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Samstag, 27. November 2010

DIE PRESSE zum Pastior-Fall

20.11.2010
Wie sich Oskar Pastior auf den Teufel eingelassen hat
16.11.2010 | 18:20 | NORBERT MAYER (Die Presse)
Der rumänisch-deutsche Dichter Dieter Schlesak hat sein Securitate-Dossier gesichtet. Es belastet einen berühmten einstigen Freund schwer.
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AUS DEM ARCHIV:
Dieter Schlesak (*1934) ist ein sanfter Mann. Der Siebenbürgener, der Rumänien vor vier Jahrzehnten aus politischen Gründen verlassen hat, weiß um die Graustufen der Moral. Anfang November zeigte der Dichter im Rumänischen Kulturinstitut in Wien, wie Me-chanismen der Unterdrückung und Terror funktionieren. Er las aus seinem Auschwitz-Buch „Capesius“. Im Gespräch war stets auch die zweite Diktatur latent vorhanden, unter der Dichter wie Schlesak, Oskar Pastior (1927–2006) oder Herta Müller (*1953) leiden mussten, die sie ins Exil trieben: die kommunistische.
Nun hat Schlesak am Dienstag in der „FAZ“ eine aufsehenerregende Korrektur zu seinem einstigen Freund Pastior angebracht. Dieser Dichter, der sich 1968 über Wien in den Westen absetzte, war im September 2010 posthum als Mitarbeiter des rumänischen Ge-heimdienstes Securitate enttarnt worden. Schlesak hat den Toten im Wochenblatt „Die Zeit“ (23.9.) noch verteidigt, nicht ohne auf die Foltermethoden des Regimes einzugehen. Nur aus Schwäche oder vielleicht Feigheit sei Pastior (Deckname: „Stein Otto“) Spitzel geworden. Ihn, Schlesak, mache wütend, wie jüngere Kollegen oder gar Westdeutsche „sich anmaßen, über unser Leben von damals um 1959 bis 1964 zu urteilen!“ Dieses „späte Wiederauftauchen des Teufels Securitate kann meine freundschaftlichen Gefühle für Oskar Pastior jetzt nach seinem Tode nicht beeinträchtigen!“
Inzwischen aber hat Schlesak, der in den 1960er-Jahren als Redakteur der rumänischen Zeitschrift „Neue Literatur“ ständigen Repressionen ausgesetzt war, in Bukarest sein Se-curitate-Dossier eingesehen. Er weiß nun, dass Pastior viel stärker als bisher angenommen historische Schuld auf sich geladen hat. Schlesak will sie nun nicht verschweigen. Er schildert auch die Tragödie Georg Hoprichs. Dieser junge Dichter war ebenfalls von Pastior bespitzelt worden. Wegen eines einzigen „staatsfeindlichen“ Gedichtes kam Hoprich für Jahre ins Gefängnis. Nach seiner Entlassung nahm er sich das Leben. Zuvor aber hatte ihn Pastior in Hermannstadt mehrmals besucht, ausgehorcht und Berichte verfasst. Der verfolgte, traumatisierte Lyriker brachte sich aus Angst vor einer neuerlichen Verhaftung um.
Schlesak hat sich nie vom Geheimdienst anwerben lassen. „Da war Pastior ein anderes Kaliber, er schaffte es, mich als ,Freund‘ spielend auszuhorchen“, schreibt Schlesak, dem von seinem Spitzel „Dekadenz“ und „Umsturzgedanken“ unterstellt wurden. Er interes-sierte sich nämlich für die „westdeutsche Moderne“.
Das Interesse am Fall Pastior ist auch deshalb so groß, weil er eng mit der deutsch-rumänischen Nobelpreisträgerin Müller verbunden war. Ihr Roman „Atemschaukel“ (2009) basiert auf mündlichen Erzählungen des väterlichen Freundes Pastior über fünf Jahre Haft in einem Sowjetlager. Gemeinsam haben sie an dem Werk gearbeitet. Zum Fall befragt, zeigte Müller in der „FAZ“ (18.9.2010) Wut, Trauer, Verständnis: „Ich kann mir Pastior nicht als emsigen Denunzianten vorstellen, es war pure Qual.“ Er sei der skrupulöseste Mensch gewesen, den sie kenne. Vielleicht bedarf auch diese prominente Ansicht einer Revision. Die traurige Geschichte ist noch nicht zu Ende erzählt.

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