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Montag, 28. Mai 2012


Dieter Schlesak


                        DUINESER ELEGIEN 2010







Triest/ Duino 21./22. März 2010

III (Ecli.41,1-4) J.Brahms

O Tod, wie bitter bist du,
Wenn an dich gedenket ein Mensch,
Der gute Tage und genug hat
Und ohne Sorge lebet;
Und dem es wohl geht in allen Dingen
Und noch wohl essen mag!
O Tod, wie bitter bist du.
O Tod, tust du dem Dürftigen,
Der da schwach und alt ist,
Der in allen Sorgen steckt,
Und nichts Besseres zu hoffen,
Noch zu erwarten hat!
O Tod, wie wohl tust du!


DUINO 2010

1.
Aus der Engel Ordnungen? Nähme mich einer
Der hörte, was in mir stumm schlief,
Schrecken, der vergessen wird,
Um zu leben, käm ich dir nahe.

Ist es das Schöne mit dem Schwarzen Licht Schein
Von „Drüben“, wo einmal jeder von uns
Mit verzerrtem Gesicht oder gerade
Lichtüberflutet erwacht,
Im Sterben?

Hinter der Wand der Augen wohnt
Die ewige Nacht und die Angst Nein
Das Grauen vor dem Tod, dem tief
Sinkenden Grab Stein so lebendig
Begraben im dunkeln Schluchzen, alles dann
Aus dem Namen gefallen nackt
Im Lichtfinstern fallenden Abgrund
Gott.

2.

Kein Wunder, halbverrückt schien es, so dass der alte Carlo
Kopfschüttelnd und staunend sah: wie Serafico
Stundenlang auf und ab ging seine Verse
Mit wilden Gesten begleitend einsam
Für sich ins Da-Sein skandierte.

Wehte die Bora stärker, weil sie dich sah,
Auch mit den Augen des Baumes am Abhang?
Denn du gingst auf karstigem Fels diese Küste entlang,
ein Gehen zwischen den Bastionen, um den
leidigen Geschäftsbrief zu vergessen: „das Meer
leuchtete blau wie mit Silber übersponnen“.
Und aus dem Brausen des Sturmes kam die Stimme:
„Wer, wenn ich schriee, hörte mich denn
aus der Engel Ordnungen?“ Und trugst
diesen Ruf im Notizblock hinauf in dein Zimmer.
So wird durch dich Gehen/ sehend zum Gedicht
Als käme der Weltraum/offen mit diesem Wind.
Das alte Zeitschloss: Raum im Blick des Fühlens!
Es stimmt! Mit den Möwen kams: das schwache Vertrauen 
der Tiere in unsere gedeutete Welt. Der Vogelflug ja,
der schreibt die andere Sprache über dem Meer
in den Himmel. Und welche Gewohnheit kann
da schon folgen: jetzt, wenn ich zurück seh zu dir.

Hundert Jahre und ein Tag später
Erinnerter Blick nur der Augen im Zug
Und die fliehende Landschaft im Nebel
Triest-Venedig, mein Leben größer als sonst..

3

Beständiges Unwohlsein zwischen Bora und Scirocco.
Dottor Serafico passt nur ins Einsamsein: und
Nichts in dieser Welt ist er. Wie in der Erde:
ein Schlafwachsein, das Niemand träumt.
Die Toten, die jungen Toten, waren immer mit ihm.
In Duino die Frühverstorbenen: Theresina,
die fünfzehnjährige Polyxène, ihr Tod geborgen.
In Versen des Vicenzo Foscarini, der sie liebte?
Und die zwanzigjährige Raymondine,
Schwestern der Mutter jener Fürstin von  Thurn und Taxis
Rilkes Mäzenin und mütterlicher Freundin
1910 und 1912  und bis zu seinem Tod im Jahre 1926:
„Nur wer mit Toten den Mohn/ aß, von den ihren,/
Wird nicht den leisen Ton/wieder verlieren.“
Die schöne Raymondine. Das blasse Gesicht.
Die feingebogene Nase. Die groß blauen Augen.
Die prachtvollen schwarzen Zöpfe. Alles war da.
Darf nicht für immer im Niemals mehr Wieder
Verschwinden. Erscheinen, auferstehn und DA Sein.
Und fand sie nah am dichtbewaldeten fallenden
Abhang: rücklings am alten Ölbaum, einem Besondern: gelehnt,
den Kopf aufgestützt gegen die Äste: ihre Arme von damals.
Die Präsenzen nah, berührt um ihn: wiedergekehrt
Aus dem Nie dieses fühlende Einst. Er wagte auch
Nicht mehr den Baum Aufzusuchen,
Jenen mit ihnen, die ihn bestürmten, leben
Zu dürfen: denn er wußte nicht, ob er selbst dann
Je „wieder kehren würde “, aus dem so
Heimgeleuchteten Sein im „Uralten Wehn vom Meer…“

Aura vibrierend gefühlt wie ein Hauch, doch so nah
ist in diesem Staub der alten Gemächer
Der Atem von anderswo, ein tieferer Blick:
das Gewesene: siehst du wie es heute blind wird
in uns allen - neu stirbt und so klein ist: um wegzugehen für immer.

Kaum mehr nachfühlbar jenes Erlebnis mit einer kleinen Amélie.
Ein friulisches Landhaus, Rilkes Sommer als Kind mit seiner Mutter.
Und das Spiel mit Amélie in den offenen Arkaden. Wenn sie
Nicht kommen konnte, lag irgendwo ein kleines Blumensträußchen.
Er aber schenkte ihr einen Ring. Dann der Abschied unter Tränen für
Immer . Und jetzt? Er kam mit der Fürstin.  Verwachsene schmale Wege.
Menschenleerer Garten. Doch er suchte etwas mit dem Blick. Große Augen.

Unter Akazien ein Pavillon. Auf einem wackligen Holztisch lag
Schön zusammengebunden ein Veilchenbouquet. Und er nahm es
Ging auch fort für immer. Die Erinnerung aber trat auf ihn zu:
Einmal krank im Lazarett war sie ihm erschienen und hatte ihm
Etwas zugeworfen: es war der Ring. Denn sie ging ins Kloster.

4
Venedig, das er liebte. Abends meist auf dem Markusplatz
Mit der Fürstin. Und einmal wie in Toledo ein glänzender
Meteor über ihnen und San Marco. Welch ein Zeichen!
Nun auch wir im Heute: jetzt, am ersten Tag des Frühlings 2010.
Ein Hier nach fast hundert Jahren. Doch zehrt kein Weltraum
Mit diesem Meerwind an meinem Gesicht. Und ich
„Warte (vergebens) auf die Nacht, einzelnes Herz“, taub, nicht
enttäuscht. Schlaflos nur in den Laken mich wälzend, die doch
Sonst bei einiger Größe den Toten gehören.
Oder den längst Versagten in doppeltem Sinne der Schuld
den Neu Geborenen, die immer in uns schreien.
Liebende, ach, wohin denk ich: Strahl, der mich trifft. Kaum
Leichter wird so die Nacht, wenn wir wirklich einander „verdecken
Das Los, ungesehenen geworfen hierher und verworfen/ von wem?
Der „gedeutete Raum“, in dem wir bis zum burnout noch leben,
elektronisch gewordenes Herz, ein blinder Schein, ein Syndrom.

 

5

So einfach soll es sein? Aus den Armen
Werfen die Leere/als Herztiere auch von der Zeit
Gepackt. verpackt auch die Sprache
Hundert Jahre danach. Aber ich weiß es längst.
Schmalspurbahn der Seele auch in mir. Die Leere
Hinzutun. Damit die Fülle im Altern lerne mit uns?
Hier, wo die Vögel  Weite uns zutragen. Da siehst du
sie fühlend im Jetzt zurück gesehnt im Zug und eng
im Rauschen  des Abteils: Siehst du einen anderen Flug?
Ich weiß auf dem Segel Boot das andere Rauschen.
Und es entgiftet schon nach nur zwei atmenden Stunden.
Doch hier freilich wars nur dein Blick ins Weite. Im Frühling.
Wenn die Sterne reifen im Gefühl der milderen Luft von längst
vergangenen Fernen träumen. Dir zumuten: sie im Staunen
kühler zu fühlen.  Von Wogen, die sich vergangen erheben.
Umspült vom dauernden Fels. Geritzte Haut
eines blutenden Fußes  eines Hauswanderers. Der Geigen
hört aus einem geöffneten Fenster. Dies gab es nur noch
in der Kindheits Burg . Vergessene Rührung. Idylle.

Ja, ich weiß es schon, Rilke, mein Toter, weil ich dein Alter
Überstand. Und dass es „Auftrag“ bleibt auch heute.
Doch wie geht es zu so ohrlos. mundlos. Und mundtod.
Nur mit angegebenen „Herztieren“. Hinter her Winde
In Westberlin. Und Leipzig. Und im Babel New York.
Wo die Sau unverdient englische Buchstaben frisst.
Aus Fälle Größe. Die sogar im Tod nichts vergisst.

Nein,  sogar die Erwartung nährend Geliebter
Macht nicht mehr froh. Und ist „verstreuter“. Die
Frauen sind mir „undeutlich“ geworden und
Nur noch Ge-Wesen. Oder gar „Helden“? Die Herztiere“
 wollen  es anmaßend sein. Anmaßend
In einer öffentlichen Lache.

 

7

„Liebende“? Glaube ich noch an sie?
Außer dem dicht behaarten Eingang zur Welt? Und
Das andere Geheimnis: dass es blitzen kann.
Rein im Kopf das Gewitter. Körperlos. Nicht
Diese schwitzenden Laken? Erschöpft die Natur
weil wir sie töten?  Kannst du, Verliebter gar sie
im heutigen stinkenden Schund heraus retten?
In der häutenden Umarmung mit der Welt
sie waschen? Oder wenn dich das Unglück trifft
(manche nennen es „Glück“), dass du brennst
gebranntes Kind, immer wieder, bei ihr aber
der Ofen aus ist? Leid gegen Erschöpfung
Natur in dir/ durch dich neu aufersteht ?
Oh, heiliger Bimbam mit dem Wunder?
Gaspara Stampa auch nach dem Liebes-
Experiment im Rauch von Auschwitz?


8

Ohja, schön sagst du das, Rainer, dass wir
Es nehmend befreit haben / mehr zu sein als du und ich,
Als die Liebenden auch / im Absprung zu sein
In der wartenden Todeszone! Denn Bleiben
Ist nirgends / und Nie im Eingang und Kuss.
Natur stellt dich ruhig / wenn du stirbst.
Welch eine Inschrift, die ich nicht las
In Santa Maria Formosa / aus dem Fenster zu sehen
Im „Scandinavia“- Hotel, das wir zwei Tage
Mit Blicken bewohnten? / Von Rom und Neapel
Und den  Knienden in jenem Ruf zu hören:
Die innere Stimme aus Stille, die in Venedig
Im lärmlosen Menschenmaß ist / und Gott uns
Zu Fuß erreicht / wenn wir ihn bilden können
Aus Toten in uns?  Nicht nur aus jungen,
Denn die Zeit hier fehlte, die Er ihnen nahm,
Als wäre es gescheiter frühzeitig zu gehen.
Das nutzlose Wachstum zu überspringen!
Denn ist es nicht Unsinn und Wahn, dass
Wir uns hier brauchen, um dort dann besser
Und gehäutet im Kreis von Schwebenden
Zu sein?
  
Woher weiß er, was ist? Dass sie nicht mehr
Unsere Gewohnheiten üben / auch
Tieferen Sinn etwa der Rosen nicht sehen
Können als Zukunft auch, die für sie
Nichts mehr ist. Und jene, der damals Geborenen
Als du dem und uns schriebst?




Rainer Maria Rilke, DUINESER ELEGIEN

Die erste Elegie



 Wer, wenn ich schriee, hörte mich denn aus der Engel
Ordnungen? und gesetzt selbst, es nähme
einer mich plötzlich ans Herz: ich verginge von seinem
stärkeren Dasein. Denn das Schöne ist nichts
als des Schrecklichen Anfang, den wir noch grade ertragen,
und wir bewundern es so, weil es gelassen verschmäht,
uns zu zerstören. Ein jeder Engel ist schrecklich.

Und so verhalt ich mich denn und verschlucke den Lockruf
dunkelen Schluchzens. Ach, wen vermögen
wir denn zu brauchen? Engel nicht, Menschen nicht,
und die findigen Tiere merken es schon,
dass wir nicht sehr verlässlich zu Haus sind
in der gedeuteten Welt. Es bleibt uns vielleicht
irgend ein Baum an dem Abhang, dass wir ihn täglich
wiedersähen; es bleibt uns die Straße von gestern
und das verzogene Treusein einer Gewohnheit,
der es bei uns gefiel, und so blieb sie und ging nicht.


O und die Nacht, die Nacht, wenn der Wind voller Weltraum
uns am Angesicht zehrt –, wem bliebe sie nicht, die ersehnte,
sanft enttäuschende, welche dem einzelnen Herzen
mühsam bevorsteht. Ist sie den Liebenden leichter?
Ach, sie verdecken sich nur mit einander ihr Los.

Weißt du's noch nicht? Wirf aus den Armen die Leere

 zu den Räumen hinzu, die wir atmen; vielleicht dass die Vögel
die erweiterte Luft fühlen mit innigerm Flug.

Ja, die Frühlinge brauchten dich wohl. Es muteten manche
Sterne dir zu, dass du sie spürtest. Es hob
sich eine Woge heran im Vergangenen, oder
da du vorüberkamst am geöffneten Fenster,
gab eine Geige sich hin. Das alles war Auftrag.
Aber bewältigtest du's? Warst du nicht immer
noch von Erwartung zerstreut, als kündigte alles
eine Geliebte dir an? (Wo willst du sie bergen,
da doch die großen fremden Gedanken bei dir
aus und ein gehn und öfters bleiben bei Nacht.)
Sehnt es dich aber, so singe die Liebenden; lange
noch nicht unsterblich genug ist ihr berühmtes Gefühl.
Jene, du neidest sie fast, Verlassenen, die du
so viel liebender fandst als die Gestillten. Beginn
immer von neuem die nie zu erreichende Preisung;
denk: es erhält sich der Held, selbst der Untergang war ihm
nur ein Vorwand, zu sein: seine letzte Geburt.
Aber die Liebenden nimmt die erschöpfte Natur
in sich zurück, als wären nicht zweimal die Kräfte,
dieses zu leisten. Hast du der Gaspara Stampa
denn genügend gedacht, dass irgend ein Mädchen,
dem der Geliebte entging, am gesteigerten Beispiel
dieser Liebenden fühlt: dass ich würde wie sie?
 Sollen nicht endlich uns diese ältesten Schmerzen
fruchtbarer werden? Ist es nicht Zeit, dass wir liebend
uns vom Geliebten befrein und es bebend bestehn:
wie der Pfeil die Sehne besteht, um gesammelt im Absprung
mehr zu sein als er selbst. Denn Bleiben ist nirgends.

Stimmen, Stimmen. Höre, mein Herz, wie sonst nur
Heilige hörten: dass sie der riesige Ruf
aufhob vom Boden; sie aber knieten,
Unmögliche, weiter und achtetens nicht:
So waren sie hörend. Nicht, dass du Gottes ertrügest
die Stimme, bei weitem. Aber das Wehende höre,
die ununterbrochene Nachricht, die aus Stille sich bildet.
Es rauscht jetzt von jenen jungen Toten zu dir.
Wo immer du eintratst, redete nicht in Kirchen
zu Rom und Neapel ruhig ihr Schicksal dich an?
Oder es trug eine Inschrift sich erhaben dir auf,
wie neulich die Tafel in Santa Maria Formosa.
Was sie mir wollen? leise soll ich des Unrechts
Anschein abtun, der ihrer Geister
reine Bewegung manchmal ein wenig behindert.

Freilich ist es seltsam, die Erde nicht mehr zu bewohnen,
kaum erlernte Gebräuche nicht mehr zu üben,
Rosen, und andern eigens versprechenden Dingen
nicht die Bedeutung menschlicher Zukunft zu geben;
[688] das, was man war in unendlich ängstlichen Händen,
nicht mehr zu sein, und selbst den eigenen Namen
wegzulassen wie ein zerbrochenes Spielzeug.
Seltsam, die Wünsche nicht weiter zu wünschen. Seltsam,
alles, was sich bezog, so lose im Raume
flattern zu sehen. Und das Totsein ist mühsam
und voller Nachholn, dass man allmählich ein wenig
Ewigkeit spürt. – Aber Lebendige machen
alle den Fehler, dass sie zu stark unterscheiden.
Engel (sagt man) wüßten oft nicht, ob sie unter
Lebenden gehn oder Toten. Die ewige Strömung
reißt durch beide Bereiche alle Alter
immer mit sich und übertönt sie in beiden.

Schließlich brauchen sie uns nicht mehr, die Früheentrückten,
man entwöhnt sich des Irdischen sanft, wie man den Brüsten
milde der Mutter entwächst. Aber wir, die so große
Geheimnisse brauchen, denen aus Trauer so oft
seliger Fortschritt entspringt –: könnten wir sein ohne sie?
Ist die Sage umsonst, dass einst in der Klage um Linos
wagende erste Musik dürre Erstarrung durchdrang;
dass erst im erschrockenen Raum, dem ein beinah göttlicher Jüngling
plötzlich für immer enttrat, das Leere in jene
Schwingung geriet, die uns jetzt hinreißt und tröstet und hilft.







CODA

Und es war schon so, dass Rilke im kleinen Schloss Berg

Am Irchel keine Bücher und vergilbte Familienschriften fand

So musste er sich welche erfinden. Sein Inneres arbeitete heftig
In Richtung  der wartenden Geister: und sie kamen aus seinem
Zwischenreich auch
Und berührten ihn ungesehen mit ihren Immaterialien und Lichthänden.
Er aber nahm es als wär das alltäglich, er fürchtete sich nicht
Was denn waren die zehn diktierten Gedichte /vom Grafen C.W.
Der 1862  und nach  Palermo verwiesen , gelebt hatte?
 Aber es gab ja keine Zeit mehr, und jener, der dort am Tisch
Vor Rainer saß, in der Hand vergilbte Blätter, die rauschten
In seinem Klang: las vor und der Dichter schrieb, was ich jetzt
Lese und nicht begreife:
Toten Gedichte und der Tote, der durch Rilke aufstand und
Aufwachte: da Sein konnte, da er spürte wie im dichteren Herzen
Schwingend ein Tor sich auftat und mit allem im Raum sang.
Zehn Wort Laute, die nicht von Rilke sind.
Er nahm dies Todgeglaubte nicht in seine Werke auf:
Der Graf sprach sie ihm nachts ins Ohr. Und vermischt
Ihn mit dem Rätsel des Außen, reine Natur seines Innern
Dann zur Musik geworden bei Rihm in neuen:
Sonnen und doch für den Gekommenen so alt
„Gefühl des Ermattens“ vermischt mit hingegebenen Freuden
Des Jung Seins Neu Geboren; doch ihn ergreift beim
Schreibenden Sehen  noch mehr „die Unschuld des neuen
Schattens“. Und ist doch in allem, was lebt:
„Schatten des frühesten Laubes, das du durchhellst,
Schatten der Blüten –: wie klar!
Wie du dich, wahr seiend, nirgends verstellst,
Offenes Jahr.

Unser Dunkel sogar wird davon zarter,
Genau so rein war vielleicht sein Ursprung.
Und einmal war das alte Schwarz aller Marter
so jung.“[1] Jung wie der Todesblick zurück ins Jetzt, wo wir
uns befinden, er, der nun auch tot ist, sich befand,
und wir, gewiss, uns einmal befinden werden – im
Ursprung? Auch dieses Moments, wo ich jetzt die
Lichtletter schreibe, verflogen schon, ja, dorthin, wo
Wir münden: im kommenden Ursprung:
„Dies überstanden haben, auch das Glück“
Und: „Dies überstanden haben, auch das Glück
(…)wer schaute nicht verwundert her zurück.“ Wo
wir jetzt noch sind: im Vorläufigen ganz gefangen,
wo Zeit, wenn wir uns umsehn, vergangen ist,
Nichts bleibt, klar:  „Gekonnt hat es keiner; denn
das Leben währt/ weil es keiner konnte. Aber
Die Versuche Unendlichkeit! Das neue
Grün der Buche – sind unendlich - und
ist nicht so neu wie das uns widerfährt.“
Unter andern Umständen im Tod Sein: Ewigkeitskönnen
Das Heilige Kind in uns zur Himmelwelt bringen.
Ordinäre Schande nur Fleischwelt sein. Stimmt es doch:
„Weils keiner es meistert, bleibt das Leben rein?“
Ists nicht verlegne Kraft wenn ich am Morgen turne?
Und von der Kraft, die war, wie leise spricht der Stein.
Und auf dem leisen Stein wie fruchthaft schließt die Urne.“

Um das zu wissen, muss man Tod sein wie der Graf C. W.
Altes Palermo auferstanden. Doch über den Lebenden, Rainer,
Kommt schon wieder das Nochnichttodseinkönnen an:
„Ich habe nichts, die Waage auszugleichen,
Gewichte nehmen drüben überhand;
unschuldig steht im Himmel noch das Zeichen
und weiß noch nicht von meinem Unbestand.

Denn wie das Licht von manchen Sternen lange
im Weltraum geht, bis es uns endlich trifft,
erscheint erst lang nach unserm Untergange
vor unserm Stern seine entstellte Schrift.“

So sind wir todesunreif bis das Licht in jenem Unterwegsein
Uns erreicht.  Was dann? Wir wissen nicht Bescheid.
Wir können es nur ahnen, indem wir der Gestalt von DORT vertrauen,
uns in sie eingeben und tief in ein Nichtwissendes dann schauen.
Mit Rilke, dem längst Toten, der an der weißen Krankheit
In Valmont fast lautlos in sein Nie ging, unwissend so auch er
Welch Wunder in den uns tief verschlossnen Dingen (noch im Leben) sind:

Oft in dem Glasdach der verdeckten Beete
erscheint ein andrer Raum als Spiegelung
wie jener, der uns hier entgegenwehte:
ein künftiger, der an Erinnerung

sich fortgibt, ohne uns gewährt zu sein.
Wie eingeschränkt ist alles uns Verliehne!
Wer sagt den Inhalt einer Apfelsine?
Wer liest bei jenem Licht im Edelstein?

Musik, Musik, gesteh, ob du vermagst
ihn zu vollziehen den unerhöhten Hymnen?
Ach, du auch weißt am Ende nur zu rühmen,
gekrönte Luft, was du uns schön versagst.





Rainer Maria Rilke: Nummer III, VI, X und XI 
aus der "Zweiten Reihe" des "Gedichtskreises: Aus dem Nachlass des Grafen C. W." (1921)[1]


III
Neue Sonne, Gefühl des Ermattens
vermischt mit hingegebenen Freuen;
aber noch mehr fast ergreift mich die Unschuld des neuen
Schattens

Schatten des frühesten Laubes, das du durchhellst,
Schatten der Blüten –: wie klar!
Wie du dich, wahres, nirgends verstellst,
offenes Jahr.

Unser Dunkel sogar wird davon zarter,
genau so rein war vielleicht sein Ursprung.
Und einmal war das alte Schwarz aller Marter
so jung.


VI
Dies überstanden haben, auch das Glück
ganz überstanden haben, still und gründlich, –
bald war die Prüfung stumm, bald war sie mündlich,
wer schaute nicht verwundert her zurück.

Gekonnt hats keiner; denn das Leben währt
weils keiner konnte. Aber der Versuche
Unendlichkeit! Das neue Grün der Buche
ist nicht so neu wie das uns widerfährt.

Weils keiner meistert, bleibt das Leben rein.
Ists nicht verlegne Kraft wenn ich am Morgen turne?
Und von der Kraft, die war, wie leise spricht der Stein.
Und auf dem leisen Stein wie fruchthaft schließt die Urne.


X
Ich ging; ich wars, der das Verhängnis säte,
nun wächst es glücklich auf, verschwenderisch.
Im Halse des Erstickten ist die Gräte
so einig mit sich selber wie im Fisch.

Ich habe nichts, die Waage auszugleichen,
Gewichte nehmen drüben überhand;
unschuldig steht im Himmel noch das Zeichen
und weiß noch nicht von meinem Unbestand.

Denn wie das Licht von manchen Sternen lange
im Weltraum geht, bis es uns endlich trifft,
erscheint erst lang nach unserm Untergange
vor unserm Stern seine entstellte Schrift.


XI
Oft in dem Glasdach der verdeckten Beete
erscheint ein andrer Raum als Spiegelung
wie jener, der uns hier entgegenwehte:
ein künftiger, der an Erinnerung

sich fortgibt, ohne uns gewährt zu sein.
Wie eingeschränkt ist alles uns Verliehne!
Wer sagt den Inhalt einer Apfelsine?
Wer liest bei jenem Licht im Edelstein?

Musik, Musik, gesteh, ob du vermagst
ihn zu vollziehn den unerhöhten Hymnen?
Ach, du auch weißt am Ende nur zu rühmen,
gekrönte Luft, was du uns schön versagst.


 

Vier Rilke-Lieder für Tenor und Orchester


Wie Felix Mendelssohn in der Hebridenouvertüre war auch der Dichter Rainer Maria Rilke in seiner Lyrik stärker an der Beschreibung von Zuständen und weniger an der Schilderung konkreter Handlungen interessiert: Eindeutige „Stimmungen“ wollte er schaffen, die aber nie wortwörtlich ausgesprochen werden und deren Auslöser für den Leser meist im Verborgenen bleiben und allenfalls vermutet werden können. Charaktere spielen bei ihm eine untergeordnete Rolle.

Die „Zweite Reihe“ der Gedichte, die unter dem Titel «Aus dem Nachlass des Grafen C. W.» erstmals 1950 herausgegeben wurden, schrieb Rilke zwischen Anfang März und Mitte April 1921 in einem Schloss in Berg am Irchel in der Nähe von Zürich. Äusserer Anlass für Rilkes Umzug in die Schweiz ist die Einladung eines Lesezirkels zu einer Vortragsreise. Rilke nutzte diese Gelegenheit, um nach den Wirren des Ersten Weltkrieges einen neuen Anfang zu machen. Wahrscheinlich wurde einem Dichter der Weg zu idealen Bedingungen für die Arbeit selten so geebnet: Für jede Einzelheit des täglichen Lebens wurde gesorgt, als er am 12. Januar in der selbst gewählten Abgeschiedenheit eintraf. Fünf Jahre waren vergangen, seit seine Einberufung in den Ersten Weltkrieg die Arbeit an den «Duineser Elegien» aufgehalten hat. Da er sich jedoch für die Arbeit an dem geplanten Hauptwerk zunächst noch nicht reif fühlte, war die Abfassung der Gedichte «Aus dem Nachlass des Grafen C. W. » für ihn in jeder Hinsicht eine willkommene Ablenkung.
Was aber steckt hinter der Figur des Grafen C. W.? Am Kamin im Sessel gegenüber sei ihm, schreibt Rilke, ein Mann in Kleidern des achtzehnten Jahrhunderts erschienen, der aus einer alten, verblichenen Handschrift eine Reihe von Gedichten gelesen habe. Zu diesen Gedichten gehörten auch die Verse, die Rilke aufzeichnete. Er behauptete stets, dass die Gedichte nicht sein eigenes Werk seien und schrieb später über die Entstehung: «Sonderbar ging es mir übrigens. Ich bildete mir ganz oberflächlich eine Figur ein. Zu eigener Produktion noch nicht eigentlich fähig und aufgelegt, mußte ich mir, scheints, eine Figur gewissermaßen „vorwändig“ machen, die das, was sich etwa doch schon, auf dieser höchst unzulänglichen Stufe der Concentration formen ließ, auf sich nahm: das war Graf C. W. »

Die subtile Uneindeutigkeit der poetischen Sprache Rilkes kommt der Musikkonzeption Wolfgang Rihms sehr entgegen, der die vier Gedichte in einer äussert sensiblen und leiseste dynamische Bereiche auslotenden Weise vertont hat. Rihm, der neben Rilke Texte von so herausragenden Autoren wie Nietzsche, Celan, Rimbaud oder Heiner Müller vertont hat, tendiert in den letzten Jahren dazu, eine einmal formulierte Komposition aus unterschiedlichen Perspektiven neu zu illustrieren. Bei den Rilke-Liedern handelt es sich um eine Orchestration von Klavierliedern, die im Jahr 2002 von Christoph Prégardien und Siegfried Mauser, denen die Lieder auch gewidmet sind, uraufgeführt wurden. Die konventionelle Orchesterbehandlung überschreitet bei Rihm selten den Bedarf an Instrumenten der Zweiten Wiener Schule oder Bela Bartoks. In den Rilke-Liedern ist die Besetzung an Sibelius' Sinfonie orientiert, dessen Orchestermusik den Komponisten Rihm schon immer sehr stark beeinflusst hat.

«Für mich ist Sibelius genuiner Orchesterkomponist. Er erfindet aus der Farb- und Klangrealität des großen Orchesters. Die Orchesterwerke stehen zentral, unter diesen die Symphonien im Mittelpunkt. »
Wolfgang Rihm




UND DIE „NEUN ELEGIEN“

Was da auf uns zukommt/ parallele Universen
Flug- Körper plötzlich sichtbar
als könnten unsere sterblichen Augen
in diesem Licht "sehen" und gehören
anderen Ordnungen an/ treiben
unsere Gewohnheit auf die Spitze
die bricht ab
Dass sie sich trotzdem sehen lassen
kann/ wohin wohin Freund Tod                                  
mit diesem sich zeigenden unsterblichen
Teil der Welt/ gewoben aus dem Stoff
und zwischen den Fixsternen unserer Astral Körper:
Durchgebrochen aus der ganzen Klaviatur
kosmischer Musik kurz in die Enge
einiger Töne unserer Sinne: Hier!
Verwirrt seh ich zu:
der chaotische Bereich des Todes
zuerst vielleicht ohne
Licht und jene Engel die als schrecklich bezeichnet
anfangs unsichtbar wie auch Jetzt
"da" sind: vibrierend wohin und ganz verloren,
ohnehin mit unserer winzigen Erinnerung
die nicht ausreicht:
Welch hässliche Namen wer sie begreift übersetzt:
Photonenstrahlen Laser Geodätik Plasmaenergien
oder gar Gravitonen der Superphysik.

HEBRÄISCHER BLOCK kommt näher. Fels nach dem Ende. Kein
fließen mehr. Nach
dem Fall I Jahrtausendespät versteinert das Hirn
Erschüttert,
aus dem Mund
kein Gott, Gebrochenes Hier.



EIGNES VERBLICHENES EPITAPH FÜR EINE VATERSTADT
Gott erhalt dech Scheszbrich. Dichtgedrängt am Friedhof
sitzen die Gespenster auf ihren nicht mehr Bänken.
Die Toten singen aus allen Löchern
pfeift der Wind/ zu kalt geworden. 
Kalte Winde wehn von Norden.
Acht Ammen schwellen/ noch zergehn
mir auf den Lippen. Blauweiße Milch es rinnt
und rauscht das Brünnlein in den Kannen 
ein Reindlbild ist im Gedankengang und schwankend
die Gestalten. Kristallklar Schnaps im Hirn.
Herzberge häufen Elegien dazwischen wir
Herbst Blätter Briefe aus dem Tod geschrieben:
Und im Großkokler Boten schwarzumrändert fallen sie.
Als weinte Tränen in ertränkter Sintflut, Welt ist Nie.
Ein Zischen aber. Sie werden hier/ geboren. Ein Ohr
vernimmt die Laute an der Grenze die dich mitnimmt
Verhör Sekunde das Gericht jauchzende Röte frisch   
Allerherrgottsfrüh.
Ich aber geh dort draußen in München frei
durch einen Großstadtverkehr. Dein Reich ist gekommen.
Jetzt sind wir im Jenseits reich. Wie arm waren doch auf der Erde: Fettflecken Fibel Stunden Türme Kutschen und die
Eselsohren alles ist längst verzogen
schreiend der letzte Knoten
im Hals ein gelbes tickendes Eis.
Heute noch heute,
da bin ich schön,
morgen, ach morgen 
muß alles vergehn.
So sang meine Oma. Jetzt ist es geschehn.
Die denndörfer scheszbricher Flüge
und die Züge in den Donbas winken zwar von der Erde
immer noch Russenblusen sind gebleicht bei Sander
in meinem Kindskopf die Wehrmacht schön
ist sie und auf der Heide diese Erika mit Pferden
Heil und ein Seil die Schlinge der Budaren
und wir die Hunde unsere Pfoten rein
der Kont noch klein die Uniform
die gelben Finger in der Zigarette
Heimat in der Heimat hier
dies Lid schließt seine Augen ist 
kein Wiedersehn mit ihr.

 

 


Rilke

Die neunte Elegie

[717] Warum, wenn es angeht, also die Frist des Daseins
hinzubringen, als Lorbeer, ein wenig dunkler als alles
andere Grün, mit kleinen Wellen an jedem
Blattrand (wie eines Windes Lächeln) –: warum dann
Menschliches müssen – und, Schicksal vermeidend,
sich sehnen nach Schicksal?...
Oh, nicht, weil Glück ist,
dieser voreilige Vorteil eines nahen Verlusts.
Nicht aus Neugier, oder zur Übung des Herzens,
das auch im Lorbeer wäre.....
Aber weil Hiersein viel ist, und weil uns scheinbar
alles das Hiesige braucht, dieses Schwindende, das
seltsam uns angeht. Uns, die Schwindendsten. Ein Mal
jedes, nur ein Mal. Ein Mal und nicht mehr. Und wir auch
ein Mal. Nie wieder. Aber dieses
ein Mal gewesen zu sein, wenn auch nur ein Mal:
irdisch gewesen zu sein, scheint nicht widerrufbar.
Und so drängen wir uns und wollen es leisten,
wollens enthalten in unsern einfachen Händen,
im überfüllteren Blick und im sprachlosen Herzen.
Wollen es werden. – Wem es geben? Am liebsten
alles behalten für immer... Ach, in den andern Bezug,
[718] wehe, was nimmt man hinüber? Nicht das Anschaun, das hier
langsam erlernte, und kein hier Ereignetes. Keins.
Also die Schmerzen. Also vor allem das Schwersein,
also der Liebe lange Erfahrung, – also
lauter Unsägliches. Aber später,
unter den Sternen, was solls: die sind besser unsäglich.
Bringt doch der Wanderer auch vom Hange des Bergrands
nicht eine Hand voll Erde ins Tal, die Allen unsägliche, sondern
ein erworbenes Wort, reines, den gelben und blaun
Enzian. Sind wir vielleicht hier, um zu sagen: Haus,
Brücke, Brunnen, Tor, Krug, Obstbaum, Fenster, –
höchstens: Säule, Turm.... aber zu sagen, verstehs,
oh zu sagen so, wie selber die Dinge niemals
innig meinten zu sein. Ist nicht die heimliche List
dieser verschwiegenen Erde, wenn sie die Liebenden drängt,
dass sich in ihrem Gefühl jedes und jedes entzückt?
Schwelle: was ists für zwei
Liebende, dass sie die eigne ältere Schwelle der Tür
ein wenig verbrauchen, auch sie, nach den vielen vorher
und vor den Künftigen ...., leicht.
Hier ist des Säglichen Zeit, hier seine Heimat.
Sprich und bekenn. Mehr als je
fallen die Dinge dahin, die erlebbaren, denn,
was sie verdrängend ersetzt, ist ein Tun ohne Bild.
[719] Tun unter Krusten, die willig zerspringen, sobald
innen das Handeln entwächst und sich anders begrenzt.
Zwischen den Hämmern besteht
unser Herz, wie die Zunge
zwischen den Zähnen, die doch,
dennoch, die preisende bleibt.
Preise dem Engel die Welt, nicht die unsägliche, ihm
kannst du nicht großtun mit herrlich Erfühltem; im Weltall,
wo er fühlender fühlt, bist du ein Neuling. Drum zeig
ihm das Einfache, das, von Geschlecht zu Geschlechtern gestaltet,
als ein Unsriges lebt, neben der Hand und im Blick.
Sag ihm die Dinge. Er wird staunender stehn; wie du standest
bei dem Seiler in Rom, oder beim Töpfer am Nil.
Zeig ihm, wie glücklich ein Ding sein kann, wie schuldlos und unser,
wie selbst das klagende Leid rein zur Gestalt sich entschließt,
dient als ein Ding, oder stirbt in ein Ding –, und jenseits
selig der Geige entgeht. – Und diese, von Hingang
lebenden Dinge verstehn, dass du sie rühmst; vergänglich,
traun sie ein Rettendes uns, den Vergänglichsten, zu.
Wollen, wir sollen sie ganz im unsichtbarn Herzen verwandeln
in – o unendlich – in uns! Wer wir am Ende auch seien.
[720] Erde, ist es nicht dies, was du willst: unsichtbar
in uns erstehn? – Ist es dein Traum nicht,
einmal unsichtbar zu sein? – Erde! unsichtbar!
Was, wenn Verwandlung nicht, ist dein drängender Auftrag?
Erde, du liebe, ich will. Oh glaub, es bedürfte
nicht deiner Frühlinge mehr, mich dir zu gewinnen –, einer,
ach, ein einziger ist schon dem Blute zu viel.
Namenlos bin ich zu dir entschlossen, von weit her.
Immer warst du im Recht, und dein heiliger Einfall
ist der vertrauliche Tod.
Siehe, ich lebe. Woraus? Weder Kindheit noch Zukunft
werden weniger ....... Überzähliges Dasein
entspringt mir im Herzen.
Quelle:


Rainer Maria Rilke: Sämtliche Werke. Band 1–6, Band 1, Wiesbaden und Frankfurt a.M. 1955–1966, S. 717-721.



ORPHEUS. TAGEBUCHGEDICHTE


Wer geht in mir hier um, wenn ich mein Leben
Anvertraue diesem Schrift Zug hier, der vorfährt
Und mich  mitnimmt mit dem innern Ruhe Pfeifen:
Die unhörbare Stimme, woher ruft die denn  und
Dann nach wem?

Drückt auf den Knopf von gstern, ist kein Notsignal,
Nein, eher Freude an der raschen Rückfahrt des Verlornen.
Doch: Nichts, Nichts ist verloren, wie du weisst! Es singt:


Als gäbe es Orpheus wieder

(XIII) Sei allem Abschied voran...
Sei allem Abschied voran, als wäre er hinter
dir, wie der Winter, der eben geht.
Denn unter Wintern ist einer so endlos Winter,
dass, überwinternd, dein Herz überhaupt übersteht.
Sei immer tot in Eurydike -, singender steige,
preisender steige zurück in den reinen Bezug.
Hier, unter Schwindenden, sei, im Reiche der Neige,
sei ein klingendes Glas, das sich im Klang schon zerschlug.
Sei - und wisse zugleich des Nicht-Seins Bedingung,
den unendlichen Grund deiner innigen 
(Rilke aus: Die Sonette an Orpheus)

1
Auch bin ich aufgewacht, und weiß,
Und bin nun schlaflos jede Nacht,
Der Vogel singt / ich bin ganz im Gehör
Am Baum der diesen Winter uns erfror
Und weiß, dass ich wie dich auch ihn
Zu wenig hier umgeben und geschützt.

Es kommt  nun einer, der den Baum nicht kennt
Doch der den armen Platz nun für sich selber nützt

Und dieses Blatt das nicht mehr ist
                              Doch brennt
MEIN Vogel der aus deinem wehen Herzen singt
Der das Vergangene Leben wieder bringt
Als wärt er allem Abschied hier voran
Als es uns gab /  nun in mir selber klingt.


2
Und dann frage ich dich / mein Lieber Gott wie
Alt / sind unsere Gefühle / doch
Und wie neu ist / diese Welt - wo wir
Hineingestellt sind / das Atom in uns
Wie in anderen Dingen Tieren, Pflanzen hier
Aus Elementen sind auch wir
Und Schluss ach Schluss
Trotz Radar
Und trotz Trotz: haben wir uns
So weit gebracht?

3
Erweckung

Orpheus und Eurydike / so erweckt
An wem / an was
An einen bärtigen Ulyss?

Auch er Atom, na und wohin
Mein Freund / tauch tief in dein
Inferno / wo die  Schatten blühn.

Und alles ist
Nichts als Kontur.


UND fragen, ob du hier nicht bestehn musst
Ihr Gesicht / das abfällt / und sich einem Dritten
                              Zu neigt

Und du warst ja so weit
Und stehst nun vor ihr wie ein Schatten / wie ihrer
Der einmal auch vor dir stand.
Schattengleich. Schattenzeichen. Nun bist du bei ihr
Und einer ist in dir / der weint / bitter ein Kind
Das noch viel Zukunft hat, hier
Du aber weißt / und spaltest dich
Und gehst / lässt sie los
Bist erst im Los / für immer mit ihr.


Oh ja, Orpheus, der Thraker, sinkt er in mir? Ist er
Der Zufall der Tiere? Oder Valery in “Cimitère maritime”,
Lesen nicht nur, sondern Leben, denn ich komme vom Meer.
Sprach namenlos mein Köärper, nicht ich?
Umbuscht, umflort im Wagen. Warum denn Flor/ Es geht
Doch nicht um Schwarz, es geht um Kirschwqeiss, das Leben!
Und Hinterdenmberg, dem ich zu fahre geschüttelt
von dieser Land Straße.

Und las am Meere Rilkes Meer und Valery von ihm  zu mir
Gebracht: Das Meer,das Meer, ein immer neues Schenken!
Oh, die Belohnung, nach dem langen Denken
Ein langes Hinschaun auf der Götter Ruhn.

Und weiss jetzt hier, wovon er spricht. Und weiss auch
Wie es heute Morgen war:

Was für ein Leib mich zieht ins träge Ende,
Zu welcher Stirn ich mich nach abwärts wende?
Ein Funken drin denkt die, die nicht mehr sind.

Er war erst einundvierzig!  Genau dies ist es aber,
was ihn und mich bei Valery ergriff:

... das Leben weiß, dass es in Blumen soll!
Wo sind die Worte, die den Toten fehlen,
Wo ihre Künste, die besondren Seelen?
Die Larve spinnt, wo einst die Träne quoll.

Gestern Pisa. Lass es bunt sein und (Wahn?)
überstimme die Zeit. Voran schreite mit ihr im Wort.
Ist es Zufall, was dir zu kommt? Was ist Zufall?
Ein Schnitt durch den Weltaugenblick? Ich warte
Hier auf meinen Tod. Ist es der Verurteilte, der
Hier Ich heißt. Wer bin ich sonst: ganz ohne Namen?

Grausamer Zeno, Zeno, deine Worte!
Ob mich am Ende jener Pfeil durchbohrte,
Der schwirrt und fliegt und doch nicht fliegt zuletzt?
Der Ton gebiert -, der Pfeil will mich bestatten!
Ach, Sonne, ach! Und da... Schildkrötenschatten,
Achilleus, unbeweglich und gehetzt!





DIE UNZERSCHNITTENEN DINGE MÜSSEN AUS IHREM NAMEN FALLEN
                         




„…das Totenscheinen, dein Gesicht, will
fort, der Herr der Welt bedrängt mich arg,
will aus dem Namen, der den Kopf
mir unentwegt beengt, doch was der Sprache
fehlt, gehört zu ihr, das Fehlen, DU, und
ICH entferne mich aus dem Kontext, dies
mein Gedicht das Fahrzeug JETZT euch
zu erreichen.

Druck Seiten schwarze kleine Augen,
nicht du, da liegt der Fehler, nicht des
Fehlens, das antreibt wie das Herz.
So schrei ich nachts den Namen, meinen
deinen an die leere Wand, schief hängt
daran dein Bild und Seines …
(Gedicht über Petrarca, ins Jahr 1350)

Wahr werden also die Dinge erst unzerschnitten, wenn sie aus ihrem Namen fallen? Dieses ist in unserer gespaltenen Welt insoweit ein "Regressus", als es ein Bewusstsein  der Einheit tatsächlich einmal gegeben hatte, das heute unmöglich scheint, ver­spottet wird, aber im "zeitlosen" Unbewussten bei allen Lebenden auch heute noch vorhanden ist. Daraus entsteht die typische Bewusstseinsspaltung, die Freud einmal "Urteilsstreit" genannt hatte!
Alltagswissen - dieser flache Umgang  mit dem Leben, wird als wichtigste und ern­steste Sache der Welt von allen akzeptiert  (Kafka hatte noch etwas von diesem furchtbaren Missverständnis geahnt!), das Resultat: Dass jeder anstatt Sekunden der wahren Empfindung und der Dichte, des Glücks zu leben, dieses täglich bis zum Tode versäumt. So wird jeder Moment,  der uns selbst und jenem Zwischen­raum, der schon an jenes Tor der anderen Zone reicht, gehören müsste, versäumt. Und der uns umgebende Reichtum der Welt kann kaum wahrgenommen werden, erstickt in Müll und Banalität sinnloser Tagesaufgaben!
"Dass er sich hinzieht ein Tag in den andern .../ Die Zeit aber ein Trost/ als käme etwas nach/ und es käme an/ was uns fehlte// Doch wenn sich einmal das Blatt/ wendet und sich vielleicht/ unser Blick/ verändert/ hat uns die Trösterin Zeit/ längst erschlagen// was immer schon fehlte/ hat uns erreicht"
   Der Phantomcharakter alles auf der Erde Le­benden wird nicht erkannt, sondern jeder Schein als das Wesentliche wahrgenommen. Die alte Weisheit aber bis hin zur Quantenphysik heute, weiß vom phantomatischen Charakter der Körperwelt, wie in Rilkes großem Gedicht:  "Torsischer Apollo": "Du musst dein Leben ändern..."


                                        +

Für Rainer Maria Rilke war das Universum ein Ganzes, es umfasste im ”Weltinnenraum” Lebende und Tote, vor allem  in seinen späten großen Gedichten, wie in den ”Duineser Elegien” und  in den „Sonetten an Orpheus“ brachte er diesen,  die Grenze sprengenden „Weltinnenraum“ ins Gedicht:
   „Ist er ein Hiesiger? Nein, aus beiden/ Reichen erwuchs seine weite Natur.“
   Der  übersensible Dichter, der einen sechsten Sinn besaß, war sich bewusst, dass er sich auf eine mutige Grenz­überschreitung einlässt, wenn er die Toten anspricht, ihnen Existenz in seinem Gedicht einräumt. In seinem „Brief an einen jungen Dichter“ heißt es: „Das ist im Grund genommen der einzige Mut, den man von uns verlangt: mutig zu sein zu dem Seltsamsten, Wunderlichsten und Unaufge­klärtesten, das uns begegnen kann. Dass die Menschen in diesem Sinne feige waren, hat dem Leben unendlichen Schaden getan: die Erlebnisse, die man ´Erscheinungen` nennt, die ganze so genannte `Geisterwelt`, der Tod, alle diese uns so anverwandten Dinge, sind durch die tägliche Abwehr aus dem Leben so sehr hinausgedrängt worden, dass die Sinne, mit denen wir sie fassen können, verkümmert sind. Von Gott gar nicht zu reden“.
Für den Umgang mit dieser gefährlichen Grenze hat die Literaturwissenschaft, ähnlich wie die Psychiatrie, besondere Methoden und Techniken entwickelt, um das Übernatürliche, das wesentlich für weite Teile der Weltliteratur ist, abzuschieben. Es scheint eine Art  Filter und ”Sperre“ zu geben, Carl Friedrich von Weizsäcker nannte sie „kulturbedingte Blickbeschränkung“, die heilsam sein könne, heute jedoch dringend einer Verschiebung und Öffnung bedürfe. 
Aber es war nie ungefährlich, diese Grenze zu überschreiten. Früher drohte der Feuertod. Viele galten als „verrückt“ wie Friedrich Hölderlin, der ein „excentrisches Reich der Todten“ kannte,  und in der Nervenklinik unter Foltern” geheilt” werden sollte.
Im Rahmen des geltenden Wirklich­keitsverständnisses darf jene andere Zone Erfindung, Phantasie, jedoch nicht selbsterlebt und wirklich sein. Nach diesem Verständnis gibt es auch heute eben nichts als „Schicksalskräfte“,  „Romantische Phantasie“, die „Nachtseite der Natur“, vor allem sind es durchgängig „alte Menschheitsmythen“, die in den dichterischen  Werken auftreten, wenn es um jenes Gespräch mit den Toten geht.   Und die Verbindung mit der Totenwelt erscheint dann mit Vorliebe antik verbrämt als „Unterweltsbesuch“ und Orpheusmotiv.
 Im bekannten Nachschlagewerk „Motive der Weltliteratur“  von Elisabeth Frenzel ... ist... „nur Halbgöttern oder besonders begnadeten Menschen in den Mythen eine solche Reise vorbehalten.“
 Die Beziehung mit den Abgeschiedenen darf also nur „in den Mythen!“ möglich sein.  Und  diese ereignen sich dann als sogenannte Hades- oder „Unterweltsfahrten“. Sie sind natürlich ...“ „... ohne jeden realen Anhalt allein aus dem Wunschdenken geschaffen ...“ die berühmte „Nekya“ der Odyssee, Virgils  „Aeneis“ - alles nur „allegorische Traum­­dichtungen“. Und der Höhepunkt dieser klassischen  „Traumdichtungen“  ist dann Dantes „Divina Commedia“.
 Die psychologische Forschung hat jedoch inzwischen heraus­gefunden, dass diese „Traumdichtungen“ künstlerisch verdichtete Schil­derungen von sogenannten „Nahtod­erlebnissen“ sein könnten. Bekannt ist, dass Dantes Jenseits-Reise auf einem realen Geschehen beruht. Es war während eines tagelangen Komas im Jahre 1300, als Dante, dem Tode nahe, eine Art Astralreise erlebte, ähnlich wie sie heute Ärzte und Thanatologen nach Zeugenberichten klinisch Toter aufgezeichnet haben. Doch erlebt wird nicht nur die große Einsamkeit  unter lauter Schatten und unberührbaren Gespenstern, sondern auch die Begegnung mit Lichtgestalten, mit einer universalen Liebe und unerschöpflichen Kraft.
 Auch Dante begegnete in jener Sphäre seiner unsterblich Geliebten, der „toten“ und dennoch weiterlebenden Beatrice, die ihn zu einer höheren Selbsterkenntnis in unendlicher Spiegelung weiterführt:
„Und wie vom Lichtstrahl, der im Spiegel endet,
ein zweiter zurückspringt wieder in den Raum,
dem Pilger ähnlich, der sich heimwärts wendet,
so ging aus ihrem Tun, durch meine Augen
in mir zum Bild gebrochen, meins hervor ...“

 Auch das Orpheus-Motiv,  kann nicht einfach  ins ”Symbolische” oder ”Mythische” abgeschoben werden, wie es in der offiziellen, leider allzu vieles verdrängenden Literaturgeschichte, und nicht nur im erwähnten Handbuch von Elisabeth Frenzel, oft genug geschieht. Am wenigsten ist dieses möglich  beim Dichter der „Sonette an Orpheus“, bei Rainer Maria Rilke. Die Fürstin von Thurn und Taxis, Rilkes Freundin und  Besitzerin des Schlosses von Duino, wo die „Duineser Elegien“ entstanden, schrieb in ihren „Erinnerungen:“
„Und wirklich scheint es mir, dass Rilke in Duino unter Schatten gelebt hat. Nicht nur fühlte er die Anwesenheit Theresinas - auch zwei andere Gestalten - Schwestern meiner Mutter - waren ihm so gegenwärtig, als ob die Zeit stillgestanden wäre: Raymondine, die, kaum verheiratet, zwanzigjährig gestorben, und Polyxène, die nur fünfzehn Jahre alt geworden war...
Rilke erzählte mir oft, dass er trotz der großen Stille und (die) durch nichts gestörte Ruhe niemals das Gefühl gehabt habe, wirklich allein zu sein. ...
Rilke war, wenn er von dieser so plötzlich auftauchenden wie ent­schwun­denen Erscheinung sprach, äußerst erregt.“
Und in den „Sonetten an Orpheus“ schrieb er:
„Nur wer die Leier schon hob / auch unter Schatten, / darf das unendliche Lob / ahnend erstatten. / Nur wer mit Toten vom Mohn/ aß, von dem ihren, / wird nicht den leisesten Ton / wieder verlieren.“
 Es wird auch gerne verschwiegen, dass Rilke ebenfalls seine „Tote“ hatte. Es war  eine Art „Führerin“, wie Dantes Beatrice oder Novalis` Sophie,  wenn sie von ihm in  rätselhaften Einflüsterungen verlangte, er solle nach Toledo reisen. Sein gesteigertes   Fühlvermögen, das jede Alltags­erfahrung und Wahrnehmung  überstieg, sah mehr, hörte mehr als die Menschen seiner Umgebung. So  wurde ihm im Schloss Berg am Irchel ein ganzer Gedichtzyklus, samt Titel:  „Aus dem Nachlass des Grafen C.W.“ von einer „Stimme“  diktiert. Über deren Entstehung erfuhr die Fürstin von Thurn und Taxis von Rilke; sie schrieb in einem Brief darüber:
„... dass sogar die Initialen C.W. und das Datum Palermo 1862 ihm diktiert worden wären... (Rilke) hatte während des Schreibens  das Gefühl, dieser geheimnisvolle C.W. sitze ihm gegenüber an der andern Seite des Kamins.“[2]
 Und als wäre der Sänger Orpheus sein, Rilkes, Selbstporträt, heißt es in den Sonetten:
„Ist er ein Hiesiger? Nein, aus beiden / Reichen erwuchs seine weite Natur.../ Geht ihr zu Bette, so lasst auf dem Tische / Brot nicht und Milch nicht; die Toten ziehts -. Aber er, der Beschwörende, mische unter der Milde des Augenlids //  Ihre Erscheinung in  alles Geschaute ...“
Ist die Welt  also eine Mischform aus ihren und unseren Blicken, wie bei Dante schon?
 Berühmte Geister wie Kant und Lessing, Humboldt, später Bergson und Jung hielten  diese Verbindung und das Überleben des Todes für eine - schon ethisch notwendige - Selbstverständlichkeit. Ähnlich wie Kant äußerte sich auch Wilhelm von Humboldt in seinen „Briefen an eine Freundin” sehr offen:  „Es mag aber auch bei dem, der etwas sehen soll, eine Empfäng­lichkeit notwendig sein, die Geistergegenwart zu vernehmen, ohne es zu wissen oder zu ahnen ... Diese mochten die Menschen in jener Zeit mehr haben, wo sie weniger weltlich zerstreut lebten, ihr Gemüt innerlich gesammelt, frommer und ernster auf ein Wesenreich außerhalb der irdischen Welt gerichtet war... Ich halte also diese Erscheinungen für etwas Wirkliches, durch eine überirdische Macht Hervorgebrachtes.“


Dabei gibt es ein un­geheuer schwieriges Überset­zer­problem, um den Abgrund zu überbrücken.
         „Aber das Totsein ist mühsam / und voller Nachholen, dass man all­mählich ein wenig/ Ewigkeit spürt. Aber Lebendige machen / alle den Fehler, dass sie zu stark unterscheiden. / Engel (sagt man)  wüssten oft nicht, ob sie un­ter / Lebenden gehen oder Toten. Die ewige Strömung / reißt durch beide Berei­che aller Alter / immer mit sich übertönt sie in beiden.“
        So Rilke. Doch die Verbindung überwindet eine Wand,

       Sterben gehört zum Lebenlernen. Und auch für die andere Seite gelte: Die Erinnerung an das Leben sei nötig zum Wachstum nach dem Tod; dies schrieb schon Immanuel Kant in seinen „Träumen eines Geistersehers“, Lessing war ähnlicher Meinung. Und Rilke:
       „Aber wir, die so große / Geheimnisse brauchen, denen aus Trauer so oft seliger Fortschritt entspringt -: könnten wir sein / ohne sie?“

„Sterbebegleitung“[3] ist wichtig! Um den vielen, den meisten wohl heute in dieser blind-gelebten Welt des kruden Un-glaubens, die meinen, Sterben sei wohl nicht einfach, doch im Tod sei dann alles einmal aus und für immer vorbei mit der Wahrheit, Hilfe zu leisten. „Wissend“ aber, und „eingeweiht“ Hilfe leisten, wenn sie im Sterbeprozess, den wichtigsten Momenten ihres Lebens angekommen sind, ein Kreuzweg für das, was als „Zukunftsraum“ kommen wird, und schon im Leben vorbereitet werden muss, völlig allein und dem Ignorierten und Unbekannten ausgeliefert sind!

      Rilke hat hier in Viareggio im April 1903 geschrieben:
O Herr, gib jedem seinen eignen Tod
Das Sterben, das aus jenem Leben geht,
darin er Liebe hatte, Sinn und Not.
    


Nur sich einlassen können
in dieses Glitzern, jetzt
das lange, vertane Zeit aber ist gewonnen.

Das Unglück des Zeitunglesens
Das nützliche Lesen - es
spiegelt diese Welt.

Sich vertiefen können,
ist anders,
und war längst schon gewesen
eine andere Hirnspur.

Und du siehst wieder den Engel
hinter dem Papier deiner Augen.

Andere Verbindungen, andere Wege
und Augenkünste
als die
schlagenden.

Aber der Blick jetzt in das Meer
ganz nahe am Rande der Reling,
gibt gegen die Zeit
Gewissheit.


Er erlebt den befreiten innern Sinn Kants als kaum ausdrückbaren Bewußtseins-Lebensprozeß, das  von der Ein­bil­dungskraft oder dem reinen Selbstbezug des Ich vorausentworfene "Zugleichsein" , das insoweit viel­leicht  ein "Regressus"  ist, als es dieses Bewußtsein der Einheit tatsächlich ( bis zu Dantes Zeit) einmal gegeben hat, aber im "zeitlosen" Unbewußten bei allen Lebenden auch heute noch vorhanden  ist.



Rainer Maria Rilke

Duineser Elegien

Titel der Erstausgabe der Duineser Elegien im Insel-Verlag (1923)

Duineser Elegien ist der Titel einer Sammlung von zehn Elegien des Dichters Rainer Maria Rilke, die1912 begonnen und 1922 abgeschlossen wurde.
Rilke war 1912 zu Besuch auf Schloss Duino bei Triest, wo er Gast der Gräfin Marie von Thurn und Taxis-Hohenlohe war. Als er an einer Stelle an den Klippen vorbeiging, soll er angeblich eine Stimme gehört haben, die die Worte "Wer, wenn ich schriee, hörte mich denn aus der Engel Ordnungen?" rief. Von diesem Ereignis inspiriert, begann er seine Erste Elegie mit eben diesen Worten. Die Fertigstellung der zehn Elegien zog sich durch Rilkes Kampf mit der Depression und seinem Leiden an den Ereignissen des Ersten Weltkriegs über zehn Jahre hin, sodass sie erst bei seinem Aufenthalt imRhônetal 1922 vollendet wurden. Obwohl nur zwei der zehn Elegien auf Schloss Duino entstanden, hat der Dichter aus Dankbarkeit zu seiner Gastgeberin später den gesamten Zyklus danach benannt.
Aufgrund ihrer Reichhaltigkeit und Komplexität sind die Duineser Elegien einer raschen Lektüre kaum zugänglich. Hilfreich bei der Lektüre sind in jedem Fall eine gute Kenntnis der Motive von Rilkes Dichtung und die unter den Literaturangaben genannten Interpretationen.

 

Die erste Elegie Am 21. Januar 1912 aus Duino an Marie Taxis gesandt, wohl unmittelbar nach der Entstehung

(Alle Entstehungsdaten nach der Werkausgabe von Ernst Zinn.)
Die erste Elegie schlägt zahlreiche Themen an, die in den folgenden Elegien ausgesponnen werden. Die Engel (vgl. dazu besonders den Anfang der zweiten Elegie) und die Tiere (vgl. dazu besonders die achte Elegie) werden genannt. Vor dem Hintergrund dieser beiden Gegenbilder entwickeln die Elegien ihre Deutung der condition humaine.
Das lyrische Ich beklagt die Gefangenschaft des Menschen in der „gedeuteten Welt“, es wird die Nacht gepriesen, dann die Liebenden und der Held (dem die ganze sechste Elegie gewidmet ist). Die Liebenden und der Held verwirklichen äußerste Möglichkeiten des menschlichen Daseins.
Die zweite Hälfte der ersten Elegie spricht von den „jungen Toten“, die ebenfalls Idealbilder des Menschlichen sind. Die letzten Verse exemplifizieren schließlich die in den Elegien wichtige Figur eines „Umschlags“, bei dem sich Leere plötzlich und unerwartet in Fülle verwandelt.

Die zweite Elegie 

Duino, Ende Januar / Anfang Februar 1912
Die ersten drei Strophen der zweiten Elegie kontrastieren Engel und Mensch. Dabei wird die Distanz zwischen den Menschen und den Engeln bis ins Unüberbrückbare gesteigert. Auf die ekstatische Preisung der Engel in der zweiten Strophe folgt die Klage über die Vergänglichkeit und Vergeblichkeit aller menschlichen Versuche in der dritten Strophe. Ist eine Vermittlung zwischen Engel und Mensch möglich? Diese Frage wird verneint.
Die vierte und die fünfte Strophe sind den Liebenden gewidmet. Sie entgehen fast dem Vergehen der Zeit und den Schranken der „gedeuteten Welt“, an denen die Menschen so leiden. Aber, wie der Schluss der fünften Strophe zeigt, scheitern letztlich auch sie.
Den Abschluss bildet (in der sechsten und siebten Strophe) eine Idealisierung des griechischen Altertums und die Hoffnung auf einen „Streifen Fruchtlands“, auf dem das Menschliche wie in der Antike gedeihen kann.

ZWISCHEN TOD UND UNENDLICHKEIT
Rilke in Duino / Von Paul Niehaus
Wo das Massiv des Karst steil und mit einer Landzunge ins Meer hinausspringt, liegt hoch oben ein Felsennest, das Schloß Duino, zwischen Tod und Unendlichkeit — Thema der „Duineser Elegien" Rainer Maria Rilkes. Das Schloß — es hat im Wappen Turm und Lilie — ist uralter Besitz der Fürsten von Thurn und Taxis. Die Fürstin Maria lernte den Dichter im Dezember 1909 in Paris kennen, als er für die Comtesse de Noailles schwärmte, sich aber schon von ihr löste, denn wenn ich sie öfters sehen würde, so wäre das das Ende meines Ich. Ich würde ihr Sklave werden und könnte nur noch ihr Leben leben ..." In dieser Krise traf ihn die Einladung nach Duino -wie eine Erlösung. Er kam am 20. April 1910 im „Schloß am Meer" an. Die Schloßherrin war gerade mit Geheimrat Bode und Rudolf Kassner auf einem Ausflug ' nach Cividale unterwegs, aber der Dichter genoß die Einsamkeit, die ihm über alles ging, in vollen Zügen. Er hat den ganzen strahlenden Frühjahrsnachmittag auf dem Balkon des Schlosses gestanden und war glücklich über die große Stille. Sein Eckzimmer — zwischen Schloßkapelle und Speisesaal — hatte Fenster nach drei Seiten. Links sah er in der Ferne Triest, das Habsburgerschloß Miramare und die istrischen Berge, rechts . den bizarr sich ins Meer hinausstreckenden „Dante-Felsen" und das Felsmassiv mit der alten Burgruine.

Die Fürstin schildert den Dichter als ein Kind, „in dieser weiten Welt ein wenig verlassen, der Erde und den Sternen viel näher als den Menschen, vor denen er sich zu fürchten schien". Seine Schweigsamkeit brach er zum ersten Male auf einem Ausflug nach Capodistria, einem istrischen Hafenstädtchen im Venezianer-Stil, wo er bei einem Frühstück in einer Trattoria plötzlich lebhaft mit seiner weichen, ein wenig singenden Stimme von Rußland zu erzählen begann, von seinen legendenhaften Begegnungen mit urweltlich traurigen Menschen und Melodien. Von einer tiefen Verzagtheit und Melancholie war Rilke damals erfüllt. Er sprach oft davon, dass es unmöglich sei, nach dem „Malte Laurids Brigge", den er gerade vollendet hatte, noch etwas zu schreiben; es sei alles gesagt. Er wolle das Dichten aufgeben und Arzt werden.
Zwischen den verschiedenen Aufenthalten in Duino, die nun bis 1913 folgten, lagen mehrmonatige Besuche in Lautschien (Böhmen), dem anderen Besitz der Thurn und Taxis, Reisen nach Spanien und Nordafrika, viele Studienfahrten nach Venedig, Fahrten nach Paris, nach Wien. Die Fürstin erinnert sich im besonderen eines Einkaufs in Weimar, wo der Dichter bei einem Antiquar ein kleines Büchlein erstand aus dem Jahre 1801, in einem türkisblauen Einband mit Louis-Seize-Ornamenten. Es sollte später die Urschrift der „Duineser Elegien" aufnehmen. Der Pol, zu dem Rilke immer wieder zurückkehrte, war nun Duino geworden. „Duino ist die Wolke meines Wesens, fort, fort und in der Ent- ', rückung wohnen, nicht wahr, Sie fühlen, wie mir's not tut?" Besonders der Spätherbst 1911 muß für alle Beteiligten bezaubernd gewesen sein. Die Fürstin schreibt darüber: „Rilke war besonders glücklich über Kassners Anwesenheit. Frühmorgens machten sie große Spaziergänge, • besonders im Tiergarten, den der Dichter sehr. liebte. (Das war ein dichter Steineichenwald, der. von einer hohen Mauer umgeben war. Er dürfte - einstmals ein „heiliger Hain" gewesen sein. Eine ! unheimliche Stille, vor der die Leute im Dorf . sich fürchteten, herrschte dort.) Und da sah ich - . oft von der Schloßterrasse aus die beiden ganz vertieft in ihr Gespräch zurückkommen, Kassner mit seinen glänzenden, beherrschenden Augen, mit heftigen Gesten, laut sprechend, daneben, der zarte Serafico, etwas vorgebeugt, Kassner zugewandt, ihm ernsthaft zuhörend, zuweilen lächelnd, dann wieder Schrecken in den Augen, wenn Kassner die ganze Welt in Grund und Boden verdammt hatte. Meist kam Rilke dann zu mir und erzählte atemlos, halb lachend, halb erschrocken. Während dieser Zeit kam oft das „Quartetto Triestino" zu uns. Sie blieben den ganzen Tag, und da wurde. herrlich gespielt. Wie klangen Beethoven und Mozart auf der großen Terrasse! Wie tönten sie weit übers Meer! Die Terrasse hatte eine ausgezeichnete Akustik, das Schloß hob sich darüber in mächtiger Breite und wirkte wie ein guter Resonanzboden. Die Saiteninstrumente gewannen dadurch eine unglaubliche Stärke und wurden bis weit hinaus gehört. Oft erschienen Fischerbarken vom Horizont her und näherten sich lauschend unserem Felsen. Die Terrasse bildete die Plattform , eines der Befestigungstürme gegen das Meer — ein viereckiger Platz mit steinerner Brüstung, auf dem eine verwirrende Fülle von Blumen aller Art wuchs, dazwischen üppig wuchernd dichter, uralter Efeu. In der Mitte stand ein rosafarbener Marmorbrunnen aus Venedig mit einem großen Strauch immerblühender Monatsrosen, den ich zu Ehren D'Annunzios bei einem seiner Besuche hatte pflanzen lassen. — Herrlich waren die Mondscheinnächte auf der Terrasse, wenn es ganz still war und nur die Nachtigallen sich hören ließen."
Rilke lebte damals in mystischer Vereinigung mit den „großen Liebenden": Mademoiselle de Lespinasse, der portugiesischen Nonne, Louize Labe, Gaspara Stampa. In Duino hatte eine Freundin der Fürstin-Mutter, Teresina R., gelebt, deren Beichte ihrer großen ■unglücklichen Liebe einen überwältigenden Eindruck auf Rilke machte. Auch erfuhr er von zwei Tanten der Fürstin, Raymondine und Polyxene, die sehr jung gestorben waren und deren Schicksal ihn gefangennahm.
Als er einmal zur „Riviera" hinunterstieg — so nennt man den bewaldeten Abhang zwischen Schloß und Meer, wo Zypressen, Lorbeer, Oliven und Feigen wuchern —, befand er sich plötzlich vor einem riesigen, sehr alten Ölbaum, den er noch nie-gesehen hatte. Die Fürstin. erzählt: „Als er sich, auf den knorrigen Wurzeln stehend, an seinen Stamm lehnte, überkam ihn ein ganz eigenes Gefühl: Ihm war, als stünde er in einem anderen Leben, in einer längst vergangenen Zeit — alles, was je hier gelebt, geliebt und gelitten hatte, kam zu ihm, wollte von neuem in ihm aufleben. Da war keine Zeit mehr, kein Unterschied zwischen dem wiedergekehrten Einst und dem gestaltlosdüsteren Jetzt. Teresina, Raymondine, Polyxene — umgaben sie den Dichter, fühlte er ihre Gegenwart und vielleicht noch die Nähe anderer ruheloser, entschwundener, einst glücklicher und geliebter Gestalten? — Er ' hat sich nie getraut, an diese versteckte Stelle zurückzukehren und den Baum auch nur zu berühren. ,Ich wußte nicht, ob ich dann zurückkehren würde', sagte er leise." Man muß solche Gemütszustände des immer dem Tode verbrüderten Dichters kennen, um die „Elegien" ganz zu verstehen. Wie ein Blitz schlug die erste Erleuchtung im Januar 1912 in ihn ein: „Wer, wenn ich schrie, hörte mich denn aus der Engel Ordnungen?" Seine ganze Lebensnot und Lebensseligkeit macht sich hier eruptiv Luft. Die erste und die zweite Elegie entstanden, dazu die Versanfänge aller übrigen.









                              DER RAND ALS ABGRUND 

  Literarischen Enklaven, Prag zum Beispiel, haben wir neue Erfah­rungen, große Namen wie Kafka oder Rilke zu verdanken. Vom Rand ka­men auch Canetti und Celan, oder Edmund Jabès; sie verschoben Sprachfähigkeit ins Unbe­kannte,  hinaus bis an die Grenzen des Schweigens.
  Warum dieser Stil der Enklaven (und der Emigration) gegen das Zentrum vor allem nach 45 so wichtig wurde, hängt mit den deutschen Brüchen und Höllen zusammen, die dieser Stil in einem neuen Sprachbe­wußtsein spiegelt: der Bruch mit dem  Pathos und der Feierlichkeit, der Sprachlüge des Gefühls im historischen Vakuum des Zentrums. Klaus Manns "Mephisto" wäre dazu zu lesen; Gründgens und Hitler gehören zu­sammen.
  Zu diesem Aufstand wider das kaputte Höllen-Zentrum gehören freilich auch die "Enklaven" Wien und das Helvetische (beginnend mit Frisch und Dürrenmatt) in ihrem reflektierten Sprach- Bewußtsein; wobei nicht zu vergessen ist, dass Österreich seit Hofmannsthals "Chandos-Brief", Nestroys Wortspielen, seit Fritz Mauthner, Karl Kraus, Wittgensteins "Tractatus" lange schon Mittelpunkt der Sprachskepsis und Kritik war. Da auch hier, ähnlich wie in den Minderheitsliteraturen, in einer "geborgten" Hochsprache, deutsch, gedacht werden mußte,  wuchsen Kritik und    Verletzlichkeit, besonders bei jüdischen Denkern wuchsen sie aus der abgründigen Differenz und Haßliebe, die eine enorme Sprachintensität und   Hellhörigkeit hervorbrachte; Paul Celans Gedichte sind geschrieben in der Sprache der Mörder seiner Mutter. Das Intimste, die Kindheitserinnerun­gen  werden bei ihm davon angegriffen, sogar korrigiert. Dieses aber ge­schieht auch bei jenen, deren Eltern, wie bei den Rumäniendeutschen, mit den Mördern mitmarschiert waren, im Einzelfall selbst Mörder gewesen waren.
  Dazu kommt die verdorbene eigene Provinz- und Familiensprache, die im Gefühligen, Begriffslosen darniederlag, und in ihrer Wehrlosigkeit mitschuld am Desaster war, derer man sich aber schon in der eigenen In­timität schämt, und die ebenfalls die Erinnerung ins Unartikulierte nie­derdrücken, zum Haß auf diese Herkunft Anlaß geben.
         Schon bei den Pragern Kafka oder Rilke werden Kind­heitserin­nerungen und Herkunft verworfen aus dem Wissen von der Misere "verdorbener Sprachabfälle" (Rilke) einer Niederung geistloser Mündlich­keit: "Kein Wort im Gedicht, ich meine hier jedes 'und` oder `der', `die, ``das`) ist  identisch  mit den gleichlautenden Gebrauchs- und Konver­sations-Worten", schreibt Rilke am 17. März 1922, einen Monat nach Vollendung der "Duineser Elegien".[4] In Karl Kraus` oder Wittgensteins Sprachtheorie ist ebenfalls ein Abgrund zwischen mündlicher Alltagsspra­che und SCHRIFT wider die Erfahrung sprachlich-sozialer Depri­vation; und aus dieser   bewußt gewordenen Sprachnot ge­lingt der Sprung über den Abgrund in ein  vom Alltag verdecktes geistiges Niemandsland.[5]. Fremd­sprache Deutsch, ein Paradox als "Herzwerk" und Sein; aus dieser Dissoziation wird ein   atemberau­bender Grenzgang ins Nochniegewesene möglich.

         Bei den Rumäniendeutschen war dies ähnlich, ja noch extremer. Freilich geschieht Schreiben jetzt schon post festum: Im Ausnahmezustand ist das Einfachste  paradox, wie schon dieser Titel; auch nach der Über­siedlung nach Deutschland nimmt das Absurde nicht ab. Man negiert, wovon man literarisch lebt, legt den Namen ab, der den ersten großen Erfolg der rumäniendeutschen Literatur im "Mutterland" gebracht hat; dieses Syndrom spiegelt nur den heillosen Zwischenzustand im Niemandsland von Vaterland und Muttersprache, in dem diese Autoren leben und schreiben mußten, und noch  leben müssen; abgründige Intensitäten im Stil, der diesen Bruch spiegelt, Aufsehen erregt hat, und jene Autoren, denen dieser Spiegel nicht gelang, in der Vergessenheit  zurückließ. Freilich geht diese legitime Ungerechtigkeit oft zu weit, vor allem ältere Autoren wurden von den Erfolgreichen ver­drängt.
  Ähnlich wie Paul Celan, der Auschwitz, Hiroshima und den Gulag, anders als seine älteren Bukowiner Kollegen, auch stilistisch übersetzte, und so weltbekannt wurde, gelang dieses   zwei Generationen moderner siebenbürgischer und banater Lyrikern seit ca. 1965 von Oskar Pastior bis zu den  Jüngsten Und brachte durch Herta Müller den Nobelpreis dieser Randliteratur des Abgrundes.. Es ist ein feinstilisier­tes, weil posthumes Wortleben unter Druck, das im Destillat überlebt, "einen Verlust zu orten, der jenseits des geographischen einen geistigen Ort betrifft: die Verflüchti­gung der Realität zur Abstraktion." Und diese Verflüchtigung, die Todesgefühle mit sich bringt, ist die im Wort aufgehobene Krankheit eines verlorenen Lebens.[6]





                  ALS AUCH DER TOD GETÖTET WURDE
NACH RILKE. WIE /  FORT FAHREN

                                                            





GASTOD: DER DICHTER BENJAMIN FONDANE- FUNDOIANU





I
DIE NEUNTE ELEGIE
Paraphrase

Für Fondane

WARUM, wenn es angeht, also die Frist des Daseins
hinzubringen, als Lorbeer, ein wenig dunkler als alles
andere Grün, mit kleinen Wellen an jedem
Blattrand (wie eines Windes Lächeln) -: warum dann
Menschliches müssen - und, Schicksal vermeidend,
sich sehnen nach Schicksal?

Oh, nicht, weil Glück ist,
dieser voreilige Vorteil eines nahen Verlusts.
Nicht aus Neugier, oder zur Übung des Herzens,
das auch im Lorbeer wäre . . . 

Aber weil Hiersein viel ist, und weil uns scheinbar
alles das Hiesige braucht, dieses Schwindende, das
seltsam uns angeht. Uns, die Schwindendsten. Ein Mal
jedes, nur ein Mal. Ein Mal und nichtmehr. Und wir auch
ein Mal. Nie wieder. Aber dieses
ein Mal gewesen zu sein, wenn auch nur ein Mal:
irdisch gewesen zu sein, scheint nicht widerrufbar.

QUERSCHLAG

ABENDS. Ich nehme rumänische und französische Bücher von Benjamin Fondane, E.M. Cioran, George Bacovia aus dem Regal.  Und lese bei Fondane folgenden Gedanken: Gottes Abwesenheit führt über Ersatz­hand­­­lungen zum unausweichlichen und selbstverschul­deten Ende. Es ist jene verborgene Fatalität, die von weither kommt, jeder einzelne trägt sie als Erbe in sich, ja inzwischen ist jeder Stein, jede Blume, jedes Tier, die Erde davon infiziert. ("Man muß sich fragen, von Geschwindigkeit geweckt,/ was rast da übermächtig aus der Energie,/ was sonst im Stillstand dieses Tags versteckt,/ sich schattengroß nun losreißt aus dem Nie." (Benjamin Fondane.) Unser Jahrhundert geht mit der Unvorstellbarkeit des Grauens um , wie schon  1916, 1943 oder  1945 Hiro­shima, Koreakrieg, Vietnam, Budapest 1956 oder Bukarest 1989. Dann das Grauen in Ju­goslawien. Der Golfkrieg. Die Erde im Rauch und Blitz von Bomben und Menschen­asche.
II
Und so drängen wir uns und wollen es leisten,
wollens enthalten in unsern einfachen Händen,
im überfüllteren Blick und im sprachlosen Herzen.
Wollen es werden. - Wem es geben? Am liebsten
alles behalten für immer . . . Ach, in den andern Bezug,
wehe, was nimmt man hinüber? Nicht das Anschaun, das hier
langsam erlernte, und kein hier Ereignetes. Keins.
Also die Schmerzen. Also vor allem das Schwersein,
also der Liebe lange Erfahrung, - also
lauter Unsagbares. Aber später,
unter den Sternen, was solls: die sind besser unsagbar.
Bringt doch der Wanderer auch vom Hange des Bergrands
nicht eine Hand voll Erde ins Tal, die Allen unsagbare, sondern
ein erworbenes Wort, reines, den gelben und blauen
Enzian. Sind wir vielleicht hier, um zu sagen: Haus,
Brücke, Brunnen, Tor, Krug, Obstbaum, Fenster, -
höchstens: Säule, Turm . . . aber zu sagen, verstehs,
oh zu sagen so, wie selber die Dinge niemals
innig meinten zu sein. Ist nicht die heimliche List
dieser verschwiegenen Erde, wenn sie die Liebenden drängt,
dass sich in ihrem Gefühl jedes und jedes entzückt?
Schwelle: was ists für zwei
Liebende, dass sie die eigne ältere Schwelle der Tür
ein wenig verbrauchen, auch sie, nach den vielen vorher
und vor den Künftigen . . .leicht.

QUERSCHLAG

   Epoché. Der Feind ist der "Fortschritt", der die Toten auf dem Gewissen hat, seine Systeme, seine Ideologien, ja, seine Sprache gehören dazu.   Ein Mitmachen darin ist ein Überlaufen zum Feind. Auch die Sprache, die Kunst sind längst eine Mitmache: "Das Kunst­werk trat in die Welt, als der Glaube schwand", schrieb Benjamin Fondane,  jener jüdisch-französisch-rumänischer Poet, der an der Endstation dieser Zivilisa­tion sein Ende fand. -  Der Augen Zeuge sah, bevor es begann. Und  ich schrieb über ihn, den  letzten, den allerletzten Dichter, im Hof vor der Baracke sei es gewesen im Oktober, am 12. Oktober 1944. Hochgeschlagen  sein Mantelkragen, da es im Lagerhof  von Auschwitz regnete, als wäre der Mond noch da zu sehn, Schlafdreck, Traumdreck im Auge,  da kamen die Lastwägen, die Welt, fahl das Morgenlicht: noch gestern, jetzt  Regen, er aber, der letzte Dichter  aufrecht und fast ungerührt da; ging, stieg hinauf, Arme streckten sich ihm von oben entgegen, helfend, wozu, auf den Lastwagen, da oben, fahrend, abfahrend, abgefahren ist, was noch bisher zu sein schien, er hatte ja vorher schon alles zu Ende geschrieben, dachte es, im Bewußtsein war alles getan, als ginge er dort im Hof auf der letzten Zeile, der wußte, dachte, er wisse das Nichtgeschehen, und kann nicht mehr sagen, was ich nicht weiß und er, was blieb: ist es. Umkreist, er spricht nicht, er hat es erlebt zum Ende gebracht, zu allem, für jeden, für Nichts. Und hat jedes  letzte JETZT, auch unseres,  erlebt. Voller Verachtung und Todesverachtung kam Fondane an ihrem infernalen Grenzort an, wo alles, was  diese Geschichte hervorgebracht hatte, ad absurdum geführt wurde. Auch die Sprache, und gerade sie! Mit seinem Tod erlebte Fondane ihren Tod. In jenem grauenhaften Augenblick, über den er nicht mehr Zeugnis ablegen kann, war alles, was er gedacht und geschrieben hatte, bestätigt worden. Angesichts der Gaskammer gilt kein Glaubens- oder Trostspruch mehr, geschweige denn Literatur. Es war etwas offenbar geworden, was nicht seinesgleichen hatte. Fondane hat das, worüber wir nur nachdenken können, erfahren, und dann ganz konsequent mit dem Leben bezahlt.


III
Hier ist des Sagbaren Zeit, hier seine Heimat.
Sprich und bekenn. Mehr als je
fallen die Dinge dahin, die erlebbaren, denn,
was sie verdrängend ersetzt, ist ein Tun ohne Bild.
Tun unter Krusten, die willig zerspringen, sobald
innen das Handeln entwächst und sich anders begrenzt.
Zwischen den Hämmern besteht
unser Herz, wie die Zunge
zwischen den Zähnen, die doch,
dennoch, die preisende bleibt.

Preise dem Engel die Welt, nicht die unsagbare, ihm
kannst du nicht großtun mit herrlich Erfühltem; im Weltall,
wo er fühlender fühlt, bist du ein Neuling. Drum zeig
ihm das Einfache, das von Geschlecht zu Geschlechtern gestaltet,
als ein Unsriges lebt, neben der Hand und im Blick.
Sag ihm die Dinge. Er wird staunender stehn; wie du standest
bei dem Seiler in Rom, oder beim Töpfer am Nil.
Zeig ihm, wie glücklich ein Ding sein kann, wie schuldlos und unser,
wie selbst das klagende Leid rein zur Gestalt sich entschließt,
dient als ein Ding, oder stirbt in ein Ding -, und jenseits
selig der Geige entgeht. - Und diese, von Hingang
lebenden Dinge verstehn, dass du sie rühmst; vergänglich,
traun sie ein Rettendes uns, den Vergänglichsten, zu.
Wollen, wir sollen sie ganz im unsichtbaren Herzen verwandeln
in - o unendlich - in uns! Wer wir am Ende auch seien.

Erde, ist es nicht dies, was du willst: unsichtbar
in uns erstehn? - Ist es dein Traum nicht,
einmal unsichtbar zu sein? - Erde! unsichtbar!
Was, wenn Verwandlung nicht, ist dein drängender Auftrag?
Erde, du liebe, ich will. Oh glaub, es bedürfte
nicht deiner Frühlinge mehr, mich dir zu gewinnen -, einer,
ach, ein einziger ist schon dem Blute zu viel.
Namenlos bin ich zu dir entschlossen, von weit her.
Immer warst du im Recht, und dein heiliger Einfall
ist der vertrauliche Tod.

Siehe, ich lebe. Woraus? Weder Kindheit noch Zukunft
werden weniger . . . . . Überzähliges Dasein
entspringt mir im Herzen.
QUERSCHLAG
  Da war doch damals eine gewöhnliche Scheune, zuerst, das ging primitiv zu, anfangs, weiß gestrichen wie ein Lazarett, darin zuerst, wenige Menschen, hineingeführt wie Kinder. Später vier große Blöcke. Menschen fließen dahin wie Wasser, unter blutarmen Bäumchen, angesichts eines verqualmten Waldes, schwere Lastwagen bringen die Menschen, niemand lehnt sich auf, alle ziehen sich brav aus, legen ordentlich ihre Kleider auf einen Haufen, merken sich die Nummer, gehn  zur Tür. Kinder spielen, ein Mädchen nimmt die Stoffpuppe mit. Hier, dieses ist ein Nachbild, ja, eine Seite Papier, nicht angesengt, keine Asche wie bei Zigarettenpapier, der Wulst Asche, Lippe grau, dünnstes Papier, manche schrieben darauf ihre Botschaften, anstatt weißen Rauch...
  Es gab auch einen Block, mit einem Puff. Und einen, wo früher getötet wurde, jetzt ein Gong, während die Nackten im "Waschraum" sind, fertig für den Himmel. Sogar ein Dichter ist mit dabei, Fondane  ist mit dabei, er wundert sich, dass er nicht friert, keine Scham empfindet, bei sovielen Frauen, die ihn sehn. Im Waschraum boxen sie. Richtige Boxkämpfe. Und Konzerte, nebenan. Und wenn sie einen normal töten, ihn aufhängen, das ist ein Luxus, da spielt die kleine Kapelle auf.
  Neben dem weißen Haus die dünne Hecke. Grün. Die Schrift: darauf "Bad" in Lettern, ganz gewöhnlich, man kann es lesen, es beruhigt. LESEN, wie sonst: Bad. Baden ist schön. Wie in Turnhallen. Auch die Kleiderhaken, lange Bänke, wie in Turnhallen zu Hause. Körperübungen, Körperkultur. Körper. Er sah die Nackten, weiß schimmerte das Fleisch, glänzte matt, die Härchen, der Flaum an der eigenen Hand, der Schreibhand, das hatte er immer angesehen, bei einer Denkpause, Schreibpause, zwischendurch, wenn er aufwachte aus dem Wegsein in Gedanken, schreibend. Und Pfeifen, und Befehle, Kommandos. Mit einem Lied auf den Lippen, man marschiert eine Runde. Er war vom Turnen befreit gewesen, immer ein wenig schwächlich. Er hatte immer nur gelesen. Bücher beruhigten, hoben alles, hoben auf. Er wußte jetzt genau, wo er war. Ob er daran glauben sollte, dass er einmal berichten müßte, Zeile für Zeile, alles, was am Ende geschehen wird, wenn es einmal gewesen sein wird, in der nächsten Minute gewesen, nachher: er ein Zeuge, dass es nicht vergessen  werden wird, was geschehen und gewesen war ...Auch wenn er es gewollt haben würde, SEHEND SCHREIBEN ZU EINER BESCHÄFTIGUNG gemacht zu haben, während es geschah, von dem alle wußten, dass  es einmal kommen mußte, nicht so für alle, schon öffnete sich die Türe, er ging, es erleben zu müssen, was hier, wenn der Satz weiter geht, unmöglich ist...

AGLIANO MIT FONDANE
Nun nicht nur Diktat/ beim Frühstück waren wir eins im Schmerz/ ein Tod der reinigte das Gespräch bei Marmelade Kaffe und Butter/ der Anruf des Vaters als Ersatz/ Du mußt Zeit haben/ die Spuren zu legen/ damit nichts vergeht/ im Nichts verschwindet.

Halt dich fest/ hier am Vers/ damit auch du nicht schon tot bist/ vergehst/ ohne es zu merken. Furchtbar der Käs/ dieses Leben.

Nachts immer die Ängste/ dass du ein Drahtgeflecht bist/ dass du Odradreck bist/ du allein bist schuld du allein leidest an dir läßt deine Liebe neben dir leiden du bist der Verbrecher der nicht umgehen kann mit dem Stoff deines Lebens der dir geschenkt wird du allein bist allein/ und betest/ tröstlich allein neben dir eine warme Hundeschnauze die Kreatur die dir das verstörte Gesicht ableckt/ Höllengefühle/ die Angst dass der Engel dich verläßt dass du nichts mehr bist als ein Stück Fleisch dass nichts mehr funkt du nichts mehr denkst nichts mehr "ein-fällt" du nicht mehr angeschlossen bist und das was du erreichen willst was du warst was du anstrebst dir verschlossen sein wird/ und du wirst nur böse. Eifersucht. Geiz. Und kannst nichts mehr schenken. Und um dich der Reichtum./ Nahmst dir vor/ wieder sanft zu sein/ kalvidan salvidan Brahma. Und ich grüße den Gott in dir.


         Nur einer vom Kommando hat es im Kopf, ein Prager, als wäre es ihm bekannt, er sah es täglich, blieb aber freilich , mußte vor der Tür bleiben, eine Eisentür, innen voller Kratzer und Blutspuren, ohne Klinke. Und jetzt sind sie alle im Bad, die Türen werden verschlossen, dachte er nur im Bild, ganz ohne jeden Satz. Sie fürchteten hier etwas auszusprechen, was wirklich war, nur Trösten und Tätscheln und die Notlügen gingen in die Sätze ein, hinein ins Weinen und Wimmern, ein Schrei, wenn das Bewußtsein von einem plötzlich alles davon durchbrach, schrecklich hell wurde, dann sagten sie, man solle sich die Kleidernummern merken, um die Kleider wieder zu finden.
  Das kleine Mädchen durfte ein Märchenbuch und seine Puppe mitnehmen ins Bad, eine Geschichte von Brüderchen und Schwesterchen, seine Oma von Tränen erstickt, tapfer im Lesen die Stimme überwunden, erstickt lesend.
   Einer sah  von oben durch die Luke;  "unser" Apotheker, sein Auge im Glas, die Brille, hatte Baruch den Brillenschleifer, früher schon, im Auge, keine geschliffene Träne, nein, ein Splitter im Auge, der da sah, als wäre es, als geschähe es; und nicht schon einer der Posthumen, der nicht ist, es beschreibt; der Kragenspiegel, da war jener, wir wissen es, mehr nicht, er wußte nichts, er sah durch die Luke Nackte, Erde aus Haut, jetzt schon, Gesichter aus dem Gewesenen; der Schrei bleibt, er bleibt, zu hören ist nichts, ein großer Berg, Leiber; wo ist er, den ich kannte, er blieb unten, und wußte wie immer, dass es vergeht, die Augen, und schloß, dass es sein muß, was geschieht, naja, Gott, was es soll, die Pyramide wuchs, oben die Stärksten, auch im Himmel, er, mit den Frauen und Kindern, die Kleinsten trugen die Pyramide; Tränen, lehmige kotige Körper, anfangs noch Worte, die sangen, und es könnten SCHRIFT  Zeilen gewesen sein, am Mund, die zogen hinauf; er staunte zuerst, dass er zitterte, Zittern? - immer gewußt, und jetzt nichts mehr, anders, ist es, anders, die Kreatur ist anders, als ER, was dort geschah; aus Filmen, wir hier auf der Zeile, wir lesen, Scham, nein, wie jener an der Luke, auch wir haben Kragenspiegel, er wäre entsetzt, dass wir da sind, nicht dort, nachher noch soviel Zeit, vergeht, und weiter; sah durch die Luke noch immer, wir aber hier, er aber und ER, nicht mehr und doch wir hier, auf der Zeile, keine geschliffene Träne, nein Splitter, wer setzt die Augen wieder zusammen, dort lehmig den Arm, darunter ein Bein, der Kopf,  die Achsel heraus, eine Brust, der Schrei bleibt, da stehts, eine Kammer, rissig Beton, grau, Blut an der Mauer, gebaut, nur Haut, sie bricht, nicht, das Auge, dann ein Summen, Hirn alle Sterne, erstickt, das steht im Kreis, dreht sich hinein in den Tunnel und steht, Stille. Das Liegen hinab. Ein Glas oben, das Auge.

Am Morgen gab ich L. die Mandelblüte. Deckte den Tisch. Mozart ein Bogenstrich der Zeit um uns. Und ich sagte/ deine Tote die Mutter ist weit/ laß sie ziehen/ ein Nebelstreif/ du mußt  ihr einen Platz anweisen/ sag es nur: wie als Kind: im Himmel/ und es ist nicht falsch/ es ist richtig und gut. Sie ist nicht unten in einem Loch/ zwei Meter tief erstickt unter der Erde/ sie ist hoch oben und leicht und sie fliegt/ such sie dort, wo du sein wirst.           

Die Liebe allein/ sie ist es jetzt/ und läßt dich und mich und sie leben.

Und schrieb gleich die Paraphrase zu Mandelstam, passend für uns, dachte ans Alter/ und Philemon, ja, das Widmungsgedicht: unser Leben:

"Die stille Freude: atmen dürfen leben/ Wem sei der Dank dafür gegeben?/ Ich soll der Gärtner soll die Blume sein./ Im Kerker Welt bin ich so nie allein./ Das Glas der Ewigkeit - behaucht:/ mein Atem meine Wärme drauf./ Die Zeichnung auf dem Glas die Schrift:/ du liest sie nicht erkennst sie nicht./ Die Trübung mag sie bald vergehn/ es bleibt die zarte Zeichnung stehn."

  Was war, das geschah, jetzt nicht, obwohl im Bild. Nie. Die Zeit. Fließt. Nicht. Nur abwesend war etwas möglich geworden: zu sehn. Ich bin nicht. Der Augen Zeuge sah, bevor es begann. Und schrieb über ihn, den  letzten, den allerletzten Dichter, im Hof vor der Baracke sei es gewesen im Oktober, am 12. Oktober 1944. Hochgeschlagen sei sein Mantelkragen gewesen, da es regnete im Hof, als wäre der Mond noch da zu sehn, denn da war sie noch verschlafen, Schlafdreck, Traumdreck im Auge, die Welt, fahl das Morgenlicht: noch gestern, jetzt  Regen, er aber, der letzte Dichter  aufrecht und fast ungerührt da; ging, stieg hinauf, Arme streckten sich ihm von oben entgegen, helfend, wozu, auf den Lastwagen, da oben, fahrend, abfahrend, abgefahren ist, was noch bisher zu sein schien, er hatte ja vorher schon alles zu Ende geschrieben, dachte es, im Bewußtsein alles getan, als ginge er dort im Hof auf der letzten Zeile, der wußte, dachte, er wisse das Nichtgeschehen, und kann nicht mehr sagen, was ich nicht weiß und er, was blieb: ist es. Umkreist, er spricht nicht, er hat es erlebt zum Ende, zu allem, für jeden, für Nichts. Was ihn traf, ist noch immer, er wüßte, gäbe es das, was wir ahnen, geprüft durch jenen Augenblick, er vergeht nicht; mehr; also die Zeit , sie liest auch jetzt, hier, wen, doch nicht dich, die so aufhört zu sein, das Auge gebrochen, schreibt es: ihres genau so, und summt in uns außerhalb weiter.
  Kreisrund war ja bisher die Mündung, Mund fast noch, kalt unter dem Mond nur, und das Sterben noch achtsam. Kreisrund aber winzig die Löcher seither, Siebe, geweitet, Loch, größer und Größer, auch die Erde so rund, drehte sich langsam hinein, nur die Kammer eckig, spitz, Risse, sie bleibt, sie steht. Oben die Luke, Glas, immer noch der Voyeur, wir am Wort, als sähe der Blick, Siebe, das fällt ja durch, die Luft, das atmet nicht mehr, schöne Luft, wie Reden, und Rhythmus damit, wer atmet, der lebt ja, und es heißt, dass da einer noch lebt, liest hier, geht auf die Zeile, der Posthume, geschrieben, geschrien als der aber schrieb, war die Zeile noch ganz, und nicht mehr, viel später darüber, hat nichts mehr; der Fall.


Ist es nicht schön/ dass diese Gegend die Poeten liebt/ dass sie verewigt einfließt hier ins Wort/ bei mir auch sie/ denk ich an Shelley/ der den Ariel hört im Westwind/ so hört er doch auch Buonarrotis Phantasie im Stein/ die Vezza rauschen/ Figur Sonett und Schmerz im Marmor weiß versenkt/ und dann herausgehoben./ Und Dante im Exil hoch oben dort im Schloß/ der schöne Name Malaspina/ sah im Tal Inferno. Das ist nicht alles: denk an jenen der auf weißem Zelter in Forte runterritt das Ufer/ wo sich schaumig jene Lippe zeigt und für ihn spricht/ für uns./ Die Pietsche knallte dort/ wie Mario mit dem Naphta stritt/ und unterlag. Langher/ als wäre Dante näher/ Montale wars mit seinen Freunden/ in Monterosso schrieb er diesen Vers über die Punta Mesco/ als Kind in ihm noch erinnert/ mit Proust Suche/ kam er jedes HJahr nach Cinqueterre/ und schrieb auf/ was er damals erlebte: So einen Vogel voller Blei der Jäger/ der fiel in ihren garten/ eine Katze ließ nur die Federn/ ein Zeichne/ der Flug ist unvernichtbar/ Passion und Opfer auch für den Vogel/ jaja der Vogel im Kopf.

Und traf sich 1909/ da war er doch  dreizehn/ als Mandelstam "Man gab mir einen Körper" schrieb. Es war noch lange vor den Schauprozessen im Winter.

Und der kleine Benjamin war gerade elf Jahre alt.





METAMORPHOSEN. METAMORFOSI

Für Hans, bei diesem Abschied
heute

GRENZEN LOS. NOTTURNO
Der Übergang als wärs
Notturno jedes Leben.
die Welt, verzittert
wie unter Wasser Jetzt ist alles, was
du sahst verschwunden, hier und dunkelt schon
der Übergang in blasser Schattenfarbe.

Hörst du Musik, du wachtest,
schliefst seit vielen Jahren deinen Tod,
jetzt ruhst du hinter jeder Form,
und Schatten/ löst  der Schein
verliert aus sich den Traum, den jedes Ding
in sich verschwingt und selber ist
berührt in mir
den Innenraum, der fließt, das
Draußen hat so ausgedient
im Duft der Transzendenz




NEIN, nicht das Hiersein üben,
was  außerhalb geschieht, bist du!

So schüttel ab
den Hirngedanken, das weiße  Haar,
streif ab den Lebensschuh,
und nimm die unsichtbaren Flügel.



GOTT ist der Tod.
Die Zukunft ist das Ende.
Verschwiegen ist, was kommt.

Was kommen wird, ein Schlaf.
Dann wird es  wirklich
Licht.

Und jene, die im anderen Leben leben
sind nach dem Schlaf des Todes
Geister Glück. Ist ganz gewiß.


ALLE  Schlachtfelder üben
das Lachen. Die Toten
befreien sich aus ihren Leibern.
Und kommen
hier zu Hause an.




Laß die, die ich liebe, mir nachsehn,
was ich hervorgebracht. Pound, Canto CXX

WAS BLEIBT NOCH VON MIR
nichts als ein Satz/ gut beziffert
hier/ aus-geschrieben von einer Hand
wie deiner

Sie ist bald  Asche
und wohltuend verbrannt
Schmerz ohne Erde
ein Hall/ ohne Laut
der Mund ohne Lippen

Kein Fall mehr
für hier/
wie es gelesen von dir/ und von mir
ohne Augen.

Nur was ich schreibe ist da
Die Feder hat mir weh getan
und rollt sich ein
die Welt ganz ungerührt
geht immer weiter.


DER AUGENBLICK HAT MICH WIEDER/ im Ohr trinkt er
die Sinne aus/ gieriges Insekt aus dem Jenseits/
kommt es hier an/ einer wie: alles ist eine
unberechenbare Welle/ von weither/ ich in ihren
Spiralen gefangen/ ohne Organe/ wie die Laute
hier/ die ihre dichten Menhire holen
kraft des Vertrauens

Mut sorgt nie aus/ der Schädel aber/ eine
hohle Schale gefüllt auf Zeit/ die sinkt
und abnimmt/ die Last/ Mut zu haben/ hier
begreifen zu wollen was ist

Feen sorgen federweiß für die Schönheit hier
Berge schweben/ und es ist Sonntag
Ja Frieden. Kinder stehen in mir auf und singen
ernste Lieder/ fröhlich als wäre es sogar Ostern heut
und ein Licht blendet aus ihren Augen die noch
Zeit haben/ als gäbe es wieder die alte Sonne obenauf

Erregt sehe ich um mich/ ein einziger Atem
zieht durch den Satz/ der die Augen verlängert (mir zu) wo die alte acedia brennt/ saß und Essig austrank zur Neige/ die Öffnung hinüber ersoffen
in Gift und Galle/ die Kinder betäubt
und hinausgeworfen aus mir.











                               DIE TOTEN DICHTER NOCH  HIER IM VERS
                              UND IN UNSEREM HYPNOTISCHEN SYSTEM




Ich bin nicht ich.
Ich bin jener,
der mich begleitet und den ich nicht sehe,
den ich manchmal  besuche
und den ich dann wieder vergesse;
der  gelassen bleibt und still ist während ich rede,
und der mir sanft vergibt wenn ich hasse;
der sich aufmacht und wandert, wenn ich innen bleibe; der  wenn ich sterbe am Leben bleibt.

(Juan Ramon Jimenez)


I miei morti che prego perché                                                                              preghino/ per me...
                                                            
                                                                         (Eugenio Montale)







                                                                 


Mein Freund, wie liest du hier noch mein Gedicht
Ich schreibe jedes Wort mit einer Wunder Lampe Aladins
der Bildschirm strahlt mir jeden Reim schon ins Gesicht
die Augen sehen grob die Worte, doch krank die Zellen,
die vom N vom E vom M vom O vom V: Wort Los getroffen sind.
Sie zählen nicht die Jahre,
verkürzen sich mit jedem Blick real.

Gefährlich setzen wir das Leben ein
für unsere Botschaft,/ die wir nicht wissen,
denn diese Diktatur
ist nichts als Explosion aus einer Tiefe
  und trifft die Silbe,
die es sagen will,
mit dem Geheimnis, dass wir sind
global und tödlich. 







                         
                                      Für Giuseppe  Ungaretti, den Toten
                                      Luccheser Emigranten
                                      auf dem Campo Santo in Pisa

Der Tod könnte nun innerhalb mächtig und groß sein
und wir auch im Leben längst die Seinen
unwissend im Wachen doch  andauernd mit ihm
im Gespräch mit ihnen
die näher zu ihm/  lebend hier fort-
gegangen:  das Gegenteil
freilich von unserem  "vergangen".

Denn "Nichts ist stummer als die seltsame Straße
wo das Blatt weder aufkommt noch fällt oder wintert
wo keinerlei Ding sich abmüht oder gefällt
wo kein Wechselspiel ist von Schlafen und Wachen."

Er hat überschritten die
Grenze ist
neu wie eine stehende Welle

Dort wartet er schon 
der Unsterbliche schläft ja
in jedem.

Auszureißen jetzt/  den menschlichen Sinn
das menschliche Auge
die Welt
als zu großes Versprechen.

(2/96)


Klein bleibt auch Baudelaires Grab in Paris
eine Grube wie ein Tor  türgroß nur wie ein
neues Kind und kinderleicht mit dem letzten Atemzug
entkommen wer nur das Loch sieht
von der Seite des Blickes vergißt jeden Ausgang
den die Opfer doch alle genommen

Einer zitierte Charles in der Kammer noch
wie ein letztes Gebet auf den Lippen schon Rauch.

Uns aber bleibt nur verspätet  widerstehen:
die Armut sie gräbt sich nach innen
nur sie erreicht noch den Ausgang
im letzten Verzicht fest zu schließen
die gierigen Lippen

Erinnert den SinnTod von damals


AMERIKA

1
Schlaflose Nacht
an Georg Trakl gedacht
das braune Auge vom Herbst
keine Sinne und nur noch laufend
der gelbe Zitronenmund
über Port-au-Prince
Schwärze und Wahnsinn
abgelegen und wie verkauft
auch die Nacht

Freiheit ist erreicht
und ungebunden an nichts
Leben dem Tode zu wie die Natur
jetzt das braune Auge vom Herbst
Grodek als es sich neigte
schon von Columbus entdeckt
und nach Europa gebracht

Zu tausendfach unter dem Deck
das Menschenfleisch und das Gold
aus dem unsre Freiheit erwuchs
ein Baum der uns langsam erschlägt
Baum des Lebens/ Baum der Erkenntnis
wer weiß, eher ein Blutbaum: Rakete
ein Phallus der sich erhob gegen Juden
Neger Frauen

2
Amerika ist wieder vorn
denk ich am Ufer von Cinqueterre
Schönheit von gestern und in mir
noch viel älteres Gift meines Lebens

Duft der weiten Welt: Weitwinkelobjektiv
aufgelöst wäre sie wäre
diese Cyberspace-Erdsimulation
der Andern: endlich erkannt

Transmutation
bisher in Mythen und Träumen

neu
ist die Entdeckung Amerikas X-files Columbus
geplatzt die Eierschale  
sprachloser Jetzt
fliegt aus dem Schlafzimmer Erde
auf

Ein neuer Kepler wartet auf uns
irgendwo in einer Heilanstalt
wartet die nähere Wahrheit
irre wie neu
die ältesten Besucher des Alls sind
Mischphänomene und eine Sonde
zwischen ihnen und uns: zeugt
ein riesiges Auge
Transwesen hinter den Masken aufgelöst
die "Welt"





                                           AKUT

Gedichte und Aphorismen



ERWACHEN

Und allein ist alles, das Ich wie es stirbt:
Du verlässt mich in jeder Sekunde
Neu/ und ich bin dann wie ein Gefühl
Und flüssiger Stein.

Allein ist allein und mit dir
Wie ein Sterben
Du die mein Ich ist
Zu zweit.


*

Was plätschert  da  um mich
Geeignet glücklich zu sein?
Das Meer ist so still
Wie der sonnige Tag
Als wär nichts geschehn

Oh das Wasser
Aus dem wir bestehn
Überflutet mich
Nur einmal im Leben
Wenn das Wasser zu
Wasser wird Erde zu Erde
Element und nichts anderes
Mehr wird.











Darüberhinaus, verschwiegen, bin ich hier,
wie der Baum sich wundert, dass er Baum heißt und blüht
unverständlicherweise ganz wortlos, denn  das Losungswort,
das er weiß, kennt den andern
Namen, nämlich sein blühendes Programm.
Und wir sind seine Waise.

Doch das Bild nah,  dein Kopf gefesselt, auch da: Glaube Inbegriff
jeder Vernunft, sie redeten mir ein, den Kopfverband, und sagten:
Genosse, die Überzeugung, nicht Glaube gilt, Nie der Gewißheit,
wir retten dich, das Ganze in letzten Sätzen, die gelten. Das christliche
Gleichnis der Liebe, dass ich nicht lache. Hinab in den Bunker, Kopf:
wehe du weichst von der Linie ab, ein Feind der in dir sitzt, der unserer ist!
Ach ja, der Punkt,  die Linie, fast Delta t, sie aber schlugen zu!




Lieblos  und leer, daraus schöpfe ich
Mut  Sowieso bald tot, und ein Wundern,
dass ich  bin, das klein geschriebene ich, wartend
ausgefüllt meine Zeit mit diesem Satz,
eine Straße die stimmt und endet gleich hier,
solange ich gehe - am Leben..

Und  es scheint doch zu sein, dass Schlafen
ein Kunststück bleibt, die Augen verklebt auch
von der Blindheit, ist es ein Geständnis,dass
der verwöhnte Körper hier ablegt: Blei wie
ein Schuß, die Lider drücken und schmerzen. Abgelgen
abgehangen und/ im Feder Bett, weißer Körper,
langer Krückstock, der jetzt in das Sterben fliegt. 
Endlich löst sie, was dir blieb, Auflösung
und nichts mehr gilt, der Kopf dröhnt, packt
mich ein, das Denken: der Motor Verzweiflung.
Wachsein war einmal gut. Wo ist sie, wo,
die Zeitdienststelle fürs Leben, fürs Himmeln,
einem, es ist lang her, wars unangenehm, nicht auf dem Kopf
gehen zu können, den Abgrund, wie bekannt: als Himmel
gespannt tiefgrau über sich. Als sähe ich den Armen von oben.


WAS DIESES dünne Blut nicht
weiß, überall
hinterlasse ich
falsche
Hoffnungen, auch mich
habe ich betrogen, liegen
gelassen durch Gefühllosigkeit,
ein Ort der Welt, wo
niemand ist/ auch ich nicht -

Bin ein Rauch,
starker Geruch in einem
Himmel, der sich verflüchtigt.
Als wäre ich schon gestorben, so müd.



Und es hätte auch zu Hause sein können, sagt er: Doch frei sind wir nur hier oben. Und dieses Oben gab es auch dort. In der Kind­heit sogar besser, noch bevor  mit dir alles geschah.
     Wo saßen wir jetzt, wo wars, ein Holztisch vielleicht, nein, ein besonderer Stoff, da drehten sich die Atome  fast sichtbar  in einem Weltmodell, um den Mund, als wäre er mit einem Eisen ver­brannt worden, sprangen die Gedanken, lautlos, wortlos, und alles schien, als wäre es ein anderes Jahrtausend. Die Schön­heit, die wir spüren, das Blenden des Lichts, Natur innen be­wegt. Unten im Hof aber gurgelt Wasser, der Gang hängt völlig in der Luft und die Treppe ist verschwunden ... Und von dort unten  ist die Internationale zu hören. "Siehst du", sagt Großvater, der aus dem tierärztlichen Instrumenten­schrank ein kunstvoll zusammengelegtes Hanfsseil holt und daraus eine Strickleiter knüpft, die er in die dunkle Tiefe hinbläßt, "siehst du,  und war es denn vielleicht besser, als die Roten kamen, die alles umkrempeln wollten Die Internationale und die russische Hymne erklangen - auf unserem  Marktplatz?!



ES GIBT STARKES UND SCHWACHES PAPIER nur gedulde ihm
die wichtigsten Zeichen sind ungeschrieben, jedes wenn es
auftaucht in der Flut der Tage trägt zum Wahn bei, dem
Tiefschlag, als gäbe es mehr.

Starkes Papier und schwache Zeichen. Todesurteile in Havanna,
in Peking, heimlich in Bukarest. Oh, süße Heimat,
das waren noch Zeiten des Verlustes des Lebens, der Freiheit
aber dienlich der Sicherheit.


DER KLEINE TOD

Einmal gab es noch Ferne und kein
Gestotter: das bin ich, der arme Satz,
der war ich bin  müd nun. Auch das Dreieck
zur Zukunft und weiter, ein Loch
der Metaphysik ist in mir lustlos
dürr geworden.
Und schrieb gestern in die "Akzente" mit Bleistift:
Schluß jetzt, Schluß, es ist genug!

Dabei wartet doch dieses Rätsel, das nur mit Schleiern mich
täglich ärgert, schlaf , mein Junge, schlaf, und träum, sagt eine,
die ich mal liebte, sagt jetzt, sagt nie.

Und ich war hier im Wort meine Einsamkeit los.
Träum nur, träum: nur so kommt er zu dir, auch wenn zwischen ihm
und deinem Ich ein uraltes Schweigen begann.

Weißt du noch, Snagov, so fad
der See, und eine gläubige Geliebte,
im Kahn mit Seerosen: vom Lieben Gott, sagte sie: so weiß wie ein
Brautkleid. Und der See war dunkler und gekräuselt
wie Schamhaar. Und kniete, 64, Ilse, ein Fischmund,
SO KÜSST SIE DAS DAMALS.

Von der Ferne wußte ich nicht viel und
glaubte an Marx. Und später an mein Fernweh:
Heute weiß ich, die Ferne ist in mir
vielleicht gestorben; noch nicht aber die Lust.

Und schreiben - warum hetzt du die Sätze,
anstatt ein bißchen zu leben.
Die einzige Chance - zu  überleben.         
           

Du über uns
außerhalb aller syntax
bist du länger da
als ich
und länger da als wir
du hast die straße nach sesam genommen:
die öffnung ein spalt zwischen
silbe und dir -
unausdenkbar alle tage
die springflut
alle zehn finger gespreizt
die beine

deine scham denkt über uns nach


*
Da wär Grasgrün
dann der Gegenlöns
vielleicht auch "Marine",
das Seestück und märkisch
die  brabbelnde Erde.

Wer hält die Zeit auf
diese Toten nie/ erst
nach ihnen   sind sie
aus dem Stand gefallen: Er -                                                                                                                                                                                       zählbar geworden.

Die schillernde Wunde -
ein Tor.



Aber gab es so etwas wie eine Rettung nach altem Maß der Erde, fiktiv wie früher - die Literatur, gegen die ich viel einzuwenden habe, loszusagen von ihr, wäre an der Zeit über Gebühr, um das, was sie nur sagen und träumen konnte: wirklich zu leben, es wäre so eine Probe: nach dem Tode: das eigentliche Leben, weil sie die Oberfläche durchbricht, schon "dahinter­kommt", so eine Grenze fühlbar wird, zwischen dem, was wir sehen können und dem, was wir erhoffen, ja, im  Eindruck sprachlos ahnen, doch in uns liegen bleibt wie Fotonegative, die erst vom Bewußtsein entwickelt werden müssen, um  uns zu bleiben, sonst gehen sie verloren; es ist also mit den Sinnen, der Wahrnehmung aufgenommene Nuance, wie sie in Gedichten mitgeteilt werden kann durch ihre Mittel der sich selbst durchdringenden Grenzlinien und Differenzen des Vergleiches, so dieses Gefühl der Hitze in dieser Bucht, der flimmernden Luft, der Agaven:
Cinque terre


Alltagswissen, diesen ganzen flachen Umgang setzen, so dass wir anstatt Sekunden der wahren Empfindung der Dichte und Undurchdringlichkeit

zu leben, diese täglich bis zum Tode versäumen, jeden Moment uns selbst und jenem Zwischen­raum, der schon an jenes Tor in die andere Zone reicht, entfremden, kon­ventionelle

Mißmutes und des Haßes, meilenweit
vom uns umgebenden Reichtum entfernt.



Nur sich einlassen können
in dieses Glitzern, jetzt
das lange, vertane Zeit aber ist gewonnen.

Das Unglück des Zeitunglesens
Das nützliche Lesen - es
spiegelt diese Welt.

Sich vertiefen können,
ist anders,
und war längst schon gewesen
eine andere Hirnspur.

Und du siehst wieder den Engel
hinter dem Papier deiner Augen.

Andere Verbindungen, andere Wege
und Augenkünste
als die
schlagenden.

Aber der Blick jetzt in das Meer
ganz nahe am Rande der Reling,
gibt gegen die Zeit
Gewissheit.


Er erlebt den befreiten innern Sinn Kants als kaum ausdrückbaren Bewußtseins-Lebensprozeß, das  von der Ein­bil­dungskraft oder dem reinen Selbstbezug des Ich vorausentworfene "Zugleichsein" , das insoweit viel­leicht  ein "Regressus"  ist, als es dieses Bewußtsein der Einheit tatsächlich ( bis zu Dantes Zeit) einmal gegeben hat, aber im "zeitlosen" Unbewußten bei allen Lebenden auch heute noch vorhanden  ist.






POIESIS
Ein toskanisch-transsylvanisches Projekt






RÜCKFAHRT
  für Dich

Schnee  setzt sich an
drüben an Herzwänden noch ein Turm,
dahinter Entfernung.
Du, an der Grenze
wie ein Gepäckstück am Zoll:
wenn die Fahrt nur eine, die Richtung
zum Tod ist. Kein Maß
kennt die Rückfahrt -
denn die Karte,  auf die ich alles gesetzt,
die Karte am Rande, wo niemand mehr ist,
bist du.


1969/1996



Agliano, Lucca, 30. Mai. Eine Stunde später waren wir "zu Hause" in unserer Fremde; das Grün und Weiß auf den Feldern, die blaue Luft­kugel des Südens über mir, Kirschen blühn, Knospen platzen, überall dicker Samengeruch in der Luft; Weiße, weißer Fleck, das Unbetretene, das nicht besetzt werden darf; alles nur ein Zeichen. Sie feiern auch hier, was zu erwarten war,  den längst schon geschehenen Einbruch: Pfing­sten; auch für mich ist es kein Fest mehr, und doch Sonntag. Auf den Feldern Feuer und Rauchgeruch.Draußen vor dem Fenster ein Ave Ma­ria und  Vogelgezwitscher; wie einst im Mai. Die zu Ton und Form gewordenen Gefühle zeigen  noch ei­nen Weg. Im Auge viel Grün: italienische Kastanien; und die Zeilen  hier wie die Reihen der Reben.

ICH SEH IM FENSTER diese Landschaft
Berg und Tal das Meer die Bäume rauschen
vergehen auf der Taste
im schwarzen Hintergrund  stürz ich hinein.

Ein Laut aus der Idylle Glocken  talwärts
frischer Morgen Autohupen Bellen                
aufgedreht der Schirm

Stille hinter dem Tal es fiel mir auf
dass jener den ich denke fehlt
Einsetzender Sturm in den Geräuschen
Abwesenheit und denke ihn in mir gefangen
nichts als ein Echo der Gedanke er ohne den
das Tal nicht ist im Auge nur der Schein
zurück geblieben

Was ist sein Grund im Blätterrascheln
den Sonnenflecken dort im Wald als Kind:
die Morgenschrift
auf einer Blauen Tasse Nußbaum im Sand
mit nackten Füßen stieß ich an
das Taugras
                                                                         eine Nuß.
Der Ausschnitt ist in mir im Wirklichen
vergangen

Hast du hab ich
dich aus dem Grund dem Feld verlassen
dich oder mich so gehen lassen als Reim gelegt
als letztes Zeichen noch die Strafe Hochmut
und alles neu zu sehn zu machen
was so ist wie es war
du Herz der Katastrophe rotes Wehr



SAGT EIN CHINESE der
ich nicht Bein genug hab
die Distanz von neuem
zu schaffen

Kruder schreibt ihr was ist
auf Bruder im Geiste schon himmelnd
"Memento Saecuritate" einer
der den Leu hat nicht Niembsch
ein Nein jetzt nachher: Banal Banat
wie du ausharrst geschlagener
Bruder und lebst ganz
verändert
aber noch DA

Und was vor dreißg Jahren schon
einmal Es war so
roher Beginn der Märchen
den Kopf aller kosten
kann.

MEER-UND TAGEBUCHGEDICHTE:

Viareggio7.9./8.9. 2009

Der Sonnen Aufgang ist hier wie der erste Morgen /der ohne mich war / wiederholt nun zum unendlichen Mal den Anfang./ Und es wird mir gesagt, dass ich bewusst diese Strahlen des Anfangs aufnehmen soll / zulassen das was IST./ Und nur so leben kann.  Als Krücke  das Schreiben, um es zu können.Zwei Fischer wie Monster und Marsmenschen / gehen nach Hause
und reden die Menschensprache. Die Kutter und Boote kehren heim vom Nachtfang. Mototrengeräusche und das milde Wasser um mich. Ich sitze am Bug der Frasquita und lass mir sagen / während kleine Fische am Ankerseil knabbern, ihren weissen Bauch blitzend zeigen, ich dauernd an eine Kollegin, die grossen Erfolg hat, denken muss / und vor mir der schöne Scherenschnitt der Alpi Apuane sind in ganzer Pracht Länge und sich hinzieht / auch unser Pedona Berg  / darunter Agliano / unsichtbar hier / so fern wie mein Leben - / es wird mir also gesagt  / in Fünfjahrestakten vergeht / dein Leben / immer schneller / und jetzt vielleicht noch zwei Mal  der Jahrestakt. / Ich zog  nämlich die gelbe Wetterjacke an / ein Geschenk zum Siebzigsten / eben war: / Fünfundiebzig / und bald geht die Sonne nicht mehr auf / diese Schreibhand ist nichts / als Asche.

8.09.09 auf dem Boot in Palmaria.


9.09. Und dann genießt man auch / den Morgen. Die Welt, den Wind, den Möwenschrei.
Das Ufer/ Vertrauen, die Erde / auch wenn sie einmal hart dunkel und tief mit lauter Wurzeln und Würmern  / sein wird. / Alles Illusion, was ich sehe? Das Schöne?/ Oder ist es Gottes Rücklicht, / bevor er sich wieder aus dem Staub und zu Staub / gemacht hat?

Scham.
Worte sind nicht da / für diesen Wind, diese kleinen Wellen, gekräuselt/ kommen sie auf das Boot / sanft zu. / Nicht ist es / ein Nichts / gehn sie
das Wort "Welle" "klein" oder " sanft" an / außer dass sie durch mich gegangen mein Auge sie sah / ein Wesen / bald Nichts / doch jetzt noch dieses Bild:/ Portovenere wie ein Seeräubernest / der Berg über ihm wie ein grosses liegendes Tier /die Boote /eines blau neben mir / und nah das Land.
Doch sinnlos sind diese Sätze / nur was ich jetzt an Sehglück empfinde zählt /

9.09. Weiter abgeschrieben Tb.
Verloren abgeschr. 7.07.09

Immer wieder die Entscheidung / von hier weg zuziehen / nur noch Zeile! / Alles-Eins leben / Traum-Regression (Delta) / Toleranz wo alles hoch kommt / Worte sprudeln den Jungbrunnen / alt an.


29.09. Für Natascha:
 
Kindernachmittag ( nach Benn)
Kindermittag das Summen / Bach Libellen / und der Hahn. / Der Hang schräg / seine  Blume in das Licht, mein Mittag. Der mit Heuduft kitzelt / Und keine Zeit vergeht / in den Gedichen von Albert / in die Kokel getaucht / draussen im Flimmern vom Mühlnham./  Was noch ist / heisser Stein / beim Barfussgehn / als wärs dem Jud schon längst geschehn / und ich in ihm  / nur noch den Tod geortet.

Und höre / dass an jenem Tag  / in  Alisch wir den roten / Ikarus mit Roth in einen Kinderhimmel fliegen liessen. / Lauro de Boris liess zu gleicher Zeit /vom Himmel seine Blätter regnen auf Rom. / Und suchte mit seiner Maschine den Tod / einfach durch  Schrift. Ewige Stadt / so gegen zwölf Uhr Mittags.

Und Flug um Flug  entthront die Wand / und Grenze ruft / die Zeilen fest geschlossen. / Regress ist Freitod / stürz in die Erinnerung / das Heu bin ich / Sein Duft ist meine Nase.
Was aber ist die blöde Kunst / die nicht berührt / Herr Benn.
La vita non mi è più / Arrestata in fondo alla gola / Che mia roccia di gridi. / Ungaretti der Luccheser.



Tarahumara von Michaux / von Artaud,. / Und Hin fahren / wie hin richten / “Wir aber wehn / Agartisch ist die Flut.”
Und Auferstehung hier / morgen ist wieder Ostern : Und gestern Gesu morto / C. hat das Öl im Wasser gezündet / Badia. Und heute ist Nebel.

Wir warten im Assozieren / auf eine lebensverändern / Visison. / Thyrhenisches Meer. Ein frevelhaftes Blau. / Was ist das Horizontale / Gewerbe / und Gewebe im Onienschlingenwald / Torre die Lago / ungotisch, ja. Latein (+ wie Amerika) und gar nicht in der Schule. / Festa und KPI im Tanz und  Dröhnen / dort am neuen Hafen / doch Ohr- Pfeifen / weil ich ein Deutcher bin
Und Wasser hebräisch hiesse: MEM, wie würzig.

Meer / Meer noch mehr / und Immer-Meer / Vision  am Wasser / waschen / weiß
wie Linnen / Waschblau am Trog / das wars / noch klein / und nach gezogen
der Hof / Erinnerung ans Regenfass / nass der Kindersommen. Als käme er wieder ./ Und immer sei es.

31.0.3. 86.
Dichternebel. In Sassi zu  Rudolf Borchhardts Hütte.
Parks und Häuser mit Balkonen, eine lange gewundene Strasse. Und die zwei Verrückten in einer Bar / Trattoria. Und die Kapelle Ariosts.  Doch heute anstatt Dichter / Dichtr Nebel. (Titel: Dichternebel) Und du suchst mir die Praxisfrau / die dir alles  abscneidet. Eine sogenannte Blöde Kuh./  Die dich lächerlichmacht und reizt  bis ufs Blut./ Auch wenn du mehr weisst, warum wir da sind!

Ariost / der sich verstecken wollte / Im Buch / mit der Fiktion / idyllischer Sohn / ti me piace abitar  la mia contrada. Questa mi basta. /  War in Ferrara in die Garfagnana zu Fuß gekommen / vom Hofe der D´Este. Und Kardinal Hyppolyt. Schrieb den Orlando Furioso zehn Jahre lang von 1431-41
Und korrigierte daran / ein ganzes Leben lang. Ging in Hausschuhen fast bis nach Modena / in Gedanken versunken /eben.  Und merkte dieses erst auf halbm Weg. / Mit ihm endet die Remnaissance / er wird Samncheo Pansa. E ist nicht mhr der Edle Rtter. /Er ist nichts mehr. /Er ist di Indifferenz. / bEr ist die innere Zerrissenheit / dann die Wirklichkeit / War zu mnichts mehr gut / wie ich / damals auch. / Nur noch die Zeile galt.

9.4. Tod von Helmuth Hoffmann. (27.28.3.)
Er hat sein Lebenswerk /über Nostradamus bendet/ sollte am 14.2. nach Deutschland fahren, es verlegen. Dann wurde er krank. Das Lebenswerk / blieb liegen / denn  am 28. März starb er.
Tuschka / seine
Bremer Frundin aber starb schon  1978.

Was ich da erinnern kann / auch den Kriegsblindebn Freund. In ihrem Garten. Ihre medialen Stimmen / aufgenommen. Viele Kassetten.
Nun sind sie ein halbes Jahrhundert tot.


Seit Schmitts und Nataschas Besuch (März) Immer wieder das neue Projekt Keine Tausendundeine Nacht. Gespräcsrunde wie im Bocaccio.

Frasquita-Reise mit JP. 3. Juli. Abfahrt Livorno-Bastia. Dann Bus bis Porto Vecchio. Muffig. Will gar nich da sein. Wut auf J. Und das Boot gar nicht haben  und bezahlen wollen.
4.Juli. Campoloro, Solenzara. Segelnd.
6./7,  (. Rondinara.

Rein Kommen wieder. Sanftheit des Stranbdes /rücklüufig die Lagune aus Kufrassspuren / Duft / Ein Kalb das vor Schreck da durchwatet / und Geister  schaun zu / Ein Jahr ist vergangen  / und ir sind schwächer geworden.

Und komme noicht rein. Kin Funken mehr. So verpufft die Tagesenergei, verpufft der in mir angesammelte sanfte Morgen. Nicjhts in mir.

Plötzlich gepackt von Benn-Lektpre. Als habe er diese Stimmen ganz ordinär lyrisch verarebietet.

Ein Ort / p. Kein durchlöchertes Auge.articipation  mystique / aber zu nahe mnicht animistisches Gewisper / sonst bst du un bestimmt / verpasst den Anschluss Iim Reinen Blatt / mer Liebe / und das Smaragd s Wassers nur fad /wie geist-los. / Und die Hitze brenneder Sand / an derFußsohle / im Sand / suchst du vergeblich seinen Sinn./ In dir die Ferne Hand könnte beschädigt sein. / Doch das Boot enthält ihn, jenen / hier gebliebenen niederen Herrebh allein Ziet umrundet dein Leben / musst sie ihm geben / dann kommst du hinein!  /  Saugst aus der Spröde des Unglaubwürduigen ein / das Lachhafte sogar: in dieser Magina, es tröstet / und  Gott blitzt.


Gelbe Blume am Strand /  seh es nicht mehr

DAS VERGEHEN, IST SEIN VERGEHEN, VERGEHEN DES HERREN


Auch ein Klaglied zu sein im Mund der Geliebten, ist herrlich,
Denn das Gemeine geht klanglos zum Orkus hinab
,  kann das Gedicht
sogar Tun /was geschieht, nicht nur hier zu überleben / durstig nach dem Einen / bist du das „Gemeine“ nie,  es muss  HIERSEIN und klingen / das Netz Indras, König der Götter endlos in alle Richtungen /Fischer Netz Gottes gar / und in jedem Knoten ein funkelnder Edelstein / sich gegenseitig spiegelnd, Meer mehr Meerestropfen Meer unendlich ist ein Ja:  Varuna  Wassergott. / Jeder Teil des Ganzen ist das Ganze, Leibnizmonade, kosmische Holographie, Inter-Net / durstig und Turstig sags / sich grenzenlos überlagern / interconnected.

 Freunde, fangt es mir /im Kunst Netz / als  Netzkunst ein. / Wenn wir Glück haben / wird Er dabei sein. Mit Sinn in den Sinnen:









WENN DANN Entfernungen
zusammenbrechen
Summen der Bienen
wie Menschenstimmen
die Worte endlich sich
  entkleiden
berührt die Nähe fern
entfernter war es noch nie

Das Maß setzt
nach dem Herzschlag
dein Wächter
du warst es schon immer steh auf
und geh - in der letzten
Entfernung dort wo
geheim dein Herz  ist

Und das Gesetz das  du kennst
laß hier getrost zurück
so bleibt die Zeile
scharf die du heimlich
gedacht
verwandelt in eine Blume
innen gewachsen
hinaus über den Schein
der das Leben ist
und kehrst getrost noch
heim und zurück.

 
  Wer allein ist, liest, liest eher, ist konzentriert. "Lesen, was nie geschrieben wurde".  Oder etwas, was mir schon lange im Kopf herum-geht, mich bedrängt: "Nur die Zukunft hat   Entwickler zur Verfügung, die stark genug sind, um das Bild mit al­len Details zum Vorschein kommen zu lassen." (Walter Benjamin). Herausstellen, was durch Geschichtsschreibung und Mündlichkeit verdeckt wurde.  Wie kurz vor dem Er­wachen.  Wie zwischen Leben und Tod, Heraufkommen von BILDERN. Denn wäh­rend die Beziehung der Gegenwart zur Vergangenheit eine rein zeitliche ist, ist die des Gewesenen zum Jetzt nicht zeitlicher, sondern bildlicher Natur. Gewesen- Verwesen, also den Zerfall und den Abschied sehen können, das aber wäre die reine Unmöglich­keit... Wir erfahren sie täglich. Ich lese weiter in mehreren Büchern gleichzeitig, die vor mir aufgeschlagen liegen: "Das Staunen  darüber, dass die Dinge die wir erleben, im zwanzigsten Jahrhundert `noch`möglich sind, ist kein philosophisches," heißt es bei Walter Benjamin:" Es steht nicht am Anfang einer Erkenntnis, es sei denn der, dass die Vorstellung von Geschichte, aus der er stammt, nicht zu halten ist."




GESICHTER DER GESICHTER
Zoran Musics Selbstporträt ( in Dachau)

Gesichter der Gesichter
sind ein Fenster aus dem Nichts
die vielen Toten haben sich verwandelt
sie sind hineingehauen hier ins Fleisch
als wäre es  Christus der schon schwarz
in einem Rahmen steht

Was habt ihr mir gesungen Herz
die Totenopfer die nicht sterben können
sie haben wieder Mut:
sie stehn hier auf in neuem Grau
die Asche leuchtet rot im Licht
die innere Glut  sie schlägt
darunter Kohle
das Gesicht-  Kontur.

6./23. Januar 95


Die Ferne geholt
und zur Nähe gemacht:
und Music klingt
die Kindheit, verstört,.
und angemacht.


WIR ABER SIND NICHT DIE LETZTEN
Music`  Dachau-Zeichnung in meinem Haus 

Wie es da wüchse
              das Gras
wie schön wäre  Gras wie gut
und sanft wäre Gras
wüchse es aus seiner Brust

Kein Schrei. Nein  es ist
ein Mundvoll Ersticken
verboten von ihnen das Recht
auch nur Atem zu holen

Er atmet noch einmal röchelt
den letzten Rest Welt ein
zum Schrei schon zu schwach
richtet der Schmerz ihn  noch auf
hintenüber als fiele er
in den stolzen aufrechten Gang.

Geh nicht fort geh schau ihn dir an
kein Kreuz ist zu sehn doch der Mord
und unsichtbar der Mensch diese Bestie

Wir leben  im Irrsinn wir
leben noch, atmen

Wie jeder unserer Schritte und Sekunden ins Nimmer Meer geht, so ist auch sie aufgebrochen in eine Ungewissheit, die alles offen läßt, die Gewissheit, müßte mich verlassen, dass alles so gewesen ist, wie es tatsächlich war, ich lese es und es läßt mich bestürzt zurück, doch nir­gends gibt es einen völlig unbetretener Boden, alles was ich schreibe ist schon ein beschriebenes Blatt. "Mir bleibt nur noch, mich rückwärts zu wenden, denn gestern/ war ich noch hier."



   


ABSENZ  UND NIE
                           DAS EBENBILDLICHE NACH AUSCHWITZ AM RAND

Für Edmund Jabès


 

„Erinnerung an Paul Celan

An jenem Tag. Dem letzten. Paul Celan bei mir. Sitzend an dem Platz, den nun meine Augen lang festhalten.

Worte, aus der Nähe gewechselt. Seine Stimme? Sanft, die meiste Zeit. Und gleichwohl ist es, heute, nicht sie, die ich vernehme, sondern das Schweigen. Nicht ihn sehe ich, sondern die Leere, dies vielleicht deshalb, weil wir beide an jenem Tag, ohne es zu wissen, grausam in uns selbst zugang waren.
 
Quelle: Edmond Jabès, Dans la double dépendance du dit (Le Livre des marges, II), Editions Fata Morgana, Montpellier 1984.
« Alle Dichter sind Juden » ( Marina Zwetajewa)

Jabès Prinzip der Ähnlichkeit, der Wahlverwandtschaft,  des Ebenbildlichseins, es Ist das nicht gestört. Zerstört  worden durch die Todesfabrik des Gleichmachens, der Nummern, des Ab-Falls? Es ist sein Ausgangspunkt der „Absenz“ und Leere. War nicht jetzt erst Körper und Zeit in ihrer Zerstörungskraft tief beunruhigend in die Geschichte getreten!
Wurde Kant mitvergast? Bei ihm war noch fast alles zeremoniell geregelt. Denn schon bei ihm diese tiefe Angst vor der ZEIT.Die Zeit als Phäno­men hatte für Kant etwas Beunruhigendes, Gespenstisches, da er seinen Geist von einem anderen Reich her, aber als Gefangener, bestimmt sah. Er sah sich fremd  hinter einer Wand der Sinne steht, und der Art, wie er und alle Menschen gezwungenermaßen sehen müssen, ausgesetzt. Er war einer­seits  ein Kind seiner Zeit, so dass er an die "Kontinuität", also auch an den Zwang der Uhrzeit glaubte, andererseits aber gab es für ihn viel Wichtige­res, so: "die Bestim­mung seines Daseins nur in der Form des inneren Sin­nes": "Das Bewusstsein seiner selbst und die Identität der Person beruht auf dem innern Sinn. Der innere Sinn aber bleibt doch auch noch ohne den Körper, weil der Körper kein Princip des Lebens ist, also auch die Persönlichkeit." Fremd, weil der Mensch nach Kant eine Art Ebenbild  des "höchsten Gutes", des "Einen" sei. Dieser "innere Sinn" aber gehe über die Alltags­welt der Sinne weit hinaus, da schon wegen des Voranrückens von Zeit in den Außeneindrücken eine Erfahrung überhaupt nur möglich sei, wenn  "Zusammenhang" oder "Einheit" unseres Bewusstseins als "Gewusste" und zugleich Wissende, also Verstehen da ist.[7]  "Einheit der Apperzeption (oder des Bewusstseins)." "Einheit der Synthesis in der Mannigfaltigkeit" nannte Kant diesen Kernpunkt seiner Philosophie. Wir sind sozusagen "Ge­wusste" und zugleich Wissende. Diese "Selbstunterscheidung" ist nach Kant aber "schlechterdings unmöglich zu erklären, obwohl ... ein unbezweifelbares Faktum ... (sie) zeigt ... ein über alle Sin­nenan­schauung ... weit erhabenes Vermögen an ... den Grund der Mög­lichkeit eines Verstandes."[8] Das Zauberwort dieses Vermögens heißt "synthetische Urteile" oder die berühmte "Einheit der  Synthe­sis in der Mannigfaltigkeit", was am be­sten die Mathematik, die  Zahl leiste, aber auch ein Begriff. Nun  ist die Zahl das Substrat oder Subjekt der nicht wahrnehmbaren Zeit, die zur Unendlichkeit ge­hört, also zu einer un­durchschaubaren Einheit eben jenes Einen und höchsten Gutes, dessen Spiegel auch der Mensch ist. Es geht eigent­lich nur um die erwähnte Teil-Habe am "Einen", um das Gotteseben­bildli­che in uns, das jedoch nicht zum Zu­ge kommen kann, weil wir uns selbst fremd sind, genau wie die Dinge uns  fremd blei­ben, als in den Körper Gefallene unbekannt bleiben müssen, solange wir nur ge­trennte Körper sehen, eine Art Sün­denfall, weil wir im Körper und unse­ren Sinnen gefan­gen sind. Carl Friedrich von Weiz­säcker hat das sehr schön am Be­ispiel der heutigen Theorie der Phy­sik, der Quantentheorie gedeutet, die von Kants Denken gelernt hat: Die von uns sinnlich wahrgenommene Vielheit der Dinge - so Carl Friedrich von Weizsäcker - sei "letztlich nicht wahr." Isolierte Ob­jekte bedeuten nur "mangelnde Kenntnis der Kohä­renz ...der Wirk­lichkeit.  Wenn es überhaupt eine letzte Wirklichkeit gibt, so ist sie Einheit. Vom Stand­punkt dieser Einheit aus gesehen ... sind die Objekte nur Objekte für end­liche Subjekte (d.h. für Sub­jekte, denen gewis­ses mögliches Wissen fehlt)... (d.h. sie sind indi­viduelle See­len unter den Bedingungen der Kör­perlichkeit)."[9]

 

Die Weisse Gegend also, und die Heimkehr ist stets ein Weisses Blatt. Absenz:


Jabès: „Das Werk ist niemals vollendet. Es belässt uns in dem Unvollendeten, worin wir sterben. Dieser weiße Anteil ist es, den wir nicht belehnen, sondern anzunehmen haben. Wo wir heimisch werden müssen. Anzuerkennen: die Leere, das Nichts, die Weiße. Was wir auch schaffen, es liegt hinter uns. Heute bin ich - erneut - in dieser Weiße, ohne Worte, ohne Wörter, ohne Gesten. Was noch zu vollenden bleibt, ist stets nur das, was sich gern vollendet gibt: die Wüste, in die unsre Ohnmacht uns zurückweichen läßt. Sich einreden, dass das Ende - der gesuchte Schluß unmöglich ist. Trost für die meisten unter uns, gewiß. Not jener Irrgänger, die vom Unbekannten behext sind.

Grenzen, überschritten in ihren Grenzen: unsere Alltäglichkeit.
Die äußersten Enden werden uns stets verborgen bleiben.”

[Edmond Jabès, Das kleine unverdächtige Buch der Subversion]  





Edmund Jabès


 Nahe Ferne

“Ein Wort, mit all seinem Grün, geht in sich, verpflanzt sich, folg ihm.”

Paul Celan (Schneepart)

Und wenn die Entfernung ihre Stufen hätte; die Nähe ihre Grenzen?

Es gibt in Sachen Literatur zwei Arten von Entdeckungen zu machen: das fertige Werk in seiner ganzen Unfertigkeit - vorgetrieben, kraft seiner Unfertigkeit, bis in sein unausweichliches Extrem, sowie das Werk, das seine immer wieder aufgeschobne Fertigstellung nur halbwegs erreicht hat: beide haben sie mein Interesse; das eine wegen des von ihm zurückgelegten Wegs, das andre wegen des von ihm zurückzulegenden Wegs.

So manche Zitate von Autoren, mit denen ich Umgang hatte, so manche von Tag zu Tag verfasste Notizen ruhen in meinen Schachteln.

Es gibt die paar wenigen Schriftsteller, Denker, Träumer, Dichter, die mir die Augen geöffnet haben, und es gibt, im Nachgang zu ihnen, jene, die es mir ermöglichten, die Augen offenzuhalten. Es gibt solche, die ich unentwegt begierig lese, und andre, die ich nur bei Gelegenheit vornehme. Junge Wortkünstler, denen ich mich angenähert habe in den letzten Jahren, oder ältere Autoren, von denen ich allmählich abgerückt bin.

Das geteilte Wort ist immer neu.

“Unser Blut als Belag für diesen Spiegel: schreiben.”

Jacques Dupin (Dehors)

“Linien und Linien, weiss, die Weite nahm die Augen ein.”

Emmanuel Hocquard (Album d’images de la villa Harris)

“Die Stimme hinter dieser Maske müsste man nachahmen... Und das Gesicht eines andern müsste man bändigen.”

Gérard Macé (Leçon de chinois)

“So ist nun der Augenblick für mein Selbstbildnis gekommen.”

Jacques Roubaud

“Es gibt nichts Geschriebnes
das die Zeit nicht verunklärt.”

Jean Laude (Le dict de Cassandre)

Blick des Buchs: Blick unsrer geschlossnen Augen.




                                                             TODTNAUBERG


Für Paul Celan
Aus ihm lesen Augen
Wimpern im Wasser unter der Haut
die Zeile lang wie das Samentelegramm in
uns und entzogen die Vor-Schrift
gelesen vom Baum der wie ein Schatten entstand.

Wortlos gehaucht
mein Haus.





Aber es verbindet sich ja nun die Zeit in einem einzigen Punkt, alles fliesst zusammen, und manchmal glaub ich, verrückt zu werden. Begann jetzt nicht das Schönste, ich mit der Karte auf den Knien, die Linke in deiner Rechten, ab nach Todtnauberg. Und leitet dich über Breisach, Freiburg, Kirchenzarten. Und diese Landschaft des Südschwarzwaldes um uns, eine Himmelslandschaft mit Almen, Tannenwäldern. Nebel. Regen, nur manchmal kam die Sonne durch und beleuchtete fast geisterhaft-ausserweltlich die Höhen. Und ich erzählte dir die Geschichte von Celan und Heidegger und ihrem gescheiterten Treffen in Todnauberg.


Mit einem Geschenk, einer Art Saunabürste verließen wir das gastliche Haus „Enzian“. Für immer? Stiegen ins Auto und fuhren zur Heideggerhütte. Du hattest dich erkundigt, bis nach O. braucht man nur eine Stunde und zehn Minuten. Es war neun, halb elf mussten wir abfahren. Also anderthalb Stunden Heidegger. Auf dem großen Parkplatz stellten wir das Auto ab, gingen zu Fuß weiter auf dem beschilderten Heideggerweg. Eine herrliche Aussicht über Wolken und Berge hin bis zu den Vogesen. Der Pfad war unser Liebespfad, Hand in Hand immer, und der Abschied drängte uns zusammen, als könnten wir ineinander eintauchen, immer wieder blieben wir stehen, um uns zu streicheln und zu küssen.
Und dann juckte uns der Hafer als wir an einer Bank und einem Hinweisschild mit Heideggerbild und ein Bild seiner Elfriede vorbeikamen. Ich hinterließ mit deinem Lippenstift  die denkwürdige Inschrift auf dem Heideggerhinweisschild: „Du schreibst – wir leben das Sein!“
Und lachten, lachten, lachten. Mokierten uns über ihn, der da stand mit komischem Hut, auf den Wanderstab gestützt, visionär weit in die Ferne blickend! Und treu seine Gattin mit ähnlichem Blick daneben.
Und dazu sein Gedicht über das Land hier:

Wälder lagern
Bäche stürzen
Felsen dauern
Regen rinnt.

Fluren warten
Brunnen quellen
Winde wohnen
Segen sinnt.
Wir gingen zu weit auf diesem Pfad, eine Art via dell amore! Suchten überall die Hütte, in jedem Transformatorenhäuschen, jeder Heuhütte, Almenhüttchen. Ich filmte mit persiflierendem lachendem und rufendem Kommentar alles. Und wir fanden dann die umgestürzte Tafel, das Hinweisschild zur echten Heideggerhütte, der legendären. Ja, da war sie. Mein Gott, ein popeliger armseliger Schuppen, ein Jägerhüttchen  war das mit geschmacklosen grünen Farben, einem winzigen Vorplatz mit Bäumchen, naja wenigstens der Schwengelbrunnen mit fließendem Gebirgsquellwasser war urig und echt, an dem sich auch der Meister mit unnachahmlicher Pose hatte fotografieren lassen. Und hier also soll der größte Teil seines großen Werkes entstanden sein? Hier sollte man vor Ehrfurcht niederknien? War auch  der pathetische Celan hier vor Ehrfurcht gestorben, nein, der eben nicht, und hatte sich nur im Hüttenbuch, wo sich ja große Namen verewigt hatten, eben auch Nazis,  eingetragen, woraus dann sein Gedicht „Todtnauberg“ entstanden war. Und am Brunnen fielen mir seine Zeile ein: „Arnika, Augentrost, der/ Trunk aus dem Brunnen mit dem Sternwürfel drauf.// In der Hütte..“
Celan war 1967 hier gewesen und dieser Besuch hatte seine Spuren auch in uns hinterlassen… Es hieß ja, dass Celans Gedicht „Todtnauberg – das Gedicht einer epochalen Begegnung, das Beschwören einer Hoffnung, ein Bekenntnis, welches einen Welthorizont aufreißt …“ sei, so der Augenzeuge und Celan-Freund Gerhart Baumann: „Dieses Gedicht, eine unbedingte Forderung, ein unerhörter Anspruch … Stimme zu einem benennbaren Du… musste auf ein ´ungesäumt kommendes´ Wort pochen, auf das Geständnis eines unsühnbaren Irrtums, einer Schuld …“


 Und hätte ich jetzt mein Gedicht, den beiden Kontrahenten, dem Juden und dem ehemaligen Nazirektor gewidmet, vorlesen sollen? Ich dachte nicht daran, ich hatte es aber mit dabei. Und eigentlich fehlte jetzt etwas hier, nämlich der Heidegger-Celan-Spaziergang im  nahen Hochmoor von Horbach.
Und ich hatte mir vorgestellt, dass unsere Liebe, unser Liebesflüstern hier wie ein Blitz alles reinigen könnte, vor allem die Sprache. War ich     größenwahnsinnig oder fühlte ich diese Reinigung so stark,  weil unsere Liebe bis in den Himmel reichte? Und ich hatte das Gedicht DIR gewidmet. Und das ging so:

1

Hol dich ein in der Hütte mit dem Dichter/ und dem Denker
der stumm Nichts wissen wollte vom Unheil

Der Dichter aber
Ein Jude war so spät
unterwegs zur Sprache geworden …

Von der ermordeten Mutter
Und forderte auf den Deutschen
in der Hütte:  Bekenne was wahr ist!

Braun das verwelkende Laub des Vergangenen
Herbst/ Herbstzeitlosen fehlende Jahre/ Jahrtausende
Nass die Sekunde

Und wo endet die Tiefe des stehenden Wassers
Auf der anderen Seite der Erde?
Welch ein Boden und Grund will jetzt noch ein Zuhause

Rund und nie gespalten in eine Antwort?
„Heimruf gefangener Sehnsucht
uns: Wohnen und Wandern“?

So sagte der Denker schweigend betroffen
Im Nie gibt es kein Blut.

Langher und gesammelte Rede des Rektors
Zeit seit Sein und Zeit
Vom „kommenden Wort“?

Dachten wir beide hier auch an ein Nachhausekommen? Ja, wir wussten es, zusammen sind wir zu Hause.
Und sagten es uns immer wieder, immer wieder, dass es ein Heimkommen ist!

2
Ja sie trafen sich spät in der Hütte
Jede Begegnung ist/ zu Verlass/ DA
Und welch eine Verschränkung JETZT
Lässigkeit/ Ja 
Zuverlässigkeit und ewig  das
Unberechenbare  in EINEM

Langher und heute: Du lebst und ich lebe 
Aufgebrochen
Sind alle Generationen Liebste
in uns.

Jede Begegnung bricht auf
Das Gesicht zur Rede die Worte zu
Den Augen/ der Dichter mochte den Fernsprecher nicht.

Und uns die wir bisher nur unsere Stimmen kannten
trifft der Blitz von jetzt und von immer die Liebe
wenn wir uns in die Augen schauen.

Oh Geliebte dieses Runde Verwelkte
Das Hochmoor von je – Nie
Wären wir uns so spät begegnet …
Nie. Wären die Mörder nicht tätig gewesen.

Sollen wir ihnen danken denn alles
Enthält ja auch uns: Dank und Grauen
Und wir nun anstatt des Nie
Auf der Welt.

Die beiden wissen wovon sie sprechen
Der Heimatlose und der Heimatbesessene
Sie sprachen vom Abgrund.

Ich aber gehöre zum einen von ihnen
Ich gehöre zum LOS:
So fanden wir Liebste: uns
Auch wir beide

Und so unerklärlich sind uns die  Gründe
wie jene Zeit uns erschuf.

3
Hütte das Frohe/ und wie geborgen
gesammelt
Kamine im Nacken (denk an sie nicht!)
Die Fremde gelöscht in der Warmen Glut?
(…)

Mein Herz ist ja wieder zu Hause
im Reinen -
Du mein Kind  Du mein Weib und Frau Liebe
Für immer hier/ unter der Haut

In deinem Auge erwacht
Mein Gedächtnis

Und mein Ich ist
hinter deine Augen gefallen!
Du mit dem Gesicht im duftenden Moos:
Erde du meine Mutter
Zwischen den Beinen feucht das gekräuselte
Gras/ der Duft meiner Geburt

Komm jetzt zu mir
In meine offenen Arme
Die Brust ist die Wiege

Und was wir sind
Hält Wort.

Die Lust des Anfangs 
In uns
So sind wir reich
Nackt
Gleitend in dir die
Liebesglut
Wort.

Lippe auf Lippe
Gesprochen
Gehaucht und getrunken
In alle Zungen versenkt
So rot und so warm
Geküsst und geliebt.

Doch immer wieder
„die halb-
 beschrittenen Knüppel-
pfade im Hochmoor/ Feuchtes
viel“, worüber wir sprachen.
Als wären wir plötzlich nicht mehr
Geliebte und Geliebter nein
Behütet im Abgrund:
Vater und Tochter

5
Oh welch eine Erwartung
Ein Hoffen Liebste mit dir

Wir sinken hinab an den Anfang
des/ unfertigen BeisammenSeins:

Mein DU und ein Wir
Von uns nun geboren

Sollten wir endlich vom Warten genesen
Das all die Zeit in sich hat seit die
Welt mit dem Kriege verging

Gewartet dass es einmal geschehe
Und verschmilzt was gebrochen im Sein
Das Rätsel des Wachseins?

Hast du auf mich  gewartet
Und wusstest  du dass es
Geschehen wird -  einmal
Und gar nicht so bald?

Hab ich auf dich  gewartet
Und wusste es nicht
Dass es einmal geschieht
dass  es geheiltes Leben gibt?

Da öffnet sich uns
im Herzen der Himmel
Geliebte wir haben
das Ziel des Lebens erreicht

War ich auch krank und zu Ende gebracht
Du warfst mir eine Sonne voraus
Die mir auch den Tod
zum Liebesbett macht
oh DU meine Frau
meine Sonne!

6
Mein Fest mit dir/ dort weit
Wo der Dichter mit dem Denker
Stritt/ In der Hütte 
Das weiter Todt-nAu-Berg heißt.

Und wir Liebste
Tief durch die Sprache
Ineinander versessen

Frau Sprache
von Ewigkeit her
uns versprochen

Und so wohnen wir wund jetzt
Nahe bei ihnen
Den Toten!

Unsere Liebe
Zwischen den Generationen
So spät
Als hätten wir mit dem Denker
Vergessen
Dass auch die Sprache
Einst  winterschwarz tot war.

Und wir ein Ja du und ich
Wir mit unserer Liebe im Reinen
Können wir sie früh am Morgen schön waschen die Sprache
Und liebend erwecken?

Hier: kann sie mit uns auferstehn!?

„Haus des Seins?“
Jedes Komma jedes Und
Hat der Mörder gespalten
gespalten die Zunge
und im Befehl vernichtet
vor den Opfern was war!
Blut klebt an ihrem Hauch
An jedem Laut.

Dort auch aus der Stadt woher
Ich  kam aus allen Städten
Mit unseren Lauten
Ist für immer eine Blutspur
Zu uns gelegt!

Wer sind wir heute Geliebte
Generationen in uns
zwischen uns/ und der Unterschied
von Krieg und Frieden/ und DU mein
überfälliges Leben/ das dich spät
fand/ dazwischen?

Lass uns die Zeiten vermischen
Wie unsere Glut die in uns zittert
Lass uns die Worte oben mischen
Mit denen die Mörder das Töten befahlen
Lass uns sie waschen im Liebesgeflüster
Lass sie uns jung in die Lippen tauchen
In Küssen so zur Welt
Gebracht/ sie und uns
Liebste zu einer neuen Geschichte. 

Du sprachst von deinem Weltvertrauen
Sag wie retten wir meines?
Wie reiten wir aus ins Hochmoor heute
Auf Seinem Leichenfeld liegt die Zeit
Wie reinigen wir wenn wir uns Liebe erklären
Und unsere Blicke im Auge ertrinken
„die Schliere im Auge der Sprache“?

Oh, Liebste, komm begleit mich zu ihnen
Da ist keine „Stiftung des Bleibenden“ weiter
Dort ist der Ort wo wir vergingen
Im Kindheitsglück der Untergang.

Gebär mich von neuem
Mach mich zum Kind!
Das der Welt vertraut
Lehr mich die Heimkehr
Zu dir!

Oh du meine Frau meine Tochter
Du Weib und Kind Geliebte
Nimm mir den Tod aus den Knochen
Und schenk mir  den Anfang der Welt.

Die schuldigen Toten
Siehst du sie im Haus der Sprache
Schreien/ und ein jeder bringt seine Opfer mit
Sie haben  sich aus gesprochen
Im Himmel
Doch weiß keiner mehr wo die Erde ist!

Wir stehen in der Hütte von Todtnauberg heute
Ohne sie und ohne Begleiter
Wir stehen und stehen nun wortlos/ du heiter
So unbeschwert leben und weiter weiter
Die Liebe wartet bis auch sie vergeht 
Ein Vergehen doch
Die Himmelsleitern/ bestehen ja weiter
Und was in Liebe geblieben
Zusammengelegen
Hier ein WortKind gezeugt
Dieser Baum unsres Lebens
Und eingebracht wie in Scheunen die Ernten
Vergeht nie
Bleibt im Himmel bestehen …


Umarmten und küssten wir uns hier? Nein, wir fassten uns nicht einmal an den Händen?!  Schlechtschlecht! Die Realität war nicht so hochfliegend, ja, war sogar recht enttäuschend. Warum küssten wir uns ausgerechnet  hier nicht? War die Aura hier, der genius loci nicht danach?  Gabs etwas stark Zerreissendes hier, einen Widerspruch, der fühlbar wurde? Vielleicht das ausgesprochen Antiethische in seinem Denken,  das ihn auch daran hinderte, irgend eine Schuld einzusehen?  Wars vielleicht tatsächlich so, dass es keine Verantwortung gab, weil etwas unsere Taten bestimmte, gegen das  kein Kraut gewachsen war? Oder war es die Anwesenheit Paul Celans hier? Wir schufen uns wohl etwas Luft, es gab ein Ventil, das „Lästern“: Und küssten wir uns so nicht,  weil wir wieder viel zu lästern hatten! Du filmtest mich lachend mit Heideggerpose am Brunnen. Und ich  filmte das Hüttchen plus die Nähe des Dorfes. Kaum fünf Minuten vom Dorfrand entfernt lag diese „Welteinsamkeit“ des Denkers. In fünf Minuten konnte man wohl den Bäcker erreichen. Und auch  Hotel „Enzian“ war zu sehen, wir hätten es zu Fuß in zehn Minuten erreichen können!
Eine Art Leichtigkeit erlaubten wir uns. Und erst später kamen wieder die schweren Gedanken, die dieses Zweischneidige hier, auch das Unreine, das Aufgeblasene, das Unnatürliche, das sich im „Natürlichen“ versteckte, unerträglich intensiv empfand, wohlgemerkt, bei beiden, die Anmaßung  auch bei Celan,  das Hochfahrende, gleichzeitig mit der Bewunderung, was da alles in diesem Hüttchen in einem Menschenhirn vorgegangen war!


Doch das Unbehagen des Hochstilisierten, dieses kindisch-tödliche Ernstsnehmen der eigenen Person, das Hochgstochene der Heidegger, aber auch der Celan-Sprache, was sie wohl verband, der unbescheidene Pathos, diese Wortfetische, dieses akademische Zitatologie auch bei Celan, die wichtiger zu sein scheint als das Leben, die Geschichte, ja, sich anmasst, Geschichte zu SEIN. Nicht auch den Opfern gegenüber Blasphemie?  Und ich erinnerte mich an die Wut von Moses Rosenkranz, wnen er über Celan sprach.
Das Wort LiteratHURE fiel mir ein. Wo auch anstatt der wirklichen transzendentalen ekstatischen Ergriffenheit wie etwa bei den Chassidim, nur wortkonstrukte daraus bleiben.


Spät für Celan
Nichts ist das Insichkreisen Worte Worte
auch du nur auf dem Trocknen wie ein zappelnder Fisch
anstatt übers Wasser zu  gehen
und im Netz von Ihm  gefangen
getragen wieder nur Melodien
und die Halbheit des Ufers: das Sehn

Griffel gegriffen Staubfäden auf der Haut
vergessen aber der Schmerz die Öffnung ist da
nah und niemals in Namen getränkt

Verkünstelte Eitelkeit Spiegel
Dunkelspiegel laß ihn kommen den  Boten
Boten-Selbst hohe Röte Scham  der Wangen
die Tore/ kaum noch Jerusalem
Zelem in jedem verschüttet
komm dass wir warten

Denk an Mea Sherim und die Steine
weil der Rock zu kurz war/ und so
so ist nun auch dein Gedicht

Ich aber warte auf
den verkleideten  "Engel" und lese Johanna
anders/ spiel mit der Hure
Literatur verpaß ihr den  erquickenden Schweif
des Strahlenden/ denk an Marie

Ja, anstatt Selbstmord begeh
diese Fremde und warte  entführt auf sie

Denn läßt sich das Leben nie mehr um-schreiben
dieser Irtum im hellsten Schein des Getäuschtseins -
so schreib  doch den Rohstoff
Poesie ... um!


Der Dreivokal, dass ich nicht lache, wie er mich
trietzt und engt vor dem stotternden Altar
dieser Wand vor Ihm/ eingesperrt in den Kirchen
ein Lallen von je
das in mir liegt schwer im Magen dies
Verdorbene
Abend Mahl nippst vom Symbol wie vom faden Papier
einer Losung /vorbei zu gehen am
Wasser des Lebens -
diese Verbrecher an Gott.


Nimm die wirkliche Nuß: deinen Kopf
das wäre die Bilanz deines Lebens
unverloren wie das Verlöschen
alles Erhofften:
Schlag sie auf einen Dreivokal lang
De los nombres de Cristo
täglich einen doppelten Hauch:
Zu Hause das Herzensgebet

So nimm ihn ernster
als Ernst nur kein Wort mehr!
Erbarme dich meiner!
Die Erinnerung bliebe ein Blitz.

Mein Gott, diese drei Personen
in mir in dir in uns allen gespalten
immer noch eingetaucht
ins Leben diesen Traum/ wenn wir wirklich
noch da sind

Der Vater mit dem Sohn
der ritt mich
zuschanden/ nicht mehr im Fieber, mein Kind
Nein nein, du Herr der Permutationen
sprich Stimme sags mir weck mich auf
vor dem Tod noch: Hier sein!

Dunkelspiegel Leuchtspiegel
plötzlich ein Mensch nein
keiner im Satz nur/ so laß sie doch endlich
wirklich  werden, erscheinen
springen wie ein Junges: Engelkücken
strebend hinauf  im Rücken nun gut am Morgen
kein Blitz nur der uns den Schädel
zurechtnäht

Nein auf der Brücke die Hand
mit dem Kopf der Brust dem Körper halb
schon über der Brüstung
das Wasser wird eisig sein die schäumende  Erde
da fällst du nicht hart
die Hand die Stimme und alles
wird so zu einer Gestalt und die Worte
endlich wirklich geworden
(wie hier nicht, nur nach- und  so zu getragen,
 doch erinnert im Blitz):  ist es dies
 "Halt! Nicht! Komm zurück! Du
wirst noch gebraucht!" Diese Stimme!

Das Sieb der Worte nun doch
ein Wehr. Unsichbar über dem Wasser
fließend ist das Ersticken
Blitzworte rettend
Sieh da: Nichts/ stockt.


Wie soll ich Euch nennen Tote wohl nicht
Engel oder ganze Scharen
                          Bewohner
anderer himmlischer Frequenzen?
Und doch mit Schrecken zu sehen
              dass wir unvergleichbar sind

Stimmen, Stimmen von je
Du weißt es gebogene Kurve die Welt hinab
wenn sie kommen
              hallt es:
Opfer von heute von immer von je

Und mähst du das Bild wär es Umkehr
Gras nicht mehr sirrend die letzte
                          Sekunde

Schaufelts unendlich und kehlig
am Hallweg entlang auch du
bist nun dort
  und weißt es:
              Celan
der Niemandslanddichter

Komm mit komm mit in den Tunnel
wenn die Wunde der Welt: was wir sehen
ein Schlitz in einer Pupille
                langsam entschwindet.


Und dann mussten wir los. Ein Drang überfiel mich aber plötzlich  wieder, ausgerechnet jetzt; wars eine unbewusste starke Erregung? Vielleicht gehörte das jetzt als  die natürlichste Blasphemie der Welt  dazu. Und so praktisch wie du auch in  vitalen und organischen Dingen bist, sagtest du ganz einfach: „setzt dich doch da unter die große Tanne, ich geh weiter.“ Und so tat ich’s mit heruntergelassenen Hosen und Tempotaschentüchern von dir mit Blick auf die wichtigste Philosophenhütte Deutschlands in diesem Jahrhundert…
Du wartetest auf der Heideggerbank mit unserer Inschrift, die ja jetzt da bleibt; wir aber mussten dem Abschied entgegen fahren, stiegen ins Auto, hatten noch genau anderthalb stunden zusammen-Sein.


Blicke, Blicke, Blicke. Die wir zurückließen hier. Stumm zuerst.  Nur die Hände vereint, die Herzen, die Worte konnten nichts mehr.


LIEBER CELAN denk so oft
kommt es  in frage ich lust am himmel
verschließ und vergib nie: das gift
diese strafen

Schlaf dich jetzt weiter der herr gibt´s
den liebsten im schlaf so
träum heiter
pausen gefallen entschlüsseln welten 
taktüberschuß verheerend genaue
zeiten

habt geduld mit mir ist theorien gerecht
die wahrheit oder
verhält sie ihren atem um verrückt
zu sein wahn verfall der zeit: nie
einmal nur hast du gefährlich bunt gedacht
nie stark genug der logik einsamkeiten
ausgekostet so stell dich tot und bleibe
hier bei uns kreis nicht zu viel
um mich mit diesen mauerstücken
du wartest schweißdurchnäßt
der gimpel überschäumt die mücke leicht


Celanparaphrasen

"Mit  allen  Gedanken  ging ich
hinaus aus der Welt"

Mein Wissen verloren, vergessen:

"alles hob an
als uns das Auge brach"

alles begann.

Die Sonne  groß geschwommen
ein Ja kam doch an
stand Seele an Seele hell  die
Freudenflüge der Flüsterengel entgegen
gebieterisch vorgeschrieben
neu die  Bahn

Ein Hauch geboren im Äther
der neue Schoß war der Tod
und wölkte sich hoch dieser Silberstreif
die Gestalt von uns her

Der Name
er blieb
zurück
auf der Erde.



Edmund Jabès
“Halte dich an dein Buch.”

Franz Kafka (Tagebuch)

Der Punkt

“Ich ende. Die leichte Luft meiner Endlichkeit schwellt bei jedem Atemzug meine Lungen. Meine Beziehung zum Unendlichen durchläuft jede dieser Etappen, jede dieser Fälligkeiten. Ich   lebe von meiner angebornen Fähigkeit, ohne Unterlass zu sterben”, sagte er.
Die Hebräer verglichen die Gegenwart mit einem Punkt; sahen in ihm das Ende der Vergangenheit und den Beginn der Zukunft.

Als den allerkleinsten Kreis - ein neues Zentrum - habe ich, im Buch der Fragen, den Punkt definiert. Punkt zum Vor- und zum Endspiel; doch zu welchem Ende? Zweifellos zu dem, das hinter ihm gelassen wurde von jeglichem Beginn; ein Haufen angekohlter Steine von einem abgebrannten Bau.

Die Schrift kennt nicht die Gegenwart. Das erste Wort bricht mit der Vergangenheit, um jungfräulich der fordernden Zukunft entgegenzutreten.

Mit frischer Tinte getränkt.
Jegliches Werden gründet in einem Unbekannten, das, sobald bekannt, erneut zum uranfänglichen Mysterium wird.

Die Zukunft wäre bloss die Unkenntnis einer noch zu entdeckenden Vergangenheit. Diese Unkenntnis ist das wahre Wissen, das in der Nacht, zwischen den Sternen, seine Königswege bahnt.
Bleibt nur, diese Nacht zu erreichen.
 
Der Widerspruch, den die Befragung nährt, mündet nicht in das Nichts, sondern in ein Unsagbares, das wir in Worte zu fassen hätten.

“Es gibt einen Wortsinn, der zu einem andern Sinn hinführt, der wiederum zu einem dritten Sinn führt, der uns einsichtig macht, dass wir noch auf der Schwelle zum Wort sind.

Alle Wortbedeutungen in einem einzigen Sinn zu erschöpfen, das ist die Aufgabe des Schriftstellers”, sagte er.

Im Ganzen ist auch der Zerfall des Ganzen, so wie im Sein auch der schicksalhafte Schwund des Seins ist. Welche Zukunft gibt’s dafür? Ja, was ist es, das letztlich fortdauert?
(“Die Praxis der Unbeständigkeit ist gebunden an die Praxis des Fragens: sie wird ausgeübt im Heraustreten aus sich; im Verzicht auf jegliche referentielle und denotative Endbestimmung, die dem Imaginären zugehört; in der Demut ihrer eignen, auf sie beschränkten Notwendigkeit; in der Erfindung eines Tods,  Adolfo Fernandez Zoïla)
(Das Wort ist nicht der Beginn, es ist das Letzte. Es ist der vorherige Endpunkt, der Aufgang zur fatalen Gefahr, die zu laufen der Mensch bereit sein wird.
Beginn und Ende des Geschriebnen sind nur störende Wortbesessenheit,
sind des Worts 
falsche Mobilität.)
Vielleicht habe ich in meinen Büchern auch nur versucht, das bedrängende “Ich” loszuwerden zugunsten des beinah anonymen “Wir”.

Schreiben hiesse demnach bloss, allmählich dieser Anonymität sich anzunähern.
Vielleicht habe ich in meinen Büchern auch nur versucht, das bedrängende “Ich” loszuwerden zugunsten des beinah anonymen “Wir”.

Schreiben hiesse demnach bloss, allmählich dieser Anonymität sich anzunähern.

Der Andre sein und diesem zu erlauben, er selbst zu sein: dunkle Bahn der Anonymität.

“Immer wird es, um dem Henker Widerstand zu leisten, ein zerknülltes Blatt Papier geben, über dem ein feuchtes Wort, gleich einer späten Träne, vergossen ward.

Ich bin die Durchsichtigkeit dieses Worts”, hatte er geschrieben.


“Pflanz einen Baum in die fruchtbare Erde deines Bluts. Auch die Seele braucht Schatten”, sagte er.

“Die Anziehung, die das Gute auf das Gute ausübt, ist gleich der, die das Böse auf das Böse ausübt: eine endlose Anziehung”, sagte er noch.

“Das Buch”, so hatte er notiert, “öffnet sich nicht von links nach rechts und auch nicht von rechts nach links, sondern von oben nach unten: eine Seite im Himmel, eine Seite im Staub.”

Das Gute ist, in den Augen des Bessern, Enttäuschung des Guten.

“Mein Bett war der platte Stein meines Wegs.
Findest du, das sei gerecht?”

“Dies ist gerecht, denn um des nachts die Ruhe zu geniessen, hat’s dir nie an Stein gefehlt.”

Wunder gibt es nur für die Armen.

“Welche Bleibe soll man dem anbieten, der keinen Frieden gekannt hat?” pflegte er zu sagen.

Ihm wurde geantwortet: “Solang die Nacht der Nacht sich entsinnt und der Tag des Tags, wird es für sie kein Rasten geben.” 
(Übersetzt von Felix Philip Ingold)

WEIHNACHTSKOMPLEX
für Gerhard Möckel


STERNENLIEDER KLANG IKONEN
HIMMELHOCH DA KOMM ICH HER.
SCHNEEDUFT KÄLTE UNTER LAMPEN
WAR EINMAL. ERZÄHLT
NIE MEHR.

HINTER DEM BERG HEULTEN DIE WÖLFE
UND STROHFEUER IN DIE SÄCHSISCHE NACHT
DIE SILBERGLOCKEN TAUCHTEN
UND EINE BANK MIT VOGELSPUREN, JA
LEISE RIESELT DER SCHNEE.

SCHNEEWEISSCHEN
STAND IM MÄRCHENBUCH. FERN
IN EINER POLNISCHEN ORTSCHAFT
STANDEN SIE BARFUSS IM SCHNEE
UND OBEN AN DEN TANNENSPITZEN
SAHEN WIR KLEINE LICHTLEIN BLITZEN.

SOGAR DIE STEINE SCHLAFEN IN UNS
DIE AUGEN UNERWACHT
UND NUR DER UNGEBORNE SPRICHT
DRAUSSEN VOR DER WELT BIN ICH
DIE KINDER IM SCHNEE SIND VERBRANNT
DIE ASCHE ZUM ENGEL GEWORDEN
O DU FRÖHLICHE
UND LEGST IN DIESER STARRE
SCHNEEWITTCHEN HINTER GLAS

dann taut es tropft von allen dächern
o winter ade das
lied taut tropft erwacht darin
und lebt mein müdes herz
wie hiess
es doch: die zeit nicht nur
steht still der tod
im leibe lacht...



NUR DAS WORT
(DIESE HEIMKEHR)

Nur das Wort
blieb im Stern
den du siehst
ist vergangen.

Die Könige
wandern voll Sehnsucht
dem Lichtjahr
der Kindheit entgegen.

Du hast noch immer
die Krippe
unter dem Arm.

Die Stirn
die Bahn am Himmel
ein Warten
als kämen wir noch an.


Wir wissen es immer: wir müssen unser Leben ändern. Nur wie? Das Zum -innern-Ort-kommen, wo etwas einbricht, das uns erlöst, liegt nicht in unserer Hand, und schon gar nicht im Kopf. Das ganze  VII. Kapitel ist diesem Unplanbaren, Undenkbaren gewidmet. Und dem Totengespräch jenseits des Fassbaren. "Vergessen der Namen,/ ein Dunkel, ein Platz,/ wo sie waren." (Für Ion Caraion). Das Vertrauen freilich, dass das Unfassbare jeden Augenblick einbrechen kann, jene Berührung und phantastische Öffnung sich gerade dann einstellt, wenn wir am wenigsten darauf hoffen, wir völlig deprimiert, zerstört sind, gehört zum Abwesenheitsglauben, einer Art anarchischen Mystik des Negativen, wie sie in der Nachfolge Sabbatai Zwis und Jakob Franks auch in chassidischen Kreisen kultiviert wurde. Dieser mystische Nihilismus ist heute hochaktuell. Und zwar bis in die Sprach- konsequenzen hinein. ( "Löschte das Augenlicht, also/ die Landschaften und Städte aus, trog/ nicht mehr, Nein trank/ die Welt täglich aus./ Es gab keinen andern Weg mehr/ als Jahre: gingen hinüber,/ wo ein anderes schwereres Warten war/ das Weinen das Lachen und jeder Erfolg Ja/ die Frauen nur etwas Trauer// Als hätte ich alles überlebt./ Ein Anfang klopfte/ ganz ohne Tür bei mir an."  Zeitpunkt.) Selbsterlösung (die ganze Zivilisationsgeschichte ist dafür ein Beispiel): - Ungeduld führt in tieferes Elend, es ist ein Ertrinken in der Zeit; in der Vergötzung des Fassbaren wird der Sündenfall täglich wiederholt. "Der/ Himmel, nein, er kennt kein Grab./ Und weiß und schneid ihn ab, damit er/ nicht vergeht. Was bleibt./ Ein weißes Blatt. Gewebe/ Muster. Der Tod spricht nicht." (Es gibt kein gestern.)  Das "Nichts", wo alles, was fassbar ist, gar das "Glück" abwesend sein muß, ist ähnlich dem Todesgefühl, ("Sinne? Woher genommen, mundlos// gesagt, Worte durch die Trennwand/ gedacht; dort bist du dich los./ Und die alte Wunde tickt leise." (Blumen, dort nichts). Wo  das EINE ist, sind wir nicht, weil "Es" dort ist, - und doch verwandelt es uns im Blitz einer Zusammenführung mehr als alles andere. "Ein Loch im Fundament öffnete den Einblick.../ Noch einsamer als der Herr ist Niemand." (Das versteinte Buch). "...durchstreicht/ das Nichts/ jeden Blick, der/        festgegraben war/ im Schein." 
    Im Poetischen  ist es wie im Leben,  die Untätigkeit, das Lernen der Langsamkeit ist ein höheres Gut:  Die vergessne Pause der Sinne wahrzunehmen, um jenem Einbruch eine Chance zu geben: sich zurücktreten lassen bis hin ins Gedächtnis eines Grashalms, eines Vogelgesangs, der zerklüfteten Steine oder des Meeresgrundes, den wir voller Schrecken manchmal sehn, indem wir den Atem anhalten und fast ersticken beim Tauchen, und beim Sehen des Grundes, der Ungesehene in Gedanken, der mich freilich einmal verschlingen wird. So läßt das Ungesehene sich auch in den Wörtern finden, wenn man nicht gewaltsam eingreift.  ("Du/ redest dir ein, dass du bist. Rede/ du schwerstes Nein." Hieronymus in der Zelle).
 


0[1] Rainer Maria Rilke: Nummer III, VI, X und XI 
aus der "Zweiten Reihe" des "Gedichtskreises: Aus dem Nachlass des Grafen C. W." (1921)[1]

[2] Vgl. dazu auch „Kleine Schriften. Erlebnis“, Rainer Maria Rilke: „Werke“, Band III.2. Pro sa.   S.522-527.

  [3] Ebda. Ziele: Ziele und Aufgaben Der Arbeitskreis stellt ein Forum dar, vor dem medizinpsychologische Fragen zum Erleben und Verhalten gegenüber Sterben, Tod und Verlust sowie mit Blick auf Suizidalität erörtert und entsprechende Forschungsergebnisse und berufliche Erfahrungen ausgetauscht werden können. Zum Beispiel: Gibt es tatsächlich regelhafte Abläufe des Sterbeprozesses? Wenn ja, wie sehen sie aus? Welche Persönlichkeitsmerkmale sind hauptsächlich daran beteiligt, dass eine Person viel oder wenig Angst vor ihrem eigenen Tod empfindet? Worin bestehen im einzelnen die psychischen Belastungen, denen das medizinische Personal bei der Betreuung Sterbender ausgesetzt ist? Was sind die Merkmale einer "guten" Betreuung Sterbender? Welche Merkmale sind gute Prädikatoren für den Verlauf und das "Ergebnis" des Trauerprozesses? Der Arbeitskreis ist offen sowohl für Ergebnisse der Grundlagenforschung als auch für anwendungsbezogene Arbeiten; erwünscht sind Berichte über empirische Untersuchungen (einschließlich Kasuistiken) ebenso wie konzeptionelle und historische Beiträge. Der Arbeitskreis trifft sich in der Regel einmal jährlich auf der Tagung bzw. dem Kongress der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Psychologie zu einer Sitzung mit Referaten; alternativ dazu kann eine vorbereitete Diskussionsrunde stattfinden. Beiträge von interessierten Kolleginnen und Kollegen können jederzeit formlos beim Leiter des Arbeitskreises angemeldet werden. Von dort kann auch eine Liste der Interessenten und Interessentinnen am Arbeitskreis angefordert werden. Der Arbeitskreis "Sterben, Tod und Trauer(n)" steht personell und inhaltlich in enger Beziehung zur Deutschen Gesellschaft für Psychothanatologie e.V.  http://www.ruhen-und-tun.de/tod-aufklaerung.htm

[4]   Vgl. Reiner Maria Rilke. Ausgewählte Gedichte. Vorwort und Auswahl von Dieter Schlesak.. Bukarest 1968.
[5]  Vgl. dazu J.P. Stern:, Worte sind Taten, Bemerkungen zum österreichischen Sprachbewusstsein. In:  Merkur. Zeitschrift für Europäisches Denken. Heft  8. 1989.
[6]  Es gibt einige treffende Analysen dazu:  Nachruf auf die rumäniendutsche Literatur. Hrsg. Wilhelm Solms. Marburg 1990.  René Kegelmann: An den Grenzen des Nichts dieser Sprache…Zur Situation der rumäniendeutschen Literatur der achtziger Jahre in der Bundesrepublik Deutschland., Bielefeld 1995. Oder  Olivia Spiridon: Untersuchungen zur rumäniendeutschen Erzählliteratur der Nachkriegszeit, 2002.  Oliver Sill: ´Reisen wegwohin´- Prosa-Literatur rumäniendeutscher Autoren zum Thema Migration: Richard Wagner, Herta Müller, Dieter Schlesak… Wiesbaden 2002; Alina Oancea: ´Die Heimkehr ist ein weißes Blatt´. Rumäniendeutsche Gegenwartsliteratur am Beispiel von Dieter Schlesaks Prosawerk, Udine 2004 (Diss.).
[7] Vgl. dazu die tiefgründige Analyse C.F. von Weizsäckers, wo er nachweist, dass die heutige Physik ohne Kant nicht zu verstehen ist, in: Im Garten des Menschen, München 1977, S.181ff.
[8] Kant, Preisschrift über d Fortschritte der Metaphysik, Akademie-Ausgabe XX, S. 270.
[9] C.F. von Weizsäcker, Im Garten des Menschlichen, S.185.

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