liebe festgemeinde, liebe family, wir haben uns hier
zusammengefunden, um mutters neunzigsten zu feiern, dies alter nannte man
früher mal „hochbetagt“, und wenige erreichen es in solcher frische und
gesundheit. es ist wohl das jugendliche und eindringlich vitale, die
weltneugier und die überdurchsvchnittliche kommunikationsfreudigkeit mutters,
auch die lebenszugewandte immer sehr optimistische lebenseinstellung, die solch
ein geschenk möglich macht.
da ich aber der denbkbar schlechteste geburtagsredner bin,
meinen eigenen feiere ich nie oder zu zeweit mit linde auf einem familienfernen
boot im mittelmeer, und mein interesse weniger der nachfolge in kindern und
kindeskindern, familiärem klumpatsch und stallwärme der lebenssicherung und
lebenszeichen gilt, sondern meine eigentlichen kinder bücher sind, flüchte ich von neuem nun zu ihnen;
da ich aber freilich als sohn jetzt da mitten drin stehe, und auch gar
nicht reden könnte, weil ich überhaupt nicht da wäre, gäbe es die familie und
die geburten nicht, will ich versuchen, beides zu verbinden. Und es gelingt,
auf einer etwas höheren Ebene sogar, nämlich jener kinder, die ich erwähnte,
die ja dann sozusagen mamas enkelkinder wären, die bücher nämlich, und auf
ihrer ebene. der sohn, der andere sohn, den es wirklich gibt, ist leider
absent, denn er muß zaubern, auch das ein erbe, das einer flucht als
lebensmeisterung in fiktiven wundern ähnelt. er hat es sicher nicht gestohlen.
Mutter ist eine begabte Großmutter, und hat viel sympathie
bei der jungen generation als oma und uri, hat überhaupt wunderbaren kontakt
mit jüngern, vielleicht weil der backfisch immer noch in ihr sitzt, und sogeht
sie auch mit michi um, doch auch mit den anderen enkelkindern, mit meinen
büchern, die sei alle liest, kauft,
verschenkt, mit mir darüber diskutiert, die kritiken und buchbesprechungen mit stolz und anteilnahme liest; früher las
sie sogar die manuskripte und fragte immer wieder bei meinen besuchen: hast du
nichts neues, was du mir geben kannst. dabei heißt es, es sollen für literaturungewohnte
ziemlich schwierige bücher sein, und bei meinem letzten buch es ist ein
gedichtbuch, das tunneleffekt heißt, das Mama gewidmet ist, ja es ist mama
gewidmet! sagte es sogar ein freund, der
literaturkritiker ist; doch dies vielleicht, weil unsere weltsichten und
lebenserfahrungen so verschieden sind,
er an ein leben nahc dem leben nicht glaubt, außerdem die osterfahrung
und den tiefen religösen raum, der dort noch nicht kassiert worden ist, nicht
erfahren hat. Und auch den
Erinnerungsraum nicht kennt, aus dem heraus ich schreibe. Bei mutter ist das
anders, sie hat diesen literaturkritikern etwas voraus, nämlich unsere
gemeinsame erinnerung, den lebensraum,
die existentielle bruch-erfahrung, die uns geprägt hat, indem wir zwei welten,
nicht nur eine kennen. Und noch etwas: mutter ist nicht nur eine meiner besten
leserinnen, sondern sie ist auch durch ihre viele zum teil sehr humorvollen
familienerzählungen im dialekt freilich, mit all der sonst nirgends mehr
vorfindbarem lokalkolorit bis in die art, sich auszudrücken, meine erinnerungs, gedächtsnisverlängerung
bis hinein in den ersten weltkrieg, mehr noch: sie hält in mir selbst diese
erinnerung auch zusammen. Alswo die Mutter meiner Erinnerungen ist. Es ist ja
eine welt, die sehr wahrscheinlich die attraktivere, lebendiger, lebeswertere,
aber aus eigener schuld untergegangene ist,
sicher auch nicht die bessere als heute; und dem auf den grund zu gehen,
warum sie untergegangen ist, und warum es mich drängt, diesem nachzugehen, sie
aber auch vor dem verschwinden wenigstens so in büchern aufgezeichnet, zu
bewahren, das hat sehr viel auch mit
dieser suche und mit der sohn-mutter beziehung zu tun, freilich auch mit den
oft sehr verschiedenen standpunkten; denn wer die familie allein in den mittelpunkt
stellt, dem kann die welt verloren gehen. Oder sie kann als alibi dienen, diese
nicht sehen zu wollen; mehr noch, sie kann sogar ursprung der schuld sein, die, was das aburdeste ist:
unerkannt, unverarbeitet bleibt in der sogeganten „kleinen welt“ der familiren
alltagsmühle! Viele widersprüchliche und schmerzliche fragen also, die alle in
meinen büchernb wiederkehren, zum teil bis hin zur kopie von gesprchen mit
mama, mit vater mit helmut und roswitha, noch mit meinem großvater, vor allem
auch mit elfriede, dann mit meinen geschwistern und cousins, oder früher mit
volker und brigitte oder freundinnennen, ihrem bekanntenkreis bis hin zu victor
capesius oder ihrem cousin roland albert;
oder totengesprächen mit den opfern aus unserer familie wie Ali oder
Nok; für einen mann meines berufes ein wirkliches geschenk, ja, vielleicht
hätte ich einen ganz andern beruf gewählt, wären die zeiten andere gewesen,
ruhiger, normalere, banalere, wie etwa die westdeutsche. Nein, nein, es ist
kein zufall und auch nicht irgendeine äußerliche geste
daß ich mein jüngstes opus „Tunneleffekt“ mama gewidmet
habe! Sogar das Nachwort mit der "„posthumen poetik" passt dazu. Und
im neune buch, an dem ich jetrzt arbeite, eine fortsetzung meines
familienromans Vaterlandstage und die Kunst des verschwindens, familienroman,
so könnte man ihn auch nenen,und so wurde er von der kritik auch genannt,
inzwischen hat sich sogar die germanistik in der bundesrepublik und sogar in
rumänien seiner angenommen, zwei bücher über
ihn und andere meiner bücher sind unterwegs, über diese exil- und
familienproblematik, ja in dem buch, das diesen roman fortsetzt, steht Mutter
sogar im mittelpunkt, wie eine gute fee meiner erinnerungen, ja, aber auch
fordernd, mich auf eine vatersuche in die vergangenheit, also „nach hause“ zu
begeben! Und da tauchense dann alle wieder auf unsere vielen toten, und
beginnen zu erzählen und aus ihrem leben
zu berichten, nun mal mit ganz freiem, zeitfreiem, familienfreien, unbeengten
und gelöstem blick; und eigentlich wäre das eine art kosmischer humor, aber
auch satire, auf unser kleines leben, das uns so gefangen und in seinen krallen
hält! Und da kann dann wohl auch ruhig
und humorvoll rauskommen, daß mutter es mit diesem sohn nicht immer
leicht gehabt hat, der ihre kleine welt und umgebung, an der sie so hing und
hängt, immer nur in frage gestellt hat!
Hier eine kleine probe, und sie ist lebensnah, weil nach
einem tonbanddokument geschrieben, und elfriede hat friederike die gestalt
geliehen:
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