INHALT
Einleitung. Kann es noch Heimaten geben
Ein Symposion mit Claudio Magris in Triest ………………………………….
Finis Saxoniae als Muster des Verschwindens ……………………………….
I
EINLEITUNG
FINIS SAXONIAE ALS MUSTER DES
VERSCHWINDENS TRADITIONELLER GESELLSCHAFTEN?
Meinen Eltern und Großeltern
I Finis Saxoniae und der mioritische Raum der Schönheit
Die Auswanderung
der Rumäniendeutschen in die Bundesrepublik hatte schon in den sechziger Jahren
begonnen, der Ceauşescustaat verkaufte sie, die
Juden ebenfalls wie Vieh. Das hieß dann „Familienzusammenführung“, es
war eine Zusammenführung von durch den Krieg getrennter Familien, meist zu den
ehemaligen rumäniendeutschen SS-Leuten, die nicht mehr zurückkehren wollten
oder konnten, wie etwa der sächsische Auschwitzapotheker Dr. Victor Capesius,
der in Klausenburg zum Tode verurteilt worden war! Aber vergessen wir nicht:
die Rumäniendeutschen kamen erst durch ein staatliches Abkommen (1943) zwischen
Bukarest und Berlin in die „fremde“
Armee, mussten dort ihren Wehrdienst ableisten (man nannte es aber
„freiwillig“). Sie taten es freilich gerne, viele mit Begeisterung. Es war
trotzdem ein verheerender Traditionsbruch, die eigentliche Ursache ihres
Verschwindens, unter kräftiger Mithilfe des rumänischen Staates. Doch erst nach
der Wende 1990 kam der eigentliche Todesstoß auch für die Gemeinschaft der
Siebenbürger Sachsen, ein Massenexodus nach Deutschland setzte ein, der viele
Ortschaften, die etwa 250 Dörfer im Leeren und entvölkert zurückließ. Nichts, Nichts – nach 850 Jahren der
Einwanderung aus dem Bistum Lüttich und Rhein-Moselgebiet um die Zeit
Barbarossas (1140-1160), ein Geschichtsende, ein Aus.
Schön dieses Mutter
Land
Woher wir kamen
Vor fast tausend Jahren
Dort kommen wir wieder an.
Mit Grabsteinen im Gepäck.
Peter Jacobi, der siebenbürgische
Bildhauer, hat in einem Foto-Buch
„Pelegrin prin Transilvania“ diese summende Leere festgehalten. Es sind
ergreifende Kunstfotos der furchtbarsten Verwüstung verlassener, verfallener Dörfer, Kirchen, Kirchenburgen, Felder, Ruinen,
die wie ein Schlag ins Auge wirken, das Herz ergreifen.
Für den Siebenbürger Bildhauer war
es eine Heimkehr wie ins NOCH Abbildbare, das Nichts im Zeitfoto noch
erkennbar, was in diesen meist siebenhundert Jahre alten Denkmälern (einige
Weltkulturerbe) Kirchenräumen, Orgeln, Wehrtürmen, Festungsmauern, leeren, grasbewachsenen
Zimmern und leeren Fensterhöhlen – alten Pfarrhäusern: Ruinen widerscheint, ist
ein Erschauern unaufhaltsamer Vergänglichkeit. Verschwinden und Abschied auch
in den Namen: Abtsdorf, Wölz, Kerz,
Arkeden, Draas, Halvelagen, lösen noch tiefe Erinnerungen, auch bei mir
aus, als könnten sie, wie die Toten,
durch uns hier auf der alten Erde ein wenig weiterleben: Ja, wie der Blitz
treffen mich die Bilder, als wäre Gedächtnis mit den Händen, doch so
verunstaltet, wieder greifbar. Hier, ja, da fuhr ich doch als Kind mit dem
Großvater, er war Tierarzt, auf klapprigem Leiterwagen zu seinen „Patienten“!
Waldhütten, Bistritz, der Geburtsort des Vaters meines Vaters. Kreisch,
Wolkendorf Klosdorf, Jakobsdorf, Hamruden, Wurmloch, Denndorf, wo ich einmal
Dorfschullehrer gewesen war, vor allem aber, die schönste Kirchenburg Keisd,
mit Steinen, Ziegeln als Uhrgewichte im Foto, Zeit…? Stehen geblieben
oder erst recht rasend im Leeren, im Stehen, im Verlassen-Sein hin zur „Ewigkeit“
Von da kam der berühmte Nadescher Wein, den wir an Festen tranken… Noch 200 andere sächsische Dörfer könnten aufgezählt werden, Pruden, der
Geburtsort meines Großvaters, Hetzeldorf, Denndorf… Wunderbar ist in Jacobis Buch
abgebildet: Magarei/ Pelişor, der
Dachboden des großen verfallenen Pfarrhauses mit einem unheimlichen Durcheinander von bäuerlichen
Geräten, die mit ihrer nutzlosen sächsischen Benennung nun sterben. Ein
Schriftzug an der Wand: „Der letzte evangelische Pfarrer, Gunesch, ist 1979
ausgewandert.“ Jacobis Buch ist kein
nostalgisches Klagen, sondern ein
Ergreifenwollen, ein Aufrütteln, ein Versuch noch zu helfen, zu retten,
was noch zu retten ist.
So empfand ich auch mein Erlebnis, das
mich seit meiner bisher letzten Heimreise nicht mehr loslässt. In Magarei, auf
der Fahrt durch diese siebenbürgische Urlandschaft über Land; wir waren zu
viert: meine Frau und zwei rumänische Dichterinnen und Freundinnen, Ioana
Crăciunescu und Mariana Gorczyca, wir fuhren mit Iohannas Auto nach Hetzeldorf
und Magarei, wo Ioana mit ihrer Stiftung, die beiden verfallenden Pfarrhäuser
restaurieren lässt und zu Gedenkstätten und Begegnungszentren ausbaut,
museumsartig im sächsischen Stil. Ein enormer Reichtum und eine einzigartige Mühe in tiefster Besessenheit für das Aufbewahren
des Vergänglichen, Vergehenden, des Altertümlichen mit all seiner einmaligen,
nun vergehenden kostbaren Aura, die tief anrührt.
In diesem Geöffnet-Sein kam viel hoch, da
wurde ich berührt von dieser so
vertrauten, aber vergessenen Aura und Landschaft, die sich an Schönheit mit meiner zweiten Lebenslandschaft, wo ich
seit fünfunddreissig Jahren lebe, der Toskana, messen kann: Diese samtene Sanftheit der siebenbürgischen Wellengegend, als bilde
sie das Urphänomen des Kosmos grün nach,
Hügel, diese wie unbetreten wirkende Kinderlandschaft, noch völlig
erhalten, manche würden sagen „verlassen“, und doch wie weiße Gegenden und
unbetretene Landkartenflecken, verschont, ein Eck wie außerhalb der Zeit und
der Welt. Es schlug wie ein Blitz wieder in mir ein, wie eine neue Liebe gab es
keine Ruhe, bis auch dieses Buch daraus entstand. Neue Liebe? Und ist doch die alte, die schlief. Als wäre
mein lebenslanges Exil plötzlich für Stunden liebend aufgehoben…
(…)
Das Elend beginnt radikal aber erst mit dem Minderheitenstatus nach 1867
bzw. 1876, der Auflösung ihres
"fundus regius", des Königsbodens durch die Ungarn, und dem dazugehörigen Minderwertigkeitskomplex,
dem historischen Nichts, ja, Abgrund dem sie gegenüberstanden. Das sich
nachher ans "Reich"- Anschließen, um irgendwo einen Boden zu haben,
begann damals. Die beginnende chauvinistische Reichsbegeisterung setzte also schon
mit der Reichsgründung 1871 ein. Bis dahin waren sie ja als „Volk“ geschützt,
und schielten kaum nach Deutschland: Sie hatten eine Selbstverwaltung, die „Nationsuniversität“,
an der Spitze den „Sachsengrafen“, eigene, selbstgewählte Richter und Stadtrechte,
natürlich Schulen bis ins kleinste Dorf, (die erste allgemeine Schulpflicht in
Europa) etc. Die Mehrheit der Rumänen gehörten
dieser „unio trium nationem“ und dem siebenbürgischen Parlament, dem Landtag
nicht an, sie hatten keine Rechte, so dass E.M Cioran in einem Brief an den
Verfasser schreiben konnte: "Ich kann mir vorstellen, dass Sie sich mit
den Italienern sehr gut verstehen, die Rumänen mit Vergangenheit sind. Diese armen Rumänen haben offensichtlich keine.
In Ihren Memoiren sollten Sie, glaube ich, dieses originelle Phänomen
hervorheben: es ist das einzige Volk Europas mit dem Vorteil, keine Geschichte
zu haben. Gilt dies schon für die Walachen, wieviel mehr dann für die Siebenbürger,
deren "historische" Kondition eigenartig der der Neger gleicht. Es
gibt, glaube ich, einen Pakt, der bis zum Beginn des 15. Jahrhunderts
zurückreicht, mit dem Ungarn und Sachsen
sicht verpflichteten, diese elenden Eingeborenen in Sklaverei zu halten.
Welch eine Umkehr der Situation! ... Es gibt trotz allem eine Art von
Gerechtigkeit in der Geschichte. Das Gesindel*, das schweigend leiden kann,
gewinnt am Ende ohne Ausnahme. Sie tun gut daran, in ein anderes Land zu gehen.
Meine Auffassung ist, dass man so lange wie möglich im Ausland leben soll. Ich
bin kein Flüchtling, ich bin ein Emigrant. Eine eigene Entscheidung, zu der ich
mich täglich beglückwünsche." (Vgl. Sinn und Form, 1/1996.) Cioran bezog
sich da auf 1918/1920/1923 als dann die Rumänen das Land übernahmen und die Ungarn und Sachsen nun im
Gegenzug kaum Minderheitenrechte einräumten, sie in eine unterlegene und
minderwertige Minderheiten-Lage brachten, die ich weiter unten beschreiben
werde.
Ihre Geschichte war notwendigerweise immer ein
Abwehrgefecht wider den Lauf der Zeit (sogar die unseligen Jahre 1940-44, als
die Rumäniendeutschen unter sächsischer Führung an Nazideutschland politisch
mit allen verheerenden Kriegskonsequenzen
„angeschlossen“ wurde, kann man so als Versuch der „Rettung“ deuten),
bis dieser Zeitlauf, dann mit ihrer eigene kräftigen Beihilfe, ähnlich wie in
alten Tragödien, wo das Gegenteil erreicht wird, von dem was beabsichtigt
wird, oder alles Instrument des nicht
änderbaren Schicksals ist, denken wir an Ödipus, sie schließlich überrollte und mit ihrem geschichtlichen
Verschwinden bestrafte.
De „ungarische Zeit“ also, die
alles, auch das Verschwinden durch diese (legitime oder tragische) Gegenwehr
immer im Sinne eines gefährlichen Zeitgeistes vorbereitete. Gegen die
ungarische Verwaltungsreform 1876/77, wo ihr Königsboden zertrümmert wurde, in
Komitate aufgeteilt, an der Spitze ein Staatsvertreter aus Budapest, der
Obergespan trat, konnten die Sachsen nichts tun, die bisher nur dem König
direkt und keinem Grundherrn oder Staat untertan gewesen waren, nun waren sie
es, keine „ständische Nation“, sondern eine ausgelieferte Minderheit ohne
spezielle Rechte, Institutionen oder Verwaltung, außer der Kirche und den
Schulen noch, die aber ebenfalls durch eine rigide Magyarisierngspolitik
bedrängt wurden, so dass viele Sachsen, vor allem nach USA auswanderten. Gegen diese Bedrängnis allerdings
konnten sich die Sachsen wehren, sie behielten Sprache, Schulen und Kirche.
Dabei war der Anteil der ungarischen Bevölkerung 1900 nur etwa 25%, der Deutschen
ca. 9%, der Rumänen aber 60% in Siebenbürgen, die, eine Mehrheit, ebenfalls weiter rechtlos wie eine Minderheit
bedrängt wurden.
Gegen den fremden Nationalismus
wehrten sich die Sachhen und allgemein
die Rumäniendeutschen, mit einem eigenen Nationalismus, sie fühlten sich nun
weniger als isoliertes siebenbürgisches „Volk“, denn seit 1871 als „völkisch“,
dem neuen Deutschen Reich verbunden, und nicht mehr Österreich, das sie, da das
k.u.k. Regime alle ungarischen Repressionen zuließ, mit seiner Bürokratie und
autoritärem Verhalten enttäuschte. Das „Reich“ war nun der moralische und
helfende Orientierungsgrund mit allen deutschnationalen Idealen und auch Giften
durch die wilhelminische Zeit und bis hin zu Hitler und dem Abgrund des
Krieges, der sie vernichten sollte!
IV
România Mare
Der zweite Schlag für die Sachsen und alle Rumänien-Deutschen
war dann der Erste Weltkrieg, die Niederlage der Mittelmächte, Österreich-Ungarn
und Deutschland, dieses Europa, wo drei Kaiserreiche, die zum Krieg geführt, aber auch Sicherheit
gewährt hatten, nun plötzlich verschwanden und die k.u.k.-Monarchie aufgeteilte
wurde. Aus diesem Chaos entstand ja dann
im ersten großen rumänischen und so unerwarteten historischen Triumph România
Mare, da Rumänien, obwohl erst 1916 in den Krieg eingetreten, durch
Vertragsbruch, 1918 Waffenstillstand und
Vertrag mit den Mittelmächten, Selbstentwaffnung, wirtschaftliche Unterwerfung
unter die Mittelmächte, gebrochen hatte, zu den Siegern gehörte. Trotz Vertragsbruch
wurden durch Vorsprache Frankreichs und Großbritanniens die bei Kriegseintritt
gegebenen Versprechen eingehalten: Bessarabien, Nordbukowina, Siebenbürgen und
einen Teil der Dobrudscha wurden im
Friedenvertrag von Trianon 1920 Rumänien
zugesprochen, so dass das Staatsgebiet um die Hälfte und die Bevölkerung um mehr als ein Viertel wuchs, ein
Vielvölkerland mit 19 Minderheiten entstand, wobei Rumänien überhaupt keine
Erfahrung mit Minderheiten hatte, weiter das französische zentrale
Einheitstaatsprinzip einer einzigen Nation folgte, was sich verheerend für die
Minderheiten auswirkte. Vor allem für die Sachsen und Ungarn, die nun in ein
fremdes Land kamen, das bisher Feindesland gewesen war, sogar für die
Siebenbürger Rumänen, die ja in der k.u.k-Armee gegen ihre eigenen Brüder kämpfen mussten. Aber auch die Regat-Rumänen
empfanden die Siebenbürger als fremd, so wird gesagt, es gäbe einen Politiker-Ausspruch:
Wir wollen Siebenbürgen, doch ohne Siebenbürger!
Man muss sich das mal vorstellen. Noch 1916, als die rumänische
Armee die Karpaten überschritt und Südsiebenbürgen besetzte, flohen die Sachsen
nach Österreich und Ungarn. Ich kenne dies schockartige Ereignis aus den
Erzählungen meiner Eltern und Großeltern, nur „die Flucht“ genannt. Und kamen
dann 1917, als Rumänien wieder zurückgedrängt, trotz zweier großer Siege, doch
letztlich besiegt wurde, wieder ins immer noch k. u. k- Siebenbürgen nach Hause
zurück.
Doch dann kam der 1.Dezember 1918,
eine Nationalversammlung der Siebenbürger Rumänen trat in Karlsburg - Alba
Iulia zusammen und beschloss den Anschluss Siebenbürgens, des Banats. Des
Kreischgebietes, Sathmars und der Maramureş an das Königreich. Von dieser,
damals noch siebenbürgisch- rumänischen Vertretung, die selbst wusste, was
Minderheitenstatus bedeutet, wurde den Minderheiten dabei weitgehende Rechte
und „volle nationale Freiheit“ versprochen, die später dann das ferne und minderheitenferne Bukarest niemals
einhielt. Am 8.Januar 1919 stimmten die Siebenbürger Sachsen und die übrigen Rumäniendeutschen auf der
Mediascher Sitzung ihres Deutsch-Sächsischen Nationalrates der Vereinigung
zu, da sie sich so bessere
Verhandlungsergebnisse für ihre Rechte erhofften. Ihr anfängliche Optimismus wurde schwer
enttäuscht, da sie gehofft hatten vom neuen rumänischen Staat aus der Erfahrung
ungarischer Unterdrückung viel Verständnis für ihren Minderheitenstatus zu
erhalten, ja, sie stellten sogar beim 4. Sachsentag im November 1919 in
Schässburg grundlegende Forderungen an Rumänien. Nichts wurde erfüllt. Im
Minderheiten-Schutzvertrag mit den Westmächten gab es nur allgemeine
Formulierungen, nichts wirklich Konkretes.
Und in der neuen Verfassung von 1923 wurden die Minderheiten nicht
einmal erwähnt. Auch die Agrarreform von 1921, die ausgleichende soziale
Gerechtigkeit anstrebte, Latifundien und Großgrundbesitz enteignete, den Bauern
Land gab, zerstörte weiter die reiche sächsische Gemeinschaft, als wollte die Geschichte
sich an ihr, die die andern Nationen immer ausgebeutet hatte, rächen. Es gab zwar keinen Großgrundbesitz, aber die
gemeinsame „Gemeinderde“ des früheren „Königsbodens“, Betriebsgrundlage für die
Kleinbauern, wurde enteignet, ebenso verlor die Kirche über die Hälfte ihres
Grundeigentums, das die finanzielle Grundlage der Kultur, vor allem der Schulen
gewesen war. So musste die Kirchensteuer erheblich erhöht werden. Betroffen
waren auch viele, aber vor allem die sächsischen Banken durch ungünstigen
Umtauschkurs der „Umschuldung“, in unserer Familie ein Horrorwort, der Krone in
Lei. Was zu Verarmung führte, und die sächsischen Banken, die oft 10% des Gewinns
für Soziales abgaben, nicht mehr helfen konnten. Ebenso war die sächsische
sonst reiche Wirtschaft hart betroffen. All das führte zu großen
Unzufriedenheiten in der Bevölkerung auch mit der eigenen konservativen Führung
und der Kirche, die den Vertrag der Vereinigung mit Rumänien unterzeichnet hatte,
so dass „Unzufriedenbewegungen“ entstanden und die „Selbsthilfe“ des
Rittmeisters Fritz Fabritius, zuerst wirtschaftlich orientiert, für günstige
Kredite, Hausbau usw., aber immer mehr ins nationalsozialistische Fahrwasser
abglitt. Und die Sachsen schon 1922 den Hitlerputsch begrüßten. Weiter wurden
nichtrumänische Staatsbeamte entlassen oder nur noch Rumänen eingestellt.
Chauvinistische Bestrebungen nahmen überhand, es gab sogar einen „numerus valachicus“ in einem
Gesetz „zum Schutze der nationalen Arbeit“, wo nichtrumänische Angestellte aus
Betrieben und Ämtern hinausgedrängt werden sollten. Er wird erst unter dem Druck des Völkerbund-Ausschusses zurückgenommen.
Und generell war es so, dass ja die
Karlsburger Beschlüsse mit siebenbürgenrumänischen Politikern abgeschlossen
worden waren, die aber nun selbst entlassen und keine Macht mehr hatten (der
leitende siebenbürgischrumänische Regierungsrat für Siebenbürgen, der zuerst
die Geschäfte führte, wurde aufgelöst!), sondern es wird nur noch alles
aus Bukarest gesteuert, „Regatler“,
Beamte aus dem Altreich werden eingesetzt, die überhaupt kein Empfinden für Minderheiten
hatten. Was selbst Siebenbürger Rumänen sehr missfiel.
Diese allgemeine Notlage führte
langsam dazu, dass die Sachsen immer mehr völkische Ideen entwickelten,
nazistische „Erneuerungsbewegungen“ etwa, die aus der „Selbsthilfe“ entstanden,
und die im November 1940 schließlich zur verheerenden rechten „Autonomie“, die
ja in Karlsburg versprochen worden war, allerdings jetzt einer Organisation
„öffentlichen Rechts“ einer Nazi-Volksgruppe und eines „Volksgruppenführers“
führte, der sogar in Personalunion mit dem Hitlerreich verbunden war: Andreas
Schmidt, Schwiegersohn von SS-Obergruppenführers Gottlob Berger, der
verantwortlich für die SS-Rekruten war. Der „Anschluss“ ans „Reich“
war - mit allen Konsequenzen -
perfekt.
Oh wie schön. Bahnhöfe
der alten Monarchie/ weiche Anfahrt
im tschechischen
Laut/ böhmische Dörfer...
Büffel, Ziegen und Schnitterlieder/ Korn und Kühle
Tonkrüge. Sensen geschultert. (Der Riese Tod!)
Tanzte Csardas, Polka, Hora, Donauwalzer.
Ein Kaiser mit Backenbart auf allen Briefen.
Und ich höre meinen Großvater Goldenes Zeitalter der Sicherheit. Dauer.
Ging damals zu Ende, 1918? Die österreichische Krone. Gold. Ordnung. Aus. Alles
am rechten Platz, jeder wusste, wo er hingehörte. Zinsen genau berechenbar.
Beamte und Offiziere, die den genauen Tag der Pensionierung wissen. Schon dem
Säugling legte man ein Sparbuch an. Immer war eine kleine Reserve da für
Notzeiten und Krankheit. Aus. Bisher hatte man solide gewirtschaftet, man ging
keine Risiken ein; verbrauchte immer nur einen geringen Teil der Einkünfte und
machte Rücklagen, kaufte Grund und Haus, dachte an die Zukunft. keinen Plunder!
Aus?
Vater sagte manchmal: „Seit dem
verlorenen Krieg von 1918 und dem Zusammenbruch der Monarchie ist nichts mehr
so wie es war.“ Ich denke an Joseph Roth oder Stefan Zweigs „Welt von gestern“…
alle, alle sind sie an diesem Leid, dass jene Welt untergegangen ist, zugrunde
gegangen, mancher durch Suff oder Selbstmord. Keiner wusste, dass der Teufel Rettung
anbot und zum neuen und endgültigen Untergang dieses Lebens hier führte und zum
Tod so vieler, auch aus meiner Familie.
(…)
VI Finis Saxoniae - der eigentliche Grund: die Nazizeit
Die Mehrzahl der Sachsen verdrängt die Ursache ihres Verschwindens
Dieses Ende, das sich nun vor unseren Augen
vollzieht, ein historisches Ende, das u8numkehrbar drastisch und als Folge der
gewachsenen Reichsbegeisterung 1940 begann (unter kräftiger Mithilfe der
politischen Elite und der vielen SS-Freiwilligen) - ist unbestreitbar und
diesmal wie ein Verrat außersiebenbürgisch und gegen jede bisherige Tradition.
Doch die Mehrzahl der Rumäniendeutschen wollen diese Mitschuld, die ein
radikaler Traditionsbruch war, nicht
wahrhaben. "Da wir zwischen den Mühlsteinen des verhängnisvollen Laufes
der Geschichte in den 40-er Jahren aufgerieben wurden, darf es keine
Schuldzuweisung geben, auch nicht an unsere politischen Führung" (So der
ehemalige SS- Offizier Roland Albert, die zweite Hauptfigur meines Romans
„Capesius, der Auschwitzapotheker“). Jene „Führung“ war damals die Lümmelgarde
des Volksgruppenführers Andreas Schmidt, Schwiegersohn des
SS-Reichsrekrutierers Obergruppenführer Gottlob Berger. Schmidt trägt die Mitverantwortung dafür, dass es 1943
jenen verhängnisvollen Vertrag zwischen Bukarest und Berlin gab, und dass so
fast jeder wehrpflichtige Rumäniendeutsche
automatisch in eine fremde Arme. zur SS kam. Viele wurden dann in den
KZs eingesetzt. So auch der rumänische Hauptmann Victor Capesius, der
zwangsweise zur SS beordet, zum
Auschwitzapotheker ernannt wurde. Und der erwähnte SS-Offizier (er freilich
meldete sich begeistert freiwillig noch vor der Zeit) schreibt: "Es ist
müßig, nach einem halben Jahrhundert noch nach Schuldigen zu suchen, wie es die
Vertreter der jüngeren Generation tun, die diese Zeit nicht am eigenen
Leib (und an eigener Seele!) erlebt haben. Volentem fata ducunt, nolentem trahunt, zu
Deutsch in Nietzsches Fassung: Schicksal ich folge dir, und wollt ich nicht,
ich müsste es doch unter Schmerzen tun. Es hätte nichts genutzt, wenn wir
versucht hätten, gegen den Strom der Zeit zu schwimmen... Wir waren keinen Nazis, wir haben bona fide wie eh und je, als Deutsche gehandelt und die Tragödie
unseres Völkchens ist ein Teil des gesamtdeutschen Ruins dieses Jahrhunderts..."
So vermischt man Wahrheit und Lüge zu einem einzigen Brei, der jede
Verantwortung abschiebt!
Diese "Zeitfelder"
spiegeln sich in der Literatur durch Strukturen und Strukturen psychischer
Gegebenheiten von Personen. Es geht um einen
bestimmten, historisch geformten Menschentypus, den der Siebenbürger Sachsen,
zu dem ich selbst gehöre, so dass ich mich für meine Personen auch auf
Selbstanalyse stützen konnte. Um diesen Menschentypus und das auch
selbstverschuldete Ende seiner Geschichte, 1940-1945, und sein heutiges
Verhältnis dazu, um diese innern
"Zeitfelder" analysieren zu können, nehme ich als Grundlage
Texte aus meinem eigenen Dokumentarroman
über den „Auschwitzapotheker“ (2006, rumänisch Farmacistul dela Auschwitz“,
Polirom 2008)) und dem Roman "Vaterlandstage und die Kunst des Verschwindens",1986
bei Benziger in Zürich erschienen ist (rumänisch „Zile acasă“, Fundaţia 1994),
an dem ich zwanzig Jahre gearbeitet habe. 6000 Seiten sind in Mappen geordnet,
ein Bruchteil davon ist erschienen. Der Erzähler, der "zu Hause" von
einem kommunistischen Gericht verurteilt ist, nicht heimkehren kann, schickt
an seiner Stelle die Hauptfigur Michael T. in seine siebenbürgische Vaterstadt
S.
Zu den Materialien des
„Auschwitzapothekers“ und der „Vaterlandstage“ gehören – wie auch zum dritten
Roman „Transsylwahnia“ (kein zufälliger Titel!) dieser Trilogie, ganze Stöße
von Briefen aus jener Zeit, Tonbandprotokolle zu diesem Thema zwischen
1976-1985 in meiner rumäniendeutschen Familie, mit rumäniendeutschen
SS-Offizieren aus dieser Familie und mit dem Auschwitzapotheker Dr. Victor
Capesius, der Apotheker der Apotheke "Zur Krone" meiner Heimatstadt
Schäßburg in Siebenbürgen war.
Im Zentrum der
"Vaterlandstage und die Kunst des Verschwindens" wie auch im
„Auschwitzapotheker“ steht das
Schuldproblem.
Hier ein Zitat aus
einem Brief des in Kronstadt/ Siebenbürgen geborenen Theologen Gerhard Möckel in die Zelle des siebenbürgischen
Auschwitzapothekers Dr. Capesius nach Frankfurt: "...
Denn je länger wir darüber nachdenken, desto klarer wird es uns, dass Sie nicht
allein und auch nicht für sich allein vor Gericht stehen. Je tiefer man diesen
Vorgängen in Auschwitz folgt - und da können nur letzte Maßstäbe helfen -
desto solidarischer werden wir andern mit Ihnen in der Verantwortung und in der
Schuld". "Die radikale Schuld ist durch menschliches Rechnen und
Selbstprüfen wohl nicht zu begreifen. Die Übernahme einer Verantwortung dieses
Umfangs und dieser apokalyptischen Tiefe spottet allen menschlichen
Kräften." (Gerhard Möckel, Brief an Capesius, 1965). Meinem Roman "Vaterlandstage" hatte ich ein
Hölderlin-Motto vorangestellt: "... dass jedes, als von unendlicher
Umkehr ergriffen, und erschüttert, in unendlicher Form sich fühlt, in der es
erschüttert ist. Denn vaterländische Umkehr ist die Umkehr aller
Vorstellungsarten und Formen." ("Anmerkungen zur Antigonä"). Dass
durch diese Erfahrungen und Erkenntnisse die kleine Gruppe der Rumäniendeutschen,
die in dieses Verbrechen und die nachfolgende Apokalypse mit hineingerissen
wurde, nicht nur überfordert war, sondern dass dadurch ihr gesamtes
Schutzsystem der Verdrängungen erschüttert worden wäre, ist klar. Ich habe in
einer Sendung ("Der Tod ist ein Meister aus Deutschland. Was habe ich mit
Auschwitz zu tun", Hessischer Rundfunk 1, 8.5.81) über die beiden
Auschwitzoffiziere Capesius und Albert, diese Frage in den Mittelpunkt
gestellt, und den siebenbürgisch-sächsischen Romancier aus der Kriegsgeneration
Erwin Wittstock parallel dazu zitiert, Wittstock hatte in seinem Roman "
Das Jüngste Gericht von Altbirk" diesen wundesten Punkt der
Siebenbürger Sachsen so charakterisiert:
"Jedenfalls sind viele Maßstäbe, die man uns anerzogen hat, falsch ...
Wir fühlen uns glücklich, solange wir naiv nach diesen Maßstäben messen. Und
wir müssten aus tiefster Seele unglücklich sein... die Sicherheit verlieren,
wenn wir dessen innewerden, dass unser
Weltbild zu einem Traumbild geworden ist ... (den) verborgenen, unbewussten
Widerspruch in unserem Innenleben ... (erkennen) denn sonst müsste man sehr
schwerwiegende Entscheidungen treffen."
Diese
schwerwiegenden Entscheidungen sind nie getroffen worden, es sei denn durch Auswanderung,
indem man sich nur und ausschließlich als Opfer einer Diktatur, nämlich der
roten, und nie zweier Diktaturen ansah, geschweige denn sich selbst mitschuldig
fühlte.
Verweisen möchte ich auf den Aufsatz
des Hermannstädter Literaten und Kritikers Joachim Wittstock "Die Neue
Schuldlosigkeit" (Manuskript, 1990), wo Wittstock nach einer eingehenden
Analyse erkennt, dass die rumäniendeutschen Autoren Schwierigkeiten mit einem
"verinnerlichten Schuldbegriff" die beiden Diktaturen betreffend
haben. Von den Rumäniendeutschen ganz allgemein ganz zu schweigen. Und um
diesen verdrängten Schuldbegriff geht es auch in den "Vaterlandstagen"
und meinen Recherchen zum Thema. Wittstock spricht von einer "dritten
Schuld", nämlich - sich für völlig unschuldig zu halten..
Es geht um das siebenbürgisch-sächsischen
Bewußtsein, beschränkt allerdings auf die Jahre 1976-85, gebrochen im Spiegel
der Jahre 40-44, in der die Rumäniendeutschen völlig
"gleichgeschaltet" in Schule, Kultur, Kirche, Gemeinwesen,
"ideell" sozusagen ein Teil des Nazireiches gewesen waren, eine
mächtige und anmaßende Enklave im Reich des Marschalls Antonescu. Seither
gehört die rumäniendeutsche Geschichte (1940-1944) unmittelbar und mit allen
historischen und moralischen negativen Konsequenzen und heute praktischen
Konsequenzen zur Geschichte des Dritten Reiches. Eine finstere Zeit - und die
schönste Zeit meiner Kindheit, was seine Spuren in mir, und freilich im Roman
hinterlassen hat, und mit zum Thema gehört: die Korrektur und damit
Beschädigung der Erinnerung durch aktuelle Information, durch die grausame
Wahrheit im Erwachsenenalter. Wobei es
sonst auf Rumäniendeutsch üblich ist, politisch ein Kind zu bleiben, nur nicht
daran zu "rühren", diesen
Schaden zu vermeiden, zu vergessen und zu verdrängen, was wohl gelungen ist und
wohl gelingt, und zum zweiten Hauptthema meiner Romane gehört, dessen Analyse
via Tonbandprotokolle und Briefe zu unserer vertrautesten Minderheitskrankheit
führt: einer gesellschaftlichen Lebenslüge, die mindestens bis 1867, bzw. 1876,
der Zerschlagung des Königsbodens,
zurückzuverfolgen ist und seine Folgen heute im Untergang zeigt. Der
Tragödie letzter Akt: die historische Selbstvernichtung dieser Minderheit. Und
ich will mit diesem Schutzsystem der
Abschottung von der Realität beginnen, ein geschlossenes minisoziales
ethnozentrisches System, das schon nach Gesetzen der Entropie dem Untergang geweiht
ist. Und mich vor allem auf meine eigene engere Herkunftsgruppe, die Siebenbürger
Sachsen stützen, der ältesten, und ausgeformtesten
deutschen Minderheiten-Gruppe, bei der alle negativen und positiven
Charakteristika der Rumäniendeutschen
am ausgeprägtesten sind, und die auch in den
"Vaterlandstagen" im
Mittelpunkt steht-
Zu beachten ist
hier, dass diese Sachsen bis zur Auflösung ihres Territoriums und ihrer
Institutionen keine MINDERHEIT waren,
sondern mit den andern "Ständen" Ungarn und Szeklern eine selbstbewusste
"Nation", wie sie sich nannte, die als Teil der "unio trium nationum"
im siebenbürgischen Landtag vertreten war. Dieses habe ich vorhin ausführlich
analysiert. Dieser Rückblick, der historisch und völkerpsychologisch erklärt
einigermaßen diese tief sitzende Verdrängung:
Die große "Nations-Zeit" als
"Volk" im Mittelalter wirkte also wie ein Märchen, eine Traumtänzerei
im Bewußtsein weiter, daher wirkten dann auch die "völkischen" und
heroischen Nazi-Worte wie ein Zauber. "Wir waren immer geschlossen"
und hatten ein "deutsches Herz", sagten andere der Befragten; und der
Interviewer hatte "kein deutsches Herz", wenn er "daran"
rührte, es war ein "im Hässlichen Wühlen", hörte er bei seinen Interview- Fragen. Manchmal hieß
es auch " kein Instinkt" oder gar "Verrat". Der Glaube ans
"Völkchen", sich selbst als Teil davon zu betrachten, die
"große Vergangenheit nicht zu beschmutzen", stand im Vordergrund. Es
korrespondierte mit dem wichtigsten Verdrängungsinstrument, das ein
ästhetisches war, das sogenannte "Schöne", "Edle",
"Hohe", "Geistige" -
völlig abgekoppelt von jeder Realität oder Geschichte, dieses "Schöne" hatte den
"grauen Alltag" vergessen zu machen, und zu "erheben".
Wobei vor allem von "Gefühl", von jener Sentimentalität, die "ergreift"
die Rede war, die zu "Tränen rührt". Dieses "Schöne" erreicht
seinen Höhepunkt in den sentimentalen sächsischen Gassen- und Dorf-Chor-Liedern
und der Operettenkultur der Kleinstädte.
All dieses sind die Grundvoraussetzungen des Kitsches, die
Unwahrhaftigkeit, das Vorspiegeln falscher Tatsachen, das unbewusste Heucheln,
auch das Vorspielen von triefend sentimentalen Gefühlen. Und wer die
Kitsch-Analysen von Hermann Bloch liest, (in der großen Arbeit: "Das Böse
im Wertsystem der Kunst" und "Zum Problem des Kitsches") und von
den politischen Gefahren dieses Kitsches erfährt, ist verblüfft wie dies
übereinstimmt mit jenem kollektiven Zustand, aber auch mit einem großen Teil
der rumäniendeutschen Heimatliteratur. Und dann die Grundstimmung für die
Nazibegeisterung wurde! Das oben erwähnte "Schöne" etwa ... Oder, ich
zitiere weiter Broch: die "Flucht ins Historisch- Idyllische ... denn jene
historische Welt ist `schön`... Es wird ein unmittelbarer Anschluss an die
Vergangenheit gesucht, genauso wie der Kitsch stets den unmittelbaren Vorgänger
kopiert..."
Das stimmt genau mit dem überein, was
auch Gerhardt Csejka in seinem Essay
"Der Weg zu den Rändern, der Weg der Minderheitenliteratur zu sich
selbst", 1990, Heft 7/8 in der "Neuen Literatur" erschienen,
festgestellt hat: nämlich wie "zwingend mächtig der Glaube an den
Volkscharakter der sächsischen Gemeinschaft noch nachwirkte", obwohl es
sie gar nicht mehr gab, so "assimiliert die Literatur", laut Csejka,
"jeweils das Rollenbild, das der Erwartungshaltung der vorausgegangen
Epoche entsprach - sie hinkte gewissermaßen sich selber nach:" Wittstock, Meschendörfer,
Zillich realisieren "Projekte" der Michael-Albert-Generation aus dem
vorigen Jahrhundert, und sogar nach dem endgültigen Geschichtsbruch 1944 führe
Paul Schuster (geb. 1930) in der "Fünf-Liter-Zuika-Trilogie", so
Csejka, diese Vorstellung des "repräsentantiven" und realistischen
sächsischen "positiven" Geschichtsromans ohne Geschichte und
"Volk" weiter. Ja, die sozialistisch-realistischen
Thesen stützten diese Lebenslüge 40 Jahre lang weiter, die zwangsläufig
Fälschung, also Kitsch produzieren musste,
nämlich schmerzlich tragische Themen im beschönigenden, unwahrhaftigen, nicht-entsprechenden
und pseudorealistischabbildenden Stil zu behandeln, wo doch furchtbare
Abgründe und Unbeschreiblichkeiten
metasprachlich z.B. im Totengespräch mit den Millionen Opfern zu
übersetzen gewesen wären:
Nun ja, genau dieser Stil der
Zersplitterung gehört meiner Meinung nach zum Umgang, zum zerbrochenen Spiegel
und dem Haltlosen eines ins Nichts und Nirgendwo entlassenen Rumäniendeutschen
als typischer Hauptfigur, die hier Michael T. heißt, und bei der auch noch die "schönen"
Erinnerungen und die Kindheit durch Wissen von dem was während dieser Kindheit
zwischen 1940 und 1944 (auch in den deutschen Lagern unter Mitwirkung
Rumäniendeutscher) geschehen ist, zerstört worden war. Und am deutschen Höllengeschehen,
wo die deutsche Sprache, ja, jedes "Und" oder "Oder"
mitgewirkt hat, zerbricht ja auch sie, und kann nicht mehr so sein, wie bisher.
Stottern angesichts des Geschehens, anstatt schöne schwingende Syntax.
Sprachblöcke, anstatt Rhythmus und "schöne" Bilder und Sätze oder
Sentimentalität fürs Gemüt.
Doch meine Sachsen und ihr „Schönes“. Roland Albert, der in den „Vaterlandstagen“
Andreas hieß, sagte dazu: "Wo
andere ohnmächtig geworden sind... da blieb ich standhaft und hart... es hat
mich weniger berührt als andere. Ich war robuster als die Robustesten."
Und gibt vage zur Erklärung an: "Jaja, aber die Kunst, Musik und Poesie
vor allem, sie haben mir oft zur Flucht verholfen, auch dort..." Das Schöne also? Als wäre das andere
"notwendig", der graue Alltag eben, dort etwas grauer. Aber das Schöne blieb ja hoch oben und war das
Wichtigste? Das war Verdrängung schon im
Augenblick des Geschehens mit Hilfe des ominösen "Schönen".
Wieder also dieses typisch
"Schöne", abgekoppelt. Brochs Kitschdefinition auch hier:
"Neurose und Kitsch", wo sogar Hölderlin so, schlimmer noch als der
Tornister-Hölderlin, denn Andreas las ihn auf dem KZ-Wachturm, zu Kitsch werden kann. "Andreas", Untersturmführer,
Leutnant, Schöngeist, führte es vor.
Ebenfalls in einem Gespräch (1979) in Innsbruck, sagte er, wie er ständig
"Wachvergehen" begangen habe, da er auf dem Wachturm, "um das
nicht sehen zu müssen", andauernd "die Nase in einem Buch
hatte". Mit Vorliebe las er Nietzsche und Hölderlin, "um das nicht sehen
zu müssen." Er war ein guter
Klavierspieler, obwohl ihm die Finger oberhalb des Gelenkes vor Moskau abgeschossen
worden waren, und er nur mit den Stummeln spielen konnte; frontuntauglich wurde
er 1942 nach Auschwitz versetzt.
Und er habe nur gedacht `inter
arma silent musae'; vor den Waffen schweigen die Musen. "Doch ja, sagte er: "Ich hab auch
Posten geschoben und ständig den Rucksack voller Gedichte gehabt. Nicht wahr.
Ich hab ständig Wachvergehen begangen."
Du willst also ein Buch schreiben,
erkundigt er sich neugierig. Was beschäftigt dich?
Die Ursachen unseres Verschwindens.
Aha, aha, du bist
also kritiksüchtig! Nietzsche hat da ein schönes Wort: Menschliche Tugenden:
Güte, Hilfsbereitschaft, Edelmut usw.
seien nichts als eine Art Luxusgüter, die wir uns nicht immer leisten können.
Das habe ich irgendwo bei Nietzsche gefunden, und das möchte ich fast
unterschreiben.
Es sind nicht die obersten und
höchsten Werte?
Ich möchte sagen,
es gibt keine obersten Werte. Weltanschauung ist immer biologisch: Ich will
leben und überleben.
Das Gesicht des SS-Sturmführers war
wie verweht, ein großes verschwommenes Ei.
Aber ich meine, fuhr er plötzlich
ungewohnt leise fort: Gewissensfreiheit ist das Höchste.
Warum bist du dann
nicht aus Auschwitz geflohen, wie andere auch?! Stand die Todesstrafe darauf?
Er sah mich mit seinen blässlichen
Augen amüsiert an: Freilich stand die Todesstrafe darauf. Desertion. Nein, das wars ja nicht, an Mut hat es mir
nicht gefehlt, aber ich war für Ordnung, für bedingungslose Disziplin. Wohin
hätte ich auch fliehen sollen, es waren ja meine Leute, die dort das Sagen
hatten, die mich brauchten."
Schöne Gedichte konnte man ab
1940 in den "Kirchlichen Blättern"
Siebenbürgens lesen. Etwa dies: "Herrgott / steh dem Führer bei, / dass
sein Werk das deine sei, / dass sein Werk das seine sei,/ Herrgott, steh dem
Führer bei." Oder diese Verse des "wertvollsten" Sachsen-Autors
Heinrich Zillichs, seine Hitler-Hymne: "Den Deutschen von
Gott gesandt... Gütiges Auge, blau, und erzene Schwerthand, / dunkle Stimme du
und der Kinder treuester Vater..."
Es entspricht in hohem Maße Hermann
Brochs Kitschdefinition des Uneigentlichen, des schreienden Widerspruchs zur
Wahrheit des Besungenen. Freilich weniger gefährlich, als das innere und
akzeptierte Regelsystem des blutigen "Spiels", wie wir es bei A.
gesehen haben, es nicht mehr ethisch, sondern nur noch ästhetisch zu werten:
nämlich, wer innerhalb des vorgeschriebenen Spiels entsprechend handelt, handelt
gut.
Broch warnt aber auch vor der Droge Sprache, ihren sentimentalen Giften:
vor innerer Hohlheit, Leere, die das Übersteigerte, Emphatische, Geschwollene
braucht, eine furchtbare Sentimentalität, die sich für "hohes Gefühl"
hält, bei Hitler am stärksten ausgeprägt, der tot und leer war,
und wie ein Vampir die Masse, aber auch das Komödiantische brauchte, scheint
ein Charakteristikum jener Generation und sicher nicht nur bei den
Rumäniendeutschen gewesen zu sein. Ich
habe es immer wieder, auch in Deutschland bei den Männern dieser Generation in
ihren "schwachen Stunden" beobachtet: Das falsche, unechte Pathos und
auch das falsche Gefühl. Doch falsches Pathos, Kitsch, reichte bis zu den kritischsten
Geistern wie Karl Kraus, so dass wir
laut lachen mussten beim Anhören eines von Kraus vorgetragenen eigenen
Gedichtes; bei Schauspielern wie Alexander Moise oder bei Gustav Gründgens ist dieses Pathos noch penetranter. Klaus Mann hat sogar einen Roman,
"Mephisto", mit Gründgens als
Modell geschrieben. Und die verlogenen Fassaden einer geheuchelten Welt, die
Natur und Echtheit vor sich hertrug und das Gegenteil war: gefühliger und
tränenreicher enthusiastischer Kitsch in jeder Lebensregung bis zur Kunst, den
Monumentalbauten, Filmen, Reden, ist typisch für die Nazizeit: Kitsch, vor
allem in der Sprache als tödliche Gefahr, "kochende Volksseele" mit
viel "Gefühl", das von der Politik, der Realität aber völlig
abgekoppelt war, und so Krieg und Todeslager möglich machte, Alltag wurde das
Unvorstellbare der Todesfabriken - und gleich daneben wurden im Familienkreis
der Offiziere deutsche Weihnachtslieder gesungen und Bescherung gefeiert.
Konzerte gegeben, Gedichte vorgetragen. Kunst und Barbarei. Hermann Broch hat in seinem großen Essay
"Das Böse im Wertsystem der Kunst" früh vor der Gefahr gewarnt: "der... Zusammenhang zwischen Neurose
und Kitsch" sei "zeitgeschichtlich nicht unbedeutsam", schreibt
er, es sei "kein Zufall, dass Hitler (gleich seinem Vorgänger Wilhelm II.) ein unbedingter Kitsch- Anhänger war." Ähnliches wissen wir von anderen
Diktatoren, inklusive Stalin. Und denken wir nur an die Szene des auf dem
Wachturm Hölderlin lesenden siebenbürgischen SS-Mannes: So ist Nero als Modell
nicht weit... "ein Schönheitsbeflissener," so Broch: "das
Feuerwerk des brennenden Rom", "die lebendigen Christenfackeln hatten
sicherlich gewisse künstlerische Valeurs, wenn man kraft Ästhetentum taub gegen
die Schmerzensschreie der Opfer sein oder gar als ästhetische Begleitmusik einwerten
konnte." Kitsch ist nach Broch Imitation, Simulation.
Überhitzte Lüge, imitiertes Gefühl etwa und gefährlich ins "Hohe"
gebracht zur Verführung: "sieh, es stehen geschart über die Erdteile hin/
Weib und Mann in den Flammen der Seele/ heilig vereint..." Heinrich
Zillich: Hitler ist gemeint. Ist das nicht
Pseudoreligion, die der arme sächsische Leser oder Hörer damals nicht mehr von
echter unterscheiden konnte.
Eben: das "Völkische",
Volksgemeinschaft, ja "die Front" gar als Gottersatz. Volk
"Heilig vereint". Und man sang: "Heilig Vaterland in Gefahren/
alle Söhne sich um dich scharen." Usw. Mit schwülstig getragener
hymnischer Melodie.
Dass die Siebenbürger Sachsen "areligiös" seien, wie sogar einer der Nazi-Vordenker und
kryptofaschistischen Theoretiker schreibt, stimmt leider völkerpsychologisch,
und es stimmt auch, dass der "Nationsbegriff als religiöses Surrogat...
anstelle des Gottesbegriffs" wirkte, so Alfred Pomarius; Pomarius hat diesen "Hang zum Rationalismus",
eine "Abart des religiösen Lebens", eine "politisch-ökonomische
Religiosität" genannt. Eine ähnliche Charakterisierung finden wir auch
beim siebenbürgischen Philosophen Lucian Blaga, der als Beispiel für diese
rationale Grund- und Abwehrhaltung die Tuchfühlung der sächsischen Häuser in
einer Dorfgasse angibt.
Dass Religiosität ästhetisch, mit allen möglichen
"Gefühlen", vor allem dem höchsten Wert "Gemeinschaft",
"deutsches Wesen" und dazugehörend: Pflicht, Gehorsam usw. ersetzt
wurde, hat Hitler und die Todeslager erst ermöglicht. Vor allem
die Vermischung der Nazi-Pseudoreligion mit dem Christentum zum
"germanischen Christentum", Abschaffung Gottes und des freien Gewissens,
mit dessen Hilfe man sich den Macht- und Befehlszwängen der
"deutschen" Sozialisation hätte entziehen können. Dieser Bereich aber
war bei den Siebenbürger Sachsen betäubt durch die historische Seelenverfassung
der ethnisch bedingten Gruppenhalluzination "Geschlossenheit", die
heftige Emotionen bei meinen Gesprächen mit Verwandten weckte. Zitat: "Wir
waren immer geschlossen. Immer geschlossen...
andernfalls wären wir doch längst nicht mehr da!"
Diese instrumentelle Moral, die ohne höheren Wert, ohne das System überschreitende Gewissensfreiheit
blind macht. Wir erinnern uns: Hitler nannte das Gewissen eine "jüdische
Erfindung", auch gab es das Wort "innerer Schweinehund" dafür.
"Mir ist der Kampf etwas Heiliges" - Ernst Jünger. Wer das nicht kenne, bei dem
sei die "Idee des Vaterlandes tot... uns war es noch vergönnt, in den
unsichtbaren Strahlen großer Gefühle zu leben." Wider das
"Negative", das "Kritteln" und "Klügeln", alles
"jüdische Eigenschaften". Das "Negative" warfen mir meine
sächsischen Gesprächspartner vor. Zitat: "Es ist traurig... weil du es
nicht mehr nachempfinden kannst. - Doch, ich kanns leider nachempfinden ... ich
lehne aber diesen Teil in mir ab... - Du lehnst ihn ab... aber er ist da... der
bessere Teil ist verloren gegangen... Du hast kein deutsches Herz."
Die Erregung, wenn man diesem Empfinden
nahetritt, ist groß. Als wäre es Religion und sakrosankt, dieses
"Gefühl".
Die alte, ja: mittelalterlichze Gemeinschafsthalluzination aus der großen
Zeit war heilig, unantastbare Grundlage des Selbstverständnisses. Und sogar
lebensrettend in schweren Zeiten. Eine Verwandte sagte bei unseren Gesprächen:
"Wir haben überhaupt viel verdrängen müssen. Das ist so. Wir sind aus der Zeit... wir haben uns nicht ausreden
können, wie es heute an der Tagesordnung ist ... Aber wir müssen ja auch mit
unserem Leben fertig werden, irgendwie."
Ja,
"aus der Zeit". Zum Problem
der Verdrängung, der unbewussten Verdrängung hier ein Zitat: eine in den
"Vaterlandstagen" nicht erschienene Szene aus den 6000 Seiten, die
in Mappen liegen. Es geht dabei um eine andere Figur aus dem Roman, um Karl Wilhelm
oder "Töff" und „Tallo“ genannt, der ebenfalls, wie fast alle männlichen
Mitglieder dieser Sippe zur SS ging, und nun dem armen Vetter, dem Andreas/Roland
helfen sollte, von Auschwitz wegzukommen, was nicht gelang, da Auschwitz
"Frontdienst" war. In einem Brief heißt es, der Brief ist ein Dokument
und im Roman nur zitiert:
"An einem dieser Tage hatten sie sich im Herrenzimmer versammelt,
und saßen im Kreis und Mama las den
Brief Karl Wilhelms mit lauter Stimme vor, kam von oben, der Brief, und alle hatten gerötete Wangen,
waren sehr aufgeregt, Mama entzifferte mit Mühe die großen ungelenken
Schriftzüge Karl Wilhelms:
OA, 2. August.
Ihr Lieben!
-
Meine Arbeit hier ist sehr interessant und macht mir viel Spaß, nur leider muß
man auch viel Wache schieben u. zwar in ähnlicher Art wie unser Andreas, und
das gehört so ziemlich zu den ermüdensten Angelegenheiten und so gilt ein
entsprechend erhöhtes Schlafbedürfnis. Andreas will sich Studienurlaub geben
lassen u. da musste ich mich hier erkundigen, weil sie dort von nichts wissen
wollen. Ich habe mir dann hier von einem Fürsorgeoffizier des Batt. die genauen
Bestimmungen geben lassen, auf die er sich berufen kann und auf Grund derer es
ihm als Kriegsversehrtem unbedingt zusteht. Hoffentlich klappt es, dass er endlich
von Auschwitz loskommt..."
In der Psychiatrie gibt es den Ausdruck "Zustandsgrenzen", zwischen
Traum und Wachen, das Vergessen - z.B.
von Träumen beruht darauf. Diese Grenzen gelten aber auch für Zeitgefühle und
Stimmungen. Meine Gesprächspartner behaupteten, sie hätten nie von "Auschwitz" gehört. Ich
zeigte ihnen diesen Brief, und sie waren ehrlich erstaunt. Das Wort Auschwitz war eben heute anders
"besetzt" als damals. Sie hatten nicht gelogen.
Die Frage, kann sich der Einzelne überhaupt diesem Zeiteinfluss
entziehen, habe ich aus eigener Erfahrung für mich negativ beantwortet. Bei den
Gesprächsaufnahmen sagte ich wörtlich: "Vielleicht wäre ich auch ein
KZ-Aufseher geworden, ich weiß nicht. Wahrscheinlich." Und die Antwort
der Runde: "Wahrscheinlich?!
Wahrscheinlich? Bestimmt! Na., siehst du, da liegt der Unterschied... Der
Mensch wird geprägt von der Zeit, in der er lebt... Aber warum willst du in dem
wühlen? Was für einen Sinn hat das!"
Die Antwort war eigentlich schon in der vorherigen Aussage gegeben.
Erstaunlich aber, dass dieses erst im Westen geschah, zu Hause, wurde alles
"vergessen", weil man sich selbst als Opfer einer anderen Diktatur
sah, die eigentlich jenes Schuldgefühl zur Pflicht, ja zur Staatsgrundlage
hatte machen wollen. Und es so überdeckte, ja, absorbierte. Antifaschismus war
Pflichtübung. Umso frischer aber blieben die alten Gefühle, dieses Ostreservoir
der Verdrängungen schädigt heute die Demokratie in der Bundesrepublik. Im
"Nachfolgestaat" BRD aber war diese Nazivergangenheit historische
Grundlage des so und nicht anders seins. Eine Verwandte sagte: "Ich habe
insoweit ein Schuldgefühl, dass ich deutschen Blutes bin, das sag ich. Das hab
ich Zuhause nie gehabt, aber hier hab ich es!"
VII Finis Saxoniae und die totalitäre rote Zeit
1
Der 23.August 1944. Morgensonne
blendete damals durch die Äste des Nussbaumes. Morgengeruch. Alles noch
selbstverständlich nah wie der Geschmack eines Apfels, wie Wind, Regen,
Schnee, Sonne: wie die angewärmte, wie die nasse Erde. August. Schaukel am
Batullapfelbaum, dahinter geöffnet ein Schlafzimmerfenster. Durchs Laub und
Geäst fielen dumpf die Äpfel. Es war ja Kinder-, also Paradieseszeit, letzte
Sekunden. Mutter stand im geblümten Morgenrock unter dem Apfelbaum. Und in
der Ferne eine Glocke. Baumlanger Milchmann, klapperndes Kannenblech. Stand
neben uns sagte: „Stiţi doamnã - vin
ruşii.“ „Kuurt“, schrie Mutter
erschrocken, „die Russen kommen.“ Vater kam rausgelaufen, er hatte
keine Pyjamajacke an, der Oberkörper nackt, sein Fleisch rosig und weiß. Sagte
der Milchmann: „Im Radio kam´s!“ Und hinter dem schwarzen Bart bewegten sich
rote Lippen, kleine Ungeheuer; „im Radio, nachts, der König... seine
Rede. An mein Volk.“ Die Erwachsenen
flüsterten dann den ganzen Tag. Sie hatten verwapelte, blasse Gesichter und
gingen ins kleine Großelternschlafzimmer, um sich zu besprechen. Radio.
König. Milchmann. Russen. Umgeschwenkt. Sie glaubten zu träumen. Ist es denn
die Möglichkeit? Ein hohes Summen war im Kopf zu hören, wie ein Aussetzen der
Zeit... Als wär´s - plötzlich eine
hastige Ewigkeit. Alle Pläne fielen ins Wasser. Alles fiel ins Wasser, obwohl
alles so geblieben war, wie vorher auch.
2
Das war erst der Anfang, und mit
Recht als Schrecken nicht als „Befreiung“, sondern als „Zusammenbruch“ gesehen,
denn die Sachsen, die Rumäniendeutschen standen ja auf der „andern Seite“, und
nicht zu vergessen: ihre Männer kämpften ja bis Mai 45 in der SS und in der
Wehrmacht, waren zum Teil sogar noch in den Lagern eingesetzt. So war es
eigentlich normal, dass sie im „allierten Land“ Rumänien, das mit den Sowjets
gegen die Deutschen und Ungarn kämpfte, als „Hitleristen“ gesehen wurden, waren
doch 99 %in der „Volksgruppe“ gewesen („grupul etnic german“). Bisher Täter,
waren sie nun kollektives Opfer. Ab dem 23. August völlig rechtlos, und im
Januar („Schwarzer Sonntag“) wurden etwa 30.000 (alle zwischen 18 und 45,
Frauen zwischen 18-35)ins Donetzbecken zum „Wiederaufbau“ deportiert,
allerdings war das von den Sowjets verlangt worden, und die rumänische
Regierung hatte sogar bei den Allierten dagegen (erfolglos) protestiert, dass
rumänische Staatsbürger „verschleppt“ werden.
Auch Georg wurde deportiert. Befehl
des russischen Stadtkommandanten, sich zu stellen. Wie früher die Deutschen
ihre Juden bestellt hatten – Befehl des
Stadtkommandanten.
Friederike erzählte, wie es gewesen
war:
„Als die Bekanntmachung des
russischen Stadtkommandanten und der Polizei
publik wurde, handelten alle genau so
wie vorher, ohne Widerrede und ohne Rücksicht auf ihr kleines Leben, eben so
wie wir es gewohnt waren, genau so (ohne Räcksicht af as klien Liewen), blind
auch der neuen Obrigkeit gehorchend. Und die Baruchischen lachten über uns und
sagten noch, wenn man euch auffordert, morgen in der Früh auf dem Marktplatz
zum Erschossenwerden anzutreten, seid ihr vollzählig und pünktlich da. Aber
sie, die Juden, hätten es ja genau so gemacht. Vielleicht sind wir uns zu
ähnlich, so dass dieses Unglück zwischen uns geschehen musste. Dieser Wahnsinn,
stell dir das vor! Und da war doch der junge Roth, der Sohn vom Friseur, der
hatte sich ja wie alle übrigen auch gestellt,
wie mein Georg ja auch. Um ein Uhr mittags mussten sie sich in der
Mädchenschule versammeln, dort war der Sammelplatz; sie wurden bewacht von rumänischen
Polizisten und von Russen, aber man hätte sie gar nicht bewachen müssen, sie
wären sicher nicht weggelaufen, sicher nicht! Und als man den jungen Roth nicht
aufrief, alle wurden aufgerufen beim Appell, nur er nicht, da meldete er sich
wie in der Schule und sagte: Bitte, mich hat man nicht aufgerufen. Oder hat er
es vielleicht auf Rumänisch gesagt?! Ich weiß es nicht. Ja, wir, wir waren
schon ganz schön dumm; ich packte Georg
den Rucksack, zuerst hatten wir noch Mittag gegessen, und es war
vorgeschrieben, was man mitnehmen durfte, es gab eine Liste dafür, und ich
sagte zu ihm, als die alte Spieluhr auf der Kredenz anfing zu spielen, du weißt
ja, dieses Üb immer Treu und Redlichkeit,
dies Mozartlied war auf der Walze, die Ami hatte das so gern, man muss ja jetzt
nach so vielen Jahren lachen, obwohl mir jetzt die Tränen kommen, da sagte ich,
dass es ja schon dreiviertel eins sei, und sagte noch, Georg, tea messt dech
beellen, du musst dich beeilen, sonst kist tea noch ze speet. Und er: Jaja, ich
gehe schon, behät dech Gott, menj Läwet uch de Känjder. Behüt dich Gott meine
Liebe, dich und die Kinder! Und ich komm bald wieder, ich bin ja gesund. Ja,
und er nahm den Rucksack vom Tisch, schnürte ihn sorgfältig zu, ging zur Tür
hinaus, über den Gang ging er, Georg, mein Mann, ich sah ihm nach, er ging die
Treppe hinab, tauchte im Hof nochmals auf, ging durch den Hof, am Tor wandte er
sich nochmals um, winkte mit einer Hand, ich sah die Hand ganz oben, ganz oben
sah ich seine Hand, seine liebe Hand, und er verschwand dann auf der Gasse und
kam nie mehr wieder.
Einige hatten sich versteckt, unter
anderen auch dein Vater, manche änderten wie Fredi ihren Familiennamen,
heirateten Rumänen, du kennst ja die Geschichte vom Leutnant Popescu, der die
Gret geheiratet hat, die schon in der Schule war, er holte sie raus, fragte, ob
sie einen Verlobten habe, naja, sagte sie,
der ist noch bei der SS. Der blutjunge rumänische Offizier ging mit ihr
stracks zum Standesamt, und sie kam als Doamna Locotenent Popescu wieder heraus,
er wünschte ihr noch viel Glück, und nach dem Krieg können wir uns wieder
scheiden lassen. Es kam aber nicht mehr dazu, er kam aus dem Krieg nicht mehr
zurück, und die Gret war nun rumänische Kriegswitwe, sie wartete noch
anstandshalber das Trauerjahr ab, und heiratete dann ihren Franzi, der gesund
von der SS wieder nach Hause gekommen war. Und sie bezieht noch heute ihre
rumänische Offizierspension, obwohl sie längst in Westdeutschland lebt, in der
„neuen Heimat.“
3
Das Anfang Februar erlassene Minderheitenstatut galt zunächst für die Rumäniendeutschen nicht, das
Wahlrecht, sogar die Staatsangehörigkeit wurde ihnen entzogen, und die meisten
aus der Arbeit entlassen. Ihnen auch die Schulgebäude genommen. Ich erinnere mich noch, wie wir in privaten
Wohnungen unterrichtet wurden. Die Rumäniendeutschen hatten Sonderausweise,
mussten Arbeitsdienst leisten und wurden verfolgt, allerdings nicht wie in
Jugoslawien, Polen, Tschechoslowakei ausgewiesen. Sie waren geschätzt als intelligente und gute
Arbeitskräfte.
Mein Vater, mein Onkel saßen zu
Hause, verrichteten niedere Arbeit,
hoben Grasziegeln auf dem Sportplatz aus, die Frauen strickten, es wurde
handwerklich Spielzeug hergestellt, ich musste als 13-jähriger mithelfen,
Kesselstein in der Lederfabrik klopfen, an der heißen Bahnlinie arbeiten usw.
Am 23. März wurden (aufgrund des
neuen Agrargesetzes)die meisten deutschen Bauern aus ihren Häusern, Höfen, vom
Grund und Boden vertrieben, ebenso in der Stadt, auch die deutschen Betriebe
erlitten das gleiche Schicksal, nur jene, die mit der rumänischen Armee nach 44
mitgekämpft hatten, blieben verschont.
Schulen, Institutionen, Besitz, alles wurde zerstört, was die
Gemeinschaft möglich gemacht hatte. Wir waren Fremde in der eigenen Heimat. 30.
Dezember 1947 wurde die „Volksrepublik“
gegründet, der König zum Thronverzicht
gezwungen, stalinistische Sowjetisierung setzte ein, was freilich dazu führte,
dass die Rumäniendeutschen mit allen andern gleichbehandelt wurden, nicht mehr
als Deutsche, sondern als Klasse schikaniert,
so am 11. Juni 1948 kam die
„Nationalisierung“ des Besitzes für alle. Am 9. August wurden die Schulen
verstaatlicht, doch blieben die deutschen Schulen der Kirche. 1950 Nochmals
massive Enteignung von Häusern.
4
Es folgte Schlag auf Schlag. Ich
sehe es noch so genau vor mir: Der S.-Großvater war wie jeden Tag gegen
neunzehn Uhr mit Vater aus der Firma A.V. Hausenblasz, unserem Geschäft, nach
Hause gekommen. Sie hatten ihm das Geschäft enteignet. Er bewegte sich langsam,
mühsam, müde, ein wenig schlurften seine Schritte auf dem Asphalt; neben ihm
Sles, sein Sohn, der ihn manchmal sogar untergefasst hielt und mit gebremsten
Schritten besorgt neben ihm herging.
Die Kuckucksuhr schlug,
der freche Holzvogel kam aus seinem Häuschen. Der Großvater ging die knarrende
Stiege hinauf, er blieb auf jedem Treppenabsatz stehen, atmete schwer, ich
neben ihm, konnte es kaum erwarten, oben zu sein. Großvater wollte mir etwas
sehr Wichtiges zeigen, „eine Überraschung“, ein Buch. Nein, Briefmarken waren
es. „Mit Briefmarken kannst du die ganze Welt kennen lernen, Mächel, du kannst
sehr weit weg sein. Man kann auch im Brockhaus lesen und weg sein.“ Großvater
war in Budapest gewesen und in der Kaiserstadt Wien. Preßburg, Prag. Die ganze
Monarchie. „Die größte Reise aber geht anderswohin, weißt du, dazu ist die Erde
zu klein“, sagte er leiser als sonst.
Auf dem letzten Treppenabsatz, bevor er
den Fuß auf den Boden des kleinen Korridors setzte, brach er wie vom Blitz
getroffen zusammen, er fiel auf die Knie, und ich fing einen Blick aus seinen
wasserhellen Augen auf. Ich schämte mich, weil der Großvater so schwach vor mir
auf dem Boden kniete, stumm, mit bittendem Blick da vor mir auf den Knien rutschte,
sich festhielt am Treppengeländer, und ich war so erschrocken, dass ich nicht
schreien konnte, keinen Mucks von mir gab, dastand und den Großvater anstarrte,
der nichts sagte, gar nichts, immer tiefer und tiefer einknickte, und plötzlich
schrie ich gellend durchs Treppenhaus, „der Ota äß gefallen, hie laat…“ Der
Großvater ist gefrallen… er liegt… Rannte die Treppe hinab, raste hastig in die
Diele. Und dann kamen sie alle gelaufen, Vater und Mutter und auch die Tante Minch halfen Großvater ins
Bett.
Aber er lebte nicht mehr lang, es zehrte,
es nagte an ihm. „Sein Lebenswerk“, sagte Vater, „ist ruiniert, das hat er
nicht verwinden können, das nicht. Es war ja diese Sache mit der Kommanditgesellschaft,
da hatte er die alte Firma umgewandelt, umbenannt. Sie hieß nun Firma Elegant, da gab es rumänische und
jüdische Teilhaber, um in diesen schweren Zeiten zu überleben. Aber auch das
war dann gescheitert, es hat auch nicht lange gehalten, es gab eine.
schleichende Enteignung. Das wollten sie ja, das wollten sie. Die hätten uns am
liebsten ausgerottet. Und unsere jungen Leute immer noch in Russland. Aus und
vorbei. Die ganze Lebensarbeit. Aus bitter armen Verhältnissen. Sich
hochgearbeitet. Aber jetzt? Alles aus und umsonst gewesen...“
5
„Sommeranfang, ein schöner, wolkenloser Juni
1948. Da ging eines Tages das Schreckensgerücht um“, erzählte Mutter: „Frau
Flechtenmacher kam zu uns herauf und sagte: Um Gotteswillen, sie nehmen uns
alles... Und sie sind in jenem schönen Juni zum Beispiel zu unserem alten
Freund Wacke in seine Mühle gekommen und haben ihm befohlen, die Schlüssel vom
Geldschrank herauszugeben; er habe in seiner Mühle nichts mehr zu suchen. Und
bei den andern war´s ganz ähnlich: Sie können nach Hause gehen, hat man ihnen mitgeteilt,
so als würden sie Guten Tag oder Grüß Gott sagen. Sie können nach Hause gehen,
die Firma gehört Ihnen nicht mehr, die Firma ist nationalisiert, sie gehört
jetzt dem Volk. Und sie haben dann auch schreckliche Dinge gemacht, dieser
Pöbel. Sie haben sich zum Beispiel den Herrn Flechtenmacher gegriffen,
abgeholt, der war Prokurist bei der Firma Hesshaimer; Joi, furchtbar, ich sehe
ihn jetzt noch vor mir, totenblass durch die Straßen gehen, begleitet von einer
johlenden Menge von Mob und Fratzen, Halbwüchsigen und Gassenjungen begleitet,
so gingen sie also nebeneinander her, ein merkwürdiges Paar, der distinguierte
Herr Flechtenmacher hochaufgerichtet, blass und voller Scham, und die
Lenjel-Neni, die alte Gemüsehändlerin, die johlende Menge hinterdrein und unter
Pfeifen der Gassenjungen über die Neue Brücke und bis in die Baiergasse und
durch die ganze Stadt.
Ich bin schnell vom Fenster weg, es war
ja an dem Tag Kaffeekränzchen bei der Pasketwitsch Geri, meiner Freundin im
Elektrizitätswerk, ging schnell vom Fenster weg, konnte es nicht mit ansehen,
denn ich kannte ja die beiden als ehrenhafte Leute. Vor allem den Herrn
Flechtenmacher. Einen mussten sie herausgreifen, zur Schaustellung. Dabei war
er doch so ein distinguierter Herr, mit einem Achtung gebietenden Auftreten.“
Es war auch ein trauriges
Weihnachten, trauriges Ostern und Pfingstfest gewesen; der Schnee schien dünn,
nicht fallen zu wollen, das Frühlingslicht und das Grün, das Licht anders als
sonst, die Bäume kleiner, die Häuser, auch die Menschen schienen fahl, wie überlebt.
Augenöffnung? War
dies der Himmelssturz, von dem der große Adolf immer gesprochen hatte und der
heldenhaft zu vermeiden sei, indem man andere ins Jenseits beförderte?
Ich erinnere mich: Vater kam eines
Tages aufgeregt nach Hause und sagte nervös: „Wir müssen sofort packen, in
achtundvierzig Stunden muss unser Haus geräumt sein: Enteignung. Hier zieht die
Sicherheitspolizei ein.“ Wenn kein Möbelstück, keine Vorhänge, keine Teppiche
mehr in den Zimmern sind, klingt alles hohl. Die Schritte hallten wider, und
man spricht miteinander wie über sehr weite Entfernungen.
VII Sublimierung des Endes in der
rumäniendeutschen Literatur. Ästhetische
Konsequenzen.
1
Schreiben als posthumes Leben
Die
rumäniendeutsche Literatur geht damit um; ihr Erfolg beruht auf ihrem
Abschiedspathos,
"Schwanengesang" nach dem geschichtlichen Ende. Sprache notiert,
was auch sie befällt, "der hohe himmel als nabel des nichts, / die
schreibmaschine ist tot und vollkommen / der friede." Verse des lyrischen
Abschiedsexperten Franz Hodjak, dem "Sprachgrenzgänger", der am
längsten im Raum zwischen den Ländern in einer aufreibenden
"Zwischenschaft" gelebt hat; heute lebt er in Deutschland. Die
"tote schreibmaschine" oder der verbotene Mund nicht nur, sondern
auch die "zu Hause" ganz konkret verlorene deutsche Sprache, dann der
ganz konkret verlorene Heimatort durch Auswanderung der Nachbarn, Verfall,
Auslöschung der Gemeinschaft, hat auch ihn zur Aus-Reise gezwungen.
Das Aus der
bisherigen Kulturlandschaft in Siebenbürgen und im Banat macht das Leben zu
Hause unmöglich; die meisten haben ihr Land verloren, das Leben ist zu einem
Posthumen geworden, in einem Hodjak-Gedicht (sächsisches dorf im unterwald)
heißt es: "den kirchberg herunter kommen grabsteine, heuschober / und
verlaufne hunde.../ an sauber geweißten häuserfronten deuten jahreszahlen / in
die goldne vergangenheit der zukunft.../ die stille abends ist so tief / wie kurz vor dem
weltuntergang. / niemand wird hier, falls er eines tags / doch noch kommt,
etwas / merken davon."
Radikaler bis zur Aufhebung sogar dessen, was dafür steht, der Sprache,
geht Ernest Wichner in seinen Texten über den "Untergang seines
Dorfes; vor dieses Dorf wird, in der Kafka- und Bernhard-Nachfolge,
gnadenlos als ein "gemeiner
menschenhinterhalt, der unablässig auf vergeltung für einen selbstverschuldeten
zustand sann", und erst "aufzuheben war nach vollständiger
entvölkerung" in vernichtende Sätze gebracht. Es ist eine Verfolgung durch die KunstNatur
der Enge und das Klischee selbst, aus dem in seriellem Verfahren, Text im Text
im Text, ja durch Spiegelung ritueller
Erstarrung in Montage und Kombinatorik ein Entkommen erst möglich gemacht wird,
ein Entkommen durch Auflösung des Inhaltes, wie die "Erlösung" des
wirklichen Dorfes selbst erst im Untergang möglich wird. Diese urbane, ja
postmoderne Antiidylle ins Dörfliche bei Wichner, das an Kafkas
"Dorf" erinnert, bezeugt, dass
hier tatsächlich einer, der die "Banater Randzone frühzeitig verließ, über
die literarische Sozialisation im "Zentralgebiet" zur intensiven
Sprache des Randes" zurück-fand, wie es der Kritiker Gerhardt Csejka beschreibt. Was uns alle unvergessen
verletzt hat, immer noch verfolgt, ist als Sprache im Untergang erst versöhnbar.
Eigene Texte und Erfahrungen bei
jüngsten Reisen ins "Zu-Hause", die in die Zukunft des Unversöhnten
weisen, zeigen mir - über meinen Kopf hinweg - dass die neue chaotische Normalität
nach 89, die in Städten und Dörfern anzutreffen ist, nur einen innern Zustand
der gefährlichen Öffnung von alten Wunden widerspiegeln, und dass das
Vergessene vehement hervorbricht. Dass sich die Realität schizoid wie in einem
Déja-vu mit vergessenen Szenen und hochkommenden übelkeits- und schwindelerregenden
Traumfetzen mischen kann; Rache des vergessenen "Zuhause"? Die Grenze
zwischen real und halluzinativ wird gefährlich aufgehoben. Nach einer dieser Heimreisen notierte ich:
"... Träume, die ich jetzt da vor mir sah, kamen hoch, wie verletzt die
Hornhaut, die sah, floss aus, dachtest du, wer war denn ich, der hineinschaut
ins Bild, das ich lebte: weit noch bis zum Zentrum, wenn ich durchdreh, sagte
ich zu den Insassen im Bus, da es der Koberwagen schien zu sein, im Bild, wenn ich durchdreh bringt mich nicht
hierher in die Psychiatrie, ich weiß, was sie war, schafft mich wieder ins Aus
Land nach Haus." Flucht ins Aseptische? Als räche sich nun dies aus dem
Ausnahmezustand entlassene, wenn auch altgewordene "Zu-Hause",
"die Verflüchtigung der Realität zur Abstraktion," wie Edith Konradt zu einem Vers aus meinem Band
"Aufbäumen" (Rowohlt, 1990) bemerkte: "Riechst du die weiße
Blüte Kopf, / die Transparente, ein Spruch: / wär ungereimt der Spott dein
Vater / Land?" - Es ist nur eine
alt gewordene Grabwand, denn der hinter ihr dort Verscharrte erweist sich
jetzt als nur scheintot.
Extreme Lagen bringen im Schock Erkenntnisgewinn, und wir, einmal davon
geprägt, können uns lebenslang nicht mehr entziehen; es ist nicht nur ein Schatzhaus
der Sprache und der Erfahrung, es ist ein Mehr an Unentrinnbarkeit: "das
Land, das Leben", wie Werner Söllner schreibt. Unter Druck wird erkennbar, was in der Gegenwart verdeckt,
Geschichte macht, die neue Bodenlosigkeit, die
mit einem, wenn auch Verlorenen umgehen muß, einmal doch
"Boden" war, der noch so gehasst, nicht aufgibt, beispielhaft zu
sich auflösenden Menschengestalten Dörfern und Städten, Häusern und Gassen zu
werden, glänzend klein beigibt im Gedächtnis, als nicht enden wollender Abschied
erkennbar wird: wie Sterbende meist, vom Verschwinden erhöht werden und
gereinigt.
Schon durch die Diktatur war das "Wohnen kein Ort" mehr, wie Herta
Müller in ihrem Buch "Barfüßiger Februar"
schrieb. Christa Wolf nannte es für die DDR: "Kein Ort.
Nirgends". Verhindertes, vergeudetes Leben. Securitate, Stasi erzeugten einen permanenten
Ausnahmezustand; etwas Irres; wo öffentliche Formen zerstört waren, entstand
wider staatliche Unterwelten die Solidarität der Angst. Bei Herta Müller
löst Aus-Wanderung die bisher
"stehende Zeit". Die Revolution 89 hat sie noch radikaler aufgelöst.
"Stehende Zeit", Täuschungen des Raumes. Als wäre Realität - das Stück eines irren
Poeten, Plagiat, Fälschung gewesen.
In Herta Müllers Buch
"Barfüßiger Februar" gibt es zwei konkrete Metaphern dafür, "die
tiefe Stelle" im Boden "am Kriegerdenkmal," die aufrüttelt, so
das Ende anzeigt und die "stehende
Zeit", die in jedem Ostbewohner quälend da war, Resultat der bewachten
und eingefrorenen Geschichte. In Richard Wagners Roman "Ausreiseantrag"
wird diese Lüge, diese vorgetäuschte Realität einer stillgelegten Zeit so
beschrieben:" Er sah Nelken, die Nelken täuschend ähnlich sahen...Er sah
in Cafés, die Cafés täuschend ähnlich sahen. Kaffee haben wir heute nicht. Er
blätterte in Zeitungen, die Zeitungen täuschend ähnlich sahen". Sportnachrichten,
nur ihnen ist zu trauen, alles andere täuscht, lügt.“
Nur im Negativ, als Paradox war zu
sagen, was ist. Abschiedsgedichte im
schon Posthumen ("gibt es einen tod, der dem tod / sinn verleiht? // die
nachwelt winkt aus dem zug." ( Hodjak, kleine elegie). Sie zeigten und zeigen nun aufs Neue wieder, dass
es sich um eine gestundete, künstlich aufgehaltene Zeit gehandelt hat. Wahr
sind dagegen Hypostasen des Fremden, wo auch die Sprache sich von Satz zu Satz
wundert, dass sie noch da ist, und es sagt. Das sind Röntgenblicke in die
Gegenwart aus einer noch sinnlich
erlebbaren Abschiedssituation, Modell auch für die übrige Welt, wo dieses
freilich so scharf nicht mehr wahrnehmbar ist, es sei denn in der Naturkatastrophe
oder der Pychiatrie.
Aus Bruch-Erfahrung verdichten sich in dieser kleinen Literatur epochale Wahrheiten: Illusionen des Raumes,
der Zeit, Illusionen der Sprachlogik werden entlarvt. Dieser Bewusstseinszustand
ist für westliche Leser schwer nachvollziehbar, doch er betrifft den Endzustand
Westen genau so; und bedingt eine neue
Ästhetik paradoxer Logik. Diese
Erfahrung ist seit 1989 nicht mehr exotisch, abschiebbar, sie gehört in das
vereinigte Deutschland; unsere Erfahrung
ist radikaler als die ostdeutsche, doch mit ihr verwandt. Heute, wo der
sichtbare Gegner verschwunden ist, wird alles unübersichtlich tödlich:
"du bist stark bloß als gegner. / die stille, sie zimmert kreuze,/ und langsam
wächst dir das gras in den mund." (Franz
Hodjak). Wenn jeder ein Schattenriss seiner selbst ist, muß die Form des
Abschieds, die Elegie, aber auch alle andern Formen verändert werden, da seit 45 Geschichte die Erfahrung überholt.
Bei Klaus 0Hensel zeigt sich in jeder Form
dieses Paradox: je klarer und genauer
die Beschreibung ist, umso absurder wird etwa der Niemandsland-Status des nie
Ankommenden: "Ist man nicht, dort wo man ist, / Ist man in Deutschland, wo
/ Man nicht lange ist, / was man nicht sein darf." Parodien, Grotesken,
streng geformte hirnsyntaktische Kurzgedichte entstehen. Auch das Alltagserlebnis
wird im Sozialchock eingeformt ins Transzendente zwischen Volkslied und Celan:
"Hebst du dann / im Durst das Sandglas / Halt kurz ein / Gieß dich dazu."
Zurücknahme der Welt in ein feines
Sprachgespinst bei Hensel, bei Ernest Wichner, bei Werner Söllner, vor allem bei Oskar Pastior, zeigt, dass das Extreme zusammengehört,
sich als Paradox aushält. Bei Pastior mit Lautvariationen einer Zwischenschaft, dem unheimlich
Vielfachen eines Assoziationsgeflechts: "Aber das Vokabular wäre kein
Vokabular...keine wieder erkennbaren Wörter...Einmal Angeordnetes so hinzukriegen,
dass der Bug am Don nicht wiederzuerkennen wäre." "Kunde und
Kündigung in einem". [1] Was die Sprache befreit, inspiriert und der
Leser wird mit Lust "wortrunderneuert," auch wenn Pastior der Sprache
schier mathematische Formen, so das Palindrom, verschreibt, wie in
"Kopfnuß, Januskopf" (Hanser, 1990); und neuestes juxvolles
Pastiorisieren finden wir in einem neuen Band: "sprach der truchseß zum
ramses: sanfte! / (sollst umgehen mit dem senf du- das / adverb verlangts) -
full bock auf sam / lands widerspruch an rupfen."
In eine
hintergründige Harmonie führt Werner Söllner in seinem Band "Der
Schlaf des Trommlers" (Zürich 1992) das Zersplitterte zurück, zögernd Tradition
setzend mit Celan, Huchel oder Hölderlin. Sprache als letzte Heimat,
einzige Heimat im Sinn. Auch in meinem Band „Aufbäumen“ (Reinbek 1990) geht es
um den Doppelsinn von „ausgewiesen“-Sein: „Was sonst noch wäre/ kein Hals/ mehr
für oben: Der Galgen ist/ eine Feder.“ Und doch überleben durch Sprache: „Etwas
ist auf der Strecke geblieben, unnennbar / zwischen Sprache und Tod, sie aber /
fliegt, sonst wär sie ja Staub, über alles hinweg. // Und sie sagen, du hast überlebt.“
Aber der innere Aufruhr, so bei Söllner: "Aufruhr, vom
Sinn, der sich staut in der Leere", weicht
der Gewöhnung, dem Wahrnehmungsverlust. Neu wird vieles nach 1989, wenn
(ironisch) "die Barbaren", die
"letzten Blumen aus Stacheldraht" zertrampeln und vom Westen den
"Lohn der Geschichtslosigkeit" fordern, den "gerechten Anteil an Coca-Cola",
"am kleineren Übel und an der Freiheit, sich... / gegen sich selbst /
entscheiden zu können..." (S.58). Söllner gedenkt "einiger
Freunde", "die im großen Gerede/ un- kenntlich werden..."
"Ein dichtes/ weißes Pulver.../ ein gemahlener Eisberg..." (S. 53)
hüllt in der Fremde des Zerstreutseins im Westen alle ein; dünn die Eisdecke.
Streng im Vierzeiler ein Reim darauf: "Kein Leck im Boot, / in der Haut
kein Loch. / Die Freunde sind tot/ oder sterben noch." (Am Bodensee).
Bodensee: der alte Reiter. Einige sterben lebend an dieser westlichen Kälte.
Drei Autoren sind in den Selbstmord getrieben worden, zu Hause noch Georg
Hoprich, Roland Kirsch, Rolf Bossert ging kurz nach der
Ausreise in Frankfurt in den Freitod. Joachim
Wittstock hat in seinen Aufsätzen in den für ihn typischen Umgehungen
taktvoll entscheidendes dazu gesagt.
Mehrere Kollegen haben diesen Opfern Gedichte gewidmet, wobei durch
Zitate aus ihren Gedichten Bleiben beschworen
wird. „Was hast du erwartet, Hans im Glück, / dass noch Leben beginnt? ´Nichts
ist verkehrt,/ ich atme Glas. Ein Apfel aus Beton im Gras. ´Der Teufel die
Zunge holen.“ Schrieb ich nach Bosserts Freitod selbst.
Es sind mehrere
(lebensgefährliche) Intensitäts-Faktoren, die diese Lyrik prägen, und das Leben
der Autoren schließlich auch gefährden:
existenziell am bedrohlichsten war für viele das Leben in der
Diktatur, dann der Systemwechsel, am wenigsten wohl das Leben als Enklavendeutscher.
Doch kommt noch etwas entscheidendes hinzu, Wittstock spricht es behutsam an:
diese Zeitkrankheit: zu meinen, nur
Opfer und schuldlos zu sein, Umkehr und verkehrtes Spiegelbild der Ideologie
bei den Jüngeren, die extreme, bis zur Unduldsamkeit gehende Ratiogläubigkeit
und transzendentale Heimatlosigkeit, die sie in existentiellen Grenzlagen, wo Ratio versagen
muß, hilflos und schutzlos macht. Die Sozialisationsbedingungen haben sich auf
das Sprachverhalten prägend ausgewirkt, die betroffenen Autoren sind mit einer
besonders verletzlichen Subjektivität begabt und zugleich geschlagen; bei
Menschen "vom Rand" gibt die Sprache "ihr repräsentatives Dasein
auf, um sich bis an ihre Extreme, ihre äußersten Grenzen zu spannen,"
können wir bei Deleuze und Guattari in ihrem Kafka-Buch "Für eine kleine
Literatur" [2] nachlesen. "Schon fielen Sträucher über
mich her, / mit Handvoll Steinen / Stach
ich im Schreien auf", schreibt der noch in Hermannstadt lebende Joachim
Wittstock in seinem Gedicht
"Sprache": "Der deutschen Sprache aber ausgeliefert, / die fürs
Ungeschaffene Benennungen bereithält, / der Unersättlichen ausgeliefert, / was
kann ich durch sie?"
Die Diktatur hat die
Verletzlichkeit und die Sprach- Hellhörigkeit in ihren Gefahrenzonen, die ja
sprachliche waren, noch verschärft, sie hat die Autoren überwacht, zensiert,
verfolgt, offen waren die Abgründe des Absurden, die Sinne der Autoren für das
Absurde geschärft. Auffallend etwa beim Banater Helmut
Britz, einem der wenigen, die noch zu Hause leben
(Balthasar Waitz, Hella Bara, Juliana Modoi, Marius Koity
u.a.). Britz hat schon vor 89 im Gedicht eine Zurücknahme
von Welt, Zurücknahme in der
prognostischen Wahrheit betrieben:
dass alles schon gewesen ist, dass alles schon vergangen und doch noch da ist,
bis in die kleinste Einzelheit: "Auf den Wiesen blüht Hühnerfutter, in den
Büschen das/ Brennholz." Das Auseinanderfallen ist hier noch sinnlich
wahrnehmbar, daher umso schmerzlicher. Verschwinden "zu Hause", das
sich unter unseren Augen auflöst,
Metapher für den Zustand dieser Zivilisation, wo das letzte Fünkchen Gegenwart verschwindet.
Dazu kommt der Zerfall von Sprache
und Logik, die zum Absurden führt. Sprache in einer Diktatur war andauernd
überwacht, Sprachgefahr wurde krass und körpernah erfahren. Den Ekel vor dem
Eindeutigen und Parolenhaften empfinden Leute, die unter dem Diktat von
Losungen und Phrasen täglich leben mussten, als physischen Ekel, er steigert
sich bei Autoren bis zur Ablehnung des roh Realistischen. So bei Oskar Pastior.
Alte und neue Existenzschwierigkeiten
und Brüche verändern auch bei den Jüngsten die Sprache: Horst Samson, dann Klaus F. Schneider und Hellmut Seiler sind zu nennen, alle drei haben, gemessen am Talent, zu wenig Beachtung gefunden. Bei Schneider ist sie
witzig und detailbesessen diese Sprache, die sich "auf die Socken
macht": "häufen sich die vorwürfe - wasche ich meine socken/ um zu
beweisen: dass ich kein loch in die welt lese..." Resignative
Hoffnung scheint nur im Einsturz auf, im Negativ des
Wirklichkeits-Films: "auf den wellenlängen der hirnwindungen/ stürzt
satzweise die decke/ der wirklichkeit ein./ eine müde alte
welt wird aufgeteilt/ computer bestätigen es/ das jüngste gericht wird
boykottiert; /kaufen wir uns also einen pudel/ und folgen den rednern ans kalte
büffet." Immerhin, des Pudels Kern bleibt als ironischer Zersetzer; der
Kopf, der dichteste Ort des Alls als letzte Realität.
Bei Hellmut Seiler heißt es, wie in einer
erstarrten Marionetten-Sprache: so "verspüre ich eine/ schadenfrohe
genugtuung sobald/ ich eine zeile darüber hinkriege/ worauf ich mir keinen reim
machen kann/ die etwa der gleicht die ein geldfälscher/ haben muß wenn er `die
fälschung dieser banknoten wird gesetzlich bestraft' fälscht..." (falschmünzer).
Genannt müssen als „Ausgereiste“ und
Lyrker dieser „Deutschen der dritten Art“ vor allem Elisabeth Axmann (geb. 1926), Claus Stephani
(1938), Peter Grosz (1947), Günter Schulz (1947) Frieder Schuller ( 1942) Ilse Hehn (1943), Johann Lippet (1951)
William Totok (1951).
Die Umkehrungen aber bleiben im
bodenlosen Raum, Sprache stellt sich auf Paradoxes, ja, Unsagbares ein, sogar
der Nexus Kausalität ist unterbrochen, Zeitfolge sowieso, ein ganz
"moderner" Zustand verkürzt und dicht erlebt und im Vers besetzt, so
etwa bei Seiler: "diebsgut ohne...
diebstahl", "grenzgänger ohne grenzen", "verfolgte ohne verfolger",
Vakuum der Abwesenheiten, "kopflose
kissen auf küssen ohne mund" .
Was im Osten erzwungen war, wurde hier von den Leuten ganz freiwillig ihrem System entgegengebracht, als wären z.B.
alle Einkäufe handfeste "Geständnisse". "Es ist nicht alles in
Ordnung, aber ok", wie Werner Söllner einen sterbenstraurig-heftigen Prosa-"Monolog" nennt, der so
anfängt: "ich glaube, ich bin gestorben." "ist wer angekommen?" Sei ruhig, der rote-rote fuchs ist
tot." Na und? Was interessiert das noch einen, dass er der Diktatur
entkommen ist, wenn er selber "tot" ist. Einige Jährchen
dauert der Zustand. Und jetzt ist ja sowieso die Grenze offen, also gibts jenes
Land, aus dem man ausgereist ist, das als Vergleichs- Spiegel für den neuen
Zustand diente, gar nicht mehr. Doppelte
Bodenlosigkeit, der sogar die Kontur nun fehlt! Zurücknahme von Welt im feinen
Gespinst unsichtbarer Verbindungen einer Hirnsyntax: Was bleibt, ist
Sprache, Macht in der Ohnmacht, ihr Wirklichkeit
verliehen zu haben, ist das Verdienst dieser Literatur, "Glück" im
Unglück - Annäherung an den unvorstellbaren Anfang: "Das Haus der Welt ist
schlecht gebaut, / ich sitze krumm und schief darin./ Ach Sprache, meine stumme
Braut,/ sag mir, wo ich zuhause bin." (Söllner)
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