüberschichtete und wie das ewig Bergüberschichtete genau so nicht fassen können, auch wenn es wie grausamsanfte Ferne der Schönheit herüberleuchtet in Mutzendorf und im böhmischen Dorf Oberplan und in Krumlau. Ach, ja, Krumlau und sein Schloss, damals noch grau-unberührt vom großen Zeitenbruch als Stifter hier seine unsäglichen „Pflichtliebesbriefe“ an seinen Besen, die hartknochig kaltherzige Putzmacherin Mali, Tochter eines in Serbien stationierten Unteroffiziers schrieb, die in Linz in der von ihm fluchtartig verlassenen Wohnung für Ordnung sorgte.
Dunkel ja alles, und Abgründe auch beim angeblich Harmonischen, von der Mali in die Lebensverzweiflung dick gefütterten Poeten-Bürokraten, der auch die nur in unserem Fernwehblick erreichte blaue Wand am See dort, „einsam und traurig“ findet, wenn man sie wirklich betritt, DORT IST, in den dichten Waldbeständen der eintönigen Fichten und Föhren, die stundenlang im Moldautale emporführen, wir streiften sie ja nur, vor allem im „offenen Lande“ am See, als dann der Rogenbogen über Friedberg aufging, und den verstreuten Dörfern, unter denen auch Oberplan, und am Seeende Friedberg, heut Frymburk, wo Stifter verstoßen von ihrer Familie, seine junge Liebe ließ, um verzweifelt in Malis Fängen zu landen. Oh, Friedberg, und das „offene Land“  wie sein Leben eine wilde Lagerung zerrissener Gründe, aus nichts bestehend als aus tiefschwarzer Erde, dem dunklen Totenbett tausendjähriger Vegetation des Vergessens, und doch da, auf dem viele einzelne Granitkugeln liegen, wie bleiche Schädel, sich abhebend vom modernden Untergrund, und vom Regen bloßgelegt wurden, gewaschen und rund gerieben. Und auch das weiße Gerippe eines gestürzten Baumes dazwischen und die angeschwemmten Klötze aus dem Seebach mit Eisenwasser. Und keine Spur, immer noch, keine Spur von Menschenhand, weißer Ort, jungfräuliches Schweigen. „Da lagen weiße Gebeine,/ Die goldne Kron dabei.“ Nur diese Ferne, die Nähe dort siehst  du aus deinem großen Fenster am Telefontisch nicht:  das unheimliche Naturauge, von keinem Windhauch im Talkessel bewegt, starr schwarz, der schwarze Glasspiegel, Nichts zu Wasser geworden, umsäumt von herabgestürzten zu Gebein gewordenen Bäumen, die die Felswand nicht hielt, in „grässlicher Verwirrung“ in „traurigem, weiss leuchtendem Verhack.
„Da lagen weiße Gebeine,
Die goldene Kron’ dabei.“

Wir fuhren an der Moldau entlang. Und du sagtest nur Gutes über mich, als sollte ich das Andere sein können und sogar müssen, das Liebe bringt, Wärme, Wärme und nicht diese Kälte und Einsamkeit und Todesnähe des Vergessens. Und spultest es wie eine Liebeslitanei, wie ein eingelerntes Gebet herunter, als müsste es sich häufen, zusammenkommen in EINEM, den du in dir trägst, all die Eigenschaft, ein Mann mit Eigenschaften eben:  Du bist großzügig, schnell, flink sogar, ich mag das nicht, wenn jemand so träge und taaaa-ta—taaaa-taaaata daherkommt, bist väterlich-besorgt, was ich so sehr an dir mag, Du bist ein Stück Heimat. Und du analysierst und reflektierst auch alles so tief und weißt dann Bescheid. Und bist auch so vital, soviel Kraft strahlt aus dir, und deine Präsenz nimmt ein, für dich, nimmt alles ein, du schaffst Umgebung, die deinen Stempel trägt. Mit dir kann man Pferdestehlen, du machst alles mit, man kann lustig sein mit dir,  alles mit dir machen.  Überall passt du dich wunderbar an, als wärst du überallundnirgends zu Hause, jaja, du hast etwas von einem transsylvanischen Zigeuner … Ich hatte dir ja vom Ahnenpass erzählt, dass die Vorfahren doch auch aus Böhmen kämen, und hierher aus Schlesien eingewandert seien in die böhmischen Dörfer, dann Transsylvanien, das Vielvölkerland, wo in jedem ein ungeheures Blutgemisch sei, und im Ahnenpass gäbe es nicht nur Ungarn und Deutsche, sondern auch ein Zigeunerblut im 17. Jahrhundert.
Und dann kamen schon deine Fragen, als wäre alles nur eine Vorbereitung gewesen. Sag, wie ist das mit diesem Rosenstock-Huessy und seine Eschatologie, sagtest du, das kann doch nicht wahr sein… Da ist doch keine Wissenschaft dabei, dieser Lauf zum Zeitende und zur Apokalypse hin… Und dann der Tod als Auferstehung… ein neues Leben?
Apokalypse heißt doch „Augenöffnung“, warf ich ein. Und nicht „wissenschaftlich“ das Ende der Zeit in unserer gewohnten Welt? Es ist  doch so, dozierte ich: Zukunfts-Metamorphose ins Jenseits unserer Vorstellungen, (Ende der Zeit und des Raumes)? Eine Überschreitung der sogenannten "Naturkonstanten", (wie bei jedem Paradigmenwechsel); die wichtigste "Naturkonstante" unseres Weltbildes aber ist die Lichtgeschwindigkeit. Jenseits dieser 300.000 km pro Sekunde aber lösen sich alle festen Körper in Licht auf; es gibt nur noch das Immaterielle, Geistige. Denken wir nur an unsere "elektronischen Haustiere," Compu­ter, Radio, Fernsehen usw. Sie beruhen auf Formeln, die einmal "Einfälle", Intuitionen von genialen Menschen waren, es sind ähnliche "Gedanken­blitze" wie in der Kunst,  aus einem großen kosmischen Informationssystem, das alles bestimmt. Das Nicht-Ma­terielle, das "Geistige" bestimmt heute mehr denn je alles, was geschieht, mentale Prozesse ma­chen mit einer durchschlagenden Evidenz Geschichte. Für sie gilt weder Zeit noch Raum. Und am Ende wird es Licht sein, in das sich alles „auflöst“. Zukunft (immer in Richtung des Endes und des Todes als ÜBERGANG, ist das Undenkbare, Unvorhersehbare, Unberechen­bare, Junge, Immeranfängliche, die Überraschung des Augenblicks in dem noch niemand war, er geschieht in Einem fort, Nichts ist abgegriffen, alles ist „jeder-zeit“ NEU…Für Eugen Rosenstock-Huessy ist das Christentum  „keine dekadente Anbetung des Todes“, nein: dieser Einschluss des Todes ins Leben IST das unauflösbare „Geheimnis“ und Rätsel des sich ständig erneuernden Daseins zur „Erlösung“ hin.
Man könnte zu diesem wartenden alt/neuen Erlösungsparadigma  den vor kurzem verstorbenen Physiker-Philosophen, Mitstreiter der Göttinger Achtzehn, Carl Friedrich von Weizsäcker zitieren:  Dass die christliche Eschatologie ein vorausgeworfenes Zeichen in der Geschichte sei. Eugen Rosenstock-Huessy: „Noch gehört doch wohl der Weltuntergang zum rechten Glauben, und das Leben im neuen Äon auch.“ Ja, es ist und bleibt für uns als Menschen, die leben, nicht mehr wissen und wissen können, ein ungläubiges Kreuz  mit der Auferstehung vom Tode als rätselhafte  Hoffnung.
Aber es ist doch die Liebe … sagte sie, die ist wirklich und gibt Zukunft… und ist das Überraschende, Prickelnde.
Und wieder reichte sie ihre Hand herüber auf meinen Schenkel. Und die Luft knisterte erotisiert. Und, lachte sie, du küsst mich… und so überwinden wir auch den Tod.
So viel geschah bei dieser Fahrt. Auch Kritik kam, dass ich zu laut rede oft, nicht immer offen sei, und hielte die Wahrheit gern zurück, rücke schwer mit ihr raus.
Und dann gestand sie, dass sie über unsere Geschichte schreibe. Beide schreiben wir also? Jeder mit seinem Blick.
War es dort am Wirtshaus-Tisch am Ufer der Moldau, wo junge Leute in ihren Kajaks am Wehr und den Stromschnellen ihre Kapriolen schlugen, umschlugen, wieder auftauchten gegen die Strömung anruderten,  dass du wieder vom „Letzten“ sprachst? Wie ich mich filmen sollte auf der Toilette, etwas, was ich noch nie jemandem gezeigt hatte, ihr zu zeigen? Die Scham zerstören, die letzte? Und in ihrem Brief vom 2. September mit der lustigen Zeichnung, wie da einer auf dem Klo sitzt, steh ganz schön blasphemisch: Gibt es eine Kloeschatologie? Wieso spricht sie immer wieder vom Erlebnis in einem Restaurant nach dem Aufstieg zum Donon, bei der ersten Begegnung, als ich krank war, Fieber hatte, und sie mich auf der Toilette unfreiwillig belauschte, da die Wand zur Damentoilette ganz dünn war, und sie es nicht wagte, etwas zu sagen, sich auch nur zu bewegen, weil es mir hätte peinlich sein können. Immer wieder habe sie das Geräusch, „oft fürchterlich laut“ meiner Winde gehört; und damals daran gedacht, einfach davon zu laufen, zu verschwinden. Nachher aber war sie dann rührend meine Krankenschwester. Was ist das für eine Anziehung des Vegetalen beim Lieben, der heimlichsten, verborgendsten Körperfunktionen und der Intimität; ist es noch eine kindliche Neugierde an diesem Geheimnis des Andern, und so erotisch, weil es ein Tabu ist, fast wie die Züchtigung und das tiefste Bekenntnis, die Beichte? Ein Seelenentblößen, wie die geheimste und einsamste Körperentblößung, das Letzte, das nur uns allein gehört?
Hatte sie aber nicht heute Morgen schon gesagt, dass wir auch etwas anderes tun müssten, nicht immer nur dasselbe, uns unseren Körper überlassen, die eine ungeheure Attraktion einer auf den andern ausüben, so gut zusammenpassen, dass wir uns nicht wehren können, sondern zum Streicheln und Berühren, zu  zärtlichen Hautsinfonien getrieben werden?
Wo war es, doch nach Oberplan, wo wir das Stifterhaus besuchten, dann aber am riesigen  grünblauen Moldaustausse gleich am Ortsausgang eine fahrbare Bude mit Fischverkauf und Bier fanden,  und Hecht und Forelle kauften, Bier tranken, und ich mich ein wenig ärgerte, als sie mich nicht bestellen ließ, nichts sagen ließ, sondern alles an sich riss, sie hat diese Art bei Einkäufen, aber auch sonst wenn wir mit Menschen umgingen, etwas erfragten etc.; und ich sagte ihr dann auch nachher, als wir ins Reden kamen, sie mich fragte, was mich an ihr am meisten störe, dass sie immer die erste Geige spielen wolle, und ich sei leider auch so einer, und zwei erste Geigen gehen eben nicht gut zusammen. oOder gerade? Wenn sie beide gleichlaut und gleichschön spielen?
Wir fuhren weiter, und in der Ferne tauchte über dem See und dem Wald ein großer breit gefächerter Regenbogen wie eine wunderbare Fata Morgana auf, und Hella (wie ich Hel oft nannte, weil es so weich klang!) war entzückt und staunte wie ein Kind über das Naturwunder, „wie schön“! Ein merkwürdiger Kontrast zwischen der so wunderschönen Landschaft und den Menschen, die so hart und mürrisch wirkten, auch die Bedienung dort an der Moldau war unhöflich und unwirrsch,  so dass Hella mal über das Mädchen, das uns die zähen Gerichte brachte, sagte, „die würde bei uns sofort rausfliegen, Mädchen, Mädchen, musst noch lernen!“ Nur die Fischverkäuferin, sie sprach deutsch, erzählte von der Fischerei und den Fischen, war freundlich und aufgeschlossen. Vielleicht, sagte ich zu Hella, ist es der alte Hass auf die Deutschen, und auch unbewusst die Angst, dass sie diese ehemaligen deutschen Gegenden zurückfordern würden, obwohl die Grenzen und die Grenzziehung längst klar und abgesichert sind.
 Das ernsteste und tiefste Gespräch ging los, als Hella auf meine Frage, was sie am meisten beschäftige, loslegte… Dass das Leben trotz allem schön sei, und wir uns durch die Verbrechen anderer nicht irre machen lassen dürften… Nein, Welt- und Lebensvertrauen, das lasse sie sich nicht nehmen…
Und ich wusste, dass ich genau dieses von ihr zu lernen angefangen hatte, und hörte mit meinen Belehrungen auf, schwor mir, mein Kopfgift und das furchtbare „Downerprogramm“ aufzugeben…

                                          FRANKREICH. Das Elsass





Und dann fuhrst du los in Richtung „Überraschung“. Gings jetzt schon los mit der topographischen Verwirrung und Verirrung… ich glaub nicht, du musstest ja nur Richtung Strassburg fahren,, über die Grenze, über die Rheinbrücke… ach, ja, ohne jede Kontrolle… ich hielt deine rechte Hand in meiner, den kleinen warmen Vogel, du mit der linken das Steuer, meine rechte streichelte dein Gesicht, auch die Linke deinen Nacken, deine Haare, deine dann freie Hand auf meinem Schenkel; und manchmal schien es mir, als hättest du gern auch den Delphin begrüsst, dachtest wohl, es sei zu früh;  ich wusste ja auch nicht, wie weit dein „Keuschheitsgelübbe“ ging, hatte mir vorgenommen, nie den ersten Schritt zu tun, nie zu irritieren, zu warten, was geschehen würde, alles sollte so sein WIE ES IST, wie es sich  aus unserem Zusammensein ERGAB. Ergeben, oh, NEIN. Ich weiss nicht mehr, was wir redeten. Dein feines Gesicht glühte; meines auch. „Oh, ich bin so glücklich, oh, ich bin so glücklich, dass du hier bist, dass es dich gibt“, sagtest du mehrfach. Und nein, nicht viel reden wolltest du; ich versuchte zu erzählen, von Schloss Horneck, meinen Werk-Archivsorgen, dem Leseabend, auch von deinem Freund Pierre, dem Doktoranden. Es interessierte dich nicht, du hörtest kaum zu, warst nach innen dir und mir zugewandt, unserer so stark spürbaren Präsenz; ich fühlte, wie deine Aura in meine tauchte, sie vergrösserte, stärkte, wie sie sich vermischten. „Ich möchte nichts, nur diesen Zustand, dieses Glücklichsein geniessen, dass du DA bist. Wirklich da bist; oh ich fühl dich so!“ Nur nah, nur das Jetzt, nichts anderes sollte sein. Und du strichst mir über das Haar, das  Gesicht, die Augen „Oh, deine Augen, ich hab hineingesehen, die meerigen gesprenkelten Augen…“ Und plötzlich sagtest du so Unerwartetes, dass ich noch mehr Fuss fassen konnte im Augenblick mit dir, das alles wegwischte, was mich bisher so unsicher gemacht hatte: „Du hast ein so schönes Gesicht, ich möchte immer nur in dein Gesicht sehn… Und du hast gute Falten, so gute Falten, Lebenszeichen sind das.“
Und nachdem du mir gestanden, dass du die Sonnenblume heute gestohlen hattest, nachdem du auf die Rheinauen zeigtest, als wir über die lange Rheinbrücke fuhren: „Sieh, da laufe ich jeden Tag, jogge ich jeden Tag, du weißt“ „Ja, ich weiss, immer kurz vor der Dunkelheit!“ „Ja“. Da sagtest wieder so Unerwartetes, fingst an über mich zu sprechen…


Und wir waren schon in der Nähe von Strassburg. „Sollen wir reinfahren. Die Cathédrale sehen, wo ich am liebsten bin? Oder weiterfahren?“ „Fahren wir doch zum Münster, Liebste, ich möchte dort sein, wo du am liebsten bist, jenes Zentrum deiner Stadt zusammen mit dir erleben, ja? Vielleicht stehen wir dann gemeinsam unter jener Strahlung, die es in jeder Kirche gibt, dort aber unvorstellbar stark sein muss!“
Diese wundervolle Gemeinsamkeit! Nur eines wolltest du nicht, dass ich dich filme. „Nein. Ich will keine Bilder, ich möchte, wir sollen diesmal alles nur innen mit nehmen, erinnern, dass es unendlich, dass es grenzenslos für uns bleibt!“
Wir parkten auf dem Vorplatz  des Münsters an einer Ecke, nahmen nur das Aufnahmegerät mit, „hier wird viel geklaut!“; Arm in Arm, du hattest mich am Arm genommen, und wir gingen zum erstenmal so als Paar über die Strasse, gleichgross… „Sieh, wie wir zusammenpassen, wir passen so wunderbar zusammen!“ sagtest du. Und so traten wir ins Münster  ein, gingen das ganze Mittelschiff in dem riesigen Dom dem Altar zu; und oh, Wunder, plötzlich Orgeltöne, als wären wir ein Hochzeitspaar, und so empfanden wir es auch, wie eine erste wundersame Einweihung, als hätte alles nur auf uns gewartet.  Ich werde diesen stillen, wortlosen, fast wie in uns hallenden Augenblick nicht vergessen; du schmiegtest dich fest an mich, und sagtest: „Ich fühl mich so geborgen mit dir!“  Und ich sagte: „Ach, es ist wie eine Trauung unserer geistigen Ehe!“ Und das Dämmerlicht, das durch die Glasmalereien  mit den heiligen Figuren fiel hatte unsere Gesichter so sehr ins Gleiche dunkel verändert,  dass sie heller und ineinander zu verschmelzen schienen, die Augen vor allem, diese gemeinsamen Blicke, die diese sanfte göttliche Ruhe aufgenommen hatten und wieder und wieder ineinandersahen, nein, satt wurden sie nie.
Vor dem Altar suchten wir den „Punkt“, dieses erlösende Schweben, und ich sagte, in Florenz ist er immer da, doch genau unter der Brunelleschi-Kuppel; Hier gab es die Kuppel nur über dem Altar und dorthin führte für uns kein Weg; als wären wir ausgeschlossen.
Du nahmst dann zwei Kerzen, wolltest 20 Centime, wir hatten sie nicht, ich blieb einen Augenblick allein, du gingst wechseln; und ich kam mir plötzlich ohne deinen Arm, deine Hand  einsam und wie amputiert vor, als wäre jetzt das Münster viel zu gross für mich. Ich suchte dich mit den Blicken, da endlich tauchtest du aus dem Dunkel auf! Und nahmst gleich wieder meine Hand. „Für meine Oma sind diese Kerzen, sie hatte mich darum gebeten, und jedes Mal zünde ich welche für sie an.“ „Vielleicht sieht sie uns jetzt, wird sie spüren, dass wir uns gern haben.“ Sagte ich vor dem Kerzenmeer vor mir. „Sicher wird sie es spüren. Ich bin ja so glücklich! “ Wir sahen uns noch die astronomische Uhr an, die wie ein zweiter Altar da stand. Und unter den Ziffern, dem Glockenwerk der Totenschädel… „Die Zeit ist der Tod“, sagte ich. „Aber auch das Leben“. „Ja, das Leben, das sich dem Tode zubewegt“. „Wir wollten nicht darüber sprechen!“ „Nein“.
Dann verliessen wir – schweren Herzens - denn wie schön war diese Geborgenheit zusammen hier, den Dom. Als wäre eben diese Zeitschlag ausgeschaltet in den Ton der Stille und der Orgel getaucht und aufgelöst. Und in unseren Herzen, die mitklangen. Ja, diese Stille, die uns schützte! Gegenüber vom Münster wollten wir noch das  Musee Notre Dame sehen. Doch es war nicht geöffnet. Daneben ein Plakat mit dem St. Odilienberg. Du zeígtetest es mir, sahst mich von der Seite an: „Kennst du es?“ „Ja, freilich kenne ich es“. Etwas wie Enttäuschung war auf deinem Gesicht zu erkennen.          „Jetzt fahren wir aber los, sonst wird es dunkel.“ „Ja“. Wir fuhren durch die Stadt. Du zeigest mir noch deinen Radweg zur Uni. Dann  verliessen wir Strassburg fuhren entlang an alten Fachwerkhäusern. „Ja, ich hatte mich in Strassburg vor Jahren schon verliebt, und wollte immer wieder kommen; es kam nie mehr dazu bis heute, und jetzt?...“ Mit Michi und Magdalena war ich vor vielen Jahren hier gewesen, und damals hatte es uns die astronomische Uhr angetan!“
„Wir wollen sie vergessen, den anderen Ort mitnehmen.“ „Altar UND Uhr, wir haben genau drei Tage!“.
Warst du so nach innen gekehrt, so verwirrt von all diesen Eindrücken,  dass du die Strasse dann zu deinem Ziel, dieser Überraschung, nicht fandest? Du fuhrst einfach irgendwohin. Und ich sagte, „schliesslich ist es ja egal, wohin wir fahren, wichtig ist, dass wir zusammen sind.“ Dann aber schien die Route doch richtig zu sein..


Nach Rosheim… zur Kirche zu den fickenden Ungeheuren. Da standen wir davor, und oben auf dem Dachfirst gings los, „ja, damit die Hölle weiter ihre Nachkommen hast“, sagtest du, siehst du sie dort? Ja. Wir gingen um die Kirche herum, überall diese minitotenmasken und köpfe, womöglich Patrizier.  Solche enorme Ausdruckskraft hatte jeder einzelne. Erstaunlich.
Und dann zum jüdischen Friedhof durch den Wald. Wo ja auch der Josel von Rosheim begraben sein muss.
Wir gingen hinein, in der Ferne ein unheimliches Licht, eine grosse Stille. „Warst du auf dem jüdischen Friedhof in Prag“. „Ja, beim Baalschem auch.“
„ Wenn du dir vorstellst, das unter jedem dieser vielen Steine, die uns jetzt so ansehen, schattenhaft zu leben scheinen, ein ganzes abgecshlossenes Leben liegt, dann kannst du gar nicht einfach so vorbeigehen, jeder Schritt ein ausgelöschter Lebenslauf. Eine merkwürdfiger Zeitstillstand. Im Rücken das Dunkle des Waldes, vor uns das Licht und die Offenheit der Ebene. Und des Himmels.
Zwischen den Grabsteinen gingen wir dann durch ein Gatter zum älteren Teil.  Da bekamst du plötzlich Angst vor den im ältesten Teil des Friedhofes grasenden Ziegen. „Die hatten mich das vorigemal umringt, als wollten sie mir was antun. Komm, wir gehen hinaus.“ “Aber ich bin ja bei dir, ich beschütze dich doch!“




                               Struthof

„Mein lieber Ich,  weißt du noch unser Ausflug ins Elsass? Und  unser Kloster S. Odile? Der Berg, unter uns die Ebene, und alles unvergesslich, alles ein Lebensereignis, jeder Augenblick erfüllt, das IST doch erfüllte Hoffnung, nicht, und ich weiß noch alles so gefühltgenau: Die Sonne schien schneidend vom Himmel, als ich aus dem Nebelfeld hinaustrat in die Höhe und unter mir das Weiß der Ebene. Die Haut wurde warm und ich spürte, wie die Pigmente sich veränderten unter den Strahlen und mein ganzer Körper nach Frühling roch.
Mein Herz erinnerte sich an den Spätnachmittag, als wir durch dieses Tor traten und uns die Zimmerschlüssel geben ließen. Mein Gott, wie sehr ich Dich liebte!
Ein Jahr ist vergangen, ein ganzes Jahr. Ist es Dir bewusst? Die Sonnenuhr wirft Schatten, der Sand rieselt und die Körner werden weniger.
Ich spürte noch einmal Deine Hand, die mich nicht loslassen wollte, Struthof, Le Champs du Feu. Der Himmel war so tiefblau und die Farbenpracht der Herbstwälder überwältigend. Der Blick bis zum Donon, oben, auf den chaumes des crêtes, und gegenüber, aus dem Nebelmeer hervorragend die feinen, dunklen Linien der Schwarzwaldgipfel.
Ich zog den Mantel aus und lief die Ärmel nach oben geschoben über die Hochebene, umarmte die Bäume und raschelte durchs Laub.
Ein Jahr ist es her. Es regnete und ein paar Verrückte liefen einen Marathon.
Ich fühlte Dich an diesem so fernen Tag vor 12 Monaten mehr als ich mit Worten sagen konnte, ich fühlte deinen Grund und Boden und Deine Hand war das Futteral, in das ich Dir mein Herz legte. Wie oft hast Du mir gefehlt und wie wenig ist doch real geschehen.
Dieses ist das Wirkliche und die Hoffnung, dass wir uns wiedersehn…
Noch einen schönen Abend,
Hel.“

Sie erwähnte eingebettet ins Wirkliche der Liebe das KZ Struthof nur wie nebenbei, als wollte sie es mir als zu starken Vordergrund in all meinen Argumenten vorwerfen! Ja, damals hatten wir es gemeinsam gesehen, und ich schrieb ihr:
Ja, weißt du noch Hel, bei Schirmeck kamen wir zum KZ Struthof. Ich hatte dir erzählt, dass ich in meinem Haus eine Zeichnung vom ehemaligen Buchenwald-Häfttling Muzic an der Esszimmerwand hängen hab. „Kennst du Music?“ „Ja. Aber mit so einem Bild könnte ich nicht in meinem Haus leben!“ „Für mich ist es ein Zentrum des Hauses, ein Symbol dafür, weshalb ich überhaupt da und nicht zu Hause lebe!  Es ist der letzte Atemzug eines Häftlings kurz vor dem Tod. Und solche Augenblicke hatte Music im Lager erlebt; erst 1971 kam es als spätes Trauma in ihm wieder hoch. Und er zeichnete diese letzten Lebensmomente der Armen; vielleicht waren es auch Augenblicke der Erlösung. Sicher waren sie das! Und du weißt ja, wie alles zurückreicht in meine Familie, wie viele meiner Leute da beteiligt waren…!“ „Ja.“
Wir hielten. Und das grausam-niedliche winzige Kz lag vor uns, das wie Hitlerhaarschnitt und Hitlerscheitel sauber aussehenden Areal, die farbigen Baracken, der elektrisch geladene Zaun. Der Galgen mit der Galgenschlinge, die im Wind baumelte, der Block. Und im Hintergrund diese Schönheit der Vogesen im Nebel feenhaft geschichtet, ringsum der  Wald.  Ich sagte, „dies will ich nicht aufnehmen, es wäre wie eine Blasphemie.“ Wir gingen nicht hinein. Wir blickten nur hinab ins Areal, umarmten uns. Ein langer Kuss, als müssten wir auch hier etwas reinigen, wir, mit dieser Sprache, mit diesen Lippen, mit diesen Mündern.
Dann fuhren wir an der Gaskammer vorbei. Und du erzähltest entrüstet, dass es hier, gleich neben der Gaskammer, ein Restaurant für Touristen gäbe. „Willst du es sehen?“ Nein. Jetzt reicht es.

    Sie selbst aber hat es viel eindringlicher beschrieben, vielleicht weil sie ohne Vorhergedachtes nach Innen schrieb, und das kann ich von ihr lernen, und hab es immer schon versucht, die „leichte Hand“:
Dann ging’s los mit dem Autschgerl in Richtung Hohwald und rüber nach Schirmeck zum Donon. Ich war mein Kartenleser und ich konnte kaum glauben, dass er das als Seefahrer ja so gut kann und ich ihm da voll vertrauen darf. Ja, das ist etwas, was mir auffällt. Ich kann ihm vertrauen und muss nicht alles selbst machen. Ich kann auch aufhören, „anzukämpfen“. Er übernimmt Initiativen und das ist unheimlich entspannend. Er macht einfach und fragt nicht lang rum. Und was er macht, ist gut. Ob es jetzt das gestrige Herrichten des Zimmers war, oder das Kaufen der Broschüren, oder seine Art am Frühstückstisch nach Nachschub an Brotreserve zu greifen, die Natürlichkeit, neben mir im Auto zu sitzen, den Weg zu finden, er macht das einfach so und ich fühle mich sehr wohl in seiner Anwesenheit, seiner Aura, seinen Bewegungen. Wenn ich ihn ansehe, geht’s mir gut. So einfach ist das. Und so fuhren wir los und lachten über die paar Steinderln von der Heidenmauer „Ist sie das?!“ „Ja…“ und dann ging es durch den Herbstwald. Der Weg ging an Struthof vorbei. Dem kommt Ich nicht mehr aus.
Und ich kann das Thema nicht mehr hören, weil ich es in der Schule bis zum Erbrechen eingebläut bekam, dass ich bis an mein Lebensende eine Erblast auf den Schultern tragen werde, Erbsünde, das Holocaust-Gen steckt mir seit Geburt in den Knochen, obwohl weder Omi noch Opa in der Partei waren, Mami erst 1943 und Papi 1941 geboren wurden und den Krieg nur noch aus Erzählungen kannten. Obwohl Mami ja noch besonders eine starke Erinnerung hat. Die des Kleidchens. Bei jedem Bombenangriff auf Landshut durfte Mami, bevor es in den Luftschutzkeller ging, das weiße Kleidchen mit den Rüschen und der Schleife anziehen. Es war ein Jauchzen, wenn die Sirenen heulten. Und Papi erzählte immer von der Orange, die ihm sein Vater beim letzten Besuch mitgebracht hat, bevor er drei Wochen später in Russland auf dem Feld fiel, d.h. an einem Waldrain erschossen wurde. Und als der Brief daheim eintraf, mit dem Kreuz und dem Adler und den paar Habseligkeiten, die er bei seinem Tod am Leibe trug, da wusste Papi nicht, was es bedeutete, keinen Vater mehr zu haben. Ob dieser Opa, den ich nie gekannt habe, im Augenblick seines Todes irgendwo in der russischen Fremde an seine zwei kleinen Buben und seine Frau gedacht hat? Was denkt ein Mensch, wenn sich die Kugel in seinen Körper bohrt? Wie ist es, so zu sterben? Tut das noch weh? Wie ist es, in ein paar Sekunden Abschied nehmen zu müssen vom Leben, obwohl der Körper noch gesund ist? Opas Erbgut lebt auch in mir weiter. Papi sah aus wie er. Werde ich Kinder haben? Wer wird der Vater meiner Kinder sein? Werde ich Krieg erleben müssen? Werde ich das erleben, wovon ich nicht glauben kann, dass es existiert? Was hat Ich erlebt? Was steht hinter der Narbe über dem Schambein geschrieben? Sehe ich ihn? Warum habe ich das Gefühl, ihn zu kennen? Warum treffen wir uns jetzt, Ich und ich? Wer hat uns zusammengebracht? Gibt es einen Sinn? Sind das die deutschen Fragen? Wir kamen nach Struthof und stiegen aus. Wie gut es war, sich zu umarmen und zu halten gegenseitig. Wie mir das oft fehlt. Wie allein man durchs Leben wankt, trotz aller Arme. Wie mir dieser Arm fehlt. Und wie viele Arme man einfach wegschiebt.
Ich erzählte Ich von Roger Dale, dem ich vor seinem Berlin-Aufenthalt Einzelunterricht gegeben hatte und seinen Struthof-Bildern, dass er als Häftling verkleidet 50 Tage lang mit geschorenem Haupt die Aussicht vom Lager aus malte. Wir regten uns ein bisschen auf, wobei die Bilder von ihm ja wirklich nicht schlecht sind. Und Ich erzählte, dass er selbst ein Bild mit Todesmotiv in zentraler Lage in seinem Haus hätte. Das lässt ihn nicht los. Verfolgt ihn. Verfolgt uns alle. Aber ihn besonders, weil er es erlebt hat durch die KZ-tüchtige Verwandtschaft und dem Terror, der kommunistischen Diktatur, die sich schwupsdiwups anschloß. Und sich diese Fragen stellt, ein paar Jahre früher geboren, was wäre er geworden? Ein Turmwächter? Ein Appelltreiber? Ein gestiefelter Aufseher mit Knarre im Revers? Ein Menschenschinder und folgsames, ausführendes Element der Todesmaschinerie?
Er wird es nie wissen und deshalb braucht er meiner Meinung nach auch nicht herumzuspekulieren. Er ist es nicht geworden, weil er eben nicht dafür bestimmt war. Somit erübrigt sich die Frage. Das Samenfädchen seines Vaters bohrte sich in eben diese Eizelle seiner Mutter Ende 1933 und nicht 1913. Da gibt’s nicht mehr zu hinterfragen.
Er ist da. Jetzt. Er lebt mit mir am Anfang des dritten Jahrtausends. Sein Blick streift keine in Ketten gelegte Arbeiter-Kolonnen, sondern die Seele der Welt, der Menschen und meine, die ich an seine schmiege, wo sie daheim ist. Als wir oben am Zaun über das Areal blickten, sah alles beinah putzig und ökonomisch so perfekt aus, wo der organisierte Tod am längeren Hebel saß. Die Baracken wie Streichholzschachteln. Da meinte er:
„Schau, dieser Galgen, Anja. Denk’ an den, der da hing. Denk’ an ihn. Siehst du ihn?“
Zuerst sträubte sich etwas in mir. Es ist ja so ein Schmerz! Und dann dachte ich doch an ihn und an alle, die dort gehangen haben und ihr Leben aushauchten vor dieser schönen, friedlichen Kulisse der sanfthügligen Vogesen. Die so sterben mussten, weil sie zum falschen Zeitpunkt geboren worden waren. Den Wäldern ist es egal, der Erde ist es egal. Sie liegt da und lebt beständig, bis sie eines Tages von der Sonne verschlungen wird und es werden andere Planeten geboren werden und leben schon da draußen im unbekannten Raum. Wir sind ja nur ein Teilchen, ein winziges Rädchen und selbst noch um so viel winziger. Was ist schon ein Menschenleben? Es ist nichts. Und alles. Wie leicht werden Menschen abgeknallt, in die Luft gesprengt. Und wie schrecklich, wenn der geliebte Mensch Fieber hat.
Ich dachte an diesen Menschen, an die Sekunde vor dem Sprung ins Leere. Der Tod ging durch mich hindurch und prallte an unserem Kuss ab. Wir küssten uns sanft und lang, ein schöner Kuss war das, ein Schutzschild gegen alles Schlimme, was da jemals kommen mag.
Wir fuhren weiter talwärts, an den Öfen und Verbrennungsanlagen des Konzentrationslagers vorbei, wo sich, man mag es glauben oder nicht, ein Restaurant befand! Bon appétit! Ich konnte nur noch sagen, dass ich das nett fände, ein Restaurant „Aux chambres de gaz“ dort hinzustellen, damit sich die Touristenbusse neben den Gaskammern bei Sauerkraut und Riesling stärken könnten. Es hieß natürlich nicht „Aux chambres de gaz“. Aber was will man da noch sagen? Wie kann ein Typ ein Restaurant neben den Türmen aufbauen, aus denen geschundene Leiber pulverisiert in die Luft verpufften, samt ihren Schmerzen und Verzweiflungen, ganz zu schweigen von den Hinterlassenen? Dass so alles möglich ist im Tun und Handeln eines Individuums, das ist nicht nur erschreckend.
Auf der anderen Seite ging es rauf zum Donon. Und alles war wieder heiter. Wir reinigen den Weg. Und plötzlich ging die Heizung!
„Schalt’ doch mal die Heizung runter, es ist doch viel zu heiß!“
Automatisch schob ich den Regler nach links. Und dann erst riss es mich:
„Ich kann die Heizung ausschalten! Ich! Das heißt: sie geht!!“
„Gleich wird auch noch das Radio angehen, wirst sehen!“.
Mann hab’ ich gelacht! Ich hab’ doch nur ein Kabelloch da, wo einst das Radio steckte. Ha, ein Luftradio mit Äther-Musik. Ich trau’ ihm alles zu, dem Romanot! Seine Hände können zaubern.
Er fing dann noch weitausholend mit mystischen Themen an, das wurde mir dann zu viel, ich konnte da nicht mehr zuhören, ich war noch randvoll mit den Eindrücken vom KZ. Dass ich nicht immer zuhören würde, meinte er. Nun, kein Wunder! Mir klingen schon die Ohren! Wir müssten ja tausend Jahre nur reden und uns zuhören. Und dass ich manchmal abwesend sei. Ja, also da muss ich ihm schon Recht geben. Aber ändern kann ich’s nicht. Ich klinke mich manchmal einfach aus. Dann bin ich weg. Weg in meiner Welt. Weg in der Innenstille, wo niemand hinkommt. Wo eine Sekunde ein Jahr ist. Im Vakuum meines Herzschlags ist der Weltraum.


                      Colmar. Der Isenheimer Altar

Wir fuhren los Richtung Colmar. In Dambach sahen wir uns noch die Kirche an. Vor allem die offene Gruft mit dem Berg von Knochen ein ganzes Durcheinander von Köpfen und Gliedern, nicht so schön ornamentiert und mit barocken Mustern  wie in der Kapuzinergruft von Wien oder in Rom via Veneto, sondern so unordentlich und chaotisch wie der Tod wirklich ist, darüber die Inschrift, du lasest sie mir vor, gedankenverloren und du packtest fest meine Hand, dein kleiner Vogel lag fast die ganze Zeit in meiner:
„Was  ihr seid sind wir gewesen, was wir sind, werdet ihr sein!“ Grässlich, und Struthof kam wieder hoch.
„Die sind nur umgebettet worden, der Friedhof wurde aufgelöst, zerstört im Dreissigjährigen Krieg.“ So lang her. Knochen haben Dauer, als müssten sie die Ewigkeit messen. Mein Gott auch Schädel aus der Altsteinzeit und vorher gibt es noch. Denk an das Jüngste Gericht und die Auferstehung.

Dann Colmar, so hatten wirs ausgemacht, von hier über Breisach nach Todtnauberg. Und hattest  schon gestern Trauer in der Stimme, „es wird heute unsere letzte Nacht sein… Ich mag nicht daran denken.“
Wir sprachen im Auto, wieder die Hand in deiner Hand, über den Isenheimer Altar; dass der Name von Neithardt oder Gothardt in Grünewald verfälscht und so geblieben war. Du wusstest es. Und dass das ehemalige Dominikannerinnenkloster im 13. Jhdt. ein Zentrum des Mystizismus gewesen  und die frühgotische Kirche von Albertus Magnus geweiht worden war. Es gibt sie nicht mehr. Und überhaupt diese starke mystische Compassion, das Mitleiden und dieser surreale Ausdruck auf dem leidenden Gesicht. Wir werden es gleich wirklich sehen.
Ich sagte, „diese Auflösung des schrecklichsten Schmerzes bei Christus am Kreuz  auf dem Wandelaltar in Auferstehung, das erinnert mich an Bruckners Achte, an unsre, und an Mahlers Auferstehungssymphonie, die Zweite. Erinnerst du dich noch.“
Ich hätte damals gerne unsere frühere Interlineare bei mir gehabt, und das wunderbare Klopstockgedicht. Ja, Lichtsieg hinauf, wenn man sich mit allem annimmt, DAS annimmt, “erlöst“ werden zu können, wie im Auferstehungsgedicht! Und auch bei Mahlers Zweiter ist es da, schon im Aufbau. Im ersten Satz der Tod. Im zweiten dann Traum und Leben: glückselig-wehmütiger Gegensatz, ja, den ich ja täglich lebe und auch im Schreiben immer empfinde, dieses erschreckende Aufwachen auch, der Schock des Ernstes!! Der jetzt in allem so schön in Liebe und im Zusammensein aufgelöst, aber doch immer mittendrin war; deshalb auch nach aussen kam? Struthof. Dambach. Als gäbe es in diesen Tagen nur unser Ineins von innen und aussen. Und so auch die ernsten Stunde so heiter fast, weil wir uns miteiander, Hand in Hand, vor nichts mehr fürchteten?! Und wieder dachte ich an Mahlers Zweite, die Auferstehungssymphonie: War da im Scherzo nicht auch eine Lebensfluchtsynthese, fast  derb, die dann aber schroff hinweggefegt wird, Phantastik und dann alles zerflatternd ins Endgültige kommt, und fast noch schöner als bei Bruckner, das angenommene, die eigne Tiefe und Liebe? als Auferstehungsmotiv, dieses Weltvertrauen, deines, das du mir vermittelst, SCHENKST! Oh, DU, mein Liebeswesen, meine Liebesfrau, Du, Lieblingchen und Ernst. Wie ich dich darin liebe: „Dein ist, was du gesehnt,  dein, was du geliebt, gelitten.“ Und das hattest du mir gecshickt, mich daran erinnert! Immer wieder! Oh, du tolle Frau, wie sehr ich dich verehre!
Wie oft hab ich dich von der Seite angesehen, und gedacht, immer wieder, wie selbstbewusst und doch weich, wie sanft und lieblich, die Wangen von einer unendlich weichen Zeinung, die man wie Flaumfedern mit denm Blick, der sich darin auflöste, mit den Händen, die immer wieder darüber streicheln, zu spüren meint, und mit der Gedankenbahn der hohen Stirn, so vergeistigt zugleich.. Madonna hatte ich gesagt, gedacht, gemurmelt?
       Oder noch mehr dieses Vertrauen, Welt- und Lebensvertrauen, das deine Ausstrahlung auf mich übertrug, diese Geborgenheit, die von dir ausging, geführt zu sein, nicht allein der nächsten, vielleicht verheerenden Unglückssekunde  ausgesetzt, sondern GELEITET und geliebt, angenommen über dich von allem, was GUT und uns, mir, dir wohlgesonnenen ist,  alles, was da ist, ein Ja, und nur so stark da, weil es ausserhalb jedes kleinen Gedankens und jeder zweifelnden  Deutung, einfach so sein musste, auch du  in deiner ganzen schönen Erscheinung im  dunklen Mantel und mit meiner Mütze auf dem Kopf - kein Zufall, sondern mit allem so wie es sein musste, und aus diesem Sinn kann niemand und nichts herausfallen oder willkürlich im Tun sich entziehen, vielleicht im einzelnen, aber nicht in der ganzen Lebensbahn, von der, das spürte ich deutliche, diese Augenblicke entscheidend waren:
„O glaube
Du warst nicht umsonst geboren!
Hast nicht umsonst gelebt,
gelitten.“


Wo waren wir nur gewesen, was hatten wir gemacht, getrödelt, ja, morgens beim Aufstehn. Die Lust. Und der Schmerz, wie sie zusammengekommen waren. Die Liebe und die, ahc ja… süsse Marter. Später, werde ich sie ganz anders erleben müssen, und war diese kleine Prozedur, die fühlen wollte, nur ein winziger Vorgeschmack. Später dann Schmerz ganz ohne jede Liebe ohne jede Lust. Ich wagte nicht mehr daran zu denken. Doch die Angst hatte mich plötzlich, als wäre das Vertrauen einen Moment in Verlassenheit umgeschlagen… Der Riemen? Ach, was, ists nicht nur ein Spiel, ein Kinderspiel? Dagegen das kleine Sterben der Trennung, des Abschieds, der Tod als letzte Furchtbarkeit. Liebesende nur ein Vorgeschmack?  Nein, ich konnte mir nicht vorstellen, dass es einmal ein Ende haben könnte mit uns. Dass du mich verlassen würdest. Einfach weg, so, von einem Tag auf den Andern. Trennung… heiss stieg die Verzweiflung in mir hoch… Doch hattest du nicht immer wieder gesagt: Versprichst du es mir, dass wir zusammenbleiben, solange das Leben hier auf der Erde dauert?! Ich spürte deinen fragenden Blick.  „Woran denkst du?“ „Ja, an all die Abschiede, an alle… „ „Nein., Liebster denk nicht daran…“ „War da eine Träne auf deiner schönen Wange…“ Ich weiss, du dachtest an den kleinen Abschied, dass wir uns morgen trennen werden… Wenn auch nur für kurze Zeit. Und es wird dann andauernd weh tun, Tag für Tag. Und blitzartig fiel mir die Geisselung,   die Marter  am Isenheimer ein, die aber dann direkt mit dem Himmel verbunden war; ist das ein Abglanz, ist das ein Widerschein des Körperauflösens, ihn mitnehmend? Und auch wir, werden wir uns einmal wiederbegegnen, später… wann ist das? Was ist da außerhalb des Lebens für ein Leben, für eine Liebe… gibt es sie? Ist Liebe wirklich Leben für immer? Ja, so will es der Altar, so klingt es bei Mahler, bei Bruckner…
Und dann mit dieser großen Erwartung, ja, auch dem Vertrauen, dass…
Ich stieß, als wirs sahen, vor dem Museum standen, hervor: „Natürlich, das Museum Unterlinden geschlossen.“  Es war 12,10h.  „Um zwei öffnet es doch wieder, warten wir?“ Sagtest du.  Ja, genau. Wieder und wie selbstverständlich, erwartetest du das Beste. Und ich freilich, wie gewöhnlich, das Schlimmste auch im Kleinen.  Ach, ich muss noch viel lernen von dir, hohe Frau. Ich zögerte.  Und sagte: „Aber heute ist ja Feiertag…  Das öffnet nie mehr heut!„
„Aber ich möchte unbedingt mit dir zusammen den Isenheimer sehen!“ Du hattest ja schon vorher beim Einfahren in die Stadt erstaunt gefragt, was ist heute, ein Feiertag? Alle Geschäfte geschlossen. Nun ja, es war der 11.11. Versailles 1918, Spiegelsaal, der Sieg übers Deutsche Reich wurde gefeiert.
Ich zögerte, aber dann entschlossen wir uns doch zu bleiben. Und wir gingen zuerst zum Dom. Er war weniger gewaltig als das Straßburger Münster. Als wir eintraten wieder die Orgel. Seltsam, in vielen Kirchen wurden wir so „begrüßt“. Und ich wurde wieder heiterer. Und es wurde ja auch wie durch Magie immer alles fröhlich und gut mit dir! Und du holtest aus mir immer nur das Glücklichsein und Fröhlichsein raus, ja, so war ich ja, als Kind war ich so gewesen, auch als junger Mensch, und war es eigentlich im Grunde meines Wesens. Oh, du, so viel weiß ich von mir nur, wenn ich mit dir zusammen bin, zusammen  mit dir die Welt erlebe, indem ich deine Hand halte, dein Gesicht sehe, dich fühle. Und so begann es wieder fröhlich, fröhlich zu werden, wie ich es eigentlich die ganze Zeit mit dir gewesen war, es sein konnte!!
Und schon ging es wieder los: Am Eingang zeigtest du mir eine der Figuren, die deine Freundin Colombe entdeckt hatte. Nur wenn man genau hinsieht, unter die Figur sieht, erkennt man, dass die einen gewaltigen stehenden Schwanz hat. Ich filmte ihn mit Zoom von unten. Und du standest dabei und lachtest. Und wir lachten beide ganz laut und herzlich.
Gingen dann wieder zurück, in einer Seitengasse wusstest du ein schönes Café, das dir auch Colombe gezeigt hatte. Und wir fanden es, traten ein. Ganz wie eine alte Café-Apotheke wirkte es, dachte ich und freute mich, weil ich das so sehr mag, wie du ja auch, wie viel mögen wir doch     gemeinsam, unser Geschmack ist sehr ähnlich, ja, ganz schön altertümlich wars hier Ach, ich erinnere mich, wie wir schon im April uns gleich zu gleich im Geschmack fanden, und es ganz „antik“ haben wollten, alles!
Wir hatten in der  elsässischen „Apotheke“ mit der entsprechenden Besitzermadame sogar einen Platz am Fenster, sahen auf die alte Gasse. Überhaupt dies alte Colmar. Das Elsass war nie zerstört worden. Seltsam als strittiges Grenzland.
Ich trank einen Tee, du Kaffee. 
Und warum lachten wir so viel? Vielleicht weil wir so voll waren voneinander, jede Sekunde war gefüllt, nichts war sinnlos, nie leer, und dann schwangen wir zusammen, sahen alles fast gleich, erlebten so ähnlich, weil wir so ähnlich sind, und Gottseidank auch ganz verschieden…
Und schriebst mir: „ …ich ich sehe das alles auch noch vor mir. Manchmal meine ich sogar DEIN Sehen zu sehen, also durch Deine Augen alles gesehen zu haben.“
Oh, ist das schön, wie du das sagst, ist das möglich? Ich versuchs mir vorzustellen… Wahnsinn, ja … hab ich auch mit DEINEN Augen gesehen? Dein SEHEN gesehen? Das ist eine tiefe metaphsyische liebes-handlung … du mit meinen, ich mit deinem sehen, sehn?! Ja, aber es war wirklich! Ein Herz und eine Seele – und ein gemeinsames Doppelaugenpaar! Und das geht dann ganz direkt ins Gemüt, was WIR gesehen, oft lachend gesehen hatten! So viele Szenen tauchen immer wieder auf.. bei dir nicht? Und auch dein Gesicht sehe ich doch, du meines nicht? haben die Fotos es überdeckt? Mir ging es auch so mit dir, dann wischte ich die Fotos weg in mir und dein in mir lebendes Liebes Gesicht tauchte wieder auf!

Naja, was geschah aber dann wirklich dort in der Caféapotheke von Colmar? Wir zahlten, die Cafébesitzerin in ihrem halbelsässischen Look, bebrillt, freundlich, als wären wir bei ihr zu Hause zu Gast gewesen zum Tee, brachte die Rechnung. Klingeln der Kasse oder der Eingangstür, ich hielt dir den Mantel, ich fühl ihn an meiner Hand, weich, sanft, deine Hülle.  Es ist Zeit, wir gehen zu Unterlinden und zum Isenheimer Hand in Hand wie immer, nun in Colmar, wirklich über die Strasse.

Ja, Unterlinden ist offen. Wir fast allein da. Eintritt, du mit deiner Bibliothekskarte, ich mit dem Ver.di Journalistenausweis. Angenommen.  Dann am Eingang, der dunkle Mann, Inder?, und die helle, blonde(?) Frau, zwischen ihnen die Liebesblicke? Was sagte er? Du hast es beobachtet, wie dir nichts, was von außen nach innen blitzt, entgeht. Du beobachtest alles mit wissendem Auge (der Poesie oft!), die Welt für dich eine Himmelsverbindung mit Tiefenschärfe musikalischer Poesie, wenn man die Alltagsdecke hebt, wie einen Nebel durchdringt!

Kaiser und Könige. Steinfiguren. Kleine gotische Altäre. Unmengen an  vibrierender Kunst da auf dem Weg zum Eigentlichen, dem Grünewald. Und hatten ja schon darüber gesprochen. Verband uns dieses Bruckner- und Mahlergefühl auch nun damals in Colmar neu? Das Klopstockgedicht? Und wir sagten uns, was wir jeweils dachten, dachten es fast wieder gleichgestimmt eins. „Für jedes Bild da  müsste man Lebenszeit opfern, lange davor meditieren.  Hier aber in dieser Häufung erschlägt eines das andere. Ich hab das eigentlich sonst in Bildergalerien und Museen nie, dies Gefühl. Aber vielleicht, weil’s sakrale Bilder sind,…“ Sagte ich.

Dann saßen wir Hand in Hand vor dem Gekreuzigten. Still, kaum redend, aber mit einem Auge sehend, fühlend, was in uns vorging, zusammen, ja, sprachlos. Der Schmerz, des durch Geisselhiebe verwundeten, grünlich totenblassen Corpus Christi, hängend, der Kopf in den Tod geneigt, zum Schreien verkrampfte Finger ins Grausige, Gespenstische, Überweltliche übersteigert, war nur als „Schönheit“ zu ertragen! Der Himmel musste sich bald öffnen…unten die Mutter im Weinen, fast fallend, zurückgeblieben im Hier. Liebe und Schmerz? Und Tod, Liebe, Abschied und Ewigkeit? Fühlten wir es gemeinsam erschauernd, dass auch wir dazugehören, jetzt im Glück, wie alles was auch hier vorher war?  Oder dass Schmerz zur Liebe gehört, Schmerzliebeschmerz öffnet.  Spürten wir sogar die Lust der Liebespeitsche? Ja, einen Moment dachten wir es beide. Dann aber auch den furchtbaren    Lebensernst, der uns auch noch erwartet: der Abschied? Die Wandlung vom hellen Jubel, Verkündigung und Himmelfahrt – auf der anderen Seite?  Fleischgewordener Logos, die Taube. Der Engel. Mutterglück. Und die gotische Kapelle mit den musizierenden Engeln. Die Säulen mit den Geisterpropheten, die schon vom Ende und dem Schmerz wissen? Wandlung zum Ende,  Qual und Leid?
Wir in Absence, verloren im Farb- und Gefühlsrausch zusammen?

Und die Enttäuschung auch an der „Himmelfahrt“, nein, du protestiertest zuerst, als ich sagte, dass Grünewald das Schöne, das Erlösende gar nicht darstellen könne, es werde zum Kitsch, „ja, schlecht gemalt ist diese Lichtflut mit dem so satten, fast feisten Christusgesicht, das da himmelt! Nein, er kann nur die Qual, den Schmerz malen. Das kann er wie kein anderer.“ Sagte ich.

Wir gingen wieder, schweren Herzens, denn es war schon halb vier, und um fünf wurde es dunkel. An einer Apotheke vorbei … und du, ja, du dachtest an mich, drängtest, dass ich nochmals den Magensirup kaufe. Ich sprach zuerst deutsch, der Apotheker antwortete französisch, als habe er nicht verstanden. Auch das hattest du mit dem Herzen gesehen:
          „Ach, der Apotheker, der erst auf dem Weg von der Kasse zum Gitter Deutsch gelernt hat“.

Und Sie: Wir näherten uns der Plaine d’Alsace und die Wolkendecke riss auf. Sonnenstrahlen fluteten den Piemont. Feenlandschaft in Graublau-Schattierungen, von Ruinen bewachter Eingang ins Seelenreich. Am Horizont löste es sich im Himmel auf. Kitschig schön! Nein, eigentlich gar nicht kitschig. Der Blick in das V war ein Rufen nach uns. Das Tal ein weit geöffneter Mund, aquarellierter Gesang der Sirenen, ich wollte da hinein und mit Ich ganz verschlungen werden. Nur wir hätten Zugang gehabt, aber wir verpassten die Ausfahrt und fuhren weiter zu meiner Lieblingskapelle nach Dambach. Beim Durchqueren des Dorfs fiel uns auf, dass alle Geschäfte zu waren. Bis uns klar wurde, dass die Frenchies ja was zum Feiern hatten! 11.11.1918! Stacheldraht, Verdun, Versailles und das Beschließen neuer Wegbereiter zum zweiten Jahrhundertgemetzel. Tröstlich: Die Kapelle stand da wie immer. Man steigt die paar Stufen hinauf und wenn man sich umdreht, hat man einen wunderschönen Blick über das Dorf mit seinem mittelalterlichen Kern, den windschiefen Fachwerkhäusern und der dahinter beginnenden Rheinebene. Wie ich es genossen habe, mit Ich die Kirchen zu besichtigen. Alle. Und dass er Kirchen so gern hat wie ich, das ist schon ein Glück. Die « Armleuchter » ragten aus der Wand und der Barockaltar in dunklem Kirschholz hätte überladener nicht sein können! Ich fielen wieder witzige Bemerkungen ein und bei allen Szenarios, die er so erfindet, tauche ich gleich ein und bin dann dort, war selbst am Schnitzen und der Meister hielt uns noch einen Holzklotz zum Ornamentieren hin. Hinter der Kirche liegt ein verborgenes Ossarium. Eine Art Erdkeller, die Toten aus dem Stadtfriedhof wurden nach den Schwedenkriegen dort hineingeworfen, hat mir mal der Pfarrer erzählt. In der bescheidenen Krypta häufen sich Knochen und Schädel in einem wirren Durcheinander. Da ist nichts geordnet oder feinsäuberlich nach Unterschenkel und Schädel aufgeschichtet. Man blickt in schwarze Augenhöhlen und verschobene Unterkiefer, auf schadhafte Gebisse und bleiche Gebeine, da mögen der Metzger und Tuchhändler, Geliebte und Betrogene, Gefangene und Wächter nebeneinander bis aufs Jüngste Gericht beisammen sein. Über der schmiedeeisernen Tür wurde eine Tafel angebracht mit der Inschrift:
„Ce que vous êtes, nous l‘étions. Ce que nous sommes, vous le serez.“
„Das was ihr seid, sind wir gewesen. Das was wir sind, werdet ihr sein.“
Ich schüttelte es. Wir liefen Hand in Hand zum Auto und nach einem kurzen Stop und Kartencheck vor einer Winstub ging’s weiter nach Colmar. Unsere Hände ließen sich nicht los. Eigentlich gab es selten nur Momente, in denen wir uns nicht an der Hand hielten. Unsere Hände passen ineinander und ich spüre noch die Wärme, die von Romans Hand ausgeht und den Unterarm hinaufkriecht bis zum Brustkorb. Wie verschmolzen wir manchmal waren. Wie unwirklich beinah, jetzt, wo meine Hand alleine ist. In Colmar dann zum Parkplatz, wo ist der Autoschlüssel? Schlüssel gesucht, gefunden („Gib mir doch dann den Schlüssel!“) und losgezogen zum Musée d’Unterlinden. Nomen est omen. 10 Minuten früher, und wir hätten noch Einlass vor der Mittagspause erhalten. So waren wir zu spät und hatten die Wahl zwischen sofortigem Aufbruch nach Todtnauberg oder der Kreuzigungsszene. Ich wollte zum Celan und ich verstand ihn. Andererseits wäre es zu schade gewesen, das hier nicht „mitzunehmen“ und wir rechneten uns die Wegstrecke und Anfahrtszeit aus. Ich wollte den Altar unbedingt mit Ich sehen und überredete ihn, doch noch bis 14Uhr zu warten. Wir schlenderten an einem kleinen Kanal („Was ist denn das für ein trübes Wasser?!“) zum Münster, wo ich Ich in die versteckte Bildhauerkunst mittelalterlicher Gesellen einweihte: den Münsterständer.

Colombe hatte mir einmal den kleinen Colmarer Bürger am Seitenportal des Münsters gezeigt, der in Hockstellung unter seinem Wams und Beinkleid einen erigierten Penis verbirgt, wobei man sich selbst bücken muss, um ihn zu sehen. Der Steinmetz hatte beim Meißeln sicherlich die nachfolgenden Generationen von Voyeuren vor Augen und muss sich wochenlang auf seinen Arbeitsplatz am Seitenportal gefreut haben.
Ich filmte begeistert das Fries, überall ist etwas zu entdecken gewesen, eine lange Reise in ein paar Minuten. Wir betraten die Kirche, Touristengruppierungen ließen sich den Bau und seine Geschichte erzählen, Sankt Martin stand mit Römerrüstung und Kreuz vor dem Altar, eine neo-klassizistische Figur aus bemaltem Holz, heroisch, so, wie ich’s nicht mag. „Wieso hat der ein Kreuz? Ist das nicht anachronistisch?“ Zum Glück weiß Romanle auch nicht alles und wir näherten uns den Insidern im Mittelschiff. Vorne, wo die christliche Gemeinde einen Tisch mit gesegnetem Wein, Grapefruitsaft, Gugelhupf und Brezeln vorbereitet hatte, und wo jeder sich nehmen durfte, was er mochte, fragte ich gleich die Dame hinter der Behilfstheke. Martin war im 4.Jhd n. Chr. römischer Soldat gewesen, bis er zum Christentum übergetreten ist. Martin von Tours hieß er („Ich Herr Lehrer, ich ich ich!!!“) und hat als Mönch bei Portiers das erste Kloster im damaligen Gallien gegründet. Zum Heiligen aufgestiegen ist er, weil er als Soldat vor den Toren Amiens seinen Mantel mit einem frierenden Bettler geteilt hat- so die Sage. Und eigentlich muss ich es ja wissen, hab ich doch als kleines Mädchen auf meinem Pony den Sankt Martin- Festzug durch Landshut angeführt, einen viel zu großen, goldgefärbten Plastikhelm auf dem Kopf und einen schweren, grünen und rotausgeschlagenen Umhang um die Schultern, der bis über den Pony-Hintern reichte. Hinter mir die laternenbewaffnete Kinderschar der Landshuter Kindergärten, was in komischen Fotos festgehalten irgendwo in Mutzendorf modert. Ich weiß nur noch, dass ich dann bei der Sankt Martinskirche den Mantel ausziehen musste, obwohl es arschkalt war, und mit meinem Plastikschwert so tat, als würde ich den Mantel in der Hälfte durchhauen. Die Kindergärtnerin zog in der Zwischenzeit an einem Reißverschluss und weg war der wärmende Stoff. Das war vor 25 Jahren. Tja. O tempo vai.
Ein bisschen erleuchteter mampften wir versalzene Brezeln und sahen uns um. Ich aß auch ein bisschen und trank ein Schlückchen Wein. Der Magen. Ich denke, es war nicht so einfach für ihn, dass er nirgends mit Freuden hinfassen konnte, um sich zu stärken. Verwunderlich schon beinah: Wo immer wir hinkamen, die Leute waren unglaublich freundlich, schon fast so, als hätten sie auf uns gewartet. In den Kirchen ertönte nicht selten Orgelmusik, sobald wir sie betraten und eigentlich baute sich die ganze Welt um uns herum nach unseren Wünschen auf. Wir gingen durch unsere eigene Feenlandschaft über die AnjaRomanerde. So ist es. So ist die Liebe, nicht wahr? So ist es, wenn zwei Menschen zusammenpassen und sich gut sind. Da brauchen wir keine Philosophen mehr.

verließen wir das Café und gingen zum sog. Grünewald. Alles musste schnell gehen, wirklich Zeit hatten wir nicht, H+C riefen. Die Frau an der Kasse zickte zuerst wegen Romans Journalistenausweis, auf dem kein Datum stand, was Ich ärgerte. Die blonde Garderobiere flirtete mit einem indischen Kollegen, ansonsten war es relativ ruhig im Museum. Die beschauliche Stimmung, die ich sonst vor dem Altar bekomme, stellte sich mit Ich aber nicht ein. Er war nervös und unzufrieden, hatte sich wohl etwas erwartet, das nun nicht zutraf, die Kreuzigung, das Leid, meinte er, hätte er ja gut darstellen können, der Grünewald, aber die Glorifizierungsszenen sind reinster Kitsch, das hätte er besser bleiben lassen sollen. Ich fand das so nicht, im Gegenteil, ich liebe diese Spannung zwischen dem tiefsten Leid und der verklärtesten, hellsten Glückseeligkeit. Dass Maria dabei ein bisschen schief guckt und Jesus verhalten aus einer Licht-Wolke heraus die Male zeigt, hat eher was Traumhaftes, die Albgestalten samt Paulus im Gegensatz zum heiteren Engelskonzert. Golgatha und Himmel. Dass aber auch noch Alltagselemente in der Verklärung vordergründig sind, macht die Lebhaftigkeit des Ganzen aus. Ich wäre gerne länger geblieben, ich mag das Museum so gern. Aber wir zockelten nach einem Clogang wieder zum Auto und gaben Gas. Bei Breisach über den Rhein: „Das ist nicht das Schlechteste…“ und dann am Regenbogen vorbei hinein in die dunklen Wolken. Eine irre Stimmung, blauster Himmel, dunkelste Wolken, Regen irgendwo, weiße Wölkchen am Horizont, goldene Lichtfetzen auf schattigen Bergrücken, dazwischen das Grün der Ebene, ach, und die Sonne tat gut! Eigentlich ist diese Reise eingebettet in Kitsch und Romantik gewesen. Ich frohlocke hier ja auch schon in höchsten Tönen und finde mich klebrig wie rosarote Zuckerwatte. Ist das die Verliebtheit? Schrecklich.
In Freiburg tankten wir, Ich stand am Zapfhahn und ich kaufte noch Kaugummi, dann ging es weiter. Todtnau war schon angeschrieben und wir waren fast enttäuscht, dass das Abenteuer des Kartenlesens schon vorbei war, bevor es richtig begann. Manchmal durchblitzte mich der Gedanke, dass es der letzte Tag war. Aber irgendwie war alles noch weit weg und die Hinfahrt war einfach zu schön und zu lustig.

Aber es verbindet sich ja nun die Zeit in einem einzigen Punkt, alles fließt zusammen, und manchmal glaub ich, verrückt zu werden. Begann jetzt nicht das Schönste, ich mit der Karte auf den Knien, die Linke in deiner Rechten, ab nach Todtnauberg. Und leitete dich über Breisach, Freiburg, Kirchenzarten zu unserer Liebesnacht in Todtnauberg. Und diese Landschaft des Südschwarzwaldes um uns, eine Himmelslandschaft mit Almen, Tannenwäldern. Nebel. Regen, nur manchmal kam die Sonne durch und beleuchtete fast geisterhaft-außerweltlich die Höhen. Und ich erzählte dir die Geschichte von Celan und Heidegger und ihrem gescheiterten Treffen in Todtnauberg.
Und immer wieder stehst du wie eine leuchtende Erscheinung  duftend vor mir, so nah, als könnte ich dein Gesicht streicheln, küssen, wir sitzen ja im glücklichen JETZT, in jenem Heute, dem 11. 11., das nicht vergehen kann, sitzen im Auto, fahren die Serpentinen nach Todtnauburg hinauf, Nebel im Tal, wie ein Wolkengesicht, das nur manchmal wie ein Blitz von der Sonne gespalten wird, auch unsere Gesichter erhellt, du frierst, ich gebe dir meine Pelzweste, du hast eisige Hände, ich reibe sie, wärme sie,

Aber „JETZT“ in unserem Jetzt, sind wir doch noch am Ortsschild von Todtnauberg; die Tage müssen stehnbleiben, auch dieser Augenblick darf nie mehr vergehen… nie sich dem Ende zu bewegen… und ich nahm den Plan des Ortes, und wir fuhren, wir lebten, wir fühlten uns, wir sahen die Landschaft, wir sahen uns an, wir waren neugierig, alles war ALLTAG, All Tag? Nichts Aufregendes, Alltag? Und ganz einfach alles, fast schon gewohnt, zusammen ein Wir. Wir fuhren zuerst zum Hotel „Enzian“
Die zierliche, fast zerbrechliche Wirtin mit dem  kantigen und wetterfesten Vogelgesicht führte uns in den Frühstücksraum, und dann gleich hinauf zur Besichtigung der Zimmer,  erzählte auch gleich, und fragte, ob wir denn zum Heidegger-Kongress gekommen seien. Wir blickten erstaunt, denn tatsächlich waren wir ja auch wegen Heidegger und Celan hier, und fragten neugierig, was es denn für ein Thema sei, und wo? Sie wusste nichts Genaues, sie könne sich aber erkundigen. Die beiden Einzelzimmer, die sie uns dann zeigte, waren ganz annehmbar, sie gefielen auch dir, hatten auch etwas Aussicht auf die Täler im Nebel wie in Watte vor uns und den Wäldern, Wiesen und Höhen, die in den Wolken lagen. Freilich, du wolltest wieder ganz weit weg, am liebsten in einem Gelass in der Mansarde, direkt unterm Dach.
Wir fuhren noch zum größten Wasserfall Deutschlands, hörten das Tosen und Rauschen kurz vor dem Eingang des Ortes, fanden den Zugang nicht gleich, auch war es schon fast dunkel, und wir scheuten uns hinabzusteigen. Nahmen uns vor, es vielleicht morgen früh vor der Abfahrt nochmals zu versuchen; doch so schien es für uns, waren wir weniger an Naturwundern interessiert als an Kultur?

Am Morgen dann.
Es war sehr spät, schon nach acht, und um 12 ging mein Zug von O. wieder ab; wir sprangen beide fast gleichzeitig erschrocken aus dem Bett. Und ich sagte, dass ich mich sehr schnell fertig machen kann. „Ich auch“, sagtest du und gingst mit dem Bettzeug schnell in dein Zimmer. Ich hatte noch ein Faltblatt „Heidegger in Todtnauberg“ gestern gelesen, nahm jetzt eines auch mit.
 Mit den gepackten Sachen dann zum Frühstück. Das war schon gedeckt. Und die Wirtin von gestern grüsste, brachte auch gleich den Anmeldeschein und die (bescheidene) Rechnung. Stellte quasi die Dame am Nebentisch vor, sie sei eine Teilnehmerin der Heidegger-Tagung. Man merkte, wie beflissen die Wirtin war. Sie erzählte von der Bekanntschaft der Familie mit Heidegger. Und auch ihre Tochter sei ja in dieser Branche tätig, Buchhänd­lerin bei Witwer  am Bahnhof.  Er wirkte peinlich dieser Minderwertigkeitskomplex. Ich begann die  Tischnachbarin auszufragen, sie wirkte irritiert, vielleicht hatte sie unsere Nacht mitbekommen.  Ich erzählte von Heidegger und Celan hier. Sie meinte, es ginge bei der Tagung nur um Heidegger und Trakl „Auf dem Weg zur Sprache“, mehr um Linguistisches! Sagte immer nur „Ja“ oder „Nein“ oder „Ich weiß nicht“. Und fragte nur: „Sind sie auch sein Landsmann?“. „Wieso, hört man es denn?“ „Ja, den leicht singenden melodiösen Ton!“ Und ich fragte dich dann auch noch etwas irritiert: „Hört man das denn so?“ Und du: „Ja, schon das Melodiöse, den Singsang. Ich mag das sehr an dir. Und ich mag auch deine Sprachsicherheit.“
Wir blickten von unserem Tisch aus zum Fenster hinaus, endlich schönes Wetter, blauer Himmel, Sonne blitze über die Wiesen und Höhen in ein wunderschönes Tal.
 Ich wollte dir noch schnell die versprochenen Fotos aus der Kindheit zeigen, und auch die aus der Brieftasche:  Mutter, Michi, den du lang ansahst, stumm. Fast mit Widerwillen aber das Foto meines Hauses in C.
Von den Kinderfotos aber warst du entzückt, fast hättest du in die Hände geklatscht. Ich gab dir ein Bild mit meiner Schwester als Fünfjähriger und mit großen dunklen Augen. Und ein lachendes Foto als Student. Das liebst du, und auch  ein Foto aus C. mit Lederhut, wo ich lachte, hattest du gern, weil man dort meine Hände gut sieht, die Streichelhände mit den  weißen pigmentlosen Vitiligoflecken. 
Gott, wie die Zeit jetzt wieder rast, unaufhaltsam weg von uns; und wann sagtest du: Ich hab mich wieder in dich verliebt?! Am ersten Tag schon, am Bahnhof schon?
Aber ich spürte es, wie du kaum reden und kaum schlucken konntest, wahnsinnig traurig warst; ich versuchte, das nicht hochkommen zu lassen, auch dich zum Lachen zu bringen, fröhlich zu wirken.

Mit einem Geschenk, einer Art Saunabürste verließen wir am nächsten Tag das gastliche Haus „Enzian“. Für immer? Stiegen ins Auto und fuhren zur Heideggerhütte. Du hattest dich erkundigt, bis nach O. braucht man nur eine Stunde und zehn Minuten. Es war neun, halb elf mussten wir abfahren. Also anderthalb Stunden Heidegger. Auf dem großen Parkplatz stellten wir das Auto ab, gingen zu Fuß weiter auf dem beschilderten Heideggerweg. Eine herrliche Aussicht über Wolken und Berge hin bis zu den Vogesen. Der Pfad war unser Liebespfad, Hand in Hand immer, und der Abschied drängte uns zusammen, als könnten wir ineinander eintauchen, immer wieder blieben wir stehen, um uns zu streicheln und zu küssen.
Und dann juckte uns der Hafer als wir an einer Bank und einem Hinweisschild mit Heideggerbild und ein Bild seiner Elfriede vorbeikamen. Ich hinterließ mit deinem Lippenstift  die denkwürdige Inschrift auf dem Heideggerhinweisschild: „Du schreibst – wir leben das Sein!“
Und lachten, lachten, lachten. Mokierten uns über ihn, der da stand mit komischem Hut, auf den Wanderstab gestützt, visionär weit in die Ferne blickend! Und treu seine Gattin mit ähnlichem Blick daneben.
Und dazu sein Gedicht über das Land hier:

Wälder lagern
Bäche stürzen
Felsen dauern
Regen rinnt.

Fluren warten
Brunnen quellen
Winde wohnen
Segen sinnt.

Wir gingen zu weit auf diesem Pfad, eine Art via dell amore! Suchten überall die Hütte, in jedem Transformatorenhäuschen, jeder Heuhütte, Almenhüttchen. Ich filmte mit persiflierendem lachendem und rufendem Kommentar alles. Und wir fanden dann die umgestürzte Tafel, das Hinweisschild zur echten Heideggerhütte, der legendären. Ja, da war sie. Mein Gott, ein popeliger armseliger Schuppen, ein Jägerhüttchen  war das mit geschmacklosen grünen Farben, einem winzigen Vorplatz mit Bäumchen, naja wenigstens der Schwengelbrunnen mit fließendem Gebirgsquellwasser war urig und echt, an dem sich auch der Meister mit unnachahmlicher Pose hatte fotografieren lassen. Und hier also soll der größte Teil seines Werkes entstanden sein? Hier sollte man vor Ehrfurcht niederknien? War auch  der pathetische Celan hier vor Ehrfurcht gestorben, nein, der eben nicht, und hatte sich nur im Hüttenbuch, wo sich ja große Namen verewigt hatten, eben auch Nazis,  eingetragen, woraus dann sein Gedicht „Todtnauberg“ entstanden war. Und am Brunnen fielen mir seine Zeile ein: „Arnika, Augentrost, der/ Trunk aus dem Brunnen mit dem Sternwürfel drauf.// In der Hütte..“
Celan war 1967 hier gewesen und dieser Besuch hatte seine Spuren auch in uns hinterlassen… Es hieß ja, dass Celans Gedicht „Todtnauberg – das Gedicht einer epochalen Begegnung, das Beschwören einer Hoffnung, ein Bekenntnis, welches einen Welthorizont aufreißt …“ sei, so der Augenzeuge und Celan-Freund Gerhart Baumann: „Dieses Gedicht, eine unbedingte Forderung, ein unerhörter Anspruch … Stimme zu einem benennbaren Du… musste auf ein ´ungesäumt kommendes´ Wort pochen, auf das Geständnis eines unsühnbaren Irrtums, einer Schuld …“

 Und hätte ich jetzt mein Gedicht, den beiden Kontrahenten, dem Juden und dem ehemaligen Nazirektor gewidmet, vorlesen sollen? Ich dachte nicht daran, ich hatte es    aber mit dabei. Und eigentlich fehlte jetzt etwas hier, nämlich der Heidegger-Celan-Spaziergang im  nahen Hochmoor von Horbach.
Und ich hatte mir vorgestellt, dass unsere Liebe, unser Liebesflüstern hier wie ein Blitz alles reinigen könnte, vor allem die Sprache. War ich     größenwahnsinnig oder fühlte ich diese Reinigung so stark,  weil unsere Liebe bis in den Himmel reichte? Und ich hatte das Gedicht DIR gewidmet. Und das ging so:

1
Hol dich ein in der Hütte mit dem Dichter/ und dem Denker
der stumm Nichts wissen wollte vom Unheil

Der Dichter aber
Ein Jude war so spät
unterwegs zur Sprache geworden …

Von der ermordeten Mutter
Und forderte auf den Deutschen
in der Hütte:  Bekenne was wahr ist!

Braun das verwelkende Laub des Vergangenen
Herbst/ Herbstzeitlosen fehlende Jahre/ Jahrtausende
Nass die Sekunde

Und wo endet die Tiefe des stehenden Wassers
Auf der anderen Seite der Erde?
Welch ein Boden und Grund will jetzt noch ein Zuhause

Rund und nie gespalten in eine Antwort?
„Heimruf gefangener Sehnsucht
uns: Wohnen und Wandern“?

So sagte der Denker schweigend betroffen
Im Nie gibt es kein Blut.

Langher und gesammelte Rede des Rektors
Zeit seit Sein und Zeit
Vom „kommenden Wort“?

Dachten wir beide hier auch an ein Nachhausekommen? Ja, wir wussten es, zusammen sind wir zu Hause.
Und sagten es uns immer wieder, immer wieder, dass es ein Heimkommen ist!

2
Langher und heute: Du lebst und ich lebe 
Aufgebrochen
Sind alle Generationen Liebste
in uns.

Oh Geliebte dieses Runde Verwelkte
Das Hochmoor von je – Nie
Wären wir uns so spät begegnet …
Nie. Wären die Mörder nicht tätig gewesen.

Und so unerklärlich sind uns die  Gründe
wie jene Zeit uns erschuf.

3
In deinem Auge erwacht
Mein Gedächtnis
Sollten wir endlich vom Warten genesen
Das all die Zeit in sich hat seit die
Welt mit dem Kriege verging

War ich auch krank und zu Ende gebracht
Du warfst mir eine Sonne voraus
Die mir auch den Tod
zum Liebesbett macht
oh DU meine Frau
meine Sonne!

Und wir Liebste
Tief durch die Sprache
Ineinander versessen

Frau Sprache
von Ewigkeit her
uns versprochen

Und so wohnen wir wund jetzt
Nahe bei ihnen
Den Toten!

Unsere Liebe
Zwischen den Generationen
So spät
Als hätten wir mit dem Denker
Vergessen
Dass auch die Sprache
Einst  winterschwarz tot war.

Und wir ein Ja du und ich
Wir mit unserer Liebe im Reinen
Können wir sie früh am Morgen
schön waschen die Sprache
Und liebend erwecken?

Hier: kann sie mit uns auferstehn!?

„Haus des Seins?“
Jedes Komma jedes Und
Hat der Mörder gespalten
gespalten die Zunge
und im Befehl vernichtet
vor den Opfern was war!
Blut klebt an ihrem Hauch
An jedem Laut.

Dort auch aus der Stadt woher
Ich  kam aus allen Städten
Mit unseren Lauten
Ist für immer eine Blutspur
Zu uns gelegt!

Wer sind wir heute Geliebte
Generationen in uns
zwischen uns/ und der Unterschied
von Krieg und Frieden/ und DU mein
überfälliges Leben/ das dich spät
fand/ dazwischen?

Lass uns die Zeiten vermischen
Wie unsere Glut die in uns zittert
Lass uns die Worte oben mischen
Mit denen die Mörder das Töten befahlen
Lass uns sie waschen im Liebesgeflüster
Lass sie uns jung in die Lippen tauchen
In Küssen so zur Welt
Gebracht/ sie und uns
Liebste zu einer neuen Geschichte. 

Oh du meine Frau meine Tochter
Du Weib und Kind Geliebte
Nimm mir den Tod aus den Knochen
Und schenk mir  den Anfang der Welt.

Umarmten und küssten wir uns hier? Nein, wir fassten uns nicht einmal an den Händen?!  Schlechtschlecht! Die Realität war nicht so hochfliegend, ja, war sogar recht enttäuschend. Warum küssten wir uns ausgerechnet  hier nicht? War die Aura hier, der genius loci nicht danach?  Gab es etwas stark Zerreissendes hier, einen Widerspruch, der fühlbar wurde? Vielleicht das ausgesprochen Antiethische in seinem Denken,  das ihn auch daran hinderte, irgend eine Schuld einzusehen?  War es vielleicht tatsächlich so, dass es keine Verantwortung gab, weil etwas unsere Taten bestimmte, gegen das  kein Kraut gewachsen war? Oder war es die Anwesenheit Paul Celans hier? Wir schufen uns wohl etwas Luft, es gab ein Ventil, das „Lästern“: Und küssten wir uns so nicht,  weil wir wieder viel zu lästern hatten! Du filmtest mich lachend mit Heideggerpose am Brunnen. Und ich  filmte das Hüttchen plus die Nähe des Dorfes. Kaum fünf Minuten vom Dorfrand entfernt lag diese „Welteinsamkeit“ des Denkers. In fünf Minuten konnte man wohl den Bäcker erreichen. Und auch  Hotel „Enzian“ war zu sehen, wir hätten es zu Fuß in zehn Minuten erreichen können!
Eine Art Leichtigkeit erlaubten wir uns. Und erst später kamen wieder die schweren Gedanken, die dieses Zweischneidige hier, auch das Unreine, das Aufgeblasene, das Unnatürliche, das sich im „Natürlichen“ versteckte, unerträglich intensiv empfand, wohlgemerkt, bei beiden, die Anmaßung  auch bei Celan, gleichzeitig mit der Bewunderung, was da alles in diesem Hüttchen in einem Menschenhirn vorgegangen war!

Und dann mussten wir los. Ein Drang überfiel mich aber plötzlich  wieder, ausgerechnet jetzt; war es eine unbewusste starke Erregung? Vielleicht gehörte das jetzt als  die natürlichste Blasphemie der Welt  dazu. Und so praktisch wie du auch in  vitalen und organischen Dingen bist, sagtest du ganz einfach: „setzt dich doch da unter die große Tanne, ich geh weiter.“ Und so tat ich’s mit heruntergelassenen Hosen und Tempotaschentüchern von dir mit Blick auf die wichtigste Philosophenhütte Deutschlands in diesem Jahrhundert…
Du wartetest auf der Heideggerbank mit unserer Inschrift, die ja jetzt da bleibt; wir aber mussten dem Abschied entgegen fahren, stiegen ins Auto, hatten noch genau anderthalb Stunden zusammen-Sein.

Und sie schrieb am Dienstag, den 12.11:  Nun ja, jetzt ist es eben doch passiert. Er ist nicht mehr da, das Leben geht weiter. Lustig immer wieder: Es geht auch weiter, wenn man gar nicht will, dass es weitergeht. Ich wusste natürlich, dass es diesen Moment geben würde. Ich hoffte trotzdem, er käme nicht. Dass es irgendwann mal keine Abschiede mehr geben würde, habe ich gehofft. Idiotisch, wie man immer wieder daran festhält! Er ist in den Zug gestiegen und gefahren. Das heißt, der Zug stand und der Ich stieg ein. Ich hielt noch seine Hand, in die ich den Stein und das Seidentuch mit den Rosen gelegt hatte. Überhaupt dachte ich, es würde genügen, seine Hand zu nehmen, und dann, Abrakadabra, bleibt er für immer da. Manchmal habe ich noch so kindliche Anflüge von debiler Naivität, dass ich mich über mich selbst wundere. Zum Auto bin ich wegen dem Stein und dem Tuch noch zurückgelaufen, weil ich in der aufgewühlten, nach außen aber verhaltenen Stimmung wirklich alles vergessen habe, grad dass der Kopf noch auf den Schultern saß. Unterm Laufen stellte ich mir vor, dass Ich, auf dem Bahnsteig zurückbleibend, eigentlich jetzt denken könnte, ich würde versuchen, dem Abschied auf diese Weise zu entwischen. „Ich komm gleich wieder! Ich habe etwas im Auto vergessen!“ Als ich zurückkam, stand er aber ruhig wartend da, naja „ruhig“ ist ein Wort, nein, er war schon etwas in Sorge, ich sah es an seiner Körperhaltung und wir fielen uns ein letztes Mal in die Arme. Das letzte Mal nach drei Tagen des ersten Mals. Ich habe ihn so gespürt, seinen Körper, in den ich mich verliebt habe, sein Gesicht an meinem, seinen weichen Atem, seinen Rücken, den meine Hände nackt und heiß gespürt hatten und ich dachte mir, dass alles in ihm funktioniert, die Organe Blut pumpen, sein Hirn speisen, sein Herz, dass die Knochen ihn tragen, auch jetzt bei der letzten Umarmung auf dem Bahnsteig, und dass ich diesen Mann liebe und nicht will, dass er geht. Romans Kuss, unser Kuss, leidenschaftlicher Kuss, tiefer Kuss, brannte noch auf meinen Lippen, als er schließlich in den Zug stieg. Ich lachte, weil ich mir vorgenommen hatte zu lachen und nicht zu weinen, das kann ich auch nachher noch machen, habe ich mir gedacht. Und etwas anderes ist passiert. Romans kraftvolle Energie und Hoffnung sind in dieser klassischen Abschiedsszene auch auf mich übergesprungen, oder wir riefen diese Hoffnung gemeinsam ins Leben, keine Ahnung. Die Hoffnung – oder eher das Wissen – alles würde gut. So oder so. Aus zwei wird drei.

Die Abschiedssekunde kam wie sie immer kommt, auch wenn man sich in Sicherheit wähnt und im Glauben, die Zeit ausgetrickst zu haben. Die     Ewigkeit ist genauso endlich wie die Unendlichkeit und ich kenne die Schlusslichter der Züge, die rotglühenden Augen am Tag und in der Nacht und das Hochklappen des Mantelkragens so gut, dass mir schlecht wird. Es ist unmenschlich, sich in dem Moment zu trennen, wo es mit dem Küssen klappt. Und wenn sich die Wesen ineinander verstrickt haben. Jetzt liegen die Maschen aufgetrennt um mich herum und mit den Worten versuche ich sie aufzurollen zu einem Knäuel der Erinnerung. Na toll. Da kann ich mir dann einen Pulli draus stricken, oder Handschuhe, Fäustlinge, Fingerlinge. Mir kommt’s so vor als hätte ich nichts, woran ich mich festhalten könnte, außer diesem Kopf da und dem traue ich auch nicht. Schon gar nicht, seitdem ich in Romans Augen gesehen habe. Das Herz, ein bisschen weiter links, ist sowieso keine große Hilfe. Es braucht ständig Zuspruch vom irritierten Oben, sonst ersäuft es mir. Ich muss an die südamerikanischen Scharlatane denken, die so tun, als würden sie einem die Organe bei lebendigem Leib herausnehmen und statt des Krebsgeschwürs eine tropfende Schweineleber zu Demonstrationszwecken hochhalten. Ich stelle es mir unheimlich befriedigend vor, einen Kiesel dort hineinzulegen, wo einmal das Herz gewesen ist. Eine Hand, die drüberstreicht bis Haut sich unversehrt über Wunden schließt. Und dann frage ich mich auch, weshalb ich eigentlich noch Lippen und Augen habe, wenn ich Ich nicht mehr küssen und sehen kann. Zum Sprechen und Lesen, Hella. Ach so?

Als der Zug sich in Bewegung setzte, rief Ich noch: „Ich bin froh, dass der Abschied SO ist und Du lachst!“ und ich meinte mit fester Stimme „Es war viel zu schön mit Dir, als dass ich jetzt unglücklich sein könnte!“ Und das stimmt. Verrückt! Es war eigentlich alles viel zu schön, um traurig zu sein. Ist es nicht wunderbar, dass wir uns haben?! Ich lief noch ein wenig neben dem Zug her und winkte zur Freude der Bahnreisenden mit meiner schwarzen Kappe, bis die Schlusslichter hinter der Biegung am Horizont verschwunden waren. Ich winkte mit seiner Mütze zurück, bis er sich als Pünktchen aufgelöst hatte. Ich wollte sie nicht haben, seine Mütze, weil sie ihm so gut gestanden hat. Und jetzt habe ich gar nichts von ihm. Nichts. Nicht mal ein Haar. Nichts. Doch, auf meinem schwarzen Mantel haben sich weiße Haare im Kaschmir verfangen. Soll ich die jetzt rausfischen und in einen Schrein legen, Räucherstäbchen anzünden und mich bekreuzigen? Meine Hände fallen dauernd ins Leere. Ich habe nichts zum Anfassen von ihm. Ich kann ihn nicht mehr streicheln und weiß nicht, wie das Leben jetzt einfach so weitergehen soll, einfach so, nach dieser Körpernähe, die sich mit der Herznähe verbunden hat. Wie kann man nur so leichtsinnig sein und den Zug abfahren lassen? Noch daneben herzulaufen und lachend zu winken, kommt mir jetzt wie ein Verbrechen vor.

Als ich unter den Gleisen hindurch in Richtung Auto ging, war Vakuum in meinem Hirn. Man stakst wie unter einer Glasglocke auf Wattebauschen, die Geräusche vermischen sich zu einem Flirren, alles wird mechanisch. Und dann dachte es in mir: „Die Gegenwart ist soeben auf den Schienen davon und an der Herzseite zieht’s.“ Der Satz: „Die Gegenwart ist soeben auf den Schienen davon.“ brachte mich zum Lachen, als mein Blick auf den leeren Platz vor dem Haupteingang fiel, wo ich Ich vor drei Tagen mit klopfendem Herzen und flatternder Freude abgeholt hatte. Ich kann eigentlich nicht sagen, dass ich traurig gewesen bin, als ich ins Auto stieg. Die Sonne schien wie im Frühling und ich war eben wieder allein. Ich bin wieder allein. Nein. Ich bin ohne Ich. Kaum zu glauben. Ich ist nicht mehr da. Er war da. Vor zwei Tagen, vor einem Tag und gestern. Heute ist er wieder gefahren. Eine Odyssee bis zum Flughafen und zurück nach Italien zu seiner Frau, seinem Haus, seinem Hund, seiner Katze, seinem Boot, seinem Garten, seiner Natur, seinen Freunden, seinem Schreibtisch, seinen Büchern, seinem Leben, seinem Wein. Die Reihenfolge ist variabel und erweiterbar. Aber sie ist auf jeden Fall ohne mich. Ich bin hier, visiblement. Huhu, zwick’ mich doch mal. Jaja, die Wahrheit? Aber zum Jammern habe ich auch keine Lust. Diese lamentierenden Jeremiaden. Was soll’s? La vie est maintenant. Aber es gibt uns nur EIN MAL. Und DAS, dieses so glasklare Bewusstsein, dass es Ich und mich, 68 und 31 nur JETZT noch so gibt und die Zeit nicht stehen bleibt und auf uns wartet, dass Züge abfahren und nicht umkehren, wühlt mich plötzlich auf, macht mich unruhig, würde mich nicht unruhig machen, hätte ich nicht die Tiefe unseres Rundwesens gespürt. Das Schicksal hat uns angesehen, oder das Leben, wie man es auch nennen mag. Und darin lag Sinn. Ein tiefer Sinn. Es gab plötzlich einen SINN, ein „So muss es sein.“. Wir waren sinnvoll. Nun gut. Wenn es wirklich so ist, dann wird es auch so werden. Und jetzt? Die Zeiten vermischen und überschneiden sich.


        

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