Ende Augut 2000
Abendessen im Garten, noch mit
Sternhimmel, und wieder zeigt sich, daß man nur vom Krebs sprechen muß, sofort
ist jemand da, der zum Leidens-Club gehört. Editt Davidovici, die Bildhauerin
aus Kanada, die ein Atelier in Pietrasanta hat,
sie stammt aus Iasi, fing
sofort an von ihrem Vater zu erzählen, der – erst 80-jähirg im März gestorben
war. Man hatte seinen Krebs zu spät entdeckt, und er war voller Metastasen,
lebte die letzten 2 Monate in einem wunderschönen privaten Sterbehaus. Editt
kam auch zu seinem Tod nur im letzten
Moment, zwei Stunden bevor er starb, er konnte auch nicht mehr reden, nur
"sehen" und verfolgte sie, saugte sie ein mit seinen Blicken. Und sie
saß ganz nah, spürte, daß sie plötzlich in gleichem Rhythmus atmeten, und der
Herzschlag synchron ging.
Dann mußt sie Tag und Nacht an
ihn denken, den sonnigen Menschen, der jetzt einje schwarze Sonne gewoden war.
Sein Auge, das sie wie von drüben angesehen hatte, verfolgte sie. Vor allem,
das im letzten Augenblick seines Leben im rechten Augenwinkel eine Träne
hervorkam und dort hängen blieb, nicht übers Gesicht kam.
Und sie kam so zu ihrem Werk.
Dieter Schlesak
Für Editt Davidovici
LACRIMA
Lacrimae rerum nicht nur
gespiegelt in der Träne
Die Welt:/ wir sind wie ein
Auge der Toten/ und nur ihre Träne rinnt rinnt in unsre Lichtwelt.
Im Augenwinkel langsam/ wie
die Zeit, die einmal
Geblüht hat, fällt sie als
Ende
Auf das was zurückbleibt,
auf den ihm gleichen, den
Herzschlag der Tochter,
ein letztes Geschenk seiner
Sonne,
die in Gedanken nie mehr
vergeht.
Schwarze Sonne der Augen
Mit einem Lichblick der Iris
Täuscht sie Welt vor/ ist sie
Der Eingang, wenn sie
Das Auge schließt/ um es
drüben
Zu öffnen?
+++
Sie erzählte, daß sie am
Meeresstrand plötzlich ihren eigenen Schatten
über den Sand habe fallen gesehen, ein Bild der Vergänglichkeit. Und
daraus ist "Schatten" entstanden. Dieser auferstandene Grabstein mit
dem Skelett:
WIEDERKEHR DER TOTEN mit einem
blitzenden Licht/ der schwarze Kopf,
um uns zu zeigen, daß es eine
verborgene schwarze Sonne gibt,
die wir nicht sehen!
Liebe ist von der anderen
Seite hier/ Ein-Leuchten berührt,
was unser Herz wach macht -
und wieder singt.
Das Auge blitzend in der
Pupille
Licht in der Träne:
Schwarzer belgischer Marmor/
gerippt
Wie ein Pilz/ wie ein Fächer
Schwarze Sonne, unsichtbarer
Schmerz.
Die Träne aber fällt nicht,
fällt nicht, rinnt nach innen,
wie die Tränen der Heiligen,
aus denen diese
innere Gotteswelt wird.
DER WARTENDE SCHMETTERLING
"Wellen der Emotion"
halten dich fest/ warum warum
kannst du nicht fliegen
und bist doch noch nicht
verbrannt!
Ein Kokon liegt im Marmor
Begraben/ die Form die du
siehst
Sie befreist mit dem Hammer
der sehenden Hände
Sie liegen du siehst sie
Geschliffen/ Perfektion
Vor der Geburt.
Und dann ist mein Auge
Klüger geworden/ sieht
Den entstehenden Körper daraus
Die Schulter den Kopf
Der klein bleibt/ um das Auge
Die Welt nicht zu vernichten
Das Untier.
Ringsum Plazenta
Marmor der nie mehr vergeht:
Bist du ewig geworden
Blick – dir gefällt doch die
Zeit!
Agliano, 30.August/
1.September 2000
3.September. Fand folgende
Passage aus dem Vorwort um Verweser:
Der Todesprozess erweist sich
als der Schreibprozess. denn was ist das Zeichen anderes, als die Absenz des
Lebens. Zuerst nichts als gedacht. am Ende wars ein ganzes Leben!
Das Buch aber als versuchtes
Zauberbuch. erscheint auch heute möglich. als ein Zaubern durch den
Sinnzusammenhang, als das apriorische Licht.
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