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Dienstag, 3. April 2012


Beendet 2.03.04.

                             FREUNDESVERRAT. SECURITATE
                                 Meine Akten. Meine Spitzel
KLAPPENTEXT

Die Securitate (offiziell Departamentul Securităţii Statului, dt. Abteilung für Staatssicherheit), ab 1948 der  brutale und  gefürchtete rumänische Geheimdienst der kommunistischen Partei und ihres Staates. Bei seiner Auflösung im Jahr 1990 gab es etwa 40.000 offizielle und 400.000 inoffizielle Mitarbeiter.  2 Millionen unmittelbar Betroffene und etwa 200000 Todesopfer. Über die „Securitate“ gibt es bisher nur in rumänischer Sprache zusammenfassende wissenschaftliche Quellen und Bücher.  Auch sehr viele Augenzeugenberichte und Memoiren. Durch die Einrichtung einer Behörde CNSAS, die die Securitate-Geheimakten zugänglich macht, wurde ein Sumpf von IMs und Spitzeln,  ein ganzes fürchterliches Netz von Verratshöllen, Tendenz steigend, ausgemacht.
Dieter Schlesak, Lyriker, Essayist und Romancier, geboren in Siebenbürgen/ Rumänien, dessen Dokumentarroman über den Auschwitzapotheker Capesius weltweit bekannt geworden ist (Übersetzungen in viele Sprachen, große Verlage in: Amsterdam, New York, Barcelona, Krakau, Bukarest, Sao Paolo, Brasilien, Jerusalem, Mailand, dritte Auflage u.a.), arbeitet nun an einem Buch über die kommunistischen Lager und Verbrechen: am Beispiel der Securitate. Die roten Verbrechen wiegen noch schwerer als die der Nazis, da sie gegen das eigene Volk gerichtet sind, viele Völker dezimiert und traumatisiert wurden, die Opfer geschätzte 80 Millionen betragen. 
Schlesak ist Augenzeuge, er hat die Verfolgung am eigenen Leib erlebt; er hat dies erlebt in der  Ceauşescu-Zeit und  in der stalinistischen  Schreckenszeit mit ihren vielen Opfern.
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ZU DIETER SCHLESAK
„Dieter Schlesak ist ein ungeheuer vielseitiger Poet und Schriftsteller, ein poeta doctus. Er schreibt, wie von Furien getrieben, das Leben, den Tod, die Liebe, die Welt im Großen und im Kleinen zu erfassen. Er ist neugierig, skeptisch, voller Zweifel und voller Enthusiasmus - dabei immer auf Entdeckungsreisen. Der einzig feste Halt sind die Wörter, ist die Sprache, die er mit virtuoser Kunstfertigkeit und mit höchster Sorgfalt, geradezu liebevoll oder libidinös in Szene setzt, sei es in der Prosa, sei es im Gedicht. Und mit einem Gedicht möchte ich auch die Vorstellung seiner Person beginnen, denn daraus erfahren Sie etwas von der verschlungenen Befindlichkeit dieses heute zu ehrenden Schriftstellers. 
Schlesaks erstes großes Oeuvre ist der Roman "Vaterlandstage und die Kunst des Verschwindens", erschienen 1986, 15 Jahre hat er daran geschrieben. Einen Gedankenroman hat ihn jemand genannt - es sind die verarbeiteten Erfahrungen des 20.Jahrhunderts mit allen ihren Verwerfungen und Abgründen. Eine Art Vermächtnis der Erinnerung über allgemeine und persönliche Geschichtserfahrung, über Vertreibung, Außenseitertum, Schuld und Verantwortung - über Menschen, die zum leeren Ort verurteilt wurden. Auch die Rückkehr ins vermeintlich Vertraute endet in der Enttäuschung. In "Vaterlandstagen" gesteht der Ich-Erzähler: "Es kam mir alles sehr weit entfernt vor, obwohl es heißt, ich sei hier zu Hause ...gewesen...ja, gewesen....eine Art Krankheit, ein Gewesener zu sein, und schien doch das Bild mit Leben zu füllen, Angehöriger einer sehr schwerblütigen Menschenart. Und hatte nie gefallen gehabt an der Gegenwart. Zukunft als Angst erlebt, wie alle meine Leute, die Vergangenheit als riesiger Raum verbrauchter Erfahrung zog mich an, als wäre ich beauftragt, diesen Berg des Verlorenen, der wächst jeden Tag, abzutragen, schwitzend, - in Zeitnot." 
Ein Roman, so glaube ich, der zu früh erschienen ist und deshalb nicht die Anerkennung erhalten hat, die ihm gebührt, vielleicht nur fünf Jahre später, und er hätte höchste Aufmerksamkeit hervorgerufen, als nämlich die Sensibilität für die Ost/West-Schieflagen durch den Fall der Mauer, durch die Aufhebung der Teilung Europas, geschärft war. 
Der zweite Roman "Der Verweser" erschien im Jahr 2002, ist angelegt als Fiktion in der Fiktion. Aus der Ich-Perspektiv eines in der Toscana lebenden Schriftstellers wird eine Liebes- und Mord-Geschichte in Lucca im 16.Jahrhundert erzählt. Zurück ins Jahr 1969 führt der Liebesroman "Romans Netz", erschienen 2004. 
2006 erschien sein bewegender Dokumentarroman "Capesius, der Auschwitzapotheker" - Schlesak hat Jahre daran gearbeitet und recherchiert - der Roman wurde hier im Literaturhaus Stuttgart im Januar vorgestellt. Aufgearbeitet wird darin die Geschichte eines Apothekers, der aus Schäßburg, der Heimatstadt von Dieter Schlesak stammt, und sein Unwesen in Auschwitz trieb - es ist die Verbrecherkarriere eines ganz normalen Spießers - noch viel mehr aber ist es die Leidensgeschichte von Menschen, die ihm ausgeliefert waren. Es geht aber auch um die Vorgeschichte in Rumänien und die unrühmliche Nachgeschichte dieser Person in der wieder erstandenen Bundesrepublik Deutschland. Jetzt im Herbst erschien sein jüngster Roman "VLAD, die Dracula-Korrektur", - ein Roman, der tief nach Transsylvanien im 15. Jahrhundert zurückführt. 
Seine Erfahrungen, Ansichten und Einsichten hat Dieter Schlesak in vielen Essay-Bänden veröffentlicht. Ich möchte nur einige Titel nennen, denn sie lassen durchschimmern, worum es dem Autor geht: "Visa. Ost-West.Lekionen" (1970), "Wenn die Dinge aus dem Namen fallen" (1991), "Stehendes Ich in laufender Zeit" (1994), "So nah, so fremd. Heimatlegenden" (1995), "Zeugen an der Grenze unserer Vorstellung" (2005) 
Gedichte hat Dieter Schlesak immer geschrieben, und sie in zahlreichen Bänden veröffentlicht. Seine biographischen wie auch die historischen Bruchlinien verdichten sich in dem Band "Weiße Gegend - Fühlt die Gewalt in diesem Traum" (1981)."Hirnsyntax" hat er einmal seine poetischen Einlassungen genannt. Das schillernde Wort `Los` steht über drei Gedichtbänden: "Grenzen Los", "Namen Los" und seine Liebesgedichte "Herbst Zeit Lose" - geschrieben in drei Substantiven. Dieter Schlesak lauscht auf die `Wortzwischenräume`, den `Zwischensinn`. Es sind Liebes und Todesgedichte, Gedichte der Sehnsucht, Gedichte über Verlust, über Angst, über Schmerz, über Grenzerfahrungen aller Art. Vergangenheit und Gegenwart fließen in einem Mahlstrom ineinander. 

Schreiben bedeutet für Dieter Schlesak Leben. (Lerke von Saalfeld im Literaturhaus Stuttgart Preisrede bei der Entgegennahme des Preises der Kunststiftung Baden-Württemberg 2007 ) 
Zu den Büchern von Dieter Schlesak:
Zum Auschwitzapotheker von Dieter Schlesak





Mörder und Opfer
Ein Mann und eine Frau werden von der Securitate hingerichtet. Aus einem Band, der dem Securitatechef zum zwanzigsten Jahrestag der
Securitate gewidmet wurde.


Inhalt

I
Heimreise,Rückkehr? …………………
Meine Securitate Akten …………………………………………………….

II
Rückschau: Im Fadenkreuz der Securitate. Neue Aktenfunde: Spitzeltätigkeit rumäniendeutscher  Schriftsteller ……………………………………………….. 
Die zwei Epochen der Securitate ……………………………………………………
Der Fall Pastior. Freundesverrat ……………………………………………….
Anhang.  Augenzeugen und Opfer. Materialien ………………………..
                     HEIMREISE?
    

                                                    1

Ich fahre mit dem Auto aus dem Westen über Siebenbürgen nach Bukarest, muss am Snagovsee und dem "freien Feld", wo einmal Dörfer gestanden hatten, vorbei. Leere klingt  über die Felder. Hier fuhr der Hingerichtete von seiner Nobelresidenz mit dem Autopulk vorbei, sage ich zu Jann, die neben mir sitzt: Blicke können töten. Die armen Dörfer störten ihn. Die Dörfer dem Erdboden gleichgemacht.   Alles, was ich sehe, scheint längst vergangen, passt zu jenem Wissen, dass das Bewusstsein ein Glühwürmchen ist, ich sitze im Auto,  eben am Flughafen vorbei, und bin doch schon längst weiter-gefahren, das  Auto "real" und "jetzt" an den Seen. Und - rechts der leere Lenin-Sockel vor dem Pressehaus. Der arme Lenin, der Statuen Lenin mit dem Drahtseil um den Hals. Mehr noch als längst vergangen. Der von mir verehrte Walter Benjamin: schrieb über die Stadt "Moskau" der zwanziger Jahre. "Wendepunkt des historischen Geschehens... das Faktum `Sowjet-Rußland`, dessen "Wahrheit innerlich mit der Wahrheit" "konvergiere", Zeugenschaft, nicht gegenüber dem Zeitgenossen, sondern gegenüber dem zukünftigen Zeitgeschehen sei, schrieb er damals.[1] Und jetzt? Die "innere Wahrheit" scheint es so nie gegeben zu haben,  ich aber glaubte daran. Welch ein Betrug und Selbstbetrug von Generationen, wie viele Denkende sind da in diese Falle gegangen?! Kann das mir dich, Roman, ein Trost sein? Woher kommt dieses neue, ganz und gar nicht glückliche, fast zynische Bewusstsein. Diese leere Zukunft, und die Vergangenheit, die Erinnerungen werden davon angeschlagen, entwertet. Kann das gut gehn? Ähnlich ist es vielleicht manchen Deutschen nach den zwölf Jahren "Tausendjähriges Reich" ergangen? Doch es waren zwölf nicht fünfundvierzig oder gar siebzig Jahre! Und dort, sieh: Der abmontierte Lenin. Als wären auf diesem leeren Sockel fünfundvierzig Jahre hallende Absenz  sichtbar geworden. Und - als wäre sie auch schon überholt. Lenin  - diese Jugenderinnerung, sauer geworden ... wie alte Milch.     Kommunismus ist, wenn alle voneinander genug haben, sagte  der ehemalige Chef des "Funkens" (Scínteia), vier Jahrzehnte residierte diese Nicht-Zeitung, die mit der Zeit nichts im Sinn hatte, sondern eine gefälschte Ewigkeit herbeischwatzen sollte, in ihrem "Haus". Und genau dies ist der ekelhafte Packpapiergeschmack des Abgestandenen. Eine Leiche war konserviert worden gegen die Zeit, Zensur, Geheimpolizei stahlen die Lebenszeit, sperrten sie in diese künstliche Angstwelt ein. "Haus des Funkens". Da funkte nichts. Da war keine Rede von dem, was im Hirn vorgeht, wenn es "funkt". Aus. Das große Pressehaus, der Lomonossowuniversität in Moskau nachgebaut, wie die Natur dieser Sache: das Überholte im Kitsch- und Zuckerbäckerstil. Am Rande der Hauptstadt, fast am Ufer der Herestràu-Seen. Ein witziger Kollege hatte einmal das alles vergewaltigende Welt-Bild dieses jetzt sterbenden Imperiums auf den Punkt gebracht: Das "Haus des Funkens" lehre die Seen, wie Natur zu spiegeln sei. Ein Bild nach dem andern kommt, taucht auf. Und hat doch einen ranzigen Geschmack. Naphtalin. Alles nur Umkehrungen, wie diese, der See lebt ja - noch. Sonst lauter Tote. "Nicht sehn. Uns wiegen lassen, wie/ auf schwankendem Kahne der See." Nur der lebt, der sich von der Erinnerung befreit. Aus. Und vorbei?  Ach, nein, nur ein schöner, noch fühlbarer Alptraum. Ich habe den Boden unter den Füßen verloren, ich hatte mich "aufgespart". Künstliche Spiegelung der Natur und des Ich. Vernetzt. Bildschirme. Jean Baudrillard hat es drastisch für den Westen auf den Punkt gebracht: Der Unterschied zwischen Innen- und Außenbild, mental und maschinell, sei gelöscht. Menschen seien Bildschirme, es gäbe keine Blicke mehr, Sartres Blick, der Securitate-Blick, unser ängstlicher Blick - alles nun passé und gelöst, aufgelöst auf der Mattscheibe. Oh, armer Jdanow, oh, armes Haus des Funkens, das uns lehrte, wie Kunst zu machen sei: Wiederspiegelung unseres Augenbildes ordinär. Jetzt gibt es langsam keine Außenwelt mehr für die Wahrnehmung, die leerläuft.    Früher sagte ich mal, ich wolle lieber von einem Menschen, als von einer Maschine, einem Roboter verhaftet werden! Würden mich die Freunde hier in der Luft zerreissen, wenn ich ihnen so käme?! Aber sie konnten ja auch Widerstand leisten, weil der Feind hier bis zum Überdruss erkennbar war. Jetzt ist er tot. Unzeit - letzte Geschichtszeit. Epochen scheinen tatsächlich gründlicher zu sterben als Menschen. Wo sind sie denn begraben, in uns? Tragen wir ihre Schuld aus? Lässt sich also sogar noch von Schuld sprechen?  "Ja,  davon ist die Rede". Ich weiß, ich weiß, alles auch so blass, ich gleite über die Dinge hinweg, schon damals, daher konnten sie mich fangen zum Überspringen, zur Flucht bringen: farblose Erinnerung, meine totalitäre Seele, ich fühlte nichts mehr. Und die Gedanken dort an den Seen die mich damals überfielen, sind fast sichtbar geworden:
Also bin ich ein Augenzeuge einer untergegangenen Epoche. Aber meine Erinnerung ist Papier. Ich gehe jetzt zu meinen roten Mappen: Bukarest 1962, da hatte ich mir ein primitives Tesla-Aufnahmegerät gekauft. Und es auch gleich eingesetzt, unsere innere Zensur zu testen:  Ich schlage ein „Bewusstseinsxperiment“ vor, die „Verlogenheit in uns herauszukitzeln. Unsere Sinne sind verstopft durch diese dauernde Angst oder überlagert. Ein  Geprickel ist das, ein Angespanntsein, jaja, der Körper im Zustand des Alarms, eine Seite wie gelähmt und doch träge, und Fadheit innen und außen, wie ein Geschmack des Todes. Was aber ist, was ists? Außen steht alles, geht gar nicht mehr weiter: Dreck und Schmutz auf den Straßen, Zigarettenkippen, Papier, Kürbiskerne wie aufgerissene kleine Boote. Manche kauen andauern Kürbiskerne wie die Amerikaner Kaugummi, hier spucken es dann alle in hohem Bogen aus auf die verdreckte Straße. Jeder wütend auf den andern, die „Leute“. Alle sind am Ende mit ihren Nerven in diesem sinnlosen Lebensalltag. Die arme Bebe, die Stiefmutter meiner damaligen Frau Ly (oder Maria, wie sich sie manchmal nannte), muss täglich Schlange stehen. Um jedes Blatt Salat,, Kraut, Gemüse, Rüben, Butter , es ist wieder knapp. Kein Brot ist zu haben. Ein Tag nach dem andern, Monate, Jahre. Und ich, immer nur müde, müde, die Sinne übergraut. Ly meint, wir müssten in „Reservate“ flüchten, hinaus an die Seen. Oder ins Kloster. Wir waren in Cernica. Hohe Klostermauern. Da bist du geschützt. Hier hat Arghezi als Mönch gelebt und geschrieben. Ist man hier vor dem Grauen geschützt? Aber es heißt, auch hier unter den Mönchen gäbe es wie überall Spitzel.  Wem kann man noch trauen. Nehmen im Klostergarten Vögel auf. Meisen, Amseln, sogar Lerchen. Ein Vogel wollte Hochzeit halten… sang ich. Und Ly wurde böse. „Du mit diesen dummen Liedern.“  Dazu hallen unserer Schritte auf dem Tonband. Leere Gänge. Ein Labyrinth. Hör´s auch jetzt noch erstaunt, wie frisch das klang. Auch die Tonbandwiedergabe. Nah und mysteriös. Zum ersten Mal hatten wir unsere eignen Sinne abgehört, angehört, staunten über die eigenen Stimmen, wie fremd sie klangen. Konnten uns nicht satthören. Ob SIE auch dies Wunderwerk zum abhören benützen. Sicher.  Erfindungen und Entdeckungen, alles wird von ihnen machtgenützt Lauscher , ja. SIE wollen alles wissen, wie früher der Herrgott. Ja, dieses ist auch ihr Modell. Auch der Herrgott ist ja ein ganz schöner Tyrann. Auge Gottes in den Kirchen. Das Ohr in den Beichten. Auch hat er eine gute Nase für  glaubensbrünstige fromme Hellenen. Das alte Weltgeheimnis hier. Doch draußen, wenn wir jetzt wieder den alten staubigen Bus nehmen auf staubiger Straße. Kein Asphalt. Und die Leviten wird mir dann wieder Jordan lesen. Ich muss ihm ja alles erzählen, auch diesen Besuch, denn er weiß es sicher. Welcher Mönch hatte den Auftrag, mich auszuspionieren? Oder war es gar Ly. Ihr Bericht morgen? Da hat mich doch einer so merkwürdig angesehen im Bus der mit der Zeitung. Ja, kenn ich den nicht gar von… Weltpopanz Spitzel, Weltpopanz Funktionär… Und Vater ist jetzt zur Kirche gegangen, als Buchhalter. Hat keine Rücksicht auf mich genommen.  Karriere. Auch er? Vater stapft jeden Tag über den Friedhof ins Pfarramt in Schässburg. Kassier und Rechtsbeistand. Ich seh ihn schon mühsam aufwärts gehen und schwer atmen. Die Lunge, ja, die Lunge Wegen Pneumothorax. Er gebückt, mit abgeschabter Aktentasche am Törle hoch. Vorbei am Bergfriedhof. Uralte Steine und Namen. Ich kam und ging mit leiser Spur, aus Gottes Hand in Gottes Hand. Die letzte Bastion für mein Volk ist die Kirche. Geruch von Buchsbaumhecken. Verfaultes Blumenwasser. Harte Erde. Und Eckhard Hügel oder wars Lang Rick, einer deiner Lehrer nannte mich „Boschewikenschwein und Judenknecht“.
Vater sagte, eine ernste Stunde wird kommen, da wirst du abgerufen!
Und einer spielte auf dem alten Bösendorfer Stille Nacht. Oder Vater spielte auch Kehr zurück aus Erlangen, auf der Eltern Verlangen! Die Uhr aber ein Schrittplaner dem Ende zu, jede Sekunde. Der Dom, der Dom, zu Köln zu Köln, der läutet, der läutet, bimbam, bimbam. Ein Kanon. Doch niemand von uns hatte ihn gesehen! Muss so eine Art Paradies sein: Deutschland, sagte Vater. Aber das Klavier, das haben wir einem Richter verkauft, ein Schwein dafür gekauft in jenen Hungerjahren. Dritter und vierter Nachkriegswinter. Leerklang, den hör ich noch.
Vielleicht gibt dieser Vers meinen Zustand am besten wieder:
Die Schwäch gab mir einst das Lied
Und von der Zeit nahm ich das Danaidensieb
Denn niemand kann mich kennen espenwärts
Geschwächt von Schwermut und von Tod mein Herz.

Erfreulicherweise muntern uns manchmal die Toten auf. Auch wenn alles längst passé ist, ist die Erinnerung bunt, zu bunt. Die Erinnerung an den Leerklang. Im leeren Zimmer, fort, fort, da hörst du es am deutlichsten, wie frühmorgens um fünf, wenn die Stimmen so widerhallen, fern und doch nah, fort und doch da, ganz anders als gewohnt. Das Klappern der Milchkannen, der Milchmann sagt: Bună dimineaţa. Guten Morgen. Und die Hände frieren, ganz kalt sind die Fingerspitzen. Du hast ja eiskalte Hände, mein Kind, eiskalt. Und der tote Onkel Daniel (wir nannten ihn Dudu, zweimal das Gegenüber?), mein Klavierlehrer ist dabei, schüttelt das Haupt, in seinem Haarkranz leuchtet ein Licht. Tonsur. Er schaut plötzlich so altertümlich aus, während er das ES E A D A anschlägt: die Esmeralda. Und ich denke an den Dr. Faustus. Falter, sagt er, Flutter. Soll ich es spielen, das Libellenlied?  Gespenstisch wie er da in meiner Hirnerinnerungs­traum­bühne auftaucht (sonst ists immer nur sein Sohn Roland, der SS-Mann), als wäre nichts gewesen, er DA: wo aber sint verswunden alliu min jar! Ist mir min leben getroumet, oder ist ez wâr: so hatte man auch bei uns einmal zur Zeit der Einwanderung gesprochen, hier, 1141, denk es. Und jetzt nach tausend Jahren ist Ende, ist Auszug. Ich sogar in Italien. (Aber das Libellenlied? Die Libelle galt mir als Symbol meines Lebensraumes: Das Überspringen von Gelebtem, nie im Augenblick DA sein, also keine Wahrnehmung des Augenblicks, also immer nur Lücken, Abwesenheiten in der Erinnerung. „Libellen, ein vergangenes Flattern,/das Überspringen ist mein Tod./Versäumnis du,/ o schönes Chaos, das mir meine Zeit anbot./ Nicht eingefangen, als sie einzeln kamen,/ stehn sie in wildem Schwarm nun hoch und grau;/ und Klarheit geht im Schatten…// Nun bin ich schlaflos gegen Mitternacht/ und taub im Hahnenschrei und in der  Sonne alt“. Bukarest 1968.)
   Ein Kollege sagte,  hätten uns immer dagegen wehren müssen: die Sinne zu verlieren: Das heißt die Anwesenheit, die einmalige, freche Anwesenheit unserer Brüder in der Existenz anzuerkennen, gleichgültig, ob sich ein Löffel kundtut, der vom Tisch fällt, oder ob der Flügel einer Meise aufleuchtet... dass gerade darin unser Mut bestehe... Und genau hier ist meine Niederlage am größten gewesen. Habe ich doch diesen stillen, fundamentalen Mut verleugnet... dass ich eines Tages begann, Oden zu Ehren des Tyrannen zu schreiben, bedeutet, dass ich nicht nur meine Nation, meine Familie, mich selbst verriet, sondern auch die Natur meines Schreibens und der Arbeit .... Die Suche kann nur einem Ziel gelten, der Rückkehr an den fruchtbaren Ort, in die Fülle des Sehens. Das ist die elementare Treue des Dichters... Statt dessen wurde es anders. Ich verwandelte mich in ein schäbiges Verkleinerungsglas. Schöne Zeiten, wo man dies noch merkte. Und man muss nicht in der Stalinzeit leben, um diesen Verrat zu  begehen, sich dem Lauten und Allgemein-Beklatschten zuzuwenden. Wir alle wissen, dass wir an einer neuen  tödlichen Krankheit leiden: Leben aus zweiter Hand ist der gefühlte Tod, die Toten aber haben es gut, sie müssen ihren Zustand nicht erleben.  Aber meine Kollegen hier sind anders als ich. Werden sie gegen die westliche Roboterwelt etwas unternehmen? Sie sind immer noch offen für die Natur, für jeden Menschen, dies Tor der Sinne...  Sie haben da ein starkes Argument: das Orthodoxe kennt keine Mauern, denk an unsere Klöster mit den Außenfresken, Osmose, da ist niemand in den Kirchen eingesperrt worden, Gott ist überall. Hatte mein Heimweh nicht auch damit zu tun, dass es dort noch Menschen gab, die in sich das trugen, was ich verloren hatte? Was vergangen ist, ist vergangen, sagte mein Vater. Was geschehen, ist geschehen. Nicht nachtrauern. Kein Wenn und Aber. Kein Lamento. Kein Urteil. Es ist schon gesprochen. Wirf einen Blick, wirf ihn in deine tiefste Erinnerung, es ist ein Geruch, ein Tag, der nicht wiederkehrt, das Gedächtnis deines Körpers, sagte er, das bleibt. Und du weißt nichts. Ich stritt mit ihm, denn  ich wußte ja ALS Marxist  alles. Ich fühlte mich ihm überlegen. Er hatte nur ein trauriges, sanftes Lächeln. Jetzt ist er tot. Was heißt das. Es ist unmöglich, zu meinen, es wissen zu können. Diese Freude bei genauer Beschreibung kommt aus jenem reiferen Nichtwissen, nur  Wahrheitswahrnehmung ist nah;  die Forsythien im Hof, gelber Brand, der Duft der faden Akazien am Wegrand. Und was war wichtiger, wenn die kommunistische Jugend- Organisation uns auf Lastwagen lud, aufs Land hinausfuhr zur "freiwilligen Arbeit", als das gemeinsame Singen, genau wie bei unseren Eltern in der Nazizeit; nackte Oberkörper, Schaufeln, Erdgruben, bei uns die Blicke der Mädchen, heimliche Küsse. Ja, dieser Geschmack der weichen Lippen. Wir waren  Studenten, arm gekleidet, elende Mäntel, hatten kaum zu Essen, kein Geld in der Tasche. Frühlingswind; die Schneereste wie schmutzigweiße Flecken Papier, beschrieben von zu viel Vergangenem, das jetzt vorbei war, quälte, taute, zerfloss, roch nach Winter Ade, war wichtiger als die Losungen, die Schulungen. Die waren ja nur der "Anlass". Ich sehe uns noch auf winzigen verwackelten Fotos, kaum Namen, nur noch Gefühle, die nicht mehr vergehen. Irgendwo im Gebirge. Und das soll ich jetzt beurteilen? Kein einziger Tag geht in meine Worte ein. Ich schmecke dieses kalte Wasser aus dem Bach, berühre die Schneereste, forme einen Schneeball, werfe den nassen Ball auf Eve, die lacht, der Ball zerbirst. Es ist in uns, ich kann es nicht beschreiben. Oft kommt zu viel Sinn heraus, der nicht meiner ist. Wer will über die Vergangenheit Herrschaft ausüben? Es ist, als wäre es ähnlich wie mit der Zukunft. Nur beim Gewesenen ist´s schon erfüllt, das Rätsel erkennbarer. Sind wir also schuldig geworden, wir, die kleinen Verehrer der einfachen Sprüche und die Jünger des schaurigen Vereinfachers? Es ist wie Mutters Schwester Friederike einmal sagte, als ich im Übereifer dauernd danach fragte, warum sie in den vierziger Jahren nicht Widerstand geleistet hätten: - Das war ja nicht alles, wir haben auch gelebt! sagte sie sanft, die zarte Gräfin,  die schon zehn Jahre tot ist, und ich weiß nicht mehr, wo ich sie finden soll. Wo denn sonst: in meinem Gedächtnis lebt sie weiter, da sehe ich sie neben mir hergehen, die Einsame, seit 1945 einsam, Georg, ihr Mann starb an Wassersucht, der Deportierte, kam aus Russland, starb in Frankfurt an der Oder. Und meine Großmutter, Friederikes Mutter, sagte mit trauriger Stimme, die versuchte gegen das verlorene Leben ihrer Tochter anzukämpfen: "Villecht git et noch en Gläck fir Friederike."
Wir, die Nachgeborenen, waren ja völlig isoliert, hätte ich den jungen Kollegen hier jetzt sagen sollen: unsere Generation, wuchs unter unnormalen Bedingungen auf, weltlos sozusagen, es war eine Generation ohne Eltern. Wir hatten das Vertrauen in das "bürgerliche" Elternhaus  und in die Tradition verloren, die schuld am Kriege, am Faschismus gewesen war, und  suchten uns neue Väter, rote, um auf die andere Seite der Front zu kommen. Eine unglückliche Generation zwischen Elternhaus und Staat in einem Niemandsland der Kultur und der Gesellschaft. "Waisenkinder des Klassenkampfes". Ein Freund schrieb mir, man könne die Zerreißprobe zu Hause in Rumänien durchaus als Generations­problem sehen. Einesteils unsere Generation, bei der die Gehirnwäsche mit Erfolg betrieben worden war, korrupt und unfähig, den Bazillus zu überwinden; sie haben das Land in den Ruin getrieben und es dem roten Inferno ausgeliefert. Auf der andern Seite die Jungen, noch unbelastet und unschuldig, rein, die bereit sind, sich zu opfern. Und sie haben mit Einsatz ihres Lebens die Revolution gemacht.  Der Freund schrieb, das Land sei nicht mehr unser Land, wir hätten es verraten und verkauft. Wir hatten nicht nur unser Leben "aufgeschoben", sondern auch mitgeholfen, dass das Leben einer ganzen Nation aufgeschoben und vertagt worden war. Wir hatten das "Nichts" kultiviert, es mit Worten zugedeckt. Reden, reden, reden...! Die Sünde der Autoren beginnt mit etwas Grundsätzlichen, mit der Wort-ZEIT. Aber hatten wir damals in den fünfziger und sechziger Jahren nicht genau diese "Sünde" begangen, sie erst spät erkannt: Ich nannte es "Anwesen", wenn ich "drin" war in meiner Gedankenburg, Seelenburg. Irgendwie waren Schriftsteller Parodien eines Diktators, der sich auch mit Sprache verbarrikadierte. Verstand man sich deshalb so gut. Verstand man dann auch deshalb so gut den wunden Punkt und das Verbrechen? Hatten "sie" deshalb solche Angst vor uns, die Herrn vom ZK?  Sie waren hinter mir her, ja, Sie waren hinter mir her, ja, die Securitate. („Nun bin ich  aufgewacht und ist mir unbekannt,/ was mir so vertraut war wie meine Hand./ Und Leute, wo ich meine Kindheit verbracht,/ sehen mich an, als hätte ich sie ausgedacht.“) Es ist ja eine Art Seelenarmut seither. Diese Schwäche in mir, sich wie ausgeronnen fühlen. Auch Ly sagte: Du siehst nichts, erinnerst dich an nichts, siehst auch mich nicht. Und ich fand die Liebe wie „abgehangen“. Nachts ihre Brüste. Ich saugte an ihnen, als wollte ich sie abschälen: küsste sie, küsste sie. Und er schwoll an wie bei einem Fünfzehnjähriger. Auch mit jenen Schmerzen, als ich mich  dann  nachher am Zaun entlang tastete, kaum gehen konnte. Als Fünfzehnjähriger bei E., als ich mich da entlang taste an einem Pferdestall, Pferde schnaubten und scharrten, ein Gewieher, fahl der Mond über einem Bach mit Weiden. Man machte sich unter einem Drang selbst fertig. Mein „erstes Mal“ mit E. Sie war unten viel zu weit, da verschwand ich ganz darin mit glühendem Gesicht, unten eins, oben eins entflammt und alles so weich. Und wir nannten uns „Kutzu“. Als wäre das ein Zeichen, dass ich dieser Sache nie „gewachsen“ sein würde?   Das war im Sommer nach dem Studium.
Seltsam, 5 Jahre zusammen und wir „erkannten“ und liebten uns nicht. In der Nähe der Uniune (dem Schriftstellerverband) in einem kleinen Park überkam es uns. Im Buffet Kisseleff. Sie „hatte schon“ stellte ich oben in ihrer Mansarde auf ihrem kärglichen Bett fest. Dann Klausenburg, wo ich sie besuchte. Und schöne Ausflüge mit Zelt in die Karpaten. Ihr rotes Gesicht, wenn sie mich empfing., hinter hochgezogenen Leintüchern, die das Zimmer vom übrigen Haus der ungarischen Zimmerwirtin abtrennte. Eine ungeheure Sehnsuchtsfähigkeit zeichnete uns aus. Diese Weite. Oder eine erleuchtete Luke draußen auf dem Meer in Kreta als Sehnsuchtszeichen. Das Abhauen und sich verstecken als höchste Freiheit.
Aber auch heute der Glaube, dass es etwas gibt, das uns beschützt und leitet! Und jener Andere in mir? Der gegenwartslos sein konnte im „Anwesen“. Durchbrechen durch die dünne Decke des Augenblicks. Gefährliches Vakuum. Manchmal die Angst, nicht mehr zurückzufinden? „Die Kunst des Verschwindens“? schon damals?
Mit Ly (Maria) aber, die Liebe wie ein Transport für Erinnerung, und versagte auch da kraftlos und blass. In Sinaia das billige Zimmer und die Kantine des Gewerkschaftshauses. Es regnete dauernd. Wir schliefen bis mittags und ließen uns kaum sehen und hatten Angst vor den Leuten. Wir gingen im Tannenwald einsam spazieren am Fluss. Gingen in ein Kulturhaus tanzen. Gegröle.  Gequäke der Klarinetten drei/ vier, tumbatumba, Staub, Schweiß, Gedränge, Geschiebe. Scuzaţi. Ein Glas Bier. Lys Lidschatten. Als der Chef, E. St., dann am gleichen Ferienort auftauchte, quälende Begegnungen und Gespräche. Angst ihm auf der Straße, in der Kantine zu begegnen. War das sein Urlaub? Oder hatte er einen Auftrag? Meine Müdigkeit. Ich fühlte mich abwesend und wie ein Gespenst. Unter Nebel festgeworden, im Nebel vergraben. („Nur manchmal rudert mit dem Irisstab/ heran der Sonne feste Welt, mein ausgeschlafenes Herz.“) Saßen am Fluss und starrten ins Wasser, glotzen in den Nebel, den Regen. („Gekränkt ist das Wasser. Kieselgrund schläft durch ihn/ fällt die Wehrlosigkeit hinab/ mit den verzagten und zögernden Dingen./ Die Schwäche gab mir einst das Lied“) Und ein böser Traum, dass ich abgeschnittene Hände hätte, und verhungern muss, weil nur noch Worte zum Mund reichen, und die Früchte vor mir hängen und für mich nicht greifbar sind, und lag im Bett neben Maria und schrie. Du hast im Schlaf wie ein Tier geschrien , sagte sie: Es war wie ein Todesschrei, sagte sie. Ich habe mich sehr gefürchtet. Ai visat urît, Piticule, urît, da. (Du hast schlecht geträumt, Piticule, so nannten wir uns, Zwergchen.) Ja, beim Jüngsten Gericht werden die Tränen gewogen. Unsere aber sind vertrocknet. Lacrimae Christi. Auch ein Samentropfen kann oben glänzend auftauchen.
Doch das andere, das soziale fertiggemacht Werden. Das begann zu Hause mit dem Befehl: Geh, hol den Riemen! Doch das eigentliche Fertigmachen, das waren „sie“: Und da hatte ich mich ja freiwillig hin begeben. So das Tagebuch: „T. wusste es, dass seine Schuld, wenn auch aus der gleichen Anlage, genau von der sogenannten anderen Seite der Front kam. Das machte seinen Reinigungsprozess so schwierig, fast unmöglich, ja, und noch viel verrückter, dass sogar der Schreibprozess, die Lebensvernichtung durch den „weißen Berg“ dazugehörte, und dass es nicht ausreichte, die trübe Wut und die teuflischen Triebe von der Väterseite her zu klären, denn instrumentalisiert war das Vakuum bei ihm ja, genau durch deren Erzfeind, durch die Leere der Genossenlehre und deren Verführung sowie deren Staat, jahrelang, bis er endlich erwacht aber immer wieder zurückgefallen war, immer wieder in ähnliche Buchstabengefängnisse und Ideologie, in diese Betäubung eines falschen Gottes, an den er meinte glauben zu müssen.“
Und es war auch deshalb ein paradiesischer Zustand: Wir hatten den Staat als Alibi, nicht über den Tod nachdenken zu müssen, wir mussten uns der Angst vor den Blauen, nicht aber unserem Leben stellen. So sind wir unfertige Seelen, infantil geblieben, die unernst  mit dem Augenblick spielen. Die sich etwas vorflunkern, die in den Tag hinein leben, ungehindert ihre Phantasie ausleben können. Denn es gab ja keine wirkliche Realität, nur eine von ihnen gemachte, unechte, nicht ernst zu nehmende, obwohl sie tödlich sein konnte, wenn man sie nicht annahm, kritisierte….
 Und dann Maria Hormadkas Geschichte wie ein Modellfall. Kinderlose Ehe, sich für die Partei und die „Zukunft“ geopfert. Er, Georg, sechzehn Jahre Gefängnis, sie brachte dreimal wöchentlich das Essen und Pakete. So ging die Jugend hin. Dann lebte er zwar weiter mit ihr, hatte aber eine junge Freundin. Als sie das entdeckte, nahm sie zwanzig Tabletten Carbaxin und starb.
 Während wir immer dazwischen waren. Geschichtslos, schicksalslos. Oder eben Waisenkinder der Geschichte nach der Nazihörigkeit der Eltern und der SS. Gespräch mit meinem Bruder: Zwischen KP und BRD. Er war Mitglied. Ich ideelles Mitglied. Verlorene Bürgerssöhne.  Mal KP, mal BRD und auch Zwischenschaftler, ergriffen in der Literatur.
Unser Glashaus. Ordneten dort am Tisch unsere „Konspekte“ mit den Zitaten aus Marx und Lenin, das Glashaus bei Friedel Folberth, eine Bude im Hinterhof ohne Außenlicht, doch rings mit Fenstern umgeben, Glas, wie ein Aquarium. Im Sommer schwitzten wir in der Steppenglut Bukarests, dauerndes Dampfbad, wir kühlten uns mit Gieskannenwasser im Hof.. Im Winter hatten wir Holzheizung ohne Holz. Der Keller voll mit stinkendem Regenwasser, in dem tote und lebende Ratten und Mäuse schwammen. Es roch nach DDT, Tierkadavern, Fußkäse, schlecht gelüfteten Räumen, nach Schimmel, die Wände halb durch geschimmelt, grünlich an Decken und Wänden- Und der Nachbar, Herr Mocuţă: Major der Securitate. LandesChampion im Pistolenschießen. Frau M. , harmlos geschwätzig, lief den ganzen Tag im geblümten Morgenmantel herum und bändelte dauernd mit uns „Studenten“ an.
Am 28.März 1963 war diese Familienversammlung in der Bayergasse. Großvater, der Obertierarzt, präsidierte. Und sagte „Dat machen mer nemmi mät“. Er hatte alles versucht, die Häuser zurück zu bekommen. Es gelang nicht, obwohl er im Recht war. Es war enteignet worden, obwohl sein Eigentum, die Quadratmeter, die es als enteignungsfällig auswies, nicht erreichte.

Der 85-jährige Tierarzt und Kirchenkurator an der Spitze der Tafel. Die Hände voller Leberflecken und dick hervortretenden blauen  Adern auf der schwarzgrünen Samtdecke. Ich saß ihm gegenüber im Speisezimmer und konnte durch das offenstehende Fenster des rosa Stadthauses in den kleinen Garten auf die Kokel und auch auf den Lindenbaum am Gartenzaun sehen - Holzkähne und Schotterinseln und dann die hölzerne Maria-Theresia-Brücke, im Garten der Schopfen voller Spinnweben und Kisten mit alten Briefen und Büchern und Aktenbündeln, mit dickem roten Stift beschriftet. Der jüngste Sohn war als SS-Freiwilliger als Sechsundzwanzigjähriger bei Weimar in Buchenwald gefallen.


Sein Lachen im Foto über dem klobigen Schreibtisch im Nebenzimmer. Die Fotos der drei Enkelinnen im „Reich“ und des ältesten Sohnes, des Arztes in deutscher Uniform  auf der Familienwand.  Zwischen den Enkelkindern die 1901 an Diphterie verstorbene älteste Tochter.
Die hellen grauen und wachen Augen Großvaters sahen auf uns und auf die Aktenbündel, die vor ihm lagen.
1963 war der Anfang. Da wanderten er und Elfriede mit den beiden kleinen Söhnen aus. Wir alle folgten bis 1975, als mein Bruder mit seiner Familie als letzter in Friedland ankam.

Und ich  kam 1969. Langlang ists her. Kennst du das traurige Lied?

Sag mir das Wort,
Dem so gern ich gelauscht,
|: Lang, lang ist's her. :|
Sing mir das Lied,
Das mit Wonne mich berauscht.
Lang, lang ist's her, lang ist's her.
Kehrt doch mit dir
Meine Ruhe zurück,
Du all mein Sehnen,
Du all mein Glück.

Ja, Militär. Die Deutschen. Ich glaube, die Rumänen haben gar keine Soldatenlieder. 1953 als Student nur zwei Monate Militärausbildung im Bărăgan. Und da gab es in der Walachei eben keine Ordnung und Disziplin. Wir hätten da gerne etwas mehr reingebracht. Und während unsere Kameraden in ungeordneten Haufen mit den Unteroffizieren und Offizieren die 20 km Geländemarsch absolvierten, sich Witze und Frauengeschichten erzählend, marschierten wir drei Deutschen  Militärmärsche (Alte Kameraden, Seminaristenmarsch  und so) pfeifend voraus. Unser Stolz: Zähne zusammen beißen.

Dann aber im Westen. Jeden Abend im Westen vor der Glotze,  der Flimmerröhre der Welt, ein leiser innerer Schmerz, wie in feiner Glassprung in einem Gefäß, der zunimmt.



Und ich erinnere sie, meine Securitateerfahrungen,
ein Trauma in mir, das nie vergeht und nie vergehen wird:

Das Auto mit den zugezogenen Vorhängen; ich höre meinen Atem, spüre meine Hände, das glatte Vinillin wie ein Tier an den Händen, wenn ich mich am Sitz festhalte. Es riecht nach Schweiß. Ich schwitze. Ich bin wie gelähmt. Ich werde ihnen sagen, ich bin doch Marxist! Und sie werden laut lachen, grölen. Witze reißen. Alles hat sich verändert. Das Straßenbild ist nicht zu sehen, die Geräusche sind nicht mehr vernehmbar oder so gedehnt, so zugespitzt, ein Autohupen zum Beispiel, als wäre jeder einzelne Laut abgetrennt, aus der Welt herausgeschnitten, so, als gehörte ich nicht mehr dazu. Es ist ein schöner, warmer Septembernachmittag, beharrlich Schweigende sitzen neben mir. Ich bin wahnsinnig nervös. Prüfungssekunden zu Stunden gedehnt, bis ich ganz erschöpft bin. Ich bin eine schwache Natur. Ich bin kein Held.  Ein komplizenhaftes Verhältnis mit den Leuten in Zivil, was aber eine unheimliche Uniform ist.  Zwischen Verhaftetem und Geheimdienstleuten stellt sich etwas teuflisch- koboldhaft Vertrautes her.  Ekel. Als wäre das Erbrochene neu geschluckt. Du machst mit. Fast untertänig. Lieferst dich ihnen aus, akzeptierst den Zustand ohne Protest, keiner hat einen Haftbefehl vorgezeigt, und du denkst nicht einmal daran, ihn zu verlangen. Rechte? Ha. Du hoffst, es sei nur ein "Versehen", sagst es, beteuerst deine Unschuld. Hast alle Zustände. Die Einfahrt in die der Wagen jetzt einbiegt, scheint so eng zu sein, dass du nicht durchkommst, doch du kommst natürlich durch, nur früher, war es undenkbar, dass du allein da hineinkommen könntest. Und gingst lieber auf die andere Seite der Straße. Der Vorhang hat sich verschoben, du siehst einen Lieferwagen, ein Brautpaar mit großen gelbroten Sträußen vor einer Kirche, zwei Männer streiten, wie im Traum, du gehörst nicht  mehr dazu. Das Eisentor schließt sich und du wirst eine Treppe hinaufgeführt, doch es ist keine Treppe, es ist eine Nerventreppe, es ist jetzt nichts mehr voraussehbar, es können dir die schlimmsten, die unvorstellbarsten Dinge zustoßen. Jede gewohnte Geste, etwa wenn du eine Verabredung hast, eine Freundin triffst, alles ist vorausschaubar, das hier nicht. Von jetzt an nur noch Zweifel. Der Boden wankt. 

Dabei wusste ich damals das schlimmste nicht, was mir hätte passieren können. Etwa die „Casimca“, die auch ein Freund kennengelernt hat, die Keller der Securitate.
Wir lebten in jener gefährlichen Zeit ziemlich ahnungslos in einem banalen Alltag in Bukarest dahin, Eingesperrte sozusagen im eignen Land. Ich arbeitete seit Sommer 1959 als Redakteur bei der deutschprachigen Zeitschrift „Neue Literatur“, die  sich im Verhältnis zu jenen gefährlichen Tagen ziemlich viel herausnahm. Vielleicht weil das ZK-Mitglied Emmerich Stoffel Chefredakteur war, der vieles durchließ. Oder auch, weil ich in meinem Bereich eine Kollegin bei der Zensur hatte, die mir wohlgesonnen war. Zur Neuen Literatur („Neue Literatur“) lässt sich folgendes sagen: 

Die Neue Literatur  ging aus der 1949 in Temeswar gegründeten Literaturzeitschrift Banater Schrifttum hervor, die als Organ der deutschen Sektion des Kreisverbandes Temesch des rumänischen Schriftstellerverbandes firmierte. Diese hatte zunächst hauptsächlich stalinistische Propagandaliteratur abgedruckt, auch selber produziert oder in Auftrag gegeben. Nach und nach wurde das "Organ" aber von Literaten gekapert und druckte immer interessantere Literatur. 1956 wurde die Zeitschrift in Neue Literatur umbenannt, 1958 wurde der Redaktionssitz nach Bukarest verlegt, wo sie nun als überregionale Zeitschrift des Schriftstellerverbandes erschien, ab 1968 monatlich und erreichte ein Volumen von rund 1500 Seiten jährlich. Erst gegen Ende der Ceaușescu-Diktatur kam es zu Einschnitten; sowohl der Umfang als auch die Qualität der Publikation nahmen ab. Seit der Wende 1989 wurde die Erscheinungsweise unregelmäßig, dann sporadisch, und endete. Die Neue Literatur kann wohl als der Motor der rumäniendeutschen Literatur bezeichnet werden. Zahlreiche der prägenden rumäniendeutschen Schriftsteller und Dichter arbeiteten hier, etwa Paul Schuster,          Dieter Schlesak, Oskar Pastior, Elisabeth Axmann, Claus Stephani, andere, wie etwa die Dichter der Aktionsgruppe Banat, wurden, teils noch als Schüler, von den Redakteuren dieser Zeitschrift entdeckt oder überhaupt erst zum Schreiben angeregt. (Wikipedia)

DIE REDAKTEURE

Emmerich Stoffel stammte aus dem Banat und war ein sogenannter „Illegalist“, hatte also noch zu Königszeit  als KP-Mann  im Untergrund  Widerstand geleistet. War erstaunlich liberal und deckte viele Texte. Er war klein von Statur, trug im Winter einen knöchellangen Ledermantel, saß meist in seinem Chefzimmer allein und las Zeitung. Er wurde 1913 geboren und starb mit 95 Jahren 2008. Er wurde schon 1930 Mitglied der RKP; 1935, 1936 und 1939 wurde er verhaftet.1949 war er Generalsekretär des Deutschen Antifaschistischen Komitees. 1955 Botschafter in Bern, und erlebte den Überfall von Antikommunisten auf die Botschaft, da diese Botschaft an sich in Spionagezentrum war. Er hat einen Sohn, der in den USA lebt.

Der stellvertretende Chefredakteur bei der „Neue Literatur“ war Arnold Hauser, geb1930 in Siebenbürgen, er starb1988. Nachdem er von 1946 bis 1949 eine Ausbildung zum Schlosser absolviert hatte, übte er diesen Beruf bis 1951 aus. Von 1951 bis 1960 arbeitete er als Umbruchredakteur bei der Zeitung Neuer Weg“. Daneben besuchte er eine Abendschule und erlangte dort die Mittlere Reife. Ab 1960 war er Redakteur und ab 1965  Chef­re­dak­teur der Zeitschrift Neue Literatur. Arnold Hausers stark autobiografisch beeinflusstes Werk umfasst Erzählungen, Skizzen und einen Roman. Arnold Hauser war Mitglied des Rumänischen Schriftsteller­verbandes. 1974 erhielt er dessen Prosapreis. Er war mit der aus dem Banat stammenden Schriftstellerin und Kinderbuchautorin Hedi Hauser verheiratet und hat zwei Töchter und einen Sohn.

Anemone Latzina, die vielleicht wichtigste Autoren-Kollegin der Nl wurde 1942 geboren. Sie war mit dem Sekretär des Schriftstellervrbandes Szasz János verheiratet. Anemone Latzina (geb. 17. Februar 1942 in  Brașov–Kronstadt, gestorben. 18 November 1993 in Bukarest)  Germanistikstudium in Bukarest. Redakteurin bei der Zeitschrift „Lumea“ und ab 1969 bei der „Neue Literatur“. Sie hat einen einzigen Gedichtband veröffentlicht: 1971  Was man heute so dichten kann. Gedichte, Editura Dacia Cluj. Sie starb 1993 bei einem absurden Straßenbahnunfall.

Claus Stephani, geb. 1938 in Kronstadt. Zwischen 1960 und 1965 studierte er Germanistik und Rumänistik, danach  Deutschlehrer und Kustos im Kunstmuseum Simu in Bukarest. Dozent. Redakteur, stellvertretender Chefredakteur der Neuen Literatur. 1990 Emigration. Danach freier Schriftsteller, Ethnologe und Kunsthistoriker. 2010 Kontroverse um Anwerbung und Mitarbeit als IM der Securitate.  Berichtete von seiner eigenen Anwerbung und Tätigkeit als IM "Mircea Moga". Unter Androhung von Haft habe er die diktierte Verpflichtungserklärung unterschrieben. Er habe insgesamt nur drei handschriftliche Berichte geschrieben. Herta Müller wirft Stephani weitere eifrige Spitzeltätigkeiten unter den Decknamen IM "Moga" und IM "Marin" vor.
Im September 1910 hatte ich ihn in einem FAZ-Artikel enttarnt. Auf einer Fachtagung vom 18. - 20. November 2010 erhob Peter Motzan ebenfalls den Vorwurf, Stephani sei der Spitzel mit Decknamen 'Moga' gewesen. Er verwies auf einen Beitrag von William Totok, der aus Gesprächsaufzeichnungen mit dem Führungsoffizier und Auszügen aus anderen Opferakten zweifelsfrei Stephanis Tätigkeit für die Securitate belege. .Jener „Moga“ sei nicht er, behauptete Stephani. Am 25. Januar 2011 enttarnte das Kollegium des Landesrates für das Studium der Securitateakten (CNSAS) die Identität des IM "Marin" als Claus Stephani. (Wickipedia)

Doch der wichtigste Kollege war Paul Schuster, ebenfalls Autor und Übersetzer. Er lebte seit  1949 in Bukarest. Dort war er als Lehrer tätig, später gehörte er den Redaktionen der Tageszeitung Neuer Weg“ und der Literaturzeit­schrift Neue Literatur“ an. Seit Mitte der Fünfzigerjahre veröffentlichte er eigene Prosatexte in deutscher Sprache; sein bekanntestes Werk ist der zweibändige Roman „Fünf Liter Zuika,“ der als Panorama der Geschichte der Siebenbürger Sachsen angelegt war und unvollendet blieb. Während seiner Bukarester Zeit pflegte Schuster enge Kontakte zum rumänischen Staatschef Ceaușescu, förderte aber auch u. a. Autoren der späteren Aktionsgruppe Banat, mit denen er sich jedoch in der Folge zerstritt.
Ab 1972 lebte Paul Schuster in der Bundesrepublik Deutschland. Nachdem sich seine Frau von ihm getrennt hatte, führte er zeitweise eine exzentrische Existenz. Er engagierte sich für die Belange der Roma und leitete diverse Schreibwerkstätten. In Deutschland entstand eine Vielzahl von Texten, von denen die meisten bisher unveröffentlicht sind. Daneben übersetzte er literarische Texte aus dem Rumänischen ins Deutsche.
Schuster wurde auf dem Städtischen Friedhof Stubenrauchstraße in Berlin-Schöneberg beigesetzt

Nun liegt auch Schusters Securitate-Akte vor, der Litertur­historiker Stefan Sienerth hat diese untersucht. Doch wirklich Neues und Spektakuläres ist kaum mehr da. Außer vielleicht, dass die eigene Ehefrau unter dem Decknamen „Dorina Gustav“, Schuster bespitzelt hat, ein Parallelfall zu Uwe Johnson, den dieses Wissen wohl auch in den Tod getrieben hat, und vielleicht wäre es auch für Schuster zu viel gewesen, der schon vom Schicksal geschlagen wurde, sein Sohn Gad kam als Fotograf in Afghanistan um. 
Schuster aber war kein Spitzel. Er sollte angeworben werden, doch er redete sich immer gut heraus.
Und da war auch noch eine langjährig vertraute Daktylographin unter dem Namen  „Marga“, die mit Klarnamen Paulini heisst, Und witer ein ehemaliger Schulkollege aus Hermannstadt,  er war auch mein Lektor an der Bukarester Uni gewesen: Viktor Theiss, der den Decknamen „Johann Wald“ trug. Er ist inzwischen auch tot.
Doch eigentlich erweisen sich beim Kollegen Paul Schuster alle „Maßnahmen“, ähnlich wie im Bereich der Aktionsgruppen-Verfolgung, als relativ harmlos, und dienten, wohl ähnlich wie bei fast allen Kollegen der „Neuen Literatur“, als Erpressungs- und „Erziehungsmaßnahmen.“ Und natürlich auch als Mittel, aus uns Inoffizielle Mitarbeiter (IMs) zu machen. Das Erpressungs­mittel war bei Schuster Moses Rosenkranz, der im „kapitalistischen Ausland“ lebte, die Verwaltung von dessen Nachlass, den Schuster dann auch samt Briefen etc. brav der Securitate ablieferte, auch alles „gestand“ und eigentlich nie verhaftet und brutalisiert wurde, wobei sein Hauptvergehen darin bestand, dass er einen langen Brief, samt einem Stoß Gedichte mit einem westdeutschen Touristen an Rosenkranz schicken wollte. Es war für ihn nie so gefährlich gewesen, wie die Dauerdrohung, die „Sie“ bei mir in der Hand hatten: ich hätte Satiren gegen das Regime versteckt, die mir ein Bekannter, Mircea Palaghiu, der verurteilt in den Securitatekellern saß,  angeblich anvertraut habe, was bei allen Verhören und „freundschaflichen Treffen“  immer wieder zur Sprache und zur Drohung kam.

Brisanter ist die Sache mit der Anwerbung, die aber bei allen Kollegen versucht wurde. Auch später bei Herta Müller und Frauenhofer, die ähnlich wie ich damals in den sechziger Jahren die Mitarbeit verweigert hatten. Schuster scheint zugänglicher gewesen zu sein, wie Sienerth berichtet. Der solle – so der Hauptmann Mircea Aurel in seiner „Sinteză“ vom 4. Januar 1963, wieder auf den „ideologisch richtigen Weg“ gebracht werden, den er durch Rosenkranz´ Einfluss verloren habe; dann aber sollte er auch als IM gewonnen werden. Dies wiederhole ja nur einen Versuch aus dem Jahre 1958, als der Major Teodor Dorobanţu Schuster im Zusammenhang mit dem Schriftstellerprozess befragt und lange dann Kontakt mit ihm „pflegte“, 1960 ihn zur Mitarbeit aufgefordert hatte. Schuster habe bereitwillig Auskunft gegeben, jedoch zweideutige Antwort im Zusammenhang mit der „Mitarbeit“ gegeben, er helfe der Securitate gerne, zeige auch Rechtswidriges an, doch eine direkte Mitarbeit könne er sich wegen Überlastung in seinem Schreibberuf nicht leisten. Die Methoden, die der Hauptmann vorschlug, kenne ich all zu gut aus eigener Erfahrung: Schuster solle weiter als Agent angeworben werden, wenn er sich weigere, solle ihm Angst gemacht, ihm seine „antisozialistische Tätigkeit“ vorgeworfen, dann auch gedroht werden. In der inzwischen reichlich vorhandenen wissenschaftlichen Literatur gelten unsere Weigerungsfälle als „potentielle IMs“ und „abgelehnte Werbung“.[2]
Sienerth allerdings schreibt: „ Schusters Akte, die Lücken aufweist und möglicherweise nicht vollständig überliefert ist, gibt keine nähere Auskunft darüber, ob er der Drohung widerstanden hat und standhaft geblieben ist, oder ob er letztendlich dem Druck nachgegeben hat.“


 Mein Leben war  immer sehr kontrastreich. Ich wuchs in den    dreissiger und vierziger Jahren in der ruhigen kleinen siebenbürgischen Stadt Schässburg auf, das Leben war privat in der Familie mit Weihnachts- und Osterfesten,  den „Richttagen“, den Spielkameraden, die heute zum großen Teil tot sind. „Historisches“ gab es ab 1940 durch den Einmarsch deutscher Truppen, durch die Hitlerei schon im Kindergarten, die strenge Erziehung mit Prügeln in Schule und Elternhaus, wobei ich immer noch höre „hol den Riemen“, „dass der Hintern raucht“  Ab 1942 die Besuche der SS-Onkel aus dem „Reich“, Weihnachtsfeiern mit ihnen, Geschenke aus dem „Reich“. Die DJ- Deutsche-Jugend-Aufmärsche usw. Deutsche Panzer. Deutsche Pferde. Dann der „Zusammenbruch“ und der Russeneinmarsch, die unendlichen Kolonnen der Russenwägen.  Die Angst. Doch auch der Jungenmut, wir tauschten Zeitungen, zum Teil auch den „Völkischen Beobachter“ für Mahorka und rauchten heimlich. Aber die Armut. So dass ich als Tagelöhner arbeiten gehen musste. Zum Teil in großen Kesseln den Kalkstein abzuhämmern unter Ohrenschmerzen in dem Höllenhall. Vielleicht sind meine Gehörprobleme heute darauf zurückzuführen. Die Verfolgung als Deutscher: „Hitlerist“. Meine Anfälligkeit für Alpträume bis heute.  Dann das „Sem“, die Pädagogische Schule 1948 bis 1952. Wegen „ungesunder Herkunft“ vorerst kein Studium, sondern zwei Jahre als Lehrer in Denndorf, wo ich als Achtzehnjähriger schon eine stolze und naive Respektperson war, als „Herr Rektr“. Wo aber schon die ersten Kontakte mit der Securitate begannen. Als verdienter Lehrer erhielt ich die „Arbeitsmedaille“ 1954. Und dann ab 1954  war so auch die Uni in Bukarest möglich. Wo ich  zuerst dem Marxismus verfiel. Weil er so schön alles löste und meiner Absolutheitspsyche, der „totalitären Seele“ entsprach. Und ich glaube, dass ich so mit dieser Macht (in der Tasche) auch meinem Vater überlegen war. 1961 (im September) die ersten Scuritateverhaftungen und der Bruch mit meinen Überzeugungen. Da war ich schon Redakteur bei der „Neuen Literatur“, der war ich ab August 1959. Was freilich auch die Securitate auf den Plan rief, da sie, als Instrument der Angst auch für Gehirnwäsche zuständig war. Doch vor allem wollte sie mich „anwerben“.  1962 heiratete ich die MTA und Poetin Magdalena Constantinescu und wohnte in ihrem Elternhaus. Wohl auch als Reaktion auf die Securitateangst in meinem Alleinsein damit. 1962-1967 war mein Lerben bestimmt durch diese Verfolgung und Angst. Ab 1968 stand dann alles im Zeichen  des Entkommens durch eine Westreise,  Westkontakt  hatte ich schon  ab 1964/1965, dieser Kontakt war nun möglich durch Ceauṣescus Öffnungsstrategie. Die Kontakte mit Westlern häuften sich, auch durch meine Cousinen, vor allem Brigitte und ihren Mann Volker Riegger, der ein Freund wurde. Was natürlich die Securitateverfolgung erst richtig ins Rollen brachte.

 Im Oktober 1968 dann die erste Westreise, zuerst nach Paris mit der KP-Autorin Veronica Porumbacu und dem großen Autorenspitzel Ion Caraion. Und erst durch diese beiden, auch Caraion, der Spitzelaufträge für den Westen hatte, war ich als Übersetzer und durch meine deutschen Kontakte, die mir Einladungen schickten, gefragt.  Besucherdienst der Bundesregierung Dr. Götz Fehr. Durch sie: Deutschland. Und dann die Liebe mit Linde Birk, meiner späteren Frau,  die ich am 13. November 1968 bei S.Fischer in Frankfurt kennenlernte, wo sie Lektorin war. Sie besuchte mich 1969 in Bukarest und wir machten eine große Rumänienreise.
Von da an war mein Sinn auf Verlassen des Landes gerichtet. 1968  war ich noch zurückgekehrt zum Erstaunen meiner Kollegen bei der „Neue Literatur“. Nun setzte ich über den Schriftstellerverband alles in Bewegung wieder zu reisen. Von meiner Frau hatte ich mich eigentlich schon getrennt und lebte in einem gemieteten  Zimmer (Nachbarschaft Gefängnis und Schlachthof).
Zusammen mit dem wichtigsten rumänischen Lyriker des 20. Jhdts., Nichita Stănescu und dem stellvertretenen Leiter des Schriftstellerverbandes, dem Lyriker  Virgil Teodorescu gab es wieder Pässe für den Westen. Ich war ja zurückgekehrt.  Ohne meine namhaften rumänischen Kollegen wär das aber trotzdem nicht möglich gewesen. Ich wollte ja auch ganz ehrlich für die rumänische Literatur, die recht unbekannt war, „etwas tun“.
Am 24. November 1969  flog ich nach Frankfurt und wurde dort von Linde abgeholt. Als erstes zur „Erholung“ Frankfurter Würstel bei meinem Freund Ulli Raschke. Einladungen gab es von  Wolf-Peter. Schnetz, der  bei der Stadt Regensburg Kulturdezernent war.
Schon 1970 machte ich mit Linde eine Italien, Kreta- und Israelreise, nachdem ich einen deutschen Pass hatte, das ging schnell. Viele Reisen standen uns bevor. 1972 habe ich sie in meinem Buch „Geschäfte mit Odysseus“ beschrieben. Die Toskana hatte es uns angetan. Nachdem Linde  1971  den Fischerverlag verlassen musste, im Januar noch eine Trost-Reise nach Föhr, übersiedelten wir nach Bensberg/Refrath bei Köln, wo sie bei einem Verlag eine Anstellung gefunden hatte.  Ich hatte durch viele Rundfunksendungen unserer Leben mitfinanziert, auch die Reisen alle so beschrieben! Es waren schwere Zeiten, auch seelisch. Ich konnte nicht loslassen, Rumänien nicht, Ly nicht. Es war wie eine Flucht, nach Italien auf einen neutralen Boden zu übersiedeln, am 18. Mai 1973.
 Ich bezeichnete mich gerne als “Zwischenschaftler”, da ich ab 1973 zwischen drei Ländern lebe: Italien, Deutschland, wo ich meine Bücher veröffentliche, und Rumänien, wo ich geboren bin und meine Erinnerungen zuhause sind. In einem Interview zu Kafka für die Zeitschrift „Apostrof“ heisst es:
 Kafka bedeutet für mich viel als innere Präsenz, als Dialogpartner, als umfassender, auch literarischer Bezugspunkt.Als Mensch aus einer Minderheit, inselhaft aufgewachsen, ist mir Kafka auch existenziell, ja im permanenten Exilzustand nah. Als Autor noch näher. Denn das einzige Zuhause bleibt vor allem für „Minderheitler“ die Sprache, die an sich ein privilegierter Ort der Verfremdung ist.[3]
Ich fühlte mich krank. Es war eine Art psychosomatisches Fieber nach 1989. Ich habe ein ganzes Buch („Wenn die Dinge aus dem Namen fallen“) darüber geschrieben.
Und nun war seit 2010 Akteneinsicht  bei CNSAS der rumänischen Gauck-Behörde in Bukarest möglich. Ich nahm die Chance zuerst nicht wahr, hatte Angst vor diesen Akten und ihren „Wahrheiten“, vor allem ahnte ich, dass mich viele Freunde bespitzelt hatten. Doch Ende 2011 fuhr ich dann doch, um mehr zu erfahren.

Dann Bukarest und die Akten. Und sie waren genauer al meine Erinnerung. Sind sie gar mein Eckermann? Schon am nächsten Tag meiner Ankunft saß ich in der rumänischen „Gauck“-Behörde, dem CNSAS. Meine Hände zitterten, als ich die Dossiers, die authentischen der Securitate, es sind über 2000 Seiten, anfasste.



                             MEINE SECURITATEAKTEN





Und schon der Anfang meiner Lektüre war furhtbar. Ich las in Band I voller Grauen, diesen Überfall des Schreckens, lebensbedrohliche „Tatsachen“ von denen ich damals keine Ahnung hatte. So erscheint am 25.2. 1966 in meinen Akten diese lebensgefährliche Anklage, hier zu lesen schwarz auf weiss, dass ich der Spionage für die Bundesrepublik (RFG, Republica Federală Germană), verdächtigt wurde.


„Spionage zu Gunsten der BRD“. Auf Spionage stand die Todesstrafe.  Ziel war „ Feststellung  und mit Dokumenten zu belegende feindliche Tätigkeit des Dieter Schlesak.“ So der rumänische Text.
Alles war durch meine Redakteurstätigkeit bei der Zeitschrift „Neue Literatur“ bedingt, wo ich mir eigne Meinungen gegen den „sozialistischen Realismus“ erlaubte. Das ging schon seit 1964 so.
Eine besondere Aktion der Securitate gegen mich, auf Ansuchen meines „Führungsoffiziers“ Pestriţu, ich kannte damals nur seinen Decknamen „Jordan“, der aber nirgends in den Akten auftaucht.

Im Bericht vom 31.12.1966, schönes Sylvestergeschenk, steht, dass ich im Rahmen des Literarischen Arbeitskreises junger Autoren, „nichtentsprechende“ und „feindliche Mentalitäten“ verbreite, ebenso „konfuse“ „nichtentsprechende“ eigene Arbeiten vorlese.

Es ging um:
- meine  negative, „feindliche Tätigkeit“ im Rahmen des Literaturkreises.
- meine „feindlichen, konfusen eigenen Arbeiten“.
- die eigne Mentalität, die durch die Materialien, die ich aus der BRD erhalte, erzeugt werde.
- Den Charakter der Beziehungen zu den deutschen Verlagen, Redaktionen und verschiedenen Personen aus Bundesdeutschland.
 Die Dokumentation der  feindlichen Tätigkeit von Dieter Schlesak.

Unter Punkt 3. Erscheinen die Agenten „Silviu“ (Heinz Stănescu, Hochschullehrer), „Tatiana“ ( Anna Bretz von „Volk und Kultur“),  „Fischer“ (?), „Ludwig Leopold“ (Alfred Kittner“), „Daniel“,  „Walter“ (Dieter Roth, „Jugendverlag“), dazu kam als wichtigster Spitzel „Stein Otto“ (Oskar Pastior)
 Das alles hieß „Operative Überwachung“, Maßnahme „F“.

 






4.  Was wurde festgestellt und welche Beweise gibt es?  Es wurde festgestellt dass das „Objektiv“ Dieter Schlesak feindliche Tätigkeiten entwickelt. konkret:
-  Im Rahmen des  literarischen Arbeitskreises  junger deutscher Autoren, wo er „nichtentsprechende“  Ideen und  Gedichte verbreitet. Gegen die richtige Haltung vorgeht, indem er hochmodernistische Gedanken unterstützt, so im Arbeitskreis vom  5. Oktober 1966, wo er sich gegen   „Kommandopoesie“ ,„poezii comandate“, aussprach, die Zeit sei vorbei, in der der Poet gezwungen wurde, sich bedingungslos zu beugen. Diese „Agitation“ habe  bei  den Studenten Lang Richard und Marmont Rolf zu antimarxistischen Gedichten geführt. („Daniel“, Kittner? Heinz  Stănescu?)
(Man sieht also, wie  Schlesak  unter großen Risiken den Grundstein zur modernen rumäniendeutschen Poesie gelegt hatte, die dann  bis zum Nobelpreis – Herta Müller 2010 - geführt hat.)
Im Rahmen der Zeitschrift „Neue Literatur“ entwickle er eine feindliche Tätigkeit: durch Veröffentlichung von Artikeln, die  pure „nichtentsprechende“  Propaganda für westdeutsche Literatur seien. Durch viele Artikel („neprincipiale“) über das Kulturerbe, versuche er, alle Literaten der Vergangenheit, „auch jene, die dem Faschismus in unserem Land gedient haben,“  rein zu waschen, damit sie anerkannt werden. Im Im Rahmen der Redaktion werde er auch von seinen Kollegen  als feindliches und nationalistisches Element gesehen.
5. Vorschlag:  den „Überprüfungs-Dossier“ 9855  zu  einem informativen Dossier zu machen. (13.Januar 1967).  Dazu der Chefredakteur Emmerich Stoffel : „Dieter Schlesak verwandelt sich in einen Politiker, der alles andere als ein Marxist ist.“ Oder Paul Schuster: „… wir können nicht zulassen, dass Dieter hier seinen Kopf durchsetzt. (Să-ṣi facă de cap).“


„Der Betroffene“  wird verfolgt, weil er sich für die feindliche Moderne einsetzt, so die Akten. Und weil er gegen den sozialistischen Realismus agiert. Er hat ein Manuskript in die Bundesrepublik geschickt.  Seine Westreise soll mit „aviz negativ“ versehen, also nicht gestattet werden.
-          Dazu der Führungsoffizier: In diesem Jahr, Oktober (1966), so der Bericht,  hat  das „Objektiv“ (also keine Person mehr) beim Jugendverlag einen Gedichtband eingereicht, der als „nichtentsprechend“ zurückgewiesen wurde.   Daraufhin hat der Betroffene eine Reihe von Gedichten aus diesem Band in die BRD geschickt. Einen Teil der Gedichte hat er auch in der Zeitschrift „Neue Literatur“ veröffentlicht. Durch den  westdeutschen Staatsbürger Volker Riegger hat er ein Manuskript außer Landes gebracht, dessen Inhalt uns nicht bekannt ist. Doch wurde bekannt, dass er unser Leben kaustisch  und ironisch beschreibt.“
Und weiter im Secustil:
„Dieter Schlesak erhält aus der BRD einige  literarische Zeitschriften und Publikationen Diese Arbeiten sind für ihn Inspirationsmittel, an denen er sich schult, sie auch plagiert (Ingeborg Bachmann). Außerdem verbreitet er diese Veröffentlichungen.
In einem  Briefwechsel mit seinem Bruder Gerd oder mit  Brantsch  Ingmar  aus Kronstadt  äußert er feindliche Ideen und  stiftet zum Widerstand an.“

Wie sehr meine damaligen Gedichte als Widerstandsgedichte, also als „feindliche“ Objekte gesehen wurden, zeigen die Securitate- Unterlagen. Da werden meine Gedichte  kopiert  und übersetzt, von der Securitate kommentiert. Unsere Secu war also doch mein Eckermann. Einige dieser Gedichte  habe ich gar nicht mehr in meinem Archiv, jetzt erst also, aus dem Secubestand tauchen sie wieder auf. Herzlichen Dank:
Wenn ich meine eigenen Gedichte über Angst aus jenen Jahren  jetzt lese, denke ich, ich muss verrückt gewesen sein:

NEBEN JEDEM EIN BLAUER DRACHE UND WINTERZUNGEN
Hier habe ich das Schweigen gelernt,
das täglich mich vereiste.
Mein Mund will sich durchgraben.
Die Lippen brennen von bunter Leere.

Ein Tier aus Rauch, ein Schatten,
geht barfuß über die Straßen.

Und viele andere, mit Zeilen wie diesen: „BLAU spielt am Stacheldraht der Mord./ Weh dem, der überschreitet.“ Oder „Wo zwei sind, beginnt man zu sein./Wo drei sind, wird die Rede Angst.“ Freilich, ich hatte sie, außer Sperber, niemandem gezeigt, aber dann 1968 im Bukarester Literaturverlag unter dem Titel „Grenzstreifen“ veröffentlichen können. Was auch ganz klar den Unterschied der beiden Securitate-Zeiten vor und nach 1964/65 zeigt. In der Gulagzeit wäre ich sicher im Gefängnis gelandet.

Dazu ist hier ein ausgeglichenes Referat aus dem Jahre 1966 von Oskar Pastior für den Jugendverlag aufbewahrt. Und der ganze Gedichtband „Friedliche Zeit“ ( Unter dem Titel „Grenzstreifen“ ist er  dann 1968 erschienen.)

Im Zusatz  zum Maßnahmeplan aus dem Untersuchungsdossier, („Complectare la Planul de măsuri din dosarul de verificare“ 304/3/PG b21.6.66) Wird  verlangt: 1. Incadrarea informativă a soţiei”. Informative Eingliederung der Ehefrau” – War sie doch Spitzel? Das würde mich sehr treffen! Doch klar bewiesen ist es nicht. Ich habe keinen Dossier unter ihrem Namen gefunden! Dagegen dann erscheinen folgende Namen: Michael Bürger, Claus Stephani. (Colaborarea cu dir. II-a), „Lohengrin“ (Alfred Kittner ?) Absurder Weise wird auch Michael Albert (+ 1896), den ich bei Bürger im Literaturverlag herausgegeben hatte, als Spitzel geführt.
Und dann der Beschluss, es solle eine Hausdurchsuchung bei mir durchgeführt werden.

Dieser „Plan de măsuri“ (Maßnahmeplan) sollte durch die Agenten Silviu (Heinz Stănescu), Tatiana (Anna Bretz), Walter (Dieter Roth), Stein Otto (Oskar Pastior), ebenso Lemnaru (Emil Denndörfer?)  und Chopen (schon 1956)  als auf mich Angesetzte „begleitet“ werden. „Stein Otto“ sollte  speziell von der Direcţia II-a, 241, dafür angefordert werden. Die Installierung eines IOC, Lauschmikrofons wollte man prüfen. 


Eine Tabelle mit 5 Spitzeln ist erhalten. (Es sind die oben angegebenen!)

Vor allem Stein Otto (Pastior) sollte berichten.
 Pastior  solle „aktiv“ auf  Dieter Schlesak angesetzt werden: Silviu (Heinz Stănescu), Tatiana (Anna Bretz), Walter (Dieter Roth), Stein Otto (Oskar Pastior), ebenso Lemnaru (Emil Denndörfer?)  und Chopen (schon 1956)  als auf mich Angesetzte „begleitet“ werden.




Und Pastior berichtete brav, was man von ihm verlangte, die „Dekadenz“ von Dieter Schlesak. , dass er ans Jenseits, dass er an den Tod glaube, anstatt an das fantastische sozialistische Leben, er psychisch depressiv sei. Ja,  dass er Familienbesuch aus dem Feindesland Westdeutschland erhalten habe:


Otto Stein (Oskar Pastior“) berichtet seinem Offizier hier: Ich sprach mit Dieter Schlesak und er sagte mir von einer Begegnung mit Dan Constantinescu, der an ein Leben nach dem Tode glaubt, dass die Angst vor dem Tode einen immer größeren Raum in seinem Denken einnehme. Weiter, dass er an einer Rezension über Oscar Walter Cisek arbeite. Und er kritisierte  Ciseks Flucht vor der  unmittelbaren Realität. Nachdem Schlesak mich schon seit längere um einen Gedichtband von Pillat gebeten hatte,  teilweise vor Jahren von meinem Schwiegervater übersetzt, gab ich ihm bei dieser Gelegenheit den Band, die Schlesak zur Erstellung einer Anthologie rumänischer Dichter  dienen sollte.  Aus de Gespräch mit Schlesak ging hervor, dass unter  gewissen physischen und psychischen Depressionen litt, dass er die Familie und seine eigene Vergangenheit hasse, eine Tendenz zur Isolierung  und zum Individualismus bei ihm da sei. Dann sagte er noch, dass er während des rezenten Urlaubs nicht arbeiten konnte, weil er Familienbesuch aus Westdeutschland gehabt habe. Auch sein äußerer Aspekt (schwarzer Bart) verstärkte noch diesen Eindruck.
litt.

Das Absurde ist auch da offensichtlich: Denn dieser „Agent Ehrlich“ ist der mir aufgezwungene Deckname .
Und noch etwas Verrücktes habe ich in den Akten entdeckt, dass nicht etwa mein Jugendfreund Ingmar Brantsch mich bespitzelt hat, sondern dessen Mutter.
Am  21.Mai 1968 wird „Barbu Elena“, die Mutter von Ingmar Brantsch aktiv und berichtet über ihn und über mich: Dass ihr Sohn Ingmar zur „Jungen Akademie“ nach Westdeutschland ausgereist sei und Gedichte rumänischer und rumäniendeutscher Autoren für eine Anthologie mitgenommen habe. Dass sie diese kopiert und dem Geheimdienst übergeben hat. Der Offizier berichtet, sie seien untersucht worden und hätten keinen „feindlichen“ Inhalt.
Und noch mehr an Briefen kopierte sie und wusste vieles über ihren Sohn und  über Dieter Schlesak zu berichten. Hat sie an der Tür unsere Gespräche belauscht?

Dann berichtet ein anderer Informant „Avram“ über Dieter Schlesak. (3.4.1968) Alles also noch vor meiner ersten Reise am 4. Oktober 1968 in den Westen.  Auch berichtet sie, dass einige Gedichte in einer westdeutschen Friedensanthologie erschienen seien, freilich auch, dass Dieter Schlesak kein Antikommunist, aber auch kein Marxist sei. Und dann: dass er als ein Anhänger „aller modernistischer Strömungen“ angesehen werden müsse. Und dass er für eine „demokratische Realität“ plädiere, Sympathien für die Prager Bewegung habe. Und behaupte, dass „sich das Individuum im Westen einer größeren Freiheit erfreue als im Osten. Für „möglichst viele Kontakte mit westlichen Intellektuellen“ trete er ein. Und er kultiviere eine Beziehung mit einem Herrn von Hallensleben, dem Kulturattaché der westdeutschen Botschaft. Das alles habe  Dieter Schlesak auch Emmerich Stoffel, seinem Chefredakteur bei der „Neuen Literatur“, berichtet.  Zusammen mit dem westdeutschen Studenten Volker Riegger habe er die Kirchenmalerin Katharina Zipser in Ploieṣti  besucht. „Ludwig“ (Alfred Kittner)[4] berichtet am 23.5. 1968 Dieter Schlesak habe ihm gesagt, dass er von Hallensleben kenne, der ihn auch ins Restaurant Ambassador zum Essen eingeladen habe. Schon am 31. 1. 1968 hatte „Ludwig“ der Securitate  über die Reise von Schlesak  nach Siebenbürgen berichtet. Wo Schlesak Harald Krasser, Werner Bossert, Wolf von Aichelburg und Christian Maurer, sowie Günther Schulz getroffen habe. Außer Maurer seien alle für die Moderne gewesen und  für die Öffnung. Doch die Sachsen seien generell sehr zurückgebliebene Leute, lebten immer noch im Herzen in der Nazi- und Zwischenkriegszeit. Am 1. März dann berichtet Kittner dem Offizier, wahrscheinlich mündlich,  doch wird das Berichtete dann schriftlich „festgehalten“ und  von Kittner mit „Ludwig“ unterschrieben: der berichtet auch, dass Dieter Schlesak Einladungen aus der BRD und jetzt aus Luxemburg erhalten habe. Dass ihm ein erstes Ausreisegesuch abgeschlagen worden sei. Dass er aber jetzt ans ZK geschrieben habe. Schlesak habe „der Quelle“, also ihm, gesagt, dass wahrscheinlich alle dächten, er bliebe im Westen. Dem sei aber nicht so: er habe die Absicht, Vermittler zwischen den beiden Kulturen, zwischen Ost und West zu sein. „Weil er an die Literatur dieses Landes gebunden ist, und er könne sich nicht vorstellen anderswo zu arbeiten, wie ein Ingenieur, ein Techniker, der überall arbeiten könne“. (So Kittner). Der Offizier:  „Der Betroffene wird  in einem Informationsdossier untersucht, weil er die Haltung einer sogenannten „Freiheit“ der Autoren und Poeten in unserem Land vertritt. Der  Spitzel soll nachforschen, ob Dieter Schlesak  „poezii de sertar“, Schreibtischliteratur, versteckte Gedichte, besitze.
Am 2.10.1968 berichtet Kittner, dass Dieter Schlesak mit Matei Călinescu eine interessante Diskussion über Moderne in der rumänischen Poesie geführt habe. Wieder ist von einer rumänischen Anthologie die Rede, die Dieter Schlesak gemeinsam mit Kittner herausgeben wollte. Von Gesprächen mit den Kollegen  Tarangul, Arbore, Pituţ u.a. berichtet Kittner.  Dazu mein FAZ-Artikel


Weitere Berichte von Universitätslehreren  folgen. Und man fragt sich, wieso diese Leute von der Germanistikabteilung der Uni:  Sevilla Baer-Tomoṣoiu- Răducanu (als Spitzel: Maria Georgescu),  Hans Müller, Bruno Colbert, Ivănescu u.a. sich mit dem angeblichen Plagiatsvorwurf, einer Schillerausgabe, dann dem Gedicht  „ Das Sonnenschiff“ (Bachmann?) etc.  beschäftigen u.a. 29.06.1967, 276. Dazu die: „Nota informativa“, 27. September 1967. (274)




Kittner aber bekommt weitere Aufträge.  „ Agentul mergind la litoral“, Der Agent, der ans Meer fährt, hat neue Aufgaben erhalten: Ausländer und auch Einheimische zu beobachten und  zu berichten. (275).

Und dann kommt wieder die „Barbu Elena“ (21.06. 278) Die auch Banales Zeug berichtet, dass ich eine Schwester und einen Bruder in Kronstadt wohnen habe, dass ich Kafka lese, Vorträge in Siebenbürgen halten werde etc.
Und von einem Spitzel „Mateescu“ wird auch prompt berichtet (29.6.67, S. 276) über meinen Vortrag im Kulturhaus (Casa de cultura) in Hermannstadt/Sibiu. Der wieder die jämmerliche Sache mit dem „Sonnenschiff“ bringt, als hätte er so etwas zu berichten. Der Klarname von Mateescu ist mir nicht bekannt. Und: auch „Emmerich Stoffel habe große Schwierigkeiten mit Dieter Schlesak wegen seiner Haltung: „extrem esteticistă“. (277) Schließlich berichtet  auch noch Anna Bretz („Tatiana“ in der „Casa „Carmen“:). Jetzt rede er nicht mehr über westdeutsche Literatur , sondern über die sozialistische.  Er habe also die Taktik geändert, was heiße, dass er nicht stabil in seinen Auffassungen sei.  (17.5.67. 280)
Und „Lohengrin (23.März 67, 281) (Kittner?) schreibt: Dass  Schlesak in der letzten Nummer der „Neue Literatur“  Gedichte aus der BRD,  DDR und  Rumäniendeutschland veröffentlicht habe. Aber auch (in einem eignen Gedicht), die Ansicht, dass die rumäniendeutsche Literatur im Land keine Chancen in Zukunft habe. Was  von Hans Liebhardt kritisiert worden sei. (Neuer Weg 13. März 1967) Liebhardt: „Schlesak ist ein reaktionäres und  zurückgebliebenes Element.“ Dieter Schlesak habe darauf Liebhardt am Telefon hart kritisiert, der habe nichts begriffen. Stoffel aber teilt Liebhardts Ansicht.
 Erstaunlich, dass mich der ZK-Mann Stoffel verteidigt. Er habe zu all diesen Anwürfen geschwiegen.
„Silviu“ (Heinz Stănescu) berichtet dieses (25.03.67, S.282) Und am 18.Mäz 67 berichtet ebenfalls Silviu der Securitate, er habe mit dem stellvertretenden Chefredakteur Arnold Hauser gesprochen, und der fand Liebhardts Attacke  und auch die Langfelders übertrieben hart.  Und er sehe, nachdem in der Presse Artikel über Ion Pillat, Voiculescu, Ion Barbu erscheinen, Dieter Schlesak nicht so hart angefasst werden dürfe. Und die Studentin Süssmann habe gesagt, am Beispiel Schlesak, sehe man doch,  dass jetzt der Moment gekommen sei, mit dem Neo-Klassizismus zu brechen, den der „Neue Weg“ und die Lehrkräfte an der Hochschule vertreten.
Allerdings habe ihm Claus Stephani gesagt, dass viele junge Autoren im Literaturkreis nicht gewagt hätten, sich mit Schlesak nicht einverstanden zu erklären, da dieser den Sektor Gedichte bei der „Neue Literatur“ verwalte. So habe er sie alle in der Hand.


Ion CARAION,  DER WICHTIGSTE AUTOREN-SPITZEL
Und Ion Caraion, der Autorenfreund?  - ja, war er es wirklich oder gehörte das mit zur Irrealität jener Zeit?-  an diesen Mann, von dem ich erst nach einem Tod in der Schweiz erfuhr, dass er der talentierteste, ja genialste Autoren-IM gewesen war, der auch mich ausgehorcht und Porträts über mich geschrieben hatte ,ausgerechnet  an ihn war meine erste Westreise, mein größter Kulturschock, den ich nie vergessen werde, gebunden. Der Zustand damals im September, Oktober 1968 lässt sich kaum mehr nachvollziehen, auch wenn es das Ende meines „alten“ Lebens zu Hause bedeutet, und ich für immer in die Fremde kam, die ich damals wie ein glitzerndes Paradies bewunderte, und heute eher verachte.
Überspitzt gesagt, war das ein Mitmachen mit der Alltags- und Warenideologie hier wie mit der Securitate, als dem System dort ein „Bedürfnis“. Ion Caraion, der literarisch ausgefeilte und bis ins Intime gehende Detailberichte für die Securitate verfasst hatte,  war der wichtigste Agent im rumänischen Schriftstellerambiente. Caraion ging in seinen “psycho-literarischen „Portraits“ so weit, dass ein höherer  Geheimdienstoffizier an den Rand schrieb, „wozu nützt uns das und schämt sich der IM denn für seine Aussagen nicht“, da er etwa von seinem langjährigen Freund dem bekanntesten Romancier Marin Preda schrieb, er habe mit der Lyrikerin Nina Cassian (einer Jugendfreundin Celans) „auf dem Fußboden gevögelt“.[5] Caraion freilich, anfangs Kommunist, war 11 Jahre in den Kellern der Securitate, und war sogar einmal zum Tode verurteilt wordem. So dass man, wie etwa auch beim großen Constantin Noica diese Mitarbeit verstehen und vergeben kann, wenn auch nicht das wahnwitzige Ausmaß der Freiwilligkeit und Initiative, Caraion hat sogar von sich aus den Kontakt mit der Securitate aufgenommen.[6]

Und wieder zeigt sich, dass der ZK-Mann Stoffel am objektivsten und gerechtesten ist, und insgeheim die Linie von Dieter Schlesak einer modernen rumäniendeutschen Literatur unterstützt. In einem Bericht von „Silviu“ vom 19. März 67 (S.323) sagt Stoffel diesem, dass es keine „Herzstelle der Moderne bei uns“ gebe. Und auf die Frage, ob es denn solch ein großes Zentrum beim „Neuen Weg“ gebe, antwortet er: „Groß schon, doch modern nicht!“
Doch Dieter Schlesak wird von der Kollegin Helga Reiter attackiert:  Er wisse nicht mehr, was sozialistische Literatur und das Land in dem er lebe, sei!
Hans Liebhardt schein der Hauptfeind von Dieter Schlesak  zu sein:  Nach einer Redaktionssitzung bei der „Neue Literatur“, so berichtet wieder „Silviu“, sei er mit Hans Liebhardt ein Stück Weg gegangen, dabei habe Liebhardt ihm geklagt, Schlesak führe die „Neue Literatur“ auf „unmarxistische Wege“ und beeinflusse so weiche Menschen wie Arnold Hauser, „die Exzesse von Schlesak, die Verbeugungen vor allem, was aus dem Westen kommt, wird zu politischen Konzessionen und ideologischen Fehlern führen“. (17.02.66, S. 325). Und „Silviu“: „Es wurde darüber geredet, „dass Schlesak eine Art Chef einer Literaturströmung sei.“ (326). Als bereite er eine Widerstandsgruppe wider den Staat vor, ähnlich wie die „Zornigen jungen Männer“ in England. Es ist eine der  gefährlichsten Aussagen.
Absurd ist, dass auch Oskar Pastior diese antimoderne Haltung mit Spitzelberichten unterstützt, ja, subtil argumentiert.

Ottot Stein (Oskar Pastior“) berichtet seinem Offizier hier: Ich sprach mit Dieter Schlesak und er sagte mir von einer Begegnung mit Dan Constantinescu, der an ein Leben nach dem Tode glaubt, dass die Angst vor dem Tode einen immer größeren Raum in seinem Denken einnehme. Weiter, dass er an einer Rezension über Oscar Walter Cisek arbeite. Und er kritiserte  Ciseks Flucht vor der  unmittelbaren Realität. Nachdem Schlesak mich schon seit längere um einen Gedichtband von Pillat gebeten hatte,  teilweise vor Jahren von meinem Schwiegervater übersetzt, gab ich ihm bei dieser Gelegenheit den Band, die Schlesak zur Erstellung einer Anthologie rumänischer Dichter  dienen sollte.  Aus dem Gespräch mit Schlesak ging hervor, dass unter  gewissen physischen und psychischen Depressionen litt, dass er die Familie und seine eigene Vergangenheit hasse, eine Tendenz zur Isolierung  und zum Individualismus bei ihm da sei. Dann sagte er noch, dass er während des rezenten Urlaubs nicht arbeiten konnte, weil er Familienbesuch aus Westdeutschland gehabt habe. Auch sein äußerer Aspekt (schwarzer Bart) verstärkte noch diesen dekadenten Eindruck.
Auch am 21. März 1966 schreibt „Stein Otto“ einen Bericht über Dieter Schlesak. Und  In einer Tabelle (29.3.1966, S. 249) und einem Maßnahmeplan  wird er zusammen mit Silviu, Tatiana, Walter und Ludwig Leopold  auf  Dieter Schlesak angesetzt. Am 21.März 1966 schreibt er seine  „Nota informativă“ (321), und gibt sie in der casa „Sahia“ an den Securitateoffizier Pestriţu Ioan ab. Das ist jener Offizier, der als „Jordan“ auch Dieter Schlesak verfolgte und verhörte.  Pastior  berichtet diesem,  ähnlich wie Stănescu, Langfelder, Bretz , Kittner, Dieter Roth. dass sich Dieter Schlesak  bei der „Neue Literatur“ fast als einziger mit westdeutscher Literatur beschäftigt und diese auch rezensiert;  dies, schreibt er, „in den letzten Nummern der „Neue Literatur“ 1965“ ,  und in der gleichen Nummer würden in einem langen Artikel „Charakteristiken der modernen Poesie“  westdeutsche Bücher analysiert. Wobei es  sehr absurd erscheint, dass Pastor, der moderne rumäniendeutsche Lyriker, über die Moderne so spricht, als sei es feindliches Gebiet: Der Autor (Dieter Schlesak) identifiziere sich mit  den formalen Tendenzen „dieser (okzidentalen)  modernen Poesie. Und  erwähnt gar nicht die modernen Tendenzen der rumänischen Poesie (oder die anderer Länder). Es scheint so, als plädiere Schlesak für seine eigene Manier, Gedichte zu schreiben“.  So schreibt Oskar Pastior tatsächlich in seinem Spitzelbericht.
Und „Tatiana“ berichtet, es sei zwar eine Tauwetterperiode durch Chruschtschows Rede eingeleitet worden, wo  jeder schreiben konnte, was sie wollten, sogar die „Formalisten“, doch es werde eine neue  gerechte Periode kommen:
Dieter Schlesak soll weiter überwacht werden. Und Pastior soll  vor allem als fähigster Spitzel dazu eingesetzt werden:

In einem Bericht wird der Klarname von „Tatiana“ enthüllt: Bretz Anna.
Schon 1965, ja 1963 hat sie als Spitzel über  mich berichtet:
Und dann noch ein Bericht von „Tatiana“ (Bretz) über die Meinung Schlesaks zur Literatur in der DDR und in Rumänien. Dass die  sozialistische Literatur am Ende sei (Bitterfelder Weg etc.)
 
Seltsam die Rolle die Claus Stephani spielt, er erscheint nie als Spitzel, aber wird von Spitzeln oft als Berichterstatter für sie erwähnt oder „ausgenützt“. Warum gerade er? Freilich wird auch Arnold Hauser ähnlich ausgenützt.


Immer wieder aber geht es um  meine Kritik an dem dummen „sozialistischen“ Stil, einmal berichtet „Tatiana“ (Bretz), auch, dass ich Fan von Kritikern des Sowjetregimes  wie Jewtushenko sei, und dann dass ich den Bitterfelder Weg in der DDR kritisiert habe:



                            DER VERSUCH  AUCH MICH ANZUWERBEN


Schon am  8. September 1961 hatte Pestritu im Auftrag versucht, mich als Spitzel anzuwerben, aus Angst unterschrieb ich, verbat mir aber dann jeden „Auftrag“ und beschimpfte ihn und die Securitate. Auch Drohungen und  lange Jahre der „freundschaftlichen Treffen“ halfen nichts, sie dienten aber aus ihrer Sicht der Gehirnwäsche. Was freilich wenig half, ich steuerte weiter meinen „modernen“ Kurs und versuchte und verbreitete den Widerstand  über  Metaphern - Umwege („Sklavensprache“?). Am 27. März 1968 (Directia I-a, S.444) :  Fiind exclus din retea pentru refuz de colaborare“, aus dem Netz ausgeschlossen  wegen Verweigerung der  Mitarbeit . 
Nicht klar ist, was  „avertizare“ in der Securitatesprache bedeutet,  dass die  Literatursektion des ZK („Sectia de literatura din CC) nicht einverstanden war (ganz hohe Tiere befassten sich also mit mir) mit einer „avertizare“ , Ermahnung (?). Das war im November 1966, so wurde ich weiter „nur“ verfolgt. Und die Spitzel berichten:  Seither werden keine feindlichen Meinungen mehr bei ihm, Dieter Schlesak, beobachtet, doch er hat weiter Beziehungen mit Verlagen und Personen in Westdeutschland.,  weil er dorthin fahren möchte. Dieter Schlesak habe enge Beziehungen mit dem BRD-Kulturattaché von  Hallensleben, der von der Directia III-a  wegen Spionage verfolgt werde. Daher wurde  Dieter Schlesak im August 1967  eine  Reise in die BRD abgeschlagen.  Er habe darauf eine Denkschrift an das ZK geschickt, in der er behauptet, er wolle als Repräsentant der Literatur in Rumänien in den Westen  fahren, um diese dort bekannt zu machen.
(379) Doch es wird auch berichtet:  Er erhalte Zeitschriften mit tendenziösen und feindlichen Artikeln gegen sozialistische Länder und unser Land. Der Hauptabsender sei Volker Riegger aus München, der zwischen 10.August und 8.September als Tourist  im Lande sein wird, um  einige „wichtige Probleme“ mit unserem Objektiv zu besprechen. Und dann heißt es drohend: „Wir schlagen vor, dass  10 Tage lang eine operative Überwachung von Schlesak Dieter stattfindet.“
Es ist lachhaft wie banal diese Überwachung verlief, es gab Berichte, wo und wann ich mich mit Freunden traf, Kaffee trank usw. Denn über das, worüber wir sprachen, konnten die Bewacher wenig sagen, vor allem auch, da das meiste in deutscher Sprache gesprochen wurde.

Die Akten  beweisen, wie falsch Ernest Wichner liegt. Wenn er in einem Verteidigungsartikel (wo er Pastior in Schutz nimmt), schreibt, meine Kontakte zum Westen und zur Westliteratur hätten die Securitate nicht interessieren können!


Im Dossier geht es dann weit zurück zum Anfang der sechziger Jahre, aber immer sind da auch Silviu (Stănescu) und Tatiana (Anna Bretz) am Werk.  Wichtig freilich  ist dann der 8. September 1961, als ich zum ersten Mal zitiert wurde, jemand mich anrief, sich für die OSTA ausgab, die Theater- und Konzertreisen ins Ausland organisierte, und dort auf den Treppen der OSTA  traf ich dann auch den Hauptmann  „Jordan“ (Pestritu), der mich gleich zu einem Auto mit zugezogenen Vorhängen führte, mir dann mitteilte, dass ich bei der Securitate sei.
Ich zitterte, hatte Angst, den gerade war Mircea, Gertrud (Tuzzi) Fernengels Freund, verhaftet worden. Und mit ihm hatte ich vor kurzem bei ihr über seine gefährliche Schubladenliteratur, scharfe Satiren gegen das Regime, gesprochen, die er bei uns in der „Neue Literatur“ veröffentlichen wollte.
Und das war auch das Druckmittel, mich beim Verhör in einem kahlen Raum, wo ich auch stundenlang warten musste, um „nachzudenken“, dazu zu bringen „zu unterschreiben“. Dieses ist die verfluchte Erklärung im „Dosar R“:

Es brach mir den Hals, dass sie mich als „element inteligent, sociabil“ und mit sehr vielen Beziehungen zu Deutschen aus Bukarest, Kronstadt und dem Banat ansahen. Ich könnte die ja bespitzeln, ebenso die „Neue Literatur“-Redaktion, den „Neuen Weg,“ Ausländer usw. wobei absurderweise auch ein mir unbekannter Lokführer Reimer, genannt wurde.

Als Druckmittel wird auch noch drohend verwendet, dass Dieter Schlesak 1959-60 einer Gruppe angehört habe, die im Restaurant „Gambrinus“ feindliche Reden geführt und Widerstand gegen das System leisten wollte:
Unter furchtbarem Angstdruck unterschrieb ich also, wobei ich 2 Tage in jenem kahlen Zimmer festgehalten wurde, unter mir ein Gitter, wo die Gefangenen in Sträflingskleidung vorbeigingen, ich Foltergeräusche und Schreie hören musste,  es war eine andere Zeit als die Herta Müllers; so kam es also zu dieser „Verpflichtungserklärung“ mit zittriger analphabetischer Schrift, die ich jedoch nicht unterschrieb, die Unterschrift ist gefälscht, doch was heißt das schon!

Die Unterschrift zuerst ausgestrichen… Sie gaben mir den blasphemischen Decknamen „Ehrlich“. „Jordan“ konnte etwas deutsch.
Und für meine Nicht-„Aktivität“  danach ist Zeuge diese leere Blatt/Tabelle:Dazu der verzweifelte Bericht des „Führungsoffiziers“, dass ich jede Aktivität wütend zurückweise:
 Und Pestritu schrieb dann auch in einem Bericht: „Ehrlich“ denke nicht daran, seine „Pflichten“ zu erfüllen, er weise jede Mitarbeit als „moralische Last“ zurück, sein Gewissen erlaube ihm diese nicht. „Er verbat sich jeden weiteren Kontakt mit mir und den Organen MAI (Ministerul Afacerilor Interne, Innenministerium): Denn meine Präsenz in seinem Leben werfe ihn, Dieter Schlesak, aus der Bahn und schaffe ihm psychische Depressionen“ . So der Securitate-Offizier. (21. August 1965, S. 15).
Dann muss der vorgesetzte Maior  von „Jordan“- Pestritu , aber doch mal  seinen Vorgesetzten, dem General, berichten, was dieser „Ehrlich“ eigentlich getan habe. Und  findet alles sehr mager.  Dieter Schlesak hatte  im Auftrag des Schriftstellerverbandes einige Ausländer begleitet, musste dann dem  Verband über seine Arbeit berichten, doch der Verband schickte natürlich eine Kopie auch dem Geheimdienst. Das werteten „Sie“  dann aus.
Im Zusammenhang mit diesen Ausländern erwähnte ich auch den Kollegen Tertullian, mit dem ich das Redaktions-Zimmer teilte und über  westdeutsche Literatur gesprochen hatte, die ihn sehr interessierte. So kam folgende abstruser Securitatetext des Majors zustande, in dem er aber vor allem mein mangelndes Interesse und auch die nicht existierende Tätigkeit bemängelte, sowie weitere „Aufgaben“ vorgab:
Und ich sollte durch  „Stein Otto“ und „Finger“ (Klarname nicht bekannt, vielleicht Kittner?) überwacht werden.

Am 8.März 1966 wird vorgeschlagen, den „Agenten Ehrlich“ aufzulassen, weil er jede Mitarbeit zurückweise. „Stein Otto“ und die anderen Spitzel sollten seine feindliche Haltung und Tätigkeiten beobachten und berichten:


                                                          

Anhang.  Augenzeugen und Opfer. Materialien


                                 ZUR FORM DES BUCHES. ORAL HISTORY?

                                        1
Die Besonderheit dieses Themas erfordert eine ganz besondere Mischform zwischen Erzählung, Reportage, Essay und eine fußnotenreiche Untersuchung, die vor allem Dokumente, „oral history“ und Augenzeugenberichte umfasst, und viele der Unvorstellbarkeiten im grausamen Bereich des rumänischen Gulag  belegt. Das Untersuchungsmaterial zum rumänischen Gulag und die sehr reiche Bibliographie, zusammengetragen  vor allem im fast tausend Seiten umfassenden Bericht Report final (Bukarest, Humanitas 2007) gehören dazu.  Dazu kommen die fast unübersehbare Memoirenliteratur und die Augenzeugenberichte. Doch gab es keinen kollektiven Prozess, wie jene von Nürnberg und Frankfurt für die Naziverbrechen mit ihren 88000 Seiten Dokumentarmaterial[7] und der enormen Auschwitz-Bibliothek in allen Sprachen der Welt.
Es ist inzwischen klar geworden, dass die beiden Totalitarismen in ihren Strukturen, in ihren Verbrechen sowieso viel ähnlicher sind als bisher angenommen oder verdrängt wurde. Die bisherige  Tradition, auch der Historiker,  der Sowjetunion als Sieger im Zweiten Weltkrieg einen Sonderbonus einzuräumen, und auch das kommunistische Zukunftsprojekt, das sich als reine Terrorideologie erwies,  an die revolutionären Bewegungen des Fortschritts anzuschließen, ist falsch. In Nürnberg wurden die stalinistischen Verbrechen, die „Säuberungen“, Massenmorde, etwa auch Katyn, verschwiegen,  anstatt wie die Naziverbrechen verurteilt zu werden. Sie wurden verschwiegen, weil die Sowjets als Sieger mit am Tisch der Ankläger saßen.
Den roten Verbrechen einen Sonderstatus einzuräumen, sie gar zu entschuldigen,  ist und bleibt Geschichtsfälschung.[8] Und das gilt auch für den rumänischen Gulag und die Securitate.

                                        2
Daher ist es  für meine Werkbiographie  und auch die allgemeine
Diktatur-Thematik nur konsequent, dass ich nach „Capesius,                   
der Auschwitzapotheker“ dieses Buch über die  „SECURITATE“.                         geschrieben habe.
Doch wie beim „Auschwitzapotheker“ habe ich auch bei diesem Buch als Autor kein Mandat, als einziger Erzähler aufzutreten, um einfach nur zu berichten. Auch wenn ich im Gegensatz zu Auschwitz hier nun  viel Selbsterlebtes, Selbsterlittenes  erzähle, und prinzipiell nicht zur Täter- sondern zur Opferseite gehöre. Doch diese Bestimmung ist paradox, da  ich mich von persönlicher Schuld nicht ganz freisprechen kann. Denn ich habe  eine Zeitlang, wie auch die damals Gleichaltrigen in der Nazizeit, aus Jugendidealismus wie viele andere meiner Generation (rein moralisch und ohne Parteimitgliedschaft) die Jugendsünde begangen, zu den vom Kommunismus „Überzeugten“ gehört zu haben. Acht Jahre freilich geriet ich dann in die Mühlen der Securitate,  so dass ich in diesem Buch durchaus meine jetzt aufbrechenden Erinnerungswunden  und posttraumatischen Verletzungen aufbereitet und zum Antrieb und Erzählquell dieses Buches machen kann. Seit Jahrzehnten gehe ich mit diesem Trauma um. Und da auch mich als Angehöriger der früheren „Ausbeuterklasse“ mit deutscher „ungesunder Herkunft“  der Komplex der „Reedukation“, wenn auch nur in Freiheit und von außen gestreift hat, habe ich als Augenzeuge so einiges zu berichten. Ich weiß einiges von der fürchterlichen Schuld- und Strafhölle, den Verhaftungen und Verhöre, und auch  von den psychischen und physischen Foltermechanismen, die auch meinen Entwicklungsgang tief bestimmt haben und zu meinen Traumen gehören, die aufgearbeitet werden mussten.

Trotz allem – den letzten Abgrund dieser Hölle in den fünfziger und sechziger Jahren, den Jahren des eigentlichen rumänischen stalinistischen KZ-Universums, haben nur Freunde, Bekannte, Verwandte und Hunderttausende Unbekannte erlitten, ich selbst wurde davon nur „gestreift“. Ich weiß bis heute nicht, wie ich als Reiter über den Bodensee trotz der gleichen Haltung und den gleichen Widerstandstaten wie meine Freunde, ohne Lagerhaft in den Donausümpfen von Brăila, dem Schwarz-Meer-Kanal und jahrelangen Securitatekerker in den Vernichtungsgefängnissen von Piteşti, Jilava, Aiud, Gherla oder den Psychiatriegefängnissen verschont geblieben,  nur mit der jahrelangen psychischen Folter der Securitate-Ver­folgung in der Gulag-Zeit und dann in der viel sanfteren Ceauşescu-Zeit davonge­kommen bin.
So war es notwendig, ähnlich, wie im Auschwitzbuch einen Sprecher aus  den Reihen der Gulagopfer, hier den Haupterzähler Zenon und sein „Tagebuch“  zu wählen, Sprecher der Augenzeugen aus der Kerker- und Lager-Hölle der rumänischen Stalinzeit.

Auch in diesem Buch freilich sehe ich mich  als einen der letzten Augenzeugen und als Augenzeuge von Augenzeugen einer der finstersten und blutigsten Epochen der Menschheitsgeschichte und als Opfer des härtesten politischen Geheimdienstes, den es nach dem Zweiten Weltkrieg in Europa und in der Welt  gab.
               
                                        3         
Der Kollege Goff  Dyer hat im „Guardian“ (12.Juni 2009) behauptet, dass der Roman an den „Brennpunkten der Weltgeschichte“ beiseite treten, die Fiction, der Non-Fiction, wie die Zuschauer bei einem Unfall der Feuerwehr, Platz machen müssten. Doch Dyer meint dann auch,  dass im Raum der Schrift beide ineinander übergehen müssten, um dem unvorstellbar Tatsächlichen mit einer neuen Form, die sowohl Tatsache, Beobachtung als auch Narratives  in einer Mischform zusammenführen, gerecht zu werden. Ich meine sogar, dass ALLE Formen des sprachlichen Ausdrucks herangezogen werden müssen, also auch Tagebuch, Brief und Gedicht, vom Memorial und Augenzeugenbericht, Prozessbeobachtung und Gerichtsverhandlung, - und – von den Securitateakten (meine eigenen , 3 Bände, habe ich seit Dezember 2010 als CD vorliegen) ganz zu schweigen. Sie müssen eingesetzt werden,  um dieses „Tatsächliche“ eines Epochenabgrundes einigermaßen fassen zu können. Ganz fassbar wird es niemals werden; es bewegt sich wie Auschwitz ebenfalls an den Grenzen menschlicher Vorstellungskraft!
Und dass auch die wissenschaftliche Literatur samt Fußnoten und das Internet-Netz eingebaut werden müssen, um einen vielfachen Bumerang und Echoeffekte zum unendlichen Weiterlesen und Forschen zu erzielen, ist eigentlich selbstverständlich und dient zur seriösen  dokumentarischen Absicherung der erzählten Fakten. Denn Schreiben und Lesen, das Buch also, wird hier bei weitem als alte Form der Aufbewahrung und  des Phantasie- und Lese- „Genusses“ durch Internet-Dokumentation und Aktenstudium überschritten. Sie werden  in den Dienst der Aufbewahrung genommen von etwas, dem unser Verstand, unsere Moral, unsere Begrifflichkeit  unserer bisherigen Erfahrung nicht gewachsen ist.  Und dieses Überschreiten wird notwendig, um weiter anzustoßen und Vergessen, das Vergessen jener Furchtbarkeit des GULAG und seiner Toten nicht zuzulassen.
Es bleibt freilich der Unterschied zu einem reinen Bericht. Der Reporter, aber auch der wissenschaftliche Analytiker oder einer, der Dokumente sammelt und analysiert, ist für das, was in seinem Buch vor sich geht, nicht verantwortlich; er findet Ereignisse, Dokumente vor.  Der Romancier ist mit-verantwortlich für das, was in seinem Buch geschieht. Er bleibt verantwortlich auch für die  Schilderung der furchtbarsten Dinge;  so eben dann auch für einen Nachgeschmack an Zynismus. „Man kann sich das Schlimmste nicht ausdenken und es ausgestalten, ohne dabei wenigstens ein bisschen böse Lust zu verspüren.“[9]  In einem Dokumentar-Roman mit dieser Komplexität einer neuen Form, ist  das anders, hier muss ebenfalls mit dem Schrecklichen, dem Abgrund des Vorgefundenen gearbeitet werden, und nur für die Collage und die literarisch notwendigen „Verstärkereffekte“ und Strukturen im Dienste der ins Gedächtnis einzubrennenden Schreckensereignisse ist der Autor verantwortlich. Er ist dafür verantwortlich, dass jene Fratze vollständig und so abgründig und in einem Gesamtzusammenhang gezeichnet wird, dass ein bleibender Eindruckseffekt entsteht. Die Grundlage ist ein auf historischer Wirklichkeit beruhendes „Material“ des Grauens, das durch ein Buch bleibend dem Vergessen entrissen und dem Menschheitsgedächtnis hinzugefügt werden kann. Es ist ein besonderer Versuch, ein besonderer Stil, zu dem der Stil einer Reportage oder einer Reportagensammlung, aber auch ein noch so komplex erzählter  Roman im Raum der Fiktion nicht fähig wäre.
Was Kollegen geschehen ist und mir damals auch hätte geschehen  können. Rumäniendeutsche Prozesse 1959


Hans Bergel
Aus: DIE NACHT DER RAUBTIERE  

Was ich als letzter zu berichten habe, Freunde, beginnt mit dem berüchtigten Empfang im Fort Nummer dreizehn Jilava…
Ich lernte das Fort kennen, als es mehr denn je im Rufe stand, die Folterkammer der Nation zu sein.
Der damals übliche „Empfang von Jilava“ fand nur nachts statt… Es begann mit dem Knirschen des Schiebetores aus Stahlplatten, vor dem ich angekommen war. Das Tor öffnete sich dicht vor mir, ohne dass ich es sah. Aber ich fühlte die Kühle des Stahls. Ich tat noch einen Schritt. Auf der Höhe der nun freien Toreinfahrt angelangt, warf ich die Arme über den Kopf. Ohne einen Befehl abzuwarten, rannte ich los – halb nach links, wie mir einmal einer erzählt hatte.
Es war stockdunkel. Das Steingewölbe über mir hallte. Als das Hallen aussetzte, erreichte mich ein warmer Luftzug. Jetzt! Dachte ich, und im selben Augenblick sprang mir das Sausen der ausholenden Karabinerkolben, der Leder-, Drahtpeitschen und Holzknüppel entgegen. Ich rannte mit ganzer Kraft mitten in die Schläge hinein. Sie deckten mich sofort von allen Seiten zu. Wer es hier nicht im Sturmlauf schafft – hatte mir derselbe Mann vor Jahren erzählt -, erreicht den ersten Korridor des Reduits niemals. „Wer sich von einem Schlag auf das Nasenbein oder auf die Kniescheiben, auf den Kopf oder die Wirbelsäule aufhalten lässt, gar stürzt oder seitlich auszubrechen versucht, der hat nichts mehr über den „Empfang“ zu berichten“, hatte der Mann gesagt, „sie schlagen dich tot wie einen Hund.“
In der Zelle „13 bis“ habe ich dann, allein, drei Tage zugebracht. Die Wände waren von Schimmelflächen überzogen. Es war Ende Dezember. Zu essen bekam ich nichts.
Am dritten Tag begannen die Schwellungen zurückzugehen; was blieb, waren Blutkrusten und Flecken, die sich seltsam verfärbten.
Gegen Abend  dieses Tages holte mich der Unteroffizier aus der Zelle. Er führte mich in die Zelle mit der Nummer 139. Die Eisenriegel flogen hinter mir zu, der Schlüssel knarrte, die Schritte des Unteroffiziers entfernten sich.
Zunächst kam mit den Körperdünsten der etwa dreihundert Männer geballte Wärme auf mich zu; sofort fühlte ich, wie die Schlagstellen am ganzen Körper zu jucken begannen. Ich blickte in den fünfzig Meter langen, auf beiden Seiten mit doppelstöckigen Betten ausgestatteten Gewölbetunnel hinein, der von zwei Glühbirnen in Drahtnetzen beleuchtet wurde. Die Männer saßen in Gruppen am Boden, hockten an die Wände gelehnt oder standen zwischen den Betten und unterhielten sich miteinander. Keiner von ihnen sah mich auch nur mit einem Blick an.
Da in der Zelle doppelt so viele Häftlinge wie Betten waren, mussten immer zwei Männer eine Schlafstelle teilen. So kam es dazu, dass ich in dem Bett, das mir der Mann gezeigt hatte, sechs Monate zusammen mit Trifa schlief. Und da es keinerlei Bettzeug gab, nicht einmal Decken, war die Körperwärme des Bettgenossen eine willkommene Wärmequelle.




Eginald Schlattner
Aus: ROTE HANDSCHUHE

Eines Abends wankt der Mönch Atanasie in die Zelle, ein Gespenst. Seine Kutte wirft unförmige Schatten auf die Wand, Haupthaar und Bart wallen bis zum Gürtel. Er verkriecht sich  in das Bett hinten unterm Pult. Wieso er noch lebe, frage ich ungnädig. Auch er scheint sich zu wundern: Schon längst hätte er bei Gott sein müssen. Mehr als ein Jahr ist es her, seit er mich gelehrt hat, wie man die Unterwäsche ohne Kraftaufwand sauber bekommt, während man duscht.
Jetzt liegt er erloschen auf dem Strohsack. Wenn ihn die Magenkrämpfe packen, wirft er sich wimmernd hin und her. Ein Bild des Jammers. Trotzdem beginne ich ihn wie vormals mit Spott und Hohn zu überschütten. „So unwürdig leidest du, ein Gottesmann, der in den Himmel kommen will?“ Doch diesmal setzt er sich nicht giftig zur Wehr, sondern verlangt mit weinerlicher Stimme Wasser. Das Töpfel entgleitet seiner Hand mit den Spinnenfingern. Widerwillig flöße ich ihm das Nass ein. „Es brennt!“ Dann möge ihn ein Engel Gottes laben. Der Arzt, ein Major mit graumeliertem Haar, drückt ihm kurz die Kutte in den Bauch. „Das kennen wir!“ und zum Wachhabenden: Revine. Er kommt auf. Lass ihn so lange liegen.“
Dass es am Tag darauf abwärts geht, merke ich. Schmerzen befallen ihn immer öfter. Das Weiß der Augen wird fleckig. Die Hände tasten unruhig über den Kotzen. Ich aber kann mir kein Mitleid leisten. Sein Leben steht auf dem Spiel, nicht meines. Trotzdem frage ich, ob er jemanden habe, dem er etwas zukommen lassen wolle – nachher. Ein Lächeln gerinnt auf seinen Lippen. „Ein Wesen, das mir nahe steht, draußen?“ Und flüstert mir einen Namen zu, ich muss mein Ohr an seinen Mund legen, aus dem es übel aufstößt. „Dem sag, dass ich auf ihn warte – im Himmel.“


Romulus Rusan

Die deutsche Minderheit

In diese Periode fällt auch die Reihe politischer Prozesse, die einzelnen oder Gruppen von Deutschen aus den Minderheitenzentren vor allem in Siebenbürgen und im Banat gemacht wurden, nachdem es freilich schon beginnend mit dem Herbst 1944 zu Internierungen gekommen  war. Die Zahl der während der Diktatur administrativ oder aufgrund von Verfahren Festgehaltenen wird auf rund 3000 geschätzt (Gesamtzahl der Deutschen: ca. 400.000) – bis hin zu Exekutionen wie im Fall des 1953 in Jilava hingerichteten Kronstädters Erich Tartler oder der im selben Jahr im Gefängnis umgekommenen ehemaligen Bukarester Parlamentsabgeordneten Rudolf Brandsch und Hans Otto Roth (siehe Anhang).
Doch schon ein Jahr vor der Verhaftung der beiden war es, 1951, zum großen Schauprozess gegen die katholische Kirche gekommen, der besonders die Banater Schwaben getroffen hatte; mit dem Namen des Bischofs der Banater Diözese, Dr. Augustin Pacha – 18 Jahre Freiheitsentzug -, und anderen verbindet sich ebenso wie mit den Namen der Temeschwarer deutschen Schüler Eugen Boncea-Resch, Engelhard Mild, Alfred Prack u.a. die Erinnerung an Höchststrafen. Beginnend mit 1958 kann es dann zu Gruppenprozessen, deren Namen die Runde machten und Angst verbreiteten: im Banat der Weresch-Reb-Prozess, in Siebenbürgen der Schwarze Kirche-, Sankt-Annensee- Heltauer-, Prejba-, Mühlbacher-, nicht zuletzt der Schriftstellerprozess, ein Geheimprozess, der 1959 vor dem Militärgericht fünf deutschen Autoren mit insgesamt 95 Jahren Verurteilung zu Zwangsarbeit gemacht wurde: Andreas Birkner, Wolf von Aichelburg, Georg Scherg, Hans Bergel, Harald  Siegmund. Ähnlich wie im Banat die Verurteilung des Bischofs  Dr.Pacha wirkte in Siebenbürgen die des Kronstädter Stadtpfarrers Dr. Konrad Möckel, der zusammen mit acht Jugendlichen in einer Gruppe von zwanzig Angeklagten zu lebenslänglich verurteilt wurde (1958). Erwähnt seien ebenso die zwei nordsiebenbürgischen  Prozesse der Reener- und der Deutschzeplinger-Gruppe – Hans Kirschlager: 25 Jahre. Auch noch während der ersten 1960-er Jahre kam es zu Prozessen, die mit Schrecken erregenden Strafen endeten. Auf jedes Recht verhöhnenden „juristischen“ Elementen aufbauend, hatten ihre Urteile den Zweck, prophylaktisch Angst zu verbreiten, um Unruhen im Land gar nicht erst aufkommen zu lassen – Ausdruck der Angst, von der das Regime selber umgetrieben war, auch unter Gheorghiu-Dejs  Nachfolger Ceauṣescu  (seit 1965), der weniger Prozesse machen, aber Regimegegner kurzerhand verschwinden  oder zu Tode prügeln ließ, wie z.B. den Sathmardeutschen Georg Horn, der 1987 vor der deutschen Botschaft in Bukarest von Securisten erschlagen wurde, den Banater Schwaben Roland Kirsch, den 1989 in der eignen Wohnung das gleiche Schicksal erlitt.
Die Zahl der Deutschen in Rumänien, die als Informelle Mitarbeiter  oder gar Kollaborateure der Securitate Dienste leistete, wird niemals ermittelt werden können. Sie liegt, wie die seit wenigen Jahren mögliche Akteneinsichtnahme im Bukarester Archiv C.N.C.S.A. vermuten lässt, höher als bisher angenommen.

 „Gedenkstätte Sighet“

Die Karte des Internierungssystems Rumäniens wurde in dem von der Bürger-Akademie für die rumänische Ausgabe des „Schwarzbuch des Kommunismus“ erarbeiteten Addendum veröffentlicht. Sie zeigt 240 Haftanstalten, davon 44 Gefängnisse, 61 Untersuchungs-, Depot- und Verbannungs-Niederlassungen, 72 Zwangsarbeitslager, 63 Deportations- und Zwangsaufenthaltszentren, 10 psychiatrische Niederlassungen für politische Häftlinge. Auf derselben Karte finden sich 93 Hinrichtungs- und Erschießungs-Standorte, dazu Kampfplätze mit Toten  aus bewaffneten Konflikten mit der Securitate, wahrscheinliche Massengräber. Rechnen wir zu dieser rabenschwarzen Geografie mehr als 100 Bezirks- und Kreis-Niederlassungen hinzu, an denen die Securitate Verhöre durchführte, kommen wir auf fast 450 Haft- und Unterdrückungsstellen. Auf der übersichtlichen Wand der Eingangshalle zur Gedenkstätte in Sighet ausgehängt, stellte die Karte des Jahres 1998 lediglich eine reduzierte Veranschaulichung der Lage dar, sie hätte um noch einmal 20 Markierungen bereichert werden können, wie aus Mitteilungen mündlich überlieferter Geschichte, aus Ergänzungen durch Besucher der Gedenkstätte und Nachforschungen hervorgeht, die seither im Rahmen des Arbeitsprogramms „Zählung der Inhaftierten 1945-1989“  des I.Z.S.K. angestellt wurden.
Auf diesem Weg stellte sich uns auch die Frage der Anzahl der Menschen, die diesen ausgedehnten Raum der Internierungen bevölkerten. Bisher bewegten sich die Annahmen in Grauzonen; die einen veranschlagten höhere, die anderen niedrigere Zahlen, andere wieder enthielten sich und verwiesen auf diese oder jene Quelle, so dass sich schließlich alle im Kreis bewegten. Ein Hindernis war auch durch den Wunsch gegeben, auf keinen Fall gemeinrechtlich Verurteilte mit politisch Verurteilten zu vermischen – eine Trennung, die wir sorgfältig bedachten. Es stimmt, dass für einige der Inhaftierten  gemeinrechtliche plus politische Haftbedingungen galten, so wie viele politische Häftlinge als gemeinrechtliche getarnt wurden, die als „Saboteure“ festgenommenen Bauern der 1950-er oder Dissidenten der 1980-er Jahre; die Unterscheidung erfordert Vorsicht.
Tatsache ist, dass bisher keine erschöpfenden Erhebungen gemacht wurden und in näherer Zukunft vermutlich auch nicht gemacht werden können. Die Gründe dafür sind der schwierige Zugang  zu den amtlichen Dokumenten, die Lagerung der Akten in verschiedenen Archiven, die nicht durchgeführte Erfassung vieler von ihnen, die Widersprüchlichkeit bisheriger Darstellungen, die erheblichen Vernichtungen von Unterlagen, deren Verschwinden – all dies sind Unterlassungen, auf die sämtliche Kommissionen oder Arbeitsgruppen hinwiesen, die sich der Analyse des Unterdrückungsphänomens in Rumänien widmeten oder widmen, und zwar sowohl in den Jahren der Zeitspannen 1952-1953, 1955, 1967-1968 als auch zum gegenwärtigen Zeitpunkt, wie sich anlässlich des Berichtes der Präsidial-Kommission für die Untersuchung der Kommunistischen Diktatur in Rumänien von Juni – Dezember 2006 herausstellte.
Der Beginn der Zählung der Internierten 1945 – 1989 liegt in den Jahren 1994 -1997, als die Grundlagen für die Datensammlung der Gedenkstätte Sighet gelegt wurden. In Ermangelung des Zugangs zu den Archiven wurden zunächst Tausende von Tonbandaufnahmen mündlich überlieferter Geschichte gemacht, inventarisiert und technisch bearbeitet – von den wichtigsten wurden Kopien in der Hoover Institution in Stanford, Kalifornien, hinterlegt. Um die Informationsquellen zu ergänzen, wendeten sich die Initiatoren mit Presseaufrufen an die ehemaligen  Häftlinge, bzw. Verschleppten und deren Familien, zogen die memorialistische Literatur heran, verfolgten die Nachrufe in Zeitungen und Ähnliches mehr. Als ergiebigste Quelle jedoch stellten sich die zehn von der Gedenkstätte Sighet durchgeführten Symposien heraus, an denen über 800 Forscher und Betroffene teilnahmen; daraus entstand die Buchreihe „Die Sighet-Annalen“ mit rund 18.500 Druckseiten, auf denen die Periode 1945 -1989 aufgezeichnet und analysiert wird: als Ereignis- Institutions- und Mentalitätsgeschichte. Aufgenommen wurden ausschließlich mindestens von zwei unterschiedlichen Quellen abgedeckte Tatsachenberichte, Namens- und Ortsbenennungen, um dem Material  wissenschaftlich unwiderlegbaren Aussagewert zu sichern.









                         ICH MUSS MEINE ERINNERUNGEN KORRIGIEREN













DIE VERKEHRTE WELT IN DER WIR LEBEN
           Gesteigert noch durch den Securitate- und Nazisumpf
                        Vergangenheiten, die nicht vergehen

Wer sich mit der sogenannten „Öffentlichkeit“ einlässt, mit den Medien, der Presse, und meint, auf diese Weise Recht und Gerechtigkeit zu finden, Wahrheit und Wahrhaftigkeit in einer Welt von Rachsucht und Lüge, Ellenbogentechnik und Machtkämpfen herzustellen versucht, Lügen oder gar Rufmord entgegenzuwirken versucht,  ist sehr blauäugig. In der Welt der Literatur nicht weniger als in jener der Politik. Vor kurzem las ich einen erhellenden Artikel in der „Südddeutschen“ (8.12.2010), wo die Rolle der Rache bei wichtigen deutschen Politkern untersucht wurde; der Schlamm, der da hochkam, ist erschreckend.
  Aber die Sache ist alt und ist bekannt. Karl Kraus hat in „Literatur und Lüge“, den Begriff „Journaille“ geprägt für Unlauterkeit, Verantwortungslosigkeit und Demagogie in der Presse und mit Hilfe der Presse. Man weiß, mit Meinungsmache, Gerüchten und Lügen, noch schlimmer, Halbwahrheiten und Verdrehung von Tatsachen, kann eine Hexenjagd gestartet werden, die schon Menschen in den Tod getrieben hat. Wenn nun diese Beziehungshölle gar auf keiner „normalen“ Politik oder Literatur beruht, sondern im Trüben von Geheimdienstpraktiken und ihren Intrigen entsteht, ist der erreichte Wahnsinnseffekt ins Ungemessene noch gesteigert und doppelt gesteigert durch die Unkenntnis der manipulierten Öffentlichkeit und der Leser, die von diesem infernalen Untergrund keine Ahnung haben.

Auch wenn die gegenwärtige Securitate-Diskussion noch nicht dieses Ausmaß erreicht hat, muss sie gleichwohl in diesem Rahmen gesehen werden.

Erstaunlich finde ich etwa, dass mein Artikel  „Schule der Schizophrenie“ ( FAZ-Feuilleton vom 16. November 2010),  wo ich durch einen anfangs  aus Fairness verfassten Verteidigungsartikel zum Fall des IM-Oskar- Pastior, nach Studium meiner Akte und Entdeckung des Ausmaßes einer historischen Schuld Pastiors, zur Korrektur gezwungen war; dass diese Entlarvung eines IM, - ich fand gefährliche Spitzelberichte  des ehemaligen Freundes Pastior, in meiner Bukarester Akte, so einen Wirbel, vor allem auch gegen mich, eine Verdrehung von vielen Tatsachen, ausgelöst hat, wundert mich nicht mehr!

 Denn ich hatte ja nach Einsicht in meine Akte in Bukarest über den auf mich von der Securitate angesetzten ehemaligen Freund und IM „Stein Otto“, Oskar Pastior, als Opfer dieses Spitzels berichtet, und aus meiner Securitate-Opferakte zitiert.  Und nun wird nicht der Täter, sondern  sein Opfer angegriffen, als müsste dieses sich für die Entlarvung  rechtfertigen! Immer wieder wird dabei der Fall des Pastior-Freundes Georg Hoprich, den möglicherweise „Stein Otto“ auch bespitzelt hat, als Argument zitiert. Es scheint so, als wollten diese Kommentatoren von der Hauptschuld Pastiors,   ablenken, alles auf  ein Nebengleis schieben. Mir, dem „Stein Otto“-Opfer, das als „Staatsfeind“ und Widerständler damals in den sechziger Jahren, als Pastior Zuträger der Securitate war, drohte auch wegen seiner Aussagen Gefängnis.

Hier „Lemnaru“ (Denndörfer?) , der über Paul Schuster und über mich dann als Hoprich-Freund berichtet, ich, der ich möglicherweise  Texte von Hoprich verwahre, da ich Kontakte zu ihm hatte und ihn in der „Neue Literatur“ veröffentlichen wollte.


Schlimmer also noch, dieser Dieter Schlesak, ehemaliger „Staatsfeind“ des roten Regimes, der  von der Securitate-Paranoia, ich war damals Redakteur der Zeitschrift „Neue Literatur“,  als Umstürzler geführt wurde,  sollte, so heisst es im obigen Bericht, Beziehungen zu nationalistischen Kreisen, die sich an diversen Orten trafen und feindliche Diskussionen führten! - bekam es mit einem anderen Spitzel der Securitate „Moga“ und „Marin“ ( Claus Stephani)zu tun, der damals als Redakteur der gleichen Zeitschrift,  Zuträger und Securitate-Ohr bei der Zeitschrift war, und  werde heute von ihm attackiert und verleumdet.

Es war damals ein gefährliches Leben  für alle, auch weil es diese Agenten gab, die die Securitate-Paranoia oft auch in eignem, ja, Karriereinteresse, schürten.  Der Geheimdienst führte mich, wie aus meiner Akte jetzt hervorgeht, und dieses lässt mich in der Rückschau  erzittern,  als angeblichen Anführer einer Gruppe von jungen Poeten, die den Umsturz planten, führte mich also  als einen   Umstürzler und Westagenten, weil ich kleine Gesten des Widerstandes, vor allem auch die „feindliche Ideologie“ der Moderne, der modernen Poesie   in der Literatur propagierte.

Dabei lebte ich  „privat“ ein ruhiges Leben mit meiner Frau Magdalena, äußerst kleinbürgerlich unpolitisch.  Und wenn ich jetzt meine damaligen Notizen und Tagebücher, auch die meiner Ex-Frau ansehe, lebten wir im privaten Nischen Kleinfamilienleben und die sechziger Jahre waren eher idyllisch nach außen, der Abgrund Securitate immer dabei. Ganz anders als die Autoren in der ehemaligen DDR oder wie in Ungarn, wie jetzt auf 1700 Seiten Peter Nadas  berichtet. Eigentlich recht harmlos im Verhältnis zum Securitatetaat Rumänien.

Meine eigentliche Schuld liegt anderswo, liegt im „Privaten“:  wie liebesleer und lieblos war ich. Und in meinem Tagebuch  von damals kommt andauernd die Leier von der Liebesungfähigkeit. Es stimmt. Wenn ich dieses so traurige Tagebuch von Magdalena lese, ihre trostlosen Tage mit der großen Sehnsucht. Sie dann auch Anfälle hatte, sich am Boden wälzte wie irr, weil ihr Leben mit mir so sinnlos liebesleer war. Und ich nur diesen blöden Refrain kannte: „Fă bine, fă bine“, machs gut, machs gut.
Es gehört sicher zu meiner Lebensschuld, ihre Jugend zerstört zu haben. Auch indem  ich andere Affairen suchte. 

Aber im Politischen hatte ich damals Widerstand geleistet,  versucht, in Metaphern verpackt, gefährliche Wahrheiten über das Regime an den Leser  zu bringen, und meine Mitarbeiter ebenfalls dazu anzuleiten. Mehrere Kollegen, die  Agenten waren, ich hatte keine Ahnung davon,  darunter „Stein Otto“ (Pastior), aber auch „Leopold“ (Alfred Kittner), viele  Freunde von mir,  nährten in Spitzelberichten diesen absurden Geheimdienstverdacht, ich sei „Staatsfeind“ und Umstürzler.

Ich war in einem dichten Beobachtungsnetz von „Freunden“ gefangen, lebte wie der Reiter über den Bodensee meinen harmlosen Alltag. Wenn ich das damals gewusst hätte, wie gefährlich ich lebte, hätte ich  meinen Alltag nicht mehr bestreiten können!  Aber abgesehen von mir, alle  diese „Kollegen“ (Pastior „Stein“, Kittner „Ludwig“, Stephani  „Moga“, ein „Walter“ (Dieter Roth), eine „Tatiana“ (Anna Bretz)  und Dutzende andere, die Klarnamen sind mir noch lange nicht alle bekannt! machten sich einer  zerstörerischen, ja, historischen Diversion  schuldig,  und das ist im Falle Oskar Pastior besonders schlimm, ja, abgrundtief absurd, denn jene sechziger Jahre  waren, gerade weil sie aus der Hölle kamen, sprachlich die Geburtsstunde der modernen rumäniendeutschen Literatur, die viel später durch jenen, damals durch Todesängste gewachsenen  raffinierten und neuen Stil, der in jener Hölle entstanden war, einmalige Sprachstimmung in der gesamten deutschen Literatur schuf,  mit Herta Müller zum Nobelpreis führte! Und die damalige „Neue Literatur“, vor allem ihre Lyrik schuf unter großen Gefahren, die ja den  besonderen Stil mit seinen besonderen Metaphern hervorbrachte, den Grund und Beginn dazu. Und ich setzte damals Kopf und Kragen aufs Spiel.

  Der damalige Spitzel „Moga“ und „Marin“ hat nun aus Rache, weil ich ihn in meinem FAZ-Artikel vom 16.11.2010 enttarnt hatte, versucht, in einem langen Selbstbezichtigungschrieb  ebenfalls in der FAZ,  ausgerechnet mich, aber auch Herta Müller, „gleichzuschalten“ und zu „Gesinnungsgenossen“  zu machen, und bei mir eine „Vorlaufakte“, die man auch „Drohakte“ nennen kann, zu einer „umfangreichen Täterakte“ umgedichtet.  Wieder der  absurde und unglaubliche Tenor: Die Opfer sollen zu Tätern gemacht werden, die Täter zu Opfern?

Aber es kommt noch besser, der berüchtigste   Neonazi der Rumäniendeutschen, Gerd Zikeli, ehemaliger Mitarbeiter von Remer (der schlug den Aufstand vom 20. Juli nieder), rechtsradikaler Hetzer und Auschwitzleugner mit Einreiseverbot in die Schweiz und nach Österreich, benutzt die Gelegenheit, auf die er wohl lange gewartet hat, mich heftig anzugreifen; kein Wunder, da ich ein weltweit erfolgreiches Anklage-Buch über den siebenbürgischen Auschwitzapotheker Capesius veröffentlicht habe; er griff mich  in einem FAZ-Leserbrief  (3.12.2010) als „Linken“  an  und  versuchte mich, den von der Securitate Verfolgten, zum „Kommunisten“ zu machen.

Rache, überall nur Rache und Intrigen, Verfälschungen von Tatsachen, Verleumdungen und Lügenmärchen zuhauf. Das Modell der „Journaille“ und „Beziehungshölle“  stimmt genau, ein Schlamm und Sumpf,  vor dem es einen nur ekeln kann!

Die Frage aber bleibt: Sollen sich die Opfer, die in den sechziger Jahren verfolgt wurden und die jetzt „Stein Otto“ und andere als IM entlarvt haben, nun etwa rechtfertigen müssen, die Täter aber (in meinem Falle waren auf mich sechs „angesetzt“, darunter „Stein Otto“, doch im Ganzen vielleicht vierzig) einfach vergessen werden?



                              MEINE FREUNDE, LAUTER SPITZEL.


Und auf einem Flug, nun 2010 von Pisa, zu meinen Securitateakten erinnerte ich mich an einen ganz anderen Flug, einen von 1968 „in die Freiheit“ mit dem größten rumänischen Spitzel Ion Caraion,  der literarisch ausgefeilte und bis ins Intime gehende Detailberichte für die Securitate verfasst hatte. Er war der wichtigste Agent im rumänischen Schriftstellerambiente.
 Caraion ging in seinen  psycho-literarischen „Portraits“ so weit, dass ein höherer  Geheimdienstoffizier an den Rand schrieb, „wozu nützt uns das und schämt sich der IM denn für seine Aussagen nicht“, da er etwa von seinem langjährigen Freund, dem bekanntesten Romancier Marin Preda schrieb, er habe ,mit der Lyrikerin Nina Cassian (einer Jugendfreundin Celans) „auf dem Fußboden gevögelt“.
Caraion freilich, anfangs Kommunist, war 11 Jahre in den Kellern der Securitate gewesen, und sogar einmal zum Tode verurteilt wordem. So dass man, wie etwa auch beim großen Philosophen Constantin Noica ihre angstvolle Mitarbeit verstehen und vergeben kann, wenn auch nicht das wahnwitzige Ausmaß der Freiwilligkeit und Initiative, Caraion hat sogar von sich aus den Kontakt mit der Securitate aufgenommen.

 Ion Caraion, Autorenfreund - ja, war er es wirklich oder gehörte das mit zur Irrealität jener Zeit?-  Mit diesem Superspitzel, von dem ich erst nach seinem Tod in der Schweiz erfuhr, dass er der talentierteste, ja genialste Autoren-IM gewesen war, der auch mich ausgehorcht und Porträts über mich geschrieben hatte, fuhr ich „in die Freiheit“. Ausgerechnet mit ihm zusammen machte ich meine erste Westreise, an ihn war mein größter Kulturschock, den ich nie vergessen werde, gebunden.

Der wichtigste Spitzel mit vielen Berichten war „Silviu“, mein jüdischer Universitätslehrer Heinz Stănescu (Rottenberg oder Rothenberg in Wien geboren), der eine unglaubliche Offizierskarriere und Geheimdienstkarriere hinter sich hat, schon seit 1949.:
Stănescu, stalinistischer Literaturkritiker und Beobachter,  war auf mich schon zur Zeit meines Unistudiums angesetzt, als Traian und Silviu hat er berichtet.                                 

Einige andere Spitzel, so  „Walter“, Dieter Roth Wir kennen Dieter Roth “nur” als Feuilletonchef der „Rhein-Neckar-Zeitung“. Jedoch gehörte er in den 1960er und 1970er Jahren zu den einflussreichsten Literaten im rumäniendeutschen Literaturbetrieb. Er arbeitete nach dem Abitur 1954 als Reporter und Redakteur bei der deutschen Tageszeitung „Neuer Weg“ in Bukarest und studierte 1956-1961 gleichzeitig Germanistik an der dortigen Universität. Nachdem er rund ein Jahrzehnt (1954-1965) als Journalist tätig gewesen war, wirkte er bis zu seiner Aussiedlung im Jahre 1978 als Verlagslektor, zunächst im Jugendverlag (1965-1969) und seit 1969 im Minderheitenverlag Kriterion, dessen deutsches Lektorat er neun Jahre leitete. Nach seiner Aussiedlung kehrte Roth – nach einer Zwischenstation als Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Stadtarchiv Mannheim und im Schiller-Nationalmuseum Marbach – zum Journalistenberuf zurück. 1981 wurde er nach Emil Belzner und Edwin Kuntz dritter Feuilletonchef der 1945 gegründeten „Rhein-Neckar-Zeitung“ (RNZ) in Heidelberg, deren Kulturressort er zwanzig Jahre lang bis zu seiner Pensionierung 2001 leitete. Roth lebt als Rentner und freischaffender Journalist in Eppelheim bei Heidelberg.    

Einige andere Spitzel, so „Tatiana“ Anna Bretz Anna Bretz, geboren in Großprobstdorf bei Mediasch,  schreibt seit einigen Jahren Gedichte. In ihren Gedichten beschreibt sie vor allem Erinnerungen und Erlebnisse aus ihrer siebenbürgischen Heimat. Mit Begeisterung trägt sie ihre Gedichte bei verschiedenen Zusammenkünften und kleinen Veranstaltungen vor und findet damit viel Anklang, vor allem bei Landsleuten. Von ihrer Secutätigkeit freilich kein Wort.

In meinem Dossier taucht „Tatiana“ einmal auch mit Klarnamen: Anna Bretz, samt ihrer Zeitschrift „Volk und Kultur“ auf,. Sie hat mich auch schon an der Uni bespitzelt. Doch in meinem Tagebuch und den Zeitfeldern  1956- 1974 gibt es wenig ergiebige Texte. Ich war damals sehr egoman und mit Stimmungen beschäftigt. Die Securitate kommt merkwürdigerweise kaum vor. Dazu kam diese zu private, monomane Beziehung mit meiner Exfrau Magdalena (Ly).

Vom Anfang bei der „Neue Literatur“ allerdings gibt es eine Szene in meinem Tagebuch, die vieles meiner damaligen Situation erklärt:
„Mein wunder Punkt. Nun verstehe ich die Zusammenhänge besser… Einen langen Atem brauche ich. Muss in das vertrauen, was ich sagen will; dort in den Räumen eines alten Bojarenhauses, wo die Redaktion untergebracht ist habe ich viel Stress erlebt. Das Haus widersprach unserer damaligen Lage: ein Haus mit Spiegeln und Schnörkeln an den Türen, Stuck und Marmortreppe. Wenn mich jemand fragt, es war nicht unmittelbar spürbar, die Atmosphäre war kollegial und nett. Auch die „Genossen“ menschlich hilfsbereit, aber es gab etwas zwischen uns, es gab Härte und Schärfe. Eine Art unbarmherziges Aufnahmeverfahren. Ich wurde „geprüft“. Es hing mit dem zusammen, was nie ausgesprochen wurde. Einmal allerdings sprach es Maria Hromadka, die Sekretärin und Parteigenossin, aus. Es war an einem Tag, als ich mich grundsätzlich gegen eine Zensur-Entscheidung  gewandt hatte. Maria, die leicht Aufbrausende, cholerisch gestimmte, stand vor dem grünen Giftschrank und  sah mich missbilligend an; ihr schmaler Mund verzog sich, und sie sagte heftig und fast schreiend: „Du hast dich in unserem Vertrauen etwas hinaufgearbeitet, wärst bald so  weit gewesen, mutwillig stellst du nun alles wieder in Frage….“ Ich war ja nicht einer der „ihren“, ich war hier ja schon immer einer mit schlechtem Gewissen (die „Herkunft“). Man merkte es mir es vielleicht auch an. Ich konnte nicht an die Idee, gar an die Realität im Lande „ glauben“. Und nun? Hatte ich ihr Misstrauen nicht bestätigt?
Mein Versuch, mich als „totalitäre Seele“ (T.S. oder auch T. daraus entstand später „Terplan“) zu analysieren, denn die Disposition hatte ich, stand am Anfang: Ich fühlte mich als  ein Bürokrat. Auch Bürokrat der Gefühle, der Seele. Es war eine Wahrnehmungsverweigerung. Und dazu gehört dann die dümmliche Anpassung aus Schwäche. Aus totalitärer Isolierung und Hilflosigkeit. Hier ein Zitat aus den damaligen Tagebüchern:
„Magerkeit der Gefühle, ja des Gegenwartsbewusstsein“ nannte ich es. „Gepackt und gewürgt, der Körper in Schweiß gebadet, kalte Stirn, dünner werdende Haut, entzündete Augen: Schlaflosigkeit, Kopfschmerzen. Die Leute sagen: Er ist krank. Da klafft es, da ist eine Lücke, da sieht man ins Nichts, es steht nichts mehr davor; klein, winzig, immer winziger werdend,  weiche Umrisse am Rand: Der Kopf. 
War das in jenem Zimmer, als ich von zu Hause geflohen war, ein Zimmer in der Nähe des Schlachthofes. Hochsommer. Juli. Der Kopf dröhnt. Alle zehn Minuten ins Badezimmer. Halb eins. Das Bett zerwühlt, die Haut klebrig; niesen vor Hitze. Draußen klingt fast angenehm der helle Ton der Gefängnis- Turmuhr. Und hie und da hölzern die Toaca.  Das lassen wir durch,  das ist aufschreibbar. Doch es wäre ja nun endlich Zeit einzuschlafen, die Leute drüben im Nebenzimmer sind schon lange ruhig, das Ehepaar das immer streitet, die fünf Kinder. Sollte der Mann nach Hause gekommen sein? Unmöglich jetzt hier das Schlafen zu zweit. Ich werde das Fenster öffnen. Seltsam kühl ist draußen die Luft.  Es hat geregnet. Wenn nur dieser Gestank vom Schlachthof nicht wäre. Doch vor dem Einschlafen muss ich das Fenster schließen, sonst tut mir am Morgen dann der Rücken und der Hals weh. Dieses verteufelte Unbehagen. Das verschleimte Kratzen im Kehlkopf. Hoffentlich habe ich keinen Krebs. Doch so lange dauert es ja nicht, bis der ausbricht. Seit zwei Jahren immer dieser leise Schmerz. Habe ich Angst? Zu oft greife ich mir in letzter Zeit an den Kehlkopf. Ich werde das Fenster schließen. Der Zug ist zwar angenehm kühl, doch schon wieder spüre ich den Drang zu nießen. Jetzt aber Schluss. Nun endlich schlafen. So, jetzt dehne ich einmal den Fuß und das Bein. 
Auf der linken Seite konnte ich immer besser einschlafen. Teufel, wenn dieses Feldbett nur nicht so leicht wäre. Man hat andauernd Angst, es klappt zusammen. Doch wenigstens fühlt sich das Aluminium schön kühl an. Wie die Augen schmerzen. Und dieser elende Kopf. Dieses Marterbett. Und immer die Hand am Hals! Gefühl eines Erhängten. Wieso überkommt mich auf dem Balkon immer dieser Drang hinab zu springen!? Doch jetzt Schluss! Schweiß abwaschen und schlafen! Licht an! Es ist heiß im Bad. Das Wasser aber gut kühl. Merkwürdig hier – im fünften Stock. Fort mit der schmerzenden Trockenheit. Für einen Augenblick Frische. Schaumbad! Meer! Weite?  Neugeburt im Waschraum und Klo? Jetzt abtrocknen. Schade. Wellenbewegungen. Rauschen. Die werden ja im Nebenzimmer hoffentlich nicht aufwachen! Schlafen sowieso wie Tote.
Mein Gesicht im Spiegel. Angehaucht vom heißen Wasser. Abgemagert. Asketisch. Bart und Bartstoppeln fast unheimlich. Die Augen müde.  Diese Öde.
Diese Dana (meine Affaire) ist auch eine Sandfigur. Dieses Zusammenliegen von Akreolinbergen, Fleisch, Haut und Haar. Alles, alles, mein Gott, alles ist nur außen, das große Außen der riesigen Sandberge… Abwesenheit, Magerkeit. Mein Gesicht ist heute nicht mehr mitgekommen; nichts mehr ist verdeckt. Die Luft ist raus aus dem Balg.  Ekel. Überdruss. Daher diese scheußliche Leere. Missmut nach dieser Fleischsonate. Es hat mich wieder gepackt … die kalte Stirn, die kalte Stirn, der Schweiß,  die Kopfschmerzen. Die Leute sagen: Er ist krank. Ja, krank. Denn umsonst habe ich mich um Wirklichkeit bemüht! Das Gesicht verschiebt sich immer wieder. Und, Teufel, wenn ich genauer hinsehe, klafft an einer Seite eine Lücke, da sieht man ins Nichts. Dort winzig, weich, die Umrisse am Rand, mein Kopf.
Den ganzen Tag – keine Zeit. Dafür jetzt dieser Zustand als Strafe? Langeweile und Schlaflosigkeit. Langeweile Leben, Abfluss. ES, das Unbewusste, zwingt mich dazu. Ich kann mich nicht entziehen. Unwirklichkeit kommt heran, jetzt bei verschobenem Gesicht. In der Nacht, einer Fastnacht der Gefühls-Magerkeit.  Die Zeit als Vorläufigkeit. Aus? Dachte jetzt: Schlaf endlich, T., ruh  dich aus!, morgen werden wir dann weitersehn. Mach jetzt das Licht aus! Langsam und leise die Balkontür schließen! Diese blödsinnigen Türen!
Gut wäre es, alles in einem zu tun! Anstatt das immer eines nach dem anderen heran gekrochen kommt! Grauenhaft, wie viel da auf mich wartet!


ZU meinen IM´s gehört auch die Mutter von Ingmar Brantsch, Deckname „Barbu Elena“.
Und dann gab es den sogenannten „filaj“ filzen? Zehn Tage wurden festgesetzt, Stunde für Stunde sollte ich beobachtet werden, um festzustellen, welchen „feindlichen Tätigkeiten“ und „Begegnungen“ ich nachging.






          MEINE SECURITATE AKTEN                     
      AUTOBIOGRAPHISCHES. Unser aller Ich war aus Angst der Securitate hörig
                                    DAS TRAUMA SITZT TIEF


Es lässt sich nie mehr vergessen. Wer es erfahren hat, ist für sein Leben gezeichnet. Mit L. sprach ich über die Notwendigkeit, als einer der letzten Augenzeugen meine Erfahrungen aufzuschreiben. Auch die Psychologie der damaligen Zeit. Wobei eine der schlimmsten Zeitepochen des 20. Jahrhunderts ganz nah und dokumentiert beschrieben wird.  Die Securitate war einer der grausamten Geheimdienste im roten Osten. Ich hatte die Akten nach meiner Reise nun vom CNSAS erhalten, und durch dieses Dossier der harten Fakten, die tief in mein Leben , meine Jugend hineinreichen, verändert sich nachträglich meine Erinnerung, also auch der Gesamtzusammenhang meines Lebens. Und ich träume viel. Hier einige dieser Träume:
Nachts 4./5.Dezember 2011. Ich träumte von Wolfgang Hilbig. Er sagte: Du bist einer der letzten Zeugen. Du musst das aufschreiben.  Stasi. Secu.Sec., sagte jemand auf einem Messeempfang. Ich hatte ein erfolgreiches Buch „Keuder“ im Keuder Verlag veröffentlicht. Eine Lektorin begleitete mich, wollte das nächste Buch absprechen. Das sollte „Litfasssäule und Ich“ heißen. Die drei S  irritierten, dazu kam noch, dass es in der Kleinstadt S. handeln sollte. Und es sollte in einem „Eigenstil“ in assoziativer Sprache geschrieben werden, da die Securitatefurchtbarkeiten sprachlos machen, nicht darstellbar sind. (Mikrimäl Masskik/mal Null. Mal ihn. Kopfig. Kopfig. Folter. Tropfen. Finger Nägel. Und Nagelbrett. Nackt. Ein Mann Zelle. Aufrecht stehn. Beton: 75x75 cm. Tag und Nacht. Dazwischen mal Spitzel. Namen wie „Pastior“ oder „Kittner“.
Mein Konzept schrieb ich auf eine Litfasssäule. Der Chef kam vorbei und war begeistert. Ich hatte ein unglaubliches Lust- und Erfolgsgefühl. Jedenfalls: Das Gegenteil der Securitatesprache, experimentelle Literatur, die die Secu ja überwachen, ja, verhindern sollte. Das überwachte auch der Zuträger Oskar, OP, Stein. Ein Freund. Wie andere Freunde auch. So  der Schaupieler Emmerich Schäffer, mit dem ich mich ahnungslos „bei einem Glas Bier“ traf.
Reiner Sprachabgrund. Und immer wieder kamen die Toten, Hilbig und Pastior. Hilbig selbst wars nicht!  Nun aber Christa Wolf? Die alle sich verteidigen wollten. Außer Hilbig. Der nahms als Literathure. Lit fass mich die Säule zur Zeile. Und eine Säule. Mach mich offen. Öffentlich. Wie dieser Sturm ums Haus jetzt wütet. Es ist ja schon Dezember. Und ich bin alt. So alt wie dieses Wetter. Dazu noch zukunfts Los. Wie schön. Nur nicht die Alte, die Geheime, sie gibt mir nach ihrem stillen Tod dies neue Buch? Und ihre Akten wehn/ Papier in mich, so schön und dreckig. Ja, weil ich ein Ich: es bin, Ich selbst, das sich mit Dreck beworfen. Wortkünstler auch bei „Ihnen“? Und sich verfolgt bis in den Tod. Nichts lassen kann.
Was wird’s, mein Freund, fragt die Lektorin. Wirst du die alte Dreckschleuder nie Los? Erfindest sie mit wahren Lügen. Sie mit ihren Lügen tödlich neu? Im Staats Dienst… Deine Staatswut und Gewissensarbeit daran, was du sahst, war dir doch nie geheuer!? Lang nach dem Tod der Säue. Fass. Harry, du mein Wolfs- und Polizei- Hund. Der mich den Bürger und Bourgeois  blutig beißen sollte? Der „Feind“ in mir. Glaub ich daran? Ein großes Nein sagt Ja.
Wird’s nun ein Buch. Spät der Erfolg. So die Lektorin. Sie kam mit einem Häppchen,  sagte: „Gekippte Litfasssäule“ mit drei S. Doch sieh: Ich glaube nicht daran. Ring ich dem Tod noch etwas ab, so spät? Mir und dem vergangenen Leben, nun als Zeuge? Den Freundes-Spitzeln, dem Verrat. Und denk an  Margret Boveri: Der Verrat im zwanzigsten Jahrhundert. Hat mich der Traum nun zum Traumerzählten des Unmöglichen gemacht? So spät? Doch für das Unglück und das Glück ists nie zu spät. Steh auf und geh. Und draußen heult der Wind.
Warum muss ich bei jedem Wort an ihn, Freund Wolfgang Hilbig denken? Führt er mir jetzt die Feder? Sprech ich mit ihm? Ist er denn da? Ein Fragezeichen? Er will, ich soll dies Buch noch schreiben. H: Jetzt bist du hier das Ich. Und auch OP ist da. Oh, Freunde, muss man tot sein, um zu wissen?
H: Was, schon wieder Stasi und dazu die Secu, wie ihrs nennt. Ich: Ja, so viele Iche es gibt, so viele SecuriTaten gibt es. Und Securisten auch/ dies Schreckenswort mit seinem Angstklang tief in dir!
Wichtig für mich, was ich „damals“ oder auch ein paar Jahre danach geschrieben habe. Etwa in „So nah, so fremd“: Es ist das, was jeder Staat fürchtet, das Un­vorherge­sehene,  das schöpferische Element im Leben, auf das der Securi­tatestaat fron­tal zuging, bis in die schlam­migsten Seelenabgründe. Und dann doch daran scheiterte. Letztlich ist es das Ungewusste im Tod, dem keine Ideologie beikommt. Mir fällt dazu  ein eigenes  Antisecuritate-Gedicht ein:
"AUF DER GRENZE GEHEN IST VERDÄCHTIG! Doch lieb ich mir euren Verdacht, er/ bestätigt mir stets/ die Nützlichkeit meiner Ver­gehen./ Wie ist es doch anrüchig, nimmer gesehen zu werden,/ wie weckt ein sicheres Versteck/ das Große Misstrauen: / wenn man über eure Köpfe hinweg/ schweigt.// Ich weiß:/ jede Nacht ist ein Verbrechen, jedes Herz ein Überläufer, / und der Tod ist mein Freund,/ vor dem ihr, missmutig zwar, doch endlich/ den Hut zieht!" (1968).

Doch letzten Endes konnte man sich kaum verstecken; keiner entging ihnen. Mein Bruder wurde genau so verhört, wie meine Schwester, meine Schwägerin oder mein Vater, bei dem sie Gold suchten; er habe es unter dem Apfelbaum vergraben, behaupteten SIE. SIE holten ihn nachts. Er kam in das kahle Zimmer. Gründe?  Jeder aus andern Gründen. SIE waren froh, wenn sie welche fanden. Bei meinem Bruder war es der Ausreisean­trag, bei meiner Schwe­ster Geld, das angeblich in ihrem Betrieb ver­schwunden war. Sabotage. Bei mir waren es  Satire-Manus­kripte eines verhafteten und für Jahre ver­schwundenen Schriftstel­ler-Kollegen, die ich versteckt haben sollte. Bei einer Freundin und  Kollegin, deren Freund der Verhaftete gewesen war,  in ihrer Wohnung hatte er mir seine Satiren gezeigt, und ich hatte ihm angeboten, zu versuchen, einige davon in unse­rer Zeitschrift zu veröffent­lichen. Vor dem brisantesten Text erschrak ich selbst, da es lauter kaum getarnte Karikaturen des Diktators waren. Schon am nächsten Morgen war Mircea verschwunden, er blieb es 8 Jahre lang. Ich wurde einige Tage später ebenfalls geholt. Doch wieder freigelassen. (In meinem Roman "Vaterlandstage" habe ich die Szenen mit der Securitate und meinem "Schatten" Jordan ausführlich geschildert , S. 97-102; 394-408 ; dieses Trauma  lässt sich nicht vergessen, es begleitet uns lebenslang.)
 Sieben Jahre schwebte diese Anklage wie ein Damoklesschwert über mir, Jürgen  Fuchs sagt, es habe eine halbe Million Spitzel in der DDR gegeben, doch genau so viele hätten Nein gesagt, und das lasse ei­nen ostdeutschen Reststolz zu. Im Securi­tate-Land aber sollen es 2-3 Millionen gewesen sein. Der Widerstand war er­heblich geringer. Und ich sehe die schwitzenden, grinsenden Gesichter, die diese Unapetittlichkeit ausstrahlen, auch  heute vor mir. Was ist mit ihnen ge­schehen? Nichts. Einige der ehemaligen "Kollegen" leben schön im We­sten, sie müssen  weder zu Hause noch hier eine Entdeckung fürchten.  Zwei sind in West­deutschland in Ehren verstorben.


                                                   ANHANG


SECURITATE-GEDICHTE UND ZEITKOMMENTARE AM ENDE



MILDERNDE UMSTÄNDE IM PROZESS
ein riesiges Kollektiv von Toten Vergangenen
vernetzt das Außen:
Ämter Straßen Fluglinien Nachrichten
Systeme sogar das Netz der Banken wo die Masse
anrollt / und Menschen auf rotierendem Erdball
und meine Akte im Schrank
Polizeigewahrsam fürs Hirn und im Geschehen Befragung
Interesse kalt doch mit scharfer Kontur Securitate
tat weh / fahl der Tag / ein Zittern
Ausnahmezustand stob ins Bild das wir sahen.
Doch wehe meine Ewigkeit wird vernachlässigt
und ich werde gnadenlos jenem Summen übergeben
zur Ruhe im Patientenpark oder schreibend am Tisch
ganz allein ausgesetzt auf den Bergen einwärts
im Grünen zu frei.
Die Krankheit leben zu müssen
erreichte mich / erst im Westen
erbsündennah wie ein Totschlag
im Alleinsein wund und ganz da.


Securitate. Betrug mit Macht oder Macht mit Betrug.  Essay Gedicht


1
Was nicht sagbar ist unter der Sonne/was Macht bringt auch unter dem Mond
Und gegen alle Sterne/ die zerschellen würden/ aus ihrer Bahn geworfen
Wider die Natur von ihrem Sein abgewichen:  der Begriff durfte  die Lüge/ nicht  Fassen.

Das Gedicht aber braucht den Beweis nicht/ es ist  wie ein Kind
Beweis.

Ihr aber ihr früheren  Freunde ( hab ihr es in der Hölle gelernt?) ihr „arbeitet“ mit ihr
Nun groß geworden im Fernseh Licht/ Mit aufgerissenen Mäulern (Schweigen wäre  Besser gewesen … menschennah und geerdet), schreit  ihr Erfindungen in eine/ nach   Glaubbarer Lüge
Gierende/ Welt.

Sie aber klatschen euch zu/ völlig verblendet.  Beklatschen in stinkenden Sälen das Kunst Licht.
In den Himmel gehoben, der leer ist ohne Gott : für euch ist er längst gestorben/ zeigt Ihr euch schamlos als  Gottersatz vor/ dem   Publikum , das euch braucht/ die Selbstgemachten   Helden Puppen.

Ein X für ein U/ wenn Gefühle Zähne hätten wärt ihr längst tot / ihr aber
Glaubt daran / Oh wenn ihr nur daran glauben müsstet, das laute Wort
Im Halse/ stecken geblieben /im  tieferen Sein  wärt ihr aber  gerettet.

Und sogar die Engel habt ihr zur Lüge bekehrt. Nicht wissend, was wirklich geschehen War In der Hölle / singen sie halbmündig ahnend / was sie da tun /verführt und betrogen
Flüstern sie  manchem Zuhörer zu: Vorsicht, die Hölle färbt ab! Worüber ihr spracht.

In einer höllischen Zeit habt ihr  die größten Chancen /Chancen wie noch Nie / das wisst Ihr, das nützt ihr Aus/ steigend auf immer höheren Trampolinen, die man euch baut und Baut und baut bis ihr den falschen Himmel erreicht. Sag, Herr der Welt, wann fallen sie Herab und zurück

In die Hölle?  Nie? Sie arbeiten doch damit/ glaubst du sie sind blöde/ Dialektiker von Beruf/ Sie haben es dort gelernt/arbeiten sie doch  genau mit ihrem Fall: der vorgespielten Hölle/ Wie sollen sie dann fallen, mein Freund?

2
Irre ich mich/habt ihr Nichts getan/ nur euer Machtwissen eingesetzt
Intelligent wie der Teufel/ sprühend, genial sag ich/ Aber. Aber sage ich/ wir alle
Die durch die Hölle gingen/ haben ein vollklingendes Instrument/ gereift

In schmerzender Enttäuschung/ mächtig klingend einsetzbar/ für Wahrheit oderLüge.
Die Zuhörer sind/ naiv und offen. Sie wollen das Lied vom Schmerz und vom Standhalten  hören./ Wie leicht ist es doch  Leichtgläubige zu betrügen /und größer als Groß zu werden durch sie.

Größer als groß über Leichen zu gehen/ auf ihnen steigt man doch gut, höher und höher Hinauf./ Geht das gut und ewig/ wenn man mal oben ist/kann man nicht fallen? Wer Merkt es heute schon, dass Lügen doch sonst kurze Beine haben? Aber keiner will es Wissen  wenn alle jubeln.
Wer stört/ der ist doch der Betrüger/ er bringt die Leute um ihr Buchglück/ das sichtbar Geworden War.

Wieder Helden zu haben. Echte, die wirklich gelitten und im Kampf nicht gefallen
Aufgestanden immer wieder mit lauter leicht erzählten Geschichten/ Helden gibt’s doch Heute so selten/ lass sie uns doch/ wir möchten sie nah ganz nahe haben.

So nah fassbar und lesbarer noch mit wirklichen Märchen. Lass sie uns doch: Verschwinde!
Vom Neid/ nicht von des Gedankens Blässe/ angekränkelt: grün und gelb bist du auch Im Vers?
Grünzahn, du, sagt einer / er muss es ja  wissen/ er kennt doch die Leiter zum Aufstieg Zu gut!

Sie wollen nun auch mich als Leiche haben, höher zu steigen, aber wohin noch? Ach, Heilig
Gesprochen zu werden/ heilig, heilig/ die nächste Lesereise geht zum Papst.
Sich anpassen nun/ wie früher an den Zauber der Ideen: damals

Im guten Grund der Securitate.

Aber was wärt ihr, Freunde/ heute:  ohne SIE?
Ihr wärt wie vor ihr ein Nichts und ein Niemand vom Rande.

3
Ich sage jetzt alles/ was sonst/ doch aus Takt/ aus geklammert werden muss.
Was unsagbar ist. Unsäglich bleibt. Und Wirklichkeit wurde.
Habe ich alles falsch gemacht? So ohne kurze Beine und Connection.

Mit der Wahrheit  auf dem Papier/ geduldig. Die kurzen Beine
Gekappt und so auf dem Bauch/ gelandet: auf einem einsamen
Papier Berg in dieser Zeit der Macht als Betrug/ und dem Betrug als Macht?

Oh, Freunde ich bewundere euch: die  Poetik des Marktes Mal war es die 
der Securitate. Der Trommler geht um/ die Ware lacht und glitzert schwarz
begehrlicher Blick in die Hölle. Freunde, das zahlt sich/ ehrlich nun/
AUS.



                                  EIGENE AUFSÄTZE ZUM THEMA


Dieter Schlesak
SECURITATE
Verweigerung und Todesangst
Die zwei Epochen der Securitate, ihre Foltermethoden, ihre Dissidenten und Informanten.
Persönliche Erfahrungen

1
„Der zu Verhörende wurde mit dem Kopf nach unten aufgehängt… Mit einer Sonderzange wurden ihm die Fingernägel ausgerissen … Seine Fußsohlen wurden mit einer Stichflamme gebrannt … die Hoden wurden mit einem dicken Bleistift oder einer dünnen Weidenrute so lange geschlagen, bis das Opfer unter fürchterlichen Schreien in Ohnmacht fiel, und in vielen Fällen verstarb. (Methode des Securitate-Folterers Franţ Ţandără, der auch nasse Sandsäckchen zu Schlägen auf Rückgrat und Nieren benützte. Sein Bekenntnis erschien am 21. März in der Zeitschrift „Singur“ in Bukarest) …Schreckensschreie oder Stöhnen von nahen Verwandten wurden dem Opfer zu Gehör gebracht… Schläge mit einem Prügel auf den Kopf des Opfers … Tritte mit dem Stiefelabsatz in den Mund, die Zähne des zu Verhörenden … Hetzen eines Wolfshundes auf das nackt an einem Pfahl festgebundene Opfer … Isolierung des Gefangenen über Wochen und Monate in engsten Zellen, wo er nur stehen konnte …“
Die Quellen sind inzwischen weitgehend zugänglich, vor allem durch den offiziellen „Raport Final“, eine Art Schwarzbuch des rumänischen GULAG, erschienen in Bukarest 2007 im Humanitas Verlag. Die Aufzählung der Foltermethoden stammt aus diesem Bericht. Der ehemalige politische Häftling Cezar Zugravu zählt in seinem Bericht „Die Foltermethoden der Securitate“ Einundvierzig „Methoden“ auf.
Es wird neuerdings zum Thema Securitate viel Unsinn geschrieben, noch mehr gequatscht und angegeben; man kann sich der vielen selbstgerechten Moralisten, Widerständler, Dissidenten und tapferen Autoren der späteren, der sanften Tauwetter - und Ceauṣescu-Zeit kaum erwehren. Vergessen aber wird die Folter- und Schreckenszeit vor 1965 mit über zwei Millionen Opfern. Man muss dabei nicht auf die vielen Memoiren, etwa von N. Steinhardt, Lena Constante, auf das Buch über das furchtbare, jede Vorstellung überschreitende Folter-Experiment in den Zellen des Gefängnisses von Piteṣti in Südrumänien (im „Raport Final, S. 598-614), die Gefängnis-Romane von Paul Goma oder auf das Dokumentar-Buch über das Folterregime der stalinistischen Hölle, das 1959 auch fünf deutsche Schriftsteller traf, zurückgreifen. (Es ist deutsch 1993 im Verlag IKGS der Münchner Uni unter dem Titel: „Worte als Gefahr und Gefährdung“ erschienen). Wie sehr es dem Terror-Regime darum ging, jeden Glauben, jede Identität zu zerstören, die menschliche Würde mit Füßen zu treten, das Gewissen umzukehren, um ein negatives glaubensloses Hasssubjekt in seinen Zwangsdienst nehmen zu können, zeigt im unerträglichen Extrem die „Reeducare“ (Umschulung, Umerziehung) im Vernichtungsgefängnis Piteṣti: „Die delierierende Phantasie von Eugen Ţurcanu – schreibt Virgil Ierunca, der das wohl wichtigste Buch zum „Phänomen Piteṣti“ 1991 in Bukarest veröffentlicht hat, „wurde vor allem dann entfesselt, wenn er es mit Studenten zu tun hatte, die an Gott glaubten und versuchten, ihren Glauben nicht zu widerrufen. So wurden diese jeden Morgen „getauft“, indem ihr Kopf in einen Kübel mit Fäkalien und Urin getaucht wurde, während die Umstehen die Taufformeln psalmodieren mussten.“
Ein Blick in den außerordentlich akribisch und mit einer Überfülle an Dokumentar-Material belegten offiziellen „Raport Final“ über die rote Diktatur, wo auch diese Details ausführlich zitiert werden, genügt, um zu erkennen, wie relativ harmlos die siebziger und achtziger Jahre im Verhältnis zur stalinistischen Zeit der fünfziger und sechziger Jahre waren. Unter den vielen Folterberichten und Fällen aus dem rumänischen Gulag, gibt es im „Raport Final“ keinen einzigen aus der Ceauṣescu-Zeit. Das gleiche gilt für die Untersuchungen der in Europa am meisten anerkannten Aufarbeitungsstelle der roten Verbrechen in Rumänien, die Gedenkstätte Sighet (Memorial- Sighet), von der bekanntesten rumänischen Lyrikerin Ana Blandiana und ihrem Ehemann Romulus Rusan begründet, dessen erschütternder Bericht, „Chronologie und Geografie der kommunistischen Unterdrückung in Rumänien,“ Fundaţia Academia Civică, 2008, ist kürzlich auch auf Deutsch erschienen.
Ich habe diese Quellen, ohne die ein Verständnis der Securitate und ihrer Spitzel- und Folterwelt unmöglich ist, in keiner der inzwischen massenhaft erschienenen Artikel zum Nobelpreis 2009 an Herta Müller oder zum IM-Fall Werner Söllner gefunden. Auch die beeindruckenden Augenzeugenberichte einer Zeitschrift des rumänischen Schriftstellerverbandes „Memoria“ nicht. Wichtig ist „Memoria“, vor allem Nr. 1/1990, weil sie Fakten aufklärt, die die Securitate-Verfolgung der Autoren in Rumänien betrifft; und sie ist gleich nach dem Fall der Diktatur erschienen, sie zeichnet schlimmste Folterberichte auf, auch aus der Folterkammer „camera 4-spital“ Piteṣti, jener einmaligen Erfindung der Securitate, wo Häftlinge sich Tag und Nacht gegenseitig foltern mussten, einmalig in der ganzen Gulag-Geschichte, gleich nach dem Fall der Diktatur von Betroffenen veröffentlicht!
In „Memoria“ wird auch der vielen Toten und Verschwundenen gedacht, sogar eine Suchliste wird veröffentlicht. Doch kein einziger Bericht oder Fakt stammt aus der Tauwetter-Zeit Ceauṣescus. Und die Aufarbeitungs-Moral heutzutage ist in den meisten Fällen nichts als ein Mäntelchen, das sich alle, auch jene, die keine Ahnung vom Stoff haben, umhängen. Und die sich ausschließlich mit der Ceauṣescu-Zeit beschäftigen, die im Verhältnis harmloser, aber sehr viel bunter und „medien-gerechter“ ist.
Mit einer Ausnahme, der kurzen Analyse des Literaturkritikers Gerhardt Csejka, der objektiv und präzise die ganze kommunistische Epoche ins Blickfeld rückt und nicht nur den harmloseren Tauwetter-Ausschnitt, dabei auch dem Rufmord-Opfer Werner Söllner gerecht wird. Csejka schreibt über die „Zäsur“, die das „Tauwetter“ der Ceauṣescu-Zeit ab 1965 charakterisiert: „Zu den kulturpolitisch relevanten Folgen dieser Zäsur gehörte eine deutliche Reduktion der Angst, sich mit einem falschen Wort um Kopf und Kragen zu reden (oder zu schreiben). Auch der Gedanke an die ständige Präsenz der Securitate-Lauscher war in der Folgezeit weit weniger verhaltensbestimmend als in der Zeit davor.“ Csejka, der selbst Mitglied der „Aktionsgruppe Banat“ war, ist Jahrgang 45, er hat die Zeit des fürchterlichen rumänischen Gulag noch am eigenen Leib miterlebt, die fast zehn Jahre Jüngeren der „Aktionsgruppe“ hatten keine Erinnerung daran. Nirgends sonst wird der Folterepoche der Stalinzeit vor Ceauṣescu und der wirklichen Opfer gedacht, jener in den Untersuchungs- und Foltergefängnissen Ermordeten, der in den Securitate-Kellern oder in den Lagern am „Kanal“ und im Donaudelta Umgekommenen.
Es gab freilich auch in der Ceauṣescu-Zeit Einzelfälle von Morden, doch beschränkte sich die Securitate auf diese, die massenhaften Verhaftungen, die oben beschriebenen Foltermethoden, und den physischen Genozid gab es nicht mehr, unter Ceauṣescu gab es wenige Prozesse; dazu gehört etwa der Prozess gegen Widerständler und ganzer Gruppen und „Rädelsführer“ von Arbeiteraufständen, etwa in Kronstadt, oder gegen die freie Gewerkschaft SLOMR mit etwa 2000 Mitgliedern. All das war auch ein Resultat der größeren Freiheitsmöglichkeiten, undenkbar in der Gulag-Zeit. Es gab also nicht nur den Literatenwiderstand der „Aktionsgruppe Banat“ (der als Randerscheinung in den Quellen kaum, meist keine Erwähnung findet!), da sie nur im Alleingang wirkte und keinerlei Verbindung oder gar Solidarität mit den realen sozialen Aktionen zeigte. Was heute zu heftigen Reaktionen und sogar Angriffen, etwa des Bürgerrechtlers Paul Goma oder des SLOMR-Mitbegründers Carl Gibson gegen die Aktionsgruppe geführt hat. Beide Kontrahenten Goma und Gibson, saßen jahrelang im Gefängnis, Goma auch in der Gulag- und Folterzeit. Was man von den Banater Literaten nicht behaupten kann. Sie unterstützten diese Initiativen nicht, wussten vielleicht gar nicht von ihnen. Goma, der „rumänische Solschenitzin“ hat sie in einem Artikel auf seiner Webseite (Fragment de jurnal, 9 octombrie 2009) heftig attackiert, und spricht etwa der neuen Nobelpreisträgerin jeden Anspruch auf Dissidenz ab. Die „Aktionsgruppe“ habe sich 1977, als Goma sich der tschechischen Charta zur Verteidigung der Menschenrechte anschloss, selbst eine Charta gründete, geschwiegen. Und Carlos Gibson hat die Banater Literaten in seinem Buch „Symphonie der Freiheit“ (Dettelbach, 2008) ebenfalls heftig angegriffen.
Die Methoden des kommunistischen Königs Ceauṣescu waren andere als bisher, persönliche Rachakte einer les majestatis: er ließ auch Gegner der deutschen Minderheit einfach ermorden, so wurde Georg Horn 1987 von Securitateleuten vor der Deutschen Botschaft in Bukarest erschlagen, und Roland Kirsch wurde noch 1989 in seiner Temesvarer Wohnung ermordet.
Die Morde waren freilich auch zur allgemeinen Einschüchterung und als "Exempel" gedacht, wie andere Morde auch. Sie sollten weiter die Schreckenserinnerung an die Zeit vor 1965 aufrechterhalten, und diese Traumata lebten vor allem in den Älteren weiter, ließ sie weniger mutig sein, wie die Jüngeren, auch die jungen Literaten, die unbelastet davon waren und sich so freier und verwegener bewegen konnten! Und diese Verwegenheit war ein Produkt eben dieser neuen freieren Zeit.
2
In der gegenwärtigen Pressekampagne geht es jedoch nicht um Todesfälle, sondern vor allem um eine späte „Dissidenz“, um Verhöre und Verfolgungen, Drohungen und Erfindungen der Securitate, die auch diffamierte, ja, dazu, etwa im Falle von Herta Müller, diese zur IM stiliserte, um mit allen Mitteln einzuschüchtern und zu entwürdigen (Müller hat ausführlich in der ZEIT darüber berichtet)es ging also um Traumata und um den Seelenschmerz von AutorInnen in einer Zeit, da es die wirklichen Schrecken gar nicht mehr gab. Es geht vor allem um diese literarische Dissidenz dieser jungen und weniger von Schreckenserinnerungen belasteten Autoren in der Tauwetterperiode des „dynastischen Kommunismus“ nach 1965, die nun die ganze Aufmerksamkeit und das Medienecho allein auf sich lenkt. Zu bedenken ist auch, dass die Alltagsangst im Ceauṣescustaat samt den drei F (foame, frig, frică, Hunger, Kälte, Angst) für die gesamte Bevölkerung, nicht nur für die Literaten galt; der oberste Bonze, der Herr der eigenen Eitelkeit mit Zepter und unsichtbarer Partei-Krone setzte Angst als Regimekitt ein, die ebenfalls alle täglich erfuhren. Die Securitate jener Zeit war so nur eine Angst- und keine Foltersecuritate, sie diente als Angstproduzent und Herrschafts-Instrument der Partei, und war kein Vernichtungsinstrument mehr; in dieser gewandelten Form freilich, war sie besonders wichtig. Es ging nach 1964/65 nicht um Gefängnis, Lager und Folter, die in einem geheimen Partei-Dokument von 1967 als Verhörmethode sogar kritisiert und als abgeschafft betrachtet wurden, sondern es ging nur noch um psychischen Terror (hinter dem aber kein fürchterliche Gulag und kein mögliches Verschwinden stand wie in der Zeit vorher! Und das wusste jeder!), es ging nur um Einschüchterung als „Prophylaxe“, um das Entstehen von Widerstand und politischer „Delinquenz“ von vorneherein zu verhindern! Außerdem musste ja in der lächerlichen Zepterwelt des kommunistischen Dynasten, die diplomatische Außenwelt (auch nach einigen internationalen Abkommen! Und Aufnahme des Landes in die UNO) eine gute Figur machen, um Gelder und Ehren zu ergattern; alles im Dienste der regierenden Familie. Die Dissidenz jener Jahre spiegelt dann auch diese clownartige, doch sinistre Theaterwelt der Macht wider, und war nicht die tödliche Dissidenz der endfünfziger Jahre, wo es sogar noch bewaffnete Partisanen in den Karpaten gab (bis 1961).
Doch zurück zum heutigen Echo im westdeutschen Medienbetrieb 2009 auf das Literaturecho der ehemals jungen rumäniendeutschen Autoren in jener finsteren Theaterwelt der Ceauṣescu-Zeit: Nicht einmal des eigentlichen Opfers aus der „Aktionsgruppe“, William Totok wird gedacht, der 1975 acht Monate Haft erleiden musste - einzig publizistische Entlarvung aus dem Westen, erzwangen seine Freilassung. (Diese publizistische Aktion setzte mit Recht auf die Eitelkeit der Parteikönige („dynastischer Kommunismus“), auf deren Sorge um ihren Ruf und die Gelder aus dem Westen. Es gab damals in der Tauwetter- und Öffnungszeit diese schöne Macht der Westmedien, um gefährdete Kollegen zu schützen! Ich darf darauf hinweisen, dass ich selbst mit einem Artikel in der „Frankfurter Rundschau“ und einer Sendung im hr, beteiligt war.) Und der Autor Helmuth Frauendorfer, der auch bei der Securitate „unterschrieb“, aber dann unter Risiko, die Mitarbeit verweigerte, erhält als Opfer kaum Aufmerksamkeit. Wichtiger sind jetzt andere, eben die Literaturdissidenten, die dazu noch vom roten Regime gepäppelt wurden (Herta Müller nahm mit Dank den Preis des kommunistischen Jugendverbandes an!) oder Parteimitglieder waren, sogar veröffentlichen und in den Westen reisen durften.
3
Im Dezember 2009, wird, ebenfalls mit bereitwilliger und naiver West-Medienhilfe, es ist erstaunlich, wie wenig Ostdeutschland da mithält, nicht nur der wirklichen Opfer nicht gedacht, sondern es werden neue Opfer produziert, die als Täter vorgestellt - denn zum Guten gehört ja das Böse – jene Diktaturzeit anschaulich und fast greifbar machen. Vor allem diese mutige und hochmoralische Leid- und Widerstandsgröße ist es, die weltweit Bewunderung erweckt, bei mir Bewunderung auch für das taktische Geschick und die Art, wie man aus Wenigem Viel machen kann. All dieses verhilft dazu, dass man die Securitate neu auferstehen lassen kann, da sie ja als Werk- und Lebensthema weiter gebraucht wird. Vorzeigbare Täter sind willkommen. Dabei geht es, wohlgemerkt nicht um die kriminellen Zuträger und Denunzianten aus der Folterzeit, die Menschenleben auf dem Gewissen haben, sondern es geht ausschließlich um Täter aus der Theaterwelt des kommunistischen Königs, um mehr oder weniger harmlose und schwach gewordene Opfer der Hauptideologie der Securitate jener Zeit: die Einschüchterung!
Ich spreche hier vor allem vom Fall Werner Söllner, der inzwischen – was er mit seinen Gedichten und seiner Dinescu-Übersetzung so nicht schaffen konnte – nun auch Literaturfremden als IM-Bösewicht präsentiert, medienbekannt wird wie ein bunter Hund.
Es mag sein, dass diese ganze emotionsgeladene Kampagne in Interviews und Beiträgen Material liefert, wo Augenzeugen im Lebens- und Erinnerungsvergleich beim Umgang mit ihren eigenen Securitate-Akten wertvolle eigene Erfahrungen beitragen; ja, all das kann die Grundlage und der Anstoß für spätere ernsthafte wissenschaftliche Untersuchungen sein, doch die Securitate-Akten dürfen niemals als Quelle von Tatsachen oder gar von Wahrheitsbehauptungen wie in den erwähnten Artikeln, eingesetzt werden! Zur Zeit aber ist alles vorbelastet und, wäre es ein Straf-Prozess, müssten die Zeugen wegen „Befangenheit“ abgelehnt werden.
Ich möchte auch darauf hinweisen, dass die wirklichen Täter, Folterknechte, deren Namen sogar bekannt sind, „Führungsoffiziere“, soweit noch am Leben, frei herumlaufen, ihre Pensionen als „Staatsbeamte“ genießen, während ihre durch Angstmethoden angeheuerten Opfer im „freien Europa“ nun zur Verantwortung gezogen, riskieren, dass ihre Karrieren und ihr Berufsleben, ja, ihr Leben zerstört wird; einige Selbstmorde wurden bekannt. In Ostdeutschland genau so wie in Rumänien oder in den ehemaligen Satellitenstaaten bis hin zu Russland, wurden die eigentlich Schuldigen nie bestraft, nur ihre Opfer! Und man könnte nun fast von umgekehrten Parteifunktionären sprechen bei all diesen Denunziationen, die nicht nur andere Kollegen-Karrieren, sondern auch Leben zerstören.
Wir wissen, dass der Kollege Werner Söllner bei einer Tagung am 8. Dezember 2009 in München zum späten Thema „Securitate“, seine Zuträgertätigkeit und Mitarbeit offenbarte, sich dazu entschloss, eher entschließen musste! Und zerknirscht dann auch Interviews gab und in einem beeindruckenden Auftritt in 3sat bekannte, dass er zwar nach 30 Jahren nicht mehr genau wisse, was er wirklich getan habe, doch durch einen ungeheuren Angstdruck, dem er nicht lange widerstehen konnte, sondern – er bezichtigte sich selbst – Charakterschwäche gezeigt habe, im Dienste des Geheimdienstes Gedichte und andere Texte von Kollegen, darunter auch Texte von Richard Wagner, Herta Müller, Johann Lippet, Gerhart Ortinau, William Totok u.a., „interpretiert“ und nach „systemfeindlichen Inhalten“ ausgeforscht habe. Er sollte also dem berühmten „Versteckspiel in der Metapher“ auf der Spur sein, was fast ein Hohn für die rumäniendeutsche Literatur jener Zeit (1971-75, aber auch für meine Zeit nach 1964-1968) war, eine kleine Literatur, die damit groß geworden war, indem sie ihre Sprache unter solchen Gefahren geschärft hatte, und so Werte schaffen konnte, die sie dann bis zum Nobelpreis hinauf katapultierte. (Der Preis ist nicht nur für literarische Werte, die ja in hohem Maße da sind, wenn auch angezweifelt, so etwa von Iris Radisch in der ZEIT ("Kitsch oder Weltliteratur? 20.August 2009), sondern auch für einen „mutigen Widerstand“ gegen die Diktatur und nun stellvertretend für alle Dissidenten in welchem Regime auch immer, verliehen worden).
Werner Söllner ist kein schlechterer Autor, aber einer, der ins Inferno der Ächtung verstoßen wurde. Bittere und zerknirschte Bekenntnisse hat er, der sensible Lyriker und gewissenhafte Mensch, den ich als aufrichtigen, ausgewogenen und sehr leidensfähigen Schriftsteller kenne, selbst unter Schock geliefert. Denn seine Akte lag auf dem Tisch oder zumindest in den Köpfen der Teilnehmer, so dass er in Vorausverteidigung sozusagen gezwungen war, diese „mutige“ Tat zu begehen, seine „Jugendsünde“ (er war Student und 20 Jahre alt), seine geheimdienstphilologische Tätigkeit unter dem Decknamen „Walter“ zu gestehen. Es war eine gefährliche Offenbarung, deren Folgen ihm sicher klar waren. Vor allem ein negatives Image als Autor und Poet, der seinen Namen in die finsterste Ecke verbannt, sehen muss. Seine Fürsprecher, Eva Demski, Gerhard Mahlberg (im hr), Gerhardt Csejka, vor allem aber Michael Markel, der schon bei der Tagung sagte, dass Söllners „Interpretationen“ ihn vor Schlimmem bewahrt, ja, ihn gerettet haben, wurden jedoch sofort von Richard Wagner im Blog der „Achse des Guten“ attackiert und Söllner an den Pranger, ja an die Wand gestellt. (Vor allem auch in der FAZ vom 16.Dezember 2009).
Man darf freilich nicht vergessen, dass der Fall im Securitate-Schriftstellerbereich symptomatisch ist, dass solche geheimdienstlichen Text- „Deutungen“ auch im Falle der fünf deutschen Schriftsteller (Bergel, Scherg, Siegmund, von Aichelburg, Birkner) 1958-1959, also in der härtesten Zeit, eine große Rolle gespielt haben. Immer ging es um diese literaturversteckte interlineare „Tat“, die ein verstecktes “feindliches“, ja „regimefeindliches“ Denken offenbarte, bis hin zum angeblich „umstürzlerischen“ Bewusstsein. Das vom Regime am meisten verfolgte, gefürchtete wilde Tier, war der Wahrheitsträger Sprache, und damit in erster Reihe Literatur und Witz! (Beim 1959 verurteilten rumäniendeutschen Autor Hans Bergel war es etwa schon das von „Geheimdienstphilologen“ aufgedeckte Gegensatzpaar „Fürst und Lautenschläger“, Dichter contra Diktatur, das ihm zum Verhängnis wurde!)
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Doch zurück zum unglücklichen Werner Söllner: Auch wenn alles wahr wäre, was gegen ihn vorgebracht wird, darunter „Tatsachen“, diese „Entlarvung“ hätte 1975 geschehen müssen, als sie noch geholfen hätte, das war damals aber unmöglich. So bleibt die Frage offen, wem hilft sie heute, und wozu das alles? Aufarbeitung? Wahrheit? Oder Rache, gekoppelt mit den Vorteilen des hellen Rampenlichts?
Allerdings, auch wenn wir vom wirklich wahrheitsmäßig Authentischen und der Substanz ausgehen, und diese „Aufarbeitung“ als wichtiges historisches Pensum ansehen, bleibt die Frage: Wer kann, wer darf da anklagen, und mit welchem Beweismaterial. Nun ergibt sich auch hier eine unangenehme Tatsache: Jene, die anklagen, haben möglicherweise kein Recht, kein Mandat dazu, denn einige haben selbst, zumindest als Parteimitglieder bis 1985 mit dem Regime kollaboriert. Und die Partei war es doch, die der Securitate die Aufträge gab (Die Securitate:Directia Generala a Securităţii), als Parteiinstrument wurde vom Sekretariat des Zentralkomitees der RAP (PMR ) am 10. Juli 1948 durch das „Dekret“ Nr. 221 gegründet, und ihre Terror- „Aufgaben“ festgelegt, die sich im Wesentlichen bis 1989 nicht verändert haben. Doch darf man nicht vergessen, dass die Beziehung Partei-Securitate sich veränderte. Und dass die Partei eher schwächer, die Securitate stärker wurde. Dass auch viele in die Partei eintraten, weil sie sonst einen führenden Posten gar nicht haben durften. Und viele sogar eintraten, um mehr Macht zu haben, positiv die Dinge zu verändern. Aber auch Gründe des sozialen Vorteils gab es freilich, so dass der Status des "einfachen" Parteimitglieds und überhaupt diese Mitgliedschaft sehr differenziert gesehen werden muss.
Aber wenn Söllner, sollte es wirklich stimmen, zur Zerschlagung der Aktionsgruppe so mit beigetragen hat, wäre das ein nun unvergessliches literaturhistorisches Phänomen in der Geschichte der Aktionsgruppe und damit in der rumäniendeutschen Literatur, die via Nobelpreis ja nun auch für die deutsche Literaturgeschichte eine viel größere Bedeutung hat als bisher! Und da ist noch etwas, was mich im „Fall“ Söllner besonders aufbringt: Vergleichbar wie er hat auch der Romancier Eginald Schlattner, aber in einer ganz anderen Zeit, gehandelt, dem Druck nachgegeben, aber unter ganz anderem lebensbedrohendem Druck, und er saß zwei Jahre im Gefängnis, wo er „bearbeitet“ wurde, so dass er als Kronzeuge der Anklage gegen fünf Kollegen auftreten mußte, was freilich wenig bedeutet, da die Rollen im Schauprozess, sowie dessen Ausgang von der KP schon vorher festgelegt wurden. Oder ein anderer Fall: nach jahrzehntelangem Gefängnis wurde der rumänische Lyriker Ion Caraion, der 7 (11) Jahre gesessen hatte (wegen vier in den Westen geschickter Gedichte!), der initiativreichste Autoren-IM, der Secu-Portraits über viele Kollegen schrieb. Schlattner hat in seinem großen und sehr wichtigen Roman „Rote Handschuhe“ (Wien, 2000), vielleicht den besten Roman über diese Zeit geschrieben, wo er hautnah und aus dieser Gewissenslage heraus,diese Erfahrungen verarbeitet, als Grundargument für seinen erzwungenen "Verrat", auch Gewissensgründe vorbringt, dass er von der Zukunft des Kommunismus damals überzeugt gewesen sei (viele andere Autoren, auch in Ostdeutschland, waren damals 1960 „Überzeugte“, wie wir das nannten! Und ich nehme mich nicht aus!) Doch Söllner im Jahre 1974?! Er war weder im Gefängnis, noch drohte es ihm, als Drohung brachte „Hertza“, sein "Führungsoffizier", nur die Exmatrikulierung aus der Uni ins „freundschaftliche“ Gespräch. Und man fragt sich heute: wäre diese Exmatrikulation nicht ein geringerer Preis gewesen als die jahrzehntelange Gewissensnot? Und ob dieser Preis damals 1971 auch wirklich zu zahlen gewesen wäre, steht sehr in Frage. Nicht nur Herta Müller verweigerte sich in jenen Jahren, sagt sie, sie habe aber der Verweigerung ihrer Mitarbeit wegen ihren Job als Übersetzerin nicht verloren; Helmuth Frauendorfer, Mitglied der Gruppe, der nach eignem Bekenntnis (Interview mit Helmuth Frauendorfer: In den Fängen der rumänischen Securitate, Stern.de, 17.12.2009), zuerst sogar „unterschrieben“ hatte, dann aber jede Mitarbeit verweigerte und alles sogar „dekonspirierte“, Kollegen offengelegt hatte, was einer strafwürdigen Tat gleichkam, er hatte keine Folgen zu erleiden! Und mir ging es in den viel härteren Zeiten um 1960, als Redakteur der „Neuen Literatur“ in Bukarest, genau so, ich verlor ebenfalls - als ich die Mitarbeit verweigerte - meinen Posten nicht, sondern wurde nur weiter verfolgt und bedroht! Ich hatte seltsamerweise das gleiche Argument, die Mitarbeit zu verweigern, wie Herta Müller: ihr „Charakter“ mache sie zu solchen „Diensten“ ungeeignet. Ich hatte das gleiche Argument – 1960 als mir das drohte, was Schlattner geschah! Ich wurde nicht entlassen! Hatte ich es meinem guten Chef, Emmerich Stoffel, Mitglied des ZK, zu verdanken, oder war ich viel zu harmlos und mit wenigen Möglichkeiten, Berichte zu schreiben!? Aber - ich war ja nicht nur in einer Fabrik Übersetzer, sondern immerhin Redakteur der „Neuen Literatur“, einer Enklave im Regime, die besonders scharf beobachtet wurde! (Für Lyrik verantwortlich, der ähnliches, auch in jener viel gefährlicheren Zeit! schon damals betrieb: Versteckspiel in der Metapher! Und es auch von meinen Kollegen, denen ich ihre Gedichte in der Zeitschrift veröffentlichte, verlangte! - Gab es denn keine Wanzen in meinem Redaktionszimmer? Ich war verrückt mutig damals. Dass mir nicht mehr geschah, war ein großes Wunder! Es waren wohl nicht nur die evangelischen Schutzengel aus Siebenbürgen, die mir geholfen haben, nachdem ich mich einigen meiner Kollegen offenbart hatte, also voller weiterer Angst auch Strafwürdiges tat, nämlich „dekonspirierte“. Doch weder Müller, Frauendorfer, noch ich sollten uns auf unsere Verweigerung etwas einbilden! Es gab einige, die es taten, ich kenne auch einige Fälle aus jener harten Zeit.
Unser aller Widerstand (mit einigen Ausnahmen, es gibt auch genug IMs und Schwächlinge zuhauf, die nur aus familiären und Karrieregründen schon mal in die Partei eintraten, ohne allgemeinen Nutzen, doch auch kaum allgemeinem, außer vielleicht persönlichem moralischem Schaden; doch gab es nicht nur eine Minderheit unter den Rumäniendeutschen, sondern es gab mehr Landsleute als bekannt, die versuchten, auf ihre Art leise und unbemerkt dem Regime zu trotzen, es gab sie in allen Bereichen, nicht nur in der Literatur, sogar die Kirche, Lehrer, aber auch viele Leute in den Betrieben, Hochschullehrer, Journalisten, Kritiker, Bauern, Angestellte, Beamte, Autoren, Fernsehleute etc.etc. die mit Taktiken der Idiotie des Systems trotzten! Und es gab auch bei Zensur-Mitarbeitern „Interpretationen“, die Gedichte und Menschen retteten. Auch Söllner half dem Hochschullehrer Michael Markel durch seine Geheimdienstphilologie. In meinem Fall wurde von einer Kollegin durch „Interpretation“ politischer Gedichte in Interlinearversion, mein Gedichtband „Grenzstreifen“ ermöglicht, und ich vor Securitate-Folgen bewahrt, poltische Gedichte wurden von ihr als Natur- oder Liebesgedichte interpretiert! Es war meine Studienkollegin Viorica Niṣcov, die mich und meinen Band rettete, so dass mir nichts geschah, sondern der Gedichtband „Grenzstreifen“ mit regimekritischen Gedichten, 1968, erscheinen konnte! Ihr sei Dank. Wie viele andere Bücher und Menschen sie auf diese Weise gerettet hat, weiß niemand. Auch Parteieintritte, wie bei Wagner, Absprachen, zumindest mit der Zensur und der Partei, gar dem ZK, wie im Falle Stoffels oder des Redaktionskollegen und Romanciers Arnold Hauser, konnten auch als taktisches Manöver, als ein Sich-Einlassen mit dem Teufel eingesetzt werden. Auch bei den Rumänen wurde so gearbeitet, ich denke an den Fall des großen rumänischen Philosophen Constantin Noica, der viele Jahre in den Securitate-Kellern gesessen hatte, und der dann nur mit bis zum Verrat reichenden Kompromissen, sogar mit Securitate-Mitarbeit, seine „Akademie“, eine Gesprächsrunde auf der Hohen Rinne“ bei Hermannstadt, zu der auch der spätere Außenminister Andrei Pleṣu gehörte, in den Bergen aufrechterhalten konnte! Alles Methoden, die es möglich machten, dass sowohl eine rumänische, als auch eine deutsche Kultur überhaupt weiter bestehen konnte, die dann 1989 neu zum Vorschein kam!
Söllners „Opferakte“ ist einsehbar, er wurde ja auch von der Securitate verfolgt, vor allem nachdem er 1974 seine Mitarbeit als IM „Walter“ dann doch mutig aufkündigte, eine Akte, die er Richard Wagner zur Verfügung stellte, in der irrigen Meinung, sie sei zu seiner Verteidigung geeignet; die Akte ist die Grundlage von Wagners nüchterner und vernichtender Attacke, und zeigt, wie sehr Söllner seine „Tätigkeit“ unterschätzt hat. Irgendwo erscheint da auch jene motivierende Gewissensfrage - wie bei Eginald Schlattner -: dass sogar Söllners Vater, selbst ein Lyriker, das Regime zwar kritisierte, es jedoch für „verbesserungsmöglich“ hielt, und es dem Sohn als Zukunftsmodell anpries, wie man es denn mit dem Regime, den Ideen hält. Verbergen sich schon zwischen den Zeilen der Opferakte andere, schlimmere Fakten als die geheimdienstphilologischen? Fakten, die wohl niemals zum Vorschein kommen werden, da Söllners „Täterakte“ verschwunden ist? In der Opferakte gibt es nur „Abschriften“ seiner "Interpretationen" des Führungsoffiziers.Wie aber, und das wäre die wichtigste Verteidigungsmöglichkeit Söllners, wenn dieser Hertza, um seine Offiziers-Aktivität zu schönen und vor seinen Vorgesetzten anzugeben, wie viel er aus seinen TMs herausholen kann, in seinen Berichten die Söllnerinterpretationen verfälscht und in ihrer Aussage gegen die Kollegen überspitzt oder gar einiges dazugedichtet hat? Auch Herta Müller spricht von solchen Verfälschungen in ihrem Dossier (das sozusagen ebenfalls eine (konstruierte) Täter- und eine Opferakte enthält mit dem Decknamen "Christina"! Dazu: Herta Müller, Die Securitate ist noch im Dienst, DIE ZEIT, 23. Juli 2009, Nr. 31.)
Nachdem ich nun immer mehr Material zum Fall, auch „Report Final“ gelesen habe, zweifle ich immer mehr an dieser einseitigen Darstellung, die mich verführt hat, den Kollegen Söllner so schwarz zu sehen. Und ist dieses Gedicht Söllners, das besonders zynisch wirkt und wie ein Hohlspiegel des egoistischen Poetenwahns wirkt, das Richard Wagner zitiert; ist es nicht wieder eine Interpretationssache, es in den Securitatezusammenhang zu stellen?
„Wie es war und warum, / wen geht es was an? / Aufrecht oder krumm: / man geht, wie man kann. // Wovor dir graut: / was vergessen ist. / Ist die gerettete Haut auch eine List?“
Schon aus Fairness muss dieser Vernichtungsaktion gegen Werner Söllner entgegengetreten werden. Nicht Gerhard Mahlberg, nicht Eva Demski, sondern Gerhardt Csejka zitiere ich dazu (Büßen für die Schurken. IM ja, Spitzel nein? Der Tagesspiegel, 12.12.2009.) Csejka ist da völlig unverdächtig , da er selbst zur „Aktionsgruppe“ gehört hat, deren Texte Söllner im Auftrag der Securitate deuten musste, und dieses ist eigentlich sein einziges „Delikt“: „Ehe keine Kopie der (handschriftlichen?) Originalberichte von Werner Söllner vorliegt, lässt sich nicht darüber urteilen, ob er jemandem zum Schaden oder (wie offenbar im Fall des Klausenburger Germanisten Michael Markel) zu dessen Gunsten berichtet hat… Ich weigere mich allerdings zu glauben, dass er ein Spitzel war, also jemanden im Sinne der Securitate-Vorgaben ausgehorcht hat…Diese Sorte IMs ist in den Akten massiv vertreten, ja es lassen sich da noch einmal Abstufungen der Verwerflichkeit beobachten. Bei aller nötigen Deutlichkeit der Unterscheidung zwischen Tätern, Opfern und Nichttätern wäre es eine unerträgliche Verwischung des tatsächlichen moralischen Reliefs der beteiligten Menschenlandschaft und eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, wenn die übelsten Schurken unerkannt und ungeschoren davonkommen und einer, der sich mit seiner Schuld spät aber doch dem Urteil der Öffentlichkeit aussetzt, quasi auch für die größten Schweine büßen muss.“
Dazu aber sehr viel schwerwiegender noch: Die anderen IMs, die wirklich Menschenver-nichtendes betrieben haben, oder etwa Söllners "Führungsoffiziere" ebenso, genießen einen unverdienten Ruhestand im Osten oder Westen und würden über all diese Auseinandersetzungen unter „verrückten Schriftstellern“ nur höhnisch lachen.



LESERBRIEF
Ihr Artikel ist wohl der beste den ich seit langer Zeit hier in Zeit-Online las.
Sie schildern Bewegendes, Sie schildern die Grausamkeit, Sie schildern den Terror gegen Menschen.
Es kann wohl nur zu Zeiten des Mittelalters grausamer gewesen sein.
Ich dachte immer, dass ich schon einiges im Ostdeutschen Stasigefängnis erlebt habe, denn auch dort gab es raue Methoden, besonders wenn auch mal der damalige KGB im Spiel war.
Es ist aber ehrlicherweise kein Vergleich zu dem , was ich von ihnen lesen konnte.
Die Folter ist und bleibt die größte Abscheulichkeit der Menschheit und steht auf der selben Stufe, wie das Kriegführen.
Geschehenes ist allerdings auch vergleichbar mit den Grausamkeiten , die in Gestapokellern und Konzentrationslagern stattfanden.
Danke für diesen aufschlussreichen Artikel.
Georges H. Peters //// Orpheus



Dieter Schlesak, Geboren in Schäßburg in Siebenbürgen. Volksschullehrer, dann Studium der Germanistik, Redakteur in Bukarest bei der deutschsprachigen Zeitschrift „Neue Literatur“. Verfasser von Lyrik, Prosa, Hör-
spielen, Romanen, Essays über Literatur, über Grenzphänome und Religion; Reiseberichte. Übersetzungs- und Herausgebertätigkeit. 1968 erschien sein erster Gedichtband Grenzstreifen im Bukarester Literaturverlag.
1969: Übersiedlung nach Deutschland, der Kulturschock und das Ostwest-Trauma werden von nun an sein Schreiben beherrschen; sein erster Gedichtband im Westen erschein 1981bei Rowohlt: Weiße Gegend - Fühlt die Gewalt in diesem Traum. 1986 kommt der Roman Vaterlandstage und die Kunst des Verschwindens beim Benziger Verlag  heraus. Den Fall des Eisernen Vorhangs und die damit verbundenen Hoffnungen und Enttäuschungen thematisiert Dieter Schlesak in mehreren Büchern: Wenn die Dinge aus dem Namen fallen, 1991 (Rowohlt). Stehendes Ich in laufender Zeit, 1994 (Reclam). So nah, so fremd, 1995. Eine transsylvanische Reise, 2004. Dieter Schlesak lernt in Frankfurt beim S. Fischer Verlag seine Frau Linde Birk kennen. 1973 ziehen beide nach Italien. Er wird mit seinen 1989-1991 erschienenen drei Bänden Der neue Michelange­lo. Wiedergeburt der wahren Farben in der Sixtinischen Kapelle zum Kulturbürger Italiens. Auch sein zweiter Roman Der Verweser spielt in Italien2006  erschien sein bisher wichtigster Roman Capesius, der Auschwitzapotheker“ (Dietz Verlag), der in Englische, Italienische, Spanische, Portugiesische, Hebräische und in viele andere Sprachen übersetzt wurde. Bis 2009 hat Dieter Schlesak 30 Bücher veröffentlicht, darunter 9 Gedichtbände und 3 Romane. Er erhielt zahlreiche Preise, u.a. 1980: den Andreas-Gryphius-Preis, 1993: den Nikolaus-Lenau-Preis, 2001 die Ehrengabe der Deutschen Schillerstiftung. 2005 den Maria-Ensle-Preis der Kunststiftung Baden-Württemberg und 2005 wurde ihm auch der Ehrendoktor  der Universität Bukarest verliehen.

Dieter Schlesak, Dr.h.c. in Schäßburg (Siebenbürgen) Rumänien geboren, Lyriker, Romancier, Essayist, Übersetzer, Studium der Germanistik 1954-1959; dann Redakteur der „Neuen Literatur“ in Bukarest. Unter dem Druck von Securitate, Zensur und Lebenszustände, emigrierte er 1968 über Brüssel, Luxemburg, Paris in die Bundesrepublik. Lernte beim Fischerverlag in Frankfurt seine Frau, die Lektorin und Übersetzerin Linde Birk kennen; verkraftete aber den Kulturschock nicht, fuhr 1968 wieder zurück, und verlor so gleich zwei Länder, emigrierte endgültig 1969 nach Deutschland. Dann 1973 weiter nach Italien. Und lebt seit l973 in Stuttgart und in Camaiore/Lucca. „Was zusammenhängt mit einem existenziellen Grenzgänger, einem, der Reisen und Länderwechsel zur Lebensmetapher gemacht hat, mit allem Gewinn, mit aller Beschwernis. Ein verwurzelter Wurzelloser, der morgens beim Öffnen der Fenster seines alten italienischen Bauernhauses, in dem er mit Frau und Hund und Kater oben am Hang lebt, in der Ferne das Meer gleißen sieht und der gleichzeitig tief empfundene Heimatgefühle für Transsylvanien hegt. In seinem Weiler nahe dem norditalienischen Städtchen Camaiore ist er "Signore Dieter, il tedesco", unter Stuttgarter Schriftstellern der Rumänendeutsche. "Ich bin ein „Zwischenschaftler", sagt er, einer, der sich eingerichtet hat zwischen allen Stühlen, zwischen allen Grenzen? Da muss er wohnen, der rumänisch-deutsche, stuttgarterisch-toskanische Dichter Schlesak.
Es folgen Reisen durch Europa und Amerika. "Fernweh über den Globus gezogen / die Riesenfrucht möchte ich essen", heißt es in einem Gedicht des Lyrikers, der bis heute dreißig Bücher veröffentlicht hat, darunter neun Lyrikbände und vier Romane. In dem Roman "Vaterlandstage und die Kunst des Verschwindens" hat er in mitreißender assoziativer Prosa Biografisches verarbeitet, hat sich im 2002 erschienenen Roman "Der Verweser" mit einer alten Kriminalgeschichte aus dem nahen Lucca befasst, hat im Lyrikband "Tunneleffekt" sein Grundthema des Grenzgangs lyrisch variiert.
Seine innere Emigration und Einsamkeit, diese Abweichung vom Normalen, begreift Schlesak für Schreiben und Leben mittlerweile als "ontologisch"." mit dem gleichgesinnten „Eremiten von Paris“, dem Landsmann aus Transsylvanien hat er Jahrzehntelang einen Briefwechsel geführt, der ihn geprägt hat. Ebenso schon in Rumänien die rumänische Kultur, die jüdische, in Bukarest war er befreundet mit Celans Freundeskreis um Sperber und Kittner, und ist davon ebenfalls geprägt. "Er leitet aus seiner Emigration und Isolation "eine Art literarisches Mönchtum" ab. Und hat doch, im Äußeren, so gar nichts Mönchisches an sich, wenn er redet. Während dann Kater Romeo herbeischleicht, auf den Tisch springt, aus der Nähe hören will, was der toskanische
Dichter aus dem fernen Rumänien zu sagen hat. Zum Beispiel dies, dass man ihm jüngst sein altes Geburtshaus in Schässburg zurückgegeben habe, das er mit Hilfe einer Stiftung zu einem Literatur- und Kulturzentrum machen wolle. (Aus: Rainer Wochele, Literarischer Mönch, Stuttgarter Zeitung)

Mitglied des Deutschen P.E.N Zentrums, des P.E.N Zentrums deutschsprachiger Autoren im Ausland (London), VS u.a. Zahlreiche Preise und Auszeichnungen, zuletzt: Ehrengabe der Schillerstiftung 2001. Ehrendoktor der Universität Bukarest 2005, Lyrikpreis „Umberto Saba“, Triest, 2006; Preis der „Kunststiftung Baden-Württemberg“ Stuttgart 2007. Werke zuletzt erschienen: Lyrik: Herbst Zeit Lose, Liebesgedichte, München 2006; Sette volte sete. Grenzen Los. Oltre limite. italienisch-deutsch, Pisa 2006; Namen Los, Liebes-und Todesgedichte, Ludwigsburg 2007.. Essays und Prosa: Eine Transsylvanische Reise, Köln 2004, Romans Netz, Roman, Köln 2004; Capesius, der Auschwitzapotheker, Bonn 2006; Vlad. Die Draculakorrektur, Ludwigsburg 2007.
Zeuge an der Grenze unserer Vorstellung, Porträts, Studien und Essays, Uni München 2005; Übersetzer- und Herausgebertätigkeit. Nichita Stănescu, Elf Elegien, Übersetzung und Nachwort: Metapoesie der roten Zeit, 2005.

Sekundärliteratur und ein Verzeichnis des Gesamtwerkes, dessen Vorlass sich im Marbacher Deutschen Literaturarchiv befindet unter:
www.dieterschlesak.de
Würdigung
 


Andreas-Grypius Förderpreeis,1980.
Jahresstipendium des Deutschen Literaturfonds (l982 und l987).
Stipendium des Ministeriums für Wissenschaft und Kunst von Baden-Württemberg l988.
Schubart-Literaturpreis l989, alle für "Vaterlandstage und die Kunst des Verschwindens, Roman und die Fortsetzung: Der Verweser.Roman.
Förderstipendium der Akademie Schloß Solitude Stuttgart,1990-1992.
Nikolaus-Lenau-Preis 1993 für seine Lyrik.
Für die Prosa den Hauptpreis des Ostdeutschen Kulturrates 1994.
"Tunneleffek", Gedichte. Buch des Monats, "Text und Kritik", 1998.
Ehrengabe der Schillerstiftung 2001.
Stipendium, Kulturamt der Stadt München, Villa Waldberta 2004.
Ehrendoktor der Universität Bukarst 2005.
Literaturkabinett "Dieter Schlesak" am "Colegiul National Mircea Eliade in Sighisoara Schässburg, Transsylvanien. 2005.
Lyrikpreis „Umberto Saba“, Triest, 2006.
Maria-Ensle-Preis der „Kunststiftung Baden-Württemberg“ Stuttgart, 2007.






ZUR BIBLIOGRAPHIE
ROMULUS RUSAN
Die deutsche Minderheit
In diese Periode fällt auch die Reihe politischer Prozesse, die einzelnen oder Gruppen von Deutschen aus den Minderheitenzentren vor allem in Siebenbürgen und im Banat gemacht wurden, nachdem es freilich schon beginnend mit dem Herbst 1944 zu Internierungen gekommen  war. Die Zahl der während der Diktatur administrativ oder aufgrund von Verfahren Festgehaltenen wird auf rund 3000 geschätzt (Gesamtzahl der Deutschen: ca. 400.000) – bis hin zu Exekutionen wie im Fall des 1953 in Jilava hingerichteten Kronstädters Erich Tartler oder der im selben Jahr im Gefängnis umgekommenen ehemaligen Bukarester Parlamentsabgeordneten Rudolf Brandsch und Hans Otto Roth.
Doch schon ein Jahr vor der Verhaftung der beiden war es, 1951, zum großen Schauprozess gegen die katholische Kirche gekommen, der besonders die Banater Schwaben getroffen hatte; mit dem Namen des Bischofs der Banater Diözese, Dr. Augustin Pacha – 18 Jahre Freiheitsentzug -, und anderen verbindet sich ebenso wie mit den Namen der Temeschwarer deutschen Schüler Eugen Boncea-Resch, Engelhard Mild, Alfred Prack u.a. die Erinnerung an Höchststrafen. Beginnend mit 1958 kann es dann zu Gruppenprozessen, deren Namen die Runde machten und Angst verbreiteten: im Banat der Weresch-Reb-Prozess, in Siebenbürgen der Schwarze Kirche-, Sankt-Annensee- Heltauer-, Prejba-, Mühlbacher-, nicht zuletzt der Schriftstellerprozess, ein Geheimprozess, der 1959 vor dem Militärgericht fünf deutschen Autoren mit insgesamt 95 Jahren Verurteilung zu Zwangsarbeit gemacht wurde: Andreas Birkner, Wolf von Aichelburg, Georg Scherg, Hans Bergel, Harald  Siegmund. Ähnlich wie im Banat die Verurteilung des Bischofs  Dr.Pacha wirkte in Siebenbürgen die des Kronstädter Stadtpfarrers Dr. Konrad Möckel, der zusammen mit acht Jugendlichen in einer Gruppe von zwanzig Angeklagten zu lebenslänglich verurteilt wurde (1958). Erwähnt seien ebenso die zwei nordsiebenbürgischen  Prozesse der Reener- und der Deutschzeplinger-Gruppe – Hans Kirschlager: 25 Jahre. Auch noch während der ersten 1960-er Jahre kam es zu Prozessen, die mit Schrecken erregenden Strafen endeten. Auf jedes Recht verhöhnenden „juristischen“ Elementen aufbauend, hatten ihre Urteile den Zweck, prophylaktisch Angst zu verbreiten, um Unruhen im Land gar nicht erst aufkommen zu lassen – Ausdruck der Angst, von der das Regime selber umgetrieben war, auch unter Gheorghiu-Dejs  Nachfolger Ceausescu (seit 1965), der weniger Prozesse machen, aber Regimegegner kurzerhand verschwinden  oder zu Tode prügeln ließ, wie z.B. des Sathmardeutschen Georg Horn, der 1987 vor der deutschen Botschaft in Bukarest von Securisten erschlagen wurde, den Banater Schwaben Roland Kirsch, den 1989 in der eignen Wohnung das gleiche Schicksal ereilte. Die Zahl der Deutschen in Rumänien, die als Informelle Mitarbeiter  oder gar Kollaborateure der Securitate Dienste leistete, wird niemals ermittelt werden können. Sie liegt, wie die seit wenigen Jahren mögliche Akteneinsichtnahme im Bukarester Archiv C.N.C.S.A. vermuten lässt, höher als bisher angenommen.

 „Gedenkstätte Sighet“
Die Karte des Internierungssystems Rumäniens wurde in dem von der Bürger-Akademie für die rumänische Ausgabe des „Schwarzbuch des Kommunismus“ erarbeiteten Addendum veröffentlicht. Sie zeigt 240 Haftanstalten, davon 44 Gefängnisse, 61 Untersuchungs-, Depot- und Verbannungs-Niederlassungen, 72 Zwangsarbeitslager, 63 Deportations- und Zwangsaufenthaltszentren, 10 psychiatrische Niederlassungen für politische Häftlinge. Auf derselben Karte finden sich 93 Hinrichtungs- und Erschießungs-Standorte, dazu Kampfplätze mit Toten  aus bewaffneten Konflikten mit der Securitate, wahrscheinliche Massengräber. Rechnen wir zu dieser rabenschwarzen Geografie mehr als 100 Bezirks- und Kreis-Niederlassungen hinzu, an denen die Securitate Verhöre durchführte, kommen wir auf fast 450 Haft- und Unterdrückungsstellen. Auf der übersichtlichen Wand der Eingangshalle zur Gedenkstätte in Sighet ausgehängt, stellte die Karte des Jahres 1998 lediglich eine reduzierte Veranschaulichung der Lage dar, sie hätte um noch einmal 20 Markierungen bereichert werden können, wie aus Mitteilungen mündlich überlieferter Geschichte, aus Ergänzungen durch Besucher der Gedenkstätte und Nachforschungen hervorgeht, die seither im Rahmen des Arbeitsprogramms „Zählung der Inhaftierten 1945-1989“  des I.Z.S.K. angestellt wurden.
Als ergiebigste Quelle stellten sich die zehn von der Gedenkstätte Sighet durchgeführten Symposien heraus, an denen über 800 Forscher und Betroffene teilnahmen; daraus entstand die Buchreihe „Die Sighet-Annalen“ mit rund 18.500Druckseiten, auf denen die Periode 1945 -1989 aufgezeichnet und analysiert wird: als Ereignis- Institutions- und Mentalitätsgeschichte. Aufgenommen wurden ausschließlich mindestens von zwei unterschiedlichen Quellen abgedeckte Tatsachenberichte, Namens- und Ortsbenennungen, um dem Material  wissenschaftlich unwiderlegbaren Aussagewert zu sichern.
In dem Maße, in dem das im Rahmen der Gedenkstätte Sighet arbeitende I.Z.S.K. nach und nach mehr in den Besitz von Dokumenten der ehemaligen kommunistischen Einrichtungen kam, konnten die vorher aufgezeichneten Daten verglichen und ergänzt werden. Auf diese Weise sammelten sich die Unterlagen für eine statistische Bearbeitung der Daten zum Thema „Zählung der Internierten“ an; diese findet sich nun auf 93.000 „Merkblättern zum strafrechtlichen Personenstand“. Jedes Merkblatt enthält das „Biogramm“ einer Person, deren Weg durch den Mechanismus des Internierungssystems, die Identitätsdaten (einschließlich Zivil- und Sozialstand, Beruf, Ethnie, Konfession), den Grund der Verhaftung, der Einkerkerung oder Deportation, der „Evakuierung“ etc., die erlittenen Verurteilungen, Strafen und dazugehörenden Konfiskationen, die Umstände der Entlassung (Ablauf der Strafe, Begnadigung, Amnestie, Ausbruch, Exekution, Tod).
Der Großteil der Merkblätter bezieht sich auf Personen mit Gerichtsverfahren, während vorbeugend Festgenommene, Verhörte, administrativ Festgehaltene, Verschleppte, Evakuierte und Verbannte nur gelegentlich vermerkt sind.
 Unvollständig sind auch die Merkblätter in der Haft Verstorbener. In dieser Hinsicht betrieb die Securitate „doppelte Buchhaltung“, das Ableben wurde in einem „Spezialregister“ des jeweiligen Gefängnisses vermerkt; beim Standesamt einiger Volksräte/ Bürgermeisterämter fanden sich von der Securitate 1957 rückwirkend für sieben bis acht Jahre „rekonstruierte“ Sterbeurkunden.
Das zynisch beabsichtigte Chaos war so groß, dass z.B. 1952 – 1953 viele Personen zum zweiten Mal – in Abwesenheit – verurteilt wurden, die bereits ein, zwei Jahre vorher in der Haft verstorben waren; die bekanntesten Fälle sind der oben erwähnte Historiker Gheorghe Bratianu und der Wirtschaftswissenschaftler Aurel Vlad.
Ein neuralgischer Punkt der Unterlagen ist in dem Umstand zu sehen, dass sie von Gefängnis zu Gefängnis und in verschiedenen Perioden unterschiedliche und zum Teil nicht ausgefüllte Rubriken enthalten, was natürlich die Erarbeitung der Statistik erschwerte. Was die während der Haft Verstorbenen betrifft, geht aus nicht wenigen im Nachhinein erstellten Berichten der Untersuchungskommissionen hervor, dass die Sterbeurkunde vom betreffenden Gefängnis ausgestellt, dann wieder der Todesfall dem Volksrat/ Bürgermeisteramt telefonisch mitgeteilt – oder verschwiegen wurde. Mit Sicherheit ließen sich diese Fragen  beantworten, würde den forschenden Historikern der Zugang zu den Berichten der so genannten „Operationsgruppen“ der Securitate – nach 1956 „Abteilung K“ genannt – ermöglicht, sie waren für die Gegeninformation im Internierungssystem verantwortlich. Zur Zeit ist dies unmöglich.
Dennoch aber ergaben sich durch die erste Bearbeitung der Unterlagen vorläufige aufschlussreiche Daten. Gefängnistote (S.76) Erinnert sei hier an die schier unerschöpfliche Formenvielfalt von Exterminierungen, deren sich die Securitate zusätzlich zu den „üblichen“ gewaltsamen Todesarten in der Zelle bediente.
Innerhalb der Jahre 1945 – 1956 sind zahlreiche sonderbare Todesfälle vermerkt – auf der Straße, in Parkanlagen, vor Hauseingängen, in Eisenbahnzügen, auf dem Feld, im Wald. Sind die ersten noch auf das Konto der SMERSCH zu buchen, so die des Jahres 1956 als Abschreckungsaktionen der Securitate anzulasten – Reaktion auf das neu erwachte Freiheitsbedürfnis der Menschen im Gefolge des Berichtes Chruschtschows zur Entstalinisierung auf dem XX. Kongress der KPdSU; Bukarest verweigert sich nach einer Geheimsitzung dem Kurs Chruschtschows.
Zwischen 1945 und 1956 gab es überdies mehrere tausend Ermordungen von Bauern, die sich der Kollektivierung widersetzt oder, noch schlimmer, gegen sie erhoben hatten – zu den Morden im Kreis Torenburg/ Turda bekannte sich der Major Kovács, der auf Befehl des Chefs der Securitate Klausenburg/ Cluj Napoca gehandelt hatte, des als „Henker-Oberst“ bekannt gewordenen Mihai Patriciu. Es handelte sich um Demonstrationsmorde – die Opfer wurden am Ort der Erschießung, z.B. auf dem Marktplatz des Dorfes liegen gelassen, um von der Bevölkerung gesehen zu werden. Zwei dieser Morde fanden in Dorf Cufoia bei Lăpuṣ statt, Opfer waren der Bauer Alexa Bel und, im Kreis Arges, der Widerstandskämpfer Marinescu Gheorghe. Bezeichnend: Beide wurden aus dem Securitate-Arrest auf ihre Höfe gebracht und dort in Gegenwart der Nachbarn erschossen.
Von den zahlreichen Erschießungen in den Gefängnissen Jilava, Gherla, Aiud, Botoṣani, Galatz, Craiova, Zeiden/ Codlea und Großwardein/ Oradea fanden wir keine Listen noch kennen wir die genauen Namen. Bis 1958 verhängten die Gerichte Höchststrafen ausschließlich für Verrat; nach den verschärften Bestimmungen im Strafgesetz von 1958 wurden diese dann auch bei „Verschwörung gegen die soziale Ordnung“ angewandt. Unter den Tausenden von Ermordungen am Donau-Schwarzmeer-Kanal wurde die des Arztes Ion Simionescu wegen besonderer Umstände berühmt. Demonstrationsmorde gab es aber ebenso in Gherla und, wie gesagt, andernorts.
Auch die Zahl der Toten während der Untersuchungshaft muss auf mehrere tausend veranschlagt werden. Zu den bekanntesten sind der Tod des griechisch-orthodoxen Bischofs Vasile Aftenie, des Soziologiewissenschaftlers Anton Golopenţia und der Parlamentsabgeordneten der deutschen Minderheit Rudolf Brandsch (1880-1953) und Hans Otto Roth (1890-1953) – beide Siebenbürger – zu zählen.
1991 entdeckte man im Hof eines Gebäudes in Căciulaţi, einst Sitz des Securitatekommandos des Bezirks Snagov, über dreißig Menschenskelette. Der von der Regierung Iliescu mit der Untersuchung beauftragte Fachmann aus Argentinien befand, dass es sich um Knochenfunde aus dem Mittelalter handle – ob sich die These à la longue aufrechterhalten lässt? Im Frühjahr 2000 fand man im Keller der ehemaligen Securitateresidenz Tecuci, bzw. im Untergeschoss des vormaligen Sitzes der Patriotischen Kampfformationen von Bistritz-Năsăud in Nordsiebenbürgen weitere Massengräber, doch bis heute gab es keinerlei offizielle Mitteilung dazu. Gleiches ereignete sich ebenfalls Anfang der 1990er Jahre in den Wäldern von Dealul Mărului und Dealul Bulaṣului im Umkreis der Stadt Neamţ – auch dazu schwiegen die Behörden bisher.
1949 und 1950 verübte die Securitate eine Reihe von Meuchelmorden an politischen Häftlingen, die als zu gefährlich galten, um am Leben gelassen zu werden. So geschehen 1949 mit der Gruppe bewaffneter  Widerständler  in den Banater Bergen; wurde Spiru Blanaru gemeinsam mit vier anderen Häftlingen am 16. Juli liquidiert, so ließ die Securitate weitere sieben Mitglieder der Gruppe auf teuflische Art „spurlos“ hinrichten: Unter dem Vorwand der Verlegung aus dem Temeschwarer ins Aiuder Gefängnis ließ die Eskorte sie in Pădurea Verde bei Temeschwar/ Timiṣoara aus dem Transportwagen steigen, erschoss und verscharrte sie. Bis heute blieb die Stelle unbekannt. Am 14. August 1949 ließ die Gefängnis- und Lagerdirektion als Todesursache in die Sterbeurkunden eintragen: „Herzversagen“, „Myokarditis“, „Lungenentzündung“, „Chronische Myokarditis“, „Bluthochdruck“. Dazu ein zynisches Detail: Im Begleitschreiben an die Gefängnisleitung Aiud forderte die Temeschwarer Securitate-Direktion die „Kleidung der Verlegten zurück, mit genauer Angabe der Einzelstücke. Anstelle der Bestätigung ist auf dem Antwortschreiben oben rechts kommentarlos der handschriftliche Eintrag „Hingerichtet“ („executaţi“) zu lesen. Das entsprechende Papier stellte und Herr Teofil Botlung zur Verfügung.
Ebenso gab es in jenen Jahren der Liquidierung bewaffneter Widerstäöndler die „Todestransporte“, Fahrziel: Pădurea Verde bei Temeschwar/ Timiṣoara im Banat. Im Frühjahr 1950 verließ einer dieser Transporte das Gefängnis Gherla mit 38 wegen Unterstützung der Résistance in der Dobrudscha zu fünfzehn Jahren und lebenslänglicher Zwangsarbeit Verurteilten. Sie wurden nie wieder gesehen. Andere Gruppen – Widerständler aus dem Siebenbürgischen Westgebirge nebst Helfern – wurden aus den Gefängnissen Gherla, Hermannstandt/Sibiu, Aiud, Piteṣti, Miṣlea – darunter die 23-jährige Studentin Alexandrina Pop – in den Monaten März und April 1950 auf Transporten hinterhältig ermordet.

Die Securitate (offiziell Departamentul Securității Statului, dt. Abteilung für Staatssicherheit) war ab 1948 ein rumänischer Geheimdienst. Bei seiner Auflösung im Jahr 1990 gab es schätzungsweise 40.000 offizielle und 400.000 inoffizielle Mitarbeiter.
 Geschichte 
Die Securitate wurde durch das Dekret Nr. 221/30 am 30. August 1948 gegründet.[1] Laut Dekret war die offizielle Aufgabe des Dienstes „der Schutz der demokratischen Errungenschaften und die Garantie der Sicherheit der rumänischen Volksrepublik gegen alle äußeren und inneren Feinde“. Die Mitglieder rekrutierten sich vorrangig aus rumänischen Kommunisten, anfänglich wurden auch viele Agenten der ehemaligen Königlichen Geheimpolizei DGPS (Direcția Generală a Poliției de Siguranță) aufgenommen. Unter der Herrschaft von Nicolae Ceaușescu wurden auch Kinder aus Waisenheimen für den Dienst in der Präsidentengarde rekrutiert. Leiter der Securitate war anfangs der NKWD-Generalleutnant Gheorghe Pintilie (wirklicher Name: Panteleimon Bondarenko). Seine Stellvertreter, der NKWD-Generalmajor Alexandru Nicolschi (wirklicher Name: Boris Grünberg) und der sowjetische Offizier Vladimir Mazuru (wirklicher Name: Wladimir Mazurow) hatten allerdings die Oberhand in allen Entscheidungen.
Im Laufe der Zeit entwickelte die Organisation eine große Brutalität. So führte man ein Experiment in einem Gefangenenlager in Pitești durch, das die Insassen dazu brachte, ihre Zellengenossen zu quälen und zu ermorden. In Säuberungswellen, Deportationen, Umerziehungsmaßnahmen und Schauprozessen wurde eine allgemeine Stimmung der Angst erzeugt. Die Repressionsmaßnahmen kosteten schätzungsweise 200.000 Menschen das Leben.
Nach der Machtergreifung von Gheorghe Gheorghiu-Dej wurde die Securitate auch für interne Säuberungen eingesetzt. Nicolae Ceaușescu ließ dann den Geheimdienst streng national ausrichten und „säuberte“ ihn von sowjetischen Agenten. Durch eine Verbindung der Organisation mit dem Innenministerium und der Partei entwickelte sie sich zu einem allgegenwärtigen Kontrollorgan, das nicht mehr mit offenem Terror agierte, sondern subtil gegen einzelne Personen oder Vereinigungen vorging. Berüchtigt war die Arbeitsweise, bei der Regimegegner in so genannte „psychiatrische Anstalten“ verbracht wurden.
1990 wurde die Securitate aufgelöst, die Nachfolgeorganisation ist der Rumänische Informationsdienst (SRI, Serviciul român de informații). Welche Rolle die Organisation bei der Revolution im Dezember 1989 und den späteren Protesten der rumänischen Bergarbeiter, den so genannten Mineriaden, spielte, ist noch ungeklärt. Rumänischen Zeitungsberichten zufolge gab es eine große Anzahl von Ceaușescu-Gegnern innerhalb des Dienstes. Dieser Teil der Securitate hatte offenbar eine Beseitigung von Ceaușescu vorbereitet, die dann aber durch die überstürzten Ereignisse um denTemeswarer Pfarrer László Tőkés und die Rumänische Revolution 1989 nicht plangemäß umgesetzt werden konnte.
Die Aufklärung der Handlungen und Straftaten bzw. Verbrechen der Securitate begann im demokratischen Rumänien, im Gegensatz zu anderen osteuropäischen Staaten, sehr schleppend. Erst unter der Regierung Emil Constantinescu wurde ein Gesetz erlassen, das den Bürgern ähnlich dem Prinzip der deutschen Gauck- bzw. Birthler-Behörde Einsicht in die Akten des Geheimdienstes gewährt.
Nach Schätzungen rumänischer Wissenschaftler leben 500 bis 2000 Mitarbeiter des ehemaligen rumänischen Geheimdienstes bislang unbehelligt in Deutschland. Die Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller kritisiert diesbezüglich Versäumnisse der deutschen Strafverfolgungsbehörden. Sie selbst war immer wieder Ziel und Opfer von Schikanen, Drohungen und Ermittlungen durch die Securitate.[2]

Organisationsstruktur 

Direktorat für Gegenspionage

Direktorat für Haftanstalten, Generaldirektorat für Technik , Direktorat für Innere Sicherheit, Nationale Visa-Kommission, Direktorat der Sicherheitstruppen, Direktorat für Miliz, Direktorat V (Personenschutz).

 

Soziale Struktur 

Im Februar 1949 waren von 3553 Securitate-Angestellten 64 Prozent Arbeiter, 28 Prozent Beamte, 2 Prozent Intellektuelle, 4 Prozent Bauern und 2 Prozent Berufsrevolutionäre. In der politischen Zugehörigkeit waren 95 Prozent Mitglieder der kommunistischen Partei, 5 Prozent parteilos. Nach Geschlecht ergaben sich 88 Prozent Männer und 12 Prozent Frauen. Bezüglich der Abstammung waren 83 Prozent aller Kader Rumänen, 10 Prozent Juden, 6 Prozent Ungarn, und 1 Prozent andere Minderheiten. Von 60 Offizieren waren 63 Prozent Rumänen, 25 Prozent Juden, 5 Prozent Ungarn, 3,5 Prozent Ukrainer und 3,5 Prozent Armenier und Tschechen. Der Anteil der Juden in der Securitate war verglichen mit ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung (nur 2 – 2,5 Prozent) relativ hoch.[3]

Literatur     

§  Dennis Deletant: Ceauṣescu  and the Securitate, London, 1995. ISBN 1-56324-633-3
§  Cristian Troncota: Istoria serviciilor secrete romanesti, Editura (Verlag) Ion Cristoiu, Bukarest 1999, ISBN 973-99233-0-5.
§  Ion Pacepa: Chronicles of a Communist Spy Chief, Regnery Publishing, 1987. ISBN 089-52-657-02
§  Antonia Rados: Die Verschwörung der Securitate. Rumäniens verratene Revolution, Hoffmann und Campe, Hamburg, 1990, ISBN 3-455-08378-1.





[1] Walter Benjamin, Illuminationen, suhrkamp taschenbuch, 1977
[2]  Vgl. Joachim Wather, Sicherungsbereich Literatur, Berlin 1996, S.724-729). Und die Reihe „Arhivele  Securitatii“ im Nemira Verlag Bukarest. Besonders den Band „Partiturile Securitaţii“.
[3] In: In: Plan. Kunst-Literatur-Politik.2.Folge (1948),H. 6.,S. 423.
[4] Alfred Kittner (* 24. November 1906 in Czernowitz, Bukowina; † 14. August 1991 in Düsseldorf) Zum Germanistikstudium ging er nach Breslau, brach dieses jedoch 1931 ab. Von 1932 bis 1935 arbeitete er als Redakteur für die Zeitung "Der Tag". Nach Besetzung der Bukowina durch sowjetische (1940) sowie rumänische und deutsche Truppen (1941) wurde er ghettoisiert und 1942 nach Transnistrien deportiert. Seine Zwangsarbeit in einem Steinbruch und Aufenthalt in Lagern („Hungermarsch und Stacheldraht“) endete 1944 mit der Befreiung durch die Rote Armee. 1945 zog er nach Bukarest um.
1958 geriet Kittner ins Visier der Securitate. Die Geheimpolizei wollte von ihm Einzelheiten über die Schriftsteller Alfred Margul-Sperber (1898-1967) und Oscar Walter Cisek (1897-1966), später auch über Paul Schuster, Dieter Schlesak und Petre Stoica (1931-2009) erfahren. Damals unterzeichnete Kittner eine Verpflichtungserklärung und wurde zum IM (Inofffiziellen Mitarbeiter), der den Decknamen „Leopold Ludwig“ erhielt (später bekommt er die Pseudonyme: „Lalu“ und „Karol“ oder „Karol Andrei“). Kittner hatte in den nachfolgenden Jahren vergeblich, den Fängen der politischen Polizei zu entkommen. 1977 verzichtete die Securitate auf seine Mitarbeit, ohne ihm dies jedoch mitzuteilen. Im gleichen Jahr wird er von dem Securitateoberst Gheorghe Preoteasa als IM reaktiviert. 1979 droht er in einem Brief, sich das Leben zu nehmen, falls der Geheimdienst ihn weiterhin belästigen würde. In einem internen Securitatebericht vom 31. Januar 1979 wird festgehalten, dass man auf seine Mitarbeit verzichtet habe.  Ende 2010 entdeckte Dieter Schlesak in seiner Securitateakte mehrere von Kittner und Oskar Pastior unterzeichnete Berichte. Nach dem Tod seiner Frau 1980 übersiedelte Kittner in die Bundesrepublik Deutschland. Er ließ sich in Düsseldorf nieder und starb auch dort. (Wikipedia).

[5]  Vgl. dazu die Online-Zeitschrift „Gardianul“ vom 17. Januar 2009: Caraion  an die politische Polizei: Marin Preda machte Sex mit Nina Cassian auf dem nackten Fußboden (Caraion către poliţia politică: Caraion făcea sex cu Nina Cassian direct pe duṣumea.) In Diesem Artikel gibt es noch andere Enthüllungen, die mir bekannt vorkommen, da ich sowohl mit Cassian als auch mit Caraion befreundet war.
[6]  Im „Raport Final“ a.a.O.  wird unter den Securitate-Methoden der „Rekrutierung von IMs“ besonders auf die Anwerbung von Häftlingen und ehemaligen Häftlingen und ihre Angst- und Foltererinnerung eingegangen.
[7] Diese gab  mir neben den vielen Interviews und Familiendokumenten die Möglichkeit meinen Dokumentarroman „Capesius, der Auschwitzapotheker“ (Bonn, 2006) zu schreiben.
                       [8] Vgl. dazu Victor Zaslavsky, Klassensäuberung. Das Massaker von Katyn, Berlin 2007, vor allem S. 115-125.
[9] Vgl. dazu Burkhard Müller, Der Passant und der Zeuge. Warum die Reportage das Erbe des Romans nicht ausschlagen kann. 

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