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Freitag, 24. September 2010

Zu Oskar Pastiors Lyrik. GedichtGedichte an den Rand geschrieben.

24.September.
Ob das ein Leben ist im Bildschirmauge/ sonst Nichts?

Doch jetzt lese ich Gedrucktes, ich kann es mit der Hand anfassen, das Papier, darüber streichen: In die Akzente (zum 70 von Oskar Pastior, als er noch lebte) schrieb ich gestern an den Rand:


OSKAR ZU, MEIN GEÖFFNETES POESIE GEDÄCHTNIS
Zwischentöne und Pastieurisierte Über-Setzungen

Tagebuchgedichte

(Klammer dazu: Schon als Oskar Pastior starb, konnte ich es nicht fassen. Der zweite Schock war dann fast ähnlich groß, also auch eine Art Tod? Als ich Unfassbares erfuhr: dass Oskar IM war und auch mich bespitzeln sollte! “Mein Freund, Der Securitatespitzel Oskar Pastior.“ (DIE ZEIT 23. .September 2010) Es geht mir näher, als ich es anfangs zugeben wollte: - Oskar ein IM der Geheimpolizei? Ich muss dies nachklingen lassen, und ich kann es nicht glauben oder gar fassen. Und ich muss mich abschreiben oder ihn? Tief hineintauchen auch in LyrInnererinnert. Es, was war, nicht wahr? Er ist ja tot. Und besucht mich nun als Geisterhafter tagnächtlich. Auch schön…!) Ja, er ist in mir, und seit Tagen denk ich nur noch in Gedichten. Ohr Würmer manchmal… Die bohren aber).

I

Pastieur/ bei Melchior im Weg/ Bähzüllus Wunhiet/ Wund glied / Pastiör/ Pass tier in die Getter Uhr/ die Schlagschlacht Terra krängende Tür/ vor Weg aufs Maul nicht mehr schaun, eher aufs Keins Mal.

24.September 2010.
In die Akzente-Nummer (zum 70 von Oskar als er noch lebte) schrieb ich zum damals gelassen wenigstens Ver Fassten gestern hinein:

AUS GANG ZERSTÖRTE NEGATION

1 These oder Tanz mit Thesi
UN-Sinn ist in seinem Verschickel zuhauf/ sogar Haufen…/ was Spass mach/ ist nur: Wenn man den Sinn kennt./ Und lacht. Bei ihm/ nur breitgestreut das Chaos und Vieles wies vom Hundeersten ins Tausendste, genau/ Un-verständnis samt/ Wörtlichnehmen/ zum Lachen, was da raus kommt?/ Manchmal. Redundanz/ Radunz, Worttanz mit Thesi aus Belleschdorf/ und Distanz als Absicht/ und das verstimmt. Sein IST ist Zeit Verlust./ Schwach auch das Spiel/ etwa: „Schässburg aber ist das Andere von Dessaus Halle“/ Des-Aus? Meint er das Abseits/ sogar im Satz?/ Oder die Regionalliga als Kannsarm./ Ich bin dafür das Eine/ zu-samm wie ein Kränzchen/Nix Tod!/ zum Fox Trott (Kain Hund!) zu führen./ Main Ein Wand: Aber das Andere ist/ nicht der Un-Sinn/ und „Mannig-Faltige/ sogar beim alten Kant/ das Höchste ist IST/ der Innere Sinn/ in uns: ebenbildlich also sei das Ich, das Du, der Funke/ der uns leben lässt, auch/ in höchster Verzweiflung. So etwas wie ER in uns. Das höchste Gut sogar/ das Gegen Teil von Oskars MannIch-Faltungs-Chaos? Ich bin, also IST er?

Das kann er/ ganz schön gewitzt/ übers Vers Ohr hauen/ auf den Schreib Arm nehmen… und weiss/ jaja immer die Null und das weisse Blatt als Brudervorsich:


2 Anti Thesi. Damen Wahl:

Auch wenn er um dies Eine ja auch kreist. „denn sinn gibt auch was sinn nimmt uns sinn gibt was auch sinn nimmt.“ Juja/ am Lebens Ende noch mal /Sinn des Gehens. / Oder seine Holopoeme. „Einen Text möglichst so zu machen, dass jeder Teil das Ganze enthält.“/ Wie die holographische Bildplatte mit einem Pferd (Pegas?)/ die dich tatsächlich gerade bei ihm/ platt macht. „Und dann nimmt man den Hammer und zerschlägt diese Platte/ und plötzlich ist das Pferd auf jedem Splitter zu sehen. Also: jeder Splitter enthält dann wieder das ganze Pferd.“ Pegas und Gott? Und: „sinnbeladen nämlich, lautend.“/ Erst wenn er liest/ ange spannt (Pegas) ent lässt/ versteht man ihn. Eine Leserin: in.

„… eine Ästhetik des „Missverständnisses“, die aufgestellt werden müsste“- weil’s das Viele ist/ welch ein Zusammenhalt? Wichtig nur: Der Text bin ich/ „

Und meines hier zu ihm/ an kommend:
Molekül
Mole kühl, so viel
Wasser bis zum Hafen.

Bist du mein Traum?
Aber der Text ist ER!


3 ZWEITES TEIL. Rockt Thesi: DES GANZEN JETZT
ANTITHESE und SYNTHESE ALSO?

Begeistert ein Nach-Lesen/ nach der Verstimmung/ OP-Stimmung Offen Halt? Halt! Schon könnte ich ein Buch „An Hand von Oskar“ schreiben:

Terzine oder Abgrund, stammt von ihm:…“meine Wechselbälger in Dreizeilerstrophen angeordnet sind – ein kleines optisches Signal dafür, worum es mir (…) wohl in allen diesen Gedichten geht: „…um mein Löcken wider die unselige Bipolarität in Sprache und Denken, und in durch Sprache und Denken doch auch geformten Umwelt … und eben die verquere Logik, die ausufernden Wortketten, und auch optisch die Dreierstrophen als eine Möglichkeit, gegen diese binäre, bipolare Art des Denkelns und Sprechens – aus der wir ja nicht herauskönnen … - anzugehen. Und auch der Spaß daran, das widersinnige Lachen … ja, der Digitaldenker, der soll ausgetrieben werden, diese Binärpulsare, Bösendorfer, Ja-Nein-Asketen usw. bis weit hinter die Pointe.“ Oder Pinte?

Oweh, und mitten im Digitalen, Janein sind wir im Pc (also doch hier/ wo wir uns gerade befinden?!) und Internet und Mailmachen gelan dent, tut weht der Zeitstohl…Dr. dent. Nah, versiuchs mal, zieh dir diesen Zahn: heute, nichts als nur noch Digitale, Bildschirmstirnen… Das wärt doch einfach Kopfab!
.
Und gegen Oskars „unselige Bipolarität“ ließe sich/ sogar zum so schön nachträglich Kommentieren finden: ganz/ mit meiner Poetik der holografischen Mikrophysik / der dreiwertigen Logik, ja/ Quantenlogik: Dann siehst du es doch endlich: Oskars Poesie und Holografie ist Widerstand und unser Gut!

So also mir gesandt, schon land.
So also bei mir gesagt, schon lang:

„Moderne Literatur ist undenkbar ohne radikales Sprachspiel, erwachsen aus radikaler Sprachskepsis; heute weiß sie mehr denn je davon, dass sich der Baum wundern würde, wüsste er, dass wir ihn "Baum" nennen; und doch glauben wir immer noch daran, wir hätten in diesen vier Buchstaben etwas WIRKLICHES, und wir bilden uns etwas darauf ein, wenn wir "Bewußtsein" oder gar "Gott" sagen. Wittgenstein empfiehlt als Alternative Schweigen, Benjamin die unsichtbare, aber spürbare "Aura" und den "Schock", Joyce die "Epiphania"; und George Steiner meint - weit zurückgreifend - all dies kulminiere in Arnold Schönbergs Oper "Moses und Aaron", dem Aufschrei des Erweckerpatriarchen Moses: "Oh Wort, du Wort, das mir fehlt." Das Fehlende also erst sage aus, was ist.

Ausgerechnet der Stotterer (der Sprachbehinderte) Moses erhielt am Sinai von dem "Einen Gott" die Tafeln, Mutationen des Namens (JHWH); ein Sinngeflecht, das wie ein "Baum" angeordnet gewesen sein soll, die sogenannte schriftliche Thora - oder die fünf Bücher Mose. SCHRIFT - aber das Sinai-Ereignis ist unbeschreiblich, wie auch die deutsche Bibelübersetzung, genau wie jede andere normale Übersetzung, nur eine Annäherung, eine sehr approximative Deutung sein kann, da die hebräischen Worte zugleich auch Zahlen sind, also Ausdruck von Proportionen, das riesige Sinngeflecht eines Gesamtzusammenhanges, das eine Struktur ausdrückt, keine willkürliche, vom Geschehen abgetrennte Wort-Semantik ist.


HIMMEL HERRGOTT. VÖGEL. Ja. FRAU SPRACHE
Wie geht das? Aber ja: Liebesakte täglich. klar und
wahr. Nicht im Lexikon nur/ sondern im Himmel: wirklich./ Aufs gemeinsame Kommen: Musik: auf Ganz klingt es nur!
Auf Gebot/ ein Zehntes? Nackte Hochzeit fiebert,
arg geht die V ins Maß der Augen/ des Voyeur. Was aber nur-sichtbar ist/ das ist es nicht.

Ist: Wahnsinniges Stimmen Gewirr aber
von Floskel und Bedeutung, löchert uns doch
die Schwester Sprach Maschine.

Frau Sprache aber zeigt ES mir/ Das Eine anders IST.
Ich fließ...


RAHMEN Weiße
Rahm der Greise
Mit Tonsur.

Russisch Puppen
Wie erinnert
Pup das Kind.

Die Zwei als Volk
Die Drei als Gott

Und unten Un-Eins das Viel
Da wimmert es.


Das Bildverbot, ja, Aussageverbot geht auf die Einsicht zurück, dass wir im Grunde nicht einmal das, was sichtbar ist, geschweige denn das Unsichtbare im sichtbaren Augen-Bild festlegen und aussagen können und dürfen. Wir machen uns ein Bild, schneiden das Abgebildete aus dem großen Zusammenhang, trennen, isolieren, verfälschen also. Ja, wir verlieren damit die Fähigkeit zum Offenen, also zu den angesprochenen Mutationen des kosmischen Zusammenhanges, mit dem wir und alles, was wir wissen, denken, benennen, auch ahnen können, zutiefst verbunden sind! Wer nämlich benennt, teilt, verlässt das Eine, geht in einer Innen-Außen-Beziehung ins Reich der Zwei über.

So beginnt auch die Bibel mit der Zwei: Bereschith bara, Im Anfang schuf: B ist die Zwei. Doch so gesehen, lässt sich Annäherung ans Eine, den "Sinn", und sei es in einem einzelnen Grashalm, nur im Sinngeflecht selbst vollziehen, an das wir über unsere Intuition "angeschlossen" sind. Aber diese "Gnade Gottes" scheint auch in unserer Sprache, wenngleich in abgeschwächter Form als SINN gespeichert zu sein. Mit dem flash des immer besseren Verstehens der Zusammenhänge, des Ein-Leuchtens sind Glücksgefühle verbunden, die sich mit dem Grad der Nähe zum Zentrum von Sinn ekstatisch verstärken. Das Sinnlose, bruchstückhaft zusammenhanglose "Unten" aber schmerzt.

Jenes Glück der Eins-Nähe empfand ich als „Anwesen“. Wir würden zwar da unten mit-fließen/ aber besser oben/ wunderbar immer im Anwesen: nicht abwesend./ Das Quälende aber hat uns/ die Störung Leben:


„Auch die Blaubeere, auch das Blut der Fische,
auch der Lehm am Fluss verwirrt die Vorschau
und löscht die Zeichen im Plan.
Ebbe und Flut, des Mondes Kommen und Gehen,
verwirrt, (…)
Das Sitzen wurde zur Weltordnung erklärt;
(“Grenzstreifen“, 1968)

Vom Ekel damals, ging auch Oskar aus.. sein, unser größtes Trauma, die Losung, nicht nur die Zellenherrin Securitate… sie war das Pendant…

OP: Eigentlich alles/ poetologische Versuche, die den Sätzen entlaufen.
Des Geistes Kind/ das Gegenstück und Innereien des Gegenfests Grammatopolis und Partein.

„Klumpatsch“ auch: Avortus-Hieb/ Abgehn vom Befehlsstand und / Lust an Befehlsverweigerung:/ Fleischeslust,. Na schau./ Worttiefe Kost und Köstlichkeiten/ im Nicht-Wissen Reichsein/ auch im Altersuntergang. Und grad im Warten auf das Ende.

„Neben der Kausalität existiert also ein viel wichtigeres, umfassenderes Weltprinzip: Gleichzeitigkeit und Sinn, auch Synchronizität und "sinnvoller Zufall" genannt. Die alten Chinesen kannten schon, ähnlich wie heute die Quantenlogik und die sogenannte Holistik, neben der Kausalität die Verbindung der Dinge durch SINN (Tao). Und je näher wir diesem Zentrum des Einen im Tao kommen, desto dichter wird das Geflecht von Einzel-Sinn auch im Ereignis. Zufall z.B. ist nur der (noch) unerkannte Zusammenhang. Laotse, der Autor des Buches vom Tao te King, nennt TAO auch das Nichts, weil es den Gegensatz zur sinnlichen Wirklichkeit ausdrückt: "Dreißig Speichen umgeben eine Nabe:/ Auf dem Nichts daran beruht des Wagens Wirkung./ Man macht Schüsseln und Töpfe zu Gefäßen: Auf dem Nichts darin beruht des Gefäßes Wirkung./ Man höhlt Türen und Fenster aus an Zimmern,/ Auf dem Nichts darin beruht des Zimmers Wirkung./ Darum: das Etwas schafft Wirklichkeit,/ Das Nichts schafft Wirkung."

„Ich glaube, diese Gebilde sind (vom Entstehen her gesehen) nichts anderes als hin und wieder zu Papier gebrachte Strecken eines Sprachflusses, eines Kontinuums, dem Organischen und Fließenden verwandt, also auch ohne feste Anfangs- und Endpunkte. Wie sollte man so etwas betiteln.“ (OP, „Jalousien. Schnitzeljagd).

Die Hopi kennen keine Substantive, nur Fließendes als Bezeichnung des Flusses Welt.

Der Sinn aber wird durch die Sinne verdunkelt, ebenso durch den zerschneidenden Begriff, weil diese nur Äußeres, nur das "Etwas", nicht aber das Nichts, die Leere wahrnehmen können, die für das Wahrnehmen der nichtkausalen Weltformel jenseits des reduktiven Ego-Verstandes viel wichtiger ist. “ (Aus: „Nachwort“ zu „Lauter letzte Tage“, unveröff..)

In „Jalousien aufgemacht“ gefundene eigene Gedichte: „An den Rand geschrieben“ -

Ich dacht´entgiftet sei ich
niemals schuldig.

RANDPHÄNOMEN AUFGEMACHT 90:
ist ein Üben mit dem Ü
als wär ich wieder Kind / mit Ben und Hadschi Prost!
eşti Oma Ben./ Das kluge Kleinhirn
von früher/ Gedächtnis. Und bald Zuhause in Alz Heim
wirst du gereimt Sein.
Damals noch gründig gründlich gründet
Gründe den Grund/ ab Buch dass Zufall
ein Kind ist.

Welches Ist
deine Farbe?/ Grün grün grün
sind alle meine Farben, und meines
ein Blatt, das durchlässt.
Die Membrane als Beweis.

Das ist der Innen Reim, den ich auf
dein Verschickel mach.

Dazu die Außen Schale.
Und wir beide/ der Tote und der Untote
Laufen/ durchs Grün davon.


AUF DEM BEIBACKZETTEL MIT FOTO:

WENN ICH ZU ENDE GEHE, fort
Aus der Autobahn
Gefahren ist gut
das Wort staunt/ stapft sich aus
aber der Rand/ der Unfall brachte
mich hinaus, das die Entfernung wachse
aus der ich stamme, mein Aus.

Hier aber bin ich alt./ die Landschaft
bleibt Aliagno, meine Fremde/ zu Haus
Und ich der ist, der
sitzt und redet, fährt, im Augen Schein
erwachsen?
Nein! Ich bin doch gar nicht, wenn ich
fahre, wer fährt, der ist gefährlicher
zu Haus.

(Heute: Bewusster Augenblick/ als ich die Treppe hinab/ ging wie jetzt im Leben:/ dachte: halt den Augenblick/ an. Wenn er jetzt kommt/ ein Kreisel ist die Wiederkehr/ hab ich’s getan/ Umkehr jener Treppenstufen; hinauf? Oder: wir leben so dahin, stündlich, täglich…/ als hätten wir ewig Zeit… Und jetzt als Überlebender weiter/ dieses so, als Oskar noch nicht tot war:
Sein Vater war mein Zeichen Lehrer/ im Zeichen-Saal. Beachte das Doppel: )

FRAU UND MANN DIE HALMENFRESSER, DIE HALMEN MESSER

Die Mitte, wo sie wächst, das harte Gras,
ich kam, ich bin ihm zu getan, tut weh
und glitscht wie Meeres Grund, ein Drehen -
es saugt, wir sind bewegt, dem andern zu.
Und Wahnsinn ohne Maß, der Hals , der Kuss
an jedem Ende ist das Gras, du hörst, es wächst
im Mund, hörst du, es ist verkehrt,
ein Plus, ein Und ist es/ das Kreuz.


Und er, S, 43 Petrarca, „… wahrscheinlich aus einem beliebigen Film, Bukarester Jahre): der Junge, das Mädchen haben einen Grashalm im Mund (waagerecht), an dem sie kauen, wetteifernd, wer zuerst schneller beim anderen, also in der Mitte (beim Kuss) angelangt ist. Von beiden Seiten her auf eine Mitte zu. Und nun Kafkas entgegen gesetzte Aussage: von der Mitte aus (auf der Vertikalen, die Schwenkung um 90 Grad!) nach beiden Seiten: das ist doch herrlich! Was entsteht, ist nämlich ein Zeichen +.“ Also bleibt uns ein Und/ und ein KREUZ.

Halm, der Kuss, das Weh
Im Gras
verkehrt

Doch wie schön ist die Ruhe! Jetzt. Im Tod ist man/ in der Mitte angekommen:

Ich dacht´ entgiftet zai ich
niemals schuldig
da war dies Weibstück das mich ungeduldig
ans Stoff-Seil hing und
auf, indem ich bin der, der ich bin.
Viel mehr noch:
innerstes Fließen/ und hab
das immer im Sinn.

dieter schlesak an Pastior Gedichte

dieter schlesak
Und ich denke seit Tagen nur in Gedichten- fliegen, fließen mir zu.

Ja, die Ungeduld, die alte Angst mit der Zeitknappheit/ sie ist die Todesplanke/ Zeitplanke ...

Beim Duchblättern und Lesen von Oskars Büchern oder der AKZENTE zu seinem Siebzigsten, fand ich viele ihm gewidmeten oder von ihm inspirierten Gedichte an den Rand geschrieben.

23. September
Nach dem ZEITartikel heute über Oskar nahm ich seine Texte vor. Akzente vor allem. Und schrieb am Meer. Und im Auto.


Pastieurisierte Über-Setzungen
Ins Wo Hin gerichtet

Pastieur/ bei Melchior im Weg/ Bähzüllus Wunhiet/ Wund gied / Pastiör/ Pass tir in die Getter Uhr/ die Schlagschlacht Terre krängende Tür/ vor ella Weg im Maul schaun. Weg Putz auch die An stehn-dige Gedanken Heiser.
Geht’s hecher uch / auf Schlüsseln „Dracaading“ noch besser für Elena die Dr.acad.Ing.

24.September.
Mein Facebook eingerichtet. Gestern die Homepage, Webseiten. Alle Zeit genommen. Ob das ein Leben ist im Bildschirmauge/ sonst Nichts?

In die Akzente, zum 70 von Oskar, schrieb ich gestern hinein:

AUS GANG NEGATION

UN-Sinn ist da zuhauf/ was Spass mach/ ist nur: Wenn man den Sinn kennt./ Und lacht. Bei Pastior/ breitgestreut das Chaos und Viele/ Un-verständnis samt/ Wörtlichnehmen/ zum Lachen, was da raus kommt?/ Manchmal. Redundanz/ Worttanz/ und Distanz als Absicht/ und das verstimmt. Sein IST ist Zeit Verlust./ Schwach auch das Spiel/ etwa: „Schässburg aber ist das Andere von Dessaus Halle“/ Des Aus? Meint er das Abseits/ sogar im Satz?/ Ich bin dafür das Eine/ zusammen zu führen./ Aber das Andere ist/ nicht der Un-Sinn/ und „Mannig- Faltige/ sogar beim alten Kant/ das Höchste der Innere Sinn/ in uns: ebenbildlich also sei das Ich das Du, der Funke/ der uns leben lässt auch/ in höchster Verzweiflung. So etwas wie ER in uns. Das höchste Gut sogar/ das Gegen Teil von Oskar Gedicht?

Das kann er/ ganz schön gewitzt/ übers Ohr hauen/ auf den Arm nehmen… und weiss/ jaja immer die Null und das weisse Blatt:

Auch wenn er um dies Eine ja auch kreist. „denn sinn gibt auch was sinn nimmt uns sinn gibt was auch sinn nimmt.“ Jaja/ am Lebens Ende noch mal /Sinn des Gehens. / Oder seine Holopoeme. „ Einen Text möglichst so zu machen, dass jeder Teil das Ganze enthält.“/ Wie die holographische Bildplatte/ die dich tatsächlich gerade bei ihm/ platt macht. „Und dan nimmt man den Hammer und zerschlägt diese Platte und plötzlich ist das Pferd auf jedem Splitter zu sehen. Also: jeder Splitter enthält dann wieder das ganze Pferd.“ Und: „sinnbeladen nämlich, lautend.“

Wird fort gesetzt

Oskar Pastior Securitatespitzel? von Dieter Schlesak DIE ZEIT 23. September 2010

Der Lyriker Oskar Pastior (geboren 1927 in Hermannstadt/Siebenbürgen) wurde 1945 als Angehöriger der deutschsprachigen Minderheit in Rumänien in eine sowjetisches Arbeitslager deportiert. Nach seiner Freilassung arbeitete Pastior als Redakteur beim Rumänischen Staatsrundfunk, 1968 ging er in den Westen, wo er 2006 starb, posthum erhielt er den Georg-Büchner-Preis. Seine mündlichen Erzählungen über seine Gulagzeit inspiriertren die Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller zu ihrem Gulag-Roman »Atemschaukel«. Nun hat der Münchner Germanist Stefan Sienerth einen Bericht vorgelegt, der beweist, dass Oskar Pastior in den Jahren 1961 bis 1968 informeller Mitarbeiter der Securitate war. Sein Kollege und Weggefährte aus dieser Zeit, der Schriftsteller und Dichter Dieter Schlesak (geboren 1934), erinnert sich an jene Jahre in Bukarest. DZ

Ich könnte alles wie einen Albtraum abschieben. Doch die 40 Seiten von Sienerths Akten-Untersuchung zum Fall Oskar Pastior, sprechen eine zu glaubwürdige Sprache. Ich muss schreiben – auch um Oskar zu verteidigen. Ich bin der letzte Augenzeuge jener Bukarester Zeit (1961-1968), als Herta Müller und Ernest Wichner noch Kinder waren. Ich kam im August 1959 zur Zeitschrift »Neue Literatur«, Oskar 1961 zum Rundfunk. Seit Sommer 1961 verfolgte uns beide die Securitate. Ich lese jetzt die nachgelassenen Notizzettel von Oskar: Die erste Verhaftung verlief fast zeitgleich mit meiner eigenen und nach dem gleichen Schema.
Wie bei Oskar hatte die Securitate auch bei mir ein jahrelanges Erpressungsmittel. Bei ihm waren es ein paar antisowjetische Gedichte, bei mir ein regimefeindliches Manuskript eines Freundes, das ich in unserer Zeitschrift abdrucken wollte. Es folgten jahrelange Erpressungen, immer wieder mit der Gefängnis-Drohung!
Pastiors Verhaftung und sein Verhör fanden am 8.Juni 1961 statt. Das Verhörsprotokoll zeigt Oskar als zitternden Nicht-Helden, ja Feigling. Er spricht schlecht über den Kollegen Birkner und den Hermannstädter Literaturkreis, der 1959 zur Verhaftung von fünf Schriftstellern beigetragen hatte. Er sagte, er habe um das Jahr 1954 unter dem Einfluss dieses Kreises und weil es ihm an »klarer ideologischer Orientierung« gemangelt habe,« einige Gedichte mit feindlichem Charakter gegen die Sowjetunion geschrieben.
Unsere Biografien sind seit jenen Securitate-Erlebnissen krank. Oskar kann sich nicht mehr wehren.Er lebt nicht mehr, doch ich finde keine Ruhe, als müsste ich auch für ihn sprechen. Und ich muss vorweg sagen, dass ich Ossi, wie wir ihn nannten, voll und ganz verstehe, auch dass er schwach wurde und nachgab, sich schuldig gemacht hat!
Die Drohungen waren so massiv, ja lebensbedrohend, die Umgebung und Atmosphäre, die heute genau wie die Lagerstimmungen verschüttet und verdrängt sind, können Westmenschen kaum noch nachvollziehen. Es waren Ausnahme-Zustände, die auch für uns heute nur noch schwer zu rekonstruieren und zu erinnern sind: tägliche furchtbare Angstzustände, Schlaflosigkeiten, Hochzucken bei Telefonanrufen, Warten auf den »Führungsoffizier«, sich Umblicken im Lokal nach »Beobachtern«.
Es gibt die »Verpflichtungserklärung« Oskar Pastiors vom 8. Juni 1961 ( Securitate-Akte R 249.556), das Protokoll zeigt, wie es zur Unterschrift und Mitarbeit Oskars kam. Das Erpressungsmittel, die antisowjetischen Gedichte, und dass diese zirkuliert hatten, daraus vorgelesen wurde, die drohende Verhaftung, die Atmosphäre der Angst beim Verhör, machte ihn fertig. Er sagte im Verhör sogar, er habe ein Vergehen begangen, und er könne verurteilt werden. Und er bat, »die Staatsorgane mögen ihm die Chance geben zu beweisen, dass er ein ehrlicher und loyaler Anhänger der RVR« sei. Sie gaben ihm die Chance: Im Bericht darüber heißt es, er werde, um sich zu rehabilitieren, durch »konkrete Taten seine Loyalität gegenüber dem volksdemokratischen Regime der Rumänischen Volksrepublik beweisen und alles tun, die Feinde des Regimes zu enttarnen«. Er werde »ehrliche und objektive Informationen« liefern und dabei nichts verheimlichen. Die Informationen werde er seinem Führungsoffizier schriftlich übermitteln und mit dem Pseudonym »Stein Otto« unterzeichnen.
Dies alles nachdem fünf deutsche Schriftsteller 1959 zu insgesamt 95 Jahren Haft verurteilt worden waren, Grete Löw, die Pastiors antisowjetischen Gedichte für ihn aufbewahrt hatte, zu 7 Jahren. Oskar hatte in permanenter Angst gelebt, abgeholt zu werden., nun war es geschehen. In einem seiner Gedichte aus dieser Zeit kommt die tägliche Angst zum Ausdruck: »Da ist doch das Dach der Chinesischen Gesandtschaft, ach«. Das Gedicht endet mit den Zeilen: »Der Wind fährt manchmal mit den Drachen oben vorüber, / Dann heult das Radio, / Dann geht der Mensch vorüber, / Dann kommt das Auto an. // Sage mir was du fühlst. / Schreibe was du fühlst.« Bestürzend ist, dass er den Auftrag hatte, mich und Paul Schuster „zu observieren“. Berichte sind bisher nicht aufgetaucht.
Doch er lud mich damals ohne ersichtlichen Grund einige Male zum Abendessen zu sich ein. Einmal bat er mich in einer »sehr wichtigen Sache« (es mag 1961 oder 1962 gewesen sein) in ein Café; ich sehe alles noch genau vor mir im langgestreckten Raum des Cafés auf der Calea Victoriei. Von seinen Gedichten war dort wenig die Rede, eher von seiner Bewunderung für meine Poetik. Das »Versteckspiel in der Metapher«, um gefährliche Inhalte an den Leser zu bringen, ohne von der Zensur ertappt zu werden! Er wollte mehr davon hören. Dass er mir auch etwas »Wichtiges« sagen wollte, stand ebenfalls im Raum, es kam aber nicht dazu. Wollte er sich offenbaren oder halb offenbaren, mich warnen?
Später im Westen hat mich Oskar nie in seiner Wohnung empfangen. Wenn ich in Berlin war, habe ich ihn immer angerufen, aber er ist mir ausgewichen, wie überhaupt allen aus unserer älteren, also seiner Generation. Nur zu den Jüngeren hat freundschaftlichen Kontakt gefunden. Hatte er Angst, dass wir Älteren etwas wüssten und »aufdecken« könnten?
Es läuft mir kalt über den Rücken, wenn ich bei meinen ausführlichen Recherchen über jene Zeit nun weiß, wie furchtbar das Schicksal jener war, die in diese konkrete Straf- und Folter- Mühle gerieten. Hier nur ein kurzes Zitat: »Der zu Verhörende wurde mit dem Kopf nach unten aufgehängt… Mit einer Sonderzange wurden ihm die Fingernägel ausgerissen … Seine Fußsohlen wurden mit einer Stichflamme gebrannt … die Hoden wurden mit einem dicken Bleistift oder einer dünnen Weidenrute so lange geschlagen, bis das Opfer unter fürchterlichen Schreien in Ohnmacht fiel, und in vielen Fällen verstarb.« (Methode des Securitate-Folterers Franţ Ţandără. Sein Bekenntnis erschien am 21. März 2010 in der Zeitschrift »Singur« in Bukarest. Die Quellen sind inzwischen weitgehend zugänglich, vor allem durch den offiziellen »Raport Final«, eine Art Schwarzbuch des rumänischen GULAG, erschienen in Bukarest 2007 im Humanitas Verlag.)
Der Erinnerungsschock bleibt, die Verstörung, die »Belastung«, die kranke Psyche. Ich werde wütend, wenn ich sehe, wie Leute, die keine Ahnung haben, wie die jüngeren Kollegen oder gar Westdeutsche, sich anmaßen, über unser Leben von damals um 1959-1964 zu urteilen! Sich gar zu Richtern aufspielen. Ich hätte die heutigen Moralisten und die Autoren als Gewissen der Nation, gerne in unserer Lage gesehen, wie sie damals gehandelt hätten. Wobei gesagt werden muss, dass weder Oskar noch ich zu den wirklichen Opfern gehört haben, denn wir kamen nicht in die Securitate-Keller oder in die Sümpfe des Donaudeltas. Aber wir wussten, dass wir dorthin kommen konnten! Es war wahnsinnig schwierig, angesichts dieser furchtbaren täglichen Angst, angesichts der das Gewissen zermürbenden, jahrelangen oft täglichen Verfolgung durch Securitateoffiziere, mutig zu sein, standzuhalten, jahrelang.
Es geht um den rumänischen GULAG, um inneren Widerstand in einer Lager- und Folterzeit und nicht um Luxusdissidenten der Tauwetterzeit Ceauşescu, des grotesken kommunistischen Königs mit Zepter und Thron, der fast alle politischen Gefangenen entlassen hatte und unter dessen Herrschaft es diese fürchterlichen Lebens- und Existenzbedrohungen, von denen die jüngeren »Dissidenten« bis hin zur Nobelpreisträgerin dauernd sprechen und damit jene Epoche hochspielen, nicht mehr gab. Der eigentliche lebensbedrohende Terror war nicht die bunte, im Westen bekannt gewordene rote Königszeit von Ceauşescu. Es war nicht jene relativ freie Zeit von 1964 bis 1971, in der wir unsere Texte fast ohne Zensur veröffentlichen konnten, es war nicht einmal die neue Eiszeit der achtziger Jahre, die von jüngeren Dissidenten für die Terrorzeit gehalten wird. Nein, die wahre Terrorzeit war die Stalinzeit, wo Dissidenten undenkbar und unmöglich waren, sofort verhaftet wurden und oft für immer verschwanden. Sie sollte endlich neben der blutigen Nazizeit als großes Menschheitsverbrechen in die Erinnerungskultur und die Geschichtsbücher eingehen.
Es bleibt ein Rest von Schwäche, sich, auch im eigenen Interesse, mit der Securitate auf Verhandlungen eingelassen, zu haben. Doch eines weiß ich ganz sicher: Dieses späte Wiederauftauchen des Teufels Securitate kann meine freundschaftlichen Gefühle für Oskar Pastior jetzt nach seinem Tode nicht beeinträchtigen!

Mittwoch, 22. September 2010

Zu meinem Text: Soll mein Buch "Capesius der Auschwitzapotheker" verboten werden? Hier veröffentlicht am 16. September. Kommentar und Leserbrief von Frau Elisabeth Krause, Berlin

Sehr geehrte Frau Rus-Capesius,
als ich Ihren Leserbrief vom 9. Juli diesen Jahres gelesen habe, war ich erst einmal entsetzt über Ihre Ignoranz gegenüber dem darin geschilderten Thema und dann über Ihre, man kann schon sagen: Verleumdung des Autors Dieter Schlesak, der einst ein Bürger Ihrer Stadt war und es jetzt gefühlsmäßig immer noch ist, und das wissen Sie.

Das Werk des Schriftstellers Dieter Schlesak nährt sich zum größten Teil aus seiner Herkunft aus dieser Stadt und der Volksgruppe, der auch Sie anghören, der Siebenbürgischen Sachsen, aber nicht in nostalgischer, sentimentaler und schönfärberischer Weise, sondern er forscht den Ursachen für den Verlust der Heimat, der ihn auch nach so langer Zeit unendliche Heimwehschmerzen verursacht, und der auch Sie ja, obwohl Sie noch in Schäßburg wohnen, betrifft, nach.

Das erfährt man aber nur, wenn man seine Bücher liest, besonders die beiden: "Capesius, der Auschwitzapotheker", das Sie bis dato nicht einmal gelesen hatten und "Transsylwahnien", die sich mit den Ursachen dieses Heimatverlustes aus ganz naher, familiärer Betroffenheit auseinander setzen.

Sie sollten stolz auf diesen "Mitbürger" sein, der stellvertretend mit den Gaben eines Autors, dessen berufliche Pflicht es ist, auch schmerzlicher und schmerzhafter Wahrheiten auf den Grund zu gehen, in diesem Fall auch so dringend nötige Trauerarbeit leistet.

Wir, und ich schließe mich dabei mit ein, die direkten und indirekten Nachkommen der Täter des schrecklichen Naziregimes, können einen Beitrag zum Heilwerden der Welt erbringen, nicht, weil wir SCHULDIG sind, sondern, weil wir es sind, die WARNEN müssen, damit sich ähnliches nicht wiederholt, indem wir als erstes der Wahrheit ins Gesicht sehen und nicht, indem wir sie verleugnen.

Am 21. August diesen Jahres fand in Weimar eine Veranstaltung zu diesem Thema statt unter dem Titel: "Heile das Zerbrochene". Dort habe ich die Großnichte von H. Göhring, Bettina Göhring und die Enkelin Bogers, der zu den als am brutalsten und grausamsten SS-Angehörigen in Auschwitz zählt, Ursula Boger, persönlich kennengelernt. Beide haben unter größten Schmerzen mit dem monströsen Erbe ihrer Vorfahren jahrelange Seelenarbeit geleistet, um überhaupt lebensfähig zu sein.
In dieser Veranstaltung ging es um Versöhnung. Die Jüdin Eva Kor, die als Zwilling mit ihrer Schwester den schrecklichen Menschenversuchen von Mengele und den anderen Ärzten dort ausgesetzt war, ist in der ganzen Welt unterwegs, um Versöhnungsarbeit zu leisten. Sie hat Mengele und all den anderen vergeben. Das muß man sich mal vorstellen! Ihr Motto heißt: Versöhnung ist der Same des Friedens, Haß und Rache der Same des Krieges! Da kommt der Frieden her und nicht durch Verleugnung oder Verharmlosung durch die Täter-Nachkommen!

Ich weiß nicht, ob das mit der Versöhnung so geht, und das ist ja auch nicht unsere Aufgabe als Täter-Nachkommen. Ich glaube, wir müssen alles versuchen, um Klarheit zu erreichen und der Wahrheit ins Gesicht schauen. Dann bleibt uns nichts anderes mehr als Trauer Trauer Trauer….die löst.

Dennoch hat mich diese Veranstaltung dazu veranlaßt, ein Vorhaben, das schon lang in mir gärte, endlich auszuführen, nämlich: der Tätigkeit meiner Tante, der Schwester meiner Mutter, beim "Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg " in der Ukraine, nachzuforschen. Nicht, um jemanden bloß zu stellen und mit Finger auf jemanden anders zu zeigen, sondern endlich dieses Tabu zu brechen, das es unmöglich machte, jemals in der Familie darüber zu sprechen.
Verdrängung und Verleugnung machen auf Dauer krank, auch körperlich, wie meinen armen Cousin, den Sohn dieser Tante, der mit 60 einen schrecklichen Schlaganfall hatte und seit 15 Jahren nicht mehr gehn und sprechen kann.

In Dieter Schlesaks Internet-blog kann man auch lesen, dass Sie seine Ehrenbürgerschaft, die vom Bürgermeister und vielen angesehenen rumänischen Bürgern und dem dt. Pfarrer und einigen anderen siebenb. Bürgern vorgeschlagen wurde, verhindern möchten.

Es wäre gut, wenn Sie Ihre Haltung zum Thema und vor allem zu Dieter Schlesak noch einmal überdächten und die Verleihung der ihm durch sein Engagement für seine Heimat-Stadt (ADS,nur ein Beispiel) so sehr gebührende Ehrenbürgerwürde unterstützten.

Mit vorzüglicher Hochachtung,

Elisabeth Krause

Am Sandhaus 10
13125 Berlin

Mail: elisande@t-online.de





Erwiderung auf einen Leserbrief in der „Hermannstaedter Zeitung vom 9. Juli 2010 mit der Überschrift:“Alte Wunden aufgerissen“

Montag, 20. September 2010

MEIN FREUND, DER SECURTATESPITZEL OSKAR PASTIOR

Schon als Oskar starb, war ich fassungslos, konnte es nicht glauben.
Und jetzt diese andere gnadenlose Nachricht.

Es geht mir näher, als ich es anfangs zugeben wollte: Oskar war ein IM der Geheimpolizei. Ich muss dies nachklingen lassen, und ich kann es nicht glauben. Und doch ist es aktenkundig. Und: Die Akten sagen, ich sei einer seiner Bespitzelten gewesen. Über mich sollte „Ossi“ wie wir ihn nannten, 1961 und später Berichte für die Securitate schreiben!? Ja. Es gab Offiziersvermerke in seiner Akte, die belegen, dass ihm speziell die Beobachtung von Schriftstellerkollegen wie Paul Schuster und Dieter Schlesak abverlangt wurde. Soll ich mich damit trösten, dass bisher von ihm keine Berichte über uns gefunden worden sind?.
Nachdem ich die 40 Seiten von Sienerths Akten-Untersuchung zum Fall Oskar Pastior, gelesen hatte, lese ich nun in der FAZ vom 18.September 2010 Müllers Interview „Die Akte zeigt Oskar Pastior umzingelt“, Wichners Aufsatz und eine mit S.K. gezeichnete Notiz, worin es heißt: “ Was aber immer gleich bleibt, das ist das Leid der Bespitzelten… Sie müssen nun erfahren, dass sie von ihren engsten Freunden, von Familienmitgliedern, von Kollegen und Geliebten verraten worden sind. Die Reaktionen – Wut, Trauer, Entsetzen, Ratlosigkeit- münde nicht selten in die Frage aller Fragen: Warum habe ich nichts davon gemerkt, und warum hat er nie darüber gesprochen?“ Dieses ist genau mein Fall. Und meine Angst vor weiteren Enthüllungen – auch in der Familie, wächst. Und da DIE Akten klar belegen, dass unser Freund Oskar den Auftrag hatte, Paul Schuster und mich zu „observieren“, konnte ich nicht anders: ich musste versuchen, zu erinnern, Erinnerungsnotizen zu schreiben, um mich zu befreien. Und das nach einer schlaflosen Nacht und nach all dem Wirbel in der deutschen Presse. Ich musste schreiben, es war meine einzige Waffe. Ich musste schreiben - auch um ihn zu verteidigen. Schuster ist tot. Pastior ist tot. Ich bin der letzte Augenzeuge jener Bukarester Zeit (1961-1968), als Müller und Wichner noch Kinder waren, den Securitate-Pastior gar nicht kannten. Nur den späteren hochgeschätzten Freund und Büchnerpreisträger.
Ich schreibe an einem Buch über die Securitate, weil ich jene andere, die schreckliche Gulagzeit, und unsere, Oskars und meine Securitate-Fälle ERLEBT habe, die Verletzungen wie eine Krankheit in mir trage. Ihre Ceauṣescu-Zeit war dagegen im Vergleich eine sanfte Tauwetterzeit.
Alles begann schon in Bukarest, ich studierte seit 1954, Oskar seit 1955 Germanistik. Wir freundeten uns an. Uns wurde Widerstandsdenken angelastet, und dies von unserem Uni-Dozenten Heinz Stănescu (IM Silvio), der uns anschwärzte, wir betrieben im Untergrund einen „subversiven Literaturkreis“. Sienerths Aktenstudium ergab:“ Außer mit Jutta Birkner sei Pastior auch mit Dieter Schlesak (geb. 1934) und Dieter Fuhrmann (1935–2009), den späteren Schriftstellern, gut befreundet, mit denen ihn die Liebe zur Literatur verbinde. Und das ging so weiter:“ Dies 1957. „Mit kaum minderer Intensität wurde Pastior auch im Laufe des Jahres 1958 ins Visier des rumänischen Geheimdienstes genommen. „Tatiana“, offensichtlich eine Kommilitonin Pastiors, erhielt am 26. Februar 1958 den Auftrag, herauszubekommen, in welchem Beziehungsverhältnis Pastior, Schlesak und Fuhrmann zueinander stünden, wohl auch weil die „Securitate“ wissen wollte, ob sie möglicherweise irgendwelche staatsfeindlichen Aktionen planten und wer in der Gruppe das Sagen habe.“ Meine Akte werde ich erst im November einsehen. Was da noch zum Vorschein kommen wird, weiß ich noch nicht!
In jenen Jahren 1956/ 1957 gab es den Ungarnaufstand, der Wellen bis zu uns Studenten schlug. Damals verschwanden eine ganze Reihe unserer Kommilitonen, da wir mehrere Demonstrationen geplant hatten. Auch Paul Goma wurde damals verhaftet, weil er ein „staatsfeindliches“ Fragment aus seiner Prosa vorgelesen hatte.
Wir von der Germanistik entgingen der Verhaftungswelle und den Exmatrikulationen wie durch ein Wunder.
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Und das ging weiter so. Ich kam im August 1959 zur Zeitschrift „Neue Literatur“, Oskar 1961 zum Rundfunk. Seit Sommer 1961 verfolgte uns beide die Securitate. Ich lese jetzt die nachgelassenen Notizzettel von Oskar: Die erste Verhaftung verlief fast zeitgleich nach dem gleichen Schema. Pastior: „Ich wurde in Bukarest aus dem Rundfunkgebäude nach den Bürostunden zum ersten Verhör verschleppt …. (im Auto, unter dem Vorwand, eine ‚Künstler-Agentur‘ wolle mir was unterbreiten); echtes Kidnapping; – ob ich ein Protokoll oder eine Erklärung ‚Staatsfeindliches aus meinem Tätigkeitsbereich zu melden‘, unterschrieben habe; – wann und wie oft man mich nachher zu Verhör und Berichterstattung zitiert hat; – wer und was dabei zur Sprache kam; – dass ich nie Geld oder andere Zuwendungen erhalten habe . . .“

Ich wurde ebenfalls zur Künstleragentur „OSTA“ bestellt, um sie zu beraten. Am Eingang aber empfing mich ein Offizier in Zivil, der mich zu einem Auto führte, um mich „zum Direktor“ zu bringen, wie er hämisch sagte. Im Auto fragte er:“ Weisst du, wo du bist?“ Nein. „Bei der Securitate“. Ein Schock, der alles in meinem Leben veränderte. Und in meinem Buch „Die Rote Hölle. Beispiel Securitate“ an dem ich jetzt schreibe, ebenso im Roman „Vaterlandstage und die Kunst des Verschwindens“ (Benziger 1986) gibt es diese Szene: „Das Auto mit den zugezogenen Vorhängen; ich höre meinen Atem, ich spüre meine Hände, das glatte Vinillin wie ein Tier an den Händen, wenn ich mich am Sitz festhalte. Es riecht nach Schweiß. Ich schwitze, wenn ich Angst habe. Ich bin wie gelähmt. Ich werde ihnen sagen, ich bin doch Marxist! Und sie werden laut lachen, roh grölen. Witze reißen. Alles hat sich verändert. Das Straßenbild ist nicht zu sehen, die Geräusche sind nicht mehr vernehmbar oder so gedehnt, so zugespitzt, ein Autohupen zum Beispiel, als wäre jeder einzelne Laut abgetrennt, aus der Welt herausgeschnitten, so, als gehörte ich nicht mehr dazu. Es ist ein schöner, warmer Septembernachmittag, beharrlich Schweigende sitzen neben dir. Du bist wahnsinnig nervös. Prüfungssekunden zu Stunden gedehnt, bis du ganz erschöpft bist. Du bist eine schwache Natur. Du bist kein Held. Ein komplizenhaftes Verhältnis mit den Leuten in Zivil, die aber eine unheimliche Uniform ist, zwischen Verhaftetem und Geheimdienstleuten stellt sich etwas teuflisch- koboldhaft Vertrautes her. Ekel. Doch als wäre das Erbrochene neu geschluckt. Du machst mit. Fast untertänig. Lieferst dich ihnen aus, akzeptierst den Zustand ohne Protest, keiner hat einen Haftbefehl vorgezeigt, und du denkst nicht einmal daran, ihn zu verlangen. Rechte? Ha. Du hoffst, es sei nur ein "Versehen", sagst es, beteuerst deine Unschuld. Hast alle Zustände. Der Eingang, in den der Wagen jetzt einfährt, scheint so eng zu sein, dass du nicht durchkommst, doch du kommst natürlich durch, nur früher, war es undenkbar, dass du allein da hineinkommen kannst. Und gingst lieber auf die andere Seite der Straße. Der Vorhang hat sich verschoben, du siehst einen Lieferwagen, ein Brautpaar vor einer Kirche mit großen gelbroten Sträußen, zwei Männer streiten, doch alles summend und wie ein Traum, du gehörst nicht mehr dazu. Das Eisentor schließt sich. Du wirst eine Treppe hinaufgeführt, doch es ist keine Treppe, es ist eine Nerventreppe, es ist jetzt nichts mehr voraussehbar, es können die schlimmsten, dir die unvorstellbarsten Dinge zustoßen. Jede gewohnte Geste, etwa wenn du eine Verabredung hast, eine Freundin triffst, alles ist vorausschaubar, hier nicht. Genau jene Sicherheit, jene Überzeugung, die du meintest von ihnen zu erhalten, haben gerade sie jetzt zerschlagen. Von jetzt an nur noch Zweifel. Der Boden wankt.“
Wie bei Oskar hatten sie auch bei mir ein jahrelanges Erpressungsmittel, regimefeindliche Manuskripte eines Freundes, aus denen ich ein Fragment in unserer Zeitschrift zugesagt hatte. Das wussten sie:
„Immer wieder kommen diese Szenen mit Mircea hoch... mit den Manuskripten ... seinen Satiren. Eine Woche nach Mirceas Verhaftung holten SIE auch mich. Das Verhör am Anfang, das Verhör. Du zitterst. Du schreist. „Ich weiß nichts“, schreist du. „Du weißt“, brüllen sie dich an. „Wir wissen es, dass du es weisst, red, du verdammtes Schwein! Wo ist dieses dreckige Buch, wo ist das Manuskript von Mircea Palaghiu? Er hat alles gestanden, er hat alles gesagt, wir wissen alles, hier...“ Und der Knollengesichtige zieht eine Schublade auf, „hier, siehst du dieses Protokoll, da steht alles schwarz auf weiß: steht; bestätige es und du bist frei. Frei! Wo hast du es versteckt, das Drecksmanuskript. Dein Freund ist längst dort, wohin er hingehört: du weißt, die Hölle, der Kanal, du, sein Komplize, du weißt. Die Hölle der Kanal. Du, sein Komplize, Staatsverrat, rede oder du darfst ihm Gesellschaft leisten.“

Es folgten jahrelange Erpressungen, immer wieder mit der Gefängnis-Drohung! Ich hatte nichts zu gestehen, aber mein Versprechen „sowas“ zu veröffentlichen, konnte zur Verurteilung führen. Pastiors Fall war viel komplizierter.

Sienerth hat Verhaftung und Verhör Pastiors am 8.Juni 61 rekonstruiert, dem auf dem Fuß die „Verpflichtungserklärung“ folgte: „Aus Angst, unter Druck gesetzt oder aus vorauseilendem Gehorsam fügte Pastior, nach der Stimmung in diesem Kreise (Hermannstädter Literaturkreis um Birkner, der auch zur Verhaftung der fünf Schriftsteller beigetragen hatte, die seit 1959 in Haft waren!) befragt, hinzu, er habe während dieser Leseabende die „Parteilichkeit“ vermisst, auch sei ihm aufgefallen, dass in einer Novelle von Birkner, in der die Rede von einem Zigeuner oder Rumänen gewesen sei, sich sogar „nationalistische Tendenzen“ bemerkbar gemacht hätten. …) Um das Jahr 1954 habe er unter dem Einfluss dieses Kreises und weil es ihm an „klarer ideologischer Orientierung“ gemangelt habe, einige Gedichte mit feindlichem Charakter gegen die Sowjetunion geschrieben, in denen er seine Erlebnisse während seiner „Aufbauarbeit“ festgehalten habe. Es handle sich um die Gedichte: Appell, darin habe er der Darstellung des allabendlich stattfindenden Antretens zum Befehlsempfang während der Winterzeit eine pessimistische Note verliehen und so die Möglichkeit zu feindlicher Interpretation gegen die „sowjetischen Organe“ eröffnet.(…) Diese Gedichte habe er Grete Löw, Trude Cluj (Klusch) und deren Bruder Richard Cluj (Klusch) vorgelesen. Von der Existenz der Gedichte wüssten auch seine Mutter, sein Schwiegervater Bernhard Capesius und seine Frau Roswith.“


Aber unsere Biografien sind seit damals krank. Wie können wir uns helfen, wie können wir die tiefsten Traumata therapieren? Denn die Securitate ist ja nicht einfach nur unser Eckermann! Sie ist die Ursache einer jahrzehntelangen Krankheit und Verstörung! Oskar kann sich nicht mehr wehren, doch wie Dinescu richtig bemerkte, er muss nun diese unappetitliche Affaire und die Konsequenzen seiner „Jugendsünde“ so spät nicht mehr mitmachen, was ihn, den sensiblen gewissenhaften, zarten Menschen und Dichter weiter zerstört hätte, wenn er jetzt das, was vor über einem halben Jahrhundert geschehen ist, hätte ausbaden müssen, ohne je „reingewaschen“ werden zu können.
Er lebt nicht mehr, doch ich finde keine Ruhe, als müsste ich auch für ihn sprechen. Ich fühle mich verpflichtet, mein Gedächtnis anzustrengen, um jene mörderische Gulagzeit, die kaum noch jemand kennt, mit allem was verschüttet war zurückzuholen, wieder zu erinnern, zumindest „unseren“ Fall.
Ich bin heute der letzte Augenzeuge jener Bukarester Zeit, als alle, auch Müller oder Wichner, Sienerth und Dinescu noch Kinder waren. Und ich muss vorweg sagen, dass ich Ossi, wie wir ihn nannten, voll und ganz verstehe, auch dass er schwach wurde und nachgab, auch wenn er sich dadurch schuldig gemacht hat! Die Drohungen waren so massiv, ja lebensbedrohend, die Umgebung und Atmosphäre, die heute , genau etwa wie die Lagerstimmungen verschüttet, verdrängt sind, kaum nachvollziehbar von Westmenschen nie, auch von uns nur schwer rekonstruierbare und erinnerbare Ausnahme-„Zustände“ : tägliche furchtbare Angstzustände, Schlaflosigkeiten, Hochzucken bei Telefonanrufen, Warten auf den „Führungsoffizier“, sich Umblicken im Lokal nach „Beobachtern“ usw., die Psychiatrie erklärt diese Schwererinnerbarkeit auch bei uns Betroffenen als „Zustandsgrenzen“, wie etwa die zwischen Traum und Wachen, so dass man im erwachten Zustand die Träume nicht mehr erinnern kann.
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Gestern sprach ich lange am Telefon mit meinem Kollegen Stefan Sienerth, der auch den Fall Oskar aufgedeckt hat, er ist an vielen Fällen dran, und sagte mir, als er hörte, dass ich bei der rumänischen „Gauck-Behörde den Forscherstatus habe, du wirst noch staunen, wo du überall verwickelt bist, aber vor allem bei Oskar Pastior, sagte er. Und es traf mich und stimmte mich nachdenklich, als er meinte, er sei sich nicht so sicher, ob nicht doch noch andere „Berichte“ Oskars auftauchen würden. Über mich, über Schuster? Über andere Kollegen? Oder über Ausländer? Heute Nacht zermarterte ich mein Hirn, um Details zu finden, Hinweise, immer verwundert und fragend: Wie? Ossi, so nannten wir ihn unter Freunden, soll ein IM gewesen sein, der dich beobachtet und der Secu berichtet hat? Freilich, die Erinnerung funktioniert auch „gerichtet“, ja fängt an zu richten, zu spinnen, wenn mal der Stachel tief sitzt- bis in die Erinnerung, ja, bis ins Unbewusste!
Bei Stefan Sienerth lese ich jetzt den ganzen Prozess alle Hintergründe, wie es dazu kommen konnte, dass Oskar dennoch zum IM wurde, und dass es genau dokumentiert ist. Dass es eine „Verpflichtungserklärung“ vom 8. Juni 1961 gibt ( Securitate-Akte R 249.556), die zitiert wird. Dass als Erpressungsmittel antisowjetische Gedichte von ihm gab, und im die Verhaftung und Gefängnis drohte. Eine Kollegin, Grete Löw, der er diese Gedichte zur Aufbewahrung
Übergeben hatte, schon in Haft war, dass sie und auch er, in Freundeskreisen daraus vorgelesen hatten usw. So Sienerth das Protokoll des Verhörs vom 8.Juni 1961 kommentierend: „Es leuchte ihm ein, erwiderte er, dass aufgrund dieser Vergehen ihm der Prozess gemacht und er verurteilt werden könne, und spätestens seit der Verhaftung von Grete Löw sei er, innerlich aufgewühlt, nicht mehr zur Ruhe gekommen, wissend, dass auch er nun zur Rechenschaft gezogen werde für das, was er getan habe. Dennoch bitte er die Staatsorgane, ihm die Chance zu geben, zu beweisen, dass er ein ehrlicher und loyaler Anhänger des rumänischen volksdemokratischen Regimes werden könne. ..“ Die schriftliche Verpflichtungserklärung hatte man ihm „ am 8. Juni abgenötigt. Im Bericht darüber (Raport de felul cum a decurs recrutarea ca agent a numitului Pastior Capesius Oskar Walter) wird festgehalten, man habe ihn aufgrund der ihn „kompromittierenden Materialien“ d. h. der von ihm verfassten Gedichte, dazu veranlasst, eine schriftliche Verpflichtungserklärung (Angajament) abzugeben. Darin hatte sich Pastior – im Sprachgebrauch seiner Auftraggeber – bereit erklärt, er werde, um sich zu ‚rehabilitieren‘, durch konkrete Taten seine Loyalität gegenüber dem volksdemokratischen Regime der Rumänischen Volksrepublik beweisen (…) und alles tun, die Feinde des Regimes zu enttarnen (…) Er werde ehrliche und objektive Informationen liefern und dabei nichts verheimlichen, ganz gleich über welche Person er zu berichten habe (…) Die Informationen werde er seinem Führungsoffizier schriftlich übermitteln und mit dem Pseudonym „Stein Otto“ unterzeichnen. Die ihm anvertrauten Geheimnisse werde er niemandem verraten (…) und hielte er die eingegangene Verpflichtung nicht ein, solle er nach den gesetzlichen Vorschriften der Rumänischen Volksrepublik bestraft werden.“

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Auch Ernest Wichner, der Pastiors Akte studiert hat, ein Freund Pastiors, Wichner ist Herausgeber der „Werke“ Oskars im Hanser Verlag, schreibt, Pastior habe ihm immer wieder von dieser großen Angst, verhaftet zu werden, erzählt, doch immer wieder als Grund seine Homosexualität angegeben, von den Gedichten habe er seltsamerweise nie gesprochen. Sich auch nie offenbart. Und Pastior habe auf ein Gedicht verwiesen, wo diese Angst ganz besonders zum Ausdruck gekommen sei. Dies alles nachdem fünf deutsche Schriftsteller zu insgesamt 95 Jahren Haft verurteilt worden waren, Grete Löw zu 7. „Als wir im Herbst 2005 am ersten Band seiner Werkausgabe arbeiteten, erzählte mir Oskar Pastior, dass er vom Herbst 1956 an, besonders nach der Niederschlagung des Ungarnaufstands, in permanenter Angst gelebt habe, abgeholt zu werden. Ein Versuch, diese Angst literarisch zu fassen, stelle sein Anfang 1957 geschriebenes Gedicht „Da ist doch das Dach der Chinesischen Gesandtschaft, ach“ dar. (..)Das Gedicht endet mit den Zeilen: „Der Wind fährt manchmal mit den Drachen oben vorüber, / Dann heult das Radio, / Dann geht der Mensch vorüber, / Dann kommt das Auto an. // Sage mir was du fühlst. / Schreibe was du fühlst.“ Autos vor der Tür oder Klopfen an die Tür, Stiefeltritte… das waren dann immer „SIE“, die jemanden abholen kamen, der dann für Jahre verschwand. Manchmal für immer. Fast harmlos verschlüsselt erscheint mir Oskars Gedicht. Wenn ich meine eigenen Gedichte über Angst aus jenen Jahren jetzt lese, denke ich, ich muss verrückt gewesen sein:

NEBEN JEDEM EIN BLAUER DRACHE UND WINTERZUNGEN

Hier habe ich das Schweigen gelernt,
das täglich mich vereiste.
Mein Mund will sich durchgraben.
Die Lippen brennen von bunter Leere.

Ein Tier aus Rauch, ein Schatten,
geht barfuß über die Straßen.

GOLEM
Man sieht nur, wenn man anders sieht.
Doch nun ist er ein Häufchen Lehm.
Wer schützt uns hier, da man nicht sehen darf,
vor Tod und vor der greisen Gewalt, wer,
da der Name, der unaussprechbare,
ihm eisern von der Zunge fiel
und in des Mundes Fälschung starb.

Und viele andere, mit Zeilen wie diesen: „BLAU spielt am Stacheldraht der Mord./ Weh dem, der überschreitet.“ Oder „Wo zwei sind, beginnt man zu sein./Wo drei sind, wird die Rede Angst.“ Freilich, ich hatte sie, außer Sperber, niemandem gezeigt, aber dann 1968 im Bukarester Literaturverlag unter dem itel „Grenzstreifen“ veröffentlichen können. Was auch ganz klar den Unterschied der beiden Securitate-Zeiten vor und nach 1964/65 zeigt. In der Gulagzeit wäre ich sicher im Gefängnis gelandet, hätte ich sie auch nur im Freundeskreis vorgelesen.
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Die „gerichtete“ Erinnerungsarbeit nun, die sicher noch wochenlang weitergeht, ergab einige Details, was die Pastior-Schlesak-Beziehung damals betrifft. Merkwürdige Dinge aus jener Zeit: bisher hatte ich sie mir damit erklärt, dass ich damals Redakteur für Lyrik bei der Zeitschrift „Neue Literatur“ in Bukarest gewesen war (1959-1970), und ich vieles für rein professionell gehalten hatte. War ich naiv? Was mich jetzt aufhorchen lässt: Schon beim größten Autoren-IM, dem rumänischen Lyriker Ion Caraion, mit dem ich 1968 meine erste Westreise antreten durfte, fällt mir jetzt auf, dass er mich so oft zu sich zum Abendessen eingeladen hatte, er mich in der Redaktion besuchte, mit mir Kaffeetrinken gehen wollte, reden wollte, obwohl keine besondere Freundschaft oder professionelle Beziehung zwischen uns bestand. Mit Oskar gab es beides. Doch auch er lud mich einige Male zum Abendessen zu sich ein. Auch er kam in die Redaktion, um Gedichte zu besprechen. Freilich, einmal war er stundenlang in der Redaktion der NL beim Chef Emmerich Stoffel, Mitglied des ZK, der sicher alles wusste; ich sehe jetzt noch Stoffels verdruckstes Grinsen, dieser Krampf, als ich ihm von meiner Securitateverfolgung berichtete, ihn bat mir zu helfen, dass ich frei käme!. Stoffel war eine sehr positive Gestalt und half, auch der Literatur, wo er nur konnte. Was mich freilich damals sehr wunderte, war, dass er sich oft für Pastior-Gedichte einsetzte, obwohl die seiner Partei-Ästhetik nach doch „dekadent“ sein mussten, und die Zensur schon moniert hatte. Ich konnte es mir damals nicht erklären! Aber es muss freilich auch gesagt werden, das Pastior damals auch schöne regimefreundliche Gedichte schrieb!
Einmal lud mich Oskar wegen einer „sehr wichtigen Sache“ (es mag 1961 oder 1962 gewesen sein) in ein Café ein; ich seh alles noch genau vor mir im langgestreckten Raum des Cafés auf der Calea Victoriei, ich nahm an, es sei die Sache mit der Zensur, die Gedichte von ihm beanstandet hatte. Doch von Gedichten war dann wenig die Rede, sondern von seiner Bewunderung für meine Poetik (auch als Redakteur): das „Versteckspiel in der Metapher“, um gefährliche Inhalte an den Leser zu bringen, ohne von der Zensur ertappt zu werden! Er wollte mehr davon hören. Dass er mir auch etwas „Wichtiges“ sagen wollte stand ebenfalls im Raum, es kam aber nicht dazu. Wollte er sich offenbaren oder halb offenbaren, mich warnen? Ich werde es nie erfahren. Nur die gängigen Witze kamen, ein Spiel mit dem Feuer, wie wir es manchmal unter Kollegen und Freunden trieben: Ah ja, du bist auch…? Bist du schon Hauptmann? Und so. Doch schien mir dies damals anders als sonst; ich war merkwürdig berührt, ich hatte plötzlich Angst, trank schnell den Cognak aus und ging. Über all diese Dinge sprach man sonst nur auf der Straße (Wanzen!). Ich weiß nicht, wieso ich mich einwickeln ließ im Café zu reden, oder war das Vertrauen so groß, und: es sei ja alles nur harmlos. Auch tranken wir leider wie so oft zu viel Wodka und Cognak.
Es sind nur Impressionen, Vermutungen. Aber auch, wenn es „Auftrag“ war, heißt das noch gar nichts, irgend etwas musste man ja „abliefern“, um die zu besänftigen. Und sogar in den Akten steht, dass OP kein interessierter und guter IM war, er sich winde. Und ich nehme an, dass er über all das auch nicht berichtet hat, nicht einmal mündlich. Oder waren es die Wanzen im Café? Doch ich war sicher instinktiv sehr vorsichtig im geschlossenen Raum, wenn auch sträflich blauäugig und naiv.
Und dann im Westen: Hat mich Oskar aus Gründen des schlechten Gewissens nie in seiner Wohnung empfangen, wenn ich in Berlin war, habe ich ihn immer angerufen, er hat mich immer abgewimmelt, ist mir immer ausgewichen, und Paul Schuster auch, überhaupt unserer älteren, also seiner Generation, und hat nur zu den Jüngeren später dann freundschaftlichen Kontakt gehabt. Er hat große Geburtstagsfeste gefeiert, ich wurde nie eingeladen. Wollte er nur nicht an seine Jugendsünde erinnert werden oder hatte er Angst, dass wir etwas wüssten und „aufdecken“ könnten. Er hat nie mehr „daran gerührt“. Hoffte er, dass alles mit der Zeit vergessen werden könnte, „es“ nie bekannt würde? Er, der so gierig nach öffentlicher Anerkennung war, fürchtete wohl nichts mehr als „ertappt“ und an den Pranger gestellt zu werden! Manchmal dachte ich auch daran, dass er mir böse sein könnte, da ich einmal ein kritisches Gutachten über seine Lyrik geschrieben, in dem ich moniert hatte, dass man mit solchen Sprachspielen das Monströse unserer Epoche nicht fassen könne, Form als Inhalt verpuffe im Leeren, gehe daneben.

Zu denken gibt mir auch folgende Notiz bei Sienerth über Grete Löw, die wohl auch seinetwegen ins Gefängnis kam: „Die Frage, ob sie Oskar Pastior, nachdem sie aus dem Gefängnis entlassen worden sei, noch getroffen habe, und ob es zwischen ihnen zu einem klärenden Gespräch gekommen sei, verneint Grete Löw, die heute in Lauffen am Neckar lebt. Wenn man sich in Hermannstadt über den Weg gelaufen sei, habe Pastior die Straßenseite gewechselt, betonte sie.“

Aber sie gehört zu den vielen tapferen Frauen, die in meinem Buch „Die rote Hölle“ porträtiert sind. Sie hat, anstatt IM zu werden, sich verweigert und ist lieber ins Gefängnis gegangen. Sienerth schreibt: „Von den sieben Jahren, zu denen sie 1959 verurteilt worden sei, habe sie bloß zwei absitzen müssen, aufgrund einer Amnestie sei sie im Oktober 1961 freigekommen. Die Haftzeit sei bitter gewesen. Etwa ein halbes Jahr habe man sie im Gefängnis in Zeiden behalten, nach der Geburt ihres Kindes sei sie nach Văcăreşti, unweit von Bukarest, verlegt worden, die letzten Monate habe sie in Miercurea Ciuc, im Szeklerland, verbracht. Hier sei sie auch anderen siebenbürgisch-sächsischen Frauen begegnet, u. a. der Germanistin Hermine Pilder-Klein (1901–1998), der Physikerin Marie Luise Roth (geb. 1930), Tochter des Politikers Hans Otto Roth (1890–1953), und einer Bäuerin aus Michelsberg (Cisnădioara). Gelegentlich hätten sie die dünne Gefängnissuppe
zusammen gelöffelt oder sich durch Klopfzeichen verständigt, wie es Eginald Schlattner in seinem Roman Rote Handschuhe so einfühlsam beschrieben habe.“
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Dass mir in den Gulag-Jahren nichts wirklich Schlimmes passiert ist, habe ich möglicherweise meinem Chef Emmerich Stoffel zu verdanken! Viele meiner ehemaligen Freunde landeten in den Securitatekellern oder gar in Lagern und Foltergefängnissen.
Es läuft mir jetzt kalt über den Rücken, wenn ich bei meinen ausführlichen Recherchen über jene Zeit nun weiß, wie furchtbar das Schicksal jener war, die in diese konkrete Straf- und Folter- Mühle gerieten. Hier nur ein kurzes Zitat:
„Der zu Verhörende wurde mit dem Kopf nach unten aufgehängt… Mit einer Sonderzange wurden ihm die Fingernägel ausgerissen … Seine Fußsohlen wurden mit einer Stichflamme gebrannt … die Hoden wurden mit einem dicken Bleistift oder einer dünnen Weidenrute so lange geschlagen, bis das Opfer unter fürchterlichen Schreien in Ohnmacht fiel, und in vielen Fällen verstarb. (Methode des Securitate-Folterers Franţ Ţandără, der auch nasse Sandsäckchen zu Schlägen auf Rückgrat und Nieren benützte. Sein Bekenntnis erschien am 21. März in der Zeitschrift „Singur“ 2010 in Bukarest) …Schreckensschreie oder Stöhnen von nahen Verwandten wurden dem Opfer zu Gehör gebracht… Schläge mit einem Prügel auf den Kopf des Opfers … Tritte mit dem Stiefelabsatz in den Mund, die Zähne des zu Verhörenden … Hetzen eines Wolfshundes auf das nackt an einem Pfahl festgebundene Opfer … Isolierung des Gefangenen über Wochen und Monate in engsten Zellen, wo er nur stehen konnte …“
Die Quellen sind inzwischen weitgehend zugänglich, vor allem durch den offiziellen „Raport Final“, eine Art Schwarzbuch des rumänischen GULAG, erschienen in Bukarest 2007 im Humanitas Verlag. Die Aufzählung der Foltermethoden stammt aus diesem Bericht. Der ehemalige politische Häftling Cezar Zugravu zählt in seinem Bericht „ Die Foltermethoden der Securitate“ Einundvierzig „Methoden“ auf.
Ich kann heute nur noch schwer „nachfühlen“ wie es mir, damals allen Autoren, so auch „Ossi“ erging. Der Erinnerungsschock aber blieb, die Verstörung, die „Belastung“, die kranke Psyche. So dass mich erst Wut überkommt, wenn ich sehe, wie Leute, die keine Ahnung haben, wie die jüngeren Kollegen oder gar Westdeutsche, die auch nichts nachfühlen oder rekonstruieren können, weil es nichts zu rekonstruieren gibt. sich anmaßen über unser Leben von damals um 1959-1964 zu urteilen! Sich gar zu Richtern aufspielen, wie die Massemedien dieses Leiden zur auflagesteigernden Sensation aufbauschen. Ich hätte die heutigen Moralisten und die Autoren als Gewissen der Nation, gerne in unserer Lage gesehen, wie sie damals gehandelt hätten. Wobei gesagt werden muss, dass weder Oskar noch ich oder Paul Schuster und viele andere, die gequält wurden, zu den wirklichen Opfern gehört haben, denn wir kamen nicht in die Securitate-Keller oder in die Sümpfe des Donaudeltas. Aber wir wussten, dass wir dorthin kommen konnten!. Es war wahnsinnig schwierig, zwischen dieser furchtbaren täglichen Angst und der Moral, Gewissen und zermürbender, jahrelanger oft täglicher Verfolgung von Anrufen der Securitateoffiziere, Treffen mit ihnen, jeder Autor hatte damals einen „Schatten“ zur Gehirnwäsche, zur Secu-Zentrale zitiert werden usw. mutig zu sein, standzuhalten, jahrelang, gar, wenn man auch jahrelange Haft hinter sich hatte, gar in der Zelle selbst zur Mitarbeit aufgefordert wurde. Meine Hochachtung gilt jenen, die es geschafft haben. Es sind sehr wenige. All dieses, auch die Securitate-Diskussion um Söllner und Müller, die anderen IMs jener Zeit, hat mich veranlasst, ein Buch zu erarbeiten, ich schreibe täglich daran. wo ich viele Fälle aus der Gulagzeit, rumäniendeutsche, aber vor allem die vielen rumänischen Fälle zu untersuchen. „Die rote Hölle“ ist ein Nachfolgebuch meines Dokumentarromans über den siebenbürgischen Auschwitzapotheker Capesius (2006, 2009) und die NS-Lager. Die Securitate und ihre Lager standen der SS nicht nach, ja, in einigem übertrafen sie diese noch!
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Oskar Pastior hat auch ein sowjetisches Lager kennengelernt, er kam dann in die Mühlen der Securitate. Das einzig Positive an diesem neuen „Fall“, er ist im Vergleich zu anderen in der Auswirkung wirklich harmlos, nimmt man seine persönliche Seelenfolter und Gewissensqual aus, ist die Tatsache, dass nun endlich auch die Vor-Ceauşescu-Zeit, die eigentliche rumänische Gulag-Zeit des Stalinismus (bis 1964), wo es bis hin zur Todesstrafe, den Lagern, den Foltern, ging - so öffentlich zur Sprache kommt; und das mag darüber hinweg trösten, dass Pastiors Fall nun aufgebauscht wird, sein Bild, wenn auch, hoffe ich, nur geringfügigen Schaden erleidet! Es geht wirklich um eine Hölle. Und wir alle, die nur SO leiden mussten, müssen, wie der Reiter über den Bodensee froh sein, nur mit seelischen Schäden weggekommen zu sein. Denn es geht um den rumänischen GULAG, um inneren Widerstand in einer Lager- und Folterzeit und nicht um Luxusdissidenten der Tauwetterzeit Ceauşescu, des grotesken „kommunistischen Königs“ mit Zepter und Thron, der fast alle politischen Gefangenen entlassen hatte, und wo es diese fürchterlichen Lebens- und Existenzbedrohungen, von denen die jüngeren „Dissidenten“ bis hin zur Nobelpreisträgerin dauernd sprechen, nicht mehr gab. Der eigentliche lebensbedrohende Terror war nicht die bunte, im Westen bekannt gewordene rote Königszeit von Ceauṣescu war, die zu Unrecht andauernd in der ganzen Welt, vor allem aber in Deutschland, auch von karriereinteressierten „Dissidenten“ in Presse und Fernsehen gebracht, das Publikum irreführen! Nicht jene relativ freie Zeit von 1964 bis 1971, wo wir auch unsere Texte fast ohne Zensur veröffentlichen konnten, nicht einmal die neue Eiszeit der achtziger Jahre Zeit, die hochgespielt als Terrorzeit in der Öffentlichkeit bekannt wurden, sondern eben die Stalinzeit, wo Dissidenten undenkbar und unmöglich waren, die sofort verhaftet wurden und oft für immer verschwanden! sollte endlich als Geschichtskorrekur neben der blutigen Nazizeit als großes Menschheitsverbrechen in die Erinnerungskultur und die Geschichtsbücher eingehen.
Es gibt immer weniger Augenzeugen! Doch wie auch Oskar Pastior oder Paul Schuster, habe ich beide Zeiten erleben dürfen. Wir waren befreundet, wir waren schon in der Hochschule in Bukarest Freunde (ab 1955), dann in der Zeit als Pastior beim Radio arbeitete, Anfang der Sechziger, als er in „ihre“ Fänge geriet (1961), ich Redakteur bei der Zeitschrift „Neue Literatur“ war, ebenso auch Paul Schuster, und Ossi uns „observieren sollte,“ um Berichte über uns zu schreiben… Es gibt keine. Das Entscheidende ist nicht, ob einer „unterschrieben“ hat oder nicht! Davon bin ich überzeugt. Schuster, so ich auch, haben es unter Risiken abgelehnt, anderen zu schaden, „Berichte“ zu schreiben! Wie Herta Müller viel später, haben wir es gegenüber der Securitate mit unserem Gewissen und unserer Arbeit als Autoren motiviert. Wir wussten ja alle, wie das lief, dass jeder bedrängt wurde, dass jeder seinen „Schatten“ hatte. Freilich, wir sprachen damals nicht darüber, jeder hatte Angst, darüber zu sprechen, es war auch strafbar, brachte Gefängnisjahre! Die Einsamkeit, das wir nicht so schön, wie später die Aktionsgrüppler“ sich absprechen konnten, sagten, wenn sie „gerufen“ wurden „dekonspirierten“ es den Freunden, verstärkte die Qual und den Druck in den Gulag-Jahren. Wie befreiend die Auflösung dieser Schuldeinsamkeit nach 1964 war, wissen nur die Älteren. Ich offenbarte mich zwar meinem Chef, der Mitglied des ZK war und dem Kollegen Arnold Hauser, KP- Mitglied, und bat um Hilfe, dass ich das nicht könne und wolle! Ich wurde aber auch von ihnen verwarnt. Es half vielleicht doch etwas, zumindest als Entlastung. Sprechen befreite. Auch meine damalige Ehefrau wusste es. Sie fuhr mir mit dem Taxi nach, wenn sie mich „holten“, dies tat sie aus Angst, ich könnte für immer verschwinden, wie es einigen geschehen war Da palaverte man weder vorher noch vor allem nachher im Westen, um hochzukommen, sondern war so geschädigt, traumatisiert und verstört, dass man auch im Westen nur aufatmete, als der Druck von einem genommen war, aber man schwieg. Ab 1965/66 war auch mein „Schatten“ verschwunden; und nach meiner ersten Westreises 1968, als ich auf Jordan, auf Anrufe wartete, was ja bisher „normal“ gewesen wäre, kam kein Telefonanruf, kein „freundschaftliches Treffen“, keine Drohung mehr. Ich habe das alles in meinen Büchern längst genau beschrieben. Und tue es nun auch in der „Roten Hölle“; es darf nicht vergessen werden, was unsere Generation und die Älteren erlitten haben, es waren zwei Millionen Menschen, Hunderttausende in Lagern und Kerkern; unsere Jugend, unsere Psyche wurden in jener grauenhaften Zeit zerstört.

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Weg damit! Nicht mehr daran rühren! Das war anfangs wie bei Oskar auch meine Devise. Pastior hat das bis zu seinem Tode durchgehalten. Mir war es unmöglich, ich musste mich in meinen Gedichten, in meinem Roman „Vaterlandstage“ (1986) vor allem auch in Freundesgesprächen befreien. Ich habe nicht einmal, wie Oskar die Chance wahrgenommen nach der Flucht in den Westen, beim Bundesgrenzschutz, englischen, amerikanischen Geheimdiensten, die mich nach all dem fragten, aber auch nach topografischen Details auf militärischen Karten, darüber gesprochen, sondern ihnen gesagt, dass ich gegen mein Herkunfts-Land die westliche herrschende Ideologie des Antikommunismus nicht bedienen wolle, was ich auch der Presse gegenüber wiederholte. Zuhause musste man gegen den roten Terror Widerstand leisten und nicht im Westen, den das eigentlich gar nichts anging, es sei denn als politisches Kampfmittel, wo schreibende „Widerstandskämpfer“ mit Ehren, Preisen und Ruhm für ihre Augenzeugenschaft und Schreibe gegen die eigne Heimat überhäuft wurden, ja auf diesem Boden eine schöne Karriere aufbauen konnten. Auch Oskar hat geschwiegen, ja hat die innere Zerstörung als Sprachzerstörung und Sprachspiel sublimiert, in Subtilität verborgen, die keiner inhaltlich entschlüsseln konnte, weil auch der Inhalt aufgelöst war in sprechendem verletzten Schweigen unter unerhörtem Druck, wohl auch Gewissensdruck!
Aber zumindest in zwei Fällen ist Oskar Pastior schuldig geworden; durch seinen einzigen Bericht über die Germanistin Ruth Kisch, der diese fast ihre Arbeitsstelle gekostet hätte. Und die Sache mit den „Russlandgedichten“ und Grete Löw. Doch er hat in beiden Fällen Schuld nicht akzeptiert: Er hat in einer nachträglichen Anmerkung sogar Überlegungen zu seiner „vermeintlichen Schuld“ angestellt, vor allem auch, ob er an den Gefängnisjahren von Grete Löw schuldig sei, versucht zu verdrängen, doch er hat es niemals weggesteckt: „Vielleicht ist der rote Faden, der sich durch meine inneren Motivationen zieht [,] die Überzeugung (und Auswegslosigkeit), immer wieder und an allem schuldlos schuldig gewesen und geworden zu sein. Dostojewski lässt grüßen, die protestantische Erbsünde lässt grüßen. Alle in Grenzsituationen überlebt habenden lassen grüßen,“ so heißt es in seinen nachgelassenen Notizen. Ich selbst fühle Schuld, die in die Unizeit hinab reicht, als ich „Marxist“ war und dafür plädierte, im Konsensus sogar mit den Kommilitonen, dass (es war 1956 oder 1957) der „reaktionäre“ Nietzscheanhänger Dieter Fuhrmann exmatrikuliert werde. Es ist Gottseidank durch unseren jüdischen Assistenten Ernst Maria Flinker verhindert worden. Ich werde das niemals vergessen können. Fuhrmann ist vor kurzem verstorben, es gibt keine Möglichkeit mehr zur Aussprache.
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Ich habe als Forscher bei der rumänischen „Gauck-Behörde“ eine Zulassung erhalten, kann jede Akte einsehen, und werde im November auch Oskars Dossier lesen, und meinen eigenen natürlich auch; hätte er über mich Berichte geschrieben, was ich für ausgeschlossen halte, weil ich seine Art kenne, und auch „damals“ mit ihm freundschaftlichen Umgang hatte, müsste ich etwas finden.Doch ich bin überzeugt über Oskar Pastior werde ich nichts Neues finden. Stefan Sienerth hat sehr genau alles durchforstet und kommt zu dem Schluss: „Verglichen mit den anderen IMs („Silviu“, „Johann Wald“, „Marga“, „Dorina Gustav“ u. a.), die in den 1950er und 1960er Jahren in vielen „Securitate“-Dossiers deutscher Intellektueller aus Rumänien mit ihren oft inkriminierenden Berichten präsent sind, war „Stein Otto“ eine marginale Erscheinung und vermutlich wohl auch vorwiegend darauf bedacht, durch seine Berichte möglichst niemandem zu schaden.“
Aber da hat er sich, wenn auch letztlich dann edel, selbst hineingeritten, Schwäche und Feigheit müssen ihm zum Vorwurf gemacht werden, auch, dass er nie versucht hat, der Securitate zu „kündigen“, wie es etwa Werner Söllner nach drei Jahren getan hat. Denn ab 1964 wäre das nicht mehr so gefährlich gewesen, wenn es auch Konsequenzen gegeben hätte, jedoch nicht so drastische wie bei Grete Löw. Bei Söllner gab es keine Konsequenzen, und auch bei Helmut Frauendorfer nicht. Mir hat meine Weigerung auch keinen Rauswurf, gar Gefängnis eingebracht.
Aber beim äußerst sensiblen Dichter Pastior überwog wohl eine Art Berührungstabu Und vielleicht ist auch der Ekelkomplex und di Ekelfrequenz bis hin zur Angst, dass „gemunkelt“ wird, er sein Ansehen verliert. Zu Recht schreibt er auch für die Zeit nach 89 und heute, das wir uns wehren sollten, weiter Gefangene der Securitate zu sein, dass diese von neuem die Macht über unsere Seelen übernimmt und triumphiert, was leider in den letzten Jahren tatsächlich der Fall ist, nicht nur beim Fall Oskar Pastior: Er hat in einem Notizblatt von 2002 im Hinblick auf ein Podiumsgespräch unter der Überschrift „securitate, stasi etc.“ einiges zu diesem Komplex festgehalten : „ich möchte keinen gedanken denken und keinen satz aussprechen in welchem und durch welchen diesem ekelkomplex von institution zu einem späten erreichen seiner ziele verholfen würde - den zielen: mißtrauen u. argwohn zu säen / unversöhnlichkeiten aufzubauen / persönlichkeiten zu spalten / psychosomatisch angst u. schrecken zu verursachen / kurzum uns nachträglich wieder einmal zu entmündigen (die würde zu nehmen). was ihre konkrete frage betrifft - bitte wenden sie sich diesbezüglich an unsere deutschen behörden (ich glaube es war der bundesgrenzschutz) und an die entsprechenden amerikanischen, britischen u. französischen stellen, denen ich vor 34 jahren gerne und bereitwillig detailliert auskunft gab / indem ich mich ihnen rückhaltlos 'offenbarte‘ / - auch um reinen tisch zu machen u. einen heilungsprozeß bei mir zu ermöglichen (und neubeginn) u. eben den ganzen 'ekelkomplex‘ in den orkus zu schieben, weg damit! dies ohr, das uns hier geliehen wurde, war, nüchtern und aus großer distanz (eines drittel jahrhunderts) gesehen, ein heilsames verdrängungsangebot 'des westens‘. (die bis zur wende dort im land warten mussten, hatten dieses angebot nicht).“
Es bleibt freilich auch da ein Rest von Schwäche und Schuld! Sich, auch im eigenen Interesse, mit der Securitate auf Verhandlungen eingelassen, zu haben. Schuld auch, weil Pastior deutsche Staatsbürger, die zu Besuch nach Bukarest kamen, im Auftrag „begleitet“ und vielleicht ausgehorcht hatte. Berichte allerdings sind bisher keine aufgetaucht. Grenzschutz und Verfassungsschutz wussten davon. Und dieses war wohl der eigentliche Grund, sich zu offenbaren. Dass es auch eine persönliche Entlastung war, zählt erst als „Begleiterscheinung“. Und nach Österreich und Deutschland ließen ihn die Offiziere nur im Auftrag fahren, es gibt dazu ein unglaubliches, von ihm unterschriebenes Papier, wen er alle bespitzeln sollte. Sienerth dazu aus den Akten: „In der Zusammenarbeit mit der „Securitate“ habe er sich als korrekt erwiesen, die ihm auferlegten Aufgaben erfüllt. Er habe nützliche Materialien geliefert über verschiedene „suspekte Personen“, auf die er angesetzt worden sei, vor allem westdeutsche Staatsbürger, die er entweder offiziell, über seine Dienststelle kontaktierte oder auf Geheiß der „Securitate“. Bevor er seine Auslandsreise antrete, werde er folgende Aufträge erhalten In Österreich, wo er zwei Wochen bleibe, solle er Gerhard Brössner, einen Schauspieler, kontaktieren, mit dem er korrespondiere, der aus Temeswar stamme und vor etwa vier Jahren nach Österreich emigriert sei. (…) In der Bundesrepublik Deutschland, wo er ebenfalls zwei Wochen bleibe, solle er Kontakt aufnehmen zu seinen Bekannten Edmund Pollack, einen ehemaligen Hochschullehrer der Klausenburger Universität, der nach seiner Aussiedlung bei der westdeutschen Rektorenkonferenz tätig sei, Walter Biemel (geb. 1918), den aus Kronstadt stammenden Heidegger-Schüler und Existentialismusforscher und zum Rundfunkredakteur Alfred Coulin (1907–1992), die alle der westdeutschen Spionage verdächtig seien. Man habe ihn instruiert, Alfred Coulin, mit dem er verwandt sei, anzuschreiben, er solle ihm eine Einladung für die Bundesrepublik Deutschland beschaffen und zuschicken… Während dieser Kontakte gelte es, Daten über ihre Tätigkeit zu sammeln, ihren Status kennenzulernen und herauszubekommen, mit wem sie Umgang pflegen.“ Und vieles andere mehr steht in dem unsäglichen Bericht von Pastiors Führungsoffizier.
Taktik, sich darauf einzulassen um ausreisen zu können mit der klaren Entscheidung, nicht mehr zurückzukommen? Wer kann das heute noch entscheiden? Jedenfalls Oskars Ehefrau konnte dann nicht mehr selbst in den Westen fahren, auch sonst wurde die Familie geschädigt. Pastiors Ehefrau hat ihm dies sehr übel genommen und sich von ihm scheiden lassen. Auch hier gibt es eine schuldhafte Parallele zu meinem Fall, woraus bei mir eine Leidensgeschichte von vielen Jahren entstand, auch wenn ich Mutter und Sohn schon nach 5 Jahren in den Westen holen konnte.
Dass die Verdrängung („heilsames verdrängungangebot“ als „neubeginn“) , Vergessenwollen also, Pastiors Werk zur Qualität verholfen habe, oder dass er aktiv jene „Maximen“ irgendwo angewendet hätte, sich also gegen die Securitate gestellt, seine Geschichte aufgearbeitet, in sein Werk aufgenommen hätte, muss ich verneinen. Oder dass die allgemeine Wertschätzung seines Werkes irgendetwas damit zu tun hätte, wie Ernest Wichner in seinem FAZ-Artikel schreibt, und dazu geführt hätte, dass bei so einer Biografie allein „seine literarischen Entscheidungen, die für ihn auch ethische und moralische waren,“ für gerechtfertigt gehalten werden können, bezweifle ich. Erst ganz spät hat er sich dem „Sowjetkomplex“, der nach seinem Tode erst zur „Atemschaukel“ geführt hat, gestellt. Und mit den späten Notizen war, was die IM-Karriere betrifft, erst der Anfang gemacht. „Überzeugender und ausführlicher als in seinen späten Notizen lässt sich die gehetzte Befreiung des IM „Stein Otto“ zum Dichter Oskar Pastior allein in dessen Gedichtbänden nachvollziehen“(??) wie Wichner schreibt? Nein, in den Gedichtbänden gab es, wie auch der genaue Kenner Michael Markel feststellt, kaum Spuren des Securitatekomplexes, es sei denn, dass diese Sprache als Gegensprache wider die Verhörsprache, die Ekelparolen oder als Flucht gesehen werden kann! Auch die zerstörte Sprache umzukehren in verzweifelte Befreiungsbewegungen, sie so neu zusammenzusetzen, auf einer neuen, freien Sinnebene, die so sehr „anmacht“, dass sie wie ein Widerstand wirkt, kann nur als Mutmaßung in den Raum gestellt werden!
Aber ich kenne es zu genau, um Oskar daraus einen Vorwurf zu machen. Spät haben auch mich all diese Erinnerungslast und die Verstörungen, neu eingeholt, „es“ hat uns alle nach Öffnung der Akten eingeholt! Ich musste die „Rote Hölle“ schreiben; Oskar Pastior hätte, vielleicht zusammen mit einem Kollegen, die „Securitate-Schaukel“ erarbeiten können, wo für den von der Macht Verschaukelten auch der Titel besser gepasst hätte als für die Geschichte der Russlanddeportation.

Donnerstag, 16. September 2010

Dieter Schlesak, Soll mein Buch „Capesius, der Auschwitzapotheker“ verboten werden? Dem Autor als „Nestbeschmutzer“ die geplanten Ehrenbürgerrechte seiner Heimatstadt versagt werden?

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„Transsylvania mon amour“ heißt mein jüngstes Buch. Es ist eine deutsche und rumänische Liebeserklärung an mein Herkunftsland, an meine Herkunftsstadt. Ich gebe zu, diese ferne Geliebte ist mein schwächster Punkt; ich durfte sie erst 1990 nach vierzehn Jahren schmerzlicher Abwesenheit wieder besuchen, da mich wegen meiner Flucht aus der Diktatur, aber auch wegen meines Werkes, ein Militärgericht zu sieben Jahren erurteilt Haft hatte.

Doch Liebe hat mich nicht blind gemacht, mein ganzes Werk setzt sich mit meinem Land, meiner Stadt, meiner Herkunft kritisch auseinander: Vor allem im Roman „Transsylwahnien“ und mehr noch im Buch „Capesius, der Auschwitzapotheker“.

Seit 1990, seit das Land wieder frei ist, fühle ich mich in Siebenbürgen wieder zu Hause; von rumänischer Seite wurde ich wieder sehr gut aufgenommen und sehr gefördert: mein Geburtshaus konnte ich zum Zentrum einer Kulturstiftung machen (ADS), ein Literaturkabinett wurde von Mariana Gorczyka, der Direktorin des Colegiul National „Mircea Eliade“ eingerichtet, das meinen Namen trägt. Die Universität Bukarest verlieh mir den Dr.h.c.

Jedoch, das Unvorstellbare für mich geschieht jetzt nach 20 Jahren: viele meiner deutschen Landsleute versuchen mich wieder zu „vertreiben“, zu verleumden, begegnen mir mit Hass. Und zwar wegen eines Buches über den Landsmann Victor Capesius, den freilich nicht ich zum „Auschwitzapotheker“ gemacht habe, ich habe seinen Fall in einem Dokumentar-Roman nur beschrieben und bekannt gemacht, seit kurzem weltweit.

Im Herbst bin ich von der Uni (Prof. George Guţu) nach Bukarest zu einem Celankongress und zu Lesungen , sowie zu einer Fernsehaufnahme ( Fernsehporträt tvr) eingeladen; ich wollte auch in meine Heimatstadt in Siebenbürgen zu Lesungen fahren. Was ich überdenken muss, denn sie wurde mir inzwischen wieder (moralisch geraubt). Dort wollen die jetzt dort „Zurückgebliebenen“, allen voran und als Sprecherin tritt die Nichte des Auschwitzapothekers auf, mir die Heimatstadt zum zweiten mal nehmen. Und zwar weil ich es gewagt habe, dieses Buch über den Schässburger Apotheker und Massenmörder (Capesius, der Auschwitzapotheker, Dietz 2006, Hora, Sibiu 2009) zu schreiben. Aus dem gleichen Grund gibt’s nun nach der roten Zensur, eine „Sachsenzensur“. Diese „Landsleute“ setzen sich vehement in der Presse gegen das Buch und den Autor als „Nestbeschmutzer“ ein und wollen verhindern, dass er, wie von rumänischen Autorenkollegen, Ion Negoş etwa, der einen profunden Essay über „Capesius“ veröffentlicht hat, von Lehrern, Rechtsanwälten Buchhändlern, Presse etc., der Lyzeumsdirektorin Mariana Gorczka vorgeschlagen, vom Bürgermeister Dorin Dăneşan, der den Vorschlag schon akzeptiert hatte, zum Ehrenbürger der Heimat-Stadt ernannt zu werden. Ausnahmen wie der Stadtpfarrer Bruno Fröhlich oder der Leiter des deutschen Forums Stefan Gorczyca u.a. bestätigen nur die Regel. Ich schlug vor, die Siebenbürger Sachsen aus meiner Heimatstadt sollen doch den Auschwitzapotheker Capesius zum Ehrenbürger ernennen!

Der Fakten zu dieser Initiative gibt es wenige, es ist eher die Stimmung, die nicht messbar ist; es war und ist noch nichts entschieden, sondern seit es in der Lokalpresse bekannt gegeben wurde, und es den, auch schriftlichen Protest, in der Presse der Nichte des Apothekers gab, nur auf Eis gelegt worden; nichts mehr geschieht. Und, wie mir ein Freund, Gernot Wagner, Schässburger, der im August einen Monat in der Stadt verbracht, mit vielen geredet hat, berichtete und riet: Fahr nicht! Pass auf mit den Lesungen, du wirst dann geschnitten mit leeren Sälen musst du rechnen. Dein Name ist zu Hause verflucht.
Es geht also um nichts Offizielles, Fassbares, nur um „Stimmungen“, doch immerhin um Hass.

Ich glaube, dass dieser skandalöse Fall bei weitem den kleinen örtlichen Skandal überschreitet und auch mein Name ist unwichtig, denn egal wer da in dieser Weise so „sonder-behandelt“ wird, es bleibt unglaublich, und es geht um einen unerhörten „Fall“, um eine Stadtschande, die auch mich schmerzt, sie wäre eines weltweiten Protests würdig, da es bei diesem Hass oder auch bestenfalls Ignoranz, um das größte Verbrechen der Menschheitsgeschichte geht, der Siebenbürger/ Schässburger Capesius inmitten. Da dieses Buch gerade wegen dieser unerhörten Nähe und Fassbarkeit des Verbrechens eine weltweite Anerkennung gefunden hat, in alle großen Sprachen und viele kleinen übersetzt wird, die spanische und die englische Übersetzung sind eben da, ist diese hasserfüllte Provinzialität erschreckend! Dabei, es ist nicht zu vergessen, viele „Landsleute“ weltweit, zu diesen Hassern gehören! Und möglicherweise erfüllt dieser Skandal auch den strafgesetzlichen Tatbestand der Auschwitzleugnung , einen Paragrafen, den es sowohl in Rumänien als auch in Deutschland gibt.

Mir hat es gereicht, dass meine Erinnerungen, auch die so kostbaren Kindheitserinnerungen durch die Erinnerung an 4 SS-Verwandte, alles Schässburger, und den Heimatstadt-Apotheker, die alle in deutschen KZs zu Verbrechern geworden waren, vergiftet wurden! Ich hab das alles durch Schreiben, durch mein Werk versucht (auch für andere!) zu verarbeiten! Jetzt soll es eine neue Vergiftung geben? Jeder weiß, wie wichtig dieser Schatz der Erinnerungen für jeden Menschen ist; für einen Autor aber sind sie fundamental, die Basis seines Werkes. Diese Liebe zu meiner Stadt soll nun neu vergiftet werden?

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Die Capesius-Nichte Rus-Capesius hat mich in der kleinen „Hermannstädter Zeitung“ (9. Juli 2010. hz@logon.ro) unter dem Titel „Alte Wunden neu aufgerissen“ attackiert und quasi wegen „Capesius, der Auschwitzapotheker“, der übrigens als Massenmörder in Rumänien zum Tode verurteilt worden ist, in Deutschland kam er mit 9 Jahren im Frankfurter Prozess davon, zur Verantwortung gezogen, unter heftigem Kopfnicken „meiner“ Sachsen, sozusagen das Buch zu „verbieten“, mich zum Schweigen zu bringen.

Nach einigen unhaltbaren Behauptungen, Capesius habe nie in Schässburg gewohnt, nur seine Frau und seine Kinder; Frau Friederike Capesius führte in jenen furchtbaren Jahren 1942-1944 diese Capesius-Apotheke „Zur Krone“, fragt mich die Capesius-Nichte, ob ich denn nichts anderes zu tun und zu schreiben hätte?!!. Ja, ich habe…:
Capesius, jener, den ich aus der Kindheit in S. kannte, und der mit meinen Eltern befreundet war, verwaltete das Zyklon B? Ja. Seit 2 Jahren etwa, seit es nun weltweit bekannt ist, beschäftigt mich immer mehr auch das Schicksal der Täter-Familien, diese Nähe zu meinem „Nest“, auch ihre Psyche, als wäre es meine eigene.
Das Schicksal der Täter von innen und auch von ihnen aus gesehen also, auch die Vier Täter aus meiner eigenen Familie will ich ins Zentrum stellen, Familienbriefe, Familienerzählungen, eigne Erinnerungen etc. aber auch Dokumente kommen hinzu. So verstehe ich durchaus auch Rosel Rus-Capesius, die Rus heissen wollte, nicht mehr Capesius, dass ihr all dieses keine Ruhe lässt, sie quält. Und ich glaube, dass vor allem auch die Frau von Capesius und ihre drei Töchter sehr gelitten haben. Durch die Trennung, die Haft, den Prozess. Den Namen. Das Exil. Und mein nächstes Buch wird sich mit all diesen Schicksalen und Psychen, den Seelennöten, den Gewissensqualen, aber auch dem Seelentod der SS-Täter beschäftigen. Und mit der Frage: Muss der Einzelne vor der Blutspur der Geschichte, ihrem Wahnsinn nicht geschützt werden?


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Doch dann kommt gleich die Frage: Und die Familien der Opfer, Kinder, Babys, Frauen, Alte, die in die Gaskammern getrieben wurden, was geschah mit den Überlebenden, die alleine blieben mit dieser WUNDE?! Im Auschwitzapotheker gibt es mehrere Augenzeugenaussagen dafür.

Und wenn wir uns vorstellen, dass solche Szenen, die auch in meinem Buch geschildert werden, wo 2000 arme nackte Menschen, schreiende Säuglinge, jammernde Kinder, weinende Frauen im Stockfinstern eines riesigen kalten Betonraumes zitternd auf ihren Erstickungstod warten? Der Auschwitzapotheker mit dem Zyklon B sie dann (oft auch persönlich) „erlöste“?
Verblasst mein Mitleid mit den Familien der Täter.

Hier eine Szene aus meinem Buch, eine Prozessschilderung, in Anwesenheit von Capesius im Gerichtssaal und einem jüdischen Opfer-Augenzeugen:

„Vorsitzender: Sie haben hier den Angeklagten Dr. Capesius erkannt. Was können Sie über ihn sagen?
Paisikovic: Er war Arzt und ist einmal mit dem Rote-Kreuz-Wagen zum Krematorium gekommen. Er hat den Fahrer noch um eine Gasbüchse geschickt, weil eine fehlte. Ich kann mich bei ihm keinesfalls irren.
Verteidiger Dr. Laternser: Wollen Sie den Vorfall genau schildern?
Zeuge Dov Paisikovic: Der Mann ist einmal ins Krematorium gekommen mit dem Roten-Kreuz-Wagen. Und sind rüber auf die andere Seite, wo die Gaskammer war. Sie warfen die von der anderen Seite, nicht wo … warfen die von unten. Der Mann sagte so: »Wo ist die Büchse? Wo ist das Zyklon?« Der Chauffeur bringt eine Büchse. Sagt er: »Wo ist die zweite?« Sagt er: »Ich habe nur eine gebracht.« Hat er ihn angeschrien und ihn geschickt, noch einmal … Büchse zu holen.
Vorsitzender Richter: Bitte sehr. Ja. Und damals, als er da war und nach der zweiten Büchse geschickt hat, waren da die Menschen schon in der Gaskammer, dass sie vergast wurden?
Zeuge Dov Paisikovic: Die Menschen waren in der Gaskammer, noch nicht vergast.
Vorsitzender Richter: Ist er da allein gekommen mit dem Rotkreuzwagen, mit dem Chauffeur, oder waren da noch andere dabei?
Zeuge Dov Paisikovic: Es war unsere SS dabei. Der Mann und unser Unterscharführer, Steinberg. Die Gasmaske hat der Unterscharführer Steinberg gehabt. Und er hat das Gas hineingeschüttet.
Vorsitzender: Wie oft haben Sie Capesius beim Krematorium gesehen?
Paisikovic: Vielmals“.

Pein, Schuld, Scham …dass solcher Henker ganz nahe kommen als Siebenbürger…

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Und Frau Rus-Capesius wagt zu schreiben, C. sei „als freier Mensch in seinem Bett friedlich gestorben“, wie Roland Albert, der andere Verbrecher übrigens auch. Und: „hat DS nichts anderes zu schreiben, als alte Wunden aufzueißen“.

DS hat. Er hat auch anderes zu schreiben!! Jetzt auch über die „Rote Hölle“ der Securitate. Aber da hätte Frau Rus jetzt dann Beifall geklatscht, wie viele Sachsen. Es ist mein Beruf, gegen das Vergessen und das friedlich Schlafen und die angebliche Schuldlosigkeit anzugehen!! Mit zu verhindern, dass diese furchtbaren Dinge auf andere Weise wieder geschehen. Denn ich habe mir ein großes Gewicht, das mir keine Ruhe ließ und lässt, als gehörte ich (zumindest virtuell) mit zu den Schuldigen, auch für andere, auch für Frau Rus von der Seele schreiben wollen. Und es ist mein Beruf als Autor als Zeuge der Augenzeugen alles aufzuschreiben! Die Nichte des Auschwitzapothekers aber, sie wagt zu urteilen, ohne eine blasse Ahnung zu haben. Sie hat es selbst so gesagt: Sie habe weder das Buch über das vielleicht größte Verbrechen in der Geschichte der Menschheit gelesen, noch will sie wahrhaben, dass ihr Onkel im Zentrum dieses Verbrechens stand! Es ist unglaublich: Sie behauptet, nicht einmal zu wissen, wofür er verurteilt worden ist!!! Das, wofür er verurteilt worden ist, kann man nicht einfach, wie sie als Argument wagt anzuführen: 9 Jahre lang absitzen, wie ein normales Verbrechen, und dann friedlich in seinem Bett, sogar als „freier Mann“ sterben, mit sich und der Welt gar im Reinen. So etwas Ungeheuerliches zu sagen…


„Alte Wunden“? Für mich sind diese Wunden nicht alt und vernarbt, sondern immer noch offen. Seit über dreißig Jahren arbeite ich an diesem Buch über den so nahen Schässburger Auschwitzapotheker, nicht nur im Versuch, sie zu heilen, zu therapieren, sondern vor allem um Zeugnis abzulegen, gegen das Vergessen anzugehen, diese Wunde offen zu halten. Dabei geht es auch um meine eigne Familie, nicht nur um die von Capesius. Auch meinen Kopf und Biografie hin zu halten: denn wäre ich 7 Jahre älter gewesen, wäre ich (mit der gleichen deutschen Erziehung und Herkunft) vielleicht auch ein SS-Offizier geworden, in Auschwitz oder anderswo eingesetzt worden, nachdem es den Vertrag Bukarest-Berlin April 1943 gab, durch den alle Rumänien-Deutschen zur Wehrmacht und SS eingezogen, ihre Wehrpflicht ableisten mussten.

Aber noch etwas: Diese „Wunde“ erleben wir doch täglich, nämlich, dass die meisten Sachsen nicht mehr zu Hause leben, dass wir wegen dieser SS- Verbrechen und dem Kriegs- und KZ-Einsatz, und dafür ist Capesius das schlimmste Symbol, die Gräuel in Russland auch, bis nach Moskau und Stalingrad kamen, die Rote Armee dann diese Heimat verteidigte, dann unsere berechtigterweise besetzte, die Deutschen in den Rückzug trieb, und dann blieb, das Rote Inferno, die Zerstörung, denn die Auswanderung war unsere eigne Anfangs-Schuld. Die alte Wunde leben wir täglich in der Heimatlosigkeit und in der Fremde.

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Diese offene Wunde: Massenmörder aus unsern Reihen, unseren Familien verdient als Beispiel einen anderen Umgang. Warum müssen immer „unsere“ Sachsen die „Zurückgebliebenen“ sein, die nichts als vergessen wollen oder gar leugnen, dass es unter ihnen solche Fälle gegeben, gar dass es Auschwitz gegeben hat! Da gibt es in Deutschland andere Stimmen von Nachfahren der SS-Täter, denen die Taten ihrer Väter, Großväter oder Verwandten keine Ruhe geben, und die jetzt –anders als die, die alles unter den Teppich kehren wollen - Bücher über diese „Fälle“ schreiben, bedrängt von der Frage: Wie das möglich sein konnte, dass ihr Vater, Onkel oder Großvater zu solchen Massenmördern wurden. Die Zeit scheint genau jetzt erst dazu reif zu sein! Etwa im Falle von Heinrich Himmler, über die Katrin Himmler, die Großnichte von Himmler ein Buch geschrieben hat: "Die Brüder Himmler. Eine deutsche Familiengeschichte", S. Fischer 2005.. Sie nennt ihren Großonkel einen „Jahrhundertemörder“. Oder auch die Enkelin von Wilhelm Boger, der die schreckliche Boger-Schaukel für Verhöre in Auschwitz erfunden hatte, er ist im Auschwitzapotheker porträtiert, hier die Enkelin, die keine Ruhe finden kann. Sie schreibt: „Wegschauen, es nicht so genau wissen wollen, scheint erst mal einfacher. Doch es wirkt hemmend und bremsend in meinem Leben. Und hinschauen ist unendlich schmerzhaft und macht mich immer wieder sprachlos… Auch wenn ich weiß, dass ich selber nicht schuldig bin und nicht mein Großvater bin, empfinde ich Scham und in meinem Herzen ist tiefe Traurigkeit und ein Ozean von Tränen.”
— Ursula Boger

Heilung begann für sie, als sie anfing ihre Gedanken, Erfahrungen und starken Emotionen mit anderen zu teilen. „Es ist ein großes Geschenk, wenn da jemand ist, der Interesse daran hat und mit einem offenen Herzen zuhört.“ Ihr Weg führte sie zu einer jüdischen Psychotherapeutin und ihrem deutschen Kollegen, die zusammen seit Jahren Retreats zu den Nachwirkungen des Holocausts organisieren. An diesen Veranstaltungen nahm Ursula mehrmals teil und konnte dort die heilende Kraft der offenen Begegnung erfahren. Demnächst wird sie auf dem Treffen der Generationen in Weimar von ihren Erlebnissen berichten.




Oder der Fall Baldur von Schirach, dessen Sohn (Richard von Schirach: Der Schatten meines Vaters; München, Wien: Hanser, 2005;) über ihn geschrieben hat, der Sohn zunehmend fassungslos wird angesichts der Greueltaten des Regimes und der Schuld des Vaters, der keine Worte der Reue findet. Viel schärfer greift der Sohn Niklas von Hans Frank, des hingerichteten Gewnergouverneurs von Polen.. „Wenn man seinen Vater verfolgt, wie ich, wenn man in sein Hirn hineinkriecht, wie ich, wenn man seine Feigheiten studiert, und sie wieder findet, wie ich bei mir, wenn man bei den Recherchen sieht, welch Gierzapfen meine Mutter war, wie sie das Generalgouvernement Polen als Supermarkt auffasste, in dem sie als ‚Frau Generalgouverneur‘ die Preise selbst bestimmen konnte, wenn man, wie ich mit ihr, durch die Gettos fuhr und Pelze auflud aus den jüdischen Geschäften, deren Inhaber fälschlicherweise glaubten, durch Brigitte Frank ihr Leben retten zu können, dann kann aus all dem Leid und Hass zwischen den Leichenbergen nur eines entstehen: Die Groteske.“ (tern: Mein Vater der Nazimörder“.). Dann als Buch: Niklas Frank: Der Vater. Eine Abrechnung. Vorwort Ralph Giordano. Bertelsmann, München 1987. Aber auch die Enkelin von Roland Albert, sie ist Wiener Dramaturgin und Filmemacherin, beschäftigt sich in diesem Sinne mit ihrem Großvater. Und daher bin ich froh, dass es auch bei den Siebenbürger Sachsen nun solch ein Buch gibt, das ich schreiben musste.

Auch den vielen, durch Siebenbürger Sachsen Ermordeten zum Gedenken!