Dieter
Schlesak
AUFBÄUMEN
Gedichte
Rowohlt
1990
Neuauflage 2008
Hier
ungeordnet die Gedichte, die ich elektronisch besitze, plus das Nachwort:
HINRICHTUNG
Nach einem Film von Scorzese,
"Christus"
EIN
KLIRRENDES FENSTER ERZÄHLT: Maria im Bild
am
9.November, schon kalt, Maria im Großen Wagen.
Am
Starnberger See ein Kino. Wir
träumen,
aufzuwachen - es ist Ja alles wieder
gut?
Gott aber ist/ der Tod. Und
hing
noch immer mager dort oben am rissigen Holz, ein schwarzes Röntgenbild, das
Kreuz an Ihn genagelt. Er
schrie,
den Kopf in die Ohnmacht geneigt, der Leib verkrümmt
und
weiß. Die Haltung Blut und Schweiß drückt euch den Atem ab. Sekunde, der Riß/
im Kopf das Hirn der Dornen. Ein
Lichtblitz
in jeder Zelle. Sein Intervall: So geht es
weiter
und weiter. Nichts ist entschieden. Erst aus dem Auge
des
Fehlenden käme der Blick, der dich sieht. Du aber bist nicht da, und alles geht
weiter, immer weiter zurück, - ins Letzte, das Mineral. Wo aber bis du, wo /
auf der andern Seite des Feldes und rufst, und winkst so deutlich ein weißes Ja,
wie der Frieden, der hier nie sein
kann. Doch das Fehlende kommt. Schon pfeifen es alle Kugeln von den Dächern. In
die Fernsehantennen. Das Wirkliche bleibt unsichtbar. Wie die Zeitlupe Trost
oder der Schrecken. Raumfähre Challenger am Himmel, am Bildschirm verglüht der
Vorschein und vernetztes Licht, live: der Tod am blauen Himmel.) Die Strahlen
in allen Zellprogrammen verändern den fehlenden Namen.
Er
stieg vom Kreuz, nahm die Frau Magdalena in seine
Arme
und schuf Menschen. Er hatte also den Tod
besiegt.
Wie jeder junge Mann wollte er
die
Welt verändern, dann aber sah er ein,
alles
ist so / wie es ist.
Judas
ging auf ihn zu und schrie: du Verräter, du Schuft.
Elender,
dein Platz war am Kreuz, nicht im Bett.
Jeder
Idiot kann Kinder zeugen, du aber, du gehörst
in
die SCHRIFT.
Judas
Herz war ausgebrannt, das Leben vertan.
Und
jener, den er verraten hatte, sprach ihm gut zu:
Höre,
jung sein, heißt, die Seele fliegt zu hoch,
und
fällt dann vom Himmel herab; das Erdenleben,
mein
Freund, ist ein verdorren der Schwingen.
Aber,
sagt er, wenn das Leben kein Blitz mehr
im Hirn ist,
was
soll ich damit, sieh, wie dumm sie alle sind, im Dreck,
Elend
und Langeweile.
Der
andere, der wußte, will ihn umarmen.
Rühr
mich nicht an, ich glaube an nichts,
ich
bin ausgebrannt, und bin ein Nichts, sagte
der
Judas und schrie unbeherrscht los. Alt, doch
ein
Kind, keine Reife, der Mann. Reife, die Resignation. Ja, die letzte
Resignation.
Wir
werden uns in einer Stunde/ wiedersehn.
Unsre Zeit ist
vergangen,
im andern Blick, wenn wir vergehn.
FREIE
ZEILEN
Fragmente
Nein,
ich bin kein Prophet,
der
alles weiß, Sein Sprach- und Steig-
Rohr
heißts. Nein,
Sein
ist nicht Staat machen,
Sein
ist. Und fließt durch uns
reißt
und zerreißt
was
vor dir steht und steht
nicht
in der Mandel
Bitter
das alte Nichts.
Wie
jung in allen Augenblicken
und
aus
zu
halten.
x
Rücksichtslos
tun,
was
dich treibt, -
gegen
die Zeit/ Verlust,
daß
du lebst.
Ein
Auf Atmen so,
wie
du dich hältst:
gehörst
nicht dir,
tu,
was dich zur Berührung treibt,
ist
ewig.
8/89
PAGANINI
I
Pause
Hier, spielt, und paginiert,
sein Grab in Stagliano, Genua,
sieht
das Meer. Wer?
Dreifach.
Dreiklang, Geigen und Galgen hängen
wir
nicht hoch. Oder am Himmel. Du Herrgott Zwischen
wie
eine Terzine die Note in seinem Kopf
besessen.
Ein
Teufel, sagen sie, Dämon,
die
Sekunde ein Tremolo: virtuos, so über-
leben
und endlich alles vergessen.
PAGANINI
II, Eine Biografie
Gestorben
im Ja, verdorben, mein Fleisch
und
was, du, Herr ist außer dir noch nah,
Musik,
sagt Nichts. Aus, wortlose Folge
gelebt,
im Herzen bist du da, spielst über dich
hinweg
vor Angst, bleibst leer und lebend nur Virtuose,
daß
sie dir mit den Ohren folgen können. Sie sind erstaunt.
Und
sie wehrten sich. Und sie ließen ihn nicht mehr vergehn.
Verdorbenes
Nie, 5 Jahre lag er präpariert für jede Ewigkeit
in
einem Keller. Dann kam der Überlebte Tod nach Parma,
und
kam dann auf sein eignes Gut, und kam auch in die Erde,
und
kam und kam und ohne jeden Ton, wortlos
wars
dann Stagliano, Genua, das Grab sah dann -
stillschweigend Meer.
Kein
Ton, das Spielen fällt ihm seither
schwer,
und
schwerer, fast wie die Erde, die uns
deckt.
KÜHL GESTERN NACHT in Liebe
abgeseilt
Die Sinne schwanden/ Mitte der
Nacht
Das Jetzt riß ab: im Stilbett
eines Reizes
Tor einer Sinnenrose. Entfaltet
Weiß das Feld der Atmung
Und Sesam offen/ haargenau
Die Springflut.
Die Seile angespannt
Kommt ihr hinüber
Die Spanne weit
Das Lustsymbol
der Riß.
ES GEHT UMS LEBEN was
bleibt,
so in letzter Zerstörung,
fern glänzend
und eisig der letzte Punkt.
Man stelle sich vor, Flecken
für
Flecken, angesammelt so nähe
ich hier
buchstabengenau und unsinnig
Naht für Naht das Zerfetzte,
den kleinen Mantel des Lebens:
aus/ dem, was nie sein wird.
Vernichten meine Zeit und
meine Träume
im Dunkeln flicken diesen
Mantel Jetzt,
Als Dank zu wissen, daß die
der Himmel
durchs Loch den Schein hier
blenden läßt,
von einem Stern, das
längstvergangene Licht.
KEIN ABSCHIED, keine
fernen Taschentücher, Träne
ins Fenster
Ich seh nur deine Hand im
Tür
Spalt, schnell gereicht
das Schwarze Buch, nimm
kein A-dieu, darüber hinweg
gegangen, hart bist du
die Schale deiner weichsten
Frucht.
Und lag dann doch, weil
ich den Spalt zur Tür
gemacht,
mit meinem Kopf in deinem
Gras
und seiner Umkehr Frau
der Duft mit meinen Lippen
du, die ich
hier nur gesprochen.
Ist es nicht so,
du kannst nicht Aschied
nehmen,
es gibt kein Nie und auch
kein Wo,
wir sind dann nicht
getrennt,
in uns ist Abschied
Wir sind schon immer
mit dem Tod verwoben
DA
DER GELEBTE AUGENBLICK
Und ich: wer bin ich da Und
bin ich da? Was seh ich da:
haus pinie blau ein himmel
die pinie grün kalkweiß der
stein
der golf hat ruhe wie in ihm
gespür
doch hat er mich gespürt
ich/ ihn erst du
läßt mich ihn sehn
mein offenes ohr/ ein wort
grad geht die sonne unter
wie jeden tag
sagt Hume: der Augenblick
gewohnt ist da ein Nebelhorn
singt die Sekunde
als Sommer schon so spürst
du/Jetzt
bewegt was ist
hier ist mein offenes ohr
die zeile die den golf
ausklinkt:
und ich verlass den starren
körper.
Wir schrieben`s auf und
waren da
wie schön wie schön auf
dieser welt /zu sein
bald bin ich fort und ihr
bleibt hier
gibts dafür einen grund?
(HIER: sieh, ich
sage hier
ich sage
nein. Solang ich sage).
UND jetzt: der nasse Pudel
setzt sich her
mit seinem nassen fell
auf dieses blatt papier
und weiß nichts von dem
grund
dem blatt auf dem er sitzt
verwischt er alle meine
Zeichen .
MITTEL MEER
Die Landschaft ist dir nur
ein Halbschlaf
blitzende sonne im wasser
ihr wort
und kein geheimgang mehr
Laute wie der möwenschrei:
ich bin doch wirklich, sieh,
noch da!
Welch eine botschaft/ die
dich noch erreichen will
außer keinem streckt sich
in der geschriebenen möwe
erst
ein anderer erlöser aus
wie ich daran erwache in
einem
kurzen Blitz hier eden -
mein herz schlägt höher ein.
Das bild des alters ist
/dies unverhoffte
glück das Nie/ wie`s grüßen
ließ.
WAS SUCHST DU HIER/ das meer
versucht zu glänzen
sein heimgang absolviert als
wärs das ganze gar
was war: du korrigierst was
ist
"woher du kommst, so
geh zurück und lies,
wohin du gehst,"
lektüre ist das jetzt
das schöne
gleichgültige meer erinnerst es
was du schon oft geträumt
ein schiffswrack
ist der grund nach dem du
tauchst
und hast was du gefunden
hast:
in diesem Augenblick
versäumt.
Bitte überprüfen und vervollständigen
Nachwort
Dieter Schlesak
DER SPRACHBAUM, DER
HIER STEHT
Die Welt ist ein Sprachbaum der
Information, ein Buch; darin zu lesen, bis in den Aufbau der Genen und
Chromosomen, gelingt. Doch je genauer es entziffert ist, umso näher dem
Verschwinden befinden wir uns mit der schönen bunten Lichtwelt.
Der
dichteste Ort der Welt ist der Kopf, der sie vernichtet, Spiegel des
"Schöpfers", der nun zur Erschöpfung führt, eine Art neuer
Sündenfall; wir kennen den ersten Fall am Baum der Erkenntnis im
menschheitlichen Kindheitsparadies Eden. Es scheint sich zu erweisen, daß jene
schönen alten Legenden lauter große Modelle sind, für deren Gültigkeit wir
jetzt mit unserem eignen Leben einstehn müssen.
Tod
war schon in jener alten Bibellegende Folge des Essens vom Baum der Erkenntnis;
das Abreißen der Frucht, - es war ein Eingriff, eine Störung. Heute ist dieser
Eingriff in die Natur eine große Störung, ja, Zerstörung geworden.
("Fels
nach dem Ende. Kein/ Fließen mehr. Nach/dem Fall/ Jahrtausendespät/ versteinert
das Hirn // Erschüttert/ aus dem Mund/ kein Gott, Gebrochenes/ Hier."
Hebräischer Block).
Alles ist noch da und doch wie längst vergangen.
Und nur noch die Sprache, letzter Widerschein eines möglichen Glückszustandes,
leuchtet uns heim, macht die Abwesenheit schmerzlich bewußt und führt doch
Unmögliches wieder zusammen, bis hin zum Totengespräch mit den Millionen Opfern
dieses höllischen Laufes zum Ende falscher Erkenntnis. Aber wie dem gerecht
werden? Den Grund des Hebräischen ins Deutsche zu bringen, gehört dazu. Er
führt über die Grenze unserer Vorstellung hinaus. Darauf verweist auch der
Titel dieses Buches: AUFBÄUMEN. Dieses "Aufbäumen" geht von einer
figura etymologica aus, daß der "Baum sich auf-bäumt". Darin
überschneiden sich mehrere Sinnebnen. Sich auflehnen; dann das Bild der
verbrannten Toten auf einem Rost, Leiber, die sich im Feuer krümmen. Dann das
Paradiessymbol Baum und der Sprachbaum der jüdischen Kabbala. Und schließlich,
die Vorstellung, daß nach der kommenden Katastrophe der Mensch wieder als
posthistorischer Affe auf den Bäumen leben wird.
Dieser
Sprachbaum, dieser Informationsbaum des Alls, von jener unsere Vorstellung
überschreitenden Intelligenz, die man mit einer Metapher "Gott"
nannte, eingesetzt, damit ein Mensch, ein Tier, ein Stein, ein Stern, ein Haus
oder ein Fluß sein kann, in seiner spezifischen Form so ist, wie wir ihn sehn
und kennen, wird nicht mathematisch, sondern poetisch oder
"poietisch" (alte Lehre vom Bau und der Struktur) in der Genesis
entfaltet. Ihre geniale Proportionslehre (im Hebräischen) freilich läßt sich
nicht in unsere Neusprachen übertragen, denn in jener Vor-Babel-Sprache liegt
hinter dem Namenssinn noch der Zahlsinn, da jeder Buchstabe gleichzeitig Zahl
ist, und so ein hintergründiges Bezugsgeflecht entsteht, das im Satz oft mehr
aussagt, als die Erzählung, die naiven Geschichten also von Adam und Eva, oder
von Noah und der Sintflut oder von Kain und Abel. Wir tun es und wir gehn damit
um seit Kindertagen und wissen es nicht. Die Katastrophe der heutigen Welt hat
damit zu tun. Aber auch damit, daß Zahl und Name, technisches Wissen einerseits
und andererseits davon wissend ihm zutiefst ent-sprechen können, auf tödliche
Weise getrennt sind. Und offensichtlich widersprechen die hergebrachten
Denkweisen und Vorstellungen, Normen des Verhaltens und der gesellschaftlichen
Organisation in geradezu gefährlicher Weise jenen mathematischen Wissensvoraussetzungen,
die genau diese Lebenspraxis hervorgebracht haben und sie täglich ermöglichen.
Wir alle gehen täglich mit den elektronischen Haustieren, wie Radio, Fernseher,
Computer um, die die Zeit- und Raum überschreitenden Tiefendimensionen in unseren
Alltag holen. Doch diesem Eingriff in die Natur durch die Technik ist das
Bewußtsein und die Moral entzogen. Und auch eine Lebens- und Denkpraxis, die
auf einer Ebne jenseits der Körperwelt funktionieren könnte.
Es
paßt zu den Absurditäten des Okzidents, daß er mit einem ungeheuer wichtigen
Teil seiner Kultur so umgeht, wie er mit dem meisten umgeht, was nicht in sein
rationalistisches Konzept paßt: verdrängend, ausklammernd, hassend. So auch mit
dem Hebräischen, dem Jüdischen und dessen gesamtem Kosmos, wo Zahl und Name,
Tun und Transzendenz noch zusammengehört hatten.
"ER
starb. Wir zerschossen die Tafeln. Das Tetragramm mit der/ Fünf mit der Zehn.
Und es knallt so dröhnend lautlos/ in den Ohren der Schrift./ Kugelvokale,
Konsonanten zischen, bellen an die Wand.../ Und Einer, der schreibt,
zersplittert, zerschossen, verbrannt." (Schrift an der Schwarzen Wand.)
Der
hebräische Sprach-Baum der Kabbala ist das Modell für die Struktur dieses
Bandes, er ist aber verkehrt gedacht: mit seinen zehn Ästen von der Zehn bis
zur wortlosen, nicht ausdrückbaren Eins ist er auf den Kopf gestellt, geht von
der 10 zurück zur 1 und zur Null, wie beim Countdown: "Null, 10, 9, 8, 7,
6, 5, 4, 3, 2, 1...Null./ VOLLE LADUNG, die Welt/ ein Tumor an der Schläfe./ Schreib/
ab." (Sphärenklang). Anstatt Schöpfung - die Erschöpfung der Welt. So gehn
auch die Kapitel, die einem PROLOG NACH DEM ENDE folgen, zurück von der Zehn
zur Eins. Und das Prinzip des Rückwärtsgehens und vom Ende her Lesens wird auch
in einzelnen Gedichten angewendet. Ab der Mitte des Bandes ist auch das
Rückwärtslesen so angelegt, daß die zwei Zeitbewegungen, eine in die Zukunft,
die andere zurück in die Vergangenheit gehen. Die beiden Bewegungen werden wie
die innere Zeichnung einer Sanduhr zu Versen.
Die
zehn Kapitel haben wie die Äste oder Sphären des kabbalistischen Sprachbaums
eine Beziehung zur Bedeutung der ersten zehn Zahlen und Buchstaben. So zum
Beispiel I, das letzte Kapitel, das den Bogen zum PROLOG NACH DEM ENDE schlägt,
und NICHTS STOCKT. NULL. DER CHOCK heißt; es ist nach der unaussprechbaren,
undenkbaren Eins (denn ausgesprochen wäre es schon Zwei) und nach dem ersten
hebräischen Buchstaben Aleph, der nicht geschrieben werden darf, eigentlich zum
Schweigen verdammt. ("Entworfen der Baum, der in die Zeile wächst. 'Esset
nicht davon, rührts nicht an`/ - :2: bereschith bara -, `daß ihr nicht
sterbet`. Was/ In dieser Sprache uns fehlt, gehört/ in unsere Spaltung..."
Optik der Erkenntnis.) Die SCHRIFT, auch die heilige, beginnt mit dem Geteilten,
der Zwei, mit B, dem Beth: "Bereshith bara" (Im Anfang schuf",
aber eigentlich im Kopf schuf) denn Resch heißt Haupt, "reschith"
Hauptsache KOPF. Das II. Kapitel ist ihm gewidmet: HAUPT SACHE LICHTPUNKT DER
ÖFFNET. Die 20: Kaph, ist die schaffende Hand. Gott hat ja die Welt aus der
schwingenden Information der "Sprache," aus den 22 hebräischen
Buchstaben und Zahlen ( Sephira= Zahl, Kräften, Sphären) erschaffen, und
Kabbala heißt "Macht der 22" (Kaph=20, Beth= 2, La ist das Wort für
Macht.)
Die
sieben Schöpfungstage hängen ebenfalls mit der Tiefenstruktur der ersten 7
Zahlen und Buchstaben zusammen. Die ersten sieben Kapitel (10-4) von AUFBÄUMEN
haben deshalb eine Querverbindung zu den sieben Wochentagen und ihren
Bedeutungen. Doch sie beginnen erst mit dem vierten Kapitel. Denn Kapitel III-I
sind der sogenannte Urraum (Zimzum), der "achte Tag", jenseits von
Zeit und Geschichte, doch zugleich in ihnen verwoben: I Null, II Lichtpunkt,
III Grenze oder das Hinabgehen in Klang und Form: Dieses Hinabgehen ins Materielle
ist sehr nah an den Modellen der heutigen Informationstheorie: Erst die
Erscheinungsform im Kopf als Wissen des "Lichtpunktes" als
Nulldimensionalität des Reshith (allerdings immer noch als berührbare
Unendlichkeit) ermöglicht es dem Urlicht der Eins (En-Sof im Hebräischen) hier
in der menschlichen Welt überhaupt zu erscheinen. Dieser Punkt aber braucht
Laut und Klang, die Begrenzung, Umhüllung des Unmeßbaren, Verstofflichung des
Gedächtnisses, das nicht von dieser Welt ist (Wissen im Samen, in den Genen,
Chromosomen, dem Atom), Mater Materia ist ja Geist, der nicht als Geist
erscheint,aber er braucht die Form, die Grenze, um sich verkörpern zu können.
BINA, der dritte Ast (oder die 3. Sphäre) die Ur- Mutter ermöglicht es.
Wir
sahen, der Ausgangspunkt von AUFBÄUMEN ist das Essen vom Baum der Erkenntnis
mit allen Folgen. Es gibt dazu eine schöne altjüdische Legende: als Gott sich
in Adam verkörpern wollte, dem Ebenbild, gab es ein großes Geschrei im Himmel,
weil Er Adam mit den eignen göttlichen Kräften und Möglichkeiten ausstatten
wollte. Da erbot sich die Schechina ( die mystische Rose), diese Ur-Mutter, mit
hinabzugehen und als "Einwohnung Gottes in der Welt" den Mißbrauch
der Erkenntnis und damit ein kosmisches Unglück zu verhindern. Es scheint nicht
gelungen zu sein. Der Strahl, der über sie die 7 Tage (oder Stufen) der
Erscheinungswelt als kosmischen Bau bildet, war zu stark, diese
Schwingungskonfigurationen brachen vor allem im Licht der Augen die
"Gefässe", (das Auge bricht. Lichtbrechung, feste Welt!) der Strom
von oben nach unten wurde unterbrochen.
Dazu
kommt, daß Adam, der Mensch, das Strömen im "Fall" nochmals
unterbrach, das Außen, den Augenschein, die Frucht vom Baum trennte, und so der
Tod auf die Welt kam, denn der abgerissene Körper stirbt ja
"tat-sächlich"; Formen sterben, die Information des Samens, der sie
weiß, aber bleibt im Immateriellen erhalten! ("Niemand, der es weiß wie
Gott: `Iß (ACHOL), so/ wird dein Auge aufgetan,`/ die Netzhaut/ `Ein
Ewigkeitszeichen`." Optik der Erkenntnis). Essen, "Essen" der
Sinne, Aneignung der Welt heißt im Hebräischen "Achol"; es verbindet
A, die Eins, mit Chol, dem Vielen, dem spezifischen Schwingungsklang der in
jedem Ding als Eigenart vibriert. Liebe ist die Verbindung der fünf Sinne auf
höherer Ebne der Berührung. A-Chol. Das Zerreißen, die Spaltung ist die Hölle.
Das Sichtbare, so vom Einen getrennt, ist seither einem furchtbaren Ungenügen,
ist den zerstörerischen Gewalten, die Macht über den Körper haben, wehrlos
ausgeliefert. Heute ist dies als Riß in uns und in der Welt und als Schmerz zu
spüren, auch die Not-Wende: Denn noch nie war diese größte humane Aufgabe, das
Ganze wieder herzustellen, die abgerissene Verbindung wieder aufzunehmen, so
lebensnotwendig und dringlich, und dies nicht nur für die menschliche Welt, wie
gerade heute. Denn jenes Falsche, jener Makel, eine Wunde, die im Menschen am
hörbarsten tickt, ist nicht nur in einem, für viele unerklärlichen Leidensdruck
spürbar, sondern auch in der Falschheit des klassischen Erkenntnisansatzes:
letzlich hält uns die Natur den Spiegel unserer eignen Mittel und Instrumente
vor, so z.B, formuliert in Heisenbergs "Unschärferelationen," die die
Berechnung einer zeitbedingten kognitiven Unfähigkeit sind ( "...Und was
wir fassen können, Unkenntnis/ Sprachgewimmel,/ geht Jetzt als Rechnung auf.
Licht,/ das diese beiden Welten trennt/ zusammenhält, strahlt/ Aus." Optik
der Erkenntnis). Erstaunlich ist, daß sich in der Quantentheorie unser
Fehlverhalten sogar berechnen läßt durch die auf den Beobachter bezogene
Wahrscheinlichkeit und die damit verbundene "unvollständige Kenntnis eines
Systems". Das besagt die Formel. Der Physikerphilosoph C.F. von Weizsäcker
schreibt sogar "Vielheit ist letztlich nicht wahr. Der Begriff eines
isolierten Objekts ist...nur eine Annäherung, und eine schlechte. Mathematisch
gesprochen enthält der Hilbertraum eines zusammengesetzten Objekts nur eine
Menge vom Maße Null von Zuständen, in denen eine bestimmte Zerlegung dieses
Objekts in Teile real ist.... Fakten sind irreversibel, aber Irreversibilität
in einem isolierten Objekt bedeutet nur mangelnde Kenntnis der Kohärenz (der
`Phasenbeziehungen`) der Wirklichkeit... Objekte (sind) nur Objekte
für endliche Subjekte (d.h. für Subjekte,
denen gewisses mögliches Wissen fehlt." Aber diese Falschheit und Störung
des Ganzen durch unkontrollierbare Eingriffe ist für die gesamte Natur und für
die menschliche Gattung insgesamt gefährlich geworden, sie äußert sich
ökologisch, atomar und in zunehmendem Maße auch im biologischen Informationssystem
als Krebs, als Aids und als Neurose und Geisteskrankheit.
Aber ist das Falsche nicht schon im Ansatz
des Humanums da, das Auf-Tauchen in der Körperexistenz, somit: Ausgewiesensein,
also Hiersein. Die Ur-SCHRIFT, Information und Gottes-Wissen also, die die Welt
baut, war der Bibel nach ursprünglich mit schwarzen Feuerbuchstaben auf weisses
Feuer geschrieben ( Atomfeuer, Kern und Schalen?). Innerste Formung, die
wirklich werden sollte. Zwei Eingrabungen: Herzschrift und Mündlichkeit, sie
waren aber noch nicht sinnlich wahrnehmbar, nur als Gedankenanreger da. Das
weiße Licht war die SCHRIFT. Der Baum des Lebens. Das Mündliche und nach ihm
Verkehrte, das davon Abgespaltene, Gedeutete und menschlich Geschriebene hieß
Baum der Erkenntnis, die schwarze Schrift; es waren die Begrenzungen und die
Gesetzesmacht, auch die Naturgesetze und die Mächte der Zeit, also des Todes.
(Zeitstrafen, Paragraphen, Folter, Todesurteile gehören dazu.) Moses gelang es
auf dem Sinai zum weißen Licht, zu den verborgenen Tafeln der zehn Ur-Worte
(der Sphären I-X) vorzudringen. ( Der deutsche Vers in AUFBÄUMEN empfindet es
heute wie eine Satire: "Mit dem Zungenspitz zur Tafel/ weder Zehn noch
schwarzer Stein./ Griffel Staub und etwas leichter./ Besser ist die Eins
gelacht/ ganz und gar noch ungedacht/ brennt dir schon der Fingersatz - Spiel
nur spiel mein Wortschatz weiter/ in der Wüste Himmelsleiter." Sinai.)
Alles, was aufgeschrieben werden kann, mit Tinte auf Papier, auch in der
Genesis oder der hebräischen Thora, ist nichts als Deutung, ja, nur halbwegs
Wahrheit, gar Fälschung. Im besten Fall Metapher und Gleichnis, der Rest aber
ist Schweigen. Im kleinen Blitz der Intuition und Ekstase Nichts als ein
Schimmer. Aber auch dies ist höchst aktuell. Nicht einmal die so einfachen mikrophysikalischen
Vorgänge, die in unserem Bildverständnis mal als "Teilchen" , mal als
"Welle" im Vor-Schein und "eingedeutscht" da sind, lassen
sich einfangen, sie sind wie Träume, die am Morgen aus dem Wachzustand verschwinden;
als wären sie noch unberührt von der Erbsünde des Augenscheins, dem sogar die
Buchstaben der Genesis ausgesetzt waren, wie die Kabbala meint. Ihr
grobmaterieller Charakter sei eine Folge des Falls. Ebenso wie Adams
Lichtgestalt eine materielle Haut bekam und die Erde nicht mehr durchsichtig
war wie vor dem Fall. Der Himmel war dichtgemacht. So wie das Chaos der
Augenblicke Jetzt, sei auch die Buchstabenkombination der niedergeschriebenen
Genesis noch verkehrt, erst beim Ende der Welt werde sie lesbar sein. Ein
Spiegel des Sünden-Falls in der Wirklichkeit, so erscheint zwangsläufig alles
gespalten und vermischt in Lüge, Wahrheit, Gut, Böse, also paradox und absurd,
Sprachprozess dessen, der ist und schon nicht mehr ist: der Abwesende. Aber
auch ein paradoxes Problemhandeln im Möglichen leuchtet auf.
Neben
der mathematischen Formel und der Musik ist das Gedicht die einzige Möglichkeit
der herrschenden gefährlichen Hohlform des Wirklichkeitswahns und seinen
Täuschungsmanövern und sozialen Manipulationen durch Hinabtauchen in die Tiefendimensionen
zwischen den Zeilen zu entgehen, und zugleich zum Angriff überzugehen: so dem
historischen Erbe, dem fassbaren Nichts zu ent-sprechen, - selbst eine dichte
Sonde im Freilegen des Absurden, wie beim Unfasslichen einer Todesnachricht, an
dieses anzulegen. Und entlarvt z.B. im Blitz der Erkenntnis, daß Differenz nur
gedacht, in Wahrheit aber Alles-Eins ist. ( "Von Schönberg vertont: Es ist
Alles-Eins." Sphärenklang.) Das Undenkbare des Todes, der Schlag einer
Todesnachricht, sind dafür Zeuge. Sie lassen nun auch historische, ontologische
und alle Kategorien der Logik oder der Zeit, Raum und Sprache hinter sich.
Heute als Möglichkeit kollektiver Auslöschung, wo jeden Augenblick auch das
Gedächtnis und die Toten auf der Erde noch einmal sterben können, ist der
Gedanke des Todes ein apokalyptisch Allgemeines, in seiner Tabula rasa noch
furchtbarer als früher; "Null, 10/9,8,7,6,5,4,3,2,1.../Null. VOLLE LADUNG,
die Welt..." Damit ist freilich Kunst lächerlich, jenes Nichtsein kann
nicht mehr an etwas Bestehendem, gar am Schönen gemessen werden, Nein, jeder
Satz wird durch sich selbst dementiert. "Streich Wolken Himmel/ Blau Meer:
immer noch da/ das Bild mit der fliegenden/ Feder hier durch: Viel Rauch/
anstatt Geruch wie schön/ die Wolken einst zogen im Hirn:/ Streich durch was
Himmel war/ gebrochen und wir. /Darüber die Erde tief;/ der vergangenen Zeit/
entsprochen." Fragmente für das Gewesene Kommen.)
Jeder Poet ist wie der Wissenschaftler an das
Noch-Nicht- Gewußte, den alles bedingenden apriorischen Grund (das Eine) durch
seinen Einfall gebunden, keine überholte Spezies, nein, er taucht dort ein und
holt ein unbekanntes Lebewesen vom Grund ans Licht. Es wurden formale Findungen
und Erfindungen, auch Schnitte traditioneller Strukturen (Sonett, Madrigal,
Akrostichon, Terzine, Rondell, Psalm, aber auch Innenreim, Anakoluth,
Inversion, Paranomasie etc.etc.) zur Herstellung der "Worthöfe" und
für die Differenzen mit dem Nichtsagbaren eingesetzt. Angestrebt wird ein Gedicht über das Gedicht und die
Literatur hinaus; die Sprache, der Satz, die Syntax der Versbewegung werden
gebrochen, als metonymischer Schreibprozess soll die "Wirklichkeit"
und unser kausal funktionierendes Bewußtsein umgekehrt werden wie ein
Handschuh, daß er so im Zwischenraum zwischen 1 und 0 mehr ausdrückt, als wir
wissen, wir meinen, den Verstand zu verlieren. Manchmal (vor allem im VII.
Kapitel) ist es ein Gespräch mit den Toten, die auf einer Ebne mit mehr Bezügen
leben, es wird so möglich, sich jenem Glück zu nähern, das wir schon hier
empfinden können, wenn das Netz der Zusammenhänge dicht ist und reich, schon im
Undenkbarbaren an der Grenze unserer Vorstellung, ziemlich nahe in der Reihe
des Zählbaren mit der Eins und dem Einen, nicht mehr getrennt und gespalten,
sondern heimgekehrt. "Die Leute gingen /in seine Verse hinein/ wie in
einen Gasthof, um vor dem plätschernden Regen /der Sekunden sicher zu
sein." (Geistergespräch. Milton). Auch wir freilich wissen genau so wenig
wie die Spinne, wie wir unser Netz weben, das dauernd zerreißt, und wir
Schmerzen empfinden, weil wir im Zerrissenen leben müssen. Und im Zweifel, daß
es doch nur ein Surrogat ist:"Unsichtbar schmerzt ein Papierkind."
Und: "Aufs Blatt geworfen, solange die Stunde/ hält,// ein Hof,
sonst/stürzt du atemlos/ hinab.//*/Zurück, zurück. Die Spindel Spur:/ der Zorn
nach vorn, nur was dazwischen/ sinnt, kommt noch im Himmel vor."
(Schatten, ein Blatt).
Wäre eine Herausführung und Engführung
durch WORTHÖFE und Sprach- BERÜHRUNG in "Zustandsräumen" möglich? Das
Unversöhnliche zwischen Unsagbarem und Sagbaren, dem Noch-Nicht, uns und der
andern Ebne, den getöteten Möglichkeiten und dem Vergangenen zu heilen? Aber
Berührung wird ja erst möglich in Zuständen zwischen Leben und Tod, in Sphären
von denen wir durch den Körper getrennt sind. Und diese Art zu denken ist
tabuisiert, mit Vergessen auch in uns geschlagen. Muß der Verdrängung des
Unvorstellbaren auf allen Ebnen mit INVERSIONEN geantwortet werden, wie es Paul
Celan versucht hat, ebenfalls mit Para- und Hypotaxen? Freilich, man müßte
selbst vom Blitz getroffen sein, um zu "wissen". Und der Zweifel ist
quälend, ob es nicht nur Annäherungen am Blindenstock der Feder sind! Es ist
aber so, daß viele von uns selbst täglich mit innerem Druck den Todeszustand
fühlen. Günter Kunert sprach von einem "neuen Leiden", die wirklich
neu seien: "daß der Tod, eine ART Tod, mehr eigne Realität besitze als das
sogenannte Leben... Sich des Abgetötetwerden oder Abgetötetseions bewußt
werden, löst das Schreien aus..." Die Metapher ist ein vielleicht antiquiertes
Sprungbrett dahin zu kommen, wo wir uns jetzt befinden, hinüberzukommen in den
historischen Nullnereich, wo womöglich eine Tür wartet. Aber auch die
gescheiterten Versuche entsprechen genau dem radikalen Nachher in dem wir
leben, als Gespenster der Geschichte. Dieses Desaster ist aber nicht alltäglich
bewußt, der Todeszustand ist fast schon zur Gewohnheit geworden. Aber in
bestimmten Augenblicken ist es wie ein Stich: daß alles vergangen ist und wir
doch noch da sind. Auch gibt es da keine "Einfühlung" mehr in Kind
und Kegel etwa, in einen Baum, in eine Blume. Es gibt sie ja nicht mehr. Es
gibt nur noch Namen dafür. Sie selbst aber sind deutlich am Verschwinden, und
wir halten davon nur ein wenig Erinnerung fest, deren falsche Zusammenhänge so
etwas wie Wirklichkeit suggerieren. Die erinnerte Welt selbst aber gibt es, nun
schon fast augenfällig, nicht mehr. Ein altes Haus, einen gesunden Menschen,
einen Fluß, in dem noch Fische oder Pflanzen leben können. Zeit ist passé,
nicht mal einmal, geschweige denn zweimal kann man im gleichen Fluß baden. Wer
könnte da noch seinen Augen trauen! Zum Beispiel einem blauen Meer.
Und
- weiß der Baum, daß ich ihn "Baum" nenne? Ich weiß es, daß er es
nicht weiß. Aber etwas weiß in mir, was er ist. Kann er, der heute kranke Baum,
durch das Licht des Bewußtseins erlöst werden? Arme Paradiesische Vorstellung.
Nein! Doch genau damit beginnt dieses Buch: Mit einem PROLOG NACH DEM ENDE.
Und: "...Kein Hals/ mehr für oben: der Galgen ist/ eine Feder." (Es
ist). Ist der Autor also ein unverbesserlicher Pessimist? Nein. Das VII.Kapitel spricht (analog zur
7. Potenz, dem siebenten "Ast" oder "Sefiroth" des
Sprachbaumes) vom TOD, DER LEBEN KANN , aber gleichzeitig von der Geduld, mit
der auf das Unmögliche gewartet werden muß: "EIN LETZTES MAL du weißt/ es
gut/ wohnt keiner mehr/ und dauerhaft zu Haus.// Die Grenze höher/ weigernd/
steht." (Für Borchardt). Es
ist eine Absenz, die das Schreiben bis hin in die Satzfügungen, bestimmt, aber
es ist durch den Abschied vom festen Boden wissender und reifer geworden. Nur
aus der Erinnerung wird scharf geschossen: "Vor dem offnen Fenster ein
Fluß, das andere Ufer/ vom Wachturm, dem Gleichnis besetzt."// In somma,
den Stuhl vor die Türe/ gesetzt, ist ein Leben." (Schatten, ein Blatt). Auch
der geographische Weltwechsel, die Heimwehkrankheit, die Sehnsucht nach einem
bestimmten Ort, ist vom Ende überholt, nur noch ein Zeichen für einen anderen,
von ihm selbst verdeckter Widerschein eines fernen Lichts. Dessen Ort zeigt
sich mit dem eignen Altern und dem der Welt, die sich schon an einer Grenze
bewegt. "Zwischen den Stühlen der Generationen/ sitz Ich. Auf dem Tisch
der Sprung im Glas, hinüber ist das Herz gekommen, ein Riß." (Schatten,
ein Blatt).
Von oben, vom III. Kapitel an (DIE GRENZE
BERÜHRT) und vom X. Kapitel an, von "unten", dem JETZT (WER IST NOCH
AUSGEWIESEN) kommen die zwei gegenläufigen Zeitbewegungen des Exils. "Über
die Grenze kam er/ nie hinweg, er// fremd an zu Hause." Und:
"...Hinter seinem Rücken vorbeijagen, die Ewigkeit/ erreicht auf die
Schnelle?" (Chronokratie). Aber jeden Augenblick ist der Einbruch des
Unvorstellbaren möglich.
Der
Riß und die Chance, Verleugnung der eignen inneren Wahrheit, zugleich der
Aufstand dagegen, zeigt sich in der Geschlechtsliebe, der schaurigen Tiefe der
Sexualität und Partnerschaft, dem eigentlichen Krieg heute. Das IX. Kapitel
heißt: DAS LUSTSYMBOL, DER RISS. Denn in der Liebe kann nicht nur das Zufügen,
sondern auch das Zusammenfügen, für Augenblicke also das unterbrochene Strömen
wieder gelebt werden. "Und Sesam offen/ haargenau/ Die Springflut.// Die
Seile angespannt/ Kommt ihr hinüber..."(Kühl gestern Nacht). Vom sechsten
zum siebenten Tag (vom IX. zum X. "Ast" des Sprachbaumes), klingt der
"Hieros Gamos" immer noch an, als wäre die Spaltung aufgehoben: TOR
EINER SINNENROSE. Und ist doch Betrug: "Wo bist du, Liebste, wortlos
Sprachschatz/ der Gefühle... Weißt du das Falsche/ Wo es stimmt?" (Jahre
vermessen). Qual der Sinne, durch die der Same weiter will, Vereinigung vortäuscht,
mißbraucht eine Frucht, bevor der Prozeß überhaupt beginnen konnte.
"...die Liebe federleicht fliegt fort,/ die Uhren haben die Genauigkeit/
des Todes".( Augentier.) "Die Hora mortis war ein Trick,/ damit sich
keiner aufzubäumen traut."
Aufbäumen
wenigstens im Wort? Das VIII. Kapitel heißt: SPRACHE, DIE BRÜCKE. ("Wie
hast du mich gequält/ langjährige Liebe/ Zeile.) Der Sprach- der Lebensbaum
verbindet genau wie der Liebesakt (es IST ein Liebesakt, die Zusammenführung
der Sphären X und VI ) Himmel und Erde, ist Form des Wissens hier. Doch seine
Imitation im Buch bringt höllische Zweifel und den quälenden Lebensverlust mit
sich: "...Als ein Leben wächst.// Hier löscht es meinen Namen aus,/ liest
mich auf, wird zu einem/ Fall im Nichts- und im Niemandsland,// die Wunde
anstatt ein Haus." ( Du, Vers.) Und auch sonst ist Sprache, das Mündliche
"draußen/ in der Rede ein böser Tag." (Schlimme Nacht).
Über
Kapitel VII: TOD, DER LEBEN KANN, daß trotzdem oder gerade wegen der erlebten
Absurdität, die Hoffnung auf das für unseren Verstand Unmögliche ist, habe ich
schon gesprochen. Und daß mit dem Absurden gearbeitet werden muß: dieses
Annehmen des Absurden als Zeichen gehört zum AUFBÄUMEN, ist sogar einer Totale
des Widerstandes. Gemeint ist, daß die Zerrissenheit jenes hier spiegelt, was
bis zum Wahnsinn das Fehlende, die Wunde ist.
Kapitel VI handelt vom Vergangenen, das nicht
vergehen will, um uns ist lauter Gewesenes in Raum und Zeit. (Die Schwere der
unbeantworteten Erinnerung. Dann die Uneingelösten Zeichen der Kindheit. Das,
was jedem einmal schien, wo aber noch niemand war, Heimat. So sagte es einmal
Ernst Bloch.) Doch es wird in jedem Augenblick übergangen, jeder Augenbliick
ist noch nie dagewesen, neu. Das Unwahrscheinlichste kann jeden Moment
eintreten. So wie der Lichtblitz auf dem Sinai. Dieses Plötzliche, die mögliche
Öffnung korrespondiert mit der I. Sphäre. Und mit der VII. Wenn man schon gar
nicht mehr daran glaubt, in der Hölle des Transzendenzverlustes, im Schmerz, im
Inferno lebt, ist die Rettung ganz unerwartet da.
Als
wäre die V. Stufe, ( dazu das Kapitel V: SCHRIFT AN DER FESTEN SCHWARZEN WAND)
- die Vernichtung dessen, was uns unmittelbar umgibt, die Blutspur der
Geschichte, das aktuelle Gewaltpotential, die Bedingung der Apokalypse, dieses
Tabula rasa auch die Möglichkeit für die radikale Wende und Rettung. Macht- und
Staatsterror, Terror der Masse unterbrechen den Strom nach oben, doch gerade
dadurch entsteht ein großes Vakuum, eine große Absenz, die einen Wirbel, eine
Gegenbewegung erzeugt, wie die Negation in der Geschichte, diese schließlich
kippen läßt.
"... sechs Schützen sind die Tiere...
/ Und die Null ist schon fertiggeweint." (Schrift an der Schwarzen Wand).
"Als wären die Toten ein Und". Endstation der Geschichte: "Ich
aber stand mit Siebzehn nackt im Schnee,/ sagt sie, man wählte für die Kammern
aus.../ Ich habe überlebt./ Sie zählen bis Zehn/ und nicht mehr weiter. Seither
ist Ende; alles tut weh; wir leben nicht mehr. // Wisch mich aus deinem
Buch." (Siebzehn). Die Millionen Opfer wissen mehr. Sie haben alles
überholt. Nichts bleibt, was war. Denn wenn überhaupt noch Sinn sein soll, im
Tod der Millionen, muß es ein undenkbar neuer sein. "Man redet umsonst von
Gerechtigkeit, solange das größte der Schlachtschiffe nicht an der Stirn eines
Ertrunkenen zerschellt ist." Schrieb Celan. Lächerlich jede
Begriffsbrücke, die am höllisch gelebten Augenblick vorbeigreift - reiner Hohn,
Moral, Worte, Verse? Das Absurde, Unfassbare allein spiegelt in unseren Mitteln
etwas von der Wahrheit; als habe sich die nur geahnte Un-Vorstellbarkeit in der
Geschichte gräßlich wahrgenommen. Es war etwas offenbar geworden, was nicht
seinesgleichen hatte. Das Feste; Zeit-Raum- Vorurteil, Ego, Eigennutz, Macht
des gesellschaftlich verfassten Außen als Technik und Bürokratie - haben in
letzter Konsequenz jenen ORT hervorgebracht. Und doch geht alles weiter, als
wäre nichts geschehn. Dabei war Nichts tatsächlich geschehn. Wie ist das
möglich?
Das
unfassbare Geschenk Licht, das alle Dinge erst möglich macht, in uns als die
Möglichkeit der Zusammenführung im Blitz der Hirnsyntax liegt, ist umgeleitet
worden in seine Beherrschung für Raubbau und Profit. Davon ist im IV.Kapitel
GELENKTES LICHT die Rede. "Im Kreis: AtomPupille wuchs,/ Fingerflug
Leitstrahl/ Tod wie Sand am Meer:/ Am Ende Eins/ Lichtblitz geblendetes Auge
hier/ maß-Los über dem Abgrund..." (Optik der Erkenntnis). Das Resultat:
die Angst, Zugehörigkeit höre im Tode auf. So muß er verdrängt werden, notfalls
durch Massenvernichtung. Als wäre er abschaffbar. Und das Geschrei der Engel,
als Gott Adam ebenbildlich mit seiner Wissens- Macht ausstatten wollte, war
sicher berechtigt. Auch das Angebot der "Schechina", der Ur-Mutter,
Adam zu begleiten, ihm auf die Finger zu sehen, hat nichts genützt. In der dritten
Sphäre taucht sie auf. Ihr ist das III. Kapitel gewidmet. "...lebt noch
und baut im Nichts ein Herz/ der Farbe: Immernie// und wohnt lang nach dem Tod/
ein Leben durch die Augenwand." (Haus mit dem Baumwappen) Abstieg der
Eins, des Lichtstrahls durch sie, die Umhüllung des Kerns. Doch davon und vom
II. Kapitel dem Lichtpunkt war schon die Rede.
Und schließlich das letzte (oder erste)
Kapitel, das alle andern zusammenfasst. Auch davon war hier schon die Rede. In
jedem Leben, vor allem aber in den Schrecken der Geschichte zeigen sich
Mißgriff und Fehlschlag. Wessen? Ist Gott die Absenz, ist Gott heute der Tod?
Das Nichts ist im Hebräischen Gott. Ayin heißt Nichts. Es ist zugleich Name
eines Buchstabens, er hat die Bedeutung von Auge.
Dieses
letzte Kapitel, das Eine als treibende Absenz ist in allen andern enthalten,
alle andern Stufen von X-II sind Erwartung, Wartezeit. Die schmerzende Absenz,
ein sich ins Absolute verwandelndes Heimweh, das keinem Land mehr angehört, das
die Substanz des Fehlenden verdeckt, ist Hohlform unverzichtbarer Hoffnung,
seiner Nirgends erkennbaren Gestalt: "Sekunde, der Riß/ im Kopf das Hirn
der Dornen. Ein Lichtblitz in jeder Zelle.../ Nichts ist entschieden. Erst aus
dem Auge des Fehlenden käme der Blick, der dich sieht.../ Doch das Fehlende
kommt. Schon pfeifen es alle Kugeln von den Dächern." (Hinrichtung.) In
diesem Gedicht ist von der Kreuzigung die Rede. Sogar von Christi Resignation
am Kreuz, die Absenz des Andern ( Vater, warum hast Du mich verlassen?) zwingt
ihn zur "Vernunft", er steigt herab, er heiratet.
("Erschüttert,/ aus dem Mund/ kein Gott, Gebrochenes/ Hier."
Hebräischer Block). Diese "Vernunft", die Sonde der großen
terroristischen Staats- und Ausdrucksmaschine erledigt jeden mit der Zeit.
Wir
wissen es immer: wir müssen unser Leben ändern. Nur wie? Das Zum
-innern-Ort-kommen, wo etwas einbricht, das uns erlöst, liegt nicht in unserer
Hand, und schon gar nicht im Kopf. Das ganze VII. Kapitel ist diesem
Unplanbaren, Undenkbaren gewidmet. Und dem Totengespräch jenseits des Fassbaren.
"Vergessen der Namen,/ ein Dunkel, ein Platz,/ wo sie waren." (Für
Ion Caraion). Das Vertrauen freilich, daß das Unfassbare jeden Augenblick
einbrechen kann, jene Berührung und phantastische Öffnung sich gerade dann
einstellt, wenn wir am wenigsten darauf hoffen, wir völlig deprimiert, zerstört
sind, gehört zum Abwesenheitsglauben, einer Art anarchischen Mystik des
Negativen, wie sie in der Nachfolge Sabbatai Zwis und Jakob Franks auch in
chassidischen Kreisen kultiviert wurde. Dieser mystische Nihilismus ist heute
hochaktuell. Und zwar bis in die Sprach- konsequenzen hinein. ( "Löschte
das Augenlicht, also/ die Landschaften und Städte aus, trog/ nicht mehr, Nein
trank/ die Welt täglich aus./ Es gab keinen andern Weg mehr/ als Jahre: gingen
hinüber,/ wo ein anderes schwereres Warten war/ das Weinen das Lachen und jeder
Erfolg Ja/ die Frauen nur etwas Trauer// Als hätte ich alles überlebt./ Ein
Anfang klopfte/ ganz ohne Tür bei mir an." Zeitpunkt.) Selbsterlösung (die
ganze Zivilisationsgeschichte ist dafür ein Beispiel): - Ungeduld führt in
tieferes Elend, es ist ein Ertrinken in der Zeit; in der Vergötzung des
Fassbaren wird der Sündenfall täglich wiederholt. "Der/ Himmel, nein, er
kennt kein Grab./ Und weiß und schneid ihn ab, damit er/ nicht vergeht. Was
bleibt./ Ein weißes Blatt. Gewebe/ Muster. Der Tod spricht nicht." (Es
gibt kein gestern.) Das "Nichts", wo alles, was fassbar ist, gar das
"Glück" abwesend sein muß, ist ähnlich dem Todesgefühl, ("Sinne?
Woher genommen, mundlos// gesagt, Worte durch die Trennwand/ gedacht; dort bist
du dich los./ Und die alte Wunde tickt leise." (Blumen, dort nichts). Wo
das EINE ist, sind wir nicht, weil "Es" dort ist, - und doch
verwandelt es uns im Blitz einer Zusammenführung mehr als alles andere.
"Ein Loch im Fundament öffnete den Einblick.../ Noch einsamer als der Herr
ist Niemand." (Das versteinte Buch). "...durchstreicht/ das Nichts/
jeden Blick, der/ festgegraben war/ im Schein."
Im Poetischen ist es wie im Leben, die
Untätigkeit, das Lernen der Langsamkeit ist ein höheres Gut: Die vergessne
Pause der Sinne wahrzunehmen, um jenem Einbruch eine Chance zu geben: sich
zurücktreten lassen bis hin ins Gedächtnis eines Grashalms, eines Vogelgesangs,
der zerklüfteten Steine oder des Meeresgrundes, den wir voller Schrecken
manchmal sehn, indem wir den Atem anhalten und fast ersticken beim Tauchen, und
beim Sehen des Grundes, der Ungesehene in Gedanken, der mich freilich einmal
verschlingen wird. So läßt das Ungesehene sich auch in den Wörtern finden, wenn
man nicht gewaltsam eingreift. ("Du/ redest dir ein, daß du bist. Rede/ du
schwerstes Nein." Hieronymus in der Zelle).
Der
VERWESER ist die SPRACHE selbst als Agens der Zeit. Nur der Tod rast, und das
fühlen wir: voran, wartet, der einzige Grenzwirklichkeit, die das beredte Sehn
durchstößt in schmerzhafter Ahnung. Der Tod aber ist heute kein individuelles
Ereignis mehr, sondern ein historisches, ein kollektives, Drohung des
Untergangs und des Erinnerns an unvorstellbares Grauen. Nach Hegel wird eine
Zeit kommen, wo der Tod ein menschliches Leben führen wird, sie ist da, diese
Zeit. Doch heute, an diesem Punkt des Übergangs von Zeit, wo wichtiges über
Äußerstes zu sagen wäre, steht in dieser Geldidylle Europa keine Sprache zur
Verfügung und kein Bewußtsein davon. Wir haben alkle eine downer-Programmierung
in uns, so ist es unmöglich, den neuen Weltzustand des Übergangs, den wir
erleben und nicht wahrnehmen, mitzugestalten. Er ist von uns verlassen, wie wir
von ihm. Denn "normale" und Alltagssprache im Mündlichen des Dialogs,
gehört der Vergiftung an, macht blind, wie die zweiwertige Logik, wie die
Alltags-Umgebung, Partner, Institutionen, Gesellschaften stehn heute dafür noch
nicht zur Verfügung. Was um uns ist, verfügbar, sind Relikte des Gewesenen, und
was wir ahnen, ist überdeckt vom Schleier des dauernd schon Vergangenen.
"Verhangen Verhängnis/ Iris.// Atomschleier:/ rund rast wie Licht /Er
selbst/ oh Auge/ kein Staunen." (Wirklichkeitswahn).
Das
Totengespräch wäre das einzige literarische Mittel, Geschichte am Ende in
solchem Grenzgang vorauszudenken, und die Vergangenheit, die unfertig und im
Verbrechen stecken blieb, in diesem weißen Blitz der Imagination zu öffnen, ja,
als wäre sie wieder verfügbar, und alles Versäumte noch zu erlösen. Denn das
Ganze erst leuchtet wirklich heim.
Ja, mehr als das Leben, ist die Hoffnung, die
sich probeweise so verwirklicht: zuweilen wie ein Fotonegativ - entwickelbar,
als wäre dieses in dieser Unzeit ein Widerschein von Heimkehr. Das Gedicht lädt
dazu ein, Wort für Wort heimzukehren, doch dazu müssen Worte im Schweigen
gewaschen, das beredte Sehn durchstoßen werden.
"Rücksichtslos
tun,/was dich treibt, -/gegen die Zeit/ Verlust, daß du lebst.//Ein Auf Atmen
so,/ wie du dich hältst: /gehörst nicht dir,/ tu, was dich zur Berührung
treibt,/ ist ewig." (Freie Zeilen).
Eine Rezension:
Wiederkehr des absoluten Gedichts
Dieter Schlesaks Lyrik-Band
"Aufbäumen"
Worte, Worte
-, Substantive! Sie brauchen nur die Schwingen zu öffnen und Jahrtausende
entfallen ihrem Flug": Mit solchen pathetisch glühenden Sätzen formulierte
einst Gottfried Benn das Evangelium seines"absoluten Gedichts". Seine
monologische Dichtung der"Wallungswerte" und semantisch aufgeladenen
Einzelworte ist seit den sechziger Jahren oft totgesagt worden. Man kritisierte
die Geschichtsferne von Benns Konzept und seine metaphysische lüberhöhung des
poetischen Prozesses.
Die Texte, die
nun der rumäniendeutsehe Autor Dieter Schlesak in seinem Gedichtband Aufbäumen vorlegt, arbeiten unübersehbar
an einer Rekonstruktion des "absoluten Gedichts". Zwar will Schlesak
keineswegs die Bennsche Kunstmetaphysik revitalisieren. Im poetologischen
Nachwort, das er seinem Band beigefügt hat, rekurriert Schlesak auf Paul Celans
Dichtung der Sprachmaeie und auf Denkfieuren der iüdischen
Sprachmystik, der Kabbala. Aber in der poetischen Praxis führt dieses Konzept
zu ähnlichen Ergebnissen wie bei Benn.
Denn auch
Schlesak vertraut in seinen Gedichten auf die evokative Kraft des se
mantisch
aufgeladenen Einzelwortes, auf die magische Aura bedeutungsschwerer
Substantive. So flattern in seinen Gedichten die "Gleichnistauben"
auf, registriert das lyrische Subjekt den "Sphärenklang" des Seins.
Ziel seiner lyrischen Exkurse ist die "weiße Gegend", jene Zone des
Unvordenklichen und Unsagbaren, in der sich die Geheimnisse der Welt
offenbaren. Die "weiße Gegend" setzt Schlesak synonym mit einem
Zentralbegriff der Kabbala: dem unaussprechbaren "Nichts", das den
Urgrund des Seins bildet. Über die mannigfachen Analogien zwischen der
Bilderwelt der Gedichte und den Symbolen und Motiven der Kabbala wird man im
Nachwort eingehend unterrichtet. Aufbäumen,
der Titel des Gedichtbands, verweist nicht nur auf den biblischen
"Baum der Erkenntnis" und den "Sprachbaum" der Kabbala,
sondern zitiert auch Bilder der revolutionären Auflehnung und der Katastrophe:
)etwa das von Celan überlieferte Bild der
verbrannten-'-I'o-ten,-der-si-ch- a-ufb-äur-ende-n Leiber im Feuer. Im Nachwort
signalisiert Schlesak auch den hohen Erkenntnisanspruch seiner Gedichte. Der
Lyrik, heißt es da, falle die Aufgabe zu, in
"Worthöfen" und
"an Sinn- und Sprachrändern das Nichtsagbare anzugehen" und
"sich den offenen Augenblick, dem Unvorhergesagten zu überlassen".
Das sprachmystisch inspirierte Gedicht ist für den Lyriker Schlesak der letzte
Ort, an dem man sich den von einer funktionalistischen Welt verursachten
Tennungen und Spaltungen widersetzen und zur Erfahrung des Ursprungs und des
Welt-Zu-sammenhangs gelangen kann.
Es geht aber in diesen Gedichten
nicht nur um mystische Erfahrung, sondern auch um historische Erinnerung. Neben
die des Eingedenken der jüdischen Leidensgeschichte tritt bei Schlesak die
poetische Erinnerung an die verlorene Heimat. 1969 hat der Autor Siebenbürgen,
das Land seiner Herkunft, verlassen, ohne seither je wieder an einem Ort
heimisch werden zu können. Dieser schmerzhafte biographische Bruch hat sich in
seine Gedichte eingeschrieben, erscheint dort in hermetischer Chiffrierung.
Denn fast alle sinnlichen Wahrnehmungen, persönlichen Beobachtungen und Erinnerungen
werden in diesen Gedichten in eine dunkle Metaphorik transformiert. Schlesaks
sprachsystematische Poetik realisiert sich in Texten, die sich um große
existenzielle Schlüsselwörter gruppieren: Nichts, Sein, Zeit, Ewigkeit, Gott,
Tod und Grenze bilden die elementaren Vokabeln dieser Poeme. So entstehen fast
durchweg hermetische Gebilde:
"Hebräischer Block / kommt näher.
Fels nach dem / Ende. Kein / Fließen mehr.Nach / dem Fall / Jahrtausendespät /
versteinert das Hirn // Erschüttert, / aus dem Mund, / kein Gott, Gebrochenes
Hier."
Schlesak sucht das ästhetische
Risiko: Das Gedicht wird von ihm zum transzendenten Schöpfungsakt erhöht, der
alle profanen Erkenntnisprozesse weit über steigt. Auch hier entsteht also ein
"absolutes Gedicht", das die der Sprache immanente Magie entfalten
und mystische Epiphanien vermitteln will.
Diesen selbsterteilten Auftrag
kann Schlesaks Gedicht nicht immer erfüllen. Auf der Suche nach kosmischen
Urworten verfallen seine Gedichte zuweilen in ein sakrales Raunen, das suggestive
Erlösungsformeln herbeizitiert. Die "radikale Umkehr aller Vorstellungen
und Worte" bleibt hier eine poetische Utopie. Aber es finden sich in Aufbäumen auch Texte, die in ihrer
Genauigkeitsemphase an die Dichtung
Celans heranreichen. "Das absolute Gedicht", formulierte Celan 1959,
"nein das gibt es gewiß nicht, das kann es nicht geben!" Aber, so
Celan weiter, es gibt den "unerhörten Anspruch" des Lyrikers, der
"mit seinem Dasein zur Sprache geht, wirklichkeitswund und Wirklichkeit
suchend". Dieter Schlesak hält an dem "unerhörten Anspruch" des
Gedichts fest.
Und das ist schon viel. MICHAEL
BRAUN
(Frankfurter Rundschau)
STIMMEN DER KRITIK
Ja, dieser Band, irgendwann schaffe ich es, ihn Gedicht für Gedicht mit dem Text "durch zu arbeiten". Wenn die Sprache so von der Oberfläche in die Tiefe geht, wie es eben nur in der Poesie, deinen Gedichten, weg von der Oberfläche geht. Dann kommt das wirkliche Erschrecken über den Schmerz der Trennung, die nur in der Liebe in all ihren Facetten, in der Meditation und dann wahrscheinlich im Tod überwunden werden kann. Deshalb übe ich beides. Dieser ziehende Schmerz, den wir spüren das ganze Leben lang. Wie wir, ob wir wollen oder uns dagegen wehren, auch am täglichen Raubbau beteiligt sind. Ist das die "Erbsünde"?
Das ist mir mit diesem Text wie noch nie klar geworden. Und insofern bist du mein Lehrer. Und ich danke dir dafür.
Elisabeth Krause, Berlin
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