Dieter
Schlesak
TERPLAN
Und die Kunst der Rückkehr
Erstaunlich ist, daß heute einiges bisher nur Gedachte
oder in der Literatur, vor allem in der Science-fiction, Vorweggenommene aufs
Unheimliche und Paradoxeste real zu werden scheint; daß auch die jahrtausendealte
Tradition wieder einströmt, wie im Traum
stößt bei dieser Öffnung dem Subjekt das Gewesene zu, es wird wie frische Erlebnisse
aufgenommen, und so Verdrängung schmerzlich aufgehoben, es entsteht nämlich
"das umgekehrte Verhältnis zwischen realem Erlebnis und Erinnerung"
(Freud)
Zu den Anfängen zurückzukehren, bedeutet Heiterkeit. Heiterkeit bedeutet zur
eigenen Bestimmung zurückzukehren. Tao
Te King
Hätte Ihr Buch nicht auch Die Macht der Gefühle heißen
können?
Nein. Denn sie schwanken ja ständig zwischen Macht und
Ohnmacht.
Nichts, was wir bisher produziert haben, ist gegen
Auschwitz eine
hinreichende Waffe. Also müssen wir auf die Unruhe vertrauen. Suchen, immer wieder suchen. Alexander Kluge
I
1
2
Auch
heute sehe ich Jann nackt vor mir: Sie steigt in die Wanne, ins Weiche, ins
Schaumbad. Und dann tauche auch ich für Minuten ein.
Es
klopft, und ich schrecke hoch. Es ist nicht ganz unerwartet meine Mutter. Sie
steht vor der Tür. Ich höre sie:
Ist das Bad frei?
Sie
fagt es so wie früher, als ich mich noch darüber ärgern konnte. Ruft es mit dem
gewohnten scharfen Ton und dem siebenbürgischen Singsang in der Stimme:
Michael,
bist du es? Ich bin daaa.
Ist
doch komisch, genau wie im Traum, der holt uns also jetzt alle ein. Und immer
weiter gehen die Worte vor der Tür:
Host
tea gad geschloofen? Gaden Morjen, gaden Morjen. Wie wunderwunderschön diese
Morgenfrische.
Sie
wirkt so unbekümmert. Sie lebt weiter, und es ist wie immer. Auch bei Jann
fällt mir diese Unbekümmertheit auf, und die ist sehr tröstlich, tröstlich ist
dieses Selbstverständliche, Gottseidank bin ich nicht nur mir selbst
ausgeliefert; als könnte man gemeinsam einen Tag neu erschaffen. So geht’s dann
weiter, auch wenn ich manchmal glaube, es kann nun wirklich nicht mehr
weitergehn! Wäre ich allein, würde alles immer mehr hinein wachsen in die
Erinnerungen, die mich ausfüllen, so daß die Außenwelt immer kleiner wird, ganz
von mir abfällt, könnte dann gar nicht mehr unterscheiden, was nur geträumt und
was Wachsein ist, und dann würden sie mich wohl einmal einliefern: Weiße
Kittel, ein Wagen, alles sehr sauber und alles verschwindet in einer weißen
Landschaft in eisigem Seelenschnee.
Jetzt
steht sie nicht mehr vor der Tür, horcht sie? Unsinn. Mit sechzig fürchtet man
die Mutter nicht mehr, Abnabelung längst gelungen, nun wir sie das Kind, und
doch auch wieder nicht, wenn sie mit besorgtem Blick sagt: Du sollst dich nicht
mehr mit "diesen Sachen" beschäftigen, es schadet dir! Als wäre für
die nur der Augenblick wirklich, nein, auch der ist eine aufblitzende Sekunde
wie immer aus der Vorkriegszeit, als wäre gar nichts geschehen. Als ginge alles
ewig so weiter, jaja, "Ewiges" und "Hehres", das irgendwo
am Himmel hing wie eine stahlblanke Wolke, unten aber der Dreck des
"rauhen Alltags". Warum kommt sie mir, genau wie auch Janns Eltern
oder wie mein alter Freund Adam, warum kommen sie mir so naiv und zugleich
beneidenswert lebenstüchtig vor? Ungebrochen; als wäre es nicht untergegangen,
dieses Leben?
Dies
ist die Frage, so steht wenigstens nichts mehr fest und bewegt sich auch nicht
mehr, und es ist ein fahler Schein, fad und oft sehr abgestanden, daß man
schreien könnte vor ohnmächtigem Warten, es zuckt in den Händen, Lähmung und
nervöses Dasitzen, gefesselt an ich weiß nicht was und ich weiß nicht wie.
Sicher kein idealer Zustand, so haben sie natürlich immer noch recht, kein Beispiel
fällt mir ein, was es dagegen zu setzen gäbe, weil es keines mehr geben kann!
Wie wunderwunderschön, ja. Und dabei redet die Mutter pausenlos weiter, sitzt
im Garten, liest, und auf seinen erstaunten Blick, den sie nicht zu deuten
weiß, antwortet sie entgegenkommend:
Weißt du, ich bin doch aus einer andern zeit! Bin aus einer andern Zeit, sagt
sie eifrig mit dem gewohnten Aufwand an Ton und Geste.
4
So
muß sich einer anhand dieser unvorstellbar anderen Zeit Terplans Irritationen
vorstellen. Ihm schien es nämlich, daß seit seine Mutter hier war, erst eine
Woche, es nun im Garten, in der Küche dieses Hauses, sogar im Schlafzimmer,
eine ganz merkwürdige Vermischung von Zuständen gäbe, fast so, als gingen nun unsichtbare
Geister hier um.
Er
öffnete die Badezimmertür, steckte vorsichtig den bärtigen Kopf heraus, wie er
es in Anwesenheit von Gästen meist tat, und verschwand dann fast geräuschlos in
seinem Arbeitszimmer: Schnell, um sich dort nochmals der Gegenwart zu
versichern. Die grüne Milde der Umgebung sah durchs Fenster herein; still wars,
auch auf dem umgepflügten Feld des Nachbarn; in der Ferne das Meer – blinkend.
Er hörte ein Summen, als hätte er Fieber, aber nur die Zeit stand still. ein
leiser ziehender Schmerz wurde spürbar, der ihn mit kleinen Schlägen weckte und
zu schreiben zwang, denn was er sah, stimmte mit den Gefühlen nicht mehr
überein; und manchmal sehnte er sich nach dem Getöse einer Großstadt, New York
etwa, München oder Berlin, wo seine Freunde lebten, Adam und Chris. Immer
wieder hatte er versucht, in Berlin zu leben, aber immer wieder war er
weggezogen und hatte sich dann im toskanischen Bergnest Aliano in die rasende
Ruhe, in dieses Zentrum, wo trotz allem noch etwas voranzukommen schien,
vergraben, war hinein getaucht, hatte sich damit vermischt, sein Leben völlig
in diesen tödlichen Wirbel einsaugen lassen, der ihn langsam verschlang und
aufbrauchte, als müßte er sich zu Tode schreiben, um endlich auch bei jenen zu
sein, die er seine Personen nannte, um so stellvertretend die Schuld
abzutragen, die an einem anderen Ort nicht abzutragen war, dort, wo die Tat
nicht geschehen war, diese aber ermöglicht hatte – in den schreienden, in den
gebrüllten Befehlen. Dort, wo sie jetzt alle waren: Millionen Opfer und Millionen
von Tätern - in einer unvorstellbaren Ferne des Todes. So schlug er also mit
diesen Hämmerchen seine Zeichen auf das noch unbeschriebene Weiß eines Blattes,
das er hoffte, einmal wenden zu können.
Er
schlug fast verzweifelt die Hämmerchen auf ein noch unbetretenes, weißes
unwegsames Gebiet, Zeichen und zahlen, als säße er vor einem klingenden
Instrument mit 24 geheimen Zeichen, als
wäre es jener verborgene Rest, den der Herrgott nach seinem Verschwinden noch
zurückgelassen hatte, und als müsse man eine besondere Tonfolge wie einen
verlorengegangenen Schlüssel, dazu eine geheime Lautkombination wiederfinden.
Michael
schrieb zuerst den Traum dieser Nacht auf. Und brachte dann den gestrigen Tag
in diese vorgestellte innere Ordnung: sah diesen plötzlich so hell bewußt und
ganz neu vor sich auftauchen:
5
"Es
gibt nichts Gutes, außer man tut es! – Mutter hatte wie jeden Morgen seit acht Tagen
vor der Tür gestanden, geklopft, sie wollte uns, Jann und mich, davon
überzeugen, daß wir uns 'lüften' müßten;
Jann hatte sie schneller überzeugen können. Jann stand in ihrer
Schreibzimmertür; beide öffneten wir unsere Türen also an diesem Morgen, ich
merkte wie ich unter der energischen Obhut dieser trostreichen Einfachheit
meiner Mutter aufatmete, als könnte nun alles wieder neu beginnen. –Wie wärs
mit einer Bergwanderung, sagte sie.
-
Carrara, Michel Angelo... Jann sah mich fragend an, hochaufgerichtet,
erwartungsvoll stand sie da, und neben ihr klein und gebückt, aber unruhig und
agil meine Mutter. Komisch, daß die beiden da zusammenstehn. – Nein, um
Gotteswillen, nein, wehrte ich ab. – Warum nicht?
-
Da wirst du nur depressiv! Kein Grün, nichts, nur weißer Stein. Schöner wär es doch, nach Torcigliano zu
gehen – durch den Wald, wundervoll der Geruch der süßlichen Lianenblüten,
lockte ich! Und auch die Blumen, da gibts wildwachsende Myrten, herrliche
Sträuße könnten wir pflücken. – Und nah am Blick entlang, blau wie der Äther,
eine Glockenblume, kommentierte Jann ironisch.
Mutter
prompt: Vielleicht ist dies der große Gott, vor dem ich mich verneige. Joi, wie
wunderbar, und stürmte gleich trotz ihrer achtzig mit Floh, dem kleinen Hund,
los, als wären wir die Alten. Sie lebt allein. Vater ist nun schon seit
fünfzehn Jahren tot. Sie hat es gut verkraftet. Fast ist es so, als wäre sie
jetzt freier, ungehemmter; er hatte sie ein wenig unter Kuratel gehabt. Sie
spielte immer das junge Mädchen, war es (unangetastet von den Ereignissen) vielleicht
auch geblieben. Aber wer von ihnen wurde schon wirklich 'angetastet'?
Mutter
fühlt den Schmerz des Vergehens, aber sie glaubt nicht an die Abwesenheit. –
Sieh, Blüten, kein Blatt gleicht dem andern, und sie sind so winzig. Und
witzige Kronenköpfchen. Zählt die Gänseblümchen ab wie früher als Backfisch...
er liebt mich, er liebt mich nicht, liebt mich, nicht... liebt mich. Lacht,
wird dann verlegen, als erwache sie. Na sowas. Und dann stehn wir an der alten
Kapelle. – schau, die alte Kapelle! Innen rosa und golden, abgeblätterte
Farben, Wind und regen als Zeitbleichen, was war. Mutter steckt den Kopf
neugierig hinein ins Kühle. Empfinden an Haut und Haar, als zähle sie
Verbotenes ab. Besonders gläubig war sie nie, im Gegenteil. Sie streicht sanft
über das grob-bäuerlich geschnittene Madonnenbild. Und wars nicht so (du
sprichst mir aus der Seele): Da wandern sie durch Pinienduft/ natürliche
Marienlieder/ Maria vorstellbar/ und grün/ in einem spitzen Grashalm/ Aufwärts/
Wachsend.
Vielleicht/
ist er ja gar nicht/ Tot. Dort oben lebt Er/ Unberührt...
Ihre
tänzelnden Schritte, ihre kurzen weißen Hosen, der Oberkörper gebückt, der
Kopf, das Gesicht durchfurcht, lang die fast muskulösen Beine, blaugeädert und
gezeichnet, die Füße in groben Schuhen bewegen sich wie selbsttätig fort auf
dem Wiesenweg; Und wie würde sie böse werden, wenn ich von Zwerg Nase spräche,
es mir hier einfiele, als läse sie es mir am Krankenbett wie früher vor. Früher
siebenbürgische Hausmannskost, Eintopf. Kleinbürgergerüche auch im
Bücherschrank. Du bleibst! Ekel schon damals vor dem Alltag und dem Geklirr des
Bestecks, der Teller. Abwaschen. wie alles wirklich verkommen ist, das spürst
du im Alter; wenn wir die Todesgefühle wie eine allgemeine Krankheit auch auf
den Augenblick übertragen... Daß wir immer noch da sind!? So bewegt sie sich
auf dem Wiesenweg, Füße in groben Schuhen, tänzelnd, wippend, einen rosa Stern
im Mund, in der Hand, Grashalm durch den
Mund gezogen: Joi, wie zu Haus die Steinnelken. Und die andere Hand hält den
Klee. Wo liegt hier das Glück begraben? Nimmt die zu große, zu dunkle
Sonnenbrille ab (die braucht sie wegen der Lichtempfindlichkeit – die Augen
schmerzen und tränen).
-
Ein Fernglas müßte man haben, schade, daß wir kein Fernglas haben, sagt Jann.
Und
Mutter mit ihrer Stimme – wie ein spätes Echo: Joi, kannst du dich erinnern, zu
Hause bogst du dir heimlich Großmutters Opernglas bei.
-
Und hielt es verkehrt, um zu sehn, wie winzig ihr wart.
Blaue
Vitrine, Kredenz wie ein Gebirge aus Glas, vorsichtig hinaufsteigen, das
Futteral innen rot ausgeschlagen: ein Kern mit dem Gerätchen, roch nach Parfüm,
letzte Aufführung im Stadthaussaal, was wars: Freischütz oder Götterdämmerung?
Großvater auf der Veranda, zeitungslesend, vor seinen Nachrichten versunken, so
merkte er nichts, und ich sah mit dem Opernglas hinauf in das blaurote Licht,
oben, wo die Morgensonne blendete: Im Glas dort die Laterna magica, die eine
Geschichte abzog von Dr. Faust und seinem Pferdefuß, Blut floß aufs Papier, ein
Pakt; und wenn ich die Lider zusammen presste, schwammen in den Tränen
wasserhelle Geißeltierchen und Amöben. Mit dem Gucker ins Blaurote sehn!
Meinte, so besser sehn zu können, was Oma, Mama
und Tante Friederike am Frühstückstisch erzählten. Wenn ich das Glas umkehre,
die Vergrößerungsseite auf sie richte: So erzählte ein großer roter Herzmund
aus dem Gräfinnengesicht Tante Friederikes im siebenbürgisch-sächsischen
Dialekt: Und der Fährer kam mät Goebbels uch dem däcken Göring äm ofnen Wogen
ze as. Und der Führer kam mit Goebbels und dem dicken Göring im offnen Wagen zu
uns. Und ich machte ihm einen Frühstückskaffee mit Semmeln. Und Mama tanzte
begeistert auf dem Parkett dazu Czardas, lachte in den höchsten Tönen. Aber
weißt du, was die dicke Frau Sturm geträumt hat, na, das war was, die hat dem
Göttlichen von oben mit dem süßn Bärtchen evangelischen Hendl und Kraut offeriert.
Doch der Adjutant war beleidigt, es müsse schon was Edleres sein, ein Hase,
Wildbret, Rehbraten zumindest. Auch die Knödel schlug er aus. – am schönsten
aber hatte die Oma geträumt: Nämlich, daß er sie auf der Stelle küsste,
wegholte und heiratete. Im Schilderhäuschen salutierten alle Wachen mit weißen
Handschuhen. Die Mannsleut sangen.
Oben
aber, in der Mansarde, gab es die eingebauten Schränke. Und dort suchst du nach
dem Geflüster. Und aus dem Zimmerchen hör ich die Oma, die Mitzmother, zu
meinem Vater sagen, sie schluchzt dazu, und die Tränen fließen ihr über die
Wangen: Kuurt, sie wördn das Künd noch umbrüngen, das Küüünd, schreit sie.
Vielleicht
stimmts, und ich bin noch gar nicht da? Erwache wieder, wer erwacht? Sehe. Wer
sieht? Wer bin ich? Ich sah Mutter vor mir, sie stapfte da in ihren weißen
Hosen, Jann neben ihr. Worüber reden sie? Ich ging ihnen schnell nach, Mutter
wandte sich um: Ah, da bist du ja wieder.
Und
ich sagte ganz unvermittelt: Redet ihr immer noch über das vergessene
Nachtglas? Aber was solls, was willst du denn heute damit, es vergrößert doch
nur unsere Phantasmen; Gegenwart, wann war das? Na schau, sagte Mutter
erstaunt. Es wird jetzt alles unsichtbar, erklärte ich: Alles bildet sich
zurück, wird kleiner und kleiner, auch wir, bis wir wieder ein winziger
Traumpunkt geworden sind! Ist die Welt nicht aus einem mikroskopischen, sehr
dichten und unausgedehnten Kern gewachsen und explodiert, wie aus einer
unendlich konzentrierten Träne?! – heißts, der Urknall also. – Einer hat das
also getan? - Keiner, sagte Jann ganz ruhig: Das ists ja. Aber geh, ist nicht
wahr, stellt Mutter verwirrt fest – und schaut uns beide an, als erlaubten wir
uns mit ihr einen Scherz. Freilich, Jann glaubt sie aufs Wort, was ihre
Verwirrung nur noch steigern muß: - Schau, das Meer, die große Träne – schade,
kein Fernglas!
Dann
gingen wir bis zum leeren Platz, der sich vor uns auftat, ein Ort, wo niemand
mehr wohnt; nur noch die Kirche steht verlassen da. Viele Blumen auf dem
Vorplatz, und der Frühlingssturm heulte von den Höhen, ich meinte das Geknatter
der Gewehre zu hören und das Schreien der Frauen, das Weinen der Kinder. Jann
erzählte, was hier im Krieg geschehen war. Und Mutter ging nachdenklich und
schweigend über diesen leeren Platz; ich dachte, es gibt in Europa kein Land,
wo sie nicht anzutreffen sind diese Schnadmale deutschen Wahnsinns. Mutter aber
sagte vorwurfsvlle: Weshalb hab ihr mich an diesen Ort gebracht... gräßlich...!
Das können deutschen Menschen nicht getan haben!
Es war ein schöner Tag, das Meer blinkte wie
ein Farbklavier in der Ferne, der Horizont war nicht schwebend , sondern scharf
begrenzt, man sah die Insel des toskanischen Archipelags, immer grüne Pflanzen
rochen besonders stark nach dem Gewitter der letzten Nacht.
Inzwischen
waren wir in der kleinen Bar von Santa Anna angekommen; wir saßen auf einer
Terrasse, Weinlaub, grün, über und neben uns der Sonntag. Mama leckte genüßlich
rundum ein eigelbes Vanilleeis, als ginge sie all dieses nichts an; ganz
versunken und fast gierig: Als gelte es, sich noch zu beeilen oder etwas
schnell zu vergessen.. Jann und ich aßen etwas Brot und tranken Rotwein. Ich
sagte: - Roter Kaffee, nicht kalter. und Mama probierte den 'Kaffee', nippte
und lachte verschmitzt: Ist ja Wein! Scherze – um zu vergessen? Dazu gehört ein
Lachen, als lebe man dabei schneller. Und Wortverbindungen fielen ihr ein: Wein
und Brot gegen den Tod.
Jeden
Tag war sie da, diese Angst, auch Mutter könnte sterben, auch sie einfach nicht
mehr da sein, der letzte Mensch und Zeuge der Vergangenheit: Dieser Ort, wie
weit hat er sich doch schon entfernt, wird einmal ausgelöscht sein und
verblasst schon mit ihr, tönt, schluchzt und schlägt zu, da ich jetzt nur noch
aus dem Vergleich lebe, einiges beim Namen nennen kann: Was wir so in der
Gegenwart sehn, erscheint oft unter jenem innern Namen. Mutter sagt zum
Beispiel: Joi, sieh den Schatten, den Wald, grüner Wald wie zu Hause, eine
Wand, grüne Wand, lauschig, Taumel meine ich, als hätte ich Schwammerl
gegessen, als hätt ich einen Schwips oder wer weiß was, Der Mai ist gekommen,
die Bäume schlagen aus. Oder Pilze, Parasole, die wir hier unter den Kastanien
am Brunnen sahen: Sieh ein Parasol, Pilz, weißt du noch, Tante Cäcilie hatte
fast damenschirmgroße Parasole unter den Tannen, Staubwolken riech ich, ihr
rotes Mauthäuschen gleich an der Straße, und über die Felder liefen wir an den
Fluß, an die Kokel baden, Krümmung, Wasser, einer ertrank, das passierte, in
den Letten wurde er wieder gefunden. Andreas, du weißt, Andreas mein Cousin,
wir liebten uns sehr, die ganze Kindheit, die war gemeinsam, der fand den
Ertrunkenen, Andreas, sonst ein Familienathlet, schöner Bub, schöner Mann, war
wie ein Siegfried, blond, wasserblauäugig, aß fünfzig Zwetschgenknödel, rief
menj Boch jubiliert, und mit ihm holten wir riesige Parasole, unter den Tannen
standen die Geheimnisse wie Wichtelmännchen mit riesigen Hüten, wie Chinesen
oder so. Schööön.
Du
weißt, wo Andreas während des Krieges gewesen war, sagte ich.
Bitte,
mach ihn nicht schlecht, sagte sie und redete unbekümmert weiter:
Parasole
hatte Andreas in den Fäusten: Unter den Tannen... und Pfifferlinge kamen in die
Tokana und Täublinge mit Speck gebraten, wir aßen, Vater aß keine, fürchtete
Pilzvergiftungen, ganze Familien starben bei uns an der Verwechslung: Sie aßen
arglos Knollenblätterpilze.
Ja,
was ist der Tod - eine Verwechslung?
Während
sie eifrig gestikulierend erzählte - sie kann das – leckte sie begierig an
ihrem Eis, das süß-klebrig auf ihre tadellose weiße Hose tropfte. Joi, da habe
ich mich bekleckert; und wischte und wischte, zu Hause muß ich mir die Hände
waschen, unbedingt. Du kannst es auch hier in der Wirtschaft, sagte ich: Dort
die Tür zur Toilette. Komisch, Mutter konnte diese Tür nicht öffnen, war fast
schüchtern in der fremden Umgebung auf der italienischen Sonntags-Terrasse mit
den Karten spielenden und trinkenden Männern, sie brachte die Tür nicht auf,
sie sei verschlossen. Gehen wir, es ist zu laut hier, lieber in die Natur, in
die Stille! Sonst ist sie doch laut, und hier nun hilflos wie ein Kind, diese
Eisentür, grün gestrichen, der Beton dieser Terrasse rissig, darauf stand sie
nun... Wie aber, wenn ich diesen Beton sehe, es gibt Worte, Beton – da denke
ich an ein kleines Beton-Regenwasserbassin im siebenbürgischen Garten, unter
dem Klofenster, Worte, die Mutter, sie sagt es, nicht mag – Beton-Kammer, im
Beton mauerte die Mafia ihre Opfer ein... Beton. Grüngestrichene Tür aus
Eisen... Zellen, Baderäume, Andreas weiß es besser... Wenn ich in seinen Kopf
hinein sehen könnte, fragen: Andreas, woran denkst du bei rissigem Beton oder
Eisentüren, oder wenn aus dem grünen Kachelofen etwas Gas ausströmt. Als bei
uns in Schäßburg einmal Wehrmachts-Pferdebaracken brannten, roch es nach
verbranntem Fleisch, nach verbrannter Haut und angesengtem Haar, neben der
Lederfabrik wars, lichterloh brannte es, ja, da lagen Schwaden süßlichen Gestanks
über der Stadt; sonst rochs nach Lohe am Kokelufer, zuweilen nach Kadaver,
abgezogenen Fellen, Haut, ja auch Haarberge gabs, Gerbsäure in Bottichen.
einmal fiel ein Kind in den Bottich mit weißlich schäumender Gerbsäure, sagte
Mutter, wie schrecklich; man brachte das Kind ins Spital, die Säure hatte den
ganzen Körper zerfressen, Haut und Fleisch fielen Stück für Stück ab, bei
lebendigem Leib fielen sie ab; das Kind starb nach wenigen Tagen. Der gute
Hans-Onkel, der Bruder meiner Mutter und Tante Cäcilies Bruder, sagte sie, der
Hans-Onkel, der mit den guten Händen, er war Arzt, du weißt, ging täglich ins
Spital, aber er konnte auch nicht mehr helfen, - er ist natürlich tot, der alte
Arzt. - Er war nicht alt. - Aber er ist tot. Und Andreas auch. – Natürlich. –
Woran, wenn er dies jetzt hören würde, dein Cousin, der Blonde, der Offizier
bei den Wachmannschaften war, du weißt? Woran würde er denken? – Nervös soll er
gewesen sein, konnte auch das Wort Beton nicht mehr hören und sehen, hatte eine
Phobie gegen jede Art von Rauch.
Am
nächsten Morgen sagte Mutter, sie sei in einem Traum an jenem leeren Platz mit
der Kirche gewesen, sie habe die Menschenmenge auf der Dorfstraße gesehen, doch
die Freude sei mit einer großen Angst vermischt gewesen. Dann aber habe sich gezeigt,
daß diese Angst gar nicht so unberechtigt gewesen sei, denn die Leute hätten
alle gehetzte Gesichter gehabt, sie wurden nämlich von Russen mit Hieben zusammengetrieben.
Aber
Mama, es waren doch SS-Leute in Santa Anna! Sagte ich.
Sie
aber völlig unbeirrt: Nein, russische Gewehrkolben schlugen zu, und Fäuste von oben... vor allem
Greise, Frauen und Kinder wurden so mmißhandelt von den Russen. Es war ein Gewühl
– und das Portal der Kirche stand weit offen, und mit Kolbenhieben wurden die
Sachsen da reingetrieben, in der Kirche zusammengepfercht, denn es waren ja
viele, sehr vieel! Immer mehr und mehr Sachsen strömten mit entsetzten
Gesichtern ins Innere der Kirche, der Platz vor der Kirche aber war übersät mit
Stöhnenden, Verwundeten, am Boden Liegenden, Schreienden und Toten, nur manchmal
noch einzelne Schüsse, wenn ein Russe
den einen oder anderen Verwundeten erschoß. Im linken Kirchenschiff, wo ein
Platz auf einer Empore oder Tribüne, die schnell in einen Altar verwandelt
worden war, bauten einige Russen hastig ein Rednerpult auf, und über den
Beichtstühlen wurden Galgen errichtet, darunter aber standen nun die Gefangenen
und sahen zu. Einige von ihnen kannte ich gut, sagte sie, und man hatte mir
gesagt, die Hinrichtung solle gegen Abend stattfinden, es war aber erst zehn
Uhr vormittags. Es hieß, nur wenige Auserwählte sollten gehängt werden, am
Abend würde man die Kirche mit den vielen Mensch4en in den Kirchenschiffen
anzünden. Gräßlich!
6
Kindheit,
am Fuß des Himmels, blau, ein Leben lang: das
Guckloch hinüber und nah. Berühren.
Barfuß
liefen wir über die nackte feuchte Erde, fühlten Zementboden im Keller,
Sonnenstrahlen fielen durchs Laub, zeichneten Muster auf alles Wegen; alles wie
frisch gewaschen. Wir liefen durch Pfützen, Lehm, Gras zwischen den Zehen...
Differenz, termini, Wörter, erst jetzt wie ein Kloß im Hals, etwas geduckt die
Phantasie, die Türen geschlossen; oft zementboden.
Damals
die Holzwege noch voller duftender Blätter, die Sonnenkringel, Kreise an der
warmen Hausmauer: Muster auf dem Sandboden, unsere nackten Füße tasteten sie
ab; und jetzt kehren sie wieder im Traum: ein Widerschein von Licht, hallend,
dichtes Leben, eine Wiederkehr, ein Kreis...
Am
Grabenrand hinter der Sommerküche, auf der Zisterne, unter den Rusterbäumen die
Sonnenkringel, Schattenflecken, Muster werfend: Da wars schön kühl. Bei
Familienfesten eine Durchreiche aus der Küche fürs herrliche Weinsteinkraut;
der Graben: Holz- und Hohlweg rätselhaft, Mäuse in der Sommerküche, Angst der
Frauen, sie könnten in die Scheide... in Kaminen über der Sommerküche der Uhu,
zog die Lider den ganzen Tag verschleiernd übers Auge, und wenn der seinen Flug
nachts zur Mäusejagd begann, als wollte er jene Angst auslöschen, träumten wir
bereits. Zehnuhrkinderflüge – kein Problem, alle konnten wir fliegen,
Schwerkraft aufheben, in uns noch keine bleierne Melancholie und Müdigkeit,
Schwere, die zu Boden schlägt. Auf der Holzbrücke über den Graben noch
trappelnd Roß und Reiter spielen, Blinde Kuh, Verstecken mit Onkel Andreas und
Onkel A. und dann wieder auftauchen, kein Problem.
Ein Hahn hatte
schon ganz früh morgens um fünf gekräht, und etwas später kam die Sonne, es kam
der erste Sonnenstreif, und der fiel in Terplans Zimmer auf eine weiße Seite-
es schien Terplan, als bringe der Sonnenstrahl eine Ahnung aus einer ungeheuren
Ferne, wie die Vögel, aus denen es heraussang, wie die Kreaturen, auch die
Blumen, die noch ganz unbewußt in der Welt ihren Schlaf und ihre ruhigen Träume
träumen, und daher glücklich sein mussen" ein Wunder also und doch ganz
wirklich, dachte Terplan, während er die Treppe in den Garten hinabstieg, um
sie zu begrüßen, als sähe er sie heute zum erstenmal. In diesem Alter der Welt, müssen wir ganz
langsam und zärtlich mit Menschen und Dingen umgehen, dachte er, es ist
vielleicht der einzig mögliche Widerstand heute in der Zeit-, und duckte sich
nicht wie sonst, zog die Schultern nicht wie sonst ein, wie früher der Halbwüchsige, als ihm seine Mutter sagte,
Michael, steh gerade, du hast wieder deine schlechte Haltung-, und ihm dann
einen Stock zwischen die angewinkelten Arme steckte , die wie rückgebildete
Flügelstumpfe ausssahen. Haltung, ja,
das sollte wichtiger sein als Fliegen, von dem er immer geträumt hatte, und als
Kind ging er abends gerne schlafen, weil er dann meinte, fliegen zu können.
Der Morgen ist so taufrisch und jung,
und Terplan hatte plötzlich wie als Kind Lust zum Barfußgehen im Morgengras-,
es ist alles wie eine glückliche Fügung, dachte er, kein Wunder es schwingt
alles in Duft und Klang, es riecht nach Pinien und nach frischer Frühlingsluft,
nach Berg und nach KarrünrauchUnd ein Vogel, wohl eine Schwalbe, schien eine n
chliche Stimme zu haben. Man mußte alles aufnehmen, dachte er, auch
die Traum( d lan"sam, alles ganz langsam tun, mit vielen Pausen und
ruhigen Atemzügen. Was sollen da noch
Worte. Und er erinnerte sich, wie er sie
als Kind gar nicht gebraucht hatte, er war schwer mit ihnen zurecht gekommen,
und hatte in der ersten Klasse den Lehrer immer nur angestarrt, verdämmernd,
war fast eingeschlafen, saß da mit einem Ring um den Kopf, und wenn er
aufgerufen wurde, hatte er nur gestottert, er hörte aber, horchte, was die
anderen sagten, und es schien ihm dann, als zerrissen sie zwischen den Zähnen
die armen Dinge, Tiere und Menschen, und er beobachtete genau@ sie sahen das Huhn
nicht an, wenn sie "Huhn" sagten, stachen mit einem langen Messer in
den Hals des Huhns, durchschnitten ihn, und das Huhn gackerte wild, das Blut
spritzte, das Huhn lief ohne Kopf im Hof her-um, bis es ohne Kopf eingefangen
wurde, Blut rann in eine Schüssel, und er war erstaunt, wie dumm die Worte sein
konnten, "Huhn", "Blut" "Laufen",
"Holz", das er erst vor kurzem "sagen" konnte, wie ein
Kotzbrei hatte damals das Gebilde vor ihm gelegen, und er hatte oben auf einem
wackligen Gang gesessen, von unten stank das Klo herauf, das Eisen des Ganges
war von der Sonne warm gewesen, das Holz auch, und roch so gut wie das eingelassene
Holz der Brücke über den Bach, oder die Holzscheite, und die Balken auf dem
Dachboden, wo die Wäsche ausgespannt wurde, Taubendreck weißgrau auf dem
dimpigen Balken, da konnte man kaum atmen, eine Biene summte, zwei drei Bienen
über seinem Kopf summten, sie wollten zu den Blumen, zu Thymian, Lavendel,
Majoran, zu den Weiden und Lindenblüten an der Straße, und sie dufteten, Duft
kam die Nase hoch ins Hirn wie eine Droge, und war wirklicher, war viel näher
als Worte-, und er sah plötzlich das Gesicht seiner Kinderfrau vor sich, wie es
sich wollüstig verzog, wenn sie an der frischen Erde roch, und er war freilich
viel zu klein gewesen , um zu verstehen, was die Leute damals in Siebenbürgen
behaupteten, daß es eine zweideutige Ehe gäbe zwischen dem Blütenstaub und der
Frau, Duft, Pollen und Geruch, große Nasen offene Löcher, lüsterner Mund, und
ein Lippenblütler unter dem siebenfältigen Rock- Geruch und Rausch der Feldblumen
und dem Orgi.gmils im Heuschober oder in der Scheune, den die Magd damals vor
den Augen des Kindes vollzog, das neugierig zusah, die Magd mit Ernö fickte,
dem grobknochigen Knecht, ihrem Lieben Gott, der aber nun als Tier nüt vier
Füßen schwer atmend auf der Frau lag, schnaubend und hechelnd im Rhythmus der
ihr gemäßen Natur und den hochschießenden wunderbaren Säften- Alles roch nach
Erde, Heu, Zwiebeln, Kaminrauch, und sauer nach Schweiß, nach festem Boden, und
nach einem andauernd sicheren Glück- Das Kind hatte kaum sprechen gelernt, kaum
laufen, wie sollte es da etwas vom schnellen Zeitempfinden wissen können, hie
und da ein stinkender Uraltford auf staubiger Landstraße, der wie ein Ungetüm
krachend und hupend dahinkroch und 20 Kilometer in der Stunde zurücklegte, da
war noch im Geruchssinn, und am stärksten nackt in der Sonne und im
Frühjahrsgras einer Blumenwiese, eine so starke Wahrnehmung des flüchtigen
Daseins auch im Parfüm seiner Mutter, nur außen schlugen manchmal Uhren mit
langen Pendeln, sogar Kuckucksuhren mit einem bunten Holzvogel, der vor Schmerz
zu schreien schien, daß schon wieder eine Stunde vergangen war, wenn er dort im
Türchen erschien-, ein Tag war eine Ewigkeit, lang, lang, wie heute ein
Jahr. Und ein starkes, fast schreiendes
Gefühl für sich selbst dort im Geburtsloch erinnerte Terplan sogar heute noch,
er erinnerte sich, und blitzartig kamen die Empfindungen, taten fast weh, und
er wußte, daß er durch ein haariges, stark riechendes Tier, durch einen
Schlauch im Dunkeln rausgestoßen worden war mit klebrigem Blut hinaus ins
Kalte. Und daß er vorher in einer ganz
anderen, einer großen Stadt gelebt hatte, wo man fliegen konnte, un je er
Gedanke
sofort zu einem Ding oder zu einem Menschen wurde, und daß man sich hier auf
der Erde lebenslang wie nach einem verlorenen Zuhause sehnte, und nur nachts
manchmal im Traum dort 'in jener Stadt sein durfte. Früher, da tat er nie etwas anderes, nur das,
was er sah, jetzt aber waren seine Augen müde, Einsamkeit der Auge@hatte jemand
gesagt, und er hatte nun auch hier in diesem to@-schen Bergdorf, wohin er
seiner Kindheit nachgezogen war, etwas Neues geübt, zaghaft und langsam an die
Dinge heranzugehen, als wurden sie sich wieder 'ins Inkognito zurückziehen
können, die Bekanntheit, die ihn fluchen ließ, aufgeben, und sie.so, wie als
Kind aus der Sprache fallen lassen, scheues Auftreten angesichts des unfaßbaren
Abgrundes bei jedem Schritt, Respekt, anstatt des heute üblichen Zynismus. Erleuchtung der Langsamkeit, dachte Terplan:
Nie, nie schnell werden. Anstatt nur
Erinnern, lieber wirkliche Pausen; Zartheit, Zärtlichkeit, schon mit den einfachsten
Dingen und durch sie, wenn wir es merken, scheint etwas Undenkbares
hindurch. Und er legte die Hand auf den
angewärinten Stein der Treppe, auf dem er jetzt saß, und tastete die
Vertiefimgen und Rillen dieser Landkarte einer steingewordenen Erinnerung von
Milliarden Jahren nach, ließ dann auch den Stein seine Finger abtasten, den
warmen Körper, die Waden. Und die Katze
schmiegte sich mit zwei ihrer Jungen, reizenden flaumig geschmeidigen Geschöpfen,
die keine Schwerkraft zu kennen schienen, an ihn
an,
und sprangen in kurzen hohen Sätzen dem Spiel der Sonne und 4
Schatten
nach.
Doch er war sich seiner selbst und seiner Stimmungen und
Zustände nie sicher, Templ'm war sich nie sicher, als wurde ihn täglich jemand
zwingen zu vergessen, wer er wirklich war; und vielleicht waY' sehr viele, unzählige
Personen schien er zu sein, und viele kannte er gar nicht.
7
In
dieser Nacht träumt ich etwas sehr wichtiges. Als ich aber erwachte, hatte ich
natürlich diesen wichtigen Traum wieder vergessen, die Zustandsgrenze war
unmöglich zu überwinden; in der eignen Wärme geborgen, noch lange liegend, Jann
neben mir, ruhig atmend, versuchte ich, ihn wieder in mein Bewußtsein zu holen,
was nur ganz allgemein gelang: Das Leben auf unserem Planeten hatte sich
radikal und entsprechend unseren Herzenswünschen und unserem Wissen von der
Richtigkeit, die hier zusammentrafen, verändert. An Details freilich konnte ich
mich überhaupt nicht mehr erinnern, doch es war mir klar, daß diese fabelhafte
Revolution nur im Jenseits, zu dem wir schon längst gehören stattgefunden haben
konnte.
Als
mir dann für einen Augenblick die Gedanken ausgingen, spürte ich unter der
Decke meinen großen Proletarier, und ich mußte lachen, deshalb also war ich so
optimistisch gestimmt gewesen; hatte also vielleicht von einer Frau geträumt.
Und freute mich auf sie. Da wird, wenn auch in viel kleinerem Rahmen, ganz
sicher etwas Entscheidendes geschehen. Ist doch keine Schande. Denk an Beatrice
oder Grete. Unsterbliche Geliebte. Wo kämen wir hin, so ganz ohne, mit der
lebenserhaltenden Poesie! Und dieses abgelegene Haus ist für heimliche
Begegnungen und allerlei Beziehungen recht gut geeignet.
Auch
die Sonne kommt bis zur Stunde und eben nun wieder zuverlässig jeden Tag, ist
doch ein Wunder, und wir sehen es kaum, meinen, es stehe uns zu und sei
selbstverständliche Folge, wie wenn ich den Lichtschalter andrehe, und die
Lampe brennt, kleiner Alltagszauberer kurzschlüssigster Erfahrung. N' Morgen,
Herr Cogito. Sonne war gestern da, also kommt sie auch heute wieder und morgen
sowieso. Damit steht und fällt "alles".
Nach
dem Frühstück mit Jann und Mutter, wir konnten schon draußen sitzen, und über
den Bergkamm des Spranga blendete dann auch die Sonne auf unsern Tisch vor dem
Haus, konnte ich es dann doch nicht lassen, in meinem Arbeitszimmer nach dem
fehlenden Wort zu suchen, immer noch in der Hoffnung, jenes fabelhafte Erlebnis
dieser Nacht doch noch in den hellen Tag zu holen. Doch fand ich dieses Wort,
obwohl ich manchmal meinte, es liege mir eben gerade auf der Zunge, natürlich
weder in meinem Gedächtnis noch in einem Wörterbuch, ich nahm sogar baskische,
toskanische und siebenbürgisch-sächsische Nachschlagewerke dazu. Und auch eines
der unterdrückten erogenen Zonen, das eben erschienen ist.
Trotz
allem schien dieser Kampf gegen das Vergessen sehr nützlich gewesen zu sein;
abgesehen davon, daß ich mich entschloß, von nun an ein Traumtagebuch zu
führen, wurde ich hier von einem ganz langsamen Diktat auf die Zeile gezwungen,
das das dort Erlebte zwar nicht unmittelbar in unseren Raum holte, doch schön
meinen zustand wiedergab. Herrn Cogito nämlich rauchte der Kopf. Doch als er im
Durchbruch endlich Licht sah, zählte er die Sterne seiner neuen Blitze. und als
alles darin verbrannte, war er ganz durchsichtig. Und er durchschaute sich. die
heute so weitreichende Empirie verbrannte er im Hirn wie in einer Müllverbrennungsanlage.
und so rauchte tatsächlich sein Kopf mit Erfolg: Da diese Logik sich selbst
aufdenkt und nicht vergißt und den Kopf zerbricht, kann die Liebe nun
aussteigen zu allem was nur so anscheinend draußen liegt. So schrieb ich.
Als
ich zufällig auf den Abreißkalender sah, wurde es mir komisch zumute. Jemand
hat darauf geschrieben, am Dienstag wird alles besser. Pfingsten bedeutete noch
immer, steht aber andauernd aus, sagt man bei uns in Transsylvanien.
Geschehen
ist bisher genug, ja, viel zu viel. So ist der Stand der Apokalypse ziemlich
ordinär geworden. Als Anlaß dient der Streit um eine berühmte Frau, der wir
alle unser Dasein verdanken, eine Kuh übrigens, sie heißt Europa, griech.
semit, von der Sonne Entfernen, Untergehn. Da ich aus dem Osten komme, denke
ich, dort sei ich der Sonne näher gewesen. Das ist gar nicht so lange her; seit
einer Woche nun endgültig, da ich fast schon entschlossen bin, die Hauptfigur
nach Hause zu schicken! Ganz schlimme Krankheit nämlich, dahin nie mehr
zurückkehren zu dürfen, wo man täglich, ja stündlich mit den Gedanken sich
tastend aufhält. Ich halte es fast nur noch schreibend aus, da kann mir niemand
in meinen Phantasiegebieten den Aufenthalt verbieten, sie sind vorwiegend transsylvanischer
Art, dienen ihrer Erhaltung, Kindeskinder und Waisenkinder, die buchstäblich im
Leeren hängen, eine Art Abgrund für diese Grenzgespenster. Seit sie mich vor 25
Jahren weggejagt hatten, meine ich nun zwischen die Beine dieser höchst grausamen
Frau gekommen zu sein und nun auf einem ost-westlichen Diwan zu liegen, wo mir
unter örtlicher Betäubung sämtliche zähne gezogen werden.
Meine
einzige Freude ist die Lust auf dem Blatt hier, das ich noch wenden kann. Auch
die Lachlust jetzt.
Doch
die einschlägige Literatur, der ich mich so (leider bedenkenlos und naiv anfangs)
übergab, ist erschöpft.
Zu
Hause galt sie noch etwas, Worte waren gefährlich. Narrenfreiheit würzt nun
meine Tage, macht die Ohnmacht erträglicher. Und das Bewußtsein, ausgewiesen
worden zu sein, wie der erste Mensch. Und den Tod fürchte ich wie dieser. Meine
Bemühungen, ein heiliger zu werden, mußten also scheitern. Und die Versuchungen
stehen nun Schlange ; anstatt alte Engel – junge Frauen.
8
Nachmittag
am Meer. Ich ging ins flaschengrüne Wasser, windkühl der Sand, Südwind, zwei
Kinder spielten neben dem Treibholz am Ufer, aufgewühlt das Meer, plötzlich
schrie das kleine Mädchen, der Vater rannte hinzu, um das in einer schäumenden Welle
Verschwindende wieder herauszuziehen. Strafend sah eine unter ihrem roten
Damensonnenschirm strickende Oma herüber zu den Fahrlässigen, Wassertriefend
kam ich an den Strand, nahms blaue Handtuch, meine Mutter saß im windkühlen
Sand und las in einem Buch, hochgezogen die Augenbrauen, ich winkte, meine
Mutter also da an der Sandburg mit Kinderfahnen und Kinderburgen und
Kindertürmen und Kinderkirchen aus Sand, auch sie also ein Gast hier, andauernd
die Gäste auf unserer 'Insel', doch kommen sie nicht aus dem Unerwarteten,
Offnen, von dort, wo sie Himmel und Erde berühren, sie kommen aus dem, was war,
das Überraschende muß dann hier entstehen. Ich sehe ihr zu, vorher war sie im
Wasser gewesen, klein, man sah nur ihren Kopf, die Schultern, die muskulösen Beine
unsichtbar, jetzt gehen meine Blicke über ihren Kopf, das schüttere Haar, als
wollte ich versuchen, in ihren Traum einzudringen, als könnte er sich mit
meinem vermischen, sich ein gemeinsamer Raum bilden, jetzt – die Geschichte vom
Herrn G., , der heute das Leben regiert nur noch wie in einem Buch, jetzt,
nachdem der alte Herrgott sich nirgends mehr zeigt. Seither, seit über vierzig
Jahren, aber gibt es kein wirkliches Leben mehr, nur noch dieses: das vergangen
ist.
9
In
der Nacht hatte Mutter wieder schlimme Träume gehabt; meist gehen die Träume
heim, todesgetrost heben sie ab, fallend; auch diesmal wars das heimatliche
Labyrinth, fadenlos irrte Mutter ab. Jedesmal Hinterhöfe und Gärten, aber immer
wieder Zäune und Gatter, vor denen sie abgesperrt stand und besuchte ihre
Eltern, wollte an der Kokel ankommen, im Elternhaus ankommen (man weiß, es
steht nicht mehr) – und kam dann an den Marktplatz. Hoftor, Eingang, wer weiß
in welche weingeistduftende fassartige Höhle... Hier erfuhr sie, ihre Mutter
sei doch da; Stricken und Schwatzen, an der Fassade wehten Hakenkreuzfahnen und
Staatsfahnen, und eine Blasmusik von fern spielte Muß i denn, muß i denn. Und
du mein Schatz bleibst hier.
Es
war mir klar, erzählte sie: daß es diese Stadt nicht mehr gibt. Und eine Katze
kratzte mich ganz tief am Arm, es blutete heftig, Fleisch war zu sehn, eine
Wunde. Der Arm schien wie amputiert abzufallen, ich schrie und erwachte.
Aber
auch Mutter hatte wieder schlimme Träume gehabt. Und Jann sagte, ihr träumt
zuviel. Warum?
Schlimm
war aber auch der wirkliche Augenblick im Bad. Ich hatte in der Wanne meine
Füße ganz weißlich wie Totenfüße vor mir gesehen, sie kamen mir plötzlic so
fremd vor, allem die langen Beine, die sich im Körper hochschraubten, ich sas,
sie kamen näher, nah, und wenn ich die Knie anzo, konnte ich sei fast mit dem
Mund berühren. Ich tats nicht.
Beim
Frühstück erzählte dann Mutter von ihren Träzumen. Ich sha meine erzählende und
gestikulierende Mutter im schwarzen Kleid wie in Licht getaucht vor mir; ihr
Mund zappelte wie ein kleiner blaßroter Fish. Nachts, wißt ihr, sagte sie, da
irrte ich im Traum, denn da war ich ja eine Zigeunerin, in Schäßburg wie eine
Fremde herum, ich hatte ein langes Pendelkleid an, hatte aufgelöste lange Haare
und war ganz durchnäßt, als wäre ich aus dem Fluß gekommen, so lief ich durch
die Stadt und kam nie an.
Und
dann erzählte sie, wie ja auch ihr letzter Besuch zu Hause schrecklich
gescheitert sei: im Leeren zu Hause. Mutter war im vergangenen Jahr dort
gewesen. Es gibt unsere Stadt nicht mehr, sagte sie beim Frühstück fast tonlos:
Niemand kannte und grüßte mich, und ich konnte niemanden mehr erkennen und
grüßen, obwohl die Straßen, die Häuser unverändert, wenn auch etwas verfallen
da stehen. Freilich: noch da und doch wie längst vergangen da stehen! Sie sei
dann mit der ehemaligen Stadt im Kopf durch die Gassen, etwa auf der Marktzeile
spazierengegangen, habe dann auf einer Bank sanft und wie verloren geträumt und
dann jene Orte besucht, die noch ein wenig wirklich zu sein schienen, die wie
kleine Inseln herausragenden wirklichen Stellen berührt; doch alles sei so
geisterhaft gewesen. Nackt seien manchmal die Gefühle herausgeschossen, so etwa
im Zimmer, wo sie sich als Kind daheim gefühlt hatte, da konnte sie nicht
anders, da mußte sie über den alten schwarzen Kachelofen streichen, behutsam,
als könnte er sich in Nichts auflösen, kalt der Ofen, wenn auch immer noch
schwarz. Ein anderer Augenblick der Wahrheit sein eine Kirchenbank gewesen: Die
Klosterkirche neben dem Haus mit den übertriebenen gotischen Spitzbögen, die
wie Häkeleien aussehen.
-
Du weißt.
-
Ich weiß.
-
Du verzehrst dich danach, all diese Erinnerungen. Weißt du, sagte sie, da saß
ich in der ersten Bank vor dem Dreiflügelalter, du weißt.
-
Ich weiß.
-
Und da kamen alle diese Bilder, ich sah mich als junge Frau, als wäre ich eine
andere. Ich im Dirndl, Vater im weißen Hemd mit Krawatte, immer trug er
Krawatte, auch auf dem Gebirgsausflug, wo wir uns kennenlernten; er also, einen
Staubweg mit Freunden entlang gehend, gestiefelt, ich im Dirndl. Mit Freunden
einen Staubweg entlang gehend, an Wiesen vorbei, oder auf einer Staubstraße
stehend, einige auf dem Lastwagen, andere wieder rauchend und redend auf der
Landstraße, oder er und ich auf der Brechtischen Wiese, ich im Dirndl, er im
weißen Hemd mit Krawatte; zwischen großen Margeriten stehn wir, Geruch von
Waldluft kommt mit dem Wind von der Breite, es zieht aus der Schlucht.
Und
ein Jahr später dann die Hochzeit; auf dem mattglänzenden Bösendorfer Flügel
häufen sich in unserem Speisezimmer die Geschenke, sie häufen sich auch auf dem
Tisch und auf der dunkel furnierten Speisezimmerkredenz. Es war halb vier Uhr
nachmittags. Das Auto, damals eine große Seltenheit in dieser kleinen Stadt,
stand im Hof, war mit Rosen und Immergrün bekränzt... Braut in weißem
Seidenkleid mit Schleppe, zarter Schleier mit Myrtenkranz über dem
Madonnenscheitel, weiße Rosen mit zartem Grün im Arm, Goldkettchen mit blauen
Saphirsteinen und Perlen am Hals; der Bräutigam natürlich Frack, weiße
gestärkte Hemdbrust mit kleinen Diamantknöpfen, Hochzylinder in der Hand. Ein
langer Hochzeitszug, vorneweg das Auto, dann viele Fiaker, vorbei an der Neuen
Brücke, Eiskeller, damals noch an uralten Häusern vorbei, Hofeinfahrten,
düstere Dämmerung, die das Augenlicht flackern läßt, Atembeschwerden wie in
einem langen Faß, dem der Boden ausgeschlagen wurde, altersschwache Türen davor
mit verrosteten Hängeschlössern, dimpiger Geruch, muffiger, weinsäurehaltiger
Moder. Vor dem Altfrauenheim und Paulinenloch standen die Zuschauer, einige
Gäste, vor der Klosterkirche dann der Kirchendiener Löw, genannt Schnich, der
Stundturm schlug, der Trommler oben, 3. September32, ach die Venus da oben in
der Nische, schön nicht, Brautjungfern in pastellfarbenen Tüllkleidern mit
Blumen in den Händen, von der Empore die Orgelmusik des braven Daniel, die
Altstimme dann der Blaszek: Wo du hingehst, da gehe auch ich, dein Gott ist
mein Gott. Nach dem Jawort und allen Zeremonien des Pfarrers Wagner, Hochzeitsschmaus
beim 'Sander', Festtafel mit Alpenveilchen; in einer Ecke die Zigeunerkapelle.
Ich tanze mit dir in den Himmel hinein, in den siebenten Himmel der Liebe. Rede
des Stadtpfarrers und anderer Stadtgrößen. Gläserklingen, Zigarettenrauch.
Festschmaus. Tanz. Hochstimmung.
So
also Mutters Erinnerungsfahrt ins Leere, in die Stadt der Geister. Auch das
alte Stadthaus, den Hof, wo das blumenbekränzte Auto stand, gibt es nicht mehr!
Nachts aber habe ich wieder geschrien, weil mein toter Vater neben mir lag. Und
hörte noch die alte Frau Weiß, die Weißnäherin, die auf dem Zuschneidetisch,
auf dem überall 'Spännadeln' lagen und Stoffreste, Schnittmuster für die
Ewigkeit radelte, auch das Brautkleid, wie sie sagt: Es ist eine scheene
Hochzeit gewesen. Und sie wackelte dabei wie gewohnt mit dem greisen Kopf,
hatte nur zwei Zähne im Mund. Die Singernähmaschine surrte dazu ziemlich laut.
Schlüsselblumen und Klee aber seien immer noch da, und das Herz sei ihr dabei
aufgegangen, hatte Mutter gesagt.
Und
wenn diese Bilder kommen, wärmen sie mich. Immer noch... Wieso kommen sie
jetzt, als wollten sie mir etwas sagen. Sie sagen doch nur: Das war unser Ende.
Ein eigener Weltuntergang steht noch bevor.
Keine
Taufen und Hochzeiten zu Hause und Kirchgänger in Tracht oder Frauen in langen
weißen Kleidern mehr... oder Großmütter mit Runzeln im Gesicht, einige mit
Kopftüchern, Leberflecken und dünnem Greisinnenhaar. Dazu steife Hüte.
Gemessene Schritte. Feierlichkeiten. Und überall die Orgel. nachher die Märsche.
Du
begegnest niemandem mehr, den du kennst. Wenn du Glück hast, siehst du zwei,
drei vertraute Gesichter. Aber ich ging dann die Wege, die ich gern mag, auch
über die Burg. sie ist unverändert; durch die Tore hindurch zu den Türmen. Die
Katzenköpfe, schon damals waren sie abgeschliffen. Überstanden, abgestanden,
vergessen. Zum Stundturm. Zeit... ein Schlag.
Kleinbahn,
die dem Markt zuschnaufte; nachgelaufen war ich ihr bis hinauf zur gelben Post
und zur Konditorei Martini. Jemand schien da abzufahren und winkte und winkte,
und nur noch die Hand war aus dem Fenster zu sehn. Ein schneidender Schmerz
durchfuhr mich: Zu spät, zu spät! – So sah ich meine Mutter vor mir und hörte
plötzlich Vögel singen; Notenköpfe ziehen über den Himmel. Die Erde ist kühl,
an den Fußsohlen Lehm; ich laufe zum Sandplatz, ich fasse mit dem dünnen
Kinderarm hinein in den Baum, ein Astloch da, fasse hindurch bis zum heutigen
Tag, und ziehe den Arm erschrocken wieder zurück, dies Loch könnte zuwachsen,
klemmen, ich wäre für immer gefangen.
Es
ist diese Schwere in Mutters Herz, ihre Abschiedsunfähigkeit.
Sie
versuchen, ihre Wohnungen in Deutschland den alten siebenbürgischen Wohnungen
nachzustellen. Im fremden Raum stehn die verstreuten Reste der alten Dinge; sie
ergeben keine Stimmung mehr, sie stehn verloren da, als wären sie mitgebracht
aus einer andern Welt. Sitzmöbel in der gemütlichen Ecke, auf denen Pölster aus
dem alten Rauchereck liegen, verschwommene Heimatbilder, Gefühle, Gewohnheiten:
Kissen mit rotblauem türkischem Muster von Oma bestickt, ein Rauchservice, das
früher auf dem runden Tisch im Herrenzimmer stand, mehrere Morres-Aquarelle,
vertraute Landschaften, die alte Burg von Schäßburg so an die Wand geworfen wie
vom einer Laterna magica aus der Kindheit, mystische, dunkle Augenblicke, die
aber dem Licht nicht standhalten können, die innere Kraft allein könnte diese
Dinge strahlen lassen.
Herrlicher
Duft. Über den Buner Bergen noch sehr blaß Venus und Mondsichel.
Bratenfett
vom Vorabend längst verduftet, auch Rauch der Petroleumlampen. Die weiten Röcke
der Großmütter lagen auf dem Stuhl neben dem Bett. Staubgeruch auf der
Landstraße, noch kühles Staubmehl, Pferdeäpfel.
Mutter erzählt den eckigen, überschnellen Bewegungen voller
Ungeduld, als wäre sie noch ein junges Mädchen.
Auch die hohe, manchmal etwas rauhe Stimme im vertrauten Dialekt, war
etwas matter: diese Stimme$ die alles veränderte, etwas anrührte, was mich
meine innere Zerrissenheit heftig spüren ließ.
Doch
dann begann sie gleich von Bekannten zu erzählen von einem
fünfundsiebzigjährigen Siebenbürger, der im September nach Hause gefahren
t,"ar, obwohl er bei seinem Alter oft starke Schwindelanfälle gehabt
hatte. Er ist bis nach Schäßburg gekommen,
sagte sie: du weißt ich wollte mitfahren..
Er
fuhr dann weiter Richtung Kronstadt, doch kurz vor seinem Heimatdorf im
Burzenland verlor er das Bewußtsein, das Auto prallte gegen einen
Kilometerstoint gegen einen Brückenpfeiler, schlug dann gegen einen
Chausseebaum' cUe Frau war sofort tot; er nur schwer verletzt.
Ich rf2chj& einen
fauligen, faden Geruch nach Flupwasser. unu verwesung. Irgendwo m@p es hier einen Schlachthof oder
ein Schlachtfeld geben, dachte ich. Eine
Glocke bimmelt4vom gegenÜberliegenden Ufer, dort steht eine orthodoxe
Kathedrale in einem Park,f-@ine Mutter s'tellt mich vor, ich kenne sie alle,
sie kennen mich nicht, sie reden alle durcheinander, ihr Dialekt ist mir vertraut,
einige sprechen andere Rumänisch
miteinander; hinter dem Gartenzaun seh ich Kreuze, ein eisernes Gittertor führt
zu den Kreuzen, ein Nupbaum steht links von dem alten Tor, darunter ist der
Tisch gedeckt, Vögel singen auf dem Baum, ich stehe mit dem Rücken zum Haus,
vor mir der Flup, die Kirche, links das eiserne Tor, rechts ein verwilderter
Nachbarsgarten, an der Ecke aber, noch auf der Wiese ein klobiger Doppelturm,
der eine rund, der andere rechteckig, ein vergittertes Fenster, .Pechnasen und
Schiepscharten glotzen mich an, vergessene, nicht' mehr zu mir gehörende Wehrtürme,
ihr Museum; und es ist Jetzt,' alle sind um den weipcfdeckten Tisch unter dem
Nupbaum versammelt, und es setzt ein bedruckendes Schweigen ein; als sei eine
Todesnachricht angekommen: der Hausherr sagt in die peinliche Stille: Aber
bevor wir zu essen anfangen, mupt du auf dein Zimmer, dir ist das Turmzimmer
zugewiesen worden, die Betten sind wie früher frisch bezogen; ich hatte
plötzlich Angst. Ich hatte es
geahnt. Und nun wupte ich es. Was ich aber geahnt und was ich gewupt hatte,
ist mir entfallen. Einer der Söhne stand auf und führte mich in den Turm,' es
schien mir, als müßte ich jetzt die Welt verlassen, der Turm war grausc hwarz
innen, und nur eine primitive Holztreppe, eine Art Hühnerleiter führte
nach oben.
Mich
wunderte dieses merkwürdige Pühänomen der nebeneinamder herlaufenden
Erinnerungen, die sich dann manchmal treffen, gemeinsam kleine Knoten bilden,
wie eben jetzt; gemeinsam kurz in der Außenwelt erscheinen, sich wieder
zurückziehen.
Fehlt:
Warum lachst du?
Und
jetzt bist du müde geworden, Terplan, sterbensmüde. Wie ausgelaugt,
ausgebrannt, und der Versuch, gegen dich anzugehn im täglichen Umgang mit dir
selbst scheitert. Keine deiner Hoffnungen hat sich erfüllt. Die Jahre schlagen
zu. Lebensekel, Erkenntnisekel würgt dich. Und die gute Jann hast du mit reingezogen,
sie ist das Opfer deines Versuches zu verschwinden.
Und
erinnerst du dich an den ersten Sommer eures Einzugs hier in Aliano – an diesen
schlimmen Haus-Krach. Das Haus voll mit Gästen; ein Bienenhaus, ohne Honig. Da
waren auch die Eltern da, das war der furchtbarste Sommer deines Lebens. Damals
prallten deine und Janns Familie hier aufeinander , Jann und du: Streit bis
aufs Messer. Deine Mutter trug den ganzen Tag eine dunkle Brille, damit man
ihre verweinten Augen nicht sah.
Sie
hatte im Eßzimmer am Tisch zu Gisela gesagt: Ich war immer völkisch
eingestellt, und ich bin traurig, daß im heutigen Deutschland jedes
Nationalgefühl verschwunden ist, als wir ankamen, haben wir dies schmerzlich
erkannt. Und Gisela hatte darauf mit einer leichten Herablassung geantwortet,
wie überhaupt diese Ostmenschen, so schiens jedenfalls, mit dieser freundlichen
Duldung und Herablassung behandelt wurden: Daß man das bei uns in der
Bundesrepublik eigentlich gar nicht mehr so fühlt, "national", das
ist überholt.
Wir,
die aus dem Wald, dachtest du voller ohnmächtiger Wut, arme Hergelaufene, in
jeder Hinsicht ohne Vermögen. Wir Habenichtse haben natürlich im neuen Haus
auch gar nichts zu sagen und zu bestimmen. Gisela belehrte die andere mit ihrem
Informationsvorsprung.
Du
hattest deine Mutter unbeherrscht angebrüllt. Sie hatte tagelang im Bett
gelegen. Vater hatte neben ihr gesessen und hilflos gemurmelt: Ich laß das
nicht zu, daß man meine Frau so behandelt.
Sie
hatte geweint, sie saß vor dir, die Hände vors Gesicht geschlagen, wie ein
Schrei ihre Tonlosigkeit da, nur unterdrücktes Schluchzen, selten, ganz selten
eine starke Welle von Weh. Und wie du da an der Tür standest, hilflos redetest,
redetest, ununterbrochen, dich von dem Raum nicht lösen konntest, wo sie saß,
wo die vergangenen Jahre anzukommen schienen, so voll besetzt das Zimmer von
ihnen, daß gar kein Platz mehr da war, daß du selbst dich kaum bewegen
konntest, wie angewurzelt da standest oder dich vorsichtig bis zum Fenster
bewegtest, hinaus sahst, als könntest du so wieder entfliehn, Atem schöpfen,
ruhiger werden.
In
der Nacht hattet ihr beide kaum geschlafen; ein starkes Gewitter wie die
Stimmung, Sturzbäche von Frühlingsregen waren auf das Dach gefallen, dazwischen
fahle Blitze durch den geöffneten Spalt des Fensters. Erinnerung an den
Wutanfall: Als wäre nun die seelische Arbeit von Jahren zerstört, als wäre die
nun völlig vergeblich gewesen. Auch später immer wieder Kräche auch mit Jann,
als wären sie zurückgeworfen worden in die düstere Zeit des Anfangs, als sie noch
jünger waren und dieses elementare Aufeinanderlosgehn noch ertragen konnten.
Schlichen mit sandigem Gefühl und höllisch gestörtem Gleichgewicht die nächsten
Tage durchs Haus, wortlos aneinander vorbei, mit verweinten Augen.
Jann
brachte ihn zur manchmal Weißglut, indem sie ihm seine zu langsamen Reflexe,
seine Abwesenheiten und seine Anpassungsmängel an den westlichen Lebensstil
ankreidete, dauernd an seinem Verhalten, an jeder Handbewegung, an seinem
geduckten Gang, seinem Autofahren, seiner Sprechweise, seiner Art einzukaufen,
zu essen, sich zu waschen etwas auszusetzen fand. Schon im ersten Jahr die
Hölle. Sie saßen dann da mit
versteinertem Gesicht und künstlicher, verkrampfter Kälte um sich, verbissen
und sich selbst strafend in ihrem Elend, in diesem Jammer, den sie nicht anrühren,
den sie nicht öffnen konnten mit dem Denken, mit dem besser lösenden und
ausweitendem Verstand, der abprallte wie
von einer dunkeln Wand: aufgetürmtes Nervenrot; und sie litten an dieser
harten Konfrontation, die aus Gründen, aus Eigenschaften entstand, der sie
nicht Herr (oder Frau) sein konnten - Wände, die sie nicht selbst
aufbauten, sondern etwas kochend
Anonymes in ihrer Seele, das stärker war als sie. Die Jahre hatten es dann noch
größer werden lassen, sie hatten sich gegenseitig verletzt, und jedesmal waren
die Spuren in ihnen tiefer geworden, die Gedächtnisspuren gespannter und
geladen mit alten halbvernarbten Wunden, die dann alle zugleich aufbrachen,
wenn sie nur leicht berührt wurden und zu einer schrecklichen Explosion führen
konnten. Es war mehr als ein Mensch ertragen konnte, und es ist wie ein Wunder,
daß sie nicht auseinandergegangen waren! Denn oben auf dem Berg in jener
Einsamkeit verstärkte sich alles noch ins Ungemessene, wurde hinausgeschleudert
in ein Außerhalbderwelt. Wofür muß ich denn büßen, wofür? stöhnte Terplan dann.
Oder begann in seinen quälend
einsetzenden Schuldgefühlen und gräßlichen Regungen zu wühlen, die die
gegenwärtige Menschennatur beschert, da sie so weit entfernt ist vom Evangelium,
sich aber in unseren Breiten evangelisch oder katholisch oder orthodox nennt.
Seine Exfrau Maria war orthodox getauft,
und wie zum Hohn: Diese Regungen der Selbstbestrafung bei den Evangelischen vor allem, dachte dann
Terplan, dieses sofort einsetzende Bedürfnis, sich selbst zu beschimpfen und
niederzutreten, noch schlimmer, als er es sonst mit Hannah getan hatte, aufwühlend und nervenrot hochkommt. Und die
innere, die bessere, die größere Stimme, die in jahrelanger Seelenarbeit auch
in Terplan immer besser zu hören gewesen war, kam meist zu spät, oder sie drang
nicht durch, stieß dumpf an jene Wand, die auch vom Verstand nicht zu
durchdringen war, und an der sie sich nur verletzten, die beiden sonst so gut
Verbündeten. Sich vielleicht gar davor fürchteten, vor solchen Ausbrüchen
böser Geister, als wären sie dann besessen - und sich zurückzogen! Aber nein,
die Stimme behauptet, sie habe keine Angst vor "Ihnen". Und Terplan spottet , wenn er wieder im
Klaren ist: Na, dann man los, mein Lieber meine Liebe! Warum verläßt du uns gerade dann, wenn wir dich am
meisten brauchen, und läßt uns dann im Stich!?
In
der Nacht aber sah er sich im Frühlingsgarten von S., noch sehr jung, Duft
nach Kirschblüte - oder Jasmin, ferne Musik,
und ging mit einer Frau einen Liebesplatz suchen. ...die Szene mit Johanna,
die fiel ihm jetzt ein, in Aglian am Ende des Maultierpfades ein Jasminstrauch
wie zu Hause in S. Duft von Jasmin, betäubend, doch er empfand manchmal auch
hier auf dem Berg nichts mehr, roch nichts, war leer, wie hinter Glas die Welt,
kein Rauch aus Kaminen! So auch nichts Weiches, wie bei der Rückkehr von
Deutschland hierher nach Aglian. Hannahs Kuß, weiche Lippen unter Jasmin,
feucht und doch verschlossen, samtig, darin ein Versinken wie in einer rosigen
Blüte. Diese große Freude, wieder hier zu sein. Zorn kommt leicht, wenn die
Sinne taub sind. Vielleicht in Deutschland geschehen, an einem der letzten
Tage. Und dann streiten wir, dachte er: es ist schmerzhaft, ein Lebensriß.
Er saß im Zug nach München, sah zum Fenster hinaus, alles blieb
andauernd zurück, diese Täuschung ist wahr. Er saß still, nur seine Schreibhand
und der Zug bewegten sich: Mit Hannah
bis zum Hochsieden im Wort "Trennung" gestritten. Du hast bewußt
weggehört. Stimmt sogar, dachte er: das dauernde Alltagsgewäsch bei Tisch
zehrte an meinen Nerven, hier aber ging
es um den Tod. Der Streit war mehr ein Streit aus Scham gewesen. Und doch ein
tieferes Indiz des Zustandes, daß die Ortsbeschreibungen und die Tatsachen
hier wichtiger sind, als der Fall selbst: Seine Abneigung gegen diese besondere
technischen Pingligkeiten der Westdeutschen, er hatte andere Reflexe, die auch
nach Jahren hier nicht nachgekommen
waren mit dem topographischen Topfitsein, diese Absenzen, in denen er anderswo
ist, und er weiß, daß ihn nur in diesem Zustand Gedanken und Phantasien
berühren, jetzt nicht der Ort, sondern der Tod:
Leiden und sich nicht leiden können. - Schlaflose Nacht. Schwere Gedanken.
Und Hannah hatte dann gesagt, er erinnere sie an den alten Timon, der gegen
alle Dinge, Wesen und Menschen wüte, der Zornige, der sich absperre, nichts
hören und nichts fühlen wolle. Seine Ausbrüche, wie in Zwangslage, da er nicht
wußte, was mit ihm geschah. Auch der nächste Tag - lustlos und müde, und wie
eine Flucht all diese Geschichten. Schön. Und er war erschrocken, als Hannah
sagte: "Heute will ich aber eine echte Geschichte von dir hören."
"Echte Geschichten? Die gibt es doch hier bei euch nicht mehr, vielleicht
früher mal unheimliche," brummte er.
da
erwachte ich aus diesen Bildern, die gleichzeitig da sind, immer gleichzeitig
mit dem, was außen geschieht, über die Stirnbahn ziehen. Auch Cris hatte es
immer wieder gesagt, und wiederholt es zwischen den Zeilen, ich spüre deutlich
den Einfluß, und er reißt nie ab: Du mußt dich dem was geschieht überlassen.
Ich: übergeben als wärs eine Kapitulation? Ja genau so, sich übergeben, auch
wenn es dir übel wird, wenn alles hochkommt, Fetzen für Fetzen, Alp für Alp,
es ist auch Schönes da, Kindheit und Mutter, die Blumen am Wegrand...
Schlüsselblumen gelb am Hang. Ein Kuckuck.
Doch welch mieses Ich, das gewachsen ist in der Kälte, kapituliert da
und vor wem? Dort sein bei den Toten, wo du in Gedanken andauernd schon
bist? Nur noch in diesen Gedanken schreibend leben und leben im Tage Buch? Reisend
den Moment beschreiben: Röntgenaufnahmen. Nur wie pack ichs, nicht nur ein
Gerippe das Blatt hier ein einzelnes Blatt da herabgeweht ein wenig eingerollt
verwelkt das kommt nie wieder fällt mir aber jetzt auf. Und schon wie wir an
der Serra milchiges Wasser an den wuchtigen Marmorblöcken vorbei kamen an der
zerstörten Kirche: verfallen dieses Gefühl für die Hänge den Wald dieses Freiheitsgefühl,
dachte ich, wie faß ichs hier ist es nicht...
Und
deine Mutter hats auch empfunden Hannah;
furchtbar, dein Vater hat keine Freude mehr.
Ja, sagt Hannah: wir waren mit ihnen auch
hier oben, und er konnte kaum gehen, und vor einigen Jahren da waren wir im Restaurant
vor Pruno, man sah den Forato von der Glasveranda aus, da kam er nach dem
Essen, als wir nach Pruno fuhren, da kam er nicht aus dem Auto: Wir gingen
allein zu den alten Natursteinhäusern und zum Kastaniental.
Schon vom Tode gezeichnet die Eltern. Und
Hannah seufzte, sie kennt diesen grausamen Abschied noch nicht. Weißt du, das
erinnert mich an den letzten Besuch meines Vaters hier, es war auch ein
September, und da wollte er nicht mehr aus dem Auto steigen, und mild auf
seine Art sagte er: geht nur,
geht, seht euch alles an, ich bleibe
hier im Auto, ruhe mich aus. Und ich erinnere mich wie er irgendwo in
der Pisaner Gegend wir, waren in die Pisaner Berge gefahren, bei einer alten
Kirche es, war vom Auto nur ein kleiner Aufstieg bis zu jener Kirche, sich an
der Wand festhielt, fast umgefallen
wäre; und als ich ihn fragte, Tata, was
hast du? Ist dir nicht gut? Da versuchte er, es
zu verbergen, um niemanden zu stören, niemandem den Tag zu verderben.
Er lebte nur noch kurze Zeit. Stalingrad
hatte er überstanden, und erzählte davon,
im Januar, wie er "damals" damals im Januar, aber
"damals" war er erst 38 Jahre alt gewesen, das Auto im Schnee angezündet hatte, um sich
und zwei Verwundete zu wärmen; so waren sie mit dem Leben davongekommen mitten
im russischen Winter bei 30 Grad Minus. Er war Fahrer einer Autokolonne gewesen.,
und hatte noch etwas Benzin. "Damals". Und jetzt: kurz nach seinem vierundsiebzigsten
Geburtstag starb er, der Krieg die Kriegsfolge in ihm, Pneumotorax, die Lunge,
ja, die Lunge war es: hatte ihn umgebracht.
Am Schluß fror er entsetzlich, der Körper machte nicht mehr mit, denk ich es
mir aus, nein, jetzt ist er auch hier bei uns wie der Andere ... doch er
antwortet selten, meldet sich nie.
Vielleicht werde ich die Totengespräche mit meinem Vater deshalb hier aufnehmen
müssen. Vielleicht habe ich seither in jener Region einen sehr nahen Jenseitsverwandten,
weil ich mit dem Gefühl mitgegangen bin; mein Gefühl, meine Liebe wurden auf
eine andere Ebene gehoben, sie haben so seither eine Verbindung in jene
Sphäre, die früher einmal der Himmel
hieß. Ich werde dazu den Besuch von
Lucas, von Michum, der kleinen Tatjana und vielleicht von Dr. S. beschreiben müssen ...
Aber die kennt doch noch niemand?
Sie werden sich durch ihren Besuch
vorstellen! Und auch wenn nicht alles genau so
stattgefunden hat, wie ich es beschreibe, du wirst es merken und
wieder kritisieren, wenn es hier ankommt, wird es so wirklich werden, wie noch
NIE.
„An
Mutter sieht man es, wie die Umgebung, wie der Zustand sie verändert. Ihr
großes, jetzt im Alter fast bäuerlich geschnittenes Gesicht ist viel feiner,
erinnert an ihr Jugendgesicht, etwas von dessen Schönheit schimmert durch,
während der Gesichtsausdruck auf all den Fotos von Aliano, wo sie einfach große
Angst vor dem Krach, vor jenem alten Krach hatte, jenen Kränkungen, die Jann,
die aber auch ich ihr zufügten, verfallen, zwurnend, dumpf aussah, so daß sie
ganz alt und geduckt, unbeherrscht und fahrig wirkte, so sehr spiegelte sich
Stimmung und innerer Zustand in ihrem Gesicht. Und nun hat sie auch das Leid
seit Vaters Tod verändert, sie sieht distinguierter aus, die Selbständigkeit,
zu der sie gezwungen wird, läßt sie außerdem fester sein, auch in der Rede, und
immer ist ein wissender, ein wenig gemildeter Unterton da: Ihre sonstige Lautheit
ist gedämpft, ihr Lachen und ihre Bewegungen feiner.
Nun
war sie abgefahren in ihr neues Zuhause in A., Baden-Württemberg. Jeder
Abschied war schmerzlich, es konnte der letzte gewesen sein. Und jedesmal
schien mir Aliano fremder als vorher, der Boden weniger fest, jener Boden, den
ich mir mit Mühe geschaffen hatte.
Und
doch war es auch eine Erleichterung, trotz allen Wehs, denn sie verkörperte
meinen innern Zwiespalt; in Janns Anwesenheit
wurde nie über Siebenbürgen gesprochen. Mein Abgrund – die Kluft
zwischen Mutter und Jann. Die Ältere durchschaute die Machtverhältnisse, auch
hier ihnen hörig, und tat so, als wäre ich Luft, das tat weh. Ist sie in
der Fremde nun eine Beziehungskünstlerin
geworden?
Nach
Vaters Tod war es einsam in der Wohnung, und es schien mir als könne sie
dieses Zuhause nicht mehr allein 1 zusammenhalten'.
Sie
merkte es und sagte: Ich kann euch nun, nach Vaters Tod, kein so warmes Zuhause mehr bieten.
Sie
war traurig und unsicher. Aber ihr
Heimweh, sagte sie, das habe ,40tIch ja nun gegeben, das sei nun überdeckt, da sei sie fast geheilt: E-c liege ja nun
hier, alles liege hier. Alle
E,%innerungen wie unter der Erde»
Ich
sehe zum Fenster hinausg Waldrand der Alb,'eine Wiese, habe den Blick über eine
neue Kirche, ökumenisch genutzt; daneben fahren Kin.der Schlitten.
Und
ich sehe dann von draußen nach drinnen, Interieur de s Zimmers** immer wieder
die alten F;otos. Und die vielen Aquarelle,
Vaters Sonntag
Mutters
Gesicht hat viele Falten, die sich nach dem Tod ihres Mannes vertieft haben.
Sie
ist von der westdeutschen Umgebung angeschlagen und weiß nicht, wie ihr geschieht.
Noch
bei ihrer Aussiedlung aus Schäßburg und kurz danach in A. hatte sie ihr
fröhliches ausgelassenes und kindliches Temperament, die Stimme etwas zu laut.
Aber überströmend und so schön naiv. Wie sie mich am Telefon begrüßte,
stürmisch, das tat mir gut, hatte dieses Kindlich-Gefühlvolle anfangs in jenem
Land des gemessenen, kühl-höflichen Betragens und der Distanz immer sehr
vermißt, war doch anfangs auch so gewesen, überlaut, überschäumend, ein wenig
verwildert, stark, selbstbewußt und ungehemmt, wohl für diese geschniegelten
überzivilisierten Seelen unerträglich oder auch faszinierend, je nach Typ, für
jene, die in ihrer seelischen Kargheit keinen lauten Ton vertragen konnten,
sicher eine Zumutung: Wie für die verletzliche Iren, die diese unbeherrschten
Aussiedler anherrschte, mit Schweigen und mit Frostigkeit irritierte.
Das
erste Jahr der Eltern in der Bundesrepublik, es scheint ungehuer fern zu
liegen, diese Zeit, als sie ins angestaunte Paradies West kamen. Da hatten sie
eine kleine bezugsfertige Wohnung in einem neuen Block gemietet und richteten
nun ein: Wiederherstellung des verlorenen Elternhauses per Versandkatalog,
dachte ich damals böse. Vater maß wie früher alles. Beide bewegten sich agil,
als wäre ein Neuanfang (siehe, ich mache alles neu!) und strahlten. Ein junges
Ehepaar – so wirkten sie. Und waren doch beide um die siebzig. Mutter
begleitete ihre Anweisungen für die Handwerker mit einem sich
verselbständigenden Finger, mit dem sie auf die Dinge zeigte.
Im
Block vis-à-vis war die Häuserfront angekohlt. Leute sagten, die Mieterin, eine
fünfzigjährige Frau, sei dort verbrannt. Sie hatte kurz vorher noch mit ihrem
behinderten Sohn Kaffee getrunken, und als er dann fortging, hat sie die Tür
versperrt, sich ins Ehebett gelegt, sich mit Benzin übergossen und sich
angezündet. Die Flammen schlugen haushoch aus den Fenstern, sagten die
Nachbarn. Die Frau war nicht mehr zu retten; die Polizei fand nur noch ihren
halbverkohlten Körper.
Ich
hatte am Vortag zufällig ein Foto von einem bundesdeutschen Feinkostgeschäft
gesehen, das neben dem Foto eines alten Spezereiladens in Schäßburg lag. Ich
war betroffen. Auch ein Haus mit Torbogen und abbröckelnder Mauer aus Schäßburg
und eines aus der Nobelgegend Refrath bei Köln sah ich plötzlich vor mir:
Reihenhäuser wie aus Pappmaché, konnte sie vergleichen; schnurgerade alle
Linien, alles so neu, daß das Auge daran abglitt, als sei da Nichts. Nichts zum
Ausruhn für den Blick, nichts Vertrautes, alles viel zu neu. Die Häuserfronten
und Formen sind leer und von einer schmerzhaften Schattenlosigkeit und Verlassenheit.
Es
sei die Kälte, sagte ich: Eine Krankheit.
Und
Mutter wunderte sich: Woran können nur diese gesunden wohlhabenden Menschen
leiden? Sie haben ja alles. das aber war am Anfang ihrer Übersiedlung nach
Deutschland. Jetzt fragt sie nicht mehr. Jetzt schweigt sie.
Vater
hatte nichts als eine Aktentasche von zu Hause mitgebracht, darin:
Zahnputzzeug, Schlafanzug und eine Flasche Zuika. Sein Gesicht war durchzogen
von unzähligen Falten. Nur Mutters Ausdruck blieb froh und offen. Als hätte man
es nun geschafft! Das Ärmliche und Laute der Durchgangslager-Phase lag hinter
ihnen, aber auch das Freundlich-Naive, das Liebe und Enthusiastisch-Ungehemmte,
wenn Mutter mit lautem Joi! auf mich zustürzte oder laut rufend ins Telefon
schluchzte.
Im
Grunde bin ich eigentlich noch gar nicht hier angekommen, sagte Onkel Hermann,
Mutters Bruder, der Arzt einmal: im Grunde meines Wesens noch nicht hier angekommen.
Er
träume immer noch von zu Hause – nach vierzig Jahren.
Und
dieser Druck auf der Brust. Was ist das nur? Früher kam dieser Druck abends,
regelmäßig mit der TAGESSCHAU. Jetzt morgens beim Aufwachen. Dann nimmt der Tag
seinen Lauf, man wird mitgenommen, vergißt. Ist ja dann erleichtert. Abends
aber wieder dieser Druck. (Rotwein hilft, aber nicht immer.)
Ich
bin hier in Schwaben eine Fremde geblieben, hatte Iren, Hermanns Frau, gesagt:
fremd nach vierzig Jahren. Ob das an der Sprache liegt oder an der Art der
Leute? Sie hat eine heisere, ein wenig rauhe Stimme. Hermann rollt sanft den
Satz. Hebt die Stimme. Wir werden hier nie mehr heimisch werden, sagt er. Wir
müssen unsere Substanz aufgeben; andererseits aber wieder haben wir diesem Land
viel zu verdanken.
Sie
saßen vor dem kleinen Serviertisch auf der Couch und tranken Weißwein. Mutter
nickte zu Hermanns Erklärungen, war aber sonst seltsam still. Sie verehrte
ihren Bruder, nahm alles an, was er und Iren sagten. Er war schließlich
anerkannter Arzt und außerdem schon vierzig Jahre "oben". Überhaupt
fiel bei den meisten, die von "unten" kamen, eine merkwürdige
Schwerfälligkeit, eine laute und hektische Hilflosigkeit auf; die meisten
wurden dann im Laufe der Jahre immer stiller und gedrückter, erkannten, daß sie
sogar über sich selbst zu wenig Bescheid wußten und an etwas litten, was man in
der hier gängigen Fremdwörtersprache "Erfahrungs- und
Informationsdefizit" nannte. Es war aber viel mehr: Dies äußerte sich in
einem Stillvorsichhinleiden, in einer gewissen Dumpfheit, wie nach einer
schweren Krankheit, nachdem das Fieber gesunken, der Rausch verflogen ist, ein
Rausch, der anfangs einen jahrzehntelangen Druck von ihnen genommen hatte. Der
Wahrnehmungsverlust, über den Mutter zunächst klagte: Daß nichts mehr richtig
schmeckt und riecht, alles "aseptisch" sei, war der entscheidende
Einbruch einer ihr bisher ganz fremden Welt, eben jener rasenden
"Gegenwart", von der man zu Hause abgeschirmt gewesen war. Dies
"Kalte" schien nur das wichtigste Symptom einer neuen Krankheit zu
sein, von der nur die kleinen Kinder verschont blieben. Am Schlimmsten, vor
allem für die Älteren, war, daß sich nun zeigte, wie falsch, wie ganz und gar
nur eingebildet die Voraussetzungen gewesen waren, nach denen sie ihr Leben
aufgebaut hatten, und auch jetzt noch versuchten sie, daran festzuhalten, wie
Vater, als er noch lebte.
Dabei
war die Ankunft, die Übersiedlung doch so hoffnungsvoll gewesen!
Vom
Nürnberger Bahnhof mit zwei Autos über menschenleere fränkische Land nach A.
Kühe und Schafe auf den Höhen zwischen Dinkelsbühl und Ellwangen/Jagst. Als
wäre nicht schon alles für uns vergangen, konnte man da plötzlich ein weiches
vertrautes Abendlicht über den Häusern sehen. und auch in den Zimmern bei
Hermann, wo das FEST stattfand, war es als Widerschein da. Dieser Tag also noch
nicht abgestanden, vom dreißigjährigen Warten sauer geworden. Vater sagte beim
Festessen, sein Leben sei seit fünfzig Jahren schon ein andauerndes Warten auf
Frieden gewesen. Und so gehe es vorbei.
Aber
im schwäbischen A. war er glücklich. (Ich will und kann vergessen! Hier gehöre
ich zum Staatsvolk; die Angst ist weg.) Ich sehe den blonden Jungen meines
Bruders Hannes auf dem Bahnsteig; er läuft auf mich zu; meine Schwägerin
Christine starrt aus ihrenvor Müdigkeit schwarz geränderten Augen geradeaus.
Der Junge wirft mir eine einzelne weiße Nelke zu, ich denke: Welch ein Hohn.
Rita, die Tochter, steht da, stumm, erregt, ein Staunen schüttelt sie bei
dieser Ankunft.
Christine
hatte den "schwarzen Mann" gesehn, im Ausreisefieber, in der Angst,
"sie" lassen sie nicht ziehn; Hannes war schon gefeuert worden, die
täglichen "Sekkaturen" nahmen zu, und seine Frau drehte durch.
Christine fiel eines Tages hin, schlug um sich, wurde starr, mußte für mehrere
Wochen in die Klapsmühle.
Aber
seither, sagt sie, habe ich diesen Punkt außerhalb. Ich habe keine Angst mehr
vor dem Tod: Ich schwebte über mir, sah mich, nein, den Körper, am Boden
liegen, lachte darüber, amüsierte mich; nun hatte ich kein Interesse mehr an
ihm. Es kann mir ja nichts geschehn. – Ein Duft, der näher ist als jeder Sinn.
Auf der Schwelle, wenn ein bißchen Licht aufscheint, uns wissen läßt, was keine
Sprache weiß: Die Einsamkeit ist groß, aber alles klingt, als gäbs einen grenzenlosen
Frieden...
Vater
zeigte seinen Ahnenpaß – stolz, denn er hatte ihn aus der alten Heimat
rausgeschmuggelt. Und so war er ja auch im Rechtsnachfolgestaat des Dritten
Reiches sofort als Deutscher anerkannt worden.
Mit
Stempel und Siegel, sagte er: Da gabs kein Problem. Der Ahnenpaß wurde anerkannt.
Ich
las ziemlich entsetzt auf der zweiten Seite des Dokumentes:
"Die
gesamte Bildungs- und Erziehungsarbeit des völkischen Staates muß Krönung darin
finden, daß sie den Rassesinn und das Rassegefühl instinkt- und verstandesmäßig
in Herz und Gehirn der anvertrauten Jugend hineinbrennt. Adolf Hitler."
Kackbraun
gebundenes Objekt, mit Adler und Hakenkreuz: Alle meine Vorfahren kamen mir wie
gebrandmarkt, alle Toten gebrandmarkt vor:
"Staatsbürger
kann nur sein, wer Volksgenosse ist. Volksgenosse kann nur sein, wer deutschen
Blutes ist, ohne Rücksichtnahme auf Konfession. Kein Jude kann deutscher
Volksgenosse sein! (Programm der NSDAP, Punkt 4).
Der
Ahnenpaß stellt eine Urkunde im Sinne des Gesetzes dar."
Vater
las ungeniert aus dem Ahnenpaß vor; schließlich sagte er: Ich bin nun endlich
frei, hier zu Hause, dem Staatsvolk zugehörig, das war ich nie. Stolz las er
gedankenlos oder gedankenverloren:
"Inhaber
ist arisch und rein deutschblütig."
Ja,
das war damals schon wichtig, meinte er. Aber hier in Deutschland ist es auch
wichtig. Wie ich hierher gekommen bin, hab ich den Behörden diesen Ahnenpaß
eingeschickt, und sie haben mich sofort als Deutschen anerkannt, andere
brauchen ja Monate oder gar Jahre dafür.
Über
kurz oder lang wird der Ahnenpaß ein Pflichtausweis für jeden deutschen
Volksgenossen werden, und es ist dann zweifellos vorteilhaft, bereits Inhaber
dieser Urkunde zu sein...
Vater
hat ihn sich angeschafft, jahrelang versteckt (bei Haussuchungen Angstgefühle
wegen des Hakenkreuzes auf dem braunen Umschlag) und bei der Aussiedlung ihn
dann ins Mutterland mitgebracht. Auch Janns Vater Gregor besitzt einen, mit
riesiger Ahnentafel (weit über 1800 hinaus; Stichjahr der Ariernachweispflicht
bei der Parteiaufnahme.)
Vaters
Daten, groß auf der ersten Seite:
Kurt
Karl Erwin, geb. 1905 in Kronstadt/ Siebenbürgen
Karl
Josef, geboren 1879 in Bistritz/ Wagner Maria Luise, geb. 1881 in Kronstadt,
seine Eltern, der S.-Großvater und die S.-Großmutter.
Der
Urgroßvater hatte sich germanisieren lassen: Franz Leopold, geb. 1833 in Bistritz.
S.
Josef, geb. in Tyrnau/Böhmen, gest.
1842, Schneidermeister, katholisch, kam aus Böhmen, heiratete eine
Bistritzerin, am 9.2.1825: die Katharina Karolina Apollonia Mast, geb. 1808.
Vater
sprach sehr gern darüber:
Die
sind möglicherweise aus Schlesien nach Böhmen gekommen, dort konnte man ihren
Namen nicht aussprechen, und so wurde er der Schlesier genannt, nehme ich an.
Und zur Zeit der Doppelmonarchie 1867 wars wohl in Siebenbürgen günstiger, einen
deutschen Namen zu haben, und so hat mein Urgroßvater, der Bistritzer, seinen
Namen eben lautlich verdeutscht.
Mutterland
hieß Deutschland mal früher bei uns zu Hause. Mutter-Land - und jetzt der Vers
dazu, als wär er ein armer Maikäfer. Und der Vater. Und der Krieg. Und der
ewige Frieden. Auf dem Waldfriedhof in A. Und draußen vor allem Schnee. Unter
dem Schnee die Blumen. Fußstapfen, wohin die führen. Vogelspuren ins Kalte. Und
doch kein richtiger Winter mehr. Wie einst in Stalingrad. Wie einst. Und weißes
Leichentuch. Licht durch die Bäume im Mutterland. Gießkannen aus Plastik,
Eiszapfen daran. O wie ist es kalt geworden. Friederike sangs früher. Und jetzt
reden wir über die Toten, über ihre letzten Tage in A. Wie friedlich sind sie
beide gestorben. Friederike an Krebs. Wie viele Wünsche blieben unerfüllt. Es
blieb ein riesiges Loch.
Jetzt
gehe ich über einen Friedhof, er liegt in Deutschland, er ist klein. Tausende
von Namen, Daten. Und da werde ich liegen, mit "allen" vereinigt. Die
Flucht war vergeblich, ihnen zu entkommen. Sie kommen immer näher, sie sind
schon da. Ein ganz neues Land, jede Teilung aufgehoben, jede Spaltung vorbei.
Vorbei.
Und
rede mich jetzt wie einen Fremden in der dritten Person an, als wäre ich ein
Anderer, und bin ich nicht ein Anderer? Also: Eigentlich wollte er ja nur das Grab seines Vaters
besuchen. Zwar naßkalter November, es war der November vorigen Jahres gewesen...
wer zählt sie noch, die Jahre, die Jahre... alles vergangen, - er aber, dieser DS, ist trotzdem noch da: In
diesem besonderen Jahr, bevor sein Winter kam, sein letzter. Regen. Nebel im
Gesicht, im Herzen. Leben, wer es umkehrt. Die Beine gehen ohne ihn, treten
auf vergilbte Blätter. Bald wirds Schnee geben.
Alle Jahre wieder? Wie lange noch. Aber wer spricht da, seine Stimme in
mir, als hätte er mich jetzt
hypnotisiert, Schnee, dann erfrieren die Blumen, spürt das vereiste
rote Blatt, sagte er: Mimosen liebte sein Vater. War selber eine. Kleiner Kopf,
Brille, abgeschabte Brauen. Und D., der Sohn, sah immer noch das Loch vor sich,
da hinab, dumpfes Geräusch, Erdschollen, dunkel, hinab, ein Loch. Da siehst du
hinab, da bleibt dein Blick drin gefangen, kannst ihn nicht mehr zurückziehen,
feuchte Erde, Lehm, Insekten, Erdgeschmack fad, Wurzeln, alte Blätter, schon
vermodert, fallen darauf, du kannst den Blick
aus dieser Klammer, eingezwängt im Loch, nicht befreien, da wirds
dunkel, verwirrt. Wer aber sieht den frisch aufgeworfenen Grabhügel, wer
schluchzt da, - der eingegrabene Blick? Wo hast du nur deine Augen? Lang her.
Dort der Steinmetz Roth, der Grabkünstler von zu Hause, der langsam und mit
schwungvollen Bewegungen wie der Zeichenlehrer Donath seinen Namen schraffiert:
Goldbuchstaben auf Marmor, als schnitten die ins Fleisch, der Stein ganz heiß
und weich. Schreiben ja, das das Sterben
ersetzt, es aufhebt, solange du liest. Das Leben aber fehlt, und den Namen
schreibt ein anderer. Er hat also doch eine ganz andere Vorstellung vom
Schreiben, als ich, als wir, entzog sich also genau ins Alte, das er so
vermißte, zurück, zurück der Spindel Spur, dieser Unsinn vom
"Referenziellen", ihr Okzidentalen, sagte er, Wasserkopf. Und hab
mich selbst infiziert, sagte er: Was denn "schraffieren", sogar der
Stein ist tot, sagte er. Aber es gibt eine Verwandlung und kein Ende, sagte
er: wir kehren in den Zustand zurück in dem wir Millionen Jahre waren, bevor
wir in den Körper kamen. Dieser Unsinn - zwei Hände Erde, dumpfes Geräusch auf
Holz, Erdschollen. Gibst den Geist nicht auf beim Ablegen des Leibes, D. Sag
nicht Seele, D., sag Nichts; es löst
sich etwas vom Körper, inneres Leben verselbständigt sich im Alter von Jahr zu
Jahr mehr, Wahrnehmungen nehmen ab, Außenwelt nimmt ab, die Täuschung Welt
schwindet langsam, da willst du fort, um am Leben zu bleiben?
Ich bin kein Überlebender, ich bin ein
Überlebter. Alle sind wir Überlebte, nur merken es wenige. Zukunft gibt's
keine, es sei denn, sie setzt sofort und schlagartig ein. Das Vergessen ist zu
groß. Und das Vergessen des Vergessens.
Aber diese Briefe, ich sollte doch
wenigstens diesen Briefwechsel mit meinen Heimweh-Freunden aufgeben. Heimaten
gibt's doch nirgends mehr, Dieter, sagte mein Vater: sah mich scharf an mit seinen schwarzen
Taschenlampenaugen: und dein Heimweh... oder Heimat, alles antiquiert, jetzt wo
Europa in aller Munde... Hirngespinst, ein Hirndracula, Dieter, ein
nichtexistenter Ort, der dich vernichtet, der macht dich doch fertig.
Aufgeben
oder in die Stadt ziehen, die Einsamkeit aufgeben, mein Nirgendwo...? Ha, lach
ich ihm dann ins Gesicht: Wenn das so einfach wäre; schon von der Lage her
unmöglich. Lache noch stärker, Ahn: Nur wer sich aufgibt, wird ein Brief...
Aber ich bereite mich doch vor, sag ich dann, endgültig heimzukehren, die
Freunde dort warten, ich muß ein Zeichen geben. Und, denk nur daran, der
Aus-Landsdeutsche war noch nie auf Patmos.
Keiner wollte Pfingsten bei mir bleiben,
Freiheit, Freizeit dient zum Autofahren.
Abends
Bilder im Fernsehen. Mutters Wohnung. Man sieht auf dem Bildschirm DIE SCHLACHT
BEI LEUTHEN. Preußen. Gleich zu Beginn Fußamputationen in einer Kirche. Von
Preußen ist die Rede, sag ich. Gloria, sagt sie. Schreie in der Kirche, sage
ich. Der Alte Fritz, sagt sie. Menschenkörper. Es ist eben gerade Geschichte,
eine harmlose Reprise, sage ich. Handlung, wie sie im Buch steht. Die Kirche
sieht aus wie eine Metzgerei. Fleischhauerei, sagt Mutter. Und jetzt predigt
ein Pastor. Wie schön er spricht, vom Vaterland spricht er. Ein großes
schwarzes Loch, sag ich. Denk an unsere vielen Toten.
Der
letzte Punkt, so nah. Zu Hause schon schlug der Kuckuck, mehrere gleichzeitig.
Zähl die Jahre. Jetzt sind sie da. Die Kuckucksuhr mit dem Holzkuckuck, der
schlug Viertelstundenweise den Tod an. Verneigte sich davor, bunt. Und im
Sommerhaus der Echte aus dem Wald. Eichen. Man zählte. Und verstummte. Du
lieber Himmel, alle noch so jung. Wie lange noch. Und im Baumgarten das
Paradies, keiner wußte. Man fürchtete die Fledermäuse. Sie schwirrten im
Rauchfang. Ums Dach unter den alten Rusperbäumen. Sie könnten sich im Haar
verfangen. Und die Mäuse, oh, man hatte selbst ein schwarzes Loch, feucht, da
konnten sie rein. Entsetzlich. Wer sich gehen ließ, war ihm verfallen. Das Liederliche.
Das Grauen. Wehe wenn die Abwehr versagt. Soldaten sind Soldaten, in worten und
in Taten. Sie kennen keine Lumperei...
Weißt
du, Mama, was deine Abwehr angestellt hat?
Bitte,
hör auf damit. Du bist immer so negativ!
Ja,
ja... die so leuchten "positiven" Gestalten kennen freilich keine
"Lumperei".
Ich
hatte auch noch diesen Wahnsinn begangen, zwei alte Freunde von Mutter, den Vik
und den Andreas zu besuchen!
Wir
waren also beim Vic, dem Apotheker Capesius in Göppingen gewesen. Eine schöne
Gegend. In der Ferne der Dreikaiserberg. In Göppingen lebte er nun, wie viele
Landsleute aus der SS ist er nach dem Krieg nicht mehr nach Siebenbürgen in die
alte Heimat zurückgekehrt. Hat ein Trauma.
Ich weiß, die Wunde.
Ein
Klausenburger Gericht hat ihn zum Tode verurteilt. Doch er hat Heimweh. Und
kann nur noch unter Lebensgefahr nach Hause zurückkehren. V
Vielleicht
Gesichtsoperation? Falscher Paß?
Zum Beipiel diesen Psalm im alten Deutschv noch reinen@ise
"Da
siehattu abermal allen heiligen Yns hertz wie'Tnn den Jod,
ya
wie in die hölle. Wie finster und
tunchel ists da von alleriley betrübten anblick des zornigen gottes.
In
der Gegend kann es keine Psalmen geben.
Und ich höre das G teil jetzt ab, vom Sand, mitgebracht aus der
Marktapotheke von GÖffingen, wo ich Dr. C. und seine Frau traf, die mich herzlich
grüßten un , d zum Kaffee in ihre kleine, etwas fin-tere i13hnung e luden. Dort sägten sie:
(Übernehmen
aus So nah!!)
O-TON
Kassette
II-1 Dr.b.: Von Auschwitz sind insgemsamt 231.coo Personen...
F.C.: noch lebend
weggekommen... noch lebend weggekommen
FC: Und wieviele sind ermordet worden?
Dr*C.: Gleich an der Rampe?...
F.F.: In den ersten Jahren sind ja viele...
Dr*C,:oo, Männer und Frauen.,.,
F.C,: Gespritzt worden ( senkt die
Stimme). Nur hat man ja ni-hl mehr das
Tempo mit dem Spritzen einhalten können... was n gebraucht hat. (Kaum
hörbar. Seufzt.)
Dr.C, i Männer und Frauen wurden aus den
Ungarntransporten 113.c tätowiert.. Sammeltransporte ...
F.C.: Und wie Hffimmler in Auschwitz waren
warst du da schon dort'i
Dr*C*:*,*
nein..*
F.C.
: Warst also noch nicht dott! Aber der
Sohn vom Draaser hat er geheißen?(Ja)p der hat nach Hause geschrieben quaei:
Heute wa unser oberster Führer da, eben der Himmler, und hat Auschwibtz in
spiziert, U"d er ist auch nur ein Mann wie jeder anders ... er ha
ihm nicht imponiert ...
Tee
Haben Sie Himmler gesehen?
Dr*C.: Er ist sehr in meiner Nähe gewesen am
Schluß...
Das
also ist der Vik, wie meine Mutter.sagt" sie kannte ihn g hat als Mädchen
mit ihm getanzte Und mir hat er Pfefferminzplätz in der Apotheke ZUR
KRONE/re-schenkt. Er ist ja f ein , ann
wie jed andere.
-27o-
Von
Auschwitz sind insgesamt 231.ooo Personen...
...noch
lebend Weggekommen
lebend
weggekommen.
Und
wie viele sind ermordet worden?
Gleich
an der Rampe? ...
In
den ersten Jahren sind ja viele...
Männer
und Frauen...
gespritzt
worden ( senkt die Stimme): Nur hat man ja nicht mehr das Tempo mit dem
Spritzen einhalten können... das man gebraucht hat.( Kaum hörbar. Seufzt.)
Männer
und Frauen wurden aus den Ungarntransporten 113.ooo tätowiert ... Sammeltransporte..
ar
Und
wie der Himmler in Auschwit warst du schon dort?
Nein...
Warst
also noch nicht dort! Aber der Sohn vom
@raaser hat er geheißen?
Ja.
Der
hat nach Hause geschrieben, quasi: Heute war unser oberster FÜhrer da, oben
Himmler, und hat Auschwitz inspiziert.
Und er ist auch nur ein Mann WIE JEDER ANDERE... er hat ihm nicht
imponiert..._
-Haben
Sie Himmler gesehen?
Er
ist sehr in meiner Nähe gewesen am Schluß ...
Schöne
Gegend. In der Ferne der
Dreikaiserberg. Doch nach Hau-
se,
in seine, in meine Vaterstadt, dierf der
Apotheker nio:@-
mehr
zurückkehren, Ein
Klausenbur-
gor
Gericht hat ihn zum
Tode
verurteilt. In Abwesenheit, in aller Abrfesenheit. '«--
Nein#
er# Dr,« Cou sei an auf keinen Fall soweseng er habe nie aeli-,Jz. tiert# er
sei eben verwechselt worden mit dienen Dr, Klein# ebenfalls Siebenbütget# »gn
konnte niemand mehr fragen# denn er war
In
Bergen-Belson von den Briten
worden, Als mitver,-
antwortlich
für das entsetzliche Grauen In Betf#en-Beleen.
Der pothaker na t@-
S bau#
"@ht zu Tode gebracht woi
sind
n den. Man konnte nicht
wahr
auviel Nehtune "geben für sie* Und es kam alle* aus dem guten und kam bis
bergon-Balten * Bergen-Belnen wir für 12ooo Leute eingerichtet und 12o coo
waren nun da. Ja# wie sollten die gesund
lebt»* Die* die über mich geschrieben hat# hat auch über BergenBeleen
geschrieben* Sie wer auch dort*** Und da'vagt 349# wie schön war es doch und
wie ordentlich in Auschwitz# da sind die Leute gleich verbrannt worden# die
Toten# hier hat man nie einfach# weil es zu kalt war und kein euerunfjanatortal
war# In Hof aufg@ etapolt und die Ratten haben *ich vermehrt an denenw Und denn
sind die Ratten In die garakon gekommen und haben auch da enge*, Ta Furohtb*r4
FCt
in# es ist furchtbar*
Cs
3ai und das schreibt *Ja In ihrem Buche Ts Aber wie heißt die Frau?
Ct
Zu Haue* hab töhe in den Akten***
Fctzsollen
wir nicht nach Haus* gehen#
Kaffeatrinken!
Und auf den Weg 4o dtf Wohnung# die Frau ging neben ihm#
korrigierte Ihn sanft# wann er einen Gedäbhtniaaunfall hatte» anfing zu
stottern der Grauhaarige# der Alte Maanige Mannt der neun Jahre hinter Gittern
gesessen harter kaum fähig* zu begreifen was mit il geschehen war# schuldunfähig
- värtotdigteur sich immer noch.W mit schwerer Zunge.,.# der Landsmann"
der Kindheiteapothakart
Diesen@ich
will nur sefen@@Kl@ein war totg ihm konnte «n 98 nicht mehr in die Schunhe
schieben$ die Leute aus Israel aber wollten auch einmal gerne nach Deutschland
ke»en und zieh mit ihren Freunden treffen» und mal hier etwas einkaufen können
usw* Und so Ist der Doktor gekomen und hat allen# was auf den Klein $tanzte awf
wich eiftteatellt, weil ich auch ungarisch spreche*..
und
dahn hatte Eigentlich
2wei Zeuge
"U
daß
lch@ain den Tagg wo
er #tkouiiaen ist# ernten Pfingattag oder zweiten
Pfingetta'#, Ich habt genau zu Haus* daß ich nicht dort war. Und Ich war d«als in Berlin während der
Pfingettaeuo beim Bäcker Pepi# das ist ei n Schwab# der wer dort als
Sturobennführer In der Zentrat-SS-Apothakoo In Berlin# Und Ich war In Berlin zu
Besonh * Und da waren zwei Schwestern* Und diese Uhwestern waren# waren@ die
eine beim Abendessen beim Bäcker# da hat* allen #""en' was es In
aanat gib+*,/# das war auch dar**
Da**
also ist der Vik# wie Meine Mutter sagt@',
ins,#
hat als )Wdohen alt ihm nie form
tanzt* ir hat er Pfef Jnz-
Plätzchen
#*schenkt In so hake
0Zur Krone* 4, war In
meiner
siebenbüll « to Und nun@,@ en wir alle hier$
9 ]«vier - eng
Auch
in Auschwitz# sagt er# war ja ein ganz gewöhnlicher Betriel
Viele
hatten ihre Familien dabei, to gab eine deutsche Schule»
Die Familien hatten Gärtchen und Häwooheno Man ging jagen
und ti-
A
0
Weihnachten
vor allem.
1 das mit Ihrer Karriere;
Sie kamen ja, WL4rdev2eingezogen-
*"3 n ",2"
_j -
len hac h München und Üachau ... fragte ich@ Apotheker"'Nein,
ich war von Wien zuerst nach Berlin geschickt, im Ersteklassewagen und alles;
vorher, bis Wien waren wir von Siebenbürgan im Viehwaogon gekommen,bis Wien auf
Stroh...
Vom
VOMI Assentierte.'
Z'Sicher,
wir sind in'H'ermannstadt assentiert worden, vom Dr. Weindel, ich war ja vorher
rumänischer Hauptmann bis 43,da
gabs
dieses Abkommen, daß alle Deutsch@ zur SS müssen...-,1
Und dann kamen Sie von Berlin zum erstenmal in ein Konzentrationslager? Sie haben ja vorher überhaupt keine Ahnung
davon gehabt?!
Doch. Nicht vom Konzentrationslager direkt, sondern
vom Zentralen Sanitäfoslager in Warschau See
Sie
kamen also von Warschau nach Pachau.».
wir
kamen nach Berlin, dort sind wir 8
Wochen herumgelaufen, haben ihnen
bezahlt, damit sie unsere Uniformen nur langsam schneidern, das hat der Bäcker
Pepi e in Schweb organisiert, dem hats kolossal gefallen in Berling wir haben
dort Zigaretten und alles gehabt, hat eine Schachtel Zigaretten hingelegt und
hat verlangt drei Karten in der ersten Reihe"in der zweiten*Reihd - in der
Frie-derichstraße g4&bs ein Kabarett, a\
la Poele Betg-"eie wie in Paris..* das war Herbst 43. Und dann sind wir alle zusammen geschickt
worden zu einem österreichischen Apotheker, der in Warschau das Zentrale
Sanitätslager hatte, und wir sollten uns dort allmählich an die Sache eiWÖHNEN . Und der hat auch soln wenig
Schulung gehalten vom 43SOLUtiN BEFEHL
und da 0 man eben alles tun mußwas befohlen wird*. Es gibt KF-INC-
W
I D D E R R E D E#
Das kannte man ja schon von zuhause! -@Ja, das kannte man so
gut 'j@daß die @achsen z gdit
gehorchten dort ... Wenn so ein SS-M.ann einen Auftrag bekam, führte er ihn auch durc@ egal was... Jaja.. Und mir hat der Wirths gesagt: "Ich hab im Lager
Sondervollmachten, ich kann @.zz erschießen
lassen...mich erschießen lassnn,:. --3a,
weil du dich gewehrt hast zu selektieren,- sagt seine Frau. @a, und ich hab
mich dann sofort ans Telephon gehängt und hab mit dem Popi gesprochen...'
lfe%-
Aus Harmannstadt stammt
aus ner?' Nein" dem
Banat. Und dert- hat sofort mit dem
Gruppenführer gesprochem, mit einem von den Gruppenführern in Berlin, die beim
Führer waren, der höchste-: von der
Arzeneiabteilung, ist ein großer Mann gewesen , körperlich groß. Und der hat den Standartenführer Lolling, das
war der höchste Arzt über die KZs, den hat er zur Sau gemacht. Was da passiert sei. Es komme da ein Apotheker mit Erfahrung und
will euch halfeng arbeiten, und dann stellt ihr ihn in einen Betrieb, der gar
nichts mit der Apothekerei zu tun hat.
Sie worden sofort hinfahren und Ordnung i3chaffeh! Und dann ist er nach Aus chwitz gekommen.1@Der
Liblling - oder wer?.;. @Ja. Und sie
haben mich dann eingeladen zum Wirths. UNd so bin ich befreit worden. In Warschau also haben wir das mit dem
absoluten Befehl gelernt. Ich
habs mir aber nicht gefallen lassen",t,
Ists
nicht übertrieben, Michael, wenn du so allergisch auf längst Vergangenes
reagierst, fragte Mutter. Und ich: Ists nicht so, daß auch sonst, bei viel
geringeren Mordtaten, der Fluch einer bösen Tat jahrzehntelang,
jahrhundertelang auf einem Ort lastet, so daß die Leute ihn meiden und sogar
Tote ihre Ruhe nicht finden können, bis die Schuld getilgt ist. Wie sollte das
dann nicht millionenfach verstärkt sein bei diesen unvorstellbaren Dingen, die
quälend am Abgrund unseres Gedächtnisses liegen?
Carmen
zum Beispiel, deine Schwester, Carmen rührt nicht daran. Carmen sagt: Ich bin
so, wie ich war, rühr nicht daran. Und du, Michael, laß die Finger davon, du
schadest uns!
Sie
verzieht ihr Gesicht. Haßt sie mich? Nein, sie mag mich. Aber alles ruht. Ist
alles nur ein Warten? Kocht da etwas auch in ihr, in ihnen allen? Nur – sie wissen
es nicht?
Als
ich in A. anfing, von meinem Besuch bei Dr. Capesius zu erzählen, gar das
Tonband holen wollte (es holte), die ersten Apothekersätze breit und
unkultiviert da rausklangen, gabs eine peinliche Stille.
Was
willst du damit?
Darüber
nachdenken.
Widerwillig
blätterte Carmen in den Büchern, die mir der Auschwitzapotheker mitgegeben
hatte.
Sieh,
auch Onkel Andreas ist hier angeführt, sagte Mutter erstaunt.
Du
willst doch nicht etwa darüber schreiben?! fragte Robert in scharfem
unangenehmem Befehlston. Das würde uns doch alle nur belasten und uns allen schaden.
Und
dann verschwanden die beiden. Carmen und Robert waren plötzlich "furchtbar
müde".
Vater
sagte nur abwehren: Ich war immer nur Privatmann.
Und
Mutter: Denk doch an unsere schönen Feste zu Hause.
Aber
der Apotheker habe doch sicher einen Knacks davongetragen, sagte Mutter eifrig
und ein wenig aufgesetzt bedauernd. Als wär er ein Analphabet, so spricht er,
und ist doch ein studierter Mensch. Auch habe er ja immer etwas Brutales
gehabt, fügte sie leise, fast schuldbewußt hinzu.
Hermann,
der mit Iren zum Abendessen gekommen war, meinte auch, bei Andreas wisse man ja
nicht, ja, zugetraut habe er ihm so manches. zumindest sei der immer ein
Neurotiker gewesen.
Alle
atmeten ein wenig auf. Hier hatte der Arzt gesprochen. Das war die Erklärung.
Jetzt hatten wir es. Dr. C. war ja schließlich neun Jahre im Gefängnis gewesen.
Da war doch alles in Ordnung.
Ich
aber ließ nicht locker:
Willst
du seine Taten etwa kriminalisieren, als wäre er ganz einfach ein Verbrecher,
den so ein Richter für alle andern "bestrafen" kann, als wären alle
andern frei von Schuld: Es war doch ein ganz allgemeiner Zustand damals.
Ja,
aber was war das für ein Zustand?
Hermann
meinte, keine Vergangenheit ließe sich fassen.
Und
Mutter sagte: Wir waren andere Menschen damals.
Iren
meinte, es sei kaum jemandem möglich gewesen, den Alltag, in dem man gefangen
war, zu überschreiten. Wie viele Leben müßte man haben, um nur auch einen
Bruchteil dessen zu erfahren, was wirklich geschehen ist. Es sei ein Gefühl,
eine Stimmung.
Er
habe Eindruck gehabt, sagte Hermann, daß in der offiziellen Geschichte über
jene Zeit und auch in vielen Erklärungen, weshalb es nun so war und wir so
gewesen sein sollen, unser Leben gar nicht vorkommt. Meines jedenfalls nicht.
Es
läßt sich gar nicht genau in Worte fassen heute, sagte ich.
Aber
was meinst du eigentlich? fragte Mutter bekümmert. Ist alles schlecht, was wir
damals gelebt haben, war unser Leben verfehlt?
Nein,
das meine ich nicht, nur, daß die gleichen Gefühle und Gedanken von damals
heute nicht mehr möglich sein sollten, aus gutem Grund, aus schrecklicher Erfahrung.
Und daß wir das alle nicht begreifen, weil unsere heftige Sehnsucht nach jener
Umgebung zu Hause Unwissen mit einschließt, als wären diese Gefühle nicht
durchtränkt von Falschem. Man müßte endlich einmal einen radikalen Schnitt machen
können!
Andreas;
von ihm geht auch heute noch eine Sanftheit und Rastlosigkeit aus, sein Gesicht
hat etwas Irritierendes, das auf die Anwesenden übergreift, die nicht wissen,
was sie so unruhig macht. Als ich ihn mit Jann in Innsbruck besuchte, da war
seiner Freundin Helga, einer blonden Frankfurterin, der Streß des dauernd mit
ihm Zusammenseinmüssens anzumerken. Sie war sehr nervös und ging unruhig von einem
Zimmer ins andere.
Andreas
hat eine weiche, pastorale Stimme. Und singt dann am Klavier ein Schubertlied.
Plötzlich ist er absent. Starrt auf einen entfernten Punkt außerhalb des
Raumes.
Helga
merkt, daß Andreas vom Wein nicht eingeschenkt hat, nur mir und sich selbst,
tippt ihn vorsichtig an, ähnlich wie man Irre berührt, sagt: Das war aber nicht
höflich! Sieht ihn mit einer milden Wut an, als sähe sie ein Brett vor seinem
Kopf, an dem nicht zu rütteln ist, und gießt selbst das Glas voll.
Andreas
hatte nur 'ja, ja' gemurmelt, kaum etwas
wahrgenommen.
Du
willst also ein Buch schreiben, erkundigte er sich neugierig: Was beschäftigt
dich?
Die
Ursachen unseres Verschwindens.
Aha,
aha, du bis also kritiksüchtig! Nietzsche hat da ein schönes Wort: Menschliche
Tugenden: Güte, Hilfsbereitschaft, Edelmut usw. sind nichts als eine Art
Luxusgüter, die wir uns nicht immer leisten können. Das habe ich irgendwo bei
Nietzsche gefunden, und das möchte ich unterschreiben.
Es
sind nicht die obersten und höchsten Werte?
Ich
möchte sagen, es gibt keine obersten Werte. Weltanschauung ist immer
biologisch: Ich will leben und überleben.
Andreas'
Gesicht war wie verweht, ein großes verschwommenes Ei.
Aber
auch ich meine, fuhr er plötzlich ungewohnt leise fort: Gewissensfreiheit ist
das Höchste.
Warum
bist du dann nicht aus Auschwitz geflohen wie andere auch? Stand die
Todesstrafe darauf?
Andreas
sah mich mit den bläßlichen Fischaugen amüsiert an: Freilich stand die
Todesstrafe darauf. Desertion. Aber nein, das wars nicht, an Mut hats mir nicht
gefehlt. Aber ich war für Ordnung, für bedingungslose Disziplin. Wohin hätte
ich auch fliehen sollen, es waren ja meine Leute, die dort das Sagen hatten,
die mich brauchten.
"Dort"
aber, an jenem Ort, geschah auch "Gräßliches", vor allem ganz am
Schluß, 1945. Die Krematorien rauchten, sagte er, die Verbrennungsgruben waren
gefüllt mit brutzelndem Fett der Vergasten, die keinen Platz mehr in den Öfen
fanden, aber alle waren froh, wenn Hochbetrieb war, denn das Lager hatte dann genug
zu fressen. Jeder Transport der Vergasten vergrößerte die Lebenschancen. Die SS
war betrunken, suchte nach Gold und Diamanten, stopfte sich die Taschen voll,
die Häftlingen im "Kanadabereich" ebenfalls, mit Geschmeide und
Schmuck, Gold und Edelsteinen konnte man Kartoffeln kaufen, ein Aspirin. Sogar
in der Asche der Toten wurde nach nicht geschmolzenen Brillanten gesucht. Im
Großen aber, ja, da wurde das Gold der Zähne in Stäbe verschmolzen ins Innere
geschickt des Reiche, um die Staatskasse zu füllen, die von wegen
Endsiegsanstrengungen leer geworden war. Vor allem gabs mehr zu essen, weil die
ins Gas Getriebenen in ihren armseligen Bündeln Lebensmittel mitgebracht
hatten.
Die
ins Gas getriebene Herde von Menschen, die in den Betonkammern schreiend
erstickten, man kennt die Schilderungen. Auch Dr. Capesius hat da durchs
Guckloch ärztliche Blicke geworfen, um den Exitus, der oft erst nach zwanzig
Minuten eintrat, festzustellen.
Diese
Erleichterung, weil die Suppe aus der Lagerküche durch die Abfälle von
Lebensmitteln, von Todgeweihten hierher mitgeschleppt, etwas dicker wurde.
Solche Suppen haben wenigstens kurze Zeit Hunger gestillt; Tod der andern:
Hoffnung auf Verlängerung des eignen Lebens.
Dr.
Capesius kam kurze Zeit, nachdem das Lager wegen Ansturm der bolschewistischen
Horden geräumt werden mußte, genau wie sein Kollege nach Bergen Belsen. Andreas
aber wurde Kommandant des Lagers Flossenbürg.
Ale
meine Sendung über Dr. Capesius' Tätigkeit im Süddeutschen Rundfunk
ausgestrahlt wurde und darin Mutters Feststellung: "daß mein Jugendfreund
Dr. Capesius wohl einen Knacks zurückbehalten hat" zu hören war, schlief
sie, weil sie ihn "beleidigt" habe, die ganze Nacht nicht. Ob er
jetzt wohl gekränkt sei, fragte sie. Die andern Dinge hatte sie einfach nicht
wahrgenommen, die waren alle nicht an sie herangekommen.
Und
als ich ihr die Stelle in meinem Manuskript zu lesen gab, wo Hermann einen
Ausspruch Andreas' über Tante Cäcilie zitierte: Seine Mutter sei keine gütige
Frau gewesen, strich sie das Wort "gütig" aus und schrieb "nicht
immer selbstlos" darüber. Andreas' Tätigkeit aber, die an den
"brennenden Gruben" , löste nichts in ihr aus. Ging es sie nichts
an!?
Gesichter
erstarrt. Befangen. Nicht Mitleid, nein, unklare Hemmung. Mund zu. augen auf.
Gefesselt von der Grube.
Mein
Freund Adam, der Häftling gewesen war, sagte, die gleiche Scham überfiel uns,
überall, nach Selektionen, nach dem öffentlichen Prügelstrafen auf dem Bock,
nackte Frauenhintern hochgestellt wie etwas, das nicht sein darf. Aufgedeckt,
Handlungen wie Schnitte ins tiefste Gefühl. Eine Scham gegenüber dieser Schuld,
die andere auf sich geladen haben. Oder die nackte Wahrheit, Qual, weil dies
alles faßbar, wirklich, erlebt ist. Ein Schlag, die Uhr steht. Irgend etwas ist
für immer vorbei. Nie wird mans abwaschen, vergessen können. Und ich war
verwundert, daß die Deutschen diese Scham nicht zu kennen schienen. Hatten etwas,
was wir nicht kannten. Wenige von uns rannten auf die Reiter zu, als das Lager
befreit wurde. Gedämpft die Freude. Jetzt erst sollte das Elend beginnen; keine
Ausnahme mehr. Man mußte nun damit leben, für immer. Darauf gibts keine Befreiung.
Stimmt,
sie kennen es nicht; es gibt eine innere Wand. Blei. Tatsachen und Befehle. In
der gläsernen Seele metallischer Sprache gebrandmarkt. Und mich hat man beim
Prozeß oft gefragt, sagte der Apotheker: Na, Sie hätten sich doch einfach an
die Front melden können! Ich konnte mich nicht an die Front melden, ich war zu
alt. den an der Front waren junge Ärzte, die Leutnants waren, die
Obersturmführer waren, die wollten nicht einen Apotheker, der Sturmführer oder
Hauptsturmführer war und dadurch nach SS-Manier das Kommando hatte.
Haben
Sie es mal versucht?
Nein,
da hat man gesagt: daß man nicht kann, daß man uns nicht braucht an der Front,
man kann uns nur im Hinterland beschäftigen.
Andreas
und Dr. Capesius gehören zu mir, wie ich zu ihnen gehöre.
Ich
träumte unruhig in jener nacht bei meiner Mutter in A., daß wir uns wiedersahen
nach tausend Jahren in einer Baracke, ich mit Frau und Kind und trug einen
zerknitterten Judenmantel, grau, zusammengepfercht in einem lastwagen, ein
kleines Gitterfenster, man sah von fern die Auen der Kokel. Und erfuhr später
von einem Alten, daß er ertrunken sei auf dem letzten Transport, blau der Tank,
der ihn überfuhr.
Als
müßte ich nicht nur an den Opfern, sondern auch an den Henkern etwas wieder gut
machen, zwei Hälften, zu denen ich gehöre.
Ich
höre Dr. Capesius stammeln, sein großer Kopf wackelt, Augen starr hinter
dunkler Brille. Und doch, ich weiß, er ist vor kurzem gestorben. Sein Tod? Ist
er nun besser im Bilde?
Und
seine Stimme in meinem Ohr ist immer noch da, breit und schleppend, als müsse
sie schwere Gewichte mit tragen, müde. Das Anonyme aus ihm, das tödliche
Klischee, wie früher, Gott abzuschaffen, die innere Stimme, die sich wehren
könnte wider die Vergiftung, und den Befehl?
In
einer Stunde werdet ihr euch wiedersehn... in einer Stunde... keine Angst...,
soll er gesagt haben, unser Apotheker. Auch die Unbekannte kann dort an; kamen
an ihr Mann und ihre Kinder. Ob er an jenem Tag, Pfingsten solls gewesen sein,
an der Rampe gestanden hatte, weiß niemand. Er sagte vor Gericht aus, an jenem
Tage sei er nicht dort gewesen... Pfingstbesuch in Berlin... ein netter
Landsmann. Ich höre vom Tonband seine Stimme:
...da
ist Sodom und Gomorrha, sagt er: Es gibt noch etwas mit der Unterwelt, irgend
so ein Zitat, das auch vorkommt, wenn es dir mies geht, wenn es am
allermiesesten ist. Der Himmel sei immer rot gewesen, sagt er, Luft voller
Rauch, süßlich, du riechst es, jeder weiß... versengt nach Haut... Ja, man hat
es gewußt...
Der
naive Terplan aber verfiel nun ins Brüten. "Mir wurde es ja langsam
klar", schrieb er, gleich nachdem die Gäset gegangen waren, ins Tagebuch,
"was für ein furchtbares Erbe ich in mir trage: und ich kann es nicht überwinden, aus meiner Seele
rausschaufeln: ORDNUNG, dieses Geheimnis nach dem wir suchen. Wie Ornung entsteht - das größte Geheimnis.
Aus dem weißen Rauschen, dem Möglichen, der Überraschung. Doch wehe, wenn sei
ein Fertzigteil, das Gewesene ist, ein Tick. Und kürzen so das Leben um eine Ewigkeit. Wie ES
dies schon im Sprachdurchlauf schafft, in furchtbaren Wortalchemien, die ja die
Macht sind: KL, HSSZPF, RF, SS. Anerkannt sogar vom Papst. Zur Beseitigung des
WELTORDNUNGSWIDRIGEN ZUSTANDES, Chaos, die bolschewistisch-jüdische
Aushöhlung und Infektion der Seelen (und Geschäfte), Kampf für den ordnungsmäßen
LAUF DER WELT. Onkel Andreas hatte früher einmal Terplan eine ORGANISATIONSSKIZZE des ordentlichen Dienstweges in Angelegenheiten
KL, geschenkt, die Skizze enthält auch die in der Praxis nachweisbaren
Befehlswege (gestrichelt) mit handschriftlichen Eintragungen unseres
Apothekers, der dankenswerterweise alle in der Skizze fehlenden
Vernichtungslager als ordentlicher Sachse nachgetragen hat. Ich hatte sie
Anbdrea gezeigt, der sah sie interessiert an, schob sie dann beiseite und erzählte
weiter, wie sie, um dem zu entgehen,
mit dem Kommandanten Höss gefeiert hatten, auch Weihnachten. Stille Nacht gespielt.
Heilige Nacht, alles schläft einsam wacht. O du Fröhliche, O du Selige,
gnadenbringende Weihnachtszeit. Mit dem Kommandanten Höß. Klavier gespielt, um
zu vergessen. Lichterbaum, Wunderkerzen, um zu vergessen. Tannenduft. Alles
schläft, eiin...saam wacht. Und tröstete sich damit, daß er noch denken konnte:
Und das FEST als Versuch dagegen. Wie die Musik. Was ist das Ewige: Gegen das Verkommene, Verlotterte,
Schmutzige, Unsaubere, und zu vernichten, was verfällt, wir: wollen das Lichte,
Blonde, wider die feuchte Stelle. Am besten und besser als das Niegesagte oder
die niegesagte Waise im Fest zu halten, darin wäre der Glanz des Nichts, der
einzig entspricht: Jahrtausende wie eine
Sekunde, und wir, du jetzt noch, ich nicht mehr, eigentlich immer nur abwesend.
Alles in die Flucht geschlagen, so zu sehen, ein langer Korridor, den du, ich
weiß, oft träumst, halb geöffnete Türen, Türspalten darin Menschen wie Schemen,
und durch die großen Fenster blickst du kurz, alles im Vorbeilaufen,
Ereignisse, du läufst da durch, bist nirgends da, kannst nicht ausruhn, die Einbildung, zu Haus zu sein,
gar dahin zu kommen, wie du, entschuldige, Idiot, es versucht hast, ist genau
so ein Schemen, kurzes Aufblitzen von Augenblicken, Bildpunkten.
- Ja, seit das geschehen ist, hat der
Rächer uns nicht mehr losgelassen, sagte ch zu ihm. Er hat auch Siebenbürgen
vernichtet.
Manchmal glaube ich, es ist die
Ordnungswut, die uns zugrundegerichtet hat, Ordnung und Sauberkeit, Disziplin, Pflichkantigkeit...Es war auch Hitlers
Wahnsinn, durchaus in klinischem Sinn.
Und ich spüre den analen Ordnungssinn auch
in mir, Ordnung auf dem Schreibtisch, alles in Reih und Glied, Bleistifte, Federn,
Papier, Bücher. Und fühle mich dann im Aufgeräumten wohl. Primitiver Kampf
wider die Entropie? Schmallippigkeit als junger Lehrer, da mußten die Schüler
in Reih und Glied stehen. Parieren. Und die nicht gehorchten, bekamen Prügel,
Strafe muß sein. Ich war in Amt und Würden. Bei den Vätern war es noch
schlimmer mit der Ordnungsbesessenheit und den zusammengekniffenen Lippen. Ihre
Taten wären anders nicht möglich gewesen.O Donna Clara, ich hab dich tanzen
gesehn... Und ist es nicht so, daß dieses Lied, Kitsch freilich, doch am besten
das Unwahrscheinliche ausdrückt, das freilich zeitweilig befestigt wird mit einer
schönen Naturerscheinung, solange wir da sind, versteht sich, gesungen also
während der Kriegszeit von den Frauen, die Angst um ihre Männer hatten, zu oft
nämlich, kam dieser schwarze Feldpostbrief. Das Lied aber, ist das Gegenteil,
auch Mutter sang: Es geht alles vorüber, es geht alles vorbei, und sofort dann
weiter: Nach jedem Dezember kommt wieder ein Mai.
Der RÄCHER ist aktiv. Die Furie des
Verschwindens. Es hat alles nichts genützt, sie hat gesiegt, auch im Kleinen
siegt sie täglich, siegt dieses Unerkannte, das alte Nie, siegt jede Sekunde
über uns: die Rache Entropie."
Nein, da fand er doch diese Ähnlichkeit des
heute aufgetauchten Cris mit den Opfern, den Dottore heiter vermittelnd und
Ruts Geist ganz anders, ganz und gar das Gegenteil vom Tod, eher ein sich
aufbauendes Leben, das den Schrecken hinter sich hatte.
Ach ja, ach, ja, wie schön wars, als der
Tod noch im Lied gewesen war! Gar in
Schuberts "Lindenbaum":
Terplan hörte es in sich singen, und er sah sich auf der Sandallee beim
Sommerhaus in Siebenbürgen. als Kind auf einem Lindenbaum sitzen, ein
Leinensäckchen um den Hals und süße Lindenblüten für den Tee pflücken, bei
Fieber zu trinken. Und Mutters Stimme hört er: Sorg auf dich, daß du dich nicht
vom Baum zu Tode fällst. Ich würde das Künd nicht da hinaufsteigen lossen: sagt das heisere
Stimmchen der schwerhörigen Großmutter, der Mitzmother, die mit ihrem zittrigen
Stimmchen: "Am Brunnen vor dem Tore" singt. Und da steht ein
Lindenbaum. Und träumt in seinem Schatten so manchen süßen Traum. Und rührt
auch heute noch Terplan, rührt ihn mehr an, als jeder Tenor mit seiner feinen
Gesangskunst; die Mitzmother sang es vereinfacht,
laienhaft zitternd, ja, tremolierend, mit dem Klang einer schrecklich
unerfüllten schweren Sehnsucht und einem quälenden Heimweh nach ihrer Jugend:
"Noch einmal achtzehn Jahre möcht ich sein!" in ihrer Stadt, die nur
hundert Kilometer von S. entfernt war, doch die sie nie mehr sehen durfte. (
Wohin genau aber wollte sie "zurück", in eine ortlose Gegend: Noch
einmal achtzehn Jahre möcht ich sein!) Aber auch sie variierte den
"Lindenbaum" bei der zweiten Strophe bis zu den "kalten
Winden" in Moll, und besonders anrührend bis zum Weinen bei der letzten
Halbstrophe, ihrer Reprise "Nun bin ich manche Stunde", und dem
"So manches liebe Wort", wie nun: ganz im Fremden und Verlorenen und
Kalten, sich heftig zurücksehnend "Als riefen sie mir zu" und
"Entfernt von jenem Ort", und griff auch ohne helles, warmes und
atemkluges so maßvolles Schluchzen eines Tenors - mit ihrem ganz wirklichen
Schluchzen dem Kind Michael ans Herz, daß er es bis heute nicht vergessen kann,
ja, mit seinem eigenen Heimweh verbindet, das er fast schon vergessen hat, eine
Wunde, die vernarbt ist, aber immer wieder aufreißt. Vor allem beim Hörbaren
des nur im Erinnern Hörbaren dieses
Stimmchens: "Zu iihm mich iiiimmer fort", oder gar: "Hier findts
du deine Ruh". Und sang es ganz bewußt als letzte Sehnsucht, wo sie im
Tode sein wollte, fand aber die letzte Ruh dann doch nur in S. auf dem
Bergfriedhof und nicht zu Hause - bis
heute. Ja. Das Gotterbarm. Und jener Sandweg, Sommerhaus, Leinensäckchen, der
Lindenbaum mit dem Weinen im Singen der
armen Mitzmother und das Herzzerreißende daran, das ihn packte ganz unmittelbar
und stark, war das Unheimliche, das dahinter stand, das war nicht nur das
Abschiedsweh, sondern verborgen das letzte Abschiedsweh wars, das
dahinterstand, und eine ferne Heimat, die niemand denken wollte, sie sich
verbot, da sie so unwahrscheinlich, weil so ganz anders und unerklärlich, wenn
auch ganz deutlich in unserem Gefühl
steht, in ihrem Gefühl erzittert.
sondern kleine Leute, etwa anderthalb Meter
groß, die hatten Arme und Beine, doch ihr Körper verschwamm in einem
Lichtkreis, einem Lichtkegel, der sich durch die Türe auf mich zu bewegte, aus
dem Bad kam dieser Strahl, ich meinte zu ersticken und schrie. Jetzt war es
ähnlich, ein vibratorischer Übelkeitszustand, und Gedächtnisfetzen kamen hoch.
Ich war befremdet... Und hoffte noch rechtzeitig aufzuwachen... Blaue Tanne,
rote Glaskugeln. Elfi, die Tote, erzählt. Mit ihr stehe ich vor einer
Bahnschranke, dahinter Hügel, niedrige Häuser, ein Kreuz, Schanzgraben, Katzenköpfe,
Wiesen gelb von Primeln, diese Adjektive, Frühjahr, wie ein verkapptes Verb,
Rauhreif, auch an den Telegrafenmasten, auf den Drähten, alles tropft ins
Jenseits, und in den Türen auf der Gasse große Liebespaare. Dann diese
Schranke, die sich hebt, donnernd fährt ein Güterzug mit Panzern vorbei. - Und wenn diese geschmeckten Bilder sich
zusammentun, ists ein dichtes Netz von Gerüchen, und dann sind wir im Paradies,
jaja, in der Kinder Zeit; aus der Badewanne steigt Dampf hoch, wie ganz am
Anfang die Wolken sind des Herrgotts Bart, aber der glühende Badeofen aus
Kupfer zischt, und hier werden Brüderchen und Schwesterchen von der Stiefmutter
erstickt. Durch die Jalousienritzen
kriecht in Scheiben das Lampenlicht von der Gasse herein, und im feinen
Strahl steht ein kleiner Silberengel und tanzt, tanzt, bis er ganz zu
Staubflimmern wird. Und diese winzigen Engel berühren mich sanft und
hoffnungsvoll Der Hohlweg im Baum Garten mit raschelnden, dürren Blättern,
randvoll gefüllt, darin Waten, Geruch mürbe Erde Blatt zerbröselt, und ein
Holzweg fällt ein, Laufen der Kinder, holprige Wege, unter dem Nußbaum ein
Sandhaufen, und ein Astloch, da vergruben wir Sand bis das Loch zuwuchs... und eben fährt Bubi
auf grünem Rad surrend den Weg hinab.
Unten am Steinplatz aber der Fiaker, Brr. Hoh. Pferde, wie nah. Und aus
dem Fiaker stiegen die Mitzmother und der Großvater, klein mit Stock, Brille
und Hut, die dicke Warze unter dem milden hellblauen Auge, die Mitzmother mit
Sonnenschirmchen, ächzend, fettleibig den Weg hinauf, die Steigung am Lindenbaum,
vorbei, ich hör ihr zittriges, zerbrochenes Stimmchen, wehmütig: Ich schnitt in
seine Riiinde, so manches süße Wort.
Und hinter ihnen Erschi, die Magd aus dem Szeklerland, mit einem
riesigen Henkelkorb, da gabs Eßbares, frische Kipferl vor allem, Semmeln,
Yoghurt, Mineralwasser, Borsek oder Wasser aus Homrod. Dahlien blühten, dieser unbestimmte Geruch in
der Luft, Geruch von Holzfeuer, gebratenen Pilzen, ein blauer flimmernder
Himmel, eine Federwolke, und darüber, dort, sieh, Mama, der große Engel mit
einem Kopftuch, der fliegt. Die blaue
Luft wie eine feste Glasglocke. Dann verwischte sich langsam das Bild und wurde
wieder zur Wolke.
Am
Morgen war Terplan wie gerädert, und er versuchte seinen Zustand durch Schreiben zu verändern: diesen Zustand,
der in ihm aus dem vergangenen Leben nachhallte, und den er
"draculös" nannte: "Auch ich bin andauernd zwischen Ost und
West, also zwischen Sein und Nichtsein herumgereist, mein Herz unentschieden; doch
diese Unentschiedenheit gehört zu meinem Wesen; die Formen, die beruhigen, eine
gewisse Lebenssolidität, die so tut, als wäre sie alles, es ist das erregende
Abenteuer, da zu sein, und die Tragik dabei zu vergessen, nahm ich vom Westen,
auch von jenem in mir, den mir die strenge Erziehung und Disziplin beschert
hatte, Disziplin gegen dies ewige Aufgestörtsein, diese Unruhe, dies andauernd
nicht fertig sein zu können und zu wollen, das Improvisieren, die Vorläufigkeit;
die Sehnsucht bekam ich vom Osten mit, aus der Bodenlosigkeit und dem andauernden
Mangel, die Sehnsucht in die Ferne, anderswohin zu kommen.
Terplans Traurigkeit war chronisch, er war
sehr oft traurig, doch weinen konnte er nicht, staunte und beunruhigte sich
fortwährend, und die meergrün gesprenkelten Augen, die ganz klein sein
können, als wollte er die Welt verschwinden lassen, sind in letzter Zeit öfter angstvoll geweitet;
es machte auf ihn einen deprimierenden
Eindruck, daß alles fremd war, die Fremde hier bedrückte ihn. Und Hannah hatte recht,
ihn manchmal "Idiot" zu nennen
- oder "du Kindskopf", wenn er
seine Schreianfälle und wilden Ausbrüche
hatte. Er war zwar kein Kind, aber es fiel ihm schwer, mit Erwachsenen
umzugehen, er mochte sie nicht, er liebte keinen, er fühlte sich aus irgendeinem
Grund mit ihnen nicht wohl, er spürte, daß sie nie echt sind, sich andauernd
nur verstellen, und er mied ihre Gesellschaft, ist heilfroh, sie loszusein, in
den Großstädten steigert sich alles zur Qual, und er ist lieber hier allein;
auch Hannah ist lieber mit ihren Blumen und Sinnen hier allein, und allein mit
ihm, so passen sie gut zusammen. Und vielleicht ist dieses der tiefere Grund,
weshalb sie hier im fremden Land und auf einem einsamen Berg leben.
III
Doppelt-
in RN: streichen!
Keine
Einsamkeit schmerzt mehr
als
die Erinnerung an Wunder.
Jossif
Brodsky
Die
Passanten stießen uns an, boxten, weil ich nicht mitschwamm im Menschenstrom. Dabei hatte ich doch keinen
Gipsarm. Für körperlich Behinderte wird hier viel getan. Die meisten meinen,
ich sei durchaus da und
"kerngesund." Keiner sieht mir etwas an. Doch es ist seit einiger
Zeit alles anders. Zeit gilt nur
zufällig noch, wenn ich auf die Armbanduhr sehe; bevor ich losfuhr, das Auto
hatte ich im Parkhaus am Bahnhof gelassen, die Stadthölle und der Ring mich
aufnahmen, dachte ich: jede Handbewegung
muß nun anders werden, und sie wird es; jeder Gedanke tut weh. Fast tröstlich
war es; da drohte mir ein Autofahrer,
weil ich mich nicht eingeordnet hatte. Dieser idiotische Verkehr, dachte ich.
Aber die Vergangenheit holt uns ein, nicht nur die eigene. An einer Ampel
überquerte eine Alte, den Fußgängerüberweg, sie trug ein Kopftuch, wie man es
hier nun immer öfter sieht, alte Bäurinnen scheinen wieder auferstanden zu sein
an Fußgängerüberwegen, sekundenweise eine Schutzzone für Menschen; es war an
der Ampel bei Grün, vielleicht eine Sizilianerin oder Griechin, mit einem
kleinen Mädchen an der Hand, vergewisserte sich, daß der Wagen in dem ich saß, nicht anfährt, überquerte schneller den
Fußgängerüberweg, Ich beobachtete sie bei Rot, das Gesicht dieser Alten... in
mir brach etwas auf, als wär sie wieder da meine Kindheit, und ich meinte eine
Blume, eine gelbe Himmelsschlüsselblume vor mir zu sehen, die ich ganz deutlich
sah an einem Steilhang, Weiden,
Fliercher schnedden, sagt ein kleiner Junge, ein Duft auch nach frischgemähtem
Gras, und Erde, dazwischen in mir die
Blume, die ich vergessen hatte abzugeben beim Erwachen, und die mich am Leben
erhält, eine Erinnerte. Unzeit hier. Und ich mußte zurück, viel weiter zurück
als in die Kindheit, das war mir klar. Etwas wie Herzweh. Oder Herzzerreißen
der Dinge, und meinte einen Kirchenbaß zu hören in einem kleinen orthoxen
Kirchlein, und Onkelchen, der Pope singt: Der Tod mit dem Tode besiegt.
Und
als ich dann wieder im hellen Licht der Straße stand, schien es mir, als wäre
ich aus der Klinik entlassen
worden.
Die andern aber haben mich ganz schön
angetrieben: lichtschnell in der eignen Assoziation haben die ihre Agentur,
Stimmen, drängen zum Aufschreiben, wie auch jetzt wieder, und ich nahm als erstes im Auto mein Notizbuch, bevor ich
losfuhr, die Stadthölle mich aufnahm. Nur zwischenzeilig komme das Wahre an.
Ich fuhr Richtung Theresienwiese.Heimweh in
dieser hupenden, stinkenden Straße:als wär sie wieder da, diese Blume, eine
gelbe Himmelsschlüsselblume, ein Duft
nach Gras und Erde. Und hier nun die alte Narbe. Der Sohn. Maria.
DER
SOHN
In der Sankt Paulstraße angekommen,
erzählte ich es auch meinem Sohn. Sagte, es sei wie ein Déja-vu-Erlebnis
gewesen, die Bewegungen, der Ausdruck der Alten sei mir sehr vertraut. Ich bin
gern mit dem Jungen zusammen, er ist jetzt zwanzig geworden, bin gern mit ihm
zusammen, er ist einer der wenigen, der mir glaubt.
Immer wieder an diesen Ort zurückzukehren,
das war Michaels Leben, sah erstaunt auf seinen Sohn. Jetzt habe ich einen
Eisbeutel auf dem Fleisch, es brennt wie Feuer, meine Brüste sind
geschwollen, Milchfurie. So hatte ihm
Maria vor Jahren nach Deutschland geschrieben. Ein Junge, der dir ähnlich
sieht, nur dir. Unglückseliger. Da kannst du deine Finger und Zehen sehen. Es
sind deine. Die Haare genau wie bei
deiner Geburt: ein wüster schwarzer Haarschopf. So, als hätte nicht ich ihn
geboren, sondern eine andere Frau. Daß es ihn gibt, ein Zufall, ein Wunder.
Nichts.O Mann, wie Leben und Tod zusammengenommen, wäre ich dir keine große,
sondern eine kleine und erträgliche Last gewesen. Jetzt fallen mir vor
Erschöpfung die Augen zu. Was gedenkst du jetzt mit deinem Sohn zu tun?
Tempi passti.
So einfach ist es nicht. Er ist 20 und ich kann jetzt
mit
ihm über alles sprechen. Ohne Boden nach der Herkunft fragen? Er frägt nicht.
Er sagt nur: wenn ich könnte, würde ich den Schalter abdrehen, alles auf Null
stellen.
Ich stelle mir sein Ich vor. Könnte er
nicht so reden: Ich bin im Zimmer meiner Mutter, wohne da, daß ich hierher gekommen
bin, ist klar, doch wer weiß, wie. Im Krankenwagen, ja. Von dem, was
übrigbleibt, ist zu sprechen, und endlich Abschied nehmen. Doch habe ich keine
Willenskraft. Als hätte ich den Platz meiner Mutter eingenommen, schlafe in
ihrem Bett.
Es sind 20 Jahre vergangen seit meiner
Flucht. 20. Lang zum Leben, zu kurz zum Sterben. Was bleibt. Sie hat ihr Leben
für ihn geopfert, ihre Investition. Jetzt stehn sie zwischen Tür und Angel, im
Streit. Sie schreit ihn an, steht da in ihrer selbstgeschneiderten Jacke, mit
Tand behängt, wie ein schöner Clown, das Gesicht ist wie Bronze geworden, ich
denke, eine edle Indiofrau. Er aber, sein schmales Gesicht mit der
beherschenden Nase, gerötet, schreit zurück in den Spalt, wo sie steht im
Schutz der zu kleinen Öffnung, draußen, und als dränge er sie noch weiter aus
dem Raum, geht er drohend auf sie zu, schneidend seine Stimme.
Sie ist gegangen. Wir sind allein. Immer
muß sie Recht behalten! sagt er. Und die andern Unrecht, auch wenn es umgekehrt
wahr ist. Ja, sage ich, deshalb habe ich mich ja von ihr scheiden lassen. Diese
Frauen, sagt er, sie wollen einen immer nur einsperren, für sich behalten.
Im italienischen Lokal auf der
Landwehrstraße hatte der Streit begonnen. Warum habt ihr mich überhaupt
gezeugt, sagt er mitten in eine Stille hinein. Ich leb nur euretwegen weiter,
auch euch zu Liebe.
Eine unheimliche Energie kommt da zum
Vorschein seit er verliebt ist. Sein reines junges Gesicht mit den blaugrünen Augen
strahlt vor Wut, als nun Maria anfängt auf ihn verbal einzuschlagen in ihrer
ennervierenden Art mit ewigen Refrains.
Es geht um das Verlassen des Elternhauses.
Der Sohn hat eine Freundin, er will ausziehen, er will sein Leben beginnen. Du
kannst ja gehn, sagt sie mit vor Eifersucht zitternden und angstvoller Stimme.
Hat sie mich deshalb, hat sie in dieser Panik nach mir gerufen. Sie will, ich
soll ihr helfen, oder sie möchte wenigstens einen Zeugen haben. Er war mein
Ersatz. Er nabelt sich endlich von ihr ab. Aber für sie ist es eine
Katastrophe. Sie redet vom Altenheim. Vom Grab. Wohin soll ich gehn? Sie lehnt
sich zurück, nippt vom Wein, ist wie erstarrt. Ihr Gesicht bekommt einen
hektischen Anflug von verhaltener Nervosität, die jederzeit ausbrechen kann. Er
ist stärker als sie. Er hört jetzt weg. Ist abwesend. Sie hat Angst vor dieser
zweiten Scheidung. "Ihr flüstert hinter der Tür. Ihr werft mich aus dem
Zimmer. Ihr treibt alles hinter meinem Rücken.Ich sehe euren haßerfüllten
Blick." - Mir macht er keine
Vorwürfe; er sagt nur: Bin ich denn schuld an ihrer Scheidung, an ihrem Umzug
von Ost nach West. Daß sie hier fremd
ist, und die Sprache nicht beherrscht? Daß ich zu den Behörden gehen muß, mich
so verstecken kann. Daß ich ihr die Akten übersetzen muß und ihre Gedichte? Bin
ich an ihrem mühseligen und nervenaufreibenden Beruf schuld? Und diese Scheißwohnung,
so wie in ihr, so ist auch außen keine Ordnung. So wie in ihr diese Angst,
einen freien Platz zu lassen, horror vacui, wie bei Patienten, sagt er. Woher
weiß er das alles? Plötzlich ist er auch an der Drogentherapie interessiert und
fragt mich aus. Der kleinste Platz, sagt er: in der Wohnung ist vollgestellt
mit Schund. Mit Dingen, Nippes, Tassen, Andenken, Zeichnungen. Ich kann in
diesem Durcheinander, wo das Atmen schwer fällt, nicht mehr leben. Stühle aus
dem Längstvergangenen stehn herum,
Tassen, alte Kleider, Kinderbücher. Sie kann nichts wegwerfen, sie kann nicht
vergessen. Jetzt will sie zurück, eine Villa in den Karpaten kaufen, hat aber
keine müde Mark übrig. Sie läßt sich immer nur betrügen, sie ist wie ein Kind.
Ich bedauere sie, sage ich. Hast du kein
Mitleid. Nein. Wir gehn jetzt dem Ausgang zu, an der Garderobe ein Spiegel. Er
sieht hinein. Übrigens, sagt er, wenn ich in einen Spiegel sehe, erschrecke
ich, weil ich noch nicht realisiert habe, 20 Jahre alt zu sein, ich meine immer
noch den kleinen Jungen von damals zu sehen! - Was soll ich da sagen!
Ja, sagt er. Doch je mehr ich mich an das
neue Bild gewöhne, umso klarer wird mir die Trennung. Ich muß weg, um nicht
krank zu werden. Sie macht mich wahnsinnig.
Und dann jene Szene zwischen Tür und Angel.
Ihr Wutausbruch. Doch keiner fürchtet ihn
mehr. Ich bedauere ihre schreckliche Ohnmacht. Früher terroriserte sie damit
alle. Jetzt bietet er ihr Paroli. Er ist stärker als ich, und ich sehe ihn
verwundert an. Wie hat er das nur geschafft, trotz seiner Krankheit. Mein Leben
habe ich für dich geopfert, schreit Maria, keine Gefühle von dir. Du bist kalt
wie ein Fisch...
Hör auf mit dem Quatsch, brüllt er zurück,
zitternd vor Erregnung, das feine Gesicht blaß vor Wut.
Und als sie draußen ist, schreit er: ich
haue ihr noch eine runter, ich schlag auf sie ein, wie sie es getan hat, jahrelang!
Es ist doch deine Mutter, vergiß das nicht.
Ich würde es bei meiner Mutter nie wagen, so zu reden, sage ich erschrocken.
Terplan
mit seinem Sohn in der Sankt Paulstraße am Fenster, ein wenig abwesend, wie
meist, und meint plötzlich zu wissen, daß alles, was ihm im Leben hier zustößt,
mit seiner Absenz, mit dem Vakuum zu tun hat, mit einer schmerzenden Leere, die
ihn ausfüllt, mit seiner Unmöglichkeit zu lieben, der Bruch mit Ornella zeugt
davon. Der alte Streit mit Maria, weil jedes Fest zerbrochen ist, die Kindheit
immer noch in ihm fault.
Die
Welt ist alt. Und sie ist eigentlich schon verstorben, und lebt trotzdem
weiter, ein lebender Leichnam.
Überall im Zimmer lagen Spielkarten herum,
Zauberutensilien von Michael oder Leachim,
wie er sich nennt, und seinen Namen nur "verkehrt" akzeptiert! Er
tritt vor Publikum auf, und der schlaksige Zwanzigjährige mit der kräftigen
Nase und dem dunkelblond gewellten Haar, das er sich, den Vater nachahmend,
gern lang wachsen läßt, ist stolz drauf. Ob es nun gut geht mit dieser Droge
des Auftretens und des äußeren Erfolges? Maria meint: Ja. Terplan zweifelt. Er
ist abwesend und der Junge muß sich schützen. Seine Schuld, kein Vater gewesen
zu sein, und doch einen Sohn zu haben!
Leachim ist verletzlich, er hat viele
Ängste Er hat anfangs hier sehr gelitten, als Kind noch Kung-Fu, diesen
Kampfsport, chinesische Selbstverteidigung geübt, ja, genau dies: Selbstverteidigung.
Der Schock des Weltwechsels saß anfangs tief. Jetzt kennt er nur noch die
Folgen, mit denen er leben muß, von den Ursachen weiß er wenig. In der Schule
hatte er es schwer, er, das "Ausländer-Kind", das er nicht war: Maria
hatte einen deutschen Paß. Und sein Vater hatte ebenfalls einen deutschen Paß.
Nun gut, der Zauberer mit dem Zylinder und dem Flitterkleid, schmächtig und
blaß, dunkelumrandete Augen.
Leachim liegt oft. Ist oft müde. Schon
jetzt. Er versucht sich mit Hilfe der Phantasie
aus der Härte des Alltages herauszuspielen, ihn so umzugestalten, daß
er erträglich wird, er und die Umgebung, auch Maria oder Terplan in ein
Fabellabyrinth reinzuholen, und da nach Wunsch das Geschehen zu beeinflussen.
Blitzartig wurde Terplan in der Unordnung
dieses Zimmers bewußt, daß dies sein Leben war, das er nur träumte. Vater und Sohn kramten in den alten Märchenbüchern und Spielsachen des Jungen,
amüsierten sich über "Frau Holle" und "Schneewittchen", und
Leachim nahm dann seine neuen "Besseren Geschichten", vor allem
Castaneda und Zauberbücher. Er meinte, die
alten Bücher könnte er nun an eine kleine Nichte verschenken und
"weitergeben". Doch einige Märchenplatten wollte er behalten. Sie seien eine Erinnerung
daran, daß er vielleicht doch auch hie und da einmal eine Kindheit gehabt habe!
Und Maria kamen die Tränen in die Augen.
Terplan träumt noch immer von zu Hause.
Auch Maria träumt vom Schwarzen Meer, von der Donau. Es ist etwas abgeschnitten
in ihnen, losgerissen, es kann wohl nie mehr heilen. Nicht einmal der Zauber,
die Musik können heilen. Und wenn der
Junge noch flüchten kann, ihnen ist das unmöglich, die Erinnerungräume, die
wehtun, bleiben für sie weiter eine Drohung und Gefahr, es ist ein großer,
drückender Ernst, der zu Hause noch weich war und verschwommen, hier aber hart
ist wie Stahl. Und alles ist unausweichlich, Flucht unmöglich.
Terplan sah, wie jung, ja, schön Maria
trotz ihrer fünfzig Jahre noch war. Wie schafft sei das nur, dachte er, trotz
der seelischen Strapazen dieser fünfzehn
Jahre, kein einziges graues Haar zu haben, keine Falten im Gesicht; nur um den
schmalen Mund ist ein harter Zug. Und dann erschrak er, wie sie sagte, sie sagte es so nebenbei:
"Die Zeit der Liebe liegt in der Vergangenheit, und sie war doch so
schön, nicht wahr, ich zehre davon, es gibt für mich keine andere
mehr." Und er verstand, weshalb sie
immer noch keinen neuen Partner gefunden hatte, obwohl sie immer wieder davon
sprach, sich nicht scheute, Zeitungsannoncen, Heiratsanzeigen aufzugeben.
"Aber der Junge, der Junge", sagte sie: "Es wäre doch ein
Verrat. Wie du verraten hast! Mit sechzig vielleicht, mit sechzig, wenn der
Junge aus dem Haus ist!"
Der Junge begleitet den Alten spontan zum
Bahnhof, zum Nachtzug nach Italien. In der U4 an der Theresienwiese sagte er,
"du hast es auch nicht leicht mit deinen beiden Frauen, Maria ruft dich,
wenn Not am Mann ist, ruft dich in ihrer
Panik hierher nach München, und jetzt mußt du zu Hannah fahren, weil in
Italien diese sintflutartigen Regengüsse alles überschwemmen, sie Angst hat.
Oder einsam ist." Würde er seiner Freundin sagen: Mein Vater, der ist OK?
Einer, der ihn verlassen hat? dachte Terplan.
Ob
er sich an die gemeinsame Reise nach Berlin erinnere? fragte er den Jungen.
"Freilich erinnere ich mich",
sagte Michael mit seiner immer noch leicht mutierenden Stimme. "Da war
ich acht."
"Und wir standen an der Mauer, ich
wollte dir das zeigen, kurz nach eurer Ausreise aus Bukarest. Und da gab es
einen ähnlichen Vorgang des Umwegs, der sich in einer Sekunde vollzog."
"Daran erinnere ich mich nicht."
"Aber du erinnerst dich doch an die Quadriga."
"Daran schon, auch an die Posten. Und
an den Hasen, der über die Grenze hoppelte, da schoß keiner, weil der und auch
die Vögel frei seien, so sagtest du."
"Frei, mein Junge, ist nur unser
Satz, der seltsame Vogel. Und der müßte viel mehr noch und bis in die kleinsten Details alles
einbringen, um das Erlebte und Gesehene zu verstärken, ja, aufzulösen.
Verstehst du?"
"Mir schon klar!" Dabei sah
er Terplan mit den grünen, etwas verschleierten
Augen an, als müsse er um Entschuldigung bitten, es nicht ganz begriffen zu
haben.
"Aufzulösen! eingeweicht, eingetaucht
in unser ganz normales taghelles Bewußtsein, das abnimmt, an den Rändern schon
aufbricht. Weißt du, was ich meine? - So
wie du früher die Märchen als wirklich erlebt hast. Nichtwahr?"
"Ja, ich verstehe. Wie das Gefühl beim
Klavierspiel."
"Weißt du, was ein Traum ist?"
"Nein, aber ich träume."
"Die Grenze verschwindet", sagte
Terplan behutsam. "Seit ich jenes Erlebnis hatte, ich hab dir doch davon
schon erzählt, ein Gedächtnis war in
mir aufgebrochen. Dies Fallout des Paranormalen, nicht wahr. Und die
>Wirklichkeit< wird immer fahler und gespenstischer, und den Rest
besorgen die Strahlungen. Und oben auf unserem Berg, wo ich mein Haus habe,
da wird auch das Grün davon erreicht, das Gras, die Trauben nehmen die innern
Zerfallszeiten mit auf. Verstehst du?"
"Ja, es steht ja auch in den
Zeitungen."
"Als hätte die Welt ihre Grundlage
verändert. Oder die ewige Grundlage beiläufig die Welt, sagte Terplan. Und sie
sind sogar in unseren Schläfrigkeiten die Sekundenpausen, sind ein Tor. Und
die Toten können sich jeden Augenblick bei uns melden, sie sind ja nicht tot,
das ist nur eine Legende unserer Vernunft. Solch ein wichtiger Moment war für
mich auch jener Augenblick damals in Berlin..."
"Ja, ja, aber davon weiß ich nichts
mehr... "
"Habt ihr heute Geschichtsunterricht
gehabt?"
"Ja."
Der Junge mit den meergrünen Augen
blätterte gelangweilt im Buch: "Das
mit dem Fallout würde mich viel mehr interessieren!"
Terplan sah erstaunt auf seinen Sohn, der
erwachsen geworden war, mit dem er sich unterhielt, als wäre es für ihn
nun ein Spiegel.
Es
war kurz vor der Abreise. Und er fragte:
"Wieder gen Süden?"
"Nein und Ja. JANEIN. Ich muß, die Arbeit
ruft."
"Lucca?"
"Ja, Lucca und Siebenbürgen.Ich muß
endlich Klarheit haben."
"Seit 15 Jahren suchst du danach!"
"Seit 4o. Aber nun bin ich der Lösung
nah."
"Hat das mit deinem Traum zu tun? Weißt du etwas Neues?"
"Ich habe den verdammten Turm gefunden.
Und in ihm den Traum."
"Welchen Turm?"
"Früher war es der Sprachturm ... in dem
man eingesperrt war.."
"Und heute?"
"Es ist der ganze Körper, nicht nur der
Kopf! Nein, alle Körper, die wir je gehabt haben..."
"Eine erregende Entdeckung. Aber kein
Kunststück, bei dem Zeitaufwand! Also
doch die alte Geschichte?"
"Eine tödliche Heimkehr! Doch es ist
eine andere Grenze; und sie bleibt unsichtbar. Und das Fahrzeug ist der Tod,
ein Augenblick Erhellung ohne Leib" ... "
Vom Vater auf den Sohn, vom Sohn auf den
Vater. Die Umkehr: Leachim ist Diplomzauberer.
"Es ist mein Beruf", sagt er;
er ist davon besessen, und dies rettet ihn. Nun war er eingeladen worden, auf Schloß Solitude und
dann im Palais Waldheim in Böhmen bei Kongressen über Barock und Manierismus
zu zaubern. "Ja, die Schlösser", sagt er, "das gefällt mir.
Hoffentlich spukt es da auch ordentlich. Brauchst keine Angst zu haben",
sagt Terplan: "Es ist alles superreinlich und zu Tode renoviert!"
Er zeigt Terplan seinen Zauber-Plan und das
Arrangement des schwarzen Wunderkabinetts, Terplan ist erstaunt, daß er sich
im Manierismus so gut auskennt. "Wenn mich etwas wirklich interessiert",
fliegt es mir zu, sagt der Junge: "Ich muß leider stumm zaubern, so ist
alles ein Problem der Gestik. Wortlose Zauberei. Dies läßt sich gut durchführen
mit den Symbolen des Barock und des Manierismus, es ist ja das Thema!
Zauberstücke sind da wichtig. Illusion.
Etwas vortäuschen, die ehrliche Verstellung. Das führt direkt in mein Thema.
Das Meraviglia-Stück (Wunder-Stück) oder Wunderkabinett."
"Ah", sagt Terplan,
"wunderbar, du kennst dich aus. Manierismus. Weißt du, daß ich einen
Helden in meinem Buch hab, der in jener Zeit gelebt hat." "Da kann
ich einiges von dir erfahren." "Granucci hat sogar in solch einem
Palazzo gewohnt: im Palazzo Spada in Rom. Da gibt es eine Säulengalerie,
die nur 8 Meter lang ist, doch durch Illusion und Perspektive wirkt sie so,
als wäre sie unendlich lang. Der Eingang nämlich ist sehr hoch und breit, 5
Meter breit, der Ausgang aber, den man dann in der Perspektive sieht, ist nur 2 Meter breit. Und dahinter ist eine
Statue zu erkennen, die aber nur puppengroß
ist, doch jeder glaubt, sie sei normal groß."
"Ja, phantastisch, Inganno, Täuschung,
ehrliche Täuschung! Durch einen Effekt.
Auch Du arbeitest damit?"
"Ich werde eher geführt, ich weiß
nicht, wer mir all diese Geschichten eingibt und so auch erzählt!"
"Schon diese Einfälle sind Wunder.
Glaubst du an Engel?"
"Natürlich,
Engel sind ganz gewiß da. Die brauchst du ja auch.“
Vater war gestorben wie' das Land; ein Tod, der immer schnmerzt, bis er selbst alles auslöschen
wird; sein Gecshmack und Geruch ist in
mir und wartet. Weiß, wie das erste Leintuch.
Wie der kalte Schnee, den ich als Kind in den Mund nahm.
Marias Mutter
war da. Die Nächte standen
still. Die Angst kam langsamer an als
bisher. Das Würgen nahm ab.
Dann
waren die vier Wochen um; Die Behörden: Das Passamt; Der Beamte.
Das
Warten vor der Tür. Lange Bänke. Sein Blick, prüfend, kalt, abweisend. "Wir möchten die Aufenthaltsgenehmigung
verlängern."
"Oder
hatesie die Absicht für immer in der Bundesrepublik Deutschland zu
bleiben?!!"
"Vielleicht",
antwortet Magdalena naiv.
"Was
heißt hier 'vielleicht', bittschön: entweder-oder. Das müssen Sie wissen!"
"Bitte,
nicht so schnell; das ist nicht so leicht.
Nicht so schnell, bitte..."
"Sie
haben Zeit bis Ende September, dann aber, bittschönl.' eine bestimmte und
genaue Antwort.“
Die
Mutter braucht eine Vollmacht.
Vielleicht steht ihr eine Rente zu. In sich aber trägt sie das Leben der
Verirrten. Und die Toten geistern in
ihr, und ihre Seelen, sagt sie, besuchen sie jede Nacht.
Ihre
Kleider hat sie mitgebracht; einen alten rumänischen Trach-
tenrock;
gestickte Tischtüther4 Vasen und Ikonen.
Und eine eint, ver-
zieht
schmerzlich das Gesicht;/-einer der Heiligen Drei Könige unter cfem
vcrlöschendeii Stern. Es könnte Melchior
sein. Hörst du es singen. -Schnee
knirscht unter den Schuhen. Steaua sus
rgsard. Kopfunter und vergraben -in
vielen unsichtbaren Blättern. Nein,
nein, es ist nichts, es tut lücht mehr weh, gottseidank, es ist wie bei einer
schweren Krank-heit, wenn der Kranke zu schwach- ist, um Schmerz zu
spüren. Wir sind nur sehr allein. Verlassen; und der Boden steht oben, er steht
am Himmel, und du mußt, es ist lange bekannt: auf dem Kopf gehn, um ihn zu erkennen.
Das
Land aber, das Land, das sehe ich jetzt von außen, wenn ich diese Dinge, die,
MU ter mitgebracht hat, in die Hand nehme, und die
so
riechen, sich so anfühlen, wie ich es gewohnt war, so vertraut.
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