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Sonntag, 1. April 2012

Dieter Schlesak REISEFIEBER III. UMBRIEN, ROM und SIZILIEN


UMBRIEN, ROM und SIZILIEN

Aus dem TB 2000
(16.4. Dfahrt 2000) Verweser. Das Geschriebene, Erfundene, ist schon reif durchwachsen in mir. Also wie erlebte flashs. Als wäre es wirklich passiert. Z.B. Bagni di Lucca Szenen. Vielleicht ist so der Verweser mehr als nur Literatur.

Durch den Chock des Krebsverdachtes: spirituell:
 Ich weiß Er wird kommen
Wenn ich warte offen
     Bin

Denkt dann das Herz/ und der Tod
Ist vorbei
Und nur eine Reise

Mußte an die letzten Gedichte Sorescus denken!

1.Mai 2000
Sloterdijk: Ödipus
Reisen nach Sizilien zu Pythagoras. Und dann zu Platon nach Athen? Das Sichtbare, das Banale der Leute zu überwinden, die jetzt leben wie die Idioten?

THEOPHANIE, VERGESSEN

Was suchst du da draußen, such dich
in deinem Skelett, es ist nur bekleidet mit Schein deinem weichen fließenden und schmerzenden Fleisch/ Geistesgeschichte? Lach
ist Nie vergangen ist jetzt: Verschiebung und Wandlung des alten theophanen Raumes mit dir in dir du Nichts als der Christus/ Opferung des Leibes unter Foltern und Angst dies ach so bequeme
Theater der Idioten -  Sichtbarkeit aufzugeben
zu himmeln mit Hilfe der Engel

Ach, ich lob mir das Bildverbot der Juden und Gott Nichts der  tief sitzt in dir und schweigt
Orakel Trancekulte einst Dionys und Eleusis dann der Gottmensch und weiter tief im Einzelnen Kunststätte Seele immer neue Räume des Absoluten
das gleich blieb und erschien im Blitz und Chock
Seines Lichts wenn das Ich hochstand und bereit
sich auszulöschen in ihm ohne das gewohnte Theater
des  Mobs Mensch in der Illusion Alltag erstickt


LÜGENTHEATER

Meine Mutter sagte es und fast denk ich
an Klythemnästra: sie sage nichts sie
schone ihren Mann den sie verrate und spielt Theater
ihr Ego  ist allein  die Wunde dieser Welt nichts ist als Lüge sie zu schonen/ niemanden verletzen
Harmonie
verlogen Sein im Kleinsein und gebückt
in kauf genommen das Verbrechen
daß der Schein trügt/ und mit ihm zu leben
als wäre er der einzige Gemahl
Theater auf der Bühne wo alles Nichts
nur sichtbar ist
der Gott ein Fleisack und ein böser
in dem wir kurz gefangen in ihm
am Leben so ins Licht geblitzt und da sind

Sonst nichts als anderhalb Meter tief
der Gott ist eine Grube
wer hat sie uns gegraben in die
wir fallen gnadenlos nichts als ein Fleischsack
am längsten noch sichtbare Dauer
unser Skelett






Auch zum Dracularoman dies Tagebuch.



31.12.99  Zum Werk gehört auch die - Psychiatrie, Erfahrungen mit Klosterneuburg, Arezzo. Die Sendungen, Hörspiel. Tagebuch. Adalgisa Conti.
- Die Reisen. Mexiko vor allem.

Und was bedeutet diese hier jetzt in Katalonien?
Barcelona: Picassos Vs, der Mann-Voyeur! seine Kopien, seine Umwandlungen ins Eigne. Und so meine Werke auch gestalten, wie er die Las Meninas. Degas und die Huren! Illustrationen meiner Poesia erotica.
Der unmögliche Gala-freund, sein „Schloß“ in Figueres.
Dann aber Walter Benjamin in Portbou und der Kontrast zu diesem Dollarmaler mit seinem Cadillac. Ein Scharlatan. Dali.

Dann aber VIC, die Totenkirche mit em Michelangelonachahmungen des katalanischen Muralisten, dann Juan Rulfo mit dem Totenroman Pedro Páramo, Transsylvanisches als Vater-Totengespräch.

Vater fragte mich, wieso ich denn überhaupt zu dieser Geschichte gekommen sei, und ich sagte zu ihm, Ja, Tata, bevor ich ganz naiv werde, was ich am liebsten möchte, als wäre ich wieder ein Kind in unserer Stadt,  sag ichs so, weil ich jetzt so bin:
Nachdem ich in den letzten Tagen des vergangegenen Jahrtausends das Picasso-Museum in Barcelona mit den zu Picasso-Malereien gewordenen Las Meninas von Velasquez  und den umgewandelten erotischen Huren-Zeichnungen von Degas zu  picassoiden Hymnen an die V gesehen, und Freunde, bei denen L. und ich wohnten, mir Pedro Páramo des Mexikaners Juan Rulfo mir mit den Worten: Hier, sieh, das ist genau dein Thema,  in die Hand gedrückt hatte, ich noch dazu am letzten Tag des Jahrtausends Vic, das ehemalige Ausonia mit der Toten-Kirche besucht und dort in der Düsternis plötzlich wie vor zwanzig Jahren in Mexiko an der Wand dein unbewegtes Gesicht wie ein Film über das, was unsere Augen uns als real vorspiegeln, ziehen sah, war ich dazu entschlossen, das, was es nicht mehr gab, in den Höhlen der Erinnerung aber noch da war, etwa das Stadthaus an der Kokel in unserer transsylvanischen Stadt, wo damals bei eurer Heirat das blumenbekränzte Auto gestanden hatte, mit Hilfe des Mexikaners wiederauferstehen zu lassen.
     Wie ist das denn bei ihm? Und hörte das Sächsische durch: Wä wor et denn bä äm? (Viellleicht hoffte Vater, daß ich so wieder sein Sohn, gar Kind werde, das ich an mir verloren hatte! Den Freunden hatte ich erzählt, daß ich nachts oft zu solchen Kindzuständen käme, wenn ich über Geister schreibe oder in meinem Arbeitszimmer Toten­stimmen höre, dann wird’s mir unheimlich und ich muß aus dem Zimmer flüchten, weil sich die Präsenzen im Raum sammeln, mich berühren wollen!)
     Ich dachte an die vielen Beispiele, an Rulfos Comala, das ich als GedächtnisStütze  verwenden wollte.         

     Denn auch mußte es immer wieder tun, immer wieder, wie unter Zwang, als hätte ich dort wirklich etwas Unersetzliches, Kostbares verloren, das nirgends anders zu bekommen war als in Siebenbürgen. Ich fuhr also nach Hause,  S. (sprich ES) heißt der Ort, und hier sollte mein Vater immer noch leben. Niemand würde es mir glauben, nicht mal meine Mutter, mein Bruder oder meine Schwester schon gar nicht – wenn, ja, wenn es die vielen Erinnerungen nicht gäbe, von denen unsere alte Stadt Schäßburg, die so leer wirkt, dicht besiedelt ist; also dann kannst du es mir ruhig glauben, würde ich ihnen sagen: er lebt immer noch hier, wie Großvater oder die Ami hier leben, und natürlich alle die andern, dazu mußt du gar nicht auf den Bergfriedhof gehen, die findrest du doch in dir selbst, samt ihrer vertrauten Stimme! Doch nein, alle tun so, als gäbe es sie nirgends mehr, vielleicht noch auf Fotos!
     Auch Mutter, die ihnen eigentlich am nächsten stehen müßte, verschließt sich ganz, lebt ganz hier, die Fotowand mit den vielen Familienbildern, den Gesichtern und vertrauten Köpfen, alle tun so, als gäbe es sie dort an der Wand noch wirklich, scheinen ihr zu genügen; nur manchmal wird die Erinnerung übermächtig, dann ist auch Mama nicht mehr da, und dann erst ist sie wieder die alte, als hätte sie sich bisher auch ganz vergessen.
So gab es eines Tages eine ernste Stunde, die wir  fürchten, sie mußte in die Klinik, und alle dachten wir, das Schlimmste könnte eintreten. Da hatte Mama mich ganz überraschend gebeten, meinen Vater aufzusuchen. Und ich drückte ihre Hände, versprachs, und sie schien schon etwas verwirrt, denn sie sagte, er heißt Victor. und wird sich sicher freuen, dich „so“ kennenzulernen! Was heißt so, und wieso Victor, Vater hieß doch Erwin K. und er kennt mich doch, dachte ich, nahm aber Rücksicht auf Mamas Zustand, sagte nichts mehr versprachs nur immer wieder. Sie murmelte  noch: Meine alte Liebe! Und laß es ihn teuer zu stehen kommen, mein Sohn, daß er es getan hat!
 Ja, ich will fahren, Mutter! Und fragte nicht mehr.


Es war seltsam;  ich glaubte nicht daran, und doch begann es in mir u arbeiten, und s etwas wie Hoffnung entstand, die meine Träume nährte, die immer häufiger Kindheitsträume waren. Und zugleich einen bösen Zwiespalt in sich trugen zwischen diesem Victor und meinem Vater; und schließlich kam eine makabre Neugierde dazu, und auch Angst, was für ein Geheimnis wohl dahintersteckte, in jeder Familie gibt es ja so grauenhafte Heimlichkeiten, ja, sogar verschwiegene Verbrechen. Und diese Unsicherheit kam dazu: Wer war dann eigentlich mein Vater, was würde geschehen, wenn es nicht jener meiner Erinnerungen war? (Padre incero est?) Und die geliebte Stadt, wohin ich mich vielleicht noch zu allerletzt zurückziehen konnte, wenn im Leben alles schief gehen würde, und eine Menge war schon schief gelaufen, zurückziehen könnte, wenn dieser letzte Ort auf dieser Welt,  dann endgültig verschwinden würde?
Immer noch bin ich da, und das war am Friedhof mit dem Grab der Dichterin in Romanyá de la Selva, das ich durch Gitter hindurch filmte, und der kalte Wind sauste und wird dann auch zu Hause im Fernsehen zu hören       sein, und es stimmte genau, was ich sie jetzt hier oben flüstern hörte: Das Geheimnis dieser Last, die ich in mir trage und die mich nicht atmen läßt. Auch die Welt war nicht da und war mehr da denn je! Und wie bei ihr ist es egal, wo ich jetzt anfange, zu meinem Leben kann ich nichts mehr hinzufügen, nichts mehr wegnehmen, es ist unausweichlich abgeschlossen ...

Wichtig sind noch Reisen. Heute war das Tossa de Mar, erinnerte auch Vik nördlich von Barcelona,  als wärs eine Fahrt nach Rostock und Warnemünde und dann Stralsund, wo Onkel A. im Krieg gewesen war, den der Spieß doch damals so busereirt hatte; genau in Stralsund vor Jahren mit Thorsten erinnerte ich es, denn in Vik gibt’s ähnliche Häuser „modernista“-Häuser, und die Totenkirche in Vik, ach, hieß der andere, den ich in Mamas Auftrag zu Hause suchen sollte, nicht auch Vik, der, den ich suchen sollte, ja, Vater, es ist eine Totenerinnerung, ich bin gestorben und weiß es nicht, suche aber weiter, du hockst in der Erinnerung, wachst manchmal auf und fühlst mich? Hörst du mich? Lassen wir die andern, die da durcheinanderreden!
     Hab ich mich verirrt? Komm doch jetzt nach Hause? Erstaunlich, alles steht noch da; und muß kaum suchen, Vater steht ja da im Stadthaus, im Speisezimmer, an den schwarzen Kachelofen gelehnt, denn es doch gar nicht mehr gibt, das Hochwasser der Kokel hatte es weggerissen! und sagt, Du bist schon da, bist schon zu uns gekommen? Es geht ein wenig durcheinander bei uns, das macht aber nichts, es ist ja wie ein Traum: so lebt man eben als Toter (Senkwos. Sendung dazu). Und wenn ich das Papier rascheln höre, sind es alte Schulhefte ...

Durcheinander Schlaf/Todesebene/ Transsylvanien/
VT-MSK.



Vater ist jetzt immer hier neben mir, aber er spricht kaum, er kommt mir so vor, wie auch L. oft von ihrer Mutter erzählt, einwenig hilflos, wie im Halbschlaf, und so als müßte ich für ihn sorgen, winzig wie eine Schmetterlingspuppe.
Das Buch, das ich jetzt schreibe, reinigt wieder, sage ich zu ihm, es stellt den verlorenen Zusammenhang her, - er aber schweigt beharrlich, als könnte er mich nicht verstehen: es entwickelt die im Unbewußten liegenden Fotonegative, und stellt die ihnen zugehörigen Zusammenhänge in der Assoziation zu bringen, um ihrer tieferen Natur gerecht zu werden, die der Gang der äußeren Tage, die nur die erste Ebene, ja, der Rohstoff für dieses bessere Gefäß und Gespinst ist, denn wenn es geschieht, wissen wir noch nicht, was uns geschehen ist. Es ist eine Rettungsaktion, in der wir ihm mithelfen, wenn auch mit geringen Mitteln und das Einzelne die Welt zu waschen, zu beseitigen, was der Verstand, die Gewohnheit, unsere Ichsucht und Eigenliebe, der praktische Verstand, unsere Vorsicht und Rücksicht mit soviel Mühe an Gefängnissen oder angeblichen Sicher­heiten um uns aufgehäuft haben. Man dürfte vielleicht wieder vom instinktiven Leben (auch des Publikums) reden, und dem Talent, als Autor sein eigenes Unbewußtes auszudrücken, sprechen, um so zum Leser zu kommen, ihm nichts anderes zu bieten als Lupen, um sich selbst zu erkennen. Die größten Feinde aber sind die sogenannten "praktischen" und "sachlichen Leute, die das wichtigste, etwa den Tonfall einer Stimme, einen Geruch, die Nuance des Morgenlichts als Kinderei bezeichnen. Ich erinnere mich meist an solche Beobachtungen von Lebensaugenblicken, die nach­her hier in diesem Buch zum Gewebe wurden, wie die Beschreibung einer badenden Blinden auf der Insel Capraia:


Oder jenes Badegefühl in Cinque terre, aber auch das Erlebnis von Eisengefühl an der Hand oder an der Zunge festgeklebte Türklinken bei 20 Grad unter Null, die zu den unvergesslichsten und intensivsten Momenten meines Lebens gehören! Auch dieses, nicht nur der Traum überzeugt mich vom rein unbewußtem und Traum-Charakter der sogenannten Wirklichkeit. Bacovia und Arghezi  waren darauf bedacht, den "Kitt", also jede rein "gedachte" Verbindung zwischen den Worten zu eliminieren, um so zur Natur der Dinge zu kommen, die nichts mit dem Intellekt zu tun haben kann.

Stimmt es, daß der Geist,
 wenn er wirklich wach
und gegenwärtig ist, keine auswegslosen
Situationen kennt? Glauben und Gewissheit
als Glücksspender gehören dazu:


Farbtöne und Fernsicht, Fernblick nach innen möglich, und möglich für uns, die Spä­ten, wahnsinnsfrei; hörst du die Kultur dort am Abhang wimmern? Der Kastanienwald am Hang ist nicht  mehr blatt-los, die Oliven tragen schon in der Odyssee jahraus, jahrein ihr Grün. Öl.  Im Tal liegt die kleine Stadt C. Nebel. Hier verlief früher die Frankenstraße. Fried­rich II. läßt grüßen, die Kirche der Abtei war ein Hospital für Pilger. Auf der Hö­he Höfe. Kaiser und Päpste, mal nah, Dante. Genuesische Wach­türme. Sarazenen. In Luni landete der schwarze Christus von Lucca. Und jetzt: der Augenblick irre. Und stellt mich doch immer noch her. Alles ist ruhig. Und wie längst vergangen. Genau. Und als ich oben vor meinem Haus im Garten stand, emp­fand ich den Riß: - Diese unerhörten Stimmen, ein feines  Glasklingen im Ohr, und diese Stimmen sagen, sie sähen uns:  der Körper löse sich langsam auf. Die Krankheit  liege tief, diese Krankheit, wie die meisten heutigen Krankheiten, ihre Erreger könnten wir nicht sehen, hören oder fühlen. Eine neue Pest, die alles zersetze. Kein gewöhnliches Unglück, nein: Eine Art Dimensionsgrenze sei er­reicht, daher auch der Übergang und Hinübergang. Es gehe bis in die Atome,  Atom,  das Unteilbare teilbar, zerfällt, un­ser Schicksal: Atom. Und die Zellen, ja, die Liebe sei auch angegriffen, aus mit dem Hohelied Sex. Die Widerstandskraft unseres Blutes sei gebrochen. Immunschwäche gehe um, wir kön­nen den Körper nicht mehr schützen, er ist längst im Aus. Der Arme... du sagtest, und eine junge Geliebte sagte, ihre Atome fielen auseinander, ihr fehle der Kitt.


Vom verwitterten Turm aus Pieve schlägt eine Uhr, sein Herz schlägt schneller, das Uhrwerk rasselt, wieder eine volle Stunde, es klingt durch die graue, Gottseidank noch saubere Mauer an sein Ohr. Er sitzt in seinem Zimmer, täglich, so versitzt er  sein Leben, und ist doch fast nie in die­sem Raum, wie er selten im Körper ist, der Blick geht ganz nach innen, hinein in ein Licht­fen­ster mit schwarzen Buchstaben-Leitern oder Flugschmetter­lin­gen, dem Bild­schirmfen­ster, es sind Buchstabenreihen, mit denen er abhebt, und hebt nach innen ab, oder der Blick geht  von Zeit zu Zeit nach außen, dann ist vor ihm das Meer, der Horizont, da schlägt sich das Auge an: Him­mel- und Wasser-Berührung, die Kontur scharf, vor allem am Abend bei untergehender Sonne, südwestlich Korsika, nord­westlich Ven­timiglia, der Golf von Genua, nah aber Pedona mit einem Fern­sehrelais, ein Berg­rücken, wie ein liegendes Tier, kein  Fenster gegenüber, keine Häuser­zeile, die den Blick hemmt, nur ferne Dorfkon­turen wie eine Fata Morgana, die am Berg hängt, als wäre alles aus der Zeit ge­schnitten,  als schreibe man nicht 1998, sondern 1581. Wol­kentiere kommen von Westen wie Himmels­inseln durch die Olivenzweige. Al­les ist unendlich klar und offen. Kein Straßenlärm, wie früher in der Frankfur­ter Leerbachstraße: ein rotes Auto, ein ein­zelner Junge, eine Frau mit Hund, ein Lieferwagen,  doch Lei­chenwa­gen gab es keine, schwarz ausgeschlagene, wie in seiner Kindheit in Transsylvanien mit Popen,  die Weih­rauchfässer schwenkten, in Frankfurt distin­guierte Her­ren, die, plötzlich an die Vergäng­lichkeit ihres Körpers erin­nert, stumm den Hut lüfteten und stehen blieben. Hier geht meist Sie durch das Haus, die Treppe hinab, die er wie in Gedanken hinab­geht, Pause; als strömte da alles wie­der ein, füllt Sie alle Vasen verschwen­derisch mit Rosen, Tulpen, Kamelien, im Winter auch Rosma­rin, sogar Orangen oder Zi­tronen; und sie raucht, so spürt sie am besten die Pause, ein Genuß: sie  steht sinnend an der Tür, stellt Gläser bereit für den Abendtrunk.



Schon viele Jahre leben wir hier  in unserem  Haus. Es ist ein  altes Haus, und es sieht aus, als hebe es sich wie ein Buch­stabe aus dem um­gebenden Land, ein einfacher geometrischer Kör­per, und wirkt fast antik; „cultura uterina“, sagt sie, „umgebendes Sicherheitsgefühl“.
     Und das hatte er wirklich nötig, der alte Emigrant. Doch ist dieses Sicherheitsgefühl hier nicht einfach nur Betrug?  „Der Riß geht mitten durch uns,“ sagt er, „nicht erst seit heute, nicht erst seit gestern.“ Und über seinem Kopf spürt er plötzlich diese Leere, Luft? 
     Der Himmel ist blau. In der Ferne das Meer, ein Strich. In allen Dingen diese Unmög­lichkeit, es stimmt nicht, daß Dinge hier auf der Erde ganz sein können, wenn wir es nicht sind,  das ist eine Lüge. Sie sind nicht mehr heil. In jedem Baum inzwischen, jedem Grashalm diese Un­glaubwürdigkeit, an der wir mittragen, weil wir in jeder Sekunde beitragen, daß etwas nicht stimmt -  wir zu ohn­mächtig sind, etwas daran zu ändern, und doch meinen, es ändern zu können. Unnötige Schuld. Alles nur im Unsichtbaren, in seinem Kopf. Er sagte es nicht,  behielt es für sich, schwieg, als wäre jedes Wort zu viel. Und hätte er es laut gesagt, wäre Sie wieder ungehalten gewesen. War sie noch „ganz“? Orte dürfen keinen Namen haben, Namen rufen, decken zu. Er hatte zu viele Namen im Sinn, Worte, Begriffe. Und der Mund starr, er schwieg, doch in ihm  wurde es ganz laut, rumorte. Er horchte, übte sich darin, zu vergessen, in der Höhle, spürte sein Herz, die Brust und den Bauch, ging in Ge­danken tiefer, sah sein Geschlecht vor sich, wenn er es dachte, und die Beine taten weh. Er sagte so manches zu sich, am liebsten wäre er allein, und das war alles so laut innen, wie die Stirne, die Schläfe, die er  spürte, tief in sich, als gäbe es da noch einen, den man nicht sehen kann, er kann ja auch seine Pupille nicht sehen. Vielleicht beginnt in dieser Abwesenheit seine Verrücktheit, daß er jene Stimme gar nicht abschalten kann, er kann so wenig von ihr weghören, wie er von sich einfach weggehen kann, dieser älter werdende Schmerz, nicht lieben zu können!
     Er schreibt, die Zeilen wie herein­geholt aus dem Land, den Fur­chen, die der Bauer auf dem Kartoffelacker gezogen hat: Das wäre gut, doch maßlos untoskanisch, denkt er: es ist lei­der nicht zu ändern, die Schrift ist mein Beruf; ich gehe damit weit zu­rück, und kann diesem Land entsprechen:
     „Es ist ein uraltes Land. Je höher du die Hü­gel hochsteigst“, sagte Sie, die ihm den Tee brachte und auf dem Bildschirm die Zeilen gesehen hatte: „Je höher du hin­aufsteigst, umso verwischter sind die alten Furchen und Steinmauern, unbebaut fallen sie wieder ins Nichts zurück, -  hast du es nicht bei unserem letzten Berg­aus­flug gesehen? Aber auch als Nichts sind sie noch wirklich.“
     „Danke“, sagte er, „ich schreibe trotzdem weiter. Und warte, und du wirst dich noch wundern. Nun gut: Wir haben es nicht gese­hen, doch früher war das Land hier bebaut“.  Und Sie sah zum Fenster hinaus: Die Zeilen dort draußen sagten ihr mehr. Bis hoch hinauf, der Bauer hat es be­schrieben: bis auf achthundert Meter Höhe war das Land außerordentlich feinschichtig gewo­ben, wie ein Ge­dankennetz, bei Fiesole sieht man es noch heute: Linien, Flächen, Tra­peze, dann die Reihen der Wein­stöcke, die längst, als wären sie unerlaubt, gewe­sen und ver­gangen sind; dazwischen Diagonalen, Horizontalen, Grammatik des al­ten Landes, verdichtet  als Rast, als Punkt der Milde, wo alles noch einmal geträumt wird, die Casa, um­geben von Oliven, Zypressen, Feigen, Obstbäumen, und  wirkt aus der Vogelschau merkwür­dig, abstrakt und doch orga­nisch, als wäre es das ge­formte Unbewußte, Muster des Schrei­bens; Zeilen, Formen, dem Land abge­rungen, und doch etwas zur Sprache gebracht.  Es ist uns noch geblieben, in engster Um­gebung .
     „Tempi passati“, sagte Sie, „du meinst es doch auch: Alles ist noch da und doch wie längst vergangen; ich mag  deine Nostalgie, mißversteh mich nicht, sie ist ja auch meine: bei all den neuen häßlichen Villette der Neureichen  Alles wird  jetzt >neu< gemacht, pompös und reich, glitzernd und protzig. Schau dir nur an, was für Häuser die jungen Leute unserer Umgebung in die Landschaft ge­stellt haben, die Kin­der unserer früheren Bauern. Alles so ge­lackt, daß sich die Kastanien schämen, einer hat sogar eine elektronische Anla­ge an der Gara­ge - mit Fernbedienung. Oder die schöne alte Apo­theke an der Ecke,  die ist nun ein kleiner kitschiger Mar­morsalon, und nicht wiederzuer­kennen. Das geht rapi­de. Die Tante-Emma-Läden sind nun kleine Minimärkte, und alles ähnelt im­mer mehr Bigmac und den Ketten der scheußlichen bunten Pop-und-Plastik-Kultur des McDonald (in Griechenland, in Spanien, in Portugal ist es nicht anders!). Aus ist es mit der SCHRIFT des Lan­des;  und schau dir die neuen Moden an, dieses Gestylte, diese Hahnen­kämme und das Computerfreakhafte mit Juppyeinschlag.“
     „Alles kleine Bankkaufleute und Nichts im Hirn!“ Wirft Er ein und freut sich, daß Sie endlich einmal wie er denkt: „Ein Reichtum im Teuren und Künstlichen!“ sagte er: „Mir ist es schleierhaft, woher die soviel Geld ha­ben. Die letzten al­ten Dinge sind   jetzt endgültig >erneuert< und ersticken in ihrer Verpackung.“
     „Die Landkirchen hier haben einen offenen Dachstuhl, er paßt zum alten Land, das wie eine Ruine daliegt, die Landkir­chen mit offenem Dachstuhl schauen fast schon wie Vergessene ins Land“, sagt Sie:
      „Ich empfinde es so: sie schmerzt, diese strenge geometrische Klarheit, die kein Abbild des Or­gani­schen, kein Spiegel des himmlischen Jerusalem ist wie bei den Deutschen und Franzosen in ihrer Gotik, nein, einmal  war es hier der Gleichgewichts­zu­stand  zwischen Himmel und Erde, es ist ein besonderes Lebensgefühl, hast du es nicht bemerkt?“
     „Es sagt mir besonders zu, ich habe es gern: bei den alten Bau­ern ist es noch spürbar, von denen jetzt die letzten aus­sterben: diese herzliche Distanz; diese maledetti  toscani  hatten früher, als es sie wirklich noch gab, er­kannt, wie kr­aftzehrend  und unöko­nomisch  die Extreme sind, Schönheit aber drückt in aller Einfachheit letztlich  das Praktische aus...“
      Und sogar Machiavellis praktische Staatskunst, diese Taktik zwischen Zufall, der fortuna, und dem freilich schillernden und vieldeutigen inneren Ordnungs­begriff virtù gehört dazu. Es war einmal, ja, einmal wie ein Märchen,  und vielleicht gehört ihre Sehnsucht immer noch in jene alte Landschaft, de­ren Ruinen jedoch Löcher haben, als könnten sie durch­sehen, jetzt nach vorn; jenes unangemaßte, ja, unbewußte Wissen vom Rätsel des Wachseins, die Klugheit jener Gei­stesgegen­wart, die Skepsis nicht aus­schließt.



Man könnte denken Börne habe recht, Heine stellt das als Motto an den Anfang seiner „Harzreise“:
„Nichts ist dauernd, als der Wechsel; nichts ist beständiger als der Tod. Jeder Schlag des Herzens schlägt uns eine Wunde, und das Leben wäre ein ewiges Verbluten, wenn nicht die Dichtkunst wäre. Sie gewährt uns, was uns die Natur versagt. eine goldene Zeit, die nicht rostet...“
aber dann?

Fahrt nach Rom. Ich lese im Zug S. Cramers Aufsatz über Johnson, Kunert, Haufs. Und überdenke eine Shelley-Sendung: eine Art „Seestück“,  den Schiffbruch und Tod Shelleys vor unserer Küste hier bei Viareggio. Plane einen Text über Thukydides. Denn genau über dieses denkt die Sibylle Cramer  (im „Literaturmagazin 25) nach „Das Sehen schreibend zu einer Beschäftigung machen“.
Wie entziehen wir uns dem offnen Geschichtsverlauf, also der Zukunft,  - durch Stoppen der realen Zeit? Durch irgendeinen festen Wohnsitz in der Zeit? Durch Geschichten (erzählen)? Doch so lange wir leben ist dies unmöglich, Zeit, unsere, vergeht trotzdem! Das Dilemma kann nur als Dilemma gezeigt werden. Die Geschichte wird mit dem Augenblick, der war, abgeschlossen, das Erzählte, ist ein Mauer vor der Zukunft, eine erstarrte Sequenz, LebensGeschichte also durch Geschichten aufgehoben. Sie tritt in die  beruhigende Form der Vergangenheit erst nach dem Tode dessen, der sie erlebt: Schreiben simuliert  diesen Zustand des Todes,  es kann aber nie ganz gelingen, denn „außen“ geht  die Zeit trotzdem gelassen  weiter, so lange wir hier sind, gleich-zeitig auch  leben!


Ich hatte Hella eines Tages, es war kurz nach unserer Begegnung, und unserer ersten Liebesnacht, auf mein Boot eingeladen, und den geheimen Wunsch gehabt, mit ihr nackt zu segeln, mit diesem wunderbaren Gefühl der Körperfreiheit im offenen Meer beizulegen, und dann mit ihr auf Deck zu vögeln. Wir segelten genau an der Stelle, wo Shelleys Boot untergegangen war, und sie wollte etwas darüber wissen; ich erzählte ihr, was ich über diese letzte Segelfahrt wußte; dann wollte sie in Shelleys Gedichten lesen. Schließlich wollte sie selbst segeln. Sie legte das Buch, in dem sie gelesen hatte, ins Cock­pit, nahm die Pinne. Ich aber schlug das Buch auf, und war plötz­lich darin verschwunden. Fühlte nun die Zweigleisigkeit und jetzt Dreigleisigkeit  der  ZEITEN. Ich jetzt, der sich nun hier erinnert, jener  der schreibend und lesend in sich ver­sank, ich war also und bin auch jetzt wie nicht da. Das ge­rahmte Seestück dort sehe ich schon, weiß aber, so, wie ich jetzt sehe, ist es nur in meiner eigenen Wahrnehmung, und vergangen. Doch se­gelnd, denke ich es, daß wir damals segel­ten und ein Bild schiebt sich über das andere. Und stillge­legt, ein BILD in mir. Schon dort auf dem Boot versuchte ich, sie hielt das Steuer, das Sehen schreibend zu einer Be­schäftigung zu machen, wie Shelley, der genau hier in dieser Bucht oft gesegelt war, damals 1821, der  auch auf seinem Segel­boot schrieb, es eben­falls getan, was ich im Vergange­nen getan hatte. Und las ihr eine Strophe Shelleys vor:
Wie Wolken fliehen Hoffnung, Würde, Liebe,
Sie bleiben nur auf ungewisse Zeit. -
Der Mensch wär stark, besäße die Unsterblichkeit,
wenn der erhabene Geist nur in ihm bliebe...          


DAS BOOT. Überfahrt. Die etruskische Küste hinab  bis Populonia. Hier sah  ich die ersten Münzen der Gegend im Golf von Baratti in der etruskischen Nekropole: Drachmen. Und im Bergnes Populonia das Museum mit dem Tränenkrüglein und dem phallischen Grabstein, das Ei dazu der Frau: Tod und Leben. Und der Totenkopf eines Zwölfjährigen. Langher. Langher? Beim Herabsteigen in den Golf, Rundblick bis nach Elba: da sehe ich Kinder, die mit Wildschweinen spielen! Und dann die Abfahrt.
 Das Reale ist hart/ fordernd, das Schiff unter dir, jede Sekunde Zeiteneinheit spürbar der Mühe, über deinen Kopf hinweg; das Meer schäumt, dazu etwas Fades, Langeweile , Enge des Körpers, den du gegen die Elemente verteidigst. Die Gedanken wie festgebunden an Ankerketten, Tauwerk und manchmal ans Ruder. Hart war die Arbeit frühe.  Es bleibt das Meer. Die starke Welle der Zukunft. Die kreist stark ist die See in uns. Und grausam. Der Geruch von Teer. Das Schlagen des Falls/ verdeutlicht die Sekunde Der Angst. Keine Zeit bleibt zum Atem holen. Tagebuch  22./29.7. 81

UMBRIEN/ ASSISI
In der Eremitei Dei Carceri und auf dem Berg Alverna da merkte ich, daß es tatsächlich einen genius loci gibt, der unvergänglich zu sein scheint. Eichen und ein härenes Gewand. Tagebuch, 1977

Sei gelobt, mein Herr
Durch unsere Schwester, die leibliche Frau Tod.
Selig die, welche sie findet einverstanden
Mit deinem heiligsten Willen.
Ihnen kann der zweite Tod nicht schaden.
        Aus dem „Sonnengesang“ des Franziskus




Aber die Panne 20 km vor Rom. Einfach das Benzin ausgegangen. Banal und dumm. Die Pannenhilfe behandelt mit wie ein Gespenst, das eigentlich nicht existiert. Viel Polizei, Angst vor den Brigatte rosse. Der einzige Freiraum der Raum der früheren Massaker: Colosseum, Forum Romanum. In einer Kneipe dahinter bei Frascati Gespräche mit L. über meine erste Ankunft in Deutschland. Die Abfahrten aber nehmen nicht ab. Leben: Zwischen Abfahrt und Ankunft? Überall in den Olenaderbüschen die Liebespaare. Abends aber der Philoktet von Sophokles, Glauco Mauro in der Hauptrolle im Teatro Argentina Leute in Alltagskleidung im Prachtheater.  Denke an Heiners Stück. Schreibe noch nachts in den Thermen des Caracalla bei Vollmond:
Der Bogen ist die Wunde des Philoktet
Das Tor, nicht mehr
das Grab im Kopf. Es blinkt in ihm der Punkt
hat Recht so fern zu sehn: ein Stern der längst erlosch.

Nicht Zenon ists, Nein,
Zen. Der Bogen/ ist
gespannt. Nach Hause kommen.

Die Mythen sind die Basen, halt sie hoch
durch die Gedankengänge hallt der Schuß im Flug.
Das Nihil laß am Boden liegen, eklige Haut, den Tod.
Da ist doch einer in mir, wartet, spricht mich aus,
wenn ich bereit bin, selten, leider. Und sagt jetzt deutlich
hör ichs: D., es ist genug.

Kein Pfirsichbaum in kein Gitter geflochten/ unter der Mauer
ausgesetzt: ist er das Eiland/ um ihn der Mann mit dem Bogendie Heimat die ihn ausgesetzt. Er hasst, was ihn
auf die Erde gebracht. Die Eltern die Leute das Land?

Was gebraucht wird ist der Bogen.
Sie kommen ihn holen. Sie sagen, er diene
dem Boden, nicht sich.
Der Schuß muß töten. Nie nur in Gedanken.
Das Nihil kam an. Und wollte entkommen
und kam auf dies Eiland. Die Zeit verging mir so:
Alt und vergeblich. Doch sie, sie blieben :
Etzels Saal ein Zitat/ im Kessel
von Stalingrad. Alles ist und
nie nur einmal (als wärs eine Hoffnung?)
Abgefroren, die Zehen. Der Bauchschuß. Blind,
die Augen/ brennendes Flimmern Schnee.
Heut ist der Bogen
Nichts und dauernd gespannt. Zerreißt im Hirn
der wartende Schuß eine Leiter.
Wer jetzt den Feind getötet hat, stirbt selbst.

Nach jedem Krieg blieb ein Haus, ein Übriges
von Bäumen Tieren. Doch jetzt radiert sie
schon der Frieden aus.

Philoktet stand mit der Wunde auf
dem Feind aus jeder Heimat entgegen -
mit ausgestreckter Hand versöhnt, den Bogen fort
gespannt zur Null sie dröhnt! Versöhnung überholt
bleibt unversöhnt und nur ein dummes Hier im Leben.



(Tagebuch, 5.Mai 1975)


An einem Montag also waren wir in Rom angekommen, no­tierte ich später im Tagebuch:  Wir hatten den Abend gemein­sam im  Biotheater verbracht. Dann waren wir in ei­nem Lokal  gewesen: redend, redend, redend. Am nächsten Tag mit dem Bus zum Bahnhof, von dort mit der Linie 106 zum Vatikan. Wir waren kurz vorher aus­gestiegen, am Tiber ent­lang gegangen, den Blick in gelbem Brackwas­ser, die hohe Mauereinfassung gesehen, Gras­flecken schwammen oben, Platanenzweige, die  nach unten hin­gen, stachlige Früchte an dünnen steifen Zweigen. Wir spannten den Schirm auf, Nieseln und etwas Ge­mütlichkeit, weil die Lichter angingen, späte Platanen­blätter, ein ra­schelndes nasses Gehen, halb vegetal und ge­dämpft. -  Vom Corso dann auf den Ponte Vit­torio Emanuele, geflügelte Wesen auf dem Ge­länder, die mühsam ihre Kreuze schleppten, den Rücken uns zugewandt, als stürzten sie sich in den Tiber, schräg links aber das Ospedale Santo Spirito, und rechts die Piazza. Rut, da stehst du davor: Mole Adriana, Castel Sant‘ Angelo ... Museum ABENDLAND, JETZT.  Die EN­GELSBURG, o wie alt: Hadrians Mausoleum, ach, nein, das Mauso­leum des Abendlandes, da liegst du begraben, du Schöne, Europa. Und dazu Sirenengeheul des Unfallwagens oder der Polizei, Blaulicht, Sirene. Rom: Castel Sant‘ Angelo, das Todeska­stell: Pest mit dem Papst Gre­gor, hör ihn, den monotonen Ge­sang in Katakomben, und Beten, der En­gel aber  oben auf der Zinne steckte verlogen sein Schwert in die Schei­de. Frauen kommen und gehen und schwät­zen so/ Daher von Miche­l­angelo, mit Stöpseln im Ohr, akustische Führung. Wie rei­men wir wei­ter, Sonette in Kasematten, unten Verliese:  Als ich mit Sie dann am Campo di Fiore stand, an Brunos Todes­platz, be­gann ich zu zittern, hier in den Verliesen hatte Bruno vor der  Verbrennung, man stelle sich vor: Zelle um Zelle im Feuer, - in der Folter gelegen, und oben über ihm der Prunk der Päpste. Es ist noch Zeit, ja, für Zeugung, Mord, Zeit für Werk und Hand. Säle Clemens‘ VII., und dann die östliche Hälfte der Terrasse, Ölhof mit der Zister­ne Alexanders, des Borgia, Öl - und Ge­treidespeicher sind zu besichtigen und die Hinrich­tungs­stelle. Hier wurde  enthauptet, gehängt, er­würgt, ersäuft, erdrosselt, ver­brannt, lebendig be­gra­ben, sagte Rut, die auch den  Horror fotografiert, fast fröhlich sagte sie es, denn sie weiß vom Tode viel, und arbeitete gerade an der Foto­montage eines riesigen zer­fressenen Toten­gesichtes. Ich aber meinte schon einmal hier gewesen zu sein und redete  sehr schnell, als müßte ich darüber hinwegkommen, als täte es weh und dachte doch an Nicco, als wäre er dabei: Häreti­ker, Philosophen, Dichter, und Giordano Bruno wurden gefoltert, ließen sich nicht bre­chen.Und überlegte, warum wohl die Herrn Bischöfe und Päpste solche Angst vor den freien Energien des Geistes hatten.  Wehe es wäre wahr, was wahr ist: und es wird wirklich, was tat­sächlich wirklich ist: das Jüngste Gericht, gemalt schon an der Altarwand der Sixtina.In Sälen, Kammern, Treppen, Gän­gen des alten Mausoleums ein perfektes Labyrinth, und unsichtbar ein Ungeheuer, brüllend, verirrt, wohl der Stier der schönen Europa. Und ein Faun überreicht der Unersättlichen  auf ausgestreckter Hand seinen großen Penis, den er sich, heftig tropfend, amputiert hat;  Entsetzen in den Augen, Lächeln auf den Lippen, hier im Grab. Träumender Geist, aufgelöst das Grauen? Wie die vegetalen beinlosen Mädchen, aufgereiht und aus Blumen sprießend. Rückerinnert, der Chock:   aber er hat sich gemildert, es wird Traum, was Tod war, die Grenze überschreitend, die Höhle, um aufzusteigen,
Das Jenseits der Zeit jeden Textes  und Fragmentes aus der anderen Zone von Mög­lich­keiten jenseits des Todes ist fruchtbar:  Spiegel des Un-Wirklichen, das wir heute ertra­gen müssen. Und solch eine Fiction ist wirk­licher als der Schein, der  sich Leben nennt. (Mai, 1988)

Von Rom kamen wir her, Bocca della Verita. Und du küßtest mich wirklich auf den Mund.. Ich hatte mich rasiert und mir die Haare gewaschen, das tue ich morgens sonst nie ...
... dieses Heft, lange nach dem Krieg geschrieben, „hätte gut niemandes Heft sein können: so tief unterhalb menschlicher Wege und Reisen liegt der Sinn eines Menschenlebens verborgen ...“ (René Char).
In Sorrent fragte ich damals nach dem Preis des Hotels „Syrene“. „Damals“ wars/ hoch über dem Steilufer/ Palmengarten/ schöne Räume der „Villa Pompejana“/ zu teuer/ vor drei Tagen war sie geschlossen. Zimtgeruch und wie ein Wunder/ die alten Lampen über uns. Sägen und ein Geräusch wie aus der Kindheit in Transsylvanien (Herr Nagel und mein Kopf!) /Und der wahnsinnige Tasso kam mir entgegen. Langher.
Auch unser Leben ist langher gewesen: 1972, damals Dezember: „Orangen reif und leuchtend über dem Meer. Kein Tourist.“ Es war auf der Rückfahrt von Amalfi und Positano: „Bei Nacht noch schöner der Golf. Drüben liegt Neapel und der Vesuv.“ Lang her, gewesen
Begegnete dem Dichter Andres in Positano/ und las dazu Tassos Gerusalemme, samt irren Briefen an seine Schwester. Langher./
Und Parsifal aus dem Radio (eine Kassette im verzauberten Garten des Klingsors. der kam aus Siebenbürgen/ War er müde und erschöpft/ kein nervum rerum?/sah Herbst und Reif/ kam die Sonne wie auf der Mole von Amalfi/ die Liebe überwinden und mit den Sinnen wie im Tod ganz hinübersein/ das Mantra am Morgen: diese Ruhe im Hotel „Magna Graecia“ und  um 6 aufgestanden/ sah Eleas Unbewegtheit vor mir.
In Sorrent aber Tasso/ von Stimmen umgeben: So fühlte er die Angst vor der Inquisition: Einer war da, sagte ich zu L. auf dem Spaziergang zur Marina Piccola durch tiefe Tuffschichten: Einer war da in Tasso/ der glaubte- / der andere aber/ die Skepsis/ spaltete ihm das Hirn./ Es zeigte ihn an jener der glaubte...
Die Steilwand in Positano/ als rutschte man von ganz oben ab von der riesigen Höhe/ wie im Traum/ und dort hat Er vielleicht zu Tassos Zeit/ noch einen Blick herab geworfen/ jetzt sind wir geteilt/ bald völlig getrennt/ Wolken seh ich/ und wir gingen zu Fuß die lange Treppe hinab/ das Auto stand auf dem Hauptplatz/ wo die Genies der Muße saßen und redeten/ der Wirt unseren kleinen Hund vertrieb.Terrassen auch auf Capri/ mein Gott vor 1957/ wann war das: 1943!/ Leben am Rande der Ereignisse/ hier versteckte sich damals Anders. Auch er schon längst tot!/ Erzählte es deutschen Kriegsgefangenen: „Fatamorganen in der Wüste der Echolosigkeit“./ Das kleine Buch „Positano“ aber blieb, wie dieses Echo hier!
Welcher Krieg tobt in meinem Innern/ 50 Jahre danach/ und gestern waren wir in Montecassino/ Ursprung aller Klöster/ und drei Tage vorher in Positano und Amalfi/ die kleine Stadt mit Klingsors verwildertem Garten/ Blicke von der in den  Felsen gehauenen Straße/ von Sorrent am Kap/ aus der „Villa Maria“ neben einem Ospedale/ blau der Himmel, nein, azur wie bei Gino Campana:/ „göttliche Küste also/ frei der Tag/ nur das Herz wund/ allen Ernstes. Und könnten die Zeit so brauchen - zurückgestellt und zerflossen die Uhr!

Mai 1983
Sog der schwarzen Löcher.  Welle und Körper, wie gesagt. Und deine Logoreia, dafür kommst du in die Hölle. f a e b d c  -  Kepler hat es als „fame, miseria, fame“ ausgelegt,   Hadyn, Die „Schöpfung“! Und Ich hörte es wie Sphären­musik in der Ferne...  die ersten Geigen durch f (fame) un-vollständiger Dominant­septakkord, der sich nach C-Dur  löst, denn es ist ja noch Nichts fertig, sondern die Melodie in den Violinen geht über fis, als Leitton verkappt, leer nach g. Ist aber nur scheinbar ruhend aufgelöst.

Jeden Au­genblick kann etwas Ungewöhnliches geschehen, Und der Leitton quält. Alles immer unvollständig und drängt in der Schwebe weiter. Unfertige Auflösung, denn das Orchester verläßt die ersten Geigen, die spielen oben weiter, schwächliches Thema als Kadenz nach Es-Dur. (Fame, miseria, fame, e aber als Es. Mein Gott: ES). Diesen Akkord hatte schon Johannes Kepler in der Sphärenmusik des Alls  als Schwingungsakkord der  Erde ausgemacht.
Kepler lebte, als sein Elend begann, in Linz; er war, weil er geforscht und geschrieben hatte, einsam und heimatlos. Bis zum Tode Kaiser Rudolf II. hatte er als Hofastronom in Prag  gewirkt, mit Tycho Brahe die Epheremiden erforscht  und Sterntafeln aufgestellt.   
„Es gibt nichts, was ich lieber erforschen und wissen möchte als dieses,“ schrieb er aus Linz an einen Freund nach Straßburg: Kann ich Gott, den ich bei der Betrachtung des Weltalls geradezu mit Händen greife, auch in mir selber finden? Ich habe mich lange und schwer mit diesen Sorgen herumgeschlagen, das Jahr ... war jammervoll und auf allen Seiten verderblich. Vor allem erhielt ich vom Hof keinerlei Zahlung. Meine Frau... wurde von Melancholie ergriffen, erkrankte zu Ende 1610 am ungarischen Fieber, Krämpfen und Irresein. Kaum besserte sie sich, als im Jänner 1611 drei meiner Kinder von den Pocken befallen wurden. Inzwischen besetzte Erzherzog Leopold mit einem Heeresteil die (Prager) Kleinseite jenseits des Flusses.“
Hör, das Mißlingen dazu: 3 Mal versucht es das Orchester, die Flöten­töne gehen  klagend hoch. Ins Unmögliche, sagen wir. Wie läßt sich Unten und Oben zusammenbringen, ihr fühlt es in euch solange ihr lebt und im Körper seid, es ist noch da, dies Furchtbare, die Spaltung, das Unerlöste: Schwebendes Zögern, Holz, Celli, Fagott gehn erfolglos hoch, das Chaos wabert in der Tiefe, gurgelt, dreimali­ges ergreifendes c-moll, Warten, Schreien nach Erlösung von unten. Schmerz des Ungeformten, des sinnlosen Banalen, des Vielen da.  Ein UNISONO wie­der, Pianissimo.
Zur selben Zeit starb mein Lieblingssohn... Er glich ganz der Mutter... Man konnte ihn eine morgendliche Hyazinthe in den ersten Frühlingstagen nennen, deren zarter Duft das Zimmer...füllt. Der Junge hing so sehr an seiner Mutter, daß man nicht sagen konnte, beide seien „krank vor Liebe“; beide waren rasend vor Liebe. Ich mußte mit ansehen wie meine Frau in der Blüte ihres Alters ganze drei Jahre lang von den wütenden Säften in ihrem Körper heimgesucht, erschüttert und schließlich zerrüttet wurde, so daß sie nicht selten geistig verwirrt und von Sinnen war... (Sie war) bis in die Tiefe ihres Herzens durch den Tod des kleinen Jungen getroffen...Von den wüsten Ausschreitungen der Soldaten und von dem Anblick des Kampfes in der Stadt betäubt... Schließlich kamen österreichische Haufen hinzu, die ansteckende Krankheiten mitbrachten. In melancholischer Mutlosigkeit, der traurigsten Geistesverfassung unter der Sonne, gab meine Frau schließlich ihre Seele dahin.“ So mußte er arbeiten; von den meisten für irr gehalten, Spinner mit dem „Schwindelhirnlein“. Er aber hielt die andern um sich, die Alltagsmenschen und nur am Faßbaren Interessierten für wahnsinnig. So wünschte auch Kaiser Rudolf II von seinem Hofmathematikus eine Berechnung der Nativität Mohameds und Kaiser Augustus, das nach Horoskopen zu erwartende Schicksal des türkischen Reiches usw. Alle waren an seiner Arbeit höchstens noch  aus rein egoistischen Gründen interessiert, vor allem Horoskope mußte er stellen; alle wollten sie hören, ob sie reich werden oder krank werden, Glück oder Unglück haben, wie sie ihre Feinde besiegen, ihre Nachbarn übervorteilen können: „Item hat es unter dem gemeinen Mann, ja wohl auch unter den Schreibern und unter den Hofleuten so viel  grobe unverständige Knebel  (im Hirn), daß sie immerzu einem Sternseher in den Ohren liegen, und meinen sie sollen ihnen viel von künftigen Dingen sagen... Gleich als wenn die Werke Gottes anders nicht würdig wären, das man sie anschauen und ihnen nachrechnen sollte...Er komme sich oft wie ein Irrenarzt vor, der einem Kranken eine Medizin verordnet, schrieb er in einem Brief: daß seine Umgebung...In Worten und in Gebärden dem wirren Gerede geistig Gestörter gleicht.“ Und dem unpassenden Spott entgehe er, indem er den Leuten „den blinden Hinterkopf“ zeige. Wer aber nun wirklich wahnsinnig war, er oder die andern, das  ist ja wohl nun undiskutabel!
Er war an keinem Nutzen interessiert, wie ein Kind: Musik der Sphären, musikalische Gesetze und Formen als Mathematik: Gesetz der Welt - daran glaubte er, und daß es sie gibt, das war ihm Rettung. Auch vor dem furchtbaren Leben. Im Kleinen gelang ihm nichts. Konnte er den Alltag nicht mathematisch angehn, scheiterte er, wurde umständlich, wie Dostojewskijs Idiot. Wo es aber gelang, da meisterte er für immer ein Problem, auch für uns.
Das kindliche Staunen selbst, da zu sein, und dann ein Her­vorbrechen: Licht, das nun schon Form  ist, Jubel, Strahlen C-Dur-Fortissimo.  „Die wilde Welt der Todten“ ists. Bevor die Zeit einfiel, und wir in sie. Und war das Ungebundene,  begriffslos. Da ist auch heute kein Ab-Leben, du weißt.


ÜBERFAHRT


Dann standen wir oben auf dem Berg
Kalabriens und sahen hinüber
Richtung Catania. Wie ein altes Märchen
ließ uns Sizilien das neurotische Herz
wieder höher schlagen.

Auf der Autostrada del Sole
kurz nach der Überfahrt (Ulyss hatte auf dem Wasserso komisch gelacht) kam es bei Messina zum Autounfall (ohne jede Schrecksekunde)
Scylla und Carybdis



Porticello/ bei Palermo
Gänsehaut. Fieber vom Scirocco. Gerüche in der Nacht dazu: Jasmin, Orangen. Endlich das Hotel. Im Fernsehraum ist es wieder furchtbar laut. Überhaupt dröhnt es hier stärker in den Ohren als in Frankfurt oder Köln. Autos, Motorräder, Lautsprecher, Fernseher. Das Geschrei, die lauten Stimmen der Leute. Alles auch viel brutaler, greller: der kleine Liftboy, Hotelsklave ist erst zehn,  und arbeitet zwölf Stunden am Tag; niemanden stört das. Er klopft schon 6h20 , fragt , ob wir Kaffe wollen.Und es ist doch heimaltlich, Balkanerinnerungen, die Walachei.Marcello erzählt, wie er in der Schweiz gezwungen wurde, anders zu reagieren als hier, z.B. leiser zu sprechen, seine Freude weniger stürmisch und herzlich zu äußern! 
Heute und gestern waren wir vom Scirocco so dumpf, daß wir fast nichts von der Landschaft wahrnahmen. Außer in Messina und Umgebung, wo die üppige Vegetation ins Auge stach. Ja, und wir waren ja unserer Sehsucht nachgefahren, anders zu sehen als gewohnt. Lernen Ptolemaeus zu vergessen, zu sehn, was wir wissen, daß nicht die Sonne, sondern die Erde täglich untergeht. Doch die Kleider kleben uns fiebrig am Leib. Fieberträume Realität. In der Ferne sind die Liparischen Inseln zu sehen, wie eine Verheißung, en Horizont erreichst du nie... (17. Mai)


SPÄTER GELA/ Sizilien
Aeschylos starb hier wie eine Halluzination
Sein Leben/ Occident, ein verschrobenes Irren Land, Gott  es ist wahr,
Aeschylos starb hier, weil sein Kahlkopf einen  Adler blendete,
der flog,  welch ein tragischer Zufall gerade Jetzt
über ihn, den Erfinder des Trauerspiels kopfwärts
hinweg/ das Herz war von oben ja nie zu sehen
nur der blendende Kopf;: ach, der geblendete Adler oben
warf die Schildkröte (auf der ja bekanntlich die Welt ruht)wie einen ein goßen Stein vom Himmel also brachteden Kahlkopf um, er uns immer noch blendet:
 Und du sagst, es gäbe kein Leben nach dem Tod?


Und dann Palermo, Siculina Marina, Agrigen und Empedokles, Palma und die Riviera des Ghattopardo mit der Donna Fugata, Caltanisetta, Piazza Armerina, Ragusa mit dem gewaltigen Canon. Noto. Syrakus mit der Grasblüte des Papyrus. Archimedes in Erinnerung. Und am 1. Juni „Medea“ im Griechischen Theater. Exil und Schrecken der Liebe: (Das furchtbarste in der Welt ist das Vaterland zu verlieren!) – Dann Catania. Aci Trezza (La terra trema!) Der Ätna und die Todesgefühle in der brennenden Steinwüste. Taormina. Tropea. Ach, Sizilien, in Eraclea Minoa, seltsamster Hafen des Mittelmeeres, entstand  Sizilien: eine Handvoll Kreter kamen da an Land, zerrten die Insel so ins grelle Licht der Geschichte.
Und passend zur Logik des Occidents oder ists schon die Levante: Ein Kreter sagt, alle Kreter lügen, also lügt er auch, also sagen alle Kreter die Wahrheit: wo begann unsere Paranoia, hier? Oder langher im Minoischen Labyrinth?
Und dann wieder der Stiefel: Tarent. Brindisi: Der Tod des Vergil (Broch). Die Überfahrt. (8. Juni)


Patras. Korinth. Fahrt durch den engen Isthmus. Die harzige Luft.  Das Meer blauer, die Luft flimmernder. Die Landschft karger. Wie ein Traum, kann kaum erwachen. An Eleusis vorbei. Ist das mögliche, da vorbeizufahren? Piräus. Einschiffung nach Kreta mit der „Minos“. Ach. Von der Souda Bucht nach Agios  Nikolaos. Sitia. Dann zurück nach Kritsa. Und zur Dike-Höhle. Malia. Und Knossos.

Es begann in der Kindheit: als Kind war ich ein Einzelgänger, immer allein, und alle Zimmer des Hause waren von den Eltern, von den Großeltern, von den Geschwistern besetzt, in der Diele aß man, im Vorzimmer war immer große Bewegung, so richtete ich mich meist zwischen den Zimmern, auf der Schwelle ein.  Also immer auf Übergängen kam es mir vor, daß ich nach   „ Hause“ kam, mich wohl fühlte, an Orten, den die anderen kaum beachteten,  der für sie gar nicht existierte, leer war, übersehen wurde; da ging man schnell darüber hinweg, um in einem Zimmer und damit wirklich in einem Raum zu sein. So ein Zwischenraum des Übergangs, eine Art Fluchtort und Vorläufigkeit ist aber auch ein Flug, ist jede Reise.


GENAU DIES WEISS ICH NUN NACH VIELEN JAHREN:
Zuhause kann ich sein
Nur hier - im Flug. Als wär ich damals in der Luft,
Und schwebend zwischen meinen Vaterländern,
Trotz all der Schüsse auf der Grenze stehengeblieben.

Ein Vogel aber bin ich nicht.
Der Grüne Wagen blüht mir. Doch ich wollt ein Haus.
Gern wär ich nur ein Bürger, - bin sein Waisenkind.
Ich lieb die Länder, Orte, Frauen nur,
Wenn ich die Freiheit auch zum Abschied hab;
Nur in der bitteren Flucht und ungeschützt -
Im Freien kann ich Zeit erfahren :
Die Zeit der Zeit, - Vorläufigkeit.
In all den Leuten ist sie heute auf der Flucht -
Den Himmeln schrecklich nah.
Und nicht mehr auf der Erde.
Wie die Schwelle trennt die Reise uns vom Alltag, vom Selbstverständlichen, ja ist ein Zustand im „Tapetenwechsel“, der Abenteuer, der aber auch  Schock sein kann.




... und wohin man jetzt jettet
mit dr vermehrung der nullen
                auf den schweizer konten
stimmen sie ein ins vertrauliche
                                      gemauschel
über kitzbühl, st. Moritz und
                       lagerfeld
denn das ist ihre welt
und sonst gar nichts
Elfriede Gerstl, vor der ankunft


die fahrpläne wissen bescheid
voll einverständnis
                tuschelt die sftware
rollbahnen sind ausgelegt
die krähen sind mit dem tower
                            im bunde
unauffällig schleppe ich mein köfferchen
während in meinen synapsen                        die hölle los ist
elfriede gerstl, vor der ankunft




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