REISETAGEBUCH 1995
1. Januar 95. Stehen
spät auf. Anruf Ls Mutter. Fahren ans Meer mit Flocky. Sturm. Spazieren bis zu
den Einfahrtslampen. Um 12 wieder zu Hause. L. wieder großartiges Essen. Pilze,
Sellerie, Fleischbraten.. Nudeln. Trinken Champagner dazu.
Abends telefoniere mit
Mutter. Sie liest in meinem Gedichtband.
2.-5.Jan. Arbeit am
Verweser. Sehr gut voran.
Mittwoch, 4. Januar.
Sehen uns mit Ilse Staff. Hatte abgelehnt, uns am 1. zum Tee zu sehen. Kann
dieses Teesehen nicht ausstehen. Kurz
aber herzlich. Sie ziemlich neurotisch. Hab ihr einen Brief zu STEHENDES ICH
geschrieben, das sie gelesen hat, gute Worte, aber auch Kritik: Goffy.
6. Januar. Bei
Francesco. Florenz. Vgl. Notizbuch. Music. Farlani und Utamaro. kennengelernt.
Utamaro Fickszenen löschen Pornographie
aus. Der haarige Eingang mit dem Stengel. Auch von hinten. Die haarige Amöbe.
Dann das Autoporträt von Music. Mehrer Schichten
Etwas ungehalten, weil F. sich vor allem an
L. wandte. Doch auch ich war nicht gut, keine Redeekstasen mehr wie früher.
Keine Lust. Müde. Aber auch das Hirn geht nicht mehr so gut.
Nachts deshalb Sorgen.
7. Januar. Sehr
schlecht gelaunt. Stumm fast. L. macht mir Vorwürfe. Unterschwellig dieser
Groll. Legt sich nach einem Spaziergang. Dann Music-Bild, "Wir sind nicht
die Letzten" - Ich sage: Der Schrei. Sie: Der Mann. Zuerst der Mann. Das
Haus hat sich verändert.
Schreibe am Verweser
8. Januar.
Sonntag F. ruft an. Reden über Music.
Über unseren Besuch. Sollten uns öfter sehen, auch bei Ausstellungen. Am 12.
April in Parma Mattioli. Im April Farlani. Farlani einen Druck L. geschenkt,
weil sie ihm einen Text von F. über Farlani sehr schön übersetzt hat.
Abends bei GBFischer. Sehr lahm. Redet kaum
noch. Auch ich wieder unlustig und müde. Obwohl ich eine ganze Bibliothek von
Esoterik mitgenommen habe. Er hatte danach verlabgt. Bleibt bei Köstler
"Die Wurzeln des Zufalls" hängen.
Essen das traditionelle Huhn.
Rotwein.Trinke zu viel. Aus Frust.
Rede über meinen VW.
Nur Annette reagiert. Sagt, bei 1000 Seiten 2 Bände. Er winkt ab. Sagt, auch
die Buddenbrooks sollten nach Papa Fischer zur Hälfte gekürzt werden. Ist nicht
geschehen, Ich sage, dann hätte er wohl den Nobelpreis nicht erhalten.
Ärgert mich, dass er sich mir kaum
zuwendet. Wieder L. Aber ich sollte es ihr doch gönnen. Wie viele
Frustrationen, da immer ich im Mitgelpunkt
stand, hab ich ihr beschert.
Am Schluß bin ich ärgerlich, weil die
Bibliotheksliste ganz falsch geschrieben wurde, Fehler: Dudenbrooks. usw. Sage,
das hätte Heimann oder Loerke sehen müssen! In diesem Haus kann … darf das
nicht sein. Er: Ist ja nur zum Verkauf der Bibliothek. Ich seh, wie er Geld und Literatur trennt.
Schlechtes Omen für ihn.
Schlafe schlecht aus ähnlichen Gründen wie
am 6. Nimmt meine seelische und geistige Kraft ab, mein Vermögen zu
formulieren, zu erzählen. Kein drive
mehr?
9. 1. kommen Briefe: Aescht, der stolz ist, dass er mit mir
korrespondieren kann. Mein Selbstbild ist wohl zu schwach. Und nicht richtig.
Auch von Scoradet aus Bukarest, dass die VT nun doch schon im
Jan. erscheinen! Freue mich sehr. Wieder wohlauf.
Gestern in TB gesucht: Psi-Kongreß vom Juni 86 in Milano. War viel wichtiger als
jetzt Mai 94, jetzt enttäuschend. Damals hatten mich vor allem die
Fernsehbilder beeindruckt, wie sich aus dem Nebel Menschengesichter bilden und
Landschaften! Fand es nicht. Sah aber, welch ein ungeheurer Reichtum in den
Notizbüchern seit 1968 liegt: 26 Jahre.
10. 1. Bankgeschäfte.
Da der Kurs der Lira verfällt. (1052).
Faxe an Grosse. Dann Telefonat. 3000 auf Postbank von Girok. (Wo noch 4000).
500 hierher vom Festgeld (monatl. immer am 19. 17300, jetzt 12300.)
Iardella
Ricardo: Anette, die Malunterricht gibt, möchte für Sept., seine Häuser
mieten.
Gestern wie seit mehreren Tagen
"Heraklit" von De Crescenzo - L.s Übersetzung gelesen. Sagt C., dass
wir uns Gottseidank nicht erkennen können, also immer ein falsches Selbstbild, entweder
postitiv oder negativ. Vielleicht hat L.
ein gelichgewichtiges? Was uns am Leben
erhalte, sie die Anmaßung. Stimmt. Sonst sie es schwer genug, das eigene
Aussehen und das bevorstehende Alter zu akzeptieren. kaum auszuhalten, zu
erkennen, dass wir auch noch dumm sind? Bin ich es, schlägt mich das nieder?
13.-15. Jan. Haus Casa
Gioa Nachbarhaus zum Verkauf. Ich rechne. Wir überlegen. Piero D. gibt den
Ausschlag, der "ragioniere", unser Haus wächst im Wert um so viel,
wie wir jetzt ausgeben, außerdem die Ruhe, dann Gästehaus, Tauschmöglichkeiten
usw. Und insgeheim, beim Streit, weiß man wo man hingehen kann.
Ein junges Paar, er Versicherungsagent (30)
und bekommen jetzt ein neues Kind. Sind gezwungen zu verkaufen.
16. Montag wollte
Entrup anrufen. Kein Anruf.
17. Dienstag.
Geldgeschäfte wegen Haus. Telefonate mit Grosse St.B. und Schweiz Bankverein.
Doch täglich auch VW. 20 Seiten.
20.21.22. Jan. Geburtstag bei GBF, Annette fährt ab. Zeigt
uns ihre Skulptur "Surviver" - ohne Kopf. Doch aus der Brust entsteht
ein Phantomkörper.
Samstag 21.
Abends Piero u. Cristel. Feiern den
Vorvertrag. Die Frauen ziehen sich zurück. Ich mit dem müden P.
Am Sonntag. L. dieses
störrische Kind. Ja, so muß man sie sehen. Rechthaberisch, herrschsüchtig. Sie
der Nabel der Welt. Verteidigt ihre Spielzeuge. Diesmal den Computer. Läßt sich
nichts sagen.
Ich aber bin unfähig zum Streit. Schwach.
Sie ist nervenstärker und eben wie Kinder bedenken- und gedankenlos.
Gefühlsinitiativen und Streicheleinheiten immer von mir.
Versuchen cooler zu sein.
Anruf von Francesco. Fragt nach dem
Music-Gedicht. Anruf Niti, Geburtstag. Ihr KInd hatte in Afrika Malaria, im
Senegal, woher E. ihr Mann stammt. Sagt mir, dass HJ Schmitt in der
Süddeutschen eine Rezension über STI geschrieben hat. Lang und gut.
GESICHTER DER
GESICHTER
Z. Musics
Selbstporträt bei F.D.
Gesichter der
Gesichter
sind ein Fenster aus
dem Nichts
die vielen Toten haben
sich verwandelt
sie sind hineingehauen
hier ins Fleisch
als wäre es Christus der schon schwarz
in einem Rahmen steht
Was habt ihr mir
gesungen Herz
die Totenopfer die
nicht sterben können
sie haben wieder Mut:
sie stehn hier auf in
neuem Grau
die Asche leuchtet rot
im Licht
die innere Gluht sie schlägt
darunter Kohle
das Gesicht- Kontur.
6./23. Januar 95
5. Februar.
Mittagessen bei GBF. Er zeigt mir die
Bilder seiner Eltern, der Sanítätsrat. Die Schwester ist in Norwegen von den
Nazis deporiert worden, in Auschwitz ermordet. Ebenso ihr
Mann. Der Vater noch in Berlin gestorben. Die Mutter erst nach dem Krieg in
Holland und dort beerdigt.
Auch das Buch von
seiner Frau Tutti Fischer wurde in der FAZ verrissen. Wir sprechen über meinem
Verriß in der FAZ des Stehenden Ich. Am 3. Er wußte es schon. C. Baumgarten hat
es ihm am Telefon gesagt.
11.4.
Mattioli-Ausstellung.
Annas Erlebnis.
Alles
hatte bei einer Mattioli-Ausstellung auf dem schönen Landgut
Magnani-Rocco bei Parma begonnen, es ist das Landgut einer Stftung des
bekannten italienischen Musikers und Kunstsammlers; auch er nun schon seit zehn
Jahren tot. Ich der Erzähler habe gemeinsam mit dem Maler Mattioli, Magnani war
ebenfalls musizierend dabei, von hier aus alles beobachten können; Mattioli
wäre sehr gerne bei seiner Vernisage mit dabei gewesen, und wir haben es ihm
auch ermöglich, freilich unsichtbar für die Besucher, in den Ausstellungsräumen
des Landgutes als stiller Beobachter und nun fremder Gast anwesend zu
sein; und ich
versuche mich nun, geschätzter Leser, Ihnen verständlich zu machen.
Michael Templin, ein Freund der Familie, der ebenfalls jene Ausstellung am 23.
Januar besucht hat, steht nun seit
einiger Zeit, ohne dass er weiß, mit uns in Verbindung:
24. Januar 1997. Von Anfang an ist das Ende
gegeben, das ist klar, das ist klar, und ich muß das jetzt aufschreiben: mich
hatte diese Ausstellung sehr beeindruckt, und ich habe es auch Hannah erzählt,
Hannah, das ist meine Frau. Als wir nach Hause fuhren, auf der Cisa-Autobahn,
da hab ich ihr diese unglaubliche Geschichte erzählt, Hannah hatte in
Magniani-Rocci nur wenig davon mitbekommen, weil sie an diesen Sachen nicht besonders
interssiert ist: Sie können sich gar
nicht vorstellen, wie sehr es dagegen mich erregt hat, es war der einzige
Lichtblick, der einzige an diesem Samstag, denn sonst kamen mir diese
Ausstellungräume, die geschönten Leute in ihren Sonntagskleidern, die Männer
alle mit ihren ewigen Krawatten, und so, schrecklich hohl und leer vor, und
kein Funke sprang von den Mattioli-Bildern über, keiner. Sonst war ich richtig
geprickt und angemacht gewesen, jaja, von Mattiolis
Bíldern, hatte gerne darüber auch geschrieben, immer wieder, diese
Reduktion der Welt auf Null mit farbigen Anwesenheiten an allen möglichen
Grenzen; und ich hatte plötzlich Angst, ausgebrannt zu sein, und dachte an
meinen alten Freund Cioran in Paris und an diese Schrecklichkeit des Alterns,
dass er jetzt gar nicht mehr spricht, sich nur durch Gesten und Gebärden
mitteilen kann, falls der Stupor es
zuläßt, und dass er jetzt sein Lebensprogramm der "prunkvollen
Verwüstung" erfüllt hatte, so dass jetzt der ausgebrannte Geist nun in
seiner eigenen Nichtigkeit dahintrocknet; fast schlau hat der Verstummte dazu
als letztes nun ein Jugendwerk "Gedankendämmerung" in Deustchland
erscheinen lassen, das er in seiner Muttersprache noch 1940 in unserer
gemeinsamen Heimat veröffentlich hat; damals war ich genau sechs Jahre alt
gewesen. Gewesen? Nun gut, lasse aber mein Erinnerungen jetzt nicht
durchbrechen. Ich sprach mit Michum, unserem Analytiker, der aus Florenz auch
zu seinem Lieblingsmaler und Freund
gekommen war,, doch der über meine Befürchtungen, doch der winkte nur mit einem
gequälten Lächeln ab und sagte, die
Räume hier seien auch für ihn furchtbar leer; der Maler fehlt mir sehr, sagte
er, es ist hier alles wie tot. Der alte Maler war nämlich im Juli vergangenen Jahres gestorben, und Michum, der
auch noch eine krebskranke Freundin mitgebracht hatte, die nur noch einige
Wochen zu leben hatte, war sehr traurig, sein Blick abwesend; wir irrten also
zwischen Mattiolis Bildern umher, viele alte Bekannte darunter, und landeten
schließlich in einem Vorraum, wo Mattioli wirklich da zu sein schien, was noch
unerträglicher war, kaum auszuhalten: dies Wiedeoaufnahmen in seinem Atelier,
die Stimme, das Gesicht, alles fern, flach und leblos. Nur Anna, die Enkelin,
und die Tochter Marcella, die plötzlich eintraten und uns stürmisch begrüßten,
hier also, das war mir jetzt klar, hier
also war das Zentrum der Ausstellung, der Bilder, als wäre er genau an dieser
besonderen und ausgezeichneten Stelle im Raum anwesend. Und von hier aus sah
man auch das erste Bild der Ausstellung, vielleicht das tiefsinnigste Bild, das
er je gemalt hatte, und das von hier aus auch die erste Ausstellung ohne ihn,
zu beherrschen schien: sein Kopf, ein Selbstporträt, trat aus einem schwarzen
Hintergrund hervor, und er hielt die kleine Enkelin, damals noch ein Kind, eng
umschlungn, als klammere er sich an diese kleine weiße Gestalt. Im Katalog war
dazu auch ein Gedicht von mir abgedruckt, das geht so:
Auf einem Blick
Jenseits der Tür,
davor
das Kreuz, das nach
dem Tode
steht. Im Rahmen
stehst du schon
der Tür/ aus
ewiger Nacht
mit einem Fuß
Das Enkel
Kind, das dich umarmt
in Weiß steht
noch im Licht und
hält dich hier.
Nun gut. Anna zeigte mir auch das zweite
Gedicht, ein Gedicht auf eines seiner wunderbaren Kruzifixe geschrieben, das im
Kloster von San Miniato in Florenz
aufbewahrt wird. Und dann sagte
sie: ich bin ein Stück von ihm, ich kann ohne ihn nicht leben. Und weißt du,
was mir gestern Abend passiert ist, du glaubst es nicht, ich bin auch jetzt
noch erschrocken; er hat sich gemeldet, er ist da, ich spüre ihn auch, und
meine Mutter, auch meine Cousine Luci haben von ihm in dieser Nacht geträumt,
und er hat ihnen gesagt, dass die Ausstellung gut und er einverstanden sei, und
dass er auch nach Magnani-Rocco komme, hier also dabei sein wird. Geh, sagte
Hanna, die mit zugehört hatte, das ist doch verständlich, ihr hab andauernd an
ihn gedacht und natürlich auch an die Ausstellung. Nein, nein, sagte Anna,
nein, wißt er, dass er beiden dasselbe gesagt hat, Luci und auch meiner Mutter:
infine ho una casa! Endlich habe ich ein Haus. Michum stand auch dabei,
und wagte nicht zu lachen Was aber mir passiert ist, du glaubst es nicht, sagte
Anna: ich hab immer noch Angst, im Traum ist er ja fast jede Nacht da und zeigt
mir dann die seltsamsten Landschaften, führt mich herum in einer ganz anderen
Welt, die ich gar nicht verstehe, und er versucht es mir auch nicht zu
erklären, wie er auch seine Bilder nie erklärt hat, das war eben so und nicht
anders, auch wenn man es nicht begreifen konnte, man ahnte es, man fühlte es
man war eben mittendrin - immer mit ihm, und wenn er dabei war, verstand ich es
auch; doch gestern Abend, ja, da war ich sehr erschrocken, jaja, auch wenn ihr
es nicht glaubt, ich hörte meinen Lieblings-Mahler, die Fünfte, und
ausgerechnet bei Maler also, es war schon der zweite Satz, eine gute
CD-Aufnahme, da hörte die Musik ganz plötzlich auf, ich dachte zuerst an
Stromausfall, doch die Lampe brannte ja, und in diese Pause hinein konnte ich
ganz deutlich seine Stimme hören: Sono arrivato! Sono arrivato! Zweimal also Sono arrivato! Ich lief vor Schrecken hinaus. Und als ich
mich wieder erklaubt und die Angst
überwunden hatte, wieder ins Zimmer kam, da lief weiter die Fünfte, so als wäre
überhaupt nichts geschehen, und alles so wie bisher und gewohnt. Doch glaubt
mir, das Zimmer hatte sich verändert. Und ich dachte auch das Bild, dieses
Motiv, wo er mich in den Armen hält, war verändert, das Licht war anders, und
auch ich weiß nicht was ... Aber es ist
ja nicht so, dass er nicht auch ein anders mal da gewesen wäre, doch im
Tarum ist das ja ganz normal, nur hier
so, in der Wirklichkeit? Da paßte er gar nicht hierher, da war er eben ein
Schrecken, obwohl es gar nicht so sein dürfte. In den Träumen kommt er, setzt
sich an mein Bett, und nimmt mich an der Hand, dann fliegen wir fort. Und er
zeigt mit diese Landschaften, auch Leute zeigt er mir, mit denen er nun
zusammen sei, seine "Freunde". Und jetzt sei er ja zu Hause, sagt er.
Und es ist wie früher beim Malen, nur braucht man kein Malgerät, sagte er, man
denkt es nur, stellt es sich vor und schon ist die Landschaft wirklich da,
fabelhaft sei das, wie schön, und gemeinsam stellen sie nun diese Landschaften
her, in denen sie leben, auch die Häuser , in denen sie wohnen. Und einmal
zeigte er mir ein "Objekt", es schien zuerst aus Papier zu sein, doch
wars dann doch ein ganz anderer, mir unbekannter Stoff, und in dieses Ding, das
ganz merkwürdig gefaltet war, aussah wie ein Rettungsring, und mein Großvater,
der hat ja immer so eine Schwäche für Geometrie und Topologie gehabt, wie er es
nannte, wir haben ja beim Abbi auch sowas lernen müssen, und er sagte, dies sei so etwas wie
ein Hypertoroid, und es enthalte die drei normalen und zusätzlich die drei
zeitlichen Dimensionen. Sei aber selbst zeitunabhängig, und es war ganz
merkwürdig da drin, und da konnte man
malen und zeichnen, aber nur in Gedanken, und war sofort weit weg, vor und
zurück, bis weit in die Zukunft hinein. Und er sagte, daher sei es ja auch so
schwierig, sich gegenseitig zu besuchen,
weil so unterschiedliche Welten etwa
unseren Biorhythmus stören könnten beim Eintauchen in zukünftige Zeit, und es
käme alles durcheinander. Nach dem Aufwachen war es mir ganz unheimlich, weil
alles so wirklich gewesen war, echt! Und ich hörte immer noch seine liebe
Stimme und fing auch an zu weinen, schluchzte in mein Kissen, das dann ganz
naßgeweint war.
Anna sagte, sie habe schon viele
Traumtagebücher geschrieben seit dem Tode ihres Großvaters, und das wichtigste,
was er ihr erzählt habe, sei ewas ganz Verrücktes, nämlich dass alles zu
gleicher Zeit geschehe
Wie das, fragte ich.
Nun, es gebe überhaupt eine ganze Reihe von
Leben, in denen wir mit dabei sind, jetzt, in diesem Augenblick, du und ich
auch. Viele andere Leben in ganz anderen Gegenden, als wir sie uns vorstellen
können.
Ja, sagte ich, da fällt mir ein schönes
Gedicht von Friedrich Hölderlin dazu ein: Es ist unmöglich, und mein innerstes/
Leben empört sich, wenn ich/ denken will, als verloren wir uns./ Ich würde
Jahrtausende lang die Sterne durchwandern, in allen Formen/ mich kleiden, in
alle Sprachen des /Lebens, um dir einmal wiederzubegegnen./ Aber ich
denke, was sich/ gleich ist, findet sich bald.
Sehr schön und richtig, ja, genau so ist
es, rief Anna.
Unser kleiner Kreis hatte die Ausstellung
und die vielen Leute völlig vergessen, die sich vor den Bildern drängten,.
Und ich lachte, und sagte, zu Hause als
Kind, da habe mein Bruder immer wieder rausbekommen wollen, wie man sein eigener Großvater wird;
und wir hatten ihn als kleinen dicken Witzbold immer ausgelacht.
Und es ist gar nichts zu lachen dabei.
Ja, wenn die Leute sagen, in einem
anderen Leben könnte ein Paar die Mutter-Tochter- Rolle spielen, in einem anderen
aber die von Vater und Sohn, oder dass ich hier die Tochter meiner Mutter sei,
ein andermal aber ihr Vater sein könnte, ist das gar nicht nacheinander,
sondern überhaupt gleichzeitig, und wir könnten das keinesfalls verstehen,
einigermaßen mit übereinanderlaufenden
Filmen könne man das vergleichen, wobei mal der eine, dann der andere
Filmstreifen bewußt werde, wir aber die übrigen immer wieder vergessen, ja,
vergessen müßten, um leben zu können. Und überhaupt sei ja die Leinwand jener Ort (gar toplogisch zu
nennen!), wo etwas erscheine und dann wieder spurlos verschwinde, wie in Gespenster- und Gruselfilmen sei das, diese
Erscheinungen seien da, redeten uns an, wir aber säßen ein wenig
dumm auf unseren schwarzen Sesseln,
flögen, an unsere Augen gefesselt, über sie hinweg, so als wären sie gar
nichts, und dann aber flögen auch sie selbst, diese Gespenster, kaum zu
glauben, und doch sähen wirs ja wirklich und deutlich! Und nur weil das, was
man im Film nicht sehe, über die Zeit hinwegspringe, naja, könne so etwas
überhaupt sein. Aber das Zeitspringen
das, was in Wirklichkeit geschehe! Und dann bückten wir uns, sozusagen
symbolisch, um nicht davon getroffen zu werden, Huuh, das wäre grauslig,
entsetzt aufgerissene Augen, und werden dann doch berührt! Aber genau so
sei das ja in Wirklichkeit, was wir
vergessen müßten, jeden Augenblick seien wir unser eigenes Gespenst. Sie dort
aber, wo sie jetzt sind, sie hätten nun eine Art Brille, so dass sie dies Filme
alle gleichzeitig sehen könnten. Vor- und rückwärtslaufend. Egal, das könnten
sie. Oder auch ein Film, der sich aus dem andern entwickelt und
so. Und dieses Auftauchen und plötzliche Verschwinden bei uns von solchen Dingen sei völlig normal,
und immer geh doch alles mit rechten
Dingen zu, nur seien wir zu blöd, es zu begreifen, sagte er auf seine
grantelige Art, die ich so lieb habe: weil doch diese Dinge, auch er etwa,
falls er bei uns auftauchen wolle, was er nicht tue, um niemanden zu
erschrecken, sei doch nur deshalb möglich, weil er in einem Zeitbereich lebe, in dem unsere Vergangenheit nur Teil
des großen, uns entzogenen, dimensionalen Zeit-`Raumes`sei. Oder so ähnlich, so
genau kann ich das nicht mehr auseinanderhalten! Jedenfalls gebe es keinen Tod.
Aber eines erinnere ich noch, das war ein anderes Mal, als er sagte, das könne
man bei Ufo-Landungen auch bemerken, die
bei uns blöderweise immer noch geleugnet
werden, da blieben an solch einem Ort Reste der Spuren künftiger oder
vergangener Zeit, die etwa den Gang von quarzzgesteurten Uhren beeinflussen,
Boden und Vegetationsveränderungen hinterlassen, diese Zeichen in Kornfeldern
etwa. Und wir selbst projizierten Filme,
und alles was geschehe, sei ein Netzwerk
von solchen Bewußtseinsfilmen. Und es gehe eigentlich nicht immer so weiter,
denn es sei alles schon unendlich weit gegangen, eine große Verknüpfung, in dem
die einzelnen Lichtpunkte andauern an anderen Orten aufleuchten, und so der
Anschein von Weitergehen entstehe.
Na siehst du, und mußt nicht traurig sein,
sagte Hannah ein wenig spöttisch, wenn auch nachdenklich geworden, was du alles
so einem Großvater zu verdanken hast. Meiner hat mir nur Geld hinterlassen.
Dazu hat dir deiner noch ein ganzes
Museum von Bildern geschenkt, das sehr viel mit jenen Filmen zu tun haben, von
denen du erzählt hast.
Wir verließen schon am späten Nachmittag Magnani-Rocca, blieben
nicht bis zum kalten Büffet. Ich war von
den Träumen Annas so beeindruckt, dass ich auf der Heimfahrt von nichts anderem
sprach. Wir fuhren von Traversetolo in
Richtung Apennin, man sah die schneebdeckten
Berge der Emilia, und ich sagte zu Hannah, wir sehen uns ja nun hier im
Auto, und zugleich sehen wir dort auf
die Schneeberge, mit den Gedanken sind wir jedoch immer noch in
Magnani-Rocca bei Annas
Gruselgeschichten, wenn das, so oberflächlich gesehen, nicht auch drei-vier
"Filme" sind. Ich muß die ganze Zeit daran denken, dass ich meinen
Roman nicht mehr einfach so lassen kann, wie er bisher war, ich brauche einen
neuen Anfang. Nämlich diesen. Und ich brauche solch ein wirkliches Netzwerk , wie es Anna geschildet hat. Aber
weißt du, ich freue mich jetzt sehr, auch wenn ich gestreßt bin, weil da von den Bildern Mattiolis
diesmal zum erstenmal kein Funke zu mir übergesprngen ist, und ich mach mir Sorgen, dass ich alt werde.
die Wahrnehmungen abbnehmen
Nein, nein,
protestierte Hannah, ich glaub das nicht, du bist eben in deiner
Phantasie sehr mit deinem Roman
beschäftigt.
Ja, Hannah, ich freue mich in Tat, dass ich
jetzt meinen Roman so mit dir erleben darf, und
weiß jetzt auch, warum ich solches Glück empfinden kann, wenn ich meine
Collagen im Roman zusammenbringe, weil ich dann jenem Netzwerk nahe komme. Eine Art Engelarbeit: Je mehr
Einzelszenen oder auch Fragmente sich gegenseitig anziehen, dichter werden, ein
annäherndes Ganzes ergeben, umso größer ist die Erregung dieser intuitiven,
ganz persönlichen und doch sich selbst überschreitenden "Sinnarbeit", die sich eben einem
Unerreichbaren, einem verborgenen Ganzen annähert. Personen und Ereignisse
ziehen sich auch so an, keiner weiß warum, der innere Sinn aber, der ist nur
fühlbar; nie erklärbar, du wunderst dich ja auch, wenn das Telefon läutet, du hast eben an Pia gedacht, und sie
ist am Apparat;. und eigentlich müßte ich meine Personen, da sie ja zum Teil in
der "Zukunft" leben, oder solche, wie mein Doppelgänger Nicco, in der
Vergangenheit, aber auch jene, die "dort" sind, wie Mattioli,
gleichzeitig hier jetzt "mitfühen", in mehreren Spalten, dass sie sich aber dann
ihre Bewußtseinsströme verschränken, überschneiden: sie selbst dann plötzlich
hier auftauchen wie Geister. Und ich oder du bei ihnen auch als Phantom
erscheinen. Was allerdings gefährlich sein soll, Verstörungen hinterläßt.
Weißt du, was mich ein wenig stutzig macht?
Du sagst, es vergehe eigentlich keine Zeit, es geschehe alles gleichzeitig.
Dabei sehe ich doch, wie mein Vater altert, sich verändert,.. Und wir, du hast
doch vorhin dein Lamento angestimmt! Das
Gesicht ist auch im Spiegel zu sehen.
Es gibt wirklich nur diesen Augenblick.
Sonst nichts. Das heißt, auch er ist schon vergangen. Und das Gedächtnis, die
Fakten selbst sind vergangen. Und auch
dein Körper ist nicht der, den es vor einem halben Jahr gegeben hat. Es sind ganz neue Zellen, die ihn möglich
machen. Das Erscheinungsbild aber ist
da, nach einem bestimmten Wissen, das zu deinem Bild gehört, und dieses dann
herstellt. In diesem Wissen ist nicht nur das, was gewesen ist, sondern auch
das, was sein wird, gespeichert.
Das ist so schwierig, kaum zu verstehen,
sagte Hannah.
Aber nur, weil wir so eng denken, nur
faktisch, also in einer Illusion gefangen sind. Denn eigentlich ist jene andere
Möglichkeit viel plausibler und unserer
Reife näher, sagte ich. Ist nicht auch die Zukunft andauernd da. Denk
nur, du fährst doch jetzt genau diesem Gedanken nach: ich will jetzt nach Hause
kommen. Alles andere ist dieser Zukunft untergeordnet, die doch herbeiführst,
verwirklichst ...
13.4.-22.4 Besuch L.
Bidian und Katja. Schlechte Mischung Freundschaft- Vermieter.
Und lernte K. dann
kennen. Hart. Egoistisch. Kaum Zugang zu mir. Kein Interesse an meinen Gedanken
und Arbeiten. Hörte weg. Redete monoman. Und Rechthaberisch. Am Schluss dann
mein STI, das ich ihr widmen wollte, abgewiesen. Das bleibt. Aber als hätte ich
etwas verloren, und hatte es auch. Mein e Emotion, meine Erinnerung sträubte
sich dagegen. Es tat weh. Siebenbürgen und die alte Wunde gehört dazu.
23. 4. Und heute ein
anderer Abschied. Von Circel (Flocki). Harnstoffvergiftung. Urämie? Morgen soll
er eingeschläfert werden. Es ist kaum vorstellbar. Auf dem Boot heute da war
jede Ecke von ihm besetzt. Er war ja auch Kindersatz. Und dieses Töten
widerspricht mir. Ich würde ihn lieber sterben lassen. Er hat ja kaum
Schmerzen, ist ganz vernebelt. Aber L. ist da entschlossener als ich. Auch
dieser "kleine" Verlust tut weh, er war unser Hausgenosse seit 17
Jahren.
Mein Gedicht in Marciana vom 30. Juli 94.
Heute neu geschrieben, wo es leider, leider nun endgültig gilt, du warst noch
fast neun Monate bei uns:
EINE HUNDEBALLADE FÜR
FLOCKI, UNSERE LIEBSTE KLEINE KREATUR
Auch wenn du gehst,
bleibst du erinnert hier,
warst siebzehn Jahre mit uns kleines Tier.
Warst hier, wir beide
haben diese Bilder
noch ins uns:
du kamst als kleines
Knäuel, ein Tierheimarmer
früh zu uns.
So ruh in Frieden, geh
zurück, woher du kamst,
wir bleiben hier und
trauern lang,
und suchen dich
noch eine Zeit in
jedem Winkel unseres Hauses,
und wo du saßest, liefst und belltest ist ein leerer Platz,
der wehtut, den du
mitnahmst, kleiner Kerl,
den wir gemocht, der
lang in unserem Leben war,
und uns beschenkt
mit dem Bellino-Wesen.
Du, Flocki, liebster
Hausgenoss seit Jahren.
Wir suchen dich wohl
noch in unseren Träumen,
dort, wo dein kleines
schwarzes Bild uns bleibt.
Vielleicht begrüßt du
bellend uns, wer weiß,
in einem Himmel, den
wir ahnen, und nur fühlen können,
vielleicht sehn wir
uns später einmal wieder, wer weiß.
30. Juli 1994/ 24.
April 1995
Ob mich da auch eine
Schuld trifft, weil er für L., auch für mich, der Kindersatz war?
24. April. Nachts
bellte Flocki gellend, wir konnten ab 4 Uhr nicht mehr schlafen. Er hatte
Schmerzen. Um halb neun fuhren wir zur Tierärztin in Camaiore, er lag schon mit
seinem Leichentuch eingewickelt halbtot in seinem Körbchen. Die Ärztin führte
eine Kanüle ein, in die kaum findbare Vene. Ein starkes Schlafmittel und dann
das Gift. In Sekunden war der kleine Kerl tot. L. weinte, hielt ihm das
Köpfchen die ganze Zeit, ich auch. So humanisiert man die Kreaturen. Wir fuhren
wieder nach Hause mit dem kleinen Leichnam. Und begruben ihn zwischen den
Tannen, Weihnachtstannen, wo er ja auch immer mit dabei gewesen war. Ein
kleiner Carrarmarmorstein mit seinem Namen, ein Holzstab. Und das Gedicht bekam
er zwischen die Pfötchen. L. war gefasst.
In mir war es schwer, und ist es noch.
Als wäre dieser Platz
entsprechender als das Gequäle des armen alten Körpers. Jetzt ist seine Energie
frei.
Auf dem
Anrufbeantworter nun auch die Nachricht, dass Roxana tot sei. Goffy hatte angerufen. Vorher sagte es uns Iva. Das
ist wirklich etwas anders, als unser armer alter Hund, der sein Leben gelebt
hat. Sie hinterlässt einen kleinen 22 Monate alten Jungen: Pietro. Heute Nacht
ist sie gestorben.
Was wirklich wahr ist,
gibts noch nicht.
Und alles andere ist
vergangen.
Die schnelle
Geschwindigkeit dieses Tages
setzt du auch morgen
nicht zusammen.
Am alten Turm zeigt
die Uhr unaufhörlich zwölf.
Unerlaubt scheint das
wirkliche Weinlaub.
Sprünge und Risse im
Blickfeld Und alles
eilt/ Du hältst es
notdürftig zusammen
treibst wie eine
Mauerblume
Synthese zum Vor-
Schein.
Und wir saßen an
diesem Tag in winzigen plätschernden Wellen, es schien in ihrer Sanftheit so,
als wollten sie aufhören. Vor dem Sturm ist es meist ungeheuer sanft das
Wasser, kleine Seespinnen rennen dann über die glatte Fläche. Netz. Denk du an
... Arachne vielleicht. Über uns ein altes Gefängnis. - Ich las in einer gescheiten Untersuchung
über den Tod, fand mich in der Beschreibung dieses Kreisens an den Rändern des
Bewußtseins, das bald explodieren muß, wieder.
Liebe und Tod und die
Revolte durchbrechen ein aufgezwungenes künstliches Ich, machen sprachlos.
Widerstand gegen die Vatersprache, die abendländische. Und die Muttersprache
der Gefühle, des Alltags? Und ihr mit offnen Sinnen wahrnehmbares Geheimnis?
Dafür sind nicht einmal unsere Sprache, unsere Sinnkonstruktionen geeignet.
Nirgends hab ich die
schamvolle und peinliche Selbstentlarvung heftiger gespürt, als unter
rumänischen Menschen, diesen naiven Selbstbetrug des Planens und
"Wissenmeinens", ohne es auch erfahren und gelebt zu haben. Als
hätten sie jenes "Ich des Ich" (Cioran) (diesen im Westen so
hochtrabend "transzendentales Subjekt" oder einfacher Selbst genannte
"Beobachter" in uns) immer dabei, so dass sie gar nicht handeln müßten,
sich etwas vorzumachen, wobei jener Andere uns doch nur auslache! Cioran meint,
"was ich tue und sogar, was ich bin, hat für dieses Ich weder Bedeutung,
noch Wirklichkeit: es ist, als handele es sich um ferne Ereignisse, die längst
abgelaufen sind und deren scheinbare Gründe wir entwirren, ohne ihre innere
Notwendigkeit zu gewahren. Sie hätten ebensogut nicht sein können, so äußerlich
sind sie uns. "
Daher ist für mich allein Schreiben oder
der medititaive Vorgang, Gespräch,
Liebe, auch Naturerlebnis, wo Sehnsucht konkretisiert und aus der Zukunft
hereingeholt wird, ins Erlebbare, befriedigend, LEBEN. Schreiben freilich immer nur Ersatz, das vorausgeworfene, aber
wirklich unmögliche Leben. Ein Selbstmord also in Raten. "Jede Tat setzt eine
begrenzte Sicht voraus, ausgenommen die Tat der Selbstentleibung... Neben ihr
ist alles Belanglosigkeit," heißt es bei Cioran.
Auch sein "Buch der Täuschungen"
ist nun erschienen. Darüber und über das Un-Glück ein Rumäne zu sein, schreibt
Klaus Hensel in der NL (7/8). Und bedauert diese "abgrundtiefe Angst vor
Europa". Diese Angst ist begründet. Von Rumänien ist an Antiokzidentalem
viel zu lernen.
In
einer Glosse zu Eliade, beklagt
Eugène Ionesco, dass der Okzident nicht
der Wahrheit des Orients gefolgt sei, im Gegenteil, der Osten sei am Westen
zugrundegegangen, zuerst am Geistesimport, den Ideologien (Marx) und der
Technik, er habe sich, wie die Dritte Welt ja auch: den Wahnsinn des
Westen zu eigen gemacht, und dies
zerstört die eigenen LebensGrundlagen. Und nun geht der Osten weiter am Konsum,
der "Marktwirtschaft" zugrunde.
Diese rumänischen Autoren und Philosophen
im Vakuum sind, fast wie die ganze Nation zwischen Orient und Okzident,
"Zwischenschaftler", belastet mit einer Nicht-Identität im Sozialen,
Historischen, in einem aufreibenden Zwischenraum des niemals Nachhause-Kommens,
immer bodenlos, haben sie jenen andern Grund der Transzendenz nicht verloren,
der in Westeuropa überdeckt oder gar schon verloren gegangen ist. Nicht im
Satten und völlig angepassten luxuriösen Dahinvegetieren ist er zu finden, sondern eben gerade in
diesem schmerzlichen Zwischenraum, dieser quälenden geschichtlichen Leere, die
eine ganze Nation zu einem Opfer gemacht hat, denn aus dieser Leere entstanden
die zwei Diktaturen, und eine Kultur im Exil.
So geht Eliade in den Himalaja, wird Eremit, er geht nach Hardwar, wo niemand
nach der Herkunft fragt, wo jene hingehn, "die vom Schicksal im Stich
gelassen wurden". Ionesco und Cioran verlassen die rumänische Sprache,
wechseln sie, und lassen radikal die Vergangenheit hinter sich. Cioran nennt es
eine "Emanzipation", außerdem sei es für einen "Balkanesen"
gut gewesen, sich in diese "Zwangsjacke" zu begeben, da das
Poetische, das vokalreiche, äußerst musikalische Rumänische mit seiner
syntaktischen Struktur und lexikalischen Fülle zum Ausufern einlädt. (Entretien
a Tübingen, Gespräch mit G. Bergfleth, 1988 L`Herne, Paris).
Doch schon Eminescu oder Hasdeu waren "Zwischenschaftler". Und in der
Volkskultur gibt es den Hl. Josaphat, der ein indischer Bodhisattva ist, wie
Eliade analysiert; "kosmisches Christentum" im Rumänischen, Brancusi
etwa, der Bauer, hat solch eine Synthese zwischen Ethnographie und Osten, aber
auch zwischen Steinzeit und
Urbevölkerung (Daker) geschaffen.
Wer in den Klöstern der Maramuresch, wer in Tg. Jiu am Jiu den
"Tisch des Schweigens" oder "das Tor des Kusses" unweit
auch die "Unendliche Säule" gesehen hat, am pantha rhei des Flusses,
den läßt dieses Erlebnis des Ursprunges, einmal mit allen Sinnen und elementar
erlebt, nicht mehr los. Mich haben gerade diese Provinzen, die Dobrudscha am
Schwarzen Meer und Oltenia, der archaische Süden Rumäniens, der ärmste Teil,
mehr noch geprägt als irgendwelche archaische und exotische Kulturen, die ich
erlebt habe, etwa die Hopis. Oder Mexiko. Eine Sehnsucht geht da zurück, so
auch in die Westkarpaten und in die Maramuresch mit den Holzkirchen, Modell
auch für den weltberühmten Bildhauer Brancusi. Rauchgeruch, frisches
Tannenholz. Wasser. "Ich fühle mich als Nachfahre und Erbe einer
interessanten, da zwischen zwei Welten angesiedelten Kultur: der westlichen,
rein europäischen, und der östlichen. Ich hatte teil an diesen beiden
Welten."
10. Juli 95. Schon vor
zwei Wochen hatte Goffy jedes Gespräch über Thomas Mann, Literatur und seine
Verlegertätigkeit abgelehnt, ja, gesagt: Hör doch endlich auf damit. Bei mir
hat seit einem Traum von meinem Begräbnis und den Ahnen, ich hab ihn ja euch
erzählt, eine Persönlichkeitsveränderung stattgefunden. Mich interessiert nur
noch dieses Unaussprechliche, sagte er. (Am 31 Juli wird er 98). Er war still,
man konnte nicht an ihn herankommen, und alles, was ich tue und schreibe, kam
mir daneben so oberflächlich vor. Es traf mich wie ein Schlag. Und ich konnte
nicht schlafen
Heute nun war er besonders abwesend, müde.
Er sah L. und dann mich im Laufe des Abends schweigend, lächelnd an, als müsste dieser forschende Blick in uns
eindringen, uns enthüllen, damit wir da seien, wo er sich jetzt befand.
Annette sagte, es gehe ihm nicht gut, die
Nieren, der Kopf. Und tatsächlich, er sagte, nun müsse er uns viel zeigen, sehr
viel, sagte er, dann bat er mich, wir
saßen im Garten, von seinem Stammsitz im Zimmer seine Traumbeschreibung zu holen. Er blätterte ewig darin. Ich finde den Anfang nicht, sagte
er. Wir warteten. Dann begann er zu lesen:
Ich erwachte zwei Uhr nachts, und war angekleidet. Ich stand auf und
befand mich in China. Irgendwelche Seeleute. , Europäer und Chinesen waren da,
kümmerten sich aber nicht um mich. Ich
war erstaunt, konnte nichts rekonstruieren, verstand nichts mehr. Und es war
immer noch zwei Uhr nachts usw. Und das las er mindestens zehn Mal, zuerst
dachte ich es sei eine raffiniert komponierte Fuge: ich erwachte zwei Uhr
nachts, und war angekleidet. Ich stand auf und befand mich in China. Irgendwelche
Seeleute, Europäer und Chinesen waren da, kümmerten sich aber nicht um mich. Ich war erstaunt, konnte nichts
rekonstruieren, verstand nichts mehr. Und es war immer noch zwei Uhr nachts.
Ich erwachte zwei Uhr nachts, und war angekleidet. Ich stand auf und befand
mich in China. Irgendwelche Seeleute, Europäer und Chinesen waren da, kümmerten
sich aber nicht um mich. Ich war
erstaunt, konnte nichts rekonstruieren, verstand nichts mehr. Und es war immer
noch zwei Uhr nachts...
Dann aber merkte ich, dass er einfach
"vergessen" hatte, dass er es schon gelesen hatte. Sein
Kurzzeitgedächtnis funktionierte nicht mehr. Der Kopf rauchte mir, ich dachte,
ich drehe durch, und hörte immer noch seine Stimme: ... ich erwachte zwei Uhr
nachts, und war angekleidet. Ich stand auf und befand mich in China.
Irgendwelche Seeleute, Europäer und Chinesen waren da, kümmerten sich aber
nicht um mich. Ich war erstaunt, konnte
nichts rekonstruieren, verstand nichts mehr. Und es war immer noch zwei Uhr
nachts.
Freitag, 29. 12. Fax von D.
gegen 23 Uhr, harte Kritik an diesem Buch. Gegen 24 Uhr stieß ich Hannah von der Treppe.
Sie fiel auf das Handgelenk, die Hand war verstaucht. Sie fiel mit dem Kopf auf den Steinboden. Sie lag da und wimmerte, sie schrie, es war
ein Todesschrei.
1996
3. Januar 96. Feuerbestattung von GBF in Pisa. Ich dachte:
Niemals hinab, eingezwängt ins Erdloch. Nein frei, frei zu Asche und Rauch
verstreut in die Luft, ins Gras zwischen die Bäume, die weiter in die Ferne und
aufs Meer sehen, im Chlorophyll belichtet.
In der Nacht dieser
"Traum": Mein Körper löst sich vom Denken, tut nicht mehr weh, ich
kann mühelos aufstehen, öffne die Tür zum Garten, gleite hinaus
fliege. Flüssiges Feuer auf den Stuhl
fällt durch den Olivenbaum Licht und Schatten; flüssiges weißes Feuer
wie bei Van Gogs "Stuhl" schlagen daraus Flammen, und erstarre, alles
geschält aus dem Namen, durchsichtig
schwingt es, schwere Augenlider. Bleiern im Mund Geschmack von Kupfer und Dröhnen, Eisenhämmer im Ohr, ausgelaufen
dieses Silber, im Atem Metall, der Körper schwer; und entferne mich, im Hirn eine Helle, taste mit meinen Fingern
über rissig poröse Materie, eisigkalt die Stelle, wie verhext der Finger,
gleitet hinein, bricht durch, ach, und aus dem Bild an der Wand tropft es, ein Engel Materie weint, das
Summen wächst... ein Streifen Licht von
draußen, es fällt ins Auge und schmerzt; ich schweige, kann nicht reden oder
wenn ich rede, hört mich niemand; sie
sehen mich nicht; dort oben an den braunen Deckenbalken des Zimmers Schweben,
leicht wie eine Feder … das blaue Band
bis zum Meer flüssiges Licht
blendet, durchdringt die Mauern. würzige Luft ein essbarer Gegenstand. Die
erhöhte Klarsicht bis hinüber zum toskanischen Archipel, hier in der Bibliothek ist nun aus Kristall
wie von Sinnen; die Luft scharf der Himmel
Vogelgezwitscher die Linie des Berges mit dem Rasiermesser geschnitten;
dieses Rosa glüht von innen weich wie Kinderlippen fliege schwebe über den
Wellen über dem Meer Sand Sand und kann in jedes einzelne Körnchen hineinsehen:
jedes Teilchen ein vollkommenes geometrischen Muster strahlt ist Kristall mit
scharfen Ecken jedes wirft einen Lichtstrahl zurück leuchtet; ein Regenbogen
Strahlen kreuzen sich bilden schöne Muster dann wieder das Zimmer die Bücherwand
die beiden Fenster der Sessel ein
dichtes Muster es ist nicht mein Zimmer es ist ein Bild von Braque
keine Gebrauchsgegenstände mehr sondern himmlische Objekte frei und schwebend Dröhnen Pochen? Sie aber
winkten mir; und ich ging mit dem Buch aus dem Haus, es war windstill, im
Nachbarhaus stand auf dem Schornstein
eine senkrechte Rauchfahne, Feder im Tintenfass Trauermusik, Salutschüsse auf
einem Friedhof, lauter frisch aufgeworfene Hügel, sonst nur zubetonierte
Gräber, wir gingen in eine tranceversunkene Stadt, manchmal schwankte ein hohes
Gebäude vorbei, und Gesichter hingen müde, wie an eine Fensterscheibe gepresst,
vor uns in der Luft.
4. Jan. Nach der
Einäscherung in Pisa, las ich von Dr. Moodys "Psychomanteum" (nach
Herodot) "Das Orakel der Toten". Raum mit Spiegeln, wo die Toten
befragt werden. Ich baue es nach, es ist ganz einfach. Es kommen direkte
Stimmen, einzelne Worte. Liebst du mich? Ich höre ihre Stimme, die es
sagt - manchmal höre ich sie noch in meinen Träumen. Liebst du mich? Ja, Ja
- und wahre Liebe wird niemals enden. Dann wache ich schreiend auf.
5. Januar. Hier will
niemand glauben, dass es die andere Welt gibt. Nach dem Tode aber will es
drüben niemand glauben, dass wir je im Fleisch gewesen waren. Ungeheuerlich ist
schon die Geburt!
6. Januar. Morgens ging die Tür plötzlich geisterhaft
auf. Ich dachte, es sei der Hund gewesen. Doch der saß friedlich auf der
Treppe, weil er zur Hündin wollte. Es
muss etwas anderes gewesen sein.
Dann die wirklichen Begegnungen:
gleich am Anfang des Tages die Nachbarin umarmte mich, wünschte auch mit den
Augen alles Gute. Ob das hilft? Wir waren dabei, das alte Auto auszuräumen.
Nostalgie. Es zum Schrottplatz zu fahren. Den neuen "Punto"
abzuholen. Alle diese Verrichtungen in dieser physischen Direktheit machen ohne
Tagebuch kein Vergnügen. Ich war deshalb etwas erregt. Gestern mit P.
Henkelsekt darauf getrunken, dass ich wieder zum Tagebuch gekommen bin, das
Vergessen aufbewahrt wird. Erinnere so das Gestern: dass ich das Telefonat mit
dem verunglückten Jungen unserer Freunde in der Schweiz verschoben hatte, der
Arme lag dort mit Skiunfall im
Krankenhaus. Mit ihm zu sprechen, wenn niemand mehr an ihn denkt, sei schön,
sagte er. Telefonierte dann mit Franca, die ihre Tochter und nun auch ihren
Dottore verloren hat. Dann mit Annette R. in London, die Knochenkrebs hat. Begegnung mit Gerardo P., sprachen über die
notwendige Verbindung mit den Toten. Und über mein neues Romanprojekt "Engelszungen".
7. Januar. Heute mit Hannah
wieder über den allgemeinen Unglauben gesprochen. Über dieses Leben im winzigen
Ausschnitt und mit Reduzierventil. Das müsse "falsifiziert" werden,
um zu einer richtigen Haltung zu kommen, sagte ich.
Gespräch mit dem Sohn.
dass er nicht mehr leben wolle, sagte er. Nur euch zuliebe bleibe ich noch da,
das sagte er an einer Straßenbahnhaltestelle. Wenn ich nur könnte, sagte er,
würde ich den Schalter abdrehen. Eigentlich habt ihr mich nicht gewollt,
niemand hat mich gewollt. Ich versuchte ihm verzweifelt das Schöne dieser Welt, die geistigen
Freuden, die Berührungen mit der andern Sphäre nahe zu bringen, dass Freitod
keine Lösung sei, dass Selbstmörder nachher orientierungslos herumirrten,
gequält, weil sie der Natur zuwiderhandeln. Er aber: Du hast es ja selbst in
allen deinen Büchern beschrieben, dass die Welt sowieso untergeht.
8. Januar. In der
Süddeutschen gestern die Rezension von E. Endres über Jean-Claude Schmitts
Wälzer "Die Wiederkehr der Toten. Geistergeschichten im Mittelalter",
Klett, 95. Das Christentum ist nicht
gespensterfreundlich. Warum? Auch in der Bibel gibt es kaum Totengeister.
Die Hexe von Endor ist eine Ausnahme.
Las in Jaques le Goff "Die Geburt
des Fegefeuers" über die gesellschaftliche Bedeutung der
Jenseitsvorstellungen. Die Toten sollen
auf uns angewiesen sein, ihre Qual könne
so auch verkürzt werden, da sie ja nichts anderes seien als Erinnerte. Ähnlich
bei Heidegger, der von Verstorbenen als "Gegenstand eines Besorgens"
spricht. In Sein und Zeit. Es sind die
bekannten Toten, die nicht zur
Ruhe kommen, in unser Leben hineinreichen. Und auch bei Heidegger gehen diese
Toten mit uns um, als lebten sie, und erziehen uns, gehen über irgendeine
Vorhandenheit weit hinaus, es sei der Bereich des Noch-mehr. Sowohl Schmitt als auch Heidegger fallen
auf die "Erfahrung" rein, und
wissen natürlich, dass es um eine "nicht vorhandene Realität" geht,
und dass die Toten nur in der Phantasie
der Lebenden eine Existenzberechtigung haben. Doch diese imaginäre
Existenz könne sehr viel bedeuten. Auch Schmitt meint, was in unserer Zeit noch
lebe, was noch nicht aufgenommen sei in Frieden, der das Gegenteil eines
schuldhaften Vergessens sei, arbeite an einer Wiederkehr des Verbrechen von
Auschwitz, von Katyn, von Algerien, von Bosnien.
Und hier auch Celan:
die Sinnlosigkeit des Todes darf nicht sein!
9. Januar
Zu Rühmkorfs
"Tabu I"
Es ist schon so wie du
sagst
was du sagst zu
den "fleißigen alten Kerlen"
lieber Rühmi nur fehlt noch
"in Ewigkeit
Amen" und dass wir sie nicht mehr teilen
wie früher die großen
Ströme
nach dem Ende der
Großen Teilung
kalt war der Krieg
doch wir lebten
jetzt werden die
Kriege heißer
und wir sind kalt und
kälter geworden.
Auch ich bin beim
nervösen Flackern
angekommen und hoffe
etwas gefunden zu haben
alter Freund
dass die Erbsünde eine
reine Lüge ist
an die alle inklusiv
meiner noch glauben
auf Sand gebaut auf
Kindermärchen ist unsere Angst
Ob Lena Jenissei
der Rhein Mississipi
die Donau auch und
warum so exotisch
die Wolga sogar hier
ach wie heißt er
Po natürlich und du
denkst an Ärgeres
wir am Arsch der Welt
teilst mit keinen
Armen wo andere nur austeilen
Jahre und Angst
Es stimmt früher da
gabs weniger Gitter Chemie und Atome
offensichtlich nackter
die Welt und aus-
gezogen ist sie so gegenwärtig und kommt der Wahrheit
näher.
10. Januar. Ich sagte
zu Anna, dass sich seit langem
schon der Zusammenbruch der materiellen
Welt vorbereite, also ein neues Paradigma nötig sei ( verwies auf K. Poppers
Buch "Logik der Forschung") und wagte zu sagen, dass die "Aliens"
von dieser Katastrophe sprächen, sie rufen zur Bewußtseinsveränderung auf,
sagte ich mit Nachdruck.
Anna glaubt nicht
daran, meinte, ich sei auf dem Irrweg. Ich aber sprach von einem
Gewissenskonflikt. Und dass sie zu angepaßt sei.
Wieder ein Traum mit
Jeanne: Sie stellte diesmal die Linse ihrer Kamera genau auf
meine Stirn ein, und die Bilder begannen zu kreisen, sich schnell zu
bewegen: In dem Augenblick war ein
geflügeltes Pferd zu sehen, und das Pferd, das durch die Linse zu sehen
war, wandte uns scheinbar den Kopf zu mit tückisch zurückgelegten Ohren, es sah
uns mit rollenden Augen und noch tückischerem Ausdruck an, eine Blesse lief quer über den Kopf. Jeder
weiß, dass es aus dem Blut der geköpften
Medusa "entsprungen" war, Poesie versteinert den Augenblick mit einem
inneren Auge; doch es war ein wirklicher Stall: Ende Dezember ...
24.3./24.3. 85 Abend mit der
Bildhauerin und Nachbarin Fiore und ihrer Freundin Anti. Brutal kam meine
Irreligiosität zum Vorschein. Aber in Gesellschaft bin ich seit kurzem stumm. Der Zustand nicht gut.
Ich denke an unsere Reisen. Ich lese:
Reisen: Günter Metken, Reisen als schöne Kunst
betrachtet, Insel 639, 1983.
Warum reise ich? Weil ich
unbeschwert nirgends sein will.
Das Ankommen ist beschwerlich,
das sieht man vor allem beim Einlaufen von Segelbooten hier im Hafen von
Viareggio.
Nie ankommen müssen!
Reisen als Symbol: Ulysses, der
schönste Name.
Flucht bei einer Reise, vor sich
selbst, vor der Katastrophe, unglücklichste Form künstlichen Daseins.
Gute Reise! Man sagt es wie
"Grüß Gott“, das Unbekannte schleift sich ab! Edmond Jabés: Elargir les
horizons du mot!
26.3. Ein Gedicht
für Moro (Moses Rosenkranz, den ich im März besucht hatte! Er erzählte
von seiner sowjetischen Haftzeit: 10 Jahre Polarkreis)
Hast im Verborgenen lahmgelegt
die Welt
bist du/ als wäre dies
Jahrhundert
längst aus dieser der Zeit gefallen, zurückgekehrt
tief in die Erde?
Du bist das, was ich niemals sah.
Ein Baum, den sie zum Menschen
machen wollten, und brannten ihn
zersägten seinen Stamm/ die
Blätter
trug der Wind - da lag ein
letztes Blatt,
da stand die Vorschrift für
den ganzen Baum, ein Weltenbaum,
der durch das Nichts die Achse
schlug.
Dort drehn wir uns im Kreis
und warten auf den Herrn.
26./27.3. Gestern mit Christina
Weiss (Tina) und Hannes Schmitt. Was diese Traurigkeit bringt ... da wir kein
Zentrum haben, keine Gefahr, der Todesengel, jener der Sieger, steht da und wartet; alles wird muffig und alt,
kein Schnitt, keine Befreiung. Man kann nicht mehr atmen.
(Brief an Klaus Hensel Titel:
Stilgefäß. Es blitzt einhellig in unseren Köpfen, alles stimmte!).
30.3. Sadvipra, die Yogafreundin ist in Pisa wieder
da. Ich hatte meinen Namen vergessen, so wollte sie mich nicht lieben. Sie
sagte ihn mir: Du heißt Dasharath, Beherrscher der zehn Vayus, der subtilen
Kanäle deines zweiten Körpers! Mit ihnen kannst du lieben und Wunder tun.
31. 3. Buch-Fest in Fiesole/
Settignano. Die autistischen Kinder, die alles zurückweisen, was
"wird", sich in der Zeit entlang entwickelt, also da ist. Weise
kleine Buddhas sind sie, sagt Dr. K, der Arzt.
Anemonen wachsen wild zwischen
Olivenbäumen, aber auch mich berührt nichts mehr; solch eine Blume empfindet
ähnlich wie die kranken Kinder von Dr.K.
Das Elend der polnischen Pianistin,
die im gleichen Haus wohnt und die nicht mehr nach Hause darf, an der Grenze
zurückgeschickt wird.
In Stuttgart wollen sie meinen
Namen nicht an den Briefkästen haben. Und auch hier kennen die Leute meinen
Namen nicht, sprechen ihn nie aus. Mehr noch, alle sehen wie durch ein Gespenst
durch mich durch, als wäre ich aus Glas.
Es gibt mich nicht. Vielleicht bin ich tot und habs nicht bemerkt? Oder es gibt
mich nur im Traum, geträumt von wer weiß wem?
2.-4.4. Borchardt-Tagung in Pisa/
Lucca, Grosseto. Mein Vortrag.
Unser kleiner schwarzer Hund
bellt zustimmend bei einigen, nicht bei allen Vorträgen. Alle warten nur noch
auf sein Bellen und amüsieren sich.
Hatte meine Lage mit seiner
verglichen.
Und ein Gedicht dazu:
- Rückkehr über Massa Marittima
und Volterra.
5.4. 95. Doktor Schiwago-Film. Kitsch und doch: der
Osten öffnet mich wieder. Ein Weh
überkommt mich, die alte Verletzung. Das Wort kommt nie, Gefühle, wenn sie zu
nah sind, bleiben stumm. Regen/ das Dach ist kalt, ich glüh. Nur ein Knäuel von Wehmut, ungebraucht, liegt da
unten. Hat ja mein Herz berührt, sonst
ist es schön stumm. Und ich weine wieder, so rein und so dumm.
Gefühl biegt sich in mich/ und
weiß sich nicht zu helfen
hält da am Bahnhof im Schnee/
weißt du noch/ es lag
und blieb/ als wir doch weiter
gingen
riefs/ wir blieben nicht stehen.
Jetzt erst seh ichs
so wie es war/ und steht dort
immer noch.
Kalt folgten mir die Jahre.
Das Schwermut-Syndrom ist nur
ganz allgemein der Rahmen. Es lähmt ja. Es ist eher eine Vereisung. Exil als
Krankheit. Schon bei Dante. Leben und Erkenntnisekel in seiner besonderen Form.
(Es gehört in die Sparte Depression. Melancholie als Erstarrung! Vgl. mein
Gedicht über die "Achtuhrschmerzen". "Zeitmale" wie bei
Wordsworth "The Prelude".
Konturlos nur/ was unten liegt/
Als läg ich da/ Vom ungefaßten Rohstoff des Gefühls getroffen!
Im Zentrum das Bild Marias. Was
alles versäumt war, was alles nicht war / nach rückwärts geht die Hoffnung. Was
kommt ist tot und starr.
Was weh tut ist/ wenn sich die
Narbe schließt. Und alles wird schal.)
Pascal starb mit 39, Kafka mit
41, Christus mit 33. Und ich lebe noch immer. Und es wird so nie enden. Alles
schon sauer, ohne je dagewesen zu sein! Wenn es ein Genie der Kleinheit gibt,
bin ich eines!
10.April. Träume von den Jungen.
Sie wissen nicht, was sie tun. Alles ist verbrackt. Mit L. sprach ich über
diesen Effekt. Acedia! Sie ziehn sich schon fast militärisch an. Keiner spricht
den eigentlichen Todfeind an! Melancholie, denn man verbündet sich mit den
Siegern. Zersplitterung. So die moralische Grundlage zum Weitreleben entzogen!,
der Impetus, warum wir überhaupt so leben und warum wir überhaupt schreiben!
Daher fällt schreiben immer schwerer. Book aber sitzt im Hochsicherheitstrakt
(für uns alle?) die gegen die Väter und ihre Verbrechen sind. 3x
lebenslänglich!
15.4.Traum von Heissenbüttel. Saß
in einer Bibliothek mit einer Bibliothekarin. 13 Jahre lang hat er mit seiner
Frau gelitten. Furchtbar. Sein Schwiegersohn hat seine Werke herausgegeben. Ich
nehme sie in mein Vorwort. Dann bin ich mit H. in einem Hotel. Auch seine
Geliebte ist da. Irgendein Kongreß. Wir sitzen an einem Tisch mit andern
Kollegen. Ich sage, wir hätten endlich 2 Monate frei. Freilich schreibend. Er
lädt mich auch zu sich in den Himmel ein. Und sagt: Saarland. Wir nehmen dazu
ein anderes Hotel. Es scheint aber nicht Berlin zu sein.
16.4. Ideal wäre ein
Beziehungsnetz herzustellen! Beginnend mit Alltäglichkeiten: Lebensbaum Körper.
Atem. Mund, Zähne, Stirn, Kopf. Glieder. Dann Werkzeuge: Gabel., Messer, Scher
und Licht. Stift. Schreibmaschine. Haus. Tür, Fenster. Tisch. Garten usw.
Sprachreiz. Sprachbewegungen aus
einem Zentrum. Alles gierig aufgreifen. Der Leser soll mitmachen. Wie ich jetzt
Bekker, da eintauchne, so wie Jahweh aus den Konsonanten besteht.
Rinser über Verwandlungen.
17.4. Gott ist der Tod. Hegel.
Der Messias, wie bei J. Roth.
19.20.4. Traum: Lecke in einer
öffentlichen Toilette aus der Muschel. Wein auf. Entsetzt stelle ich es fest.
Laufe in eine Apotheke, um ein scharfes Desinfektionsmittel zu kaufen. Der
Apotheker macht zuerst eine Analyse des Vergiftungsgrades.
2.5.. Vorbereitung einer Lesung.
1. Beispiel Borchhardt. Apriorische Einmischung. Frage von Form/ Sprache. Der
Einfall, die Form steht am Anfang. Keine Ego-Kontrolle. Heidegger: Frage nach
dem Ding! 2. Acedia. Walter Benjamin. 3. Schock als Pause.
5./6.5i. Mit Elfi als
junger Frau geschlafen. Am nächsten Tag wieder von ihr geträumt.
9.10.5. Wieder
Prüfungstraum. Werde beim "Klutzen" erwischt. L. ist dabei. Dann mit
Studentinnen im Bad. nackt unter der Dusche. Der Schwanz schreibt mit Samen auf
den Bauch eines Mädchens: Schweig.
13.5. Traum. Wieder
auf dem Bahnhof mit zwei Mädchen. Dann Verirrt im Labyrinth einer Stadt.
22.5. Lesung bei einem
Yogatreffen in Pisa.
4./5. Juni. Wut wegen
der Boots-Plattheit der Tage, das "Praktische", wo es keine
Zusammenhänge gibt, nur Details und Einzelhandlungen.
Suche Höhepunkte in
diesem so kurzen Leben, eine Frau,
die im
Phantasieaustausch und in Livetreffen weiß den Körper als schwingendes
Instrument einzusetzen, um gemeinsam Intensität auf Niveau zu erleben! Ich bin
Autor und weiß die Liebeserregung, das
Entflammen zu schätzen, zu geben, zu nehmen: die Sehnsucht!
6.-11. 85 Fehlt. Doch
in Notizbüchern. Sie müsssen abgeschrieben werden.
TB 71 ab 4./5.7.- 23.1. 86.
8.12. Was geschah eben
an diesem Tag? Die Deutsche Welle sagt, Rumänien habe die
Meistbegünstigungsklausel verloren. Im Vatikan geht eine Bischofssitzung zu
Ende. Und noch rauscht in mir die Autobahn. Von Rom kamen wir her, Bocca della
Veritá. Und du küsstest mich wirklich auf den Mund.. Ich hatte mich rasiert und
mir die Haare gewaschen, das tue ich morgens sonst nie ...
... dieses Heft, lange nach dem Krieg
geschrieben, "hätte gut niemandes Heft sein können: so tief unterhalb
menschlicher Wege und Reisen liegt der Sinn eines Menschenlebens verborgen
..." (René Char).
In Sorrent fragte ich damals nach
dem Preis des Hotels "Syrene". "Damals" wars/ hoch über dem
Steilufer/ Palmengarten/ schöne Räume der "Villa Pompejana"/ zu
teuer/ vor drei Tagen war sie geschlossen. Zimtgeruch und wie ein Wunder/ die
alten Lampen über uns. Sägen und ein Geräusch wie aus der Kindheit in
Transsylvanien (Herr Nagel und mein Kopf!) /Und der wahnsinnige Tasso kam mir
entgegen. Langher.
Auch unser Leben ist langher
gewesen: 1972, damals Dezember: "Orangen reif und leuchtend über dem Meer.
Kein Tourist." Es war auf der Rückfahrt von Amalfi und Positano: "Bei
Nacht noch schöner der Golf. Drüben liegt Neapel und der Vesuv." Lang her,
gewesen
Begegnete dem Dichter Anders in
Positano/ und las dazu Tassos Gerusalemme, samt irren Briefen an seine
Schwester. Langher./ Und Parsifal aus dem Radio (eine Kassette im verzauberten
Garten (des Klingsors. kam aus Siebenbürgen)/ War er müde und erschöpft/ kein nervum
rerum?/sah Herbst und Reif/ kam die Sonne wie auf der Mole von Amalfi/ die
Liebe überwinden und mit den Sinnen wie im Tod ganz hinübersein/ das Mantra am
Morgen: diese Ruhe im Hotel "Magna Graecia" und um 6 aufgestanden/ sah Eleas Unbewegtheit vor
mir.
In Sorrent aber Tasso/ von
Stimmen umgeben: So fühlte er die Angst vor der Inquisition: Einer war da,
sagte ich zu L. auf dem Spaziergang zur Marina Piccola durch tiefe
Tuffschichten: Einer war da in Tasso/ der glaubte- / der andere aber/ die
Skepsis/ spaltete ihm das Hirn./ Es zeigte ihn an jener der glaubte...
Die Steilwand in Positano/ als
rutschte man von ganz oben ab von der riesigen Höhe/ wie im Traum/ und dort hat
Er vielleicht zu Tassos Zeit/ noch einen Blick herab geworfen/ jetzt sind wir
geteilt/ bald völlig getrennt/ Wolken seh ich/ und wir gingen zu Fuß die lange
Treppe hinab/ das Auto stand auf dem Hauptplatz/ wo die Genesis der Muße hier
saßen und redeten/ der Wirt unseren kleinen Hund vertrieb.
Terrassen auch auf Capri/ mein
Gott von 1957/ wann war das: 1943!/ "Leben am Rande der Ereignisse/ hier
versteckte sich damals Anders. Auch er schon längst tot!/ Erzählte es deutschen
Kriegsgefangenen: "Fatamorganen in der Wüste der Echolosigkeit"./ Das
kleine Buch "Positano" aber blieb, wie dieses Echo hier!
Welcher Krieg tobt in meinem
Innern/ 40 Jahre danach/ und gestern
waren wir in Montecassino/
Ursprung aller Klöster/ und drei Tage vorher in Positano und Amalfi/ die kleine
Stadt mit Klingsors verwildertem Garten/ Blicke von der in den Felsen gehauenen Straße/ von Sorrent am Kap/
aus der "Villa Maria" neben einem Ospedale/ blau der Himmel, nein,
azuren wie bei Campana:/ göttliche Küste also/ frei der Tag/ nur das Herz wund/
allen Ernstes. Und könnten die Zeit so brauchen - zurückgestellt und verflossen
die Uhr!
FRANKREICH -TAGEBUCH
96
TB 72 ab 6.2.- 23.10.
Viele Gedichte.
23. August 1996 über Elsaß-Lothringen, Metz, dann Verdun
nach Caen und Riva Bella.
Auffällt, wie furchtbar viele
Kämpfe hier stattgefunden haben, wie viele Militärfriedhöfe es gibt. Wir fahren
auch durch Valmy.
Erster
Abend, Strand , Casino, erste Eindrücke.
24.8. Zuerst das Meer
hier, viele Schwarze, diese wunderbar frische Atmosphäre, erinnert an Ost- und
Nordsee. Nach Cabourg, Houlgate, Deauville, vor allem Honfleur und Le Havre.
Sehr schöner Tag, am Schluß Käseeinkauf in Pont L`Evêque.
25. Caen, Bayeux, Arromanches. Auch hier wieder
Militärfriedhöfe. Die Landung am 6. Juni 1944. Riesige Pontons, die einen
künstlichen Hafen bilden, Monster jetzt im Wasser unter Ebbe und Flut.
Geschmack von Tod und Blut überall. Eisen, Schießen, Panzer stehen als
"Denkmal" da. Geschütze. In Bayeux der Teppich der Schlacht von
Hastings 1066. Ein Tapisserien-Epos über Verrat und Strafe und Tod Harolds, des
Vertrauten Wilhelm des Eroberers, den Harold verriet, sich zum König der
Angelsachsen machte, von den Normannen dann geschlagen wurde.
In
Caen auf der Festung. Die Stadt im Krieg fast völlig zerstört. Hier in der Kathedrale St. Etienne auch die
Gebeine Wilhelms. Es ist gerade Messe,
das mehrfach ausgeraubte Grab, auch von den Hugenotten, nur ein Teil der
Gebeine ist noch da, konnten wir nicht sehen.
Welche Listen gab es hier. Kriegslisten. Fort
Douaumont von den Deutschen so genommen, von 19 Mann als Zuaven verkleidet.
Oder auch in Rouen, Johanna verurteilt, aber nur zu lebenslänglich, weil sie
widerrufen hatte. Doch die Engländer waren entsetzt, sie wollten den Tod. So
wurden ihr nur Männerkleider eines Morgens hingelegt, Hauptanklagepunkt, dass
sie Männerkleider trug. Nun musste sie diese anlegen, das war ihr Tod.
Welches Hauptgefühl
heute, auch morgens. Dass so viel geschehen ist, geschieht, und nur einer, der
damit lebt, also viel weiß, kann geistig mitmachen. Ich weiß zu wenig über die
"Tatsachen"? Doch das Gefühl der Niederlage, des Scheiterns, der
Kleinheit ist vielleicht wichtig
Wie äußerlich sind meist die Erlebnisse, eben
touristisch, das heißt, "Kultur" wird nur nach einem
"Führer", also künstlich, wie hinter einer Wand wahrgenommen, die
Information zerstört die Phantasie, das Gefühl, wenn sie keinen
Lebenshintergrund zeigt, nur Staat. Was mich dann mit den Gegenden von hier aus
verbindet, ist die Wut. Und die Angst, auch die Ohnmacht bei Arromanches.
Ähnlich erging es mir in Kreta:
21. 000 deutsche Soldatengräber. 9000 Amerikaner.
Die inneren
Berührungen in Honfleur, dem alten Hafen, dem schon 1512 von Franz I Le Havre entgegengesetzt wurde. Die ganze
Stadt ein Hausmuseum, das alte Hafenbecken winzig, der Vergleich mit dem Hafen
Le Havre, den Monstern von Riesenkränen, dem Umschlagplatz von Öl und anderen
Industriegiften, Waren, den Riesentankern und Frachtern sagt alles. Dann der
Pont de Normandie, höchste und längste Brücke Europas. Während in Honfleur
trotz starkem Gedränge wohltuend die Umgebung wirkte, menschengerecht, nahe,
die gute Schwingung der Umgebung, man atmete, atmete auf, als wären diese alten
normannischen Häuser mit ihren hohen Giebeln, sogar die Lieutenance,
früher hatte der Gouverneur hier seinen
Sitz, heilend, eine seelische Therapie, und es ist kein Wunder, dass von hier
der Impressionismus ausging: Monet.
Das
lange Licht des Abends, eben westliche Atmosphäre wie in Portugal. Und diese
ganz andere, oft drohende Aura der Wolken, ständiger Wind aus dem offenen Meer
- also südwestlich. Doch es wird nie kalt. Immer angenehm frisch.
Lichtaugenblicke. Auch abwechslungsreicher als das Mittelmeer: Ebbe und Flut,
Wattenmeer. Zugleich bedrohlicher, hohe Wellen. Man kann kaum baden. Erster
Eindruck bei der Ankunft: da tobte Felix im Watt. Muscheln. Der Sand feucht.
Spaziergänger und Liebespaare. Einer schleppte das Mädchen auf den Sand, kniete
nieder, küßte sie. Und die Leute tragen alle schon Jacken, Pullover, Ölzeug
sogar, obwohl es August ist. Leichte Langeweile macht sich breit, ähnlich wie
in Straelen, dem Nest an der holländischen Grenze. Muschelessen. Alle essen
hier Muscheln, große Berge. Mit Apfelwein, Cidre.
Bodin: Plage: Augenblick der Wolken und Segel,
oder Trouville, wie die Boote bei Ebbe auf dem Trocknen liegen, wie große
Käfer. Immer der Spiegel der Wolken im Wasser, oder Hambourg: Honfleur, der
Hafen bei einem "Feste. Und so ist er noch. Abendlicht im Wasser
gespiegelt, Häuser, Boote. Oder: Hotellerie. Dazu wären Gedichte fällig. Ebenso
im ethnographischen Museum: l´Epicerie. Alles noch handgemacht. Licht, Stuhl,
Korb, Steinmühle - noch wahr da. Der Augenblick noch sinnlich faßbar. Ebenso der
Websaal und die geschlossene Bettstatt.
Solche Momente auch im Museum der Normandie in
Caen auf der Festung. Ein keltischer Tempel, wo vor allem das Ziegelrot, der
kultische Hof inmitten, beeindruckt.
Vgl. auch Notizheft 26.
August.
Bei den Kämpfen der Normannen mit den
Angelsachsen (Hastings 1066) auf dem achtzig Meter langen Leinenstreifen in
Bayeux, es ist kein Wandteppich sondern ein Totenlinnen, wieder der Geschmack
von Blut: am unteren Rand liegen die Toten, in ihren Kettenhemden, abgehauene
Glieder, geköpfte Pferde, nackte, geplünderte Leichen, gibt es ägyptische
Motive, Totenvögel, treffen die Zeiten und die Augen zusammen: die
Kopfhörerstimme des Erklärers im Ohr.
Die Bilder sollen kommen. Ist die Erinnerung stark genug, ein Tag frißt
den anderen auf. Der starke Eindruck von Arromanches mit den schwarzen Pontons
vor der Küste, das Meer wie lehmig braun, die Steilküste drohend, aber das
Musuem der Landung wirkt wie ein Schrotthaufen, wie eine Ansammlung von Unpoesie
und Propaganda, die Broschüren und Filme, die Plakate: ganz schlimmer
"amerikanischer" Kitsch, Eisenhower in Bronze und Lebensgröße. Weiter
eine merkwürdige Erfahrung, dass mir die Deutschen fast leid tun angesichts
dieser Übermacht, obwohl sie hier nichts zu suchen gehabt hatten. Wie auch
damals in Verdun nicht.
Wieso ist Kenntnis auch Erkenntnis der
Illusion, wenn einer, der "weiß" etwas anderes ist, als einer der
"informiert" ist, und Ereignisse als Nichts entlarvt? Also auch die
Detailkenntnis des Kriegsgeschehens hier. Es ließe sich eher eine Legende der
Augenzeugen herstellen, letzte Augenblicke eines Gefallenen, verwunderte Möwen,
die kreischend flüchten, Schreien der Stürmenden, Maschinengewehrgeknatter, und
die Generäle, Henkersköpfe über Generalstabskarten auf einem Kartentisch
gebeugt, Eierköpfe, von oben wie ein Knochenstern. Eher bin ich auch jetzt ein
Fremder für Gott, für die Leute, für mich, der hier schon gar nicht ans Telefon
geht, weil er nicht Französisch spricht.
Saint-James 4410 Gräber. Amerikaner. Bayeux
4886 Gräber. Engländer. La Cambe 21.160
Gräber. Deutsche.
Kann man sich damit trösten, dass der Tod der
einzige Zustand der Vollkommenheit ist.
Auch in Riva Bella ein Denkmal des
Atlantikwalls: Le Grand Bunker. Und das Musée du Débarquement "No 4
Commando". Mit Soldatenpuppen in diversen Uniformen. Gewehre, andere
Waffen, Panzer... Wie jedes Nachbild verfälscht und überdeckt es das Grauen der
Wirklichkeit. Alle die Museen, ja, die Kirchen, die wir auch hier sehen, so
großartige wie etwa die St. Etienne in Caen, Türme, die einmal 80 Meter hoch
waren, sperren jenes Grauen ein. Auch Gott ist nach Hegel der Tod. Das
Todesbewußtsein kam erst mit dem christlichen Gott, das wäre seine größte
Leistung, da er undenkbar ist, Glaube, der wie die Ideen fanatisch, weil
abstrakt wird, von Leuten, die noch hier sind, aber das Jenseits des Jenseits
ansehen sollen. Alle heidnischen Götter aber waren nur ein Teil von ihm, der
hierher in unsere Sensibilität herüberstrahlte, viel "humaner" war,
also mit dem Auge, den Sinnen, der Täuschung
paktierte. Für jede Stimmung ein Bild. Wie anstrengend aber ist es mit
diesem Tod, der auch noch fordert, an ihn, also an etwas Ganz Anderes, jenseits
der Grenze zu glauben.
L. wollte unbedingt das berühmte Deauville
sehen. Und dann war da gar nichts besonderes. Außer dem Namen blieb nichts
mehr. Wir fuhren ja Namen nach, auch Le Havre war so ein Punkt. Dagegen
überraschten uns unbekannte Orte, wie Honfleur, das wir eigentlich aus der
Geschichte kennen müssten. Unkenntnis also macht manchmal reich.
Kleine bleibende Erlebnisse. Nur sie bleiben
wirklich, wenn unser eigener Atem hineingemischt ist. Vielleicht vergesse ich
deshalb alle anderen, nur gewussten Daten. Auf dem Weg nach Verdun, Krieg im
Wagen: weil ... und kann es nicht mehr genau erklären, weil die Stimmung und
die winzigen Ereignisse, die mich im Familienkreis in Frage stellten, fehlen.
Meine geistigen Interessen, die Produkte, Bücher, Sendungen - darüber kann ich
nicht sprechen. Sie wollen es nicht wissen. "Du schreist so!" sagt L.
Gehört das mit zur Ironie, die angeblich die
Welt regiert? Und als Strafe, weil ich mich zu viel um solch Unsinn kümmere,
anstatt meinen Weg zu gehen, sie alle ignorieren. Sie müssen kommen, nicht ich
mich "aufdrängen".
Jeden Tag ähnliche Dummheiten. Mit Ironie die
Ironie begleichen, ja, schlagen. Doch dazu gehört ein höherer Zustand, etwa die
Langeweile, die den Gleichmut befördert, jenen Zustand, der der Wahrheit am
nächsten kommt: alles ist Fassade, also Nichts. Eitelkeiten spiegeln sie am
besten:
Auch im Zoo benehmen sich alle Tiere
zurückhaltend und vornehm, außer den Affen. Dichter, du Affe, tritt ab.
Aber ich fühle , wenn ich mich reserviert
verhalte, vornehm, zurückhaltend, als hätte ich eine Chance zur Freundschaft
vertan oder als hätte ich jemanden verletzt, ich fühle den Riss, der notwendig
wäre, diese heuchlerische Harmonie, die von der Todesangst, dem Abgrund, dem
Grauen kommt, meint: alles wieder gut machen zu können. Dem Tode entsprechend
müßte man sich verhalten. Warum fühle ich mich gesteigert und erst in mir
selbst bei Todesfällen. Oder jetzt im Umgang mit den Totenstimmen.
Weitere Kleinigkeiten, wie Schutt, sind die
Neuheiten der Reise. Erlebnisschutt, der wie aufgefrischt, erregt. Obwohl doch
alles beim Alten ist, der Alltag hier auch weitergeht. Nur wir meinen, eine
neue Welt zu erleben! Dies Häuschen hier auch, A. mit zwei jungen Universitätslehrern aus Caen, er Deutscher,
sie Französin, für zwei Wochen getauscht haben. Die Häuschen in Caen. Winzig. Wie
Puppenstuben. Und billig, brüchig, unfertig, ohne Stil alles. Null-Stil. Doch
der Garten mit Apfelbaum angenehm ruhig. Und das Licht, der Wind, die Frische.
Und das Ungestörtsein, lässt Feriengefühl aufkommen. Leichte Langeweile also,
die sich einem Pausenzustand, jenem Erkenntnisspalt nähert, tatsächlich ein
wenig neu macht.
Entschlossen - unzusammenhängend
Gedankenbilder zu schreiben. Und so das Erlebte zu sammeln,
"hereinzuziehen". Aus der Gegend "etwas machen" ist nur so,
und nur nachträglich möglich.
Auf der Herfahrt bei einer Kreuzung der
Schnellstraße, als ich zu spät mich einordne, rast ein Luxemburger Zentimeter
entfernt an mir vorbei. Du bringst mich um, weinte sie. Du mußt einen guten
Schutzengel haben, wir wären jetzt tot. Der innere Zustand: Kränkung, Streit,
Selbstmord- und Mordgedanken hatte sich nach außen verlegt, und sollte zum
letzten Zuge kommen. Was rettete uns? Eine Spur Zögern? Hatte ich gebremst? Das
Unbewusste ist das offene Tor zu "ihnen".
Nachher zerknirscht. Doch wenig Reue. Starke
Wut, ungerecht behandelt worden zu sein blieb.
In Verdun mit diesem Ingrimm im Bauch. Zuerst
zur Gedenkstätte, zum Ossaire Douaumont mit dem Turm wie eine Granate gen
Himmel ragend. Und ein unübersehbares Feld von Kreuzen. Nur Franzosen. Das Schlachtfeld
14, wo nur aufgewühlte Erde und zerstückelte Menschenleiber waren. Im Wäldchen
bei der Tranchée des Baionettes noch Grabenreste. Und ich wage nicht zu
pinkeln, als entweihe ich etwas. Dabei denke ich, wie lächerlich, hier spritzte
Blut, wirbelten Glieder in der Luft, wurden Köpfe abgeschossen, Schweiß, Eiter,
Brand, Schreie. Und ich wage nicht, meinen winzigen Strahl Urin nach 80 Jahren
hineinzumischen? Welch Heuchelei jedes verstummende Gedenken an solchen Orten.
Hier müsste man weiter schreien, sich wie wahnsinnig gebärden, verrückt werden
bei dem Gedanken, auf dieser Erde zu leben.
Die Maas, jaja. Die
Marne, ja. Immer haben die Deutschen angegriffen. Oder die Preußen. Und schon die Reklame für Neugierige:
"Village Gavlois", 2 -Sterne-Hotel. Eierpfannkuchen und Apfelwein. 10
Minuten bis Verdun. Cote 304 und
Mort-Homme.
Alles so handwerklich
nah etwa auf dem Bild von A. Jugelet: Honfleur. Als ich in den Westen kam,
konnte ich die Nähe noch von zu Hause spüren. Jetzt ist Präsenz nur noch
blitzartig ein wenig und manchmal da.
Kleine Ereignisse.
Manche erreichen die Schwelle nicht, etwa ein Regenguss in Deauville. Oder über
den Vaches Noires nach Houlgate. Wo wir aßen und schliefen.
Caen. 27. 8. Das ist der Kopf nach dem Strohhaufen mit
Blick auf den Mont St. Michel. Da zu
sein, immer noch unsicher, am Leben zu sein. Tatsächlich ein Phantom, das wegen
der andauernden Greifbarkeiten, Handgreiflichkeiten der äußeren Welt (auch
wegen L.) in Wut gerät. Rief mehrmals Schutzgeister an. Warum sie mich so
schlecht versorgen, meine Reflexe nicht besser lenken. Und das Mantra. Das half
ein wenig. Fuhr also, das ist immer ein Stress. Außer mir eben.
Der T., ach der T. auf
dem Mont Saint Michel. Auch hier wieder gotische Kirche, dann Coutance, von
ferne wie eine Nibelungenburg. Und dort beim Optiker, kann ich dann besser
sehen?
Sowohl der
Atlantikwall von Grandville Haute mit den zerschossenen Bunkern, dem weiten
Meerblick bis zu den Inseln Jersey und Guernsey, als auch die Toten, die
überall herumschwirrten, im Kopf, als auch der Heilige Michael auf der Insel
Mont Saint Michel, den sie vertrieben hatten, und der sich dort nicht mehr
halten konnte, spukten im Hirn. Vor allem aber Stress, böse Geister anziehende
Fahrten spukten im Hirn.
Dachte an meinen Sohn, der auch nicht da ist,
nicht anwesend sein kann. Der arme Kerl.
Prüft der Erzengel, und da muss an Rilke
gedacht werden, oje, diese Engelkultur, diese Poesie ... wenn ich es nur auch
sagen könnte: Engel, du bist so groß, dass ich schon nicht mehr bin, wenn ich
mich nur in deine Nähe stelle... Du bist so dunkel; meine kleine Helle/ an
deinem Saum hat keinen Sinn.// Nur meine Sehnsucht ragt dir bis ans Kinn/ und
steht vor dir wie aller Engel größter."
Der gute alte Michael,
so auch wieder nicht, wie er da steht: gepanzert, mit Schwert, eiserner
Strahlenring. Wie idiotisch menschennah der Herrschaft. Dabei willst du doch
wirklich prüfen, wie es um meine Seele steht, schlecht. Klein. Elend. Und die
Kräfte, mich dagegen zu wehren, nehmen ab. Kaum kann ich erwarten, dass er mich
von den niedrigen Seelen, die dumm dahinleben, trennt, und mitnimmt in den
postmortalen schönen Zustand. Mich gar vor den mich anfallenden Dämonen, also
jenen, die entkörpert weiter so tun, als wären sie noch im Fleisch, behütet.
Auch eine Reise zum Mont Gargan in Süditalien wird nicht helfen.
Was bleibt vom Besuch. Vielleicht soll man
sich vorstellen eine Messe im 10. Jahrhundert. Gregorianischen Gesang, aber
auch in dieser Stimmung ist das Gift des Abendlandes da. Und auch vergeistigte
Innenwesen sollten wir nicht Engel nennen, auch der Poesie wegen nicht. Wie
nehme ich die Hülle weg, auch mein verseuchtes Ich anders zu lenken, als in
dieser Tradition. Waffengeklirr, Bekehrungseifer. Zwang. Ja, eine Zwingburg, so
erscheint der Mont ganz nah, Grausen der Gemäuer. Erst von ferne ist er
feenhaft, schön. Und als Mirakel der Natur inmitten des Meeres und des Watts
zeigt er, was er eigentlich hätte sein müssen: Einsamkeit,
Weltabgeschiedenheit, doch wund und geöffnet, nicht drei Wachtore.
Was kann ich erinnert von ihm wiederholen,
Stimmung im Wissen vom Geschehen steigern? Hundertjähriger Krieg, verbrämt mit
dem Wort "Rosen"? Die Schlachtfelder hier eine verspätete Rache?
Nun ja, der Kreuzgang, der Innenhof.
Gestickter Stein, nun ja. Oder die Merveille: Gästesaal. Nun ja, die
Spitzbögen, der Wald von Bögen und Durchbrochenem. Und dass ein bestimmtes
Bauprinzip, dass die Gewölbe auf einem diagonal verlaufenden Bogengerippe
ruhen, so war Gotik erst möglich. So waren dickleibige romanische Gewölbe
unnötig, und schlanke, geistige Gewölbestrukturen eben mit dem ziselierten
Licht, entstanden. Dem Architekten fiel das ein. Woher fiel es ein? Das
Apriorische beherrscht auch die Baugeschichte!
Schon 708 brach jener durch, der den
"Drachen" besiegt hatte, woher kam er, wer war er? Was ist diese
postmortale Schicht des Himmels überhaupt, und weshalb konnte der Bischof
Aubert von Avranches an die Tatsächlichkeit des Anrufes im Traum nicht glauben,
ähnlich wie einst Thomas nicht glauben konnte? Als sich der Glaube ans
Sichtbare, an Reliquien und Mauern, Waffen und Gütern noch nicht verfestigt
hatte, dieser Umgang mit verfestigten Illusionen, die als Machtschutz und
Machtschutt angehäuft wurden? Dreimal wurde er aufgefordert, ein Kloster auf
dem Mont-Tombe zu gründen, und erst als er nachdrücklich von einer Hand berührt
wurde, glaubte er es. Die Delle im Totenkopf
- der schmückt den Kirchenschatz von St. Gervais in Avranches -ist
noch als Reliquie zu bestaunen. Mit Mühe
wurde sie gerettet von der Furie der "Revolutionäre" von 1789, die
auch den Mont beglückten, daraus ein Staatsgefängnis machten, gleich daneben in
der Merveille eine Schneiderei, die Kirche eine Fabrik für Strohhüte, Theater
und Kornspeicher dazu. Schon 1791 verließen die letzten Mönche das Areal. War
das nun eine Lösung, war nun der Geist endlich befreit, die Grenze nicht mehr
vermauert? Mitnichten. Nun kam die Wut des Praktischen erst recht bis in jedes
Detail. Vgl. dazu Walter Benjamins Passagenwerk.
Totenkopf und kostbare Handschriften
wenigstens wurden gerettet. Doch auch in Avranches wütete der Plebs, zerstörte
die Kathedrale, jene, wo Heinrich II. im Büßergewand Abbitte geleistet hatte
wegen der Ermordung des Thomas Beckett im Dom von Canterbury. Und da denke ich
jetzt nicht nur an Eliots Stück, sondern auch an die Stimme Becketts heute, der
sich "meldete" in einer Cottage des Lehrers ....
Coutances, wo mir ein Optiker die Brille
reparierte, ist wichtiges Herkunftsland, auch literarischer Themen. Von hier
stammt die Familie Hauteville, Tancred, Roger, Manfred, Robert Guiscard - die
Normannen, die die Königreiche in Sizilien gründeten.
28. August. Doch nicht
nur die alte Geschichte ist hier präsent, sondern es geht weiter bis heute:
Utah Beach - Graus dieses Erdenlebens. Haben die Amerikaner nicht recht, aus
ihrer Landung und Befreiungsaktion
totalen Kitsch zu machen, die ganze Landschaft ist mit Gedenkstätten verseucht.
In Utah Beach am Strand alte Panzer und
Kanonen. Feuer dieser Angriffe. Und die Deutschen nicht zu vergessen, die
auch ein Staat hierher geschickt hat, Zwang, Desertion - dafür steht der Tod.
Diese dumme Verherrlichung hier der Schlachten. Und immer noch denke ich vor
allem an die deutschen Gefallenen. Und
morgen nun Rouen mit Jeannes Verbrennung.
Die Maschine der Zerstörung
außen und innen. Auch in mir spürbar, die Wut gegen die Dinge, rast die Furie
der Entropie. Ohnmächtige Wut des Selbsthasses. Ursache oft des Misslingens.
Vergaß die Kamera. Das Fahrrad ließ sich nicht aufpumpen. Unbehagen beim
Morgenlauf. Jedes körperliche Dasein, vor allem auch wenn Leute da sind,
schafft Missbehagen.
29./30. 8. Jeder Schritt körperliches Leben ist
eigentlich eine Katastrophe, nur Tücke der Objekte in ihrer Kleinheit,
beschäftigen nicht diese Dinge mich andauernd, auch jetzt, obwohl ich St. Vaast
von vorgstern, Rouen von gestern beschreiben müsste. Doch es ist manchmal als
rasten kleine Teufel in mir. Nicht nur die Abnützung der Furie rast, sondern
auch ihre Erniedrigung auf Schritt und Tritt. Etwa morgens im Klo, wo ich Cioran las, die
unwillkürliche Handbewegung, und an der blendendweißen Wand entstand ein
kritzliges Strichmännchen, ich suchte das Radiergummi , löschte. Ha. Oder rieb am blauen Teppich vor der Muschel
die versehentlich abgetropften Urinspuren weg. Kniend. Von der moralischen
Erniedrigung durch Worte, die L. oft von sich gibt, u schweigen. Was war es nur
heute? Vorwürfe. Dass sie gestern zu viel fahren musste. Dass ich dabei
schrieb, zum Fenster hianusah. Jetzt dass ich Papier in die Papierkörbe, beim
Schneiden der Nägel die Nägelspuren in den vorbereiteten Korb geworfen habe.
Dann andauernd Missverständnisse Ich sagte Franken, sie verstand Franc. Usw.
Oder : Du tust so, als ginge es dich nichts an. (Einkäufe.) Oder: Geh jetzt,
man kann es ja nicht ansehen, weil ich aufs Klo musste. So beginnt also ein
Tag. Vorher andere Kleinigkeiten beim Morgenlauf: Dass der Hund an der Leine
zieht, sich hinsetzt. Dass es kein Brot gibt, nur Flûte. Dass dieses auf dem
Heimweg zerbricht. Winzigkeiten, die meine mangelnde Souveränität zeigen. Und
auch im Traum bin ich ein untergeordneter Diener, werde von einem Chef (Bank?)
beschimpft. Es hängt eigentlich damit zusammen, dass ich nicht mit meiner
körperlichen Erscheinung, mit den Dingen, den Leuten, der Umwelt nicht umgehen
WILL! Sie interessieren mich nicht, auch L. und ihr Tag, ihre Art, interessiert
mich nicht. Und auch diese Städte und Landschaften nehme ich nur als
"Rohstoff". Mein Lebensstil wäre ein radikaler Abschied. Nicht nur
von L. sondern von allem, was Außenwelt ist. Also Einsiedlerdasein. Und Umgang
mit mir selbst in dieser Gedankenwelt, mein
„Anwesen“. Wie schön wäre es, wenn ich eine Partnerin hätte, mit der ich
so sprechen, und dann ins Spirituelle gehen könnte.
Auf allen Ebenen ist es nur ein Kampf um mehr
Macht und Einfluss. Ich wünsche sie gar nicht, möchte nur in meiner Ruhe
gelassen werden, auch von L. Und wehre
mich nur, manchmal sehr aggressiv und heftig, weil ich mich verletzt fühle.
Denn sie saugt mich in ihre
Alltags-Praktizität, lässt mir keinen Raum mehr.
Cioran hat dann recht,
wenn er behauptet, das Glück könne nur einer Selbstpreisgabe gleichkommen, also
Demut? Dann erst steigern wir uns. Früher habe es Götter gegeben, denen man
sich hingab, und jetzt, sind wir freier, da es sie nicht mehr gibt! Freier fürs
absolut Banale? Die Sehnsucht aber wird durch solche "Götter", wie
die Klomuschel und das Strichmännchen und das zerbrochene Brot, der Papierkorb,
der alltägliche Dreck blockiert! Dazu die Ehefrau. Dass sie so nahe sind, uns
erniedrigen, unter Leuten, aber auch zu zweit eine Hölle schaffen, füllt die
Tage und Nächte andauernd mit zermürbenden Gedanken, da Hass eingebrochen ist.
"Sie zu vernichten - dazu stacheln uns alle Gedanken an: wenn wir uns
endlich entscheiden, so überkommt uns knapp vor der Tat plötzlich Feigheit. Wir
sind potentielle Mörder jener, die in unserem Umkreis leben; dass wir es nicht
tatsächlich sein können, frisst an uns, und wir versauern als willensschwache
blutlose Versager." Ich wäre schon zufrieden, wenn ich mich trennen könnte,
allein und in Freiheit zu leben, ohne das tägliche Geseiere, die
Erniedrigungen, das andauernde Streit-Geschrei.
Dabei bin ich
unendlich frei zu neuen "Zuständen" und Wirklichkeiten jenseits der
Zeit und des Körpers, und so unendlich weit entfernt von L. und ihren dummen
täglichen Ritualen. Sie holt mir den Unsinn dessen, was das Leben blockiert, es
in dem Wahn des Vergangenen und des Körpers
hält, Augenblick für Augenblick beengend nahe. Aber sie treibt mich auch
zur Flucht, und zu diesem Schreiben.
Alles, auch St. Vaast ist von ihr
überschattet. Groll in mir. Mit diesem Gefühl umgingen wir das große Fort am
Meer. Der Festungsturm mit dieser Kappe, man denkt an Don Quijote. Unsinnige
Militärzone. Wofür heute. Schöner Rundspaziergang am Wattenmeer. L.s Angst,
Schwindel, sie kann auf der Mauer nicht gehen. Der gleiche Turm auf der Insel
von St. Vaast. Von Hier war Jakob II., Sohn der Maria Stuart, mit Unterstützung
des Sonnenkönigs 1692 gegen England und Holland in den Kampf aufgebrochen. Die
Katastrophe dann vom Kap Hougue. Am Leuchtturm von Bartfleur, vorher der Hafen,
gefährliche Strömungen, furchtbare Brandung, Klippen, Felsen. Der Turm sehr hoch. Hier also die Schlacht. Dann
Flucht Jakobs nach Hague, wo auch Strömung die Landung verhindert, sie können
nicht nach St, Malo. Kommen wieder zurück und hier bei Hougue und der Insel
Tatitou werden die schönsten Schiffe von Holländern und Engländern angegriffen,
sie verbrennen.
Überall diese Spuren von wahnsinnigen
Machtkämpfen. "Geschichte", Tod. Doch als wäre ich da der
"Wahrheit" näher. Am schlimmsten ist die "Normalität" und
Banalität. Sowohl der Schrecken, als auch die Schönheit. Jeder Engel ist
schrecklich. "Denn das Schöne ist nichts/ als des Schrecklichen
Anfang". Dies also ist es, was mich wieder atmen lässt, der Abgrund, den
wir andauernd vergessen im banalen Getue. Und dann wäre alles gut, was den Tod
als Übergang in sich enthält? Abstreift dieses dumme Kleid, den Körper? Alles
ein Hilfsmittel zum Untergang? Während dieses Geseiere immer nur ein
verzögertes Bleiben ist.
Das Baden, die Umgebung, das Meer, diese
Berührung hier, im Gegensatz zum verseuchten Utah, da war ich wieder mit dem
"Ganzen" verbunden, berührt. Sinn nämlich ergab sich. Eine Art Engel
unsichtbar in mir, der die Botschaft brachte, es sei nicht alles klein, niedrig
und sinnlos.
Auch schon Gedichtbilder tauchen hier auf:
diese schiefen Boote, die bei Ebbe auf dem Trocknen liegen, wie Käfer auf dem
Rücken, wie tot, Möwen dazwischen, und: von hier ging Wilhelm der Eroberer nach
England, so, wie ihn der Erzählteppich von Bayeux darstellt.
In Cherbourg verfolgte
mich der Film "Die Regenschirme von Cherbourg", obwohl dieses hier
jetzt ein ganz anderes Cherbourg ist. Am alten Hafen? Alle diese alten Häfen
überlagern sich, jetzt der von Dieppe, Hafenbecken, wo die Boote ganz unten
liegen wie in einer Gruft, man Angst hat, hinab zu fallen!
Und Cherbourg von oben zuerst mit den vielen
Befestigungen, Festungen sogar. Dann aber überlagert sich Dieppe und Le Havre.
Dieppe, wo ich Granucci und den Anker suche. Wir zu den Falaises fahren, wo das
Meer tobt mit starkem Wind.
Und auch, dass Cioran hier viele Tage
verbracht hat, geht mir durch den Kopf: Er schrieb mir Briefe von diesem grauen Ort aus, wie er sagte: anstatt in den
schönen warmen Süden zu kommen. Ango, der Reeder hier. Kaperten von hier
portugiesische Schiffe, über 300 an der afrikanischen Küste. Und Canadier sind
1942 hier (aus Heimatleibe) gelandet. Von hier aus wurde Canada kolonisiert.
Zurückgeblättert: Besuch des Seine-Tals mit den Klöstern
Jumièges und Wandrill. Wandrill vor allem, weil Maeterlinck hier war, das
Kloster sogar wieder von Mönchen bewohnbar gemacht hat? Heute
kennt niemand seinen Namen, ich frage nach ihm im "Magazin", wo nur
lauter katholische Bücher und Kitsch verkauft werden.
Das war hier einmal
ein Geisterort. Auch Rouen: Jeanne. Ihre
Stimmen machten sie so stark und handlungsfest. Doch die Stimmen brachten ihr
auch den Tod durch die Inquisition. Jetzt ist das Kloster intakt, die Aura des
Pförtners strahlt viel aus, eine subtile Geistigkeit. Und ich lese von der
Hauptbeschäftigung der Mönche: "lecture divine" lectio divina. Qui
parle ainsi et l`ahme qui écoute et répond. Un sorte de "rumination" ce mot qui fait
image est lui aussi traditionnel, dass der Geist langsam das Herz ergreift.
Doch selten lässt sich auch so in der Landschaft lesen, obwohl diese sonst zur
absoluten Präsenz zwingt, ist es heute schwer, solch eine "Lektüre"
zu finden! Eine, die ich nicht vergessen kann ist das Val di Csesne mit Kühen,
und vielen normannischen Strohdächen, abgeschieden, dass es war, als berühre
tatsächlich der Geist der Landschaft hier, die Aura das Herz. Hier würde ich gerne leben. Weniger in
Jumièges direkt an der sanft-gewaltätigen Seine, wo wir am Ufer Mittagessen,
darüber nachdenken, dass die Selbstmörder von Paris hier vorüberschwimmen
müssen. Und Jumièges, die Ruine mit dem schönen Park, ein anderes Schandmal der
Revolution, es wurde einem Holzhändler überlassen, der das Kloster sprengte.
Vor allem aber in Rouen
ist der Bauzirkus anhand der Kathedrale
an ihr abzulesen. Der Macht- und Glaubenszirkus. Jede Stadt ist eine
Mühle der Vernichung, heute besonders, schon damals aber war es so. Thron und
Altar, man kann die Revolution sogar verstehen. Natürlich gehts um Geld und
Macht: 1190 beschließt das Kapitel, die
Kirche mit einer hohen Mauer abzuschließen, Handwerker siedeln sich an, machen
den Bürgern Konkurrenz, denn sie müssen keine Steuern zahlen. So reißen sie die
Mauer nieder. Das Kapitel exkommuniziert die ganze Stadt, 6 Monate keine
Taufen, keine Begräbnisse, Hochzeiten etc. Bürger stürmen die
"Immunität", schneiden den Priestern die Genitalien ab. Genau so ist
es mit Jeanne, zuerst lebenslänglich, dann Tod, nach einigen Jahren
rehabilitiert, im gleichen Gebäude des Erzbischhofs, wir gingen daran vorbei,
und 1920 wird sie hier heilig gesprochen. Dann die Verwüstungen der
Glaubenskriege.
Auch die Gräber zeigen die Eitelkeit, den
Grund, warum darüber Kirchen angelegt werden, um Protzentum, Macht und Reichtum
zu zelebrieren, nicht etwa Gott, den Konkurrenten. Etwa Louis de Brézé und
Diane de Poitiers, die wurde Frau Heinrich II. Früher schon seine Mätresse.
Sich für die Ewigkeit präparieren lassen in diesem Gräberzirkus, so etwa:
Richard Löwenherz eine Tumba hier mit seinem Herzen, der Körper kam nach
Fontevrault, die Eingeweide bestattet in Poitiers. Ekelhaft. Diese Reliquien,
als wäre der Körper, das alte Kleid zu diesem Spektakel am besten geeignet!
Lächerlich alles. Auch etwa, dass der Butterturm finanziert mit Spenden für die
Erlaubnis, während der Fastenzeit Milchprodukte essen zu dürfen. Bei der
Qualität von Käse und Butter hier - der Reichtum des Butterturmes verständlich.
Und weiter geht die "Geschichte" ,
die ja sowieso eine Geschichte der Narrheit und Verworrenheit ist!
"Macht" und Gloire. Neuer Zirkus 1562 - Hugenotten besetzen Rouen, plündern das Gotteshaus der
andern, zerschlagen Gräber und Skulpturen, schmelzen den Schatz ein. 1683
spendet Ludwig XIV zum Wiederaufbau, natürlich auch geraubtes Geld. Und dann
die Große Revolution: die Zerstörung geht weiter, alle Metalle, Kupfer, Blei,
Gold, Silber, ebenso die Glocken eingeschmolzen. Die Achskapelle für ein
Getreidelager vermietet, das Ganze wird zum "Tempel der Vernunft",
hölzerne Tribünen, die Kirche wird zum Konzertsaal. 1822 ein Blitzschlag, der
Turm beschädigt. langwierige und eitle Diskussionen. Schließlich wirds
gußeisern. Und natürlich muss nun zur Ehre der Bürger der höchste bekannte Turm
entstehen: 151 Meter. Man merkt die Absicht ...
Schließlich kommen die zivilisierten
Allierten, Bombardements am 19. April 1944, das südliche Seitenschiff völlig
zerstört. Der Luftdruck zerstört weiteres. Wie wird der Zirkus weitergehen.
Halt, auch schon 1787 wird der wunderbare Mittelpfeiler des Hauptportals
beseitigt, um Platz zu schaffen für
eitle und protzige Prozessionen des Klerus, für seine Selbstdarstellung.
Wahr, dass nur sterbende Gottheiten Freiheit
geben. Wie jetzt nach dem Tod der Welterlösungsidee. Verbrauchte Gottheit. Doch die Psychologie des Irdischen beherrscht
alles, der Hass, weniger die Sehnsucht. Sklaven, Fremde, die Rom erledigen
wollten. Doch es stimmt: das reichte nicht. Selbsthass wars. Der Plebejer, der
Nichtse. Und der Sohn war selbst einer, ein Niemand, der zur angenagelten Leiche
wurde. Schimpflichen Tod starb. Aber Erniedrigung, ists nicht Erhöhung?
Bald aber bemächtigten sich die Reichen und
Mächtigen des Armen und machten daraus ihr eitles Spiel. Ihre Verbrechen in
seinem Namen, der das genaue Gegenteil wollte.
Normandie, Caen/Rouen, August 1996. Rilkes Gedichte zu den Domen meinen etwas
anders. Und doch sind sie peinlich. Es ist jene Sehnsucht, ja. Die in uns
eingepflanzt ist, trinken will, alles ergreift, es trinkbar macht. Trunken sein
will an allem, dann erst schwingen kann. Die Tiefe, ja, Cioran hat recht, die
Tiefsinnigkeit, es ist das einzige christliche Geschenk, das kannten die Alten
nicht, die erschöpften ihre Götter nie. Das Unsichtbare, das Bild gewann, nicht
umgekehrt, das Bild, wie es vor dem Unsichtbaren steht, es den Sinnen schenkt,
was Leben träumend nennt, ein Stein, ein Baum, ein Hain, dass mir die Sonne
überfließen kann, ich eingestanden bin, was außen ist, vernichtet sich, und
brennt in mir was ein: es ist dabei und schwingt im Zentrum, und sei es noch so
oft aus Stein.
31. August. Reise in
die Bretagne. Dol du Bretagne.
Austernessen am Austernmarkt. Zum erstenmal dieses sogenannte
Reichenessen von Fischern hier. Für 7
Mark ein Dutzend. Cancale heißt der berühmte Austernort. Natürlich lauter Deutsche
da , die billig Austern essen, mit Sekt.
St.. Malo, wo Chateaubriand geboren und begraben ist. Comburg, das
Schloss seines Vaters haben wir leider nicht gesehen. Doch die romanischen vier
Türm aus Fotos sind bekannt. Ebenso der moorige Teich. Sein Vater war
Sklavenhändler, Seeräuber, mit dem
Ertrag kaufte er sich das Schloss.
Beeindruckend der Gedanke des einsamen
Felsengrabes oben auf dem Eiland Grand Bé, ein großes, namenloses, Steinkreuz,
nach dem Grab Napoleons in St. Helena konzipiert. Ist es nicht eitel, mit der
Namenlosigkeit bis in den Tod zu spielen? Flaubert meinte: Nein. "... wird
seine Unsterblichkeit sein wie sein Leben war: verlassen von den anderen und
ganz von Gewittern umgeben. Die Wogen werden mit den Jahrhunderten lange um diese
große Erinnerung spielen." (Über Feld und Strand.)
Kein Wunder, dass ihn Cioran sehr mochte, er
war gläubig und der skeptischste Mensch zugleich. Glaubte er an dieses Nichts?
Oder im 3. Band: Chateaubriand. über sich selbst: ein Erlebnis in Combourg, wo
er aus seinen Wünschen sich selbst eine begehrte Frau, die er nicht haben kann,
projiziet, ähnlich wie die Tibeter die Kualpas, ein Phantom.
Dann in Dinard. Nicht viel los, leider sehen
wir die Küste nur oberflächlich zwischen Dinard und St. Briac, Renoir, sogar
Picasso haben hier gemalt und Gemäde geschaffen, die genau diese Landschaft
"sehen", sind dort in Reproduktionen aufgestellt, seltsame
Verdopplung der Blicke sind.
In Dinan - der alten Stadt ein Volksfest, wir
kommen kaum durch: vor allem Renaissancekostüme, Mönche, Nonnen, Aussätzige
sind zu sehen, sogar einer auf einem kleinen Karren wird so gezogen, einer dem
man zur Strafe beide Beine abschlug. In Sack und Asche. Oder ein Wolf auf
Stelzen. Die Polizei muss uns durch die Menschenmenge freie Bahn schaffen. Erst
jetzt merke ich, was ich alles versäumt habe! Doch das Auto ermöglicht und
verhindert alles. Wir finden keinen Parkplatz.
Für morgen: Matière du
Bretagne, das ist die Gralssage. Christusblut und Eiter? Ginster, der daran
erinnert!
1. September: Ouistreham/ Caen: Sonntag. Ruhetag. Wir sehen
uns noch die Kirche (Gottesdienst) und den Hafen an. Packen, reinigen. Noch letzte Notizen. Nehmen
abends den Abschiedsdrink.
2. September: Abfahrt
über St. Michel, Rennes, in den Sagenwald der Broceliande, Merlins Grab.
Phantasie, keine Wirklichkeit Eben dies der Jungbrunnen. Alles Projektion. Und
der Lorbeerbaum über dem Grab geht ein, zu viele schwarze Schwingungen der
Besucher? Dann der "Jungbrunnen". Und das Felsentheater der Schwarzen
Messen. Man muss an diese Projektionen glauben. Die Atmosphäre der Krähen.
Hundebellen in der Ferne. Zauberformeln. Ein Kranz wie ein Propeller. Dazu
rauscht der Wald im Wind. Und ein Baum gibt ächzende Töne von sich. Schwarze
Messen hier? (Auch den Film ansehen!) Das Schweigen der Steine. Und ein
Megalith-Tisch mit 12 Steinen, wie bei Brâncusi. Höhenwind, als wäre es im
Gebirge. Tannen, Pinien, Birken, Buchen, starker Mischwald. Und Grillen Zirpen.
Und ein Flimmern. Verzieht sich das Lid. Übereinander gelagert die Bilder? L.
beklagt sich, sie könne nichts mehr sehen. Als durchkreuzten sich die Zeiten.
Spiegelungen. Unheimlich. Verhexung?
Dann das "Tal
ohne Wiederkehr". Suchen hier eigentlich Phantome und Romanfiguen. Und das
Wunder, dass wir etwas suchen, obwohl es dies gar nicht wirklich gibt. Hier hat
Merlin den Verstand verloren, trank aus dem Bach, und gewann ihn wieder. So wie
die Einsamkeit hier heilend wirkt.
Dann Tréhorenteuc, wo zwei deutsche
Kriegsgefangene die Kirche mit Artussagen bemalten, dann Josselin,
Pont Aven, Concarneau bis zu Qimper und
Douarnenez am Mueumshafen schlafen wir.
3. September Von Douarnenez über Locronan zum
Aussichtspunkt Menez Hom über Crozon und
Carmaret, Pointe de Penhel, von hier zu den Iles des Morts, wo man bis Brest
sehen kann; dann über Pont de Terenz über Cahateaulin nach Pleyben, wo wir Honig kauften; die Kathedrale ist leider zu,
aber der Calvaire filmbar. Dann nach Quimper bis Auray und Carnac, sehen noch
die Menhire, dann Locmariaquer, sehen
dort die Statte der Menhire. Dann ein schönes Hotel.
4. September: noch die Pierres Plates, dann die Insel Gavrinis und schließlich mittags noch St. Gildas de Rhuys, Abaelards
Kloster, und mittags nach Vannes, essen
dort im schönen Park der Mauern, und schließlich über die Grand Brière La Baule
und St. Nazaire nach Nantes.
5. September: von Nantes, über Bordeaux nach Arles
6. September: Abfahrt von Arles, Hyères, in der Ferne Porquerolles, dann
weiter nach St. Tropez, noch ein Bad,
dann über Nizza und Genua nach Hause.
10. September.
Rückblicke, zeitverzogen nach einem innern Geflecht!
Bei Cioran viel zu
lernen über das "Zurück-ziehen", das eigentliche Ziehen, der Sog, der
Zug des Fortgehens, der mit dem ganzen Abschied korrespondiert, endlich zum
Wegweiser, der Phantasie kommt, denn auch meine Energie wird zur
Geistesgegenwart, ja begeistert sich und belebt sich außerhalb der enggeführten
Illusion Zeit, eben in einer Welt, wo die Bedingungen der Tat selbst
abgeschafft sind. Dann erst tue ich wirklich, was geschieht, mit mir geschieht,
sonst wäre es ja Schlappheit, Sich gehen lassen, Anpassung. Und könnte ich das
nur, die Gelassenheit üben, mich um die Leute, um "sie" nicht mehr
kümmern, denn "sie" sagen mir nichts, buchstäblich schauen sie an mir
ja auch vorbei. Warum sie nicht auch mit Verachtung strafen, sie übersehen,
wegschauen. Es so halten, wie Pyrrho, der weitersprach, auch wenn sein
Gesprächspartner fortging; er sprach ja immer mit sich selbst, der andere war
nur Mittler, regte an. Auch ich träume
mit der "Ungeduld der Angeschlagenen" von dieser
"Disziplin der Verachtung". Und fort mit dieser Rücksicht, Freunde,
diese Anstrengung. "Her mit den Gleichgültigen oder Feinden, dass ich Atem
schöpfen kann!" Meine Schwäche, allen "nachzuknödeln", wie das
so schön bei uns hieß. Warum? Aus Angst, aus Unsicherheit, gar aus
verborgenenem Hunger nach Verbindlichkeit, Angst, einsam zu sein? Doch das
widerspricht meiner Erfahrung. Am wichtigsten ist das Alleingelassensein, am
erfülltesten!
Im Wald von Brocéliande
unweit von Rennes am Jungbrunnen; angemalt die schwarzen Felsen mit bunten
Hexenzeichen. Darunter auch das Schlangenkreuz der Bretonen, das wie ein
Propeller aussieht; Das Schwitzen der Steine in mir. Nordisch die Stimmung, als
würde Sommernachtstraumhysterie ausbrechen, Hexen verbrannt und Schwarze Messen
mit nackten Frauen gefeiert. Die Quelle
selbst ist trüb, Neugeborene sollen hier getauft worden sein. Jungwerden aber
ist wieder möglich, und dazu braucht es kein Mädchenblut, wie bei der
Blutgräfin aus Transsylvanien, die Mädchen schlachten ließ, im DNS gibt es ein Programm, das die
Lebensdauer bestimmt, und das verändert werden kann.
Ein Flimmern in der Luft, starker Mischwald,
Birken, Tannen, Eichen, Buchen, so durcheinander die Blätter beschrieben,
Grillen, Grille, ein Zirpen und Flimmern und Drehen. Und verzieht sich so das
Lid vor lauter Geheimnis, als löse sich der Augen-Schein auf, es entstehen
mehrere Schichten von Bildern, Zeiten die sich durchkreuzen. Und du sagtest:
Siehst du auch so schlecht, hier, es wird mir schwarz vor den Augen,
Spiegelungen, viele Spiegelungen, als wären mehrere Gegenden
übereinandergelegt. Das lange westliche
Licht ist hier gefährlich!
Und die bretonische
Märchengegend hier weiß ja von der Kraft des Scheins viel; dass es ein Wunder
ist, nicht durch die Erde zu fallen! Die Erzählungen aus Brocéliande wissen
viel von der camera obscura unserer Augen, vom Schein-Werfer unserer Sinne, die
die Welt erfinden. Und so lange wir dem, was alle sehen, diesem Konsensus
folgen, solange brechen wir auch nicht durch die dünne Schicht der gemeinsamen
Halluzination, die Welt genannt wird, durch. So schuf Merlin für Viviane ein
Schloß,( Josseline, wir haben es ja gesehen, und es heißt, das Wirklichere ist
seine Spiegelung im See, auf dem Seegrund also wäre es zu finden!) Und Merlin zauberte seiner Viviane einen
Palast, der für jeden unsichtbar war, nur für die, die dazugehörten nicht, für
alle anderen ist dort nur Wasser, der See eben. Und wer aus Neid oder haß das
Geheimnis verrät, so ist auch für ihn das Schloß nicht mehr vorhanden, der
feste Grund verschwindet, auf dem er bisher stand, und er sinkt in die Tiefe
des Wassers, ertrinkt.
Merlin hatte sein
Unglück, Viviane an der Barentonquelle kennengelernt, die wir suchten, aber
nicht fanden. Schließlich legten wir uns an einem Barentoncamping zum
Mittagsschlaf hin, unter einen Baum. Wilde Träume kamen.
An der Treppe Merlins, wer ein paar Tropfen
vom Brunnen darauf fallen läßt, so heißt es, könne Regen machen, Dampf erhebe
sich, verdichte sich zu einer Wolke, die andere anziehe. Und dann regnet es.
Bei den Hopi haben wir es erlebt, dass solch
Regenzauber wirkt. keiner weiß wie. Doch einige Physiker sind fest davon
überzeugt, dass es dieses Phänomen gibt. So....
(Vgl auch
"Paranormale"-Lexikon: Pioggia).
Druiden- Kult der
Kelten hier wichtig, und das, was wir nicht wissen, denn viele Geheimlehren
sind nur mündlich weitergegeben worden, lassen uns nach unserem Maßstab die
Denkmäler, Steine und Höhlen beurteilen, ähnlich, wie die Primitiven die
Extraterrestrischen als Götter bezeichneten. (Druiden, irisch:die
Eichenkundigen!) Blitze schlagen in die Eichen ein. Galläpfel und Tinte. Bei den Kelten in Gallien, mit dem Adel
Herrschaft über das Volk. Neues Leben nach dem Tod und Wiedergeburt,
Seelenwanderung lehrten sie, doch Menschenopfer, wie bei den Azteken und Maya
gehörte dazu. Zauberer, Wahrsager und Ärzte. Kelten? Warum bringt das Vorwort
über keltische Sagen soviel parallele Geistererscheinungen?
Leary deutete die
Hippies als eine Art "keltische Renaissance". Was heißt das?
Menschenopfer zum Wechsel der Jahreszeiten? Doch Meyer behauptet, es seien nur
rituelle Verbrecherhinrichtungen gewesen, massenhaft in weitläufige
Weidengeflechte gesteckt und verbrannt. Aus den Zuckungen und Eingeweiden der
Opfer las der Druide im weißen Gewand und vor einem Altar mit Eichenlaub
bekränzt in Bewegungen, die dem Laufe der Sonne folgten, die
"Vorsehung", den "Willen" der "Götter", also
dessen, was sein wird, aber auch Träume dienten dazu, Flug der Vögel, ähnlich
wie bei den Etruskern, aus Blitzen , Gestirnen.
Überall verbreitet,
wanderten sie, waren frei und eigensinnig, stolz, eitel und streitsüchtig.
(Gallier). Zerstörten alle Staaten, schufen keinen eignen, kamen bis Frankfurt,
ja, bis Slawonien und Ungarn. Sogar Thrakien. Thessalien, Griechenland. Keine
Heimatliebe. Kämpfe in Spanien. Iberokelten. Dann auch Oberitalien. Übermütig,
prahlerisch, kriegslustig. Forderten gern zu Einzelkämpfen auf, sich zu zeigen.
Redeten, Dichtung. Viel Phantasie. Wie sympathisch dieser keltische Nihilismus,
der die Erde nur als Kleinaufenthalt sieht! Und wurden gern Söldner. Ehre war
nichts. Verdingten sich schnell auch beim Feind. Der Einzelne stand höher als
die Gemeinschaft, sie konnten sich nicht unterordnen, fanden es eine Schande zu
arbeiten. Alle wollten Druiden (Priester, Sänger, Wahrsager) sein. Und die
Angesehenen erstrebten nur dies. Hatten
besondere Ordenstracht, waren herrschsüchtig, elitär, 20 Jahre Unterricht wie in
einer Akademie. Religion, Medizin, Recht, Mathematik, Astronomie. Nichts durfte
niedergeschrieben, veröffentlicht werden, Grundlagen warren esoterisch. Exakten
Kalender hatten sie schon, beobachteten sogar mit einem zu Kristall
geschliffenen Glas (Druidenköpfe) die Gestirne. Und verehrten neben fünf
Göttern vor allem zahlreiche Geisterwesen und Entitäten. und Genien.
Druidenberge, so vielleicht auch in Locmariaquer. Quellen, Seen, Flüsse, Wälder
und Inseln waren solche Stätten, also auch Gavrinis. Und sein Steinberg. Was
aber bedeuten die Innenräume mit den Spiralen? Sind die Dolmen Druidenaltäre?
Charroux freilich hat
so seine Theorie, dass zweitausend Jahre lang ihre Bauwerke und Dokumente
vernichtet und verheimlicht wurden.
Am Ort "Sans
retour" am rötlichen Felsen mit großem Rundblick. Sanfte Sprache der
Kindheit, ein Blick hinab zum Tal und zum See. Wie ein Altarraum im Offnen. Werfen die gesammelten
Phantasien der Besucher eine Stimmung aus, die es sonst nirgends so gibt.
Hier soll Merlin
geheilt worden sein von seinem Wahnsinn, in dieser Ruhe. Und wir werden
ebenfalls hier geheilt vom Stadtgift. Verkohlte Felsspitzen erwarten uns unten
am See, ein vergoldeter Stamm, ein Kunstwerk, das hier erwacht.
Der alte Artus, halb
blind, auf der Ile d´Aval, geschlagen nach einer Schlacht, geheilt, doch nicht
verjüngt von der Fee Morgane, und wie einst Odysseus von der Circe von Morgane
gefangen gehalten, bewacht von neun Feen, wollte fort, doch war er alt und
verhext, bat Merlin um Hilfe, zumal Artus auch noch um den Verrat seiner Frau
Genofeva mit Lancelot wußte; er hatte Verleumdungen geglaubt: Mach mich auf
immer wieder jung? Der weise Zauberer Merlin aber, der uneheliche Sohn des
Teufels und einer frommen Mutter, die
ihn aber sofort taufen ließ, so dass er die Kräfte des Vaters behielt, aber nur
zu guten Zwecken verwendete, verweigert
dem alten Artus dies Elixier: Gib mir die Jugend und mein Königreich zurück;
schön dieses Reich der Lebenskrönung, König als Vereinigung gedacht, als
Ruhepunkt des Lebens, wo die Zeit stillsteht, alles neu ist, weil die
Wahrnehmung zugehörig, weil die ganze Welt zugehörig ist. ("Ich will dir
die Krone des Lebens geben", so ein Psalm Und das Hebräische weiß von der
Vereinigung von König und Königin Freitag nachts!).
Zu seinem Erstaunen aber riet ihm Merlin zu
Geduld und Verzicht. Und er habe alle seine Kräfte Viviane gegeben, sei nichts,
als ein einfacher Mann, der den Tod erwarte, wie Artus auch. Von der Liebe zu
Viviane gefangen im unsichtbaren Gefängnis, dem er nicht mehr entkommen konnte.
Und es auch nicht wollte? Weil Liebe Leben für immer sei, also genau jener
Macht entspricht, die wie seine Kunst den Schein durchdringt, Mauern
durchbricht, jede Gestalt annehmen kann, weil es sie gar nicht gibt.
In der Matière de Bretagne wäre auch Tun
aufzugeben, Kampf, denn was sind schon Hände im unsichtbaren unheimlichen
Partikelgestöber, denn wie faßten wir uns an diesen Händen, so lehr deine Hände
schlafen, hätte er sagen können. Oder auch: dein Auge, dem Nichts stehts
entgegen. Es steht zum König. Im Nichts, wer steht da, der König. Denn Er ist
nicht faßbar. So riet Merlin sich zu ihm
zu bekennen. Wie er auch Ruhm und menschliche Liebe aufzugeben, auch Ginevra,
seine Frau, und das Reich, das nur Staub und Asche sein wird, schon immer
vergangen, wenn es erscheint.
Schön auch
Nein, Ginsterlicht war
nicht zu sehen gewesen, keine Hänge eiterten gen Himmel, doch überall, gab es
die Calvaires, ganz oben am Kreuz da hing Er, meist noch mit den beiden
Schächern an der Seite, die ihn verfluchten, der eine mit hängender Zunge,
verdurstend, wie in Pleyben, als wir Honig kauften, die Kirche aber geschlossen
war, im Angesicht des großen Schmerzes, der Folter, die ein Zeichen der
Erlösung sein soll? Was wär das Kreuz im Leid, nur ein Symbol? Und dass der
Körper um Nichts sich neigt, das arme Kleid - wie in Guéhenno bei Josselin?
Stein, Stein geworden der Schmerz in vielen Figuren, die Ihn umgeben, der
nichts mehr ist als reine Figur, Kreuzpunkt, da wo der Kopf steht, dichtester
Ort. Und wer verriet? Das Morgengraun die Nacht, wo das Geheimnis ist, das
Licht verzerrt? Die Säule steht mit ihm vor einem Beinhaus, das leer ist, wie
jedes Grab, das nur den Leib enthält, den
Schein von der Gewalt des Hier: man siehts ja deutich, Geißel, Ring und
Strick, die Ruten für die dünnen blutigen Streifen, der Schnitt ins Fleisch,
die Dornenkrone, Schilf, Nägel, Hammer, Zange: HAEC PASSUS EST PRO NOBIS. Hat
er das alles für uns erlitten - oder für Gott? Der vieles zuläßt, was
geschieht, auch Jetzt. Und überall der Satan, dieser Kopf des großen Nein,
Unglaube ohne jede Verzweiflung, wie wir sie heute finden: und über dem
Beinhaus, das dies Niemals sein soll, da ist das große offne Maul der Sonne,
täuschendes Licht, das uns verschlang. Nur Maria und Magdalena stehen da und
weinen, warum, wenn sie doch glauben können, dass er nicht nichts ist,
wiederkehrt, der untot ist, wie jeder!
CRAS Resurget steht noch da. Als läutete tatsächlich dieser Dorn in der Wunde,
und viele kleine Kindergräber, nichts als aufgeschütterer Sand als Hügel des
Vergehens, Vergänglichkeit schön, grüßt dein Gedächtnis und wundert sich, kein
Name, kein Kreuz.
Bretagne. Wo war es,
als das Boot mit "Blutsegel" auf uns zuhielt, Bretagne und
Locmariaquer, ja, als wir zurückkamen von der Megalith-Insel Gavrinis, als der
Fingerabdruck im Stein riesig geworden war, Wellen, Wirbel, Sog drinnen im
Grab, die Spirale, das Labyrinth, das
wir alle an der Fingerkuppe tragen ist die Grundstruktur der Welt,
Spiralnebel, Sterne, Atome und Uhrwerke früher, säumte den dunklen Tunnel der
verschwundenen Toten.
Urwelle, konzentrische
Kreise, oft aber auch Eiform, Hoden, der gehörnte Gott, der fliegende Greif,
Phallus, geflügeltes Pferd. Axt, Schwert und vor allem die Hacke.
12. September 96. Für Gerhardt: Jürgenson-Porträt. Rilke in
Muzot, Entstehung der Duineser Elegien.(VGl. Tagebuch und Holthusen)
Die Neoenergie der
Pyramiden kommt mir in den Sinn, Karel Drbal hatte sie uns 1975 an seinen
Modellen in Prag erklärt. Und sollte diese gewaltig Energie die der Pyramiden
in Ägypten und Mexiko sein, nicht nur zur Mumifizierung, Erhaltung des Körpers
der Pharaonen, sondern wie antike
Atommeiler? Überhaupt wird behauptet, dass diese gleichaltrigen Riesenbauten
mit enormen Steinen nur mit Hilfe von Levitationskräften hätten erbaut werden
können.(Ramses III. "Ich schuf berghohe Denkmäler aus Alabaster und gab
ihnen Leben bei ihrer Entstehung." (Clarc, 101). Und auch wenn diese nicht
durch "Raumarchäologie", also Einflüsse von höher entwickelten Wesen
aus dem Weltall, wie sie die Ägypter , aber auch die neolithischen und
Megalithkultur-Menschen gelehrt haben sollen (nach Sowjetforschern, etwa
Agrest, dann Kolosimo, von Däneken, Charroux, Sendy und Bergier. Blumrich,
Steinhäuser u.a. Daß sich diese Astronauten wieder zurückzogen. Wegen Kriegen
(Atlantis) in den Hopisagen (Blumrich) auch vorhanden, dass sie auf diese
"Götter" weiter warten. Und dass die ganze Adam- und Noah-Sage darauf
zurückgeht, die ganzen Göttergeschichten nur Verballhornungen von Unwissenden
sind. Palenque in Mexiko, Nazca in Peru, aber auch Stonehenge und die Megalithkultur, so natürlich auch Carnac
werden zusammengebracht 4-: 6000 Jahre.
Stonhenge (schwebende Steine) auch ein
Cromlech, wie Gavrinis oder die Vogelinsel. Gräber, aber zugleich Energie und
astronomisches Observatorium? Denn wie hätten die Kartenmappen des türkischen
Admirals Piri Reis (1513-28), die 1929 im Museum Topkapi von Istanbul gefunden
wurden, erklärt werden können, die so exakt sind: die Küstenkonturen des
Atlantik, Afrikas, Europas, Amerikas, erst vor kurzem von Columbus entdeckt,
aber auch die heute vom Eis bdeckten Polkappen als Landmasse wiedergeben, nur
durch Luftaufnahmen wären sie möglich! (Vgl. auch Psychokinese von A. Clarc.)
Ich lese in Charroux.
Ganz verrückte Deutungen, die nicht stimmen können. So dass die Schlangen in
Gavrinis und anderswo die Verehrung der Flugmaschinen darstellten, mit denen
die Götter von anderen Planeten auf die Erde gekommen sind.
In St. Gildas de
Rhuys. Besuch in Abaelards Klosterabtei. 1128-1136. Vor zehn Jahren ist er zur
Strafe (Beziehung mit Heloise) entmannt worden. An Heloise schrieb er im 5.
Brief, "Die Glut meiner Gier hatte mich mit dir zusammengeschmiedet; ich
dachte nicht mehr an Gott, ich dachte nicht mehr an mein besseres Selbst, so
tief untergetaucht war ich in den armseligen Genüssen, die zu schmutzig sind,
als dass ich sie ohne Erröten auch nur nennen kann.." Da habe Gott in
seiner Barmherzigkeit, das Messer, das seinen Leib traf, habe ihn A. von dem
Schmutz befreit. So habe er nur an einem kleinen Teil des Leibes seine Sünde
büßen müssen. Ein "Pfahl im Fleisch" . Selbst aber habe er es nicht
tun dürfen, ein anderer musste es tun. Origines sei schuldig geworden, weil er
es selbst getan.
Und doch wurden sie
zusammen bestattet, waren sogar Eheleute gewesen, hatten einen Sohn. Auf dem
Père Lachaise schrieb ich:
Weißt du noch: HELOISE UND
ABAELARD
Etwas Regen auf dem Père
Lachaise.
Versteint. Wir unter
Regenschirmen.
Was weint da. Sogar über Steinen.
Wir
suchten. Und unter Linden hören
wir
ein Flüstern. Laute, wie Tandaradei.
Klang Worte in Höfen. Tage. Und
dies Paris
so spät. Kaum Große
Herbstzeitlose, die
zur Liebe jetzt auf Gräbern rät.
Ein
Liebespaar, wir waren jung,
berührt den
Stein. Von unten her. Ein Kind,
das weint.
Woher ein Sic et Non, der
Erdgeruch mit
deiner Haut im Regenduft vereint,
im Schritt
der Kuß unter dem Kleid, ein
Blitzen wie
durch Tränen, ein Blick der Tote
überholt.
Jetzt stehn sie auf und lachen.
Sie sehn
dir unters Kleid, die schwarze
Herbst-
Zeitlose die Sonne
runterholt.
Heloise, Abaelard: "Was ich
begangen, es lebt
so stark in freudiger Süße,"
riß mir das Herz
entzwei.
Saß sie auf einem Steine,
Heloise, Abaelard.
Fließt in die Iris heute
dies Liebespaar.
Und steigt ganz aus dem Wort und
nur ins Auge ein.
Der Name sucht durch Todesnacht
lichtschnell verborgen dort
im Stein, den nur der Finger
anstößt, Kälte fühlt,
als wäre dieses wahr ("drei Tage sind es drei/ von keinem
Schmerz
verschont,")
Heloise, Abaelard...
Tod ist ein Liebespaar. Liegt vor
uns, geschwärzt
Figur, der Stein. Schmerzlich der
Durchgang
mit Bildern und Dornen,
durchkreuzen das Auge und
sieh, die Paare, sie wärmen.
Vom Tode denke nichts, und nur
auf ein Wort. Steht
Sic et Non - gerade für wen?
Daran miß und trau
dem Auge nicht mehr,
trau denen, die nicht
mehr sehn.
Nichts erinnert in der
kleinen Abtei, die nur noch seinetwegen besucht wird, an ihn, er selbst floh
von hier, der Rauheit und Ungebildetheit, Gesetzeslosigkeit der Mönche. Und
doch werden andauernd Abte und Heilige, meist in Form von Grabsteinen, einer
sogar im Glassarg mit den heiligen Gebeinen vorgezeigt. Die Kirche mochte den
freien Abaelard nicht. Immer wieder wurde er "bestraft" Auch in einem
Kloster bei Soissons, das zugleich Irrenhaus und Kerker war. Und hier die
heiligen Knochen. Überall die Materie verehrt.
Ich mache Aufnahmen davon. Auch von einem
großen Schiffsmodell, dem Nonnenkloster daneben. Werde verjagt. Und denke an
Abaelards "Sic et non": das meinem eigenen Stil entspricht: jede
Aussage zurücknehmen, nichts stehenlassen, weil nichts wahr sein kann, was nur
gedacht oder nur Sprache ist.
Byron.
Ja. Byron und Pisa. Byron und Shelley
hier. Manfred? Die Normannen und Sizilien. Wer war Manfred, wer war Robert
Guiscard? Den Kleist zum Vorwurf nahm? Die tiefste Melancholie und der
Trübsinn? Manfred viel später: Sohn Friedrichs II und der Lancia, unehelich,
Friedrich traute sich noch auf dem Totenbett. Manfred: König von Neapel und
Sizilien. Seine drei Söhne endeten im Kerker. (Geb. 1232)
Guiscard
allerdings Machtmensch: Sohn Tancreds
von Hauteville, zur Zeit Barbarossas geboren. Herzog von Apulien und Kalabrien.
Entriß das Land den Griechen, kam bis Saloniki. Gegen Byzanz auch. Sein Bruder
Roger eroberte Sizilien von den Sarazenen. Sein Feind war Abaelard? Jedenfalls
bei Kleist. Und der Todeswunde nahm den Machtmenschen Guiscard als Vorbild,
scheiterte daran.
Auf
dem Weg von Cherbourg nach Caen sprechen wir über Hauteville. Von hier also
ging die Eroberung Siziliens aus.
Auf
dem Weg zum Pont de Penhir kommen wir
nach Crozon. Unterbrechen. In der Kirche das Martyrium der Legion Thebaine: 400
holzgeschnitzte Figuren. Zehntausend wurden gekreuzigt. Unvorstellbar dieser
Wald von Kreuzen. Ist es das Verdienst des Cristentums, solches Leid geschaffen
zu haben, noch vor der Machtergreifung durch die Kirche? Der Tod dieser
Menschen, der mich noch heute beschäftigt.
In
Honfleur, ja. Das Boudin-Museum. Aus diesen Bildern erfährt man mehr, als aus
der Landschaft, vor allem wenn man nur mit dem Auto fährt. Unsere Reise hätte
ein Mehr gehabt, wenn wir mit Monet hier gewandert wären, und in der Bretagne, oben zwischen St. Briac und St. Servan gibt es sogar Reproduktionen,
Landschaft und Malbild gegenübergestellt. Sogar Picasso war hier. St. Malo ist
ja auch so, dass man dies Wattenmeer, die Burg, die Inseln, und Chateaubriand
nicht vergisst.
Und
dann Pont Aven und Gauguin. Wie kann ich die Erinnerungen sammeln und
korrigieren. Die Fetzen, die wie Traumbilder um mich schwirren. Banaler Alltag,
Momente werden auf der Rückseite, rückwärts gesehen, zu eigenen
Ewigkeitsbildern, abgeklärt: die Mühle am Fluß Aven, jetzt Edellokal, in Pont
Aven. Ich bin neugierig auf den Videofilm, was hat er "festgehalten"?
Hier in der Sud Finistère
Warst
du Schüler von Pissaro, Gauguin? Impressionist, ein Schimpfwort, von Nord nach
Süd, die Normandie, Honfleur veraltert? Welch ein Stil, das Wort, wenn es zu
spät kommt, meines jetzt, nachträglich, nach Pont Aven: zwei Sekunden, die ich
jetzt erfüllen muß, auf füllen, füllen, mein Freund. Predige ich, an wen? Ihr,
die Jungen damals, voller Wut auf den sich abzeichnenden Untergang, ließet den
Fluß rauschen, herabhängende Trauerweiden nicht nur, sondern ihr saht rot und
grün. Bernard und du, 1888 also, als wüßtet ihr Kant im Gesehenen, schält es
raus, setzt es zusammen: die Synthese, ein anders Ja. September: Zwei Gemälde
kamen an. "Bretoninnen auf der grünen Wiese", wo war das, im Kopf?
Ich hungere jetzt noch nach Visionen, die Predigt aber ist tot, in welchen frommen
Köpfen hauchfein kommen die Bilder der Engel und Kühe noch an. Du machtest eine
Skizze, schicktest sie an Van Gogh, den wir später in Arles auch besuchen, kein
Leid mehr, nur die Erinnerung an ein abgeschnittenes Ohr. Zieh mich rein, mein
Freund, wohin sollen wir noch fliehen, du hattest Tahiti.
Mette
war Dänin, sie verließ dich. Du Berufsloser, gabst den Bankkaufmann auf, auch
in dir: fort von hier. Fest halten, nichts anderes. Völlig statische Figuren.
Schock, wie Baudelaire, der Bewegung hasste. Aufhalten, aufhalten. Wir sehen
das Gasthaus der Marie Hunerty, die er malte, die Belle Angèle, bretonisch. So
wie ich jetzt ging er spazieren, machte Skizzen, setzte dann zusammen, wie ich,
der gelbe Christus, der hat ein Gesicht wie er, nur schmaler, er, der Boxer mit
großer Nase. Wir wollten die Kapelle sehen, als wir durch die Stadt irrten,
Antiquitätenläden, überall Galerien, jetzt wollen sie dich, jetzt. Hinunter den
Fluss, wo die Boote lagen, kleiner Hafen. Nach
Nizon mit dem Calvaire reichte es uns nicht. Dort entstand aber sein "Calvaire".
Starr, wie der Schmerz, drei graue Frauen, wie die Nornen, grau der Christus,
Geister unterm Stamm, farbig blau, wie das Meer die Bretonin, Mutter, Maria,
Magdalena, mit einem schwarzen Schaf an der Hand, als krieche dieses in sie, oder sei ein Tl schon, weggeneigt,
chinesisch fremd schon das Gesicht, rosig das Land, wie Korall, die Insel im
Blau, hoffend, frisch, und die Wolken wie Geister oder große Finger, Christus
eine leblose Puppe.
Fromm
sehn die Frauen mit den großen weißen Hauben, Kapelle von Trémalo: Gelber
Christus, dem hat er von hier mitgenommen, warum gelb? Licht, leuchtend, so
siehst du ihn. So. Wie du den Liebeswald siehst, wo sie sich trafen. Du kannst
ihn bei Sonnenuntergang ganz rot sehn, rot, anstatt ein Negativ, rotes Negativ.
Oder ein blaues das Meer. So löschst du die Welt aus. Um sie neu zu erschaffen.
Im Hirn als Fotographie der Phantasie oder sichtbar auf einer
Zigarettenschachtel, synthetische Landschaft, Kant, ist es, sichtbar das Ding an
sich, wenn du Mut hast. Violett, Zinnoberrot, Veronagrün - die reinsten Farben,
ohne jedes Weiß des Nichts, weil die Augen vor Tiefe glühn.
Das
Auge soll ein Loch sein ins Jenseits, ein Später. Ich auf der Flucht, nur
flüchtig in aller Ewigkeit im Leben, wie jetzt der Augenblick vorbeirast,
Fluchtpunkt sieh zurück!
Und
immer wieder kommt er: Heiliger Geist, wie er da sitzt im Kopf der Bretonin.
Naiv. So wie SIE ihn sieht, den
Kalvarienberg, Gelben Christus: nach der Predigt, die Vision oder Jakobs Kampf
mit dem Engel für die kleine Ortskirche, der Pfarrer weist das Innere des
Heiligen mit Abscheu zurück. Sie, ja, sie sehen es anders, auch als die primitive Seele der Frauen, mit fliegenden
weißen Bretoninnenhauben. Licht in den Dingen, nicht außen, so ist kein
Schatten, wie im Hirn, alles Kontur. Hirnsyntax, mein Lieber, so gibt es die
roten Bäume aus Blutsonnen. Die Geister wollen uns sehen, so malt er Ideen, die
ihnen nah sind, Tote haben Intuitionen in ihm: Selbstbildnis aus Licht
gewachsen, ein grüner Apfel klopft an die Stirn, ein roter begleitet, alles im
roten Himmel, der Kopf wächst aus dem Licht, der leidende Christus, oder Adam ists, der Heiligenschein wiederholt
nur das Vibrieren des Gelben, grün, grün die Schlange die er hält. Kämpft
überall Jakob mit dem Engel? Das Bretonische ist ein weißes Gefühlsfliegen,
weiß, das zu den Farben wie Vögel nicht passte, außerhalb der Welt war. Was
will der gewalttätige Engel von Jakob, die Leiter?, und er soll den Baum nicht
sehen, der sie trennt von den betenden Frauen?
nur ein Tier frisst an ihm oder berührt ihn warm mit der Schnauze, eine
Kuh, ein Schaf. Und die knienden Bäurinnen mit den Händen im Schoß. In der
hektischen Welt ein stehendes Zeitparadies. Sanft, wie seine dreizehnjährige
Tahitianerin später, die nach Milch roch und nach Morgen.
Statisch
aber die drei Frauen, schwarz unter dem glühenden Abendbaum, dahinter die
Kapelle von Aliscans vor Arles. So stehn die Geister, die Toten in uns in der
Welt vor dem, was noch ist. Und links eine Fontäne, nein, ein Riesenphantom.
Ists schon der Geist von Van Gogh, den er besuchte? 1888 im November? Fontänen
von Gelbrot, wie die Zypressen von
Vincent, der schon krank war: in Arles und dann San Rémy die Aura, den Wirbel der
Atome sah. Ihm schickte Gauguin in einem Brief die Skizze der Jakobs-Vision,
eingeschlossene Konturen, wie ein Landkarte.
Und
starb am 8. Mai 1903 allein und verlassen in seiner Hütte, im Haus der Freude,
unterm "Gold der Körper" hier, Frauen und Blumen, aber allein, krank
verurteilt zu Geldstrafe und Gefängnis. Hiva Oa hieß die Nebeninsel der
Marquesas-Inseln.
Wie der Freund Van Gogh - nachdem sein
Schuss im Kornfeld , als er nach einem
Motiv suchte (in der Sonne) gefallen war, in den Bauch hatte er sich
geschossen. Warum? in Auvers bei Paris, Dr. Gachet war da, Theo der Bruder kam,
in dessen Armen er dann starb. "Das Elend wird niemals enden. Jetzt möchte
ich heimgehn." Am 29. Juli 1890. Ein einziges Bild, der Rote Weingarten,
war verkauft worden. 400 Franc. Keiner
hatte ihn zur Kenntnis genommen.
Arles,
die Einfahrt an der Mauer. Hektische Nervosität, viele Autos. Die Rhone.
Unstimmung, Sonntagsverkehr. Wir irren
durch das Labyrinth der Altstadt. Hotelsuche. Verbiestert, offen keinesfalls.
Zum Leid musst du offen sein. Vorerst ist Vincent gar nicht da. Seit Februar
1888 aus Paris. Die Provence - ein Taumel, er sah die Wirbel der Atome, die
Spiralen überall. Endlich.
Wo wohnte er: Place Lamartine 2, vier Zimmer.
Das
Blau des Briefträgers Roulin. Und der
Sohn. Die einzigen Freunde. Roulin, wallender Bart. Vincent: Er hat ein
Sokratesgesicht. Und so fand ich es wieder auf dem Buchumschlag zur Hohen Rinne
des Constantin Noica: Epistolar, Brief, ach, in den achtziger Jahren in meiner
Heimat zu Paltinis. Wie fern, mein Lieber, von Arles, durch das wir irrten. Und
L. sagte: hier in der Nähe feiern die Zigeuner jährlich ihr Fest. Und es wird
viel geklaut. In der Nähe der Place de Forum und der rue Hotel de Ville ein
billiges kleines Hotel mit antikem Hinterhof. Nach langem Suchen, nervös, das
war Arles, und die Arlesierin, die ein kretisches Gesicht hat, quick und frech,
gibt den Schlüssel, befiehlt immer das
Hoftor zu schließen, wegen der Diebstähle, wir fahren auf ihren Rat auf den Boulevard Clemenceau in eine Garage,
schaffen es noch, ich schleppe im Schweiße meines Angesichts Tasche und Koffer
samt Computer. Angst. Kann im Abendlicht gerade noch filmen, den Groll
überwinden, Schwitzen, Wut weil mir L. wieder beim Parken erklärt: wie ein
Anfänger, wer dir zugesehen hat! An der Stadtmauer. Dies also der Zeitraub,
größer als jeder andere, Nervenraub in Arles, anstatt Vincent. Ich kann noch
den Place de la République mit dem schonen Rathaus und der Kirche St. Tropisme
plus Cloitre filmen. Dann Dunkel. In einer einfachen Creperie Abendessen. Beobachtungen,
dass hier eine Art Mafiazentrum ist. Bedienerin, eine große Junge, mit
Kothurnschuhen. von einem der im gleichen Haus wohnt, dort noch Licht, dann die
Frau. Alles beherrscht.
Am
nächsten Morgen Aufregung, habe die Camera nicht geladen. Ein kleiner elender Rundgang. Filme trotzdem
noch das römische Amphitheater, ein Art
Colosseum. (Stierkämpfe, Spanien ist nah). Dann das Theater. Den Park. Auch
diese Stadt, wie Lucca übergangslos aus dem Römischen, eine Stadt auf die
andere gebaut. Der Blick: auf einer Terrasse, Kirche, aufs
"Colosseum". Morgen. Überlagert viele andere Blicke von
Kirchterrassen, mit Blicken auf die Stadt. Barga. Am Theater, ich filme durch
das Gitter, reißt L. der Schuhriemen. Ich versuche den Schuh zu reparieren. Solch
Augenblicke. Frauen gehn vorbei.
Jetzt
erst denke ich an den Garten in Ouistreham mit den Sonnenblumen, wie Köpfe. Daß
Van Gogh Gauguin mit Sonnenblumenbildern im Haus empfing. Malergemeinschaft.?
Diese sollte entstehen. Das scheitert immer. Streit. Gaugin. schildert in
seinen "Diverses Choses": Dass die Suppe, wie seine Farben, dick,
nicht essbar war. Dass sie stritten. dass er auf die Mauer schrieb: "Je
suis Saint-Esprit/ Je suis sain d`esprit." (Gesund im Geist!). Eines
Abends lag er. Bleischlaf. Und einen andern trank er im Café (Place Forum?)
Absinth. Warf Gauguin das Glas an den Kopf. Ein andermal attackierte er ihn mit
dem Rasiermesser. An einem anderen Abend, nach dem Essen ging Gauguin allein
aus. Ein schneller Schritt hinter sich, als er den Platz Victor Hugo
überquerte. Vincent stürzt sich mit einem Rasiermesser auf ihn. Sein Blick aber
hielt ihn ab. Er küsste den Kopf des Freundes, ging weiter. Gogh schlief in
einem Hotel.
In der gleichen Nacht schnitt er sich das Ohr
ab. Nasse Handtücher um den Kopf. So hat er sich gemalt. So hat er das Ohr dem
"Salon" gebracht, einem Mädchen
geschenkt: Hier ein Geschenk von mir. Hatte sie ihn einmal scherzhaft am
Ohr gezogen, wenn du mir nicht wenigstens ein Hundert-Sous-Stück geben kannst,
dann schenk mir wenigstens dein Ohr!
Laute Stimmen vor dem Rathaus. Fast hundert
Bürger fordern Van Goghs Zwangseinweisung. Er kommt nach San Rémy.
Gauguin,
saß vor ihm, so Bild im Bild, malte den Andern: Sonnenblumen malend. Licht. Und
wir sahen noch die Zug-Brücke, uralt, außer Gebrauch. Brücken malte er, ein
Hinüber, noch fassbar. Brücke von Langlois, im Bild gelb und gewaltig. Gelb wie
die Sonnenblumen, gelb wie der Stuhl, der eine Gestalt hat, die Person Stuhl in
seinem Zimmer, wo es keinen Abgrund gab, wie draußen.. Gelb die Cafeterrasse am
Abend, Place du Forum, wo wir auch aßen und
viel Rummel war am Tag. Strichmännchen vor dem unermesslichen
Nachthimmel, ganz dunkel die Häuser. Gelb auch das Innen, fahl wie Schwefel der
Unterwelt, die Hölle. Wie ein verhinderter Schlaf, übernächtig. "Ich habe
versucht, die bösen Leidenschaften der Menschen in roten und grünen Farben
auszudrücken." Übertrieben groß in der schrecklichen Leere, die Menschen
klein unter den kreisenden soghaften Wirbelgloriolen der Petroleumlampen.
Fegefeueratmosphäre von bleichem Schwefelgelb".
4o Selbstbildnisse, und eines mit
Kopfbverband, ohne Ohr. Verletzt,
verwundet, nur halbes Gehör. Wer sieht, hört nicht. Oder: die Stimmen? Meist
will er häßlich sein, Backenknochen rotblondes Haar. Kleine Augen mit blauem
flackerndem, irren Blick. Denn er hört Stimmen.
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