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Mittwoch, 13. Januar 2010

Sprachheimat. Zum Werk von Dieter Schlesak in Zeiten von Diktatur und Exil

Lerke von Saalfeld
Poeta doctus. Preisrede 2007

Dieter Schlesak ist ein ungeheuer vielseitiger Poet und Schriftsteller, ein Poeta doctus. Er schreibt, wie von Furien getrieben, das Leben, den Tod, die Liebe, die Welt im Großen und im Kleinen zu erfassen. Er lässt sich treiben und er wird umgetrieben. Er ist neugierig, skep-tisch, voller Zweifel und voller Enthusiasmus – dabei immer auf Ent-deckungsreisen. Der einzig feste Halt sind die Wörter, ist die Sprache, die er mit virtuoser Kunstfertigkeit und mit höchster Sorgfalt, gerade-zu liebevoll oder libidinös in Szenen setzt, sei es in der Prosa, sei es im Gedicht. Und mit einem Gedicht möchte ich auch die Vorstellung seiner Person beginnen, denn daraus erfahren Sie etwas von der ver-schlungenen Befindlichkeit dieses heute zu ehrenden Schriftstellers…
Schlesaks erstes großes Oeuvre ist der Roman „Vaterlandstage und die Kunst des Verschwindens“, erschienen 1986. Es sind die verarbei-teten Erfahrungen des 20. Jahrhunderts mit all ihren Verwerfungen und Abgründen. Vertreibung, Außenseitertum, Schuld und Verant-wortung .Der zweite Roman „Der Verweser“, erschienen 2002, ist an-gelegt als Fiktion in der Fiktion. Aus der Ich-Perspektiv eines in der Toscana lebenden Schriftstellers wird eine Liebes- und Mord-geschichte in Lucca im 16. Jahrhundert erzählt.
Zurück ins Jahr 1969 führt der Liebesroman „Romans Netz“, erschie-nen 2004. 2006 erschien Dieter Schlesaks bewegender Dokumentar-roman „Capesius, der Auschwitzapotheker“ – Schlesak hat Jahre daran gearbeitet und recherchiert – der Roman wurde hier im Literaturhaus Stuttgart im Januar vorgestellt. Aufgearbeitet wird darin die Ge-schichte eines Apothekers, der aus Schäßburg, der Heimatstadt von Schlesak, stammt. Jetzt im Herbst erschien sein jüngster Roman „VLAD, die Dracula-Korrektur“, ein Roman, der tief nach Transsyl-vanien ins 15. Jahrhundert zurückführt. Seine Erfahrungen, Ansichten und Einsichten hat Schlesak in vielen Essay-Bänden veröffentlicht. Ich möchte nur einige Titel nennen, denn sie lassen durchschimmern, worum es dem Autor geht: „Visa. Ost-West-Lektionen“ (1970), „Wenn die Dinge aus dem Namen fallen“ (1991), über die blutige ru-mänische Dezemberrevolution, „Stehendes Ich in laufender Zeit“ (1994), über di postkommunistische Zeit im Osten, „So nah, so fremd. Heimatlegenden“ (1995), „Zeugen an der Grenze unserer Vorstellung“ (2005), über den beiden Diktaturen rot und braun verrfolgte und trau-matisierte Autoren; Gedichte hat Dieter Schlesak immer geschrieben, und sie in zahlreichen Bänden veröffentlicht. Seine biografischen wie auch die historischen Bruchlinien verdichten sich in dem Band „Weiße Gegend – Fühlt die Gewalt in diesem Traum“ (1981).“Hirnsyntax“ hat er einmal seine poetischen Einlassungen genannt. Das schillernde Wort ,Los’ steht über drei Gedichtbänden: „Grenzen Los“, „Namen Los“ und seine Liebesgedichte „Herbst Zeit Lose“ – geschrieben in drei Substantiven. Schlesak lauscht auf die 'Wortzwischenräume', den 'Zwischensinn'. Es sind Liebes- und Todesgedichte, Gedichte der Sehnsucht, Gedichte über Verlust, über Angst, über Schmerz, über Grenzerfahrungen aller Art. Schreiben bedeutet für Dieter Schlesak Leben.

Werner Söllner
Dieter Schlesak

Das Grundthema des Schriftstellers Dieter Schlesak ist die Erfahrung der Grenze: in geographischer wie historischer, in weltanschaulich-politischer wie in subjektiv-psychologischer Hinsicht, und zwar in na-hezu jedem Bereich menschlicher Existenz, und seine Literatur ist der Versuch, diese Erfahrung zu verarbeiten und zu bewältigen. Das Ge-wicht, das dem Begriff der „Grenze“ und allen damit verbundenen Bedeutungsinhalten in der Biographie und im Werk dieses Schriftstel-lers zukommt, ist leichter zu messen, wenn man sich die Herkunft des Autors vergegenwärtigt.
Schlesak ist zwar als Deutscher unter Deutschen, aber eben unter noch mehr Rumänen und Ungarn in einer siebenbürgischen Kleinstadt auf-gewachsen, in der es sich die Generation der Väter angelegen sein ließ, einen gewissen nationalen Herkunftsstolz zu zeigen, der sie – vielleicht noch mehr als die historisch „natürlichen“ ethnischen Besonderheiten – von der Mehrheit absonderte, mit der man notgedrungen in friedlichem Miteinander leben musste.
Geografisch liegt diese Kleinstadt in einem Gebiet mit wechselnder Zugehörigkeit zu bewusstseinsprägenden nationalen Staatsgebilden. Verhältnismäßig rasch alternierende Herrschaftsverhältnisse mit ihren entsprechenden Verunsicherungen sozialer Randgruppen und ethni-scher Minderheiten drängten diese in eine eher „bewahrende“ Be-wusstseinshaltung , in deren Gefüge für grenzüberschreitendes inno-vatives Gedankengut wenig Raum war. Auch die „Kulturträger“ die-ser Minderheit (vor allem Repräsentanten kirchlicher und schulischer Institutionen) prägten wesentlich ein kulturelles Selbstverständnis, in dem provinzielle Konventionalität geradezu eine Voraussetzung für die Zugehörigkeit zur geistigen Elite war. Schlesaks Generation, die ihre entscheidenden Jahre der Bewusstseinsbildung in einem nach der kommunistischen Doktrin regierten Staat erlebte, gleichzeitig aber tief in der von übermächtigen Traditionen bestimmten Vorstellungswelt vorangegangener Generationen verwurzelt ist, hatte drei historische Enttäuschungen zu verkraften. Zunächst die „Entglorifizierung“, sprich: Entnazifizierung der Väter im Namen eines umfassenden kommunistischen Umerziehungsprogramms; und Jahre später die Ent-stalinisierung als behördlich verordnete Loslösung von Denk- und Verhaltensnormen, die in der bestimmenden Phase seiner sozialen In-tegration einen nur mit den Zuständen zur Nazi-Zeit vergleichbaren Druck auf das Individuum ausübten.
Kann man diese beiden Enttäuschungen, weil sie die Lösung von Ideologien waren, noch als historisch notwendig und nützlich be-zeichnen, so muss eine dritte Enttäuschung – jene von Hoffnungen auf ein sozial sinnvolles Leben in einer von ideologisch wahnhaften Aus-wüchsen befreiten Gesellschaft – als ein vom Schriftsteller einklagba-rer Verlust legitimer und, für eine kurze Zeitspanne, scheinbar prakti-kabler Utopien betrachtet werden.
Schlesak war Angehöriger einer politisch und sozial machtlosen, den-noch mit elitärem Bewusstsein ausgestatteten Minderheit, die eine his-torische Mitschuld auf sich geladen hatte, ohne jemals ernsthaft zu versuchen, diese aufzuarbeiten; daraus und aus allgemeineren, in den aktuellen politischen Zuständen Rumäniens liegenden Gründen zog Schlesak die Konsequenz und verließ 1969 zögernd das Land. Er er-lebte eine weitere Enttäuschung.
Einerseits stellt sich bei ihm die Trennung von seiner Heimat als not-wendig, als ein Befreiungsakt dar; andererseits empfand er sie als „Verrat“ – gerade wegen der Freiwilligkeit, mit der er sie als einen Akt der Unbotmäßigkeit gegenüber dem Staat, als einen vorwegge-nommenen Akt jener Freiheit vollzog, für die er die engen Grenzen seines Lebensraums eintauschte, und zwar als „Verrat“ an zurückge-lassenen menschlichen Bindungen und an der unfertigen Hinterlassen-schaft an Utopien, Wünschen und Hoffnungen, die in der neuen Um-gebung des relativ freieren Westens zu wenige teilten oder teilen mochten. Der neu gewonnene Freiraum im persönlichen Bereich er-wies sich so als ein vom Gift des Verrats und des selbstverschuldeten Werteverlusts durchtränkter Nährboden für eine Entwicklung, in deren Verlauf lediglich die persönliche und allgemeine Katastrophe noch eine logisch folgerichtige und paradox sinnvolle Alternative zum stetigen, allmählichen „Totalverlust“ des Ortes und des Zustands „Heimat“ wäre. An dessen Ende kann wohl nur die physische und psychische Auslöschung (im genaueren Wortsinn: Selbstauslöschung) des Individuums stehen. Um dieser „Lösung“ zu entgehen, bleibt nur übrig, alle Traumata, denen sich das Subjekt mit seiner gesamten Wahrnehmung unwiderstehlich ausgeliefert sieht, zu wiederholen: also jene Isolation, jenes extreme Eingeschlossensein in einer „Menschenleere“ fernab von jeder Gemeinschaft mit möglichen Gesinnungsgenossen und potenziellen Trägern einer wie auch immer noch denkbaren gemeinsamen Utopie zu reproduzieren.
So zog Schlesak sich relativ kurze Zeit nach seiner Ankunft im bin-nendeutschen Sprachraum erneut in eine diesmal selbst gewählte Enk-lave in der Toskana zurück, wo er nun, strikter noch als in seiner ru-mänischen Heimat, das komplizierte Drama eines Schriftstellers lebt, der einerseits in der deutschen Sprache und Kultur verwurzelt ist, bei-des jedoch von seiner Alltagsbiografie fernhalten muss, um überleben zu können; und der andererseits gerade in der fürs persönliche Überle-ben notwendigen Isolation sich fast ausschließlich damit beschäftigen muss, die Verbindung mit dem Kulturraum aufrechtzuerhalten, in dem er nicht leben darf. All dies und mehr thematisiert Schlesak in seinem Roman „Vaterlandstage“ (1986).
Von diesem komplizierten, fast möchte man sagen: abgründigen Hin-tergrund spielen sich alle literarischen Aktivitäten Dieter Schlesaks ab – immer gefährdet von der Notwendigkeit, existenzielle Brüche zu wiederholen oder selbst zu produzieren, ebenso auch immer genährt von einem schmerzhaft wachen Bewusstsein, das seismografisch ge-nau die geringsten Veränderungen in der Umwelt und in sich selbst, in der persönlichen und allgemeinen Geschichte „lediglich“ als Zeichen für größere Erschütterungen allgemeiner Zusammenhänge in viel tie-feren Schichten der Wirklichkeit empfindet und darstellt.
Die ersten veröffentlichten Gedichte Schlesaks („Grenzstreifen“, 1968) nehmen das Motiv der Grenze, wie schon im Titel angedeutet, zunächst in einem engen Wortsinn auf. Ein Beispiel aus dem Gedicht „Auf der Grenze gehen ist verdächtig!“: „I. / Doch lieb ich mir euren Verdacht, er / bestätigt mir stets / die Nützlichkeit meiner Vergehen. / Wie ist es doch anrüchig, nimmer gesehen zu werden, / wie weckt ein sicheres Versteck / das Große Misstrauen: / wenn man über eure Köpfe hinweg / schweigt. /(…)“ (S. 18). Dieses Gedicht konnte so nur in einem Land und in einer Zeit entstehen, in denen dem Schreibenden eine Zensurhierarchie gegenübersteht, die es zu umgehen galt, um den Leser mit hintergründig politischen Aussagen zu erreichen und auf dieser Ebene mit ihm einen Konsens herzustellen, in einer Welt also, in der Sprache eine „festgelegte, festgenagelte Sprache (ist), wo die Nuance nicht sein darf und das Wort unter peinlicher Kontrolle steht, sodass es zum Denken unbrauchbar werden muss; der Satz ist so ver-kürzt worden, dass Spannung, Kritik und Widerspruch oder gar ein Infragestellen innerhalb des Satzes unmöglich geworden ist. Diese Sprache will nicht denken, sondern sich durch Eigenlob ständig selbst bestätigen“. („Visa“, S. 44).
Die Erfahrung neuer Zusammenhänge in einer neuen Umwelt, in der das Individuum sich nicht mehr an einer grundsätzlich klar umrissenen Position des Widerspruchs zu einer Politik orientieren kann, die von ihm als die eigene Existenz eingrenzend und gefährdend empfunden und verstanden wird, verändert mit den Jahren Schlesaks Ge-dichtmodell auf komplizierte Weise: „DENN DIESE SCHALE DIE AUS SPRACHE IST“, heißt es in einem späteren Gedicht („Weiße Gegend“, S. 9), „kämpft sich als Sichtbarkeit / mit dem Gewesenen ab / als wären wir Verwalter von Museen / der eignen Gegenwart / mit ihren toten Exponaten. // Kalt ist der Pol. / Die Tropen heiß. Wie / alles wir zusammenfassen können / und nie fassen. // Physik und Gott – das ist / der Abgrund dieser Gegenwart. / Das ist die Definition / von Nord und Süd: / die Formel / für den längst begonnenen Krieg.“ Über-rascht von einem trügerischen, einem Scheinfrieden in der „Freien Welt“ mit ihren vom Autor nun als ebenso polar verstandenen, nie auflösbaren Gegensätzen, überrascht auch von der gnadenlosen Physik der Ereignisse (ob ihre Gesetze sich in Technik, Wissenschaft oder Politik zeigen, verändert für den Autor nichts an ihrer fatalen Subs-tanz), tendiert Schlesak dazu, diese mittels einer Metaphysik zu trans-zendieren, die trotz der Rekursion auf bereits bekannte, wenn auch für Europäer zuweilen exotische Mythen (noch) kein Heil kennt, sondern sich in einem erbarmungslos geführten geistigen Rückzugsgefecht um extreme Standorte hart an der Grenze zwischen menschlicher Dimen-sion im Relativen und abstrakter Dimension im Absoluten erschöpft. Die Leser von Schlesaks neueren Gedichten dürfen nicht unter Ermü-dungserscheinungen leiden; Äußerstes wird ihnen abverlangt in der Fähigkeit, intellektuelle (also immer auch: existenzielle) Brüche zu er-tragen und nachzuvollziehen sowie jene Erfahrungskonzentration aus-zuhalten, die durch permanente Ausgrenzung aller scheinbar nur emo-tionalen Passagen entsteht, welche Möglichkeiten einer unmittelbare-ren Identifikation anböten.
Trotz aller Zäsuren und Brüche, die also in Schlesaks Lyrik dazu bei-tragen, dass der Eindruck entstehen kann, der poetische Duktus sperre sich gegen alles, was auch nur entfernt die Ahnung gerade von Poeti-schem herbeiruft, mag mancher Kritiker versucht sein, diese Gedichte als Verlust- und Trennungslitaneien zu lesen. Wenn es denn eine sol-che Gattung in der zeitgenössischen deutschen Lyrik gäbe, so wäre sie gar nicht neu und gewiss nicht von Schlesak erfunden. Wodurch die-ser Autor sich jedoch von anderen, mit seiner Haltung und Anschau-ung durchaus verwandten, Autoren unterscheidet, ist die nicht nur um radikale Redlichkeit, sondern auch um spannungsvolle Präzision be-mühte Strenge der Gestaltung: „Hat euch der Gang der Geschichte verschont / in euren gesicherten Häusern die noch stehn. // Ein gutes Röntgenbild / zeigt deutliche Ruinen. // Ihr wisst´s im Traum / seid matt – // Die lasche Seele blökt am Tresen / und kippt gelangweilt den Klaren. // Wir alle haben / Heimweh nach der Strenge“, heißt es be-ziehungsreich polemisch in dem Gedicht „Meinen westdeutschen „postmoderner Kollegen“ (S. 94), das bestimmt von vielen Anhän-gern“ Begriffsblasen auch ebenso polemisch gelesen werden mag.
Das gewiss anspruchsvollste, in Ausführung und Deutung schwierigs-te, mit Sicherheit auch riskanteste schriftstellerische Unternehmen Schlesaks ist der Roman „Vaterlandstage“ (1986). Schon die Gat-tungsbezeichnung allerdings bereitet dem Kritiker einige Schwierig-keiten. Nicht die Vielzahl der Handlungsebenen und -stränge, auch nicht die Unmittelbarkeit, mit der in zahlreichen Passagen autobiogra-fisches Material übernommen wird, lässt den Leser zögern; da sind auch die unterschiedlichen Stilebenen: sie entsprechen nicht etwa der Absicht des Verfassers, Personen voneinander abzugrenzen und sie eben ihr eigenes „Romanleben“ leben zu lassen, sondern sind eher Ausdruck der unterschiedlichen Befindlichkeit des Verfassers, mit de-nen er sich im Schreibprozess seiner Welt, seiner Erfahrungen und schließlich seiner selbst zu vergewissern trachtet.
Die Hauptgestalt des in der Ich-Form geschriebenen Romans, Michael T., kehrt nach sechzehnjährigem Aufenthalt im Westen in die rumäni-sche Heimat zurück, wird in Bukarest verhaftet und träumt während der Haft die eigene Hinrichtung. Im Augenblick zwischen Leben und Tod setzt die eigentliche Romanhandlung ein. In Traum-„Stücken“, mit vielfachen Rückblenden sowie Passagen aus der Zeitebene der Niederschrift des Buches, wird T.s Biografie erzählt, die identisch ist mit der Biografie des Autors, seine Geschichte ist auch die Geschichte seiner Familie, die in Kriegsschuld und in die Sehnsucht nach dem verlorenen „Reich“ mündet. Darüber hinaus steht sie für die Geschich-te der weißen Rasse in Ost und West, mit ihrer Verstrickung in die al-lumfassende Kollektivschuld, die im Drama des Raketenzeitalters mit seinem drohenden kollektiven Selbstmord kulminiert. T. lädt diese Schuld auf sich. In seinem Versuch, „Vaterlandstage“ (Hölderlin) zu erleben, eine innere Behaustheit nach dem Erlebnis absoluter Fremde zu findet, wiederholt er alle nur denkbaren Abschiede, bis hin zum ge-träumten Tod, er sucht und findet das Totengespräch (mit dem Vater) als die einzige Möglichkeit, den überlieferten Zeitbegriff aufzuheben und, gemäß der jüdischen Kabbala, die eine tragende Funktion in der Romanstruktur ausübt, „Jetztzeit“ als neue Lebenszeit an seine Stelle zu setzen. Folgerichtig in der Logik der Romanhandlung und der Psy-chologie der Hauptgestalt wäre eine kollektive Katastrophe als Aus-weg aus der selbstverschuldeten Zeitkrankheit und die Hinrichtung Michael T.s. Beide jedoch bleiben aus, T. wird für immer des Landes verwiesen und ins Ausland abgeschoben.
Bestechend an dem Roman ist der enorme geistige Anspruch, mit dem der Autor an die Bewältigung der selbst gestellten Aufgabe geht, ei-gene Krankheit begreift er konsequenterweise als Ausdruck einer zivi-lisatorischen Zeitkrankheit, den vor allem in der zeitgenössischen deutschen Literatur beliebten Ausweg, Zeitproblematik ausschließlich unter dem Aspekt der Zeitkritik darzustellen und also eilends eine neue ideologische Heimat für sich und seinesgleichen zu konstruieren, meidet er, indem er dem Leser das Bewusstsein für die tragende Rolle der Wiederholungen im historischen Ablauf schärft. Die Annäherung an Mythen mit ihrer Aussagekraft über die Substanz des Menschlichen geschieht keinesfalls unter Ausklammerung historischer und sozialer Momente, sondern schließt diese mit ein. So anspruchsvoll also der Roman an den Leser herangetragen wird, so mühevoll kann, auch für den mit Schlesaks Problematik Vertrauten, die Lektüre sein. Nichtsdestoweniger bleibt sie ein ungeheuer kompliziertes, abgründi-ges Erlebnis, das seinesgleichen unter den Publikationen deutscher Schriftsteller aus Rumänien nicht hat. Durch seine Tragweite gehört der Roman ohne Zweifel zu den bedeutendsten deutschsprachigen Neuerscheinungen der achtziger Jahre.

(Stand 1.4.89)

Edith Konradt

Grenzgänge

Dieter Schlesak wurde am 7. 8. 1934 in Sighişoara-Schäßburg als Angehöriger der deutschen Minderheit in Rumänien geboren. Nach dem Abitur unterrichtete er zwei Jahre an der Volksschule in Denndorf, von 1954 bis 1959 studierte er Germanistik in Bukarest, wo er anschließend als Redakteur der Zeitschrift Neue Literatur Autor, Übersetzer und Herausgeber tätig war. 1969 reiste er in die Bundesrepublik Deutschland aus, ging 1973 ins selbst gewählte Exil nach Italien und lebt seither als freier Schriftsteller abwechselnd in Stuttgart und Camaiore. 1980 erhielt Schlesak den Andreas-Gryphius-Preis, 1982 und 1987 das Jahresstipendium des Deutschen Literaturfonds, 1989 den Schubart-Preis (für Vaterlandstage), 1990 war er Stipendiat der Akademie Solitude in Stuttgart, 1993 erhielt er den Nikolaus-Lenau-Preis, 1994 den Hauptpreis Prosa des Ostdeutschen Kulturrats und 2001 die Ehrengabe der Deutschen Schillerstiftung. 2005 wurde ihm der Dr. h.c. der Universität Bukarest verliehen, 2006: Premio Umberto Saba, “Trieste Scritture di Frontiera Poesie” und 2007 erhielt er für das Gesamtwerk den Maria-Ensle-Preis der Baden-Württembergischen Kunststiftung.

Im Brennpunkt von Schlesaks literarischem Schaffen steht von Anfang an das Phänomen Grenze, das ihn nicht allein in seiner politischen, sozialen und kulturellen Relevanz, sondern vor allem in seinen sprachlichen und metaphysischen Dimensionen beschäftigt. Der Debütband Grenzstreifen (1968) ist noch rumäniendeutschen Bedingtheiten verhaftet: Wie schon vor ihm Oskar Pastior verweigert auch Schlesak gereimte Partei- und Klassenkampfparolen und sucht sich mit dem Instrumentarium moderner Poesie „Die große Störung, Leben“ (ebd.) zu erschließen. – Der „Weltenwechsel“, den Schlesak als Schock erlebt, konfrontiert ihn mit neuen Grenzerfahrungen, die er in dem Prosaband Visa. Ost-West-Lektionen (1970) dokumentiert. Nun ist es nicht mehr der Denk-, sondern der Sinne- und Sinnverlust, der ihm als verdeckter Realitätsverlust zusetzt und ihn zum „Zwischenschaftler“ werden lässt, der sich schreibend im „Grenzraum der Erkenntnis“, „im Strom des Wechsel-Spiels oder des Wechsel-Ernstes zwischen beiden Teilen der entzweigeschnittenen Welt“ bewegt, um nicht an der „Melancholie wirklich erlebter Unwirklichkeit“ zugrunde zu gehen (ebd.). – Lyrisch verdichten sich diese biografischen wie historischen Bruchlinien zu dem Band Weiße Gegend – Fühlt die Gewalt in diesem Traum (1981). Im „weglosen Gelände“, das die Diktaturen des 20. Jahrhunderts in Europa zurückgelassen haben, ertastet sich jede Gedichtzeile ihre eigene Vorläufigkeit: „Wie aufgelöst in diesem weißen/ Licht der Nacht mit ihrer Wange/ Ist die verbrannte Erde / Der Vergangenheiten – // Was liegen blieb, nur mit Ideen / begangen // Und Haut an Haut / mit dem Versäumten“ („Achtuhrschmerzen“, ebd.). Dass mit den falschen Gewissheiten auch die Sprache gesplittert ist, materialisiert sich in Schlesaks „Hirnsyntax“, die zu seinem poetischen Markenzeichen wird: Der Vers zerfällt, syntaktische und semantische Strukturen fransen aus, wuchern ad hoc oder führen sich ad absurdum, die Funktion der Differenzierung verlagert sich vom Wort in die „Wortzwischenräume“, da es einzig in diesem Spannungsfeld noch möglich ist, Sinn zu generieren – wenn auch bloß als „Zwischensinn“ („Schreiben als posthumes Leben“ in So nah, so fremd, 1995). – An „Sinn- und Sprachrändern“ bewegt sich auch Schlesaks dritter Gedichtband Aufbäumen (1990), der statt der Schöpfung die „Er-schöpfung der Welt“ thematisiert und als Strukturmodell den kabbalistischen Sprachbaum heranzieht, der mit seinen zehn Ästen auf den Kopf gestellt wird: Die Kapitel sind rückläufig angeordnet, das letzte ist das erste, „das Eine als treibende Absenz“, das jedoch auch alle anderen „als Hohlform unverzichtbarer Hoffnung“ (ebd.) mit einschließen: „Hölderlins / Bordeaux? Und Patmos, die Insel?/ Und dann Johannes 15?/ Wer doch verkommen wie er, / in der Sprachzeit langsam nach Haus / kommen könnte. Zu Fuß / nur mit einem Zeitwort auf / staubiger Landstraße. Wir aber / tragen den Augenblick im Autofenster / und die Sekunde rollt an den Reifen. Kein / Land, Nie, Land, / dieses Anderswo“ („Chronokratie“, ebd.). – Die Fassetten von Absenz und Angst im ortlosen virtuellen Zeitalter fächert Schlesak im Gedichtband Landsehn (1997) auf und schreibt sie in Tunneleffekt (2000) fort, wo sie, flankiert von zeitlosen Traumerinnerungen und Todeserfahrungen, zu Bausteinen einer „posthumen Poetik“ (ebd.) werden. – Nach dem „Poesia-Erotica“-Intermezzo von Lippe Lust (2000) wendet sich Schlesak in Los (2002) erneut den zu inneren Ereignissen gewordenen Landschaften seines Exils zu, um in älteren und neueren Reisegedichten den „unbekannten Ort möglicher Erfahrung“ (ebd.) einzukreisen. – Neben den Lyrikbänden Weiße Gegend und Aufbäumen zählt auch der dazwischen verfasste Roman Vaterlandstage und die Kunst des Verschwindens (1986) zu Schlesaks bedeutenden literarischen Würfen. Mit gattungstypologischen Rastern nicht zu erfassen und am ehesten als Gedankenroman zu bezeichnen, rückt hier ein halbes Jahrhundert Lebens- und Zeitgeschichte mit den Hypostasen ihres Scheiterns seit den 30er-Jahren ins Bewusstsein. Anstoß zum Nach-Denken ist für den Ich-Erzähler die Suche nach einer möglichen Heimkehr ins Land seiner Herkunft, aus dem er, von zwei Diktaturen beschädigt, emigriert ist. Also erfindet er ein Alter Ego, den Schriftsteller Michael T., und schickt ihn statt seiner nach Osten. Was jedoch wie eine tatsächlich stattgefundene Reise anmutet, ist eine sprachlich vollzogene Revision eines geschichtlich wie gesell-schaftlich verbogenen Ichs mit all seinen Brüchen und Widersprüchen, die bei dem von zwei Erzählinstanzen vorgenommenen unausgesetzten Verhör und Selbstverhör zutage treten. Das Erlebte und Erinnerte zersplittert in unzählige Partikel, die sich weder chronologisch noch kausallogisch zusammenfügen: „Die Sprache ist blockiert und zerstückelt und vom Alptraum verwandelt bis hin zum sprachunfähi-gen Stottern, in dem sich sprachlos die Realität in Fratzen auflöst, in Kopfsummen des Wahnsinns“ („Analyse meiner Selbstbiografie“ in Nachruf auf die rumäniendeutsche Literatur, 1990). – Historisch schließt an Vaterlandstage der Essayband Wenn die Dinge aus dem Namen fallen (1991) an, der die „enteignete“ Revolution von 1989 un-tersucht, gefolgt von dem synoptischen Journal Stehendes Ich in lau-fender Zeit (1994), das den europäischen Nach-Wende-Geist bis 1993 kritisch ausleuchtet. – Schlesaks zweiter Roman Der Verweser (2002) ist ebenfalls als Fiktion in der Fiktion angelegt, doch ist hier nur die Rahmenhandlung autobiografisch geprägt und aus der Ich-Perspektive eines in der Toskana lebenden Autors erzählt. Als auktorial gestaltete Binnenhandlung wird eine Luccheser Liebes- und Mordgeschichte des 16. Jahrhunderts herangezogen, deren Hauptfigur, der Arzt und Schriftsteller Nicolao Granucci, dem Ich-Erzähler so zusetzt, dass die-ser meint, Granucci gewesen/geworden zu sein. Als metapsychischer Schaltkreis fungiert u. a. der Schreibprozess, dessen Magie wie Miss-brauch Schlesak nachgeht.

(München, 2002)

Maria Irod

Dieter Schlesaks „Zwischenschaft“: „Augenöffnung“ und „Nicht-nur-schreiben-Wollen“ im Grenzraum der Sprache

In den Begriff „Zwischenschaft“ laufen die wichtigsten und originell-sten Elemente eines Lebenswerks zusammen, das im Kontext einer fast vierzigjährigen Exilerfahrung entstanden ist. Darin werden zu-gleich Resonanzen spürbar gemacht, die Dieter Schlesak in die Nähe gewisser Tendenzen des zeitgenössischen Denkens bringen.
Im Folgenden soll der Grundbegriff „Zwischenschaft“ sowohl vor dem biografischen Hintergrund als auch im Zusammenhang mit dem so genannten „minoritären Gebrauch“ der Sprache und dem Verfrem-den durch das Schreiben untersucht werden . Weiterhin eröffnet sich noch ein Problemfeld, das im Rahmen der heutigen Debatte um das Ableben der Metaphysik zu verstehen ist. Unter den zeitgenössischen deutschsprachigen Autoren ist Dieter Schlesak einer der wenigen, des-sen Werk klare theoretische Positionen zu den Grundfragen der Philo-sophie vertritt. In seinen Essays vor allem – aber auch seine Prosa und seine Lyrik werden von dieser Problematik durchtränkt – bemüht er sich um eine Antwort auf das Sinn-Bedürfnis der Zeitgenossen und versucht eine den Gegensatzkonflikt umfassende Ganzheit von Natur und Geist jenseits der tradierten Deutungssysteme des abendländi-schen Denkens wieder herzustellen.
Was die „Zwischenschaft“ begrifflich fasst, ist ein Zustand der Pro-duktivität, der niemals von festen sozialen, theoretischen oder literari-schen Zentren her zu erklären ist. Das Wort benennt auch eine Le-bensweise, die sich als Gratwanderung auffasst und sich sowohl dem Erstarren in der Identität eines Emigranten als auch der Gleichschal-tung entzieht. Es bedeutet zugleich den leidenschaftlichen Einsatz al-ler Vitalkräfte für das Projekt der sinnsuchenden Literatur. Darum ist die Schreibweise Dieter Schlesaks im Wortsinn intertextuell und interkulturell. Seit seiner Auswanderung im Jahre 1969 hat er als Fremder in Deutschland und Italien ein intensives Arbeitsleben ver-bracht und sich dabei ständig mit seinem Herkunftsland Rumänien auseinandergesetzt. Das schmerzliche Pendeln zwischen „wunder Erinnerung und unaufhörlichem Schreiben als Lebensersatz“ sowie die zeitweilige Unmöglichkeit einer realen Heimkehr des nur in der Sprache beheimateten Schriftstellers bilden den biografischen Hinter-grund dieser Literatur. Vor allem in seinem Roman Vaterlandstage werden die Polyvalenz und die Polyglossie deutlich, die Schlesaks Autorschaft charakterisieren: Eine intensive Selbsterforschung und die Versprachlichung der eigenen Traumata verbinden sich mit der teil-nehmenden Beobachtung von anderen und der Datensammlung in Form von Interviews, Briefen etc., die dann alle zu einem dichten Ge-flecht heranwachsen, wo erinnern, fühlen, denken, beobachten, stau-nen, fragen, collagieren, erfinden im engen Zusammenhang stehen. Die Polyglossie ist einmal durch die Spaltung der Hauptperson, eines Alter Ego des Autors, in den textimmanenten Ich-Erzähler und die zum Er gemachte und verfremdete Figur Michael T. realisiert. Ande-rerseits vernetzt Schlesak sein eigenes Schreiben mit Wahlverwandten der Weltliteratur: Überall sind offene und verdeckte Korrespondenzen mit Paul Celan, Hölderlin, Swedenborg, E. Cioran, C. Noica, Meister Eckhart, C. G. Jung, Michelangelo, N. Stănescu, B. Fondane, Ghera-sim Luca, Friedrich Weinreb, C. F. von Weizsäcker u.v.a zu finden. Die fremden und die eigenen Stimmen fließen ineinander und die Li-teratur konstituiert sich als ein Netz von Beziehungen, von potenziell unzähligen Perspektiven, die auf- und abtauchen und einen Zusam-menhang wieder neu entstehen lassen, der das Innere und die Welt auf der Ebene der Schrift verbindet. Das Collagieren von Erfahrungs-fragmenten und Zitaten ist keine „Bastelarbeit“, die einem bewussten Kalkül entspricht, sondern beruht auf der dialektischen Bewegung ei-ner „intuitiven, ganz persönlichen und doch sich selbst überschreiten-den Sinnarbeit“ , die einem Ganzen zustrebt, das sich einer ordnenden und selbstbewussten Subjektivität nicht erschließen kann. Dieter Schlesak führt die Collage als ihm angemessene Schreibweise auf die Eigentümlichkeit seiner Fantasie zurück, die wie bei den Lyrikern se-quenziell arbeitet, „in einzelnen kurzen Szenen und Handlungsstö-ßen“ , die nachträglich zu einem komplexeren Text zusammengeführt werden. Die Zusammensetzung muss aber auch „inspirativ“ erfolgen. Der Sinn ergibt sich aus der gegenseitigen Anziehung der einzelnen Fragmente und dieser Prozess ähnelt, so Schlesak, der ebenbildlichen Schöpfung, er ist persönlich und doch sich selbst überschreitend. „Es ist eine komplizierte, jahrelange und sehr einsame Reise in eine Zone, wo das Unerreichbare, das platonische „Eine“, vielleicht „Gott“ war-ten.“ Dieses anspruchsvolle Literaturkonzept eröffnet die Möglich-keit, alle privaten Probleme aufnehmend und aufhebend und alle Sprechweisen und Gattungen umfassend, die „Bausteine“, d. h. die Einzelszenen und Fragmente, in eine ideale Synchronizität aller Zeiten und Räume zu integrieren. In einem ständigen Wechselspiel wird das Erlebte zum Text und das „inspirative“ Schreiben zu einer Lebenswei-se, die dem „Tod einer angepassten Existenz als Sozialtier“ aus-weicht.
Der „Zwischenschaftler“ Schlesak arbeitet übrigens weiter an einer noch radikaleren Auflösung der als überholt betrachteten Grenze zwi-schen Buch und Welt. In seinem Chat-Roman (Romans Netz. Ein Lie-besroman. Köln 2004) überlappen sich Erzählzeit und erzählte Zeit, der Autor nimmt am Leben seiner Figuren teil und umgekehrt, wäh-rend ein gewaltiges Netzwerk von Bedeutungen und Wechselwirkun-gen im immateriellen Raum der elektronischen Medien entsteht, ohne absehbares Ende oder überschaubare Einheit.
Die Zwischenschaft, das permanente und sich immer steigernde Ge-fühl des Nicht-dazu-Gehörens, ist Erkenntnismittel und Prinzip der Lebensgestaltung zugleich. Sie wurzelt in lebensgeschichtlichen Um-ständen (der traumatischen Erfahrung der Diktatur und des Exils, der unmöglichen Heimkehr), die sie aber überschreitet, und wächst mit der Zeit zu einer existenziellen Bedingung, die sich ständig neu definiert, jedesmal um eine Nuance verändert.
So kann man etwa den Zustand der Zwischenschaft bis in die Zeit sei-ner rumänischen Jugend zurückverfolgen. Die Bewusstwerdung der Nicht-Zugehörigkeit ist zunächst durch objektive Faktoren wie die Herkunft und die politische Lage im Land bestimmt. Die erste Deterri-torialisierung vollzieht sich also vor dem Exil und hängt eng mit den Erfahrungen der Angst und der Einsamkeit zusammen, die ein inner-lich freies Individuum zur Zeit der Diktatur macht. Es handelt sich vorerst um eine „absolute Deterritorialisierung“ im Sinne des von De-leuze und Guattari geprägten Terminus, weil dem Entfremdeten jede Möglichkeit, ein neues Territorium der Vertrautheit zu besetzen, vor-enthalten bleibt. Die konkreten Lebensumstände des jungen deutsch-sprachigen Autors im Rumänien der sechziger Jahre lassen alle Ans-trengungen, sich in der Gesellschaft einzurichten, als sinnlos erschei-nen.
Für einen ideologiekritischen linksorientierten Siebenbürger Sachsen gab es angesichts des Nazi-Verbrechens und der Mittäterschaft vieler seiner Landsleute keine Anschlussmöglichkeit an eine heile bruchlose Heimatliteratur. Auf der anderen Seite kollidiert der kritische Mar-xismus des jungen Schlesak mit der auf marxistischen Fundamenten errichteten Diktatur im rumänischen Staat. Der Konflikt ist also zu-nächst auf politischer Ebene zu identifizieren und hängt unmittelbar mit der Herkunft des Autors zusammen, d. h. mit seinen sozio-kulturellen Bedingungen, der Sozialisierung und der Kulturalisierung durch die gerade herrschende „Ordnung des Diskurses“. Als „Deutscher der dritten Art“ findet er aber auch keinen unmittelbaren Anschluss an die intellektuellen Debatten in Westdeutschland.
So entsteht schon in der Bukarester Zeit das akute Bewusstsein einer unheilbaren Wunde – der „anthropologischen Wunde“, die durch Krieg und die beiden Diktaturen bedingt wurde – das jede neue Reterritorialisierung, jede Einfügung in die vorgeprägte Struktur einer festen Identität unmöglich macht. Das ist allerdings, wie Schlesak selbst mehrere Male hervorhebt, am ausführlichsten im Nachwort zu seiner Übersetzung der 11 Elegien von Nichita Stănescu, ein Problem der ganzen Generation, die „in Abwesenheit der Eltern“, d. h. ohne zeitgenössische Vorbilder, auskommen muss. Das einzige Zuhause der in der Diktatur lebenden Autoren bleibt die Sprache, die an sich ein privilegierter Ort der Verfremdung ist. Abgesehen vom viel diskutierten Bruch zwischen Zeichen und Bedeutung gibt es in der Sprache noch eine weitere Fremdheit, die mit dem von Deleuze und Guattari in ihrer Kafka-Studie entdeckten „minoritären Gebrauch“ zu tun hat, d. h. mit den Fluchtlinien, die sich innerhalb der Sprache herausbilden und sie selbst zum Stottern bringen (das Deutsch der Prager Juden etwa oder in unserem Fall das Rumäniendeutsche). Der Autor selbst bezieht sich auf Deleuze und Guattari, wenn er die Situation der rumäniendeutschen Gegenwartslyrik diskutiert:
....bei Menschen „vom Rand“ gibt die Sprache „ihr repräsentatives Dasein auf, um sich bis an ihre Extreme, ihre äußersten Grenzen zu spannen“ können wir bei Deleuze und Guattari in ihrem Kafka-Buch Für eine kleine Literatur nachlesen.
Und weiter, noch spezifischer, auf die Situation während der Diktatur bezogen:
Die Diktatur hat die Verletzlichkeit und die Sprach-Hellhörigkeit in ihren Gefahrenzonen, die ja sprachliche waren, noch verschärft, sie hat die Autoren überwacht, zensiert, verfolgt, offen waren die Abgründe des Absurden, die Sinne der Autoren für das Absurde geschärft.
Für Schlesak wie für Deleuze deckt sich diese Dynamik zugleich mit jener des Schreibens, das stets als Verfremden erscheint, weil die Ar-tikulation des Neuen erfordere, dass man „in seiner eigenen Sprache gleichsam ein Fremder“ werde. Die Sprache ist also ein Zwischen-land, das einerseits die Bewegung des Fremdwerdens am besten ver-anschaulicht und wo sich andererseits nur punktuell in Augenblicken der Inspiration eine „Selbstherstellung“ vollziehen kann .
Zu seiner Fremdheit als existenzieller Bedingung erzählt Schlesak immer wieder eine Anekdote aus seiner Bukarester Zeit:
„Schon in Bukarest, bevor ich Deutschland kannte, bevor ich über-haupt die Grenze des Landes überschreiten durfte, wo nur in der Spra-che diese Sehnsucht saß, wie ein verhindertes Fluggerät, ein Vogel mit gebundenen Flügeln, ein Mensch, der einen Vogel im Kopf hat, wurde ich gefragt, sag mal, was bist du eigentlich, ein Rumäne bist du nicht, du bist ja in Siebenbürgen als Siebenbürger Sachse geboren, aber ein Deutscher bist du auch nicht, du warst ja noch nicht in Deutschland? Du musst Jude sein.“
Dazu zitiert er Marina Zwetajewas Spruch: „Alle Dichter sind Juden“, mit anderen Worten „sie gehen einem Handwerk nach, das, laut Paul Celan, keinen goldenen Boden, sondern überhaupt keinen Boden hat.“
Sein Handwerk, das keinen festen Boden hat, d. h. keine sichtbare Auswirkung auf die materielle Welt, macht den Dichter zum Außen-seiter. Die Annäherung an das Jüdische vertieft das Schuldbewuss-tsein des Deutschen und kommt „einem kleinen Schock“ gleich. Dar-über hinaus führt die Beschäftigung mit dem Jüdischen zu einer Radi-kalität im Denken des Fremden, die einem Dichter wie Dieter Schle-sak viel näher kommt als die vergleichsweise gemütliche Dialektik des Eigenen und Fremden, so wie sie etwa in der Soziologie und Eth-nologie behandelt wird. Über die altisraelitische Erfahrung von Ge-fangenschaft, Vertreibung und Exil entwickelt sich ein Menschheits-modell, das keineswegs nur auf Mechanismen sozialer Wahrnehmung und Ausgrenzung beruht, sondern allgemein das menschliche Leben als ein Leben im Fremden auffasst. Nachdem das „kleine Exil“ 1989 seine Aktualität verloren hat, blieb nur noch das „große Exil“ der menschlichen Existenz auf der Erde, die vom Ursprung her dem Fremden unwiderstehlich ausgesetzt ist, so wie sie die biblischen Ge-nesis-Erzählungen in ihrer Bildsprache darstellen und so wie sie durch die gnostischen Bewegungen radikalisiert wurde. In diesem Sinne gilt die These, die Hartmut Böhme in Bezug auf das Werk Hubert Fichtes formuliert hat, auch im Fall von Dieter Schlesak: „Der Gegenbegriff zum Fremden ist nicht das Eigene, sondern das Paradies.“
Angesichts dieses ontologischen Fremdseins und der Leere, die nach dem Tod Gottes entstanden ist, fasst Dieter Schlesak sein Schreiben als Versuch auf, jenseits religiöser oder politischer Tröstungen eine Idee von Glück und existenzieller Verankerung zu vermitteln:
Es [das Schreiben als “Sinnarbeit”, als Zusammensetzen von Einfällen, m. Anm., M.I] ist bisher die einzig mögliche „Sicherheit“, einer fast numinosen Geborgenheit im Nirgendwo, die es für mich an der Grenze zwischen sinnlichem und geistigem Bereich noch gab, mit ihrer Tiefengrammatik des Sprachgedächtnisses als das einzige unzers-törbare Haus, das ich noch besaß.
Im Schreiben erlebt man ein Glücksgefühl, das der Erleuchtung gleichkommt:
Und so wäre diese Sinnarbeit via erlebter Weltfragmente im Laufe der Zeit, diese zerfallenen Stückwerke der Momente und Lebensphasen in ihrem anscheinend sinnlosen, daher schmerzhaften „Unten“ ihrer manglenden Bindung und des fehlenden Zusammenhangs eben das Rohmaterial eines Ganzen, einer stimmigen schwingenden „Sprach-heimat“.
(...)
...dafür wird man (...) schon während der Arbeit belohnt mit Erregun-gen und Glücksgefühlen, da wartet das geschriebene Glück, wie es mein Kollege Werner Söllner in einem Gedicht so schön ausdrückt.
Nachdem mit dem Tod Gottes das ganze Deutungs-, Sinnstiftungs- und Tröstungssystem des abendländischen Geistes zusammengebro-chen war, begann das „große abendländische Ereignis der Sinnverfins-terung“ , d. h. eine nihilistische Einstellung, die jeden Bezug auf ei-nen absoluten Wert bzw. ein übersinnliches Maßstab der Weltausle-gung unmöglich macht.
Was Dieter Schlesak durch seinen Begriff der Zwischenschaft zu die-ser ausgesprochen heiklen Problematik des heutigen Denkens beizut-ragen hat, ist vor allem der Versuch, das Numinose und den Tod vor der Ausklammerung aus dem Wissensbereich zu retten und zugleich die Innerlichkeit (d. h. das Geistige, das Unsichtbare) aufzuwerten, ohne jedoch auf die alte metaphysische Idee der Beherrschbarkeit der Welt zurückzufallen, die unter jeder Oberfläche eine genau identifi-zierbare Bedeutung aufzuspüren meint. Diesem Totalitätsanspruch, der auf Fixiertheit fußt, hält die Zwischenschaft die „Unschärferelation“ der Quantenlogik entgegen. Schlesaks Poetik geht vom unmöglichen Unternehmen der Literatur, das Unsagbare sagbar zu machen aus:

Eine höhere Stufe, die die Übersicht möglich macht – die In-Eins-Bindung und Überschneidung von vielen Lebensperspektiven, bis ins Grenzenlose – besorgt das riesige Gedächtnis der Sprache mit ihren apperzeptiven und apriorischen Formen, um das Eine, den Einen in immer reicheren Spiralen zu umkreisen, es jedoch nie ganz zu errei-chen, da „er“ (Sinn, Nichts, Tao, Gott – alles ohnmächtige Wort-Annäherungen!) unaussprechbar ist, das Namenlose, das alles erst möglich macht, auch uns und die Namen, nur dann da ist, wenn wir uns und die Namen löschen!“
In seiner Abhandlung über die Philosophie nach dem Tod der Meta-physik vergleicht Manfred Frank das strukturalistische System-Modell mit einem Kristallgitter, wo „die Teilchen nicht nur voneinander un-terschieden“, sondern „bei gleichbleibender niedriger Temperatur, zu-sätzlich an ihre Plätze gebannt“ sind . Der Neostrukturalismus hinge-gen distanziert sich von einer theoretisch überschaubaren und abge-schlossenen Struktur und bevorzugt die „Offenheit“ der unendlich vielen Transformationen. Diesen Begriff des Unkontrollierbaren hat Dieter Schlesak mit dem Neostrukturalismus gemeinsam. Wiederholt bezieht er sich auf die Erkenntnisse der Quantenphysik, deren Gesetze der Nanowelt der unsichtbaren Relationen gerecht werden. Im Unter-schied zur klassischen Physik, die nur für die Welt der sichtbaren Ob-jekte gültig ist, geht die Quantenphysik vom Prinzip der Unauffind-barkeit von „Teilchen“ aus und nimmt die Wechselwirkungen zwi-schen dem Messinstrument (oder beobachtendem Subjekt) und dem beobachteten Objekt in Kauf. Diese Einsicht schließt ein genau be-stimmbares Sinnzentrum aus, dessen Verständnis die Struktur be-herrschbar machen könnte. Was sie aber nicht ausschließt, sondern vielmehr unterstützt, ist das Bedürfnis, ein „Scheinloses“ bzw. Bildlo-ses zu postulieren, das mit den Mitteln des Verstandes nicht erfasst werden kann:
Jeder Poet ist durch seinen Einfall an das Noch-Nicht-Gewusste, den alles bedingenden apriorischen Grund (das Eine) gebunden. Es wird so möglich, sich jenem Glück zu nähern, das wir schon hier empfinden können, wenn das Netz der Zusammenhänge dicht ist und reich, schon im Undenkbaren an der Grenze unserer Vorstellung, ziemlich nahe in der Reihe des Zählbaren mit der Eins und dem Einen nicht mehr getrennt und gespalten, sondern „heimgekehrt“ zum Grund der eigenen Sagbarkeit.
Die Matrix der Transzendenz ist nach dem Tod Gottes, so Nietzsche in der Fröhlichen Wissenschaft, erhalten geblieben und muss mit einem neuen Inhalt ausgefüllt werden. Das Denken der Zwischenschaft kommt mir in diesem Zusammenhang als eine mögliche Überwindung des Nihilismus zugunsten der Negativität vor. Es handelt sich offenbar um ein Denken, das sich der geistigen Situation der Zeit bewusst ist und eine Stellungnahme dazu sein will. Es ist ein Denken unter Be-dingungen der Nachmoderne, das sich sowohl von der „weltlosen Ab-straktion der Begriffe, der blutleeren formalen Logik“ als auch von der „äußeren Bildinflation“ distanziert. Nachmodern im Sinne von Lyotard ist die Zwischenschaft, insofern sie in einem Kontext ent-steht, der mit dem Tod der Metaphysik, der Gewissheit einer übersinn-lichen Welt und eines obersten legitimierenden Wertes geschaffen wurde. Die Vorstellungen, die in diesem Raum des Dazwischen-Seins wurzeln, problematisieren ihre historische Situierung und suchen eine Alternativ-Theorie zu den zeitgenössischen Extremen von postmo-dernem Relativismus, dessen Hauptakzent auf der kulturellen und so-zialen Genesis von Behauptungen liegt, und geschichtsblindem Positi-vismus, der eine Wiederauferstehung der Metaphysik in Form von Universalitätsansprüchen und Naturbeherrschung darstellt. Dem Rückfall in den Weltbeherrschungswillen entgeht die zwischenschaft-liche Position, indem sie einen scharfen Unterschied macht zwischen dem „ideologieverdächtigen Absoluten“ der klassischen Metaphysik und dem begrifflich Unfassbaren bzw. dem „Nichts“ der negativen Mystik.
Was Dieter Schlesak in erster Linie bei dieser subtilen Unterscheidung interessiert, ist meines Erachtens nicht die Kontroverse um das Beste-hen der übersinnlichen Welt in all ihren historischen Erscheinungs-formen, die Manfred Frank so treffend zusammenfasst („als höchster Wert, als göttlicher Welturheber, als absolute Substanz, als Idee, als absoluter Geist“ etc.), sondern vielmehr das grenzüberschreitende Potenzial der Mystik. Daher hält er dem „Absoluten“, das sich durch Ideologien vereinnahmen lässt, das begrifflich Nicht-Fassbare der Mystik entgegen. In diesem Kontext kommt mir eine Aussage Haber-mas` aus seinem Buch Der philosophische Diskurs der Moderne be-sonders einleuchtend vor . Dort wird die mystische Erfahrung, die ih-ren Bezug auf den Deus absconditus nicht verloren hat, als außeror-dentliche Befreiungskraft und Bedrohung für Dogmen und verknö-cherte Strukturen betrachtet.
Vor diesem Hintergrund erscheint Schlesaks Lebenswerk als ständiger Kampf gegen die Vereinnahmung durch intellektuelle Trends, d. h. durch Bedeutungstotalitäten, die auf die Entdeckung einer Sinn-Einheit abzielen, deren Verständnis das System in nuce beherrschbar machen könnte . Die Konstante dieses Lebenswerks ist die Zwi-schenschaft, deren konkrete Erscheinungsformen von der jeweiligen Lebensetappe abhängen und die im Grunde als Abwehrmechanismus gegen jede Verabsolutierung fungiert und die Reterritorialisierung, d.h. die Rückkehr in die Geborgenheit einer globalen Welt-Ausgelegtheit, verbietet. Durch die Zwischenschaft verbindet sich Dieter Schlesak auf eine ganz eigene Art und Weise mit dem Zeitgeist, jedoch nicht mit irgendeiner Theorie der Postmoderne. Was er trotz-dem mit dem Neostrukturalismus gemeinsam hat, ist der wichtige Aspekt des Offenen, der sowohl als permanente Öffnung gegen das Fremde als auch im Sinne eines Verzichts auf die Idee, es gäbe „unter der textuellen Oberfläche so etwas wie eine in sich geschlossene und fixe Bedeutung“ , zu verstehen ist. Nichts Greifbares und gedanklich Verfügbares verbirgt sich unter der Oberfläche, sondern vielmehr et-was Unauslotbares, ein Abgrund, der in jedem Einzelnen vorhanden ist: „Der Zugang liegt unaussprechbar im Abgrund des Subjekts, Bil-der und Begriffe verdecken ihn“, heißt es in seinem Buch So nah, so fremd . Und noch eindeutiger in Fragmente zu einer posthumen Poe-tik: Das Subjekt rückt ins Zentrum, denn der dichteste Ort des Alls ist der menschliche Kopf. Kenntnis ist in unsere Sprachformen übersetz-tes kosmisches Wissen, vor allem in die der Mathematik. Das Subjekt, der Grund dieser Kenntnis selbst aber kann begrifflich niemals erfasst werden...Dieses Unfassbare wurde einmal „metonymische Kausalität“ (abwesender Grund) genannt; sie ist der klingende Grund von Musik und Poesie.
Das Subjekt, das hier aufgewertet wird, scheint sich keinesfalls auf das traditionelle Subjekt der Erkenntnis, d. h. auf das Bewusstsein zu beziehen. Wenn man sich in diesem Zusammenhang psychoanalyti-scher Termini bedienen darf – was sogar durch explizite Hinweise des Autors rechtfertigt wird –, dann könnte man dieses Subjekt eher mit dem Selbst, also einer „bewußtseinstranszendente[n] Ganzheit“ , als mit dem Ich gleichsetzen. Eine terminologische Verwirrung könnte eventuell aus der Tatsache entstehen, dass dem Selbst als Archetypus eine gewisse Objektivität anhaftet, sodass es nur schwer als Subjekt bezeichnet werden kann. Möglicherweise ist Schlesaks Wortwahl ein Versuch, auf den Vorrang des Inneren aufmerksam zu machen. Tat-sächlich wird normalerweise das Objektive nur mit dem Äußeren und Sichtbaren identifziert. C. G. Jung weist jedoch wiederholt auf den objektiven Charakter des Unbewussten hin: „Das kollektive Unbewusste ist alles weniger als ein abgekapseltes, persönliches System, es ist weltweite und weltoffene Objektivität.“ Dass echte Kunst kein ausschließliches Werk des Bewusstseins sein kann, behauptet auch Dieter Schlesak: „Ein Autor ist nur ein schwingendes Instrument, da arbeitet die intuitive Sprachfantasie in ihm, entfaltet ihren Reichtum, wenn er es zulässt, sich nicht mit seinem kleinen Ich einmischt aus Mangel an Vertrauen in andere Kräfte, die in ihm arbeiten.“ In diesem Zusammenhang sollte man auch die Dichotomie Sichtbares-Unsichtbares verstehen, die in den letzen Jahren eine immer wichtigere Rolle im Denken von Dieter Schlesak spielt. Das Sichtbare wäre also das begrifflich Fassbare, das Berechenbare, kurz alles, was im Lichte des Bewusstseins steht. Nur an die Realität des Sichtbaren zu glauben, hieße der Illusion und der „Evidenz der manipulierten Sinne, der Meinung (als übereilter Verallgemeinerung), der hohlen Abstraktion“ zu verfallen. Hingegen sind die „anderen Kräfte“ des Unbewussten das Unsichtbare und zugleich Unheimliche, das zwecks der Herstellung eines beruhigenden einheitlichen Systems verdrängt werden muss. Wie in der klassischen Metaphysik also ist auch bei Dieter Schlesak das Unsichtbare der sichtbaren sinnlich wahrnehmbaren Realität übergeordnet. Im Gegensatz dazu handelt es sich jedoch dabei um keine Selbst-Ermächtigung von Vernunft, die der sichtbaren Welt ihre abstrakten Gesetze aufzuprägen versucht. Mit seinem Beharren auf der Negativität der Mystik koppelt sich Schlesak eindeutig von der „metaphysischen Auslegung des Seins als Verfügbar-Sein, d. h. als greifbare Anwesenheit“ , ab und konzentriert sich auf die „treibende Absenz“ und das Nichts, das Wirkung schafft: Der Sinn aber wird durch die Sinne verdunkelt, ebenso durch den zerschneidenden Begriff, weil diese nur Äußeres, nur das „Etwas“, nicht aber das Nichts, die Leere wahrnehmen können, die für das Wahrnehmen der nichtkausalen Weltformel jenseits des reduktiven Ego-Verstandes viel wichtiger ist.
Im Grunde gibt es Berührungspunkte zwischen dieser Perspektive und den Standpunkten so verschiedener Traditionen wie z. B. die der negativen Theologie oder auch mancher nachklassischen Theorie. Der gemeinsame Nenner all dieser Auffassungen ist die Grundeinsicht, dass das Bewusstsein nicht Grund seines Bestehens ist und dass eben dieser Ur-Grund undenkbar bleiben muss. Als Poeta doctus lässt Dieter Schlesak all diese Ansätze gelten, sich gegenseitig anziehen und kraft seiner Vision in einer neuen „Sinnumgebung“ wiedererstehen .
Unter anderem hängt Schlesaks Interesse am Unsichtbaren und Un-fassbaren auch mit seiner sozialkritischen Einstellung zusammen. Die Unheilsgeschichte des Abendlandes sieht er in enger Verbindung mit der „Mimesis des rein Zweckmäßigen, Nur-Sichtbaren“ und hebt da-bei die Vorliebe der Diktaturen für so genannte realistische Kunst her-vor, die jeden ästhetischen Akt zur dienenden Funktion der vermeint-lich objektiven Wahrheit macht .
Seine Wiederentdeckung der Spiritualität vollzieht sich bezeichnen-derweise gegen den Strom des herrschenden Materialismus und jen-seits der institutionalisierten Religionen. „Der eigentliche Schauplatz der Entwicklung ist wieder (wie in der Klassik) nach innen verlegt.“ und „Der Einzelne, das Individuum, sein Bewusstsein ist mehr als die Welt“ . Die Innerlichkeit und die Individualität rücken also als grund-legende Elemente der Lebensgestaltung in den Vordergrund. Wie be-reits am Anfang dieses Beitrags angedeutet wurde, benennt die Zwi-schenschaft in erster Linie eine Lebensweise, die unter leidenschaftli-chem Einsatz aller Vitalkräfte eine ehrliche Zuwendung gegenüber der eigenen unbewussten Seele und ihrer Erkenntnisse anstrebt. Wo-rum es Dieter Schlesak eigentlich geht, ist eine „techne des Selbst“ im Sinne des von Michel Foucault geprägten Terminus, eine Ausarbeitung des eigenen Lebens, die einer tiefgehenden Bewusstseinserweiterung, ja, einer „Augenöffnung“ zustrebt. Es geht ihm vor allem darum, „im Absoluten lebendig zu sein, bewusst zu leben“ und „sich von den Downerprogrammen nicht erdrücken zu lassen“ , d. h. sich nicht mit den gängigen, vorgeprägten Lebensmustern zu identifizieren. So wird das Schreiben in die Reihe jener Praktiken integriert, die darauf abzie-len, das Individuum von dem Auflösen in den sozialen, ökonomischen oder politischen Strukturen zu retten und es durch die Arbeit an sich selbst zum moralischen Subjekt werden zu lassen. Das Schreiben gleicht also dem Gebet, der Meditation oder auch der Liebe und dem Traum, die alle die vorgebliche Realität der institutionell geregelten Alltagsexistenz hinterfragen und sich darauf hinbewegen, ein Medium zu finden, das die Konventionen der Außenwelt nicht reproduziert. Bereits in Visa. Ost-West-Lektionen äußert sich Schlesak kritisch zum Fortschrittsgedanken: „Die vom Betrieb und seinen Rädern erfasste Progressivität im Westen ist in den meisten Fällen soziales Anpas-sungsdenken und hat Identifizierungsfunktion“, zumal sie „die ganze Sterilität des Objektes, das man kritisieren möchte, in einer versach-lichten Sprache und einem versachlichten Denken“ nachahmt.
Die Lösung vor allem in unserer Zeit, wo die utopischen Entwürfe und die Fortschrittsgläubigkeit ausgedient haben, läge folglich in der Fä-higkeit des Individuums, die kulturbedingten Barrieren im eigenen Bewusstsein zu überwinden, die die Kräfte des Numinosen verdrän-gen oder sogar abtöten. Das käme dann auf kollektiver Ebene einem Paradigmenwechsel gleich, einer endgültigen Befreiung vom veralte-ten Newton’schen Weltbild. In einem Buch, das die politische Wende in Rumänien 1989 reflektiert, entwickelt Dieter Schlesak die These, dass die eigentliche Revolution eine Art „Entre-Chock“ (Benjamin) oder Zwischenschaft gewesen sei, ein „Moment Freiheit oder Zeit-Losigkeit zwischen zwei Systemen und Zeiten“ , die auf die subver-sive Macht der Schwäche, auf den Aufbruch von Einzelnen zurückzu-führen ist. Diese „scheue, friedliche Bewegung mit Fantasie, Sprache, symbolischen Handlungen“ wurde dann durch die „Kaufhaus-Forderungen der amorphen Masse“ abgelöst und endete in einer Mi-schung von „alten und neuen Giften“ , von Konsumwahn und den to-talitären Reflexen, die in der Psyche der Leute hängen geblieben sind.
Man könnte meinen, dass die politischen Umbrüche in Osteuropa An-fang der neunziger Jahre gravierende Folgen für das Selbstverständnis des „Zwischenschaftlers“ Dieter Schlesak haben würden. Und tatsäch-lich stellt Oliver Sill am Schluss seiner vergleichenden Analyse dreier Prosawerke Dieter Schlesaks eine tief greifende Identitätskrise fest: „Die seit 1970 aufrechterhaltene Selbstbeschreibung als Zwischen-schaftler, der sich im imaginären Raum zwischen den gesellschaftli-chen Systemen befindet, ist irreal geworden. Denn die Grenze zwi-schen den Systemen existiert nicht mehr.“ Die Zwischenschaft als Prinzip der Lebensgestaltung büßt jedoch mit dem Verschwinden des Eisernen Vorhangs keineswegs an Überzeugungskraft ein. Die Grenze wird ins Transzendente versetzt, das physische Exil wird zum Zeichen der radikalen Fremdheit auf Erden, die Sehnsucht nach der Heimat steigert sich zu einem „sich ins Absolute verwandelnde[n] Heim-weh“ . Seit 1990 befasst sich Schlesak immer intensiver mit der Grenze zwischen Leben und Tod, Diesseits und Jenseits, Sichtbarem und Unsichtbarem und in diesem Kontext ist auch sein Interesse an Transkommunikation oder Mikrophysik und den Auswirkungen der Technologie auf das neue Menschenbild zu verstehen. Dabei kommt der Sprache und der Schrift eine zentrale Rolle zu, die als Reflex auf die Undarstellbarkeit der Wirklichkeit erscheint: „Schrift sammelt wie ein Brennglas die Strahlung unserer inneren Kräfte, mit denen die Wand durchbrochen werden kann, und nur mit ihnen.“ Es gilt also nach dem Fall der Mauer, die das totalitäre System im Osten vom freien kapitalistischen Westen trennte, die „Mauern in den Köpfen“ durchsichtig zu machen, d. h. die herkömmlichen und die konventio-nellen Denkmuster zu beseitigen, die unseren inneren Sinn für eine höhere Realität überlagern.
Einer solchen Auffassung haftet zugegebenermaßen ein gewisser apo-kalyptischer Ton an. Das Thema der Apokalypse im Denken von Die-ter Schlesak ist zu weit, um hier ausführlich erörtert zu werden, es sei daher nur darauf hingewiesen, dass der Autor selbst den Begriff im etymologischen Sinn – als Offenbarung, Augenöffnung – benutzt, und zwar im Zusammenhang mit dem Scheitern der Kausalgesetze, dem Zeitgeschehen gerecht zu werden. Das Verständnis der Apokalypse in seinen letzteren Texten kreist eher um das Ende einer Literatursprache, die in den Strukturen einer überholten Weltanschauung stecken-geblieben ist. Der Einbruch des ganz Anderen in die Geschichte wird angesichts der im 20. Jahrhundert ereigneten Katastrophen sowie der technischen Entwicklung im postindustriellen Zeitalter als immer ak-tualisierbare Potenzialität der Geschichte.
Oliver Sill spricht in Bezug auf die Vaterlandstage vom „Entwurf ei-nes Geschichtsmodells, das einer negativen Teleologie entspricht“ , in dem also der drohende atomare Tod als letzte universelle Ebene des Heimatverlustes erscheint, und identifiziert als Grundhaltung im Ro-man das „Bestreben, gegen die Gedankenlosigkeit einer dem Konsum ergebenen Mehrheit mahnend den Zeigefinger zu erheben.“ . Wenn man diese im Roman thematisierte Angst vor der Vernichtung als dem unvermeidlichen Resultat des technologischen Fortschritts wohl im Sinne eines literarischen Topos der achtziger Jahre betrachten kann , wird die mahnende Geste vor dem Zugriff der gesellschaftlichen Ap-parate und der Determination des Menschen durch die Objektwelt zur Konstante im Werk Dieter Schlesaks. Der Apokalypse-Begriff wird auf seinen ursprünglichen Sinn zurückgeführt und deckt sich mit der Bedeutungskonstellation der Zwischenschaft. Als wichtige und in der Tradition des Apokalyptischen verankerte Merkmale werden die Auf-forderung zu einer „Umkehr aller Vorstellungen“ sowie eine Wahr-heitskonzeption beibehalten, die die Wahrheit nicht als Ergebnis dis-kursiver Prozeduren, sondern vielmehr als dramatisches Ereignis, als Einfall und Inspiration betrachtet. Die Hölderlin’sche Formel der „Umkehr aller Vorstellungsarten und Formen“, die dem Roman Vater-landstage vorangestellt ist, hängt eng mit der Notwendigkeit zusam-men, auf das Erprobte in der Literatursprache zu verzichten . Damit erkennt Schlesak die Grundeinsicht des Neostrukturalismus an, die das Bewusstsein und die Sprache aufeinander bezieht. In diesem Rahmen ist das Selbstbewusstsein selbst ein Gedanke, der sich artiku-lieren muss und folglich vom Ausdrucksmaterial bedingt wird. Mit anderen Worten heißt jede vermeintlich neue Artikulation ein Sich-Einschreiben in ein vorgeprägtes strukturales Gewebe. Trotz der Anerkennung dieser fundamentalen Tatsache glaubt Dieter Schlesak an die Fähigkeit des Individuums, von der eigenen Freiheit Gebrauch zu machen und sich dem Totalitarismus der Regelsysteme zu entzie-hen. So bewegt er sich im von Manfred Frank konstatierten Span-nungsverhältnis zwischen (neo-)strukturalistischem Denken und Her-meneutik, in dem sein Standpunkt der Zwischenschaft eine dezidiert moralische Dimension gewinnt. Er engagiert sich, um mit Frank zu reden, „kontra-faktisch“ und bietet „der Wirklichkeit, sie erkennend, die Stirn“ . Das geschieht vor allem durch die gezielte Wiederauf-nahme einer apophantischen Tradition und die Hervorhebung des An-geschlossenseins jedes Einzelnen an den undenkbaren Grund seines Daseins. Das Gefühl der Bedingtheit wird umgedeutet, die Fichte’sche Metapher des „eingesetzten Auges“ wird vom neo-strukturalistischen Kontext losgelöst und wieder an die ursprüngliche Bedeutung einer „transzendenten Bestimmtheit“ herangerückt.
Die Augenöffnung, die von der zwischenschaftlichen Position voraus-gesetzt wird, betrifft also einen Zustand der Öffnung für den Zufall, der sich jenseits des begrifflich Fassbaren ereignet und schöpferische Möglichkeiten enthält. Und gerade im Zwischenland der Sprache muss man, schreibend, diese „Übung, um freier zu werden“ ,praktizieren. Aus diesen wiederholt unternommenen Anstrengungen sollte dann „der Sprung über den Abgrund in ein vom Alltag verdeck-tes geistiges Niemandsland“ gelingen.



Hans Jürgen Schmitt

Mails und Küsse
Erotische Liebesgedichte
von Dieter Schlesak

Im Minnesang war es der vorgeschriebene Nicht-Vollzug der Liebe, der mit einem Schatz an Formeln und Bildern umspielt wurde. Die Mariendichtung des Barock hat die ekstatische Liebe mit Frömmigkeit camoufliert, und ein Schwärmer wie Quirinus Kuhlmann deckte in seinen Sonetten Jesus mit „Himmlischen Liebesküssen“ zu. Die Form, die Struktur, des erotischen Gedichts ergab sich immer aus der gebo-tenen religiösen und gesellschaftlichen Grenzziehung. Rilke konnte mit seiner Mariendichtung dann schwül-erotisch sein; und provokativ wohl zum letzten Mal der deutsche Expressionismus (Benn: „Männer-hellbraun taumelt auf Frauendunkelbraun”). In der enttabuisierten Mediengesellschaft hat das erotische Gedicht vielleicht nur eine Chance in einem rückhaltlosen Subjektivismus.
Dieter Schlesak, deutsch-rumänischer Dichter und Essayist, wissend, dass Subjektivismus auch wiederum Formgefährdung und Klischee bewirken kann, probiert in seinem Band „Lippe Lust” (Lyrikedition 2000, Book on Demand Verlag, München 2000, 140 Seiten, 39,80 Mark) allerhand durch, sogar Reime, Binnenreime, Schlagreime, rhythmisiert das Gedicht wieder, findet volksliedhafte Töne: „Ja ich weiß es wird so kommen / wie es tausendmal erlebt / erst dem Meer der Liebe zugeschwommen / erstes Tasten Brennen Mails und Küsse – Dann die Kälte der Verrat / Werd ichs sein wirst du es machen / flichst du mich aufs schwarze Rad / nichts mehr nichts vergeblich alles / rast davon mit Eis und Lachen ...”
Nicht voyeurhaftes Ausstellen, sondern alle Nuancen der Liebe zwi-schen Willkommen und Abschied, Lust und Verzweiflung an der Lie-be machen Sog und Reiz der erotischen Gedichte Schlesaks aus. Es ist von daher aber eher weniger die Lippe-Lust-Tendenz als wiederum das Umspielen und Verschweigen, was immer noch ein gutes (eroti-sches) Liebesgedicht auszeichnet.
hjs.
Perlentaucher-Notiz zur SDZ-Rezension. Nach Ansicht des Rezensenten mit dem Kürzel „hjs“ scheint Schlesak hier den Beweis zu erbringen, dass man auch in der „enttabuisierten Mediengesellschaft“ noch schöne erotische Liebesgedichte schreiben kann. Dabei gefällt ihm besonders, dass Schlesak mehr mit Reizen spielt als mit plakativen Effekten. „Alle Nuancen der Liebe“ sieht „hjs“ hier erfasst, und offenbar hat es ihm besonders Schlesaks gelegentliches „Umspielen und Verschweigen“ angetan. Was die Form betrifft, so weist der Rezensent darauf hin, dass Schlesak sich zahlreicher Reimformen bedient, rhythmisiert und sogar „volksliedhafte Töne“ findet.

Jürgen Egyptien
Transsylvanien und Transzendenz
Zu Dieter Schlesaks neuen Reisegedichten
Wolfgang Koeppen bekennt in seinem Essay „An Ariel und den Tod denken“, er suche auf Reisen „das Fremdsein ganz und krass“, das Eintauchen ins Unvertraute, Bindungslose. Ganz ähnlich definiert auch Dieter Schlesak in seinem neuen Gedichtband das Motiv seines Reisens. In dem Text „Warum reise ich?“ sieht das lyrische Ich im Reisen die Chance, „unbeschwert nirgends sein“ zu können. So ver-standen ist das Reisen die adäquate Existenzweise des Utopisten, als welchen man Schlesak ansehen darf. Dabei richtet sich sein utopisches Bestreben nicht auf ein politisches Traumland, sondern auf eine viel elementarere Grenzüberschreitung. Das Gedicht „Du sagtest, eine Zeitreise, bitte“, das als eine Art Exposition fungiert, nennt den Men-schen einen „Zeithäftling“ und eine „kranke Zeit-Maschine“. Das Rei-sen erscheint unter diesem Blickwinkel als Therapeutikum, als heilen-der Ausbruch aus dem Kerker des Vergehens und der ewigen Wieder-holung. Was die Reise leistet, ist also eine Unterbrechung, die von Schlesak emphatisch als Befreiungsakt gedeutet wird.
Wer mit seinen Ideen einer posthumen Existenz, die das übliche Raum-Zeit-Kontinuum aufsprengt und die Seele sozusagen durch die Jahrhunderte und in höhere Dimensionen surfen lässt, ein wenig ver-traut ist, der wird diese Vorstellung vom Reisen als ihr dromologisches Äquivalent verstehen. Es treten neben die Reisen durch den Raum und über seine dreidimensionalen Grenzen hinaus auch solche ins Innere des Ichs. In dem gelungenen Gedicht „Dann dieser frühe Morgen“ wird die Selbstbegegnung des Ichs mit seinem unvergängli-chen Astralleib in einer erleuchteten und luziden Sprache evoziert: „Da sah ich dich ganz transparent / an einer Grenze zwischen Augenschein / und dem Gedanken // [...] du liegst in mir und bist der Andere der ich bin / und der ich immer war der nie verging // [...] du wortlos überlebst im Licht / nicht in den Sinnen.“ Im Gedicht „Korsika. St. Florent mit dem Segelboot“ hingegen löst das Schattenspiel der Steil-küste im Ich die schockhafte Erkenntnis aus, „ein ganzes Leben // als fremdes Gespenst“ verbracht zu haben.
Diese existenzielle Instabilität und Ortlosigkeit, die dem Ich der ge-mäße Zustand ist, haben freilich ihre biografischen Ursachen. Bereits Ende der 60er Jahre ist der aus Siebenbürgen stammende Schlesak in den Westen gegangen und pendelt seitdem zwischen Italien und Deutschland hin und her. Sein rumänischer Landsmann Cioran hat ihm mit der in einem Motto verwendeten Formulierung, die Exilanten seien „die neuen Juden“, das Siegel auf seine ahasverische Lebensauf-fassung geprägt.
So vermittelt der Aufbau dieses neunteiligen Gedichtbands eine ge-wisse Atemlosigkeit, ja, wirkt beinahe hektisch. Von der ligurischen Küste springt das Ich in ein erinnertes Transsylvanien, kehrt in die Toscana zurück, um sogleich wieder in das Rumänien der Gegenwart aufzubrechen. Wieder folgt im Pendelschlag eine Segelpartie im Tyrr-henischen Meer, bevor der Reisende über Rom und die amalfitanische Küste nach Sizilien jagt, um sich quasi vom italienischen Stiefelabsatz ins Imaginäre abzustoßen. Am von Touristen entstellten Gestade des kretischen Meers holt den Fliehenden die Frage ein: „Wohin, Freun-de/ohne / zu sterben?“ Was folgt, ist eine Coda mit lyrischen Gedenk-blättern, die an deutschen Orten fällig werden.
Die Sprache von Dieter Schlesaks Gedichten ist von ihrem Thema be-stimmt. Sie ist ruhelos, sprunghaft, gehetzt, kennt keine weiten Schwingungen oder melodiösen Bögen. Es gibt immer wieder aufblit-zende, von fernher kommende Bilder, „als sei der Schlaf / plötzlich träumend / erwacht“, aber auch manche ungeschliffene Prosabrocken. Ein Zyklus fällt aus dieser Beschreibung weitgehend heraus und weist einen ruhigen, einfühlsamen und stimmungsvollen Duktus auf. Es ist – sicher kein Zufall – der nostalgisch gefärbte transsylvanische Erin-nerungszyklus, der sich auch durch seine präzisen und atmosphärisch reichen Naturbilder von den übrigen abhebt. Der Reisetrieb wirkt hier obsolet, denn hier findet das Ich „im Blumenauge die Welt“.

Luciano Zagari

Zur Neubegründung der Lyriksprache nach Auschwitz

Dieter Schlesak vorstellen, heißt einen großen Dichter der modernen Poesie vorstellen; wir haben es hier mit einem Dichter zu tun, der die moderne Poesie deutscher Sprache und Europas seit den Anfängen des achtzehnten Jahrhunderts, die in Deutschland mit Hölderlin beginnt und ihren Höhepunkt mit Paul Celan erreicht, bis an ihre extreme Grenzen führt. Nicht zufällig beeinflussen die Themen und Rhythmen Hölderlins und dann die Paul Celans die Gedichte von Dieter Schlesak.
Ich glaube, es ist wichtig, was die Einmaligkeit des Phänomens Schle-sak betrifft, einen anderen Standpunkt zu beachten: Die Themen in Schlesaks Poesie sind an einen historischen Moment gebunden! Und da muss von einem Werk der Grenze gesprochen werden, einem Werk, das als „Zwischenschaft“ bezeichnet wurde. Es ist ein Wort, das unmöglich ins Italienische übersetzt werden kann, ursprünglich aus „Wissenschaftler“, „scienziato“, gebildet, führt es in einem Wortspiel zum „Zwischenschaftler“…, also an die Grenze, ins „Zwischen“; wir haben es hier mit der Überwindung einer Schwelle, was historisch und auch poietisch zur Deutung dieser Poesie sehr wichtig ist, zu tun. Ich erinnere bei diesem Terminus des Übergangs in der Lyrik von Dieter Schlesak an Claudio Magris – Magris sprach vom ersten Roman Schlesaks und von der Tatsache, dass dieser Autor bei einem Colloquium in Triest unterstrichen habe, wie es nach dem Zweiten Weltkrieg durch eine komplexe historische Situation, und durch all das, was in diesem geschichtlichen Tod offenbar geworden war, nach-dem tödliche Grenzen überschritten, Öffnungen sichtbar geworden waren, es für die Poesie unmöglich wurde, nur bei sich selbst zu blei-ben …
Und mir scheint auch von einem anderen Standpunkt wichtig zu sein, die Art wie Schlesak neben anderen Autoren deutscher Sprache jenes Veto, das Adorno ausgesprochen hatte, dass nach Auschwitz keine Gedichte mehr geschrieben werden könnten, zu überschreiten sucht, jedoch weiter mit diesem Veto Adornos rechnen muss, dass jedes Ge-dicht nur noch privat oder ein zwiespältiges Unterfangen sein kann. Wichtig also ist, wie Schlesak dieses Veto überwinden und die Poesie bis hin zu extremen sprachlichen Konsequenzen weiterführen konnte. Und diese in einem fundamentalen Gestus der dichterischen Erfah-rung, die in sich den Anspruch enthält, zu einer neuen poetischen Imagination zu kommen und zur Neuerschaffung eines poetischen Bildes. All dieses bedeutet für eine neue Poetik, die in sich selbst ru-hende Möglichkeit des Gedichtes und des Bildes als Sprache wieder-zuerschaffen und neu zu begründen.
Ich habe meine Aufmerksamkeit genau auf jene Gedichte dieses Ban-des gerichtet, in dem dieser Gestus einer Neubegründung der Mög-lichkeit poetischen Sprechens offenbar wird, gleichzeitig aber paradox dessen Unmöglichkeit im Posthumen heute sichtbar macht. In dieser Differenz und Spannung zwischen beidem zu einer Form zu gelangen, die eben gerade auch zu Adornos Veto und dessen Überschreitung ge-hört, ist das Verdienst dieser Poesie. Sie gelangt dabei zu extremen Formen, die sogar die Existenz des Satzes infrage stellen, und in die-sem Sinn auch die Syntax deuten. Dieses ist in Schlesaks Gedichten evident, zumindest bei jenen, die meine gespannte Aufmerksamkeit auf sich zogen, denn hier gelangt er bis zum Zerstören, Zerbröckeln des poetischen Diskurses, und so könnte man meinen, dass er teil-nimmt an der postmodernen Erfahrung, die auf einer Art spielerischer Bastelarbeit beruht, sodass sich dabei die Konsistenz des Ausgesagten verliert, da es sich um Elemente eins Puzzlespiels handelt. Für Schle-sak aber ist Poesie nicht im Geringsten ein Spiel, und dieses ist der ra-dikale Unterschied zum Postmodernen. Die Substanz, die poetische Energie von Schlesak geht in Richtung eines überaus starken Enga-gements. Dieses führt dazu, dass er dazu tendiert, zu einer Form zu gelangen, die auf der ungeheuren Schwierigkeit beruht, zum Sinn des Bildes zu kommen, eine Stileigenheit, die seit Hölderlin und dem achtzehnten Jahrhundert gilt. Wir wissen es seit Heideggers Hölderlin-Deutungen, die eine Konstante der großen modernen Poesie untersu-chen. Doch nach Schlesak ist heute die Kreation von Wortorganismen, die mit traditioneller Syntax arbeiten, passé, er glaubt an und arbeitet mit „Wortzwischenräumen“, so bilden sich, meiner Meinung nach, sehr spannungsreiche und sehr moderne Beziehungen extremer Intensität, die den Leser in den Sog ziehen, ihn nicht wie sonst in die Distanz zwingen und den nicht professionellen Leser draußen lassen. Ich habe den Eindruck, dass Schlesak ganz im Gegenteil den Leser in ganz besonderer Weise einbezieht; der Leser dieser Texte muss selbst im syntaktischen Rhythmus Möglichkeiten der Verbindungen, der Teilnahme – von Vers zu Vers gleitend, schaffen, also sein eigenes Gedicht herstellen…
Sie vergeben mir, dass ich bisher nur allgemein und abstrakt gespro-chen habe, um nun ein konkretes Beispiel anzuführen, lesen wir auf Seite 132:

DAS GEDICHT
Die Hoffnung die sich selber löscht

Leichte Vögel / nehmen sich frei
oder Schneeflocken gleich
vergehn auch Seifenblasen wie sie
versuchen ein großes leichtes Herz
zu haben.

Kein Vers erreicht den Hunger
Schreie / unter der Folter die Wand
nicht nur der
Erschossenen wenn der Kopf
sinkt.

Hier gehn wir schmerzlos über die Zeile

Was es an Hoffnung noch gibt steht /
fällt im Gedicht.

Georg Aescht
Der „Zwischenschaftler“ Dieter Schlesak findet Heimat im Wort
Der Literaturbetrieb lebt von der Literatur und soll sie seinerseits be-leben, doch ist der Verbrauch an Substanz mitunter so hoch, dass kaum noch etwas davon zum Lesen bleibt: weder Zeit noch Neigung, geschweige denn so etwas wie Zuneigung. Der potenzielle Leser wird ständig aufgefordert, hinaus in den Betrieb zu gehen, wo nicht nur Buchstaben schwarz auf weiß, sondern leibhaftige Autoren, Vorleser und Events, Gespräche und Besprechungen seiner harren, auf dass er ja nicht allein bleibe mit dem Text. Wer sich dieser Betriebsamkeit entziehen will und es vorzieht, mit den Worten allein zu sein, ist bald sehr allein.
Und doch geschieht es, dass ein Schriftsteller gerade bei einer solchen Begegnung dem Hörer ein Gefühl der Vertrautheit vermittelt, als läse dieser selbst, als wäre er ganz bei sich. Solches gelang Dieter Schlesak im Düsseldorfer Gerhart-Hauptmann-Haus. Gleich vier Bücher hatte er mitgebracht; zwischen Lyrik und Essayistik, Anekdotik und Litera-turvermittlung im Dreieck Deutschland – Rumänien – Italien bewegt sich der Siebenbürger, später Bukarester und schließlich Stuttgarter Deutsche mit Wohnsitz in der Toskana so virtuos, dass auch ein weni-ger Privilegierter den Reiz einer Existenz als „Zwischenschaftler“ zu ermessen vermag. Als solchen bezeichnet sich Schlesak nicht nur, sondern versucht dem erfundenen Wort auch Verbindlichkeit zu er-schaffen.
Zwischen alle Stühle gefallen zu sein ist aus seiner Sicht kein beque-mer, aber der Erkenntnis, Reflexion und literarischen Produktion för-derlicher Zustand. Sitzen bleibt er dabei keineswegs, sondern ist auf dauernder Suche nach dem Neuen, von dem besagtes kulturelles Dreieck bei aller vermeintlichen Bekanntheit soviel zu bieten hat. Deshalb hat Dieter Schlesak auch in seiner Heimatstadt Schäßburg, in die er nach Jahrzehnten des roten Bannes zurückgefunden hat, eine „Kulturvereinigung“ mit seinem Namen gegründet, die sein trialogi-sches Beginnen in der siebenbürgischen, in der rumänischen Öffent-lichkeit verankern soll.
In Düsseldorf aber sprach nicht primär der mit dem Ehrendoktor der Universität Bukarest ausgezeichnete Wertevermittler, sondern der Dichter und Nachdichter, selbst wenn es ihm in dem einen Buch über „Zeugen an der Grenze unserer Vorstellung“ gerade um zeitgeschich-tliche Problematik zu tun ist, ob sie nun aus der Perspektive der west-europäischen Rumänen Cioran oder Fondane oder aus jener des sie-benbürgischen KZ-Arztes Capesius betrachtet wird. Am ersprießlich-sten aber spricht der Dichter mit sich selbst, im „Gedicht aus der Hand in den Mund, als wäre es Brot“. Allenfalls der rumänische Kollege Nichita Stănescu, der die „rote Zeit“ in einer „Metapoesie“ sublimierte habe wie Paul Celan die braune, ist ihm ein gleichgestimmter Partner. Darum hat er auch dessen „11 Elegien“ übersetzt, die im kommunisti-schen Rumänien zum subversiv aufgefassten Gemeingut geworden waren.
Seine eigenen neuesten Texte, darunter viele Liebesgedichte, hat der sprach(en)gewandte Lyriker in einer deutsch-italienischen Ausgabe vorgelegt, dem Gemeinschaftswerk einer Gruppe, die sich in seiner Drittheimat Italien gebildet hat und in der junge italienische Freunde dem eigentümlichen Klang des deutschen Idioms siebenbürgisch-rumänischer Prägung und seinen Mehrdeutigkeiten nachhorchen und die Schlesak’schen Arbeiten in Werkstattgesprächen zu italienischen Gedichten ummünzen.
So pflegt Dieter Schlesak eine, wie er sagt, „Kunst der Rückkehr“, wohl wissend, dass es keine Richtige ist, wenn sie nicht auch immer wieder einen neuen Aufbruch und Fortschritt bedeutet. Die Hörer in Düsseldorf jedenfalls haben die Lesung als Zeugnis für Letzteres auf-gefasst.

Physik und Gott

Der in Siebenbürgen geborene, 1969 in die Bundesrepublik überge-siedelte Dichter hat mit „Tunneleffekt“ seinen bislang umfangreich-sten Gedichtband veröffentlicht. Schon 1997 erschienen bei Galrev unter dem Titel „Landsehn“ Gedichte, in denen Schlesak Prozessen des Wahrnehmens und Erinnerns nachspürte. In „Tunneleffekt“ nun entfaltet er ein breit angelegtes Panorama von Zeit- und Augenblicks-reflexionen. Das Programm des gesamten Bandes steht unter dem Signum der Präzision, das der Verlag mit seinen wunderlichen Um-schlagfotos aus der Welt der Nanografie, der feinsten mikroskopi-schen Registratur, plastisch werden lässt. Der Blick nach innen, so die Konnotation der Buchgestaltung, reicht über Impressionen und Gefühligkeiten weit hinaus bis ins verwirrende Labyrinth der Tunneleffekte. Schlesaks Gedichtbandtitel spielt nicht auf Angst- und Fluchtmotive an, sondern auf einen physikalischen Begriff. „Tunneling“ meint die Steuerung von Informationen mit Überlichtgeschwindigkeiten. Nun hat – seit Grünbein – die Korrelation von Poesie und Naturwissenschaft in der Gegenwartslyrik hohe Konjunktur. Schlesak nimmt diese Spur auf. Die Titel einzelner Gedichtzyklen heben den Zusammenhang hervor: „Die Wand der Augen“, „Licht Tunnel“, „Licht, die schnelle Grenze“, „Parallele Universen“. Vom „Blitz der Gedanken“ und vom „innern Hirngewitter“ ist gleich im Eingangsgedicht „Tiefen. Harmlos“ die Rede: „Gedichte auf ein Reißbrett / geworfen / geträumte Welt / schieß zu.“

Auf die Frage „Mein Freund, was liest du hier noch mein Gedicht“ folgt eine verblüffende Antwort: „ich schreibe jedes Wort mit einer Wunder Lampe / der Bildschirm strahlt mir jeden Reim schon ins Ge-sicht / die Augen sehen grob die Worte, doch blind die Zellen.“ Dort, wo „Schrift“ und „Cyberlicht“ korrelieren, zeigt sich die Topografie eines gefährlichen, gefährdeten Ortes – „global und tödlich“. Schle-saks Gedichte bieten weder Lösungen noch Fluchtperspektiven. Sie umkreisen ihre Gegenstände immer wieder, verzichten auf Pointen und Schlusseffekte, sodass die Gedichte manchmal unfertig wirken und bei entsprechender Offenheit einen Dialog untereinander begin-nen. Leitmotive wie das Auge, das Lid, die Schrift und der Tod kehren immer wieder in immer neuen Facetten: eine Hommage an Celan, dessen produktive Rezeption in Schlesaks Lyrik an vielen Stellen aufscheint. Celan hat er eines der Schlüsselgedichte des „Tunneleffekts“ gewidmet, „Für Paul Celan“: „Aus ihm lesen Augen / Wimpern im Wasser unter der Haut / die Zeile lang wie das Samentelegramm in / uns und entzogen die Vor-Schrift / gelesen vom Baum der wie ein Schatten entstand. // Wortlos gehaucht / mein Haus.“
Schlesaks lyrische Schreibweise ist fließend; sie lässt sich nicht auf einige markante Techniken festlegen. Seine kürzesten Gedichte sind oft auch am konsequentesten durchgearbeitet, während andere einen unabgeschlossenen Parlando-Stil pflegen, der mit seinen Verästelun-gen und Verzweigungen auf merkwürdige Weise den Geflechten der Nanowelten gleicht. Meditativ und reflektiv sind die meisten der Schlesak’schen Gedichte, leise, zurückgenommene Stimmen. Einen Kontrapunkt dazu bildet Schlesaks Liebeslyrik. Und obwohl im Ge-dicht „Meere. Poesia erotica“ sich Verse finden wie „Und Worte sind Hülsen wie die Haut des Gesichts ohne Küsse / und gelten nicht viel“, so schlägt der Autor doch sein Thema mit Pathos und Emphase an, bis das Gedicht zu einem wortgewaltigen Liebespoem wird, das sein Ca-tull-Motto „Wolltest dich von ihrem Schoß nie trennen“ Vers für Vers durchdekliniert.
Schlesaks „Tunneleffekt“ erschließt sich nicht auf Anhieb: Hier gibt es nichts zum cross-reading und zum Durchblättern, sondern eine Poesie, die zum Wiederlesen verführen und zur eigenen Reflexion einladen will. Seinen Anspruch und seine Schreibmotivationen hat Schlesak als „Fragmente zu einer posthumen Poetik“ im Anhang des Buches erläutert. Schon der Umfang deutet an, dass der Begriff des Fragments hier nicht einen Statement-Stil zu rechtfertigen versucht, sondern ein Schlüssel zur Autorpoetik Schlesaks bieten soll. Schlesak grenzt sich von jungen Lyrikerinnen und Lyrikern wie Grünbein, Wa-terhouse und Oleschinski ab, während er zugleich auf Celans Poetik, vor allem aber auf dessen Sprachbegriff rekurriert. Man muss seine Position nicht teilen, dazu wird niemand aufgefordert, dazu ist sie (im besten Sinne) höchst individuell konzipiert: als Summe einer „Wahr bleiben nur solche Sekundenbilder, mit Sprache zusammengesetzt wie Fotos im Labor, vergrößert, verkleinert, Momentaufnahmen, Aus-schnitte, Vorder- und Hintergründe herauspräpariert und vertauscht in Großaufnahmen, wo das ganze Gedicht dann wie eine strukturelle Metapher wirkt! Auch eine Umkehr der Bilder oder Schnitte von innen kann es geben, die zum Sinn führen. Und dann werden sie auch noch mit dem Formgefühl des lyrischen Ichs retuschiert, als wären sie nur Schablonen.“ (hk)

Michael Braun

Wiederkehr des absoluten Gedichts
Dieter Schlesaks Lyrik-Band „Aufbäumen“

„Worte, Worte –, Substantive! Sie brauchen nur die Schwingen zu öffnen und Jahrtausende entfallen ihrem Flug“: Mit solchen pathetisch glühenden Sätzen formulierte einst Gottfried Benn das Evangelium seines „absoluten Gedichts“. Seine monologische Dichtung der „Wal-lungswerte“ und semantisch aufgeladenen Einzelworte ist seit den sechziger Jahren oft totgesagt worden. Man kritisierte die Geschichts-ferne von Benns Konzept und seine metaphysische Überhöhung des poetischen Prozesses.
Die Texte, die nun der rumäniendeutsehe Autor Dieter Schlesak in seinem Gedichtband Aufbäumen vorlegt, arbeiten unübersehbar an ei-ner Rekonstruktion des „absoluten Gedichts“. Zwar will Schlesak kei-neswegs die Benn’sche Kunstmetaphysik revitalisieren. Im poetologi-schen Nachwort, das er seinem Band beigefügt hat, rekurriert Schlesak auf Paul Celans Dichtung der Sprachmaterie und auf Denkfiguren der jüdischen Sprachmystik, der Kabbala. Aber in der poetischen Praxis führt dieses Konzept zu ähnlichen Ergebnissen wie bei Benn.
Denn auch Schlesak vertraut in seinen Gedichten auf die evokative Kraft des semantisch aufgeladenen Einzelwortes, auf die magische Aura bedeutungsschwerer Substantive. So flattern in seinen Gedichten die „Gleichnistauben“ auf, registriert das lyrische Subjekt den „Sphä-renklang“ des Seins. Ziel seiner lyrischen Exkurse ist die „weiße Ge-gen“, jene Zone des Unvordenklichen und Unsagbaren, in der sich die Geheimnisse der Welt offenbaren. Die „weiße Gegend“ setzt Schlesak synonym mit einem Zentralbegriff der Kabbala: dem unaussprechba-ren „Nichts“, das den Urgrund des Seins bildet. Über die mannigfa-chen Analogien zwischen der Bilderwelt der Gedichte und den Sym-bolen und Motiven der Kabbala wird man im Nachwort eingehend un-terrichtet. Aufbäumen, der Titel des Gedichtbands, verweist nicht nur auf den biblischen „Baum der Erkenntnis“ und den „Sprachbaum“ der Kabbala, sondern zitiert auch Bilder der revolutionären Auflehnung und der Katastrophe: etwa das von Celan überlieferte Bild der ver-brannten Toten, der sich aufbäumenden Leiber im Feuer. Im Nachwort signalisiert Schlesak auch den hohen Erkenntnisanspruch seiner Gedichte. Der Lyrik, heißt es da, falle die Aufgabe zu, in „Worthöfen“ und „an Sinn- und Sprachrändern das Nichtsagbare anzugehen“ und „sich den offenen Augenblick, dem Unvorhergesagten zu überlassen“. Das sprachmystisch inspirierte Gedicht ist für den Lyriker Schlesak der letzte Ort, an dem man sich den von einer funktionalistischen Welt verursachten Trennungen und Spaltungen widersetzen und zur Erfahrung des Ursprungs und des Welt-Zusammenhangs gelangen kann.
Es geht aber in diesen Gedichten nicht nur um mystische Erfahrung, sondern auch um historische Erinnerung. Neben die des Eingedenkens der jüdischen Leidensgeschichte tritt bei Schlesak die poetische Erin-nerung an die verlorene Heimat. 1969 hat der Autor Siebenbürgen, das Land seiner Herkunft, verlassen, ohne seither je wieder an einem Ort heimisch werden zu können. Dieser schmerzhafte biografische Bruch hat sich in seine Gedichte eingeschrieben, erscheint dort in hermeti-scher Chiffrierung. Denn fast alle sinnlichen Wahrnehmungen, per-sönlichen Beobachtungen und Erinnerungen werden in diesen Gedich-ten in eine dunkle Metaphorik transformiert. Schlesaks sprachsyste-matische Poetik realisiert sich in Texten, die sich um große existen-zielle Schlüsselwörter gruppieren: Nichts, Sein, Zeit, Ewigkeit, Gott, Tod und Grenze bilden die elementaren Vokabeln dieser Poeme. So entstehen fast durchweg hermetische Gebilde:
„Hebräischer Block / kommt näher. Fels nach dem / Ende. Kein / Fließen mehr. Nach / dem Fall / Jahrtausendespät / versteinert das Hirn // Erschüttert, / aus dem Mund, / kein Gott, Gebrochenes Hier.“
Schlesak sucht das ästhetische Risiko: Das Gedicht wird von ihm zum transzendenten Schöpfungsakt erhöht, der alle profanen Erkenntnis-prozesse weit übersteigt. Auch hier entsteht also ein „absolutes Ge-dicht“, das die der Sprache immanente Magie entfalten und mystische Epiphanien vermitteln will.
Diesen selbsterteilten Auftrag kann Schlesaks Gedicht nicht immer er-füllen. Auf der Suche nach kosmischen Urworten verfallen seine Ge-dichte zuweilen in ein sakrales Raunen, das suggestive Erlösungsfor-meln herbeizitiert. Die „radikale Umkehr aller Vorstellungen und Worte“ bleibt hier eine poetische Utopie. Aber es finden sich in Auf-bäumen auch Texte, die in ihrer Genauigkeitsemphase an die Dichtung Celans heranreichen. „Das absolute Gedicht“, formulierte Celan 1959, „nein das gibt es gewiss nicht, das kann es nicht geben!“ Aber, so Celan weiter, es gibt den „unerhörten Anspruch“ des Lyrikers, der „mit seinem Dasein zur Sprache geht, wirklichkeitswund und Wirk-lichkeit suchend“. Dieter Schlesak hält an dem „unerhörten Anspruch“ des Gedichts fest.
Und das ist schon viel.

Walter Hinck

Elegie des Abschieds

Dieter Schlesaks Dichtung ruht im Elegischen. Im Band „Herbst Zeit Lose. Liebesgedichte“, in dem diese Verse stehen, mischt sich noch in den Taumel des Sinnlichen und den Jubel der Sprache ein Zug von Trauer; über alle Himmel Schlesaks zieht eine Wolke. Der 1934 im rumänischen Transsylvanien als Angehöriger der deutschen Minderheit geborene Lyriker, Romanautor und Essayist, nach seinem Studium in Bukarest Redakteur der Zeitschrift „Neue Literatur“, kam 1969 in die Bundesrepublik und lebt seit 1973 in der Toskana und in Stuttgart. Seine bedeutendste Übersetzung rumänischer Dichtung ist sicherlich die Übertragung der „Elf Elegien“ von Nichita Stănescu, dem Dichter der inneren Emigration zur Zeit der Diktatur Ceauşescus (Neudruck 2005). In der italienischen und rumänischen Literaturkritik gilt Schlesak als einer der wichtigen Vertreter moderner deutscher Lyrik; ein Band von siebzig Gedichten mit Übersetzungen ist kürzlich in Pisa erschienen. Jenseits der Alpen hat Schlesak ein Echo gefunden, das man ihm auch in Deutschland wünscht.

Mit seinem Band „Herbst Zeit Lose. Liebesgedichte“ schließt sich Schlesak an die Tradition einer Liebeslyrik an, die man heute leicht in den Verdacht der prickelnden Oberflächlichkeit bringen kann, wenn man sie erotische Lyrik nennt – einer Lyrik, mit der wir Namen wie Catull und Horaz verbinden, die Liebesgenuß und -erfüllung preist. Sie begegnet uns auch in Goethes „Römischen Elegien“, deren Titel in einer Handschrift noch „Erotica Romana“ lautet. Zumal Schlesaks Gedichte im Abschnitt „Komm, schlaf jetzt mit mir“ zieren sich nicht, beschreiben Liebe als „Vulkan“ in „Flammen“. Aber fast immer geht aus dem Aufruhr der Sinne das Besinnen hervor. Ein an barocke Ver-gänglichkeitsklagen erinnernder Ton ist Signal: das Begehren nach dem Augenblicksbegehren verstummt; wahre Liebe will Ewigkeit. „Doch die Liebe ist Leben für immer“, heißt der Sammeltitel für eine der Gedichtreihen.

Im Gedicht „Meine Liebste lass uns gehen“ ist nach der Zeit der wil-den Vereinigungen nun die Zeit des Abschieds gekommen. Die über die Augen gelegten Hände deuten an, dass sich der Vorhang vor der Welt der sinnlichen Wahrnehmungen schließt. Aber noch einmal bringt sich Erotisches in Erinnerung, das weibliche Geschlecht, als poetisches Bild für Geburt und Zeugung. Was den Augen mangelt, kann das Herz bewahren – Herz verstanden als Inbegriff für jenes Un-beschreibbare, das mit der Seele, dem ebenfalls unbeschreibbaren Spi-rituellen, verschwistert ist. Unendliche Traurigkeit durchdringt die vierte Strophe. Trennung der Liebenden und Einsamkeit des Einzelnen werden unwiderruflich, und nicht zufällig wählt Schlesak in der Zeile „doch gehen ja gehen“ eine die Gemütssaite berührende Wie-derholungsform des Volkslieds. Noch gewähren die Erde des Grabes und „die Seele im Flug“ eine „Umarmung“. Aber bleibt auch das poe-tische Bild des offenen Himmels in Kraft, so besiegelt doch der Schlußvers eine Endgültigkeit: „Denn alles fällt ab was wir waren.“

Es gibt im Band auch Gedichte von geringerer Direktheit, Beispiele wie in der Strophe: „Denn was dann nicht mehr ist / und war / die Er-de, jede Zelle / Atome dieser Hand die wir so warm berühren werden! / Du meine und ich deine Hand / Sind ihre Elemente. Sie drehen sich rasend schnell / wie Glücksgefühle / und duften weiter.“ Von „Ver-jüngung“ wird gesprochen. Die Abschiedselegie „Meine Liebste lass uns gehen“ ist von herber Trauer. Hingenommen wird das Bedingte unserer Existenz mit einer Kraft der melancholischen Gefasstheit, zu der wohl nur eine Liebe verhelfen kann, die ihrer Unverlierbarkeit gewiss ist. Dieses Liebesgedicht schön zu nennen wäre zu wenig; es macht dem Gefälligen keine Zugeständnisse, ist aber nicht fatalistisch, es ist bewegend, doch nicht erweichend, die poetischen Bilder leiten uns unaufdringlich, aber unausweichlich zur Frage nach unserer End-lichkeit, kurz, dies ist ein großes Gedicht.


Redaktion Marcel Reich-Ranicki

Kastentext:

Dieter Schlesak
Meine Liebste lass uns gehen
sieh wir haben uns schon die Hände über die Augen gelegt.
War nicht dein Geschlecht schon wie immer der Aus- und der Eingang zur Welt?
Bleib mir im Herzen wenn wir vergehen.
Der Himmel ist uns hier offen doch gehen ja gehen muss jeder allein diesen Weg.
Die letzte Umarmung Liebste die letzte ist wenn wir uns nicht mehr sehn der Leib in der Erde die Seele im Flug
Denn alles fällt ab was wir waren.

Maria Irod
Lippe Lust. Poesia erotica zwischen Erotik und Mystik

Dieter Schlesak in einer Tradition der Liebeslyrik zu orten ist schwer. Vielmehr lässt sich sein Liebesbegriff, der sich ja aus den unterschied-lichsten intertextuellen Bezügen zusammensetzt, jedoch mehr als ein-faches Gelehrtsein ist, aus dem gesamten Weltbild des Dichters he-rauslesen und nur im Zusammenhang mit seiner Poetik der Zwischen-schaft verstehen.
Man kann also Schlesaks Gedichtband Lippe Lust (Lyrikedition 2000, Book on Demand Verlag, München 2000) nicht außerhalb eines Netzes von Topoi und Leitmotiven betrachten, die in seinem lyrischen, narrativen wie essayistischen Werk immer wieder vorkommen und von einer kohärenten Weltanschauung zeugen.
Wiederholt spricht Schlesak in seinen Selbstreflexionen (in den Inter-views und Essays) von einer gemeinsamen Funktion der Lyrik und der Erotik.

Im Absoluten lebendig zu sein, bewusst zu leben – oder im kleinen täglichen („öko-nomischen“) Tod einer angepassten Existenz als „Sozialtier“ dahinzuvegetieren. Schreiben, Inspiration, Liebe können es verhindern.

Oder:

Heute aber ist der Widerstand ontologisch, das heißt vor allem poetisch, denn die stärkste Macht jener Mattscheibenwelt und ihres Raubbaus an Natur und Seele ist der menschenvernichtende Irrglaube, dass das Sichtbare „alles“ ist, der Tod ein end-gültiges „materielles“ Aus sei. Und das stärkste Tabu (...) wird nur im Traum, in der Imagination, in der Sehnsucht, ja in der Liebe und auch in der Erotik, in ihren Eksta-sen gebrochen: Ekstasen in der Liebe – in Diktaten der Kunst und Poesie, in grenzü-berschreitenden Praktiken von Medien und Meditierenden. Und in numinosen Zu-ständen von dazu Begabten, bei allen aber im Traum und in Zuständen der Gefahr zwischen Leben und Tod ist jenes tremendum des Numinosen da.

Damit wird eine feste Verbindung zwischen Lyrik und Erotik einer-seits und einem esoterischen Wissen andererseits hergestellt. Es geht dabei um die Opposition zwischen sichtbarer und unsichtbarer Welt und um den angestrebten Zugang zu einer ganzen Realität, die die un-sichtbare spirituelle Dimension nicht ausgrenzt. Schlesak schreibt in einer postsäkularen Gesellschaft, die, um mit Habermas zu sprechen, „gleichsam osmotisch nach beiden Seiten hin, zur Wissenschaft hin und zur Religion hin, geöffnet“ ist. Der von Max Weber postulierten „Entzauberung der Welt“, die durch rationalistische Strategien des fortschreitenden Kapitalismus zustande kam, hält der nachmoderne Dichter Dieter Schlesak die Sinnsuche in neuen Formen der Metaphy-sik und ein holistisches Menschenbild entgegen. Zu dieser Einstellung tragen auch die neuen wissenschaftlichen Zugänge bei (z.B. Heisen-bergs Theorie der Unschärferelation oder die Schriften des Physiker-philosophen C. F. von Weizsäcker, die von Schlesak mehrmals er-wähnt werden), in denen eine Annäherung der denkbar gegensätzli-chen Bereiche der negativen Theologie und der Quanten-Logik statt-findet.
Das Projekt Dieter Schlesaks könnte man wohl als Remythisierung nach dem „Tod Gottes“, d. h. nach dem Ende jedes in Gott resümier-ten Sinns der Welt, beschreiben. Darin äußert sich keine naive Wiede-raufnahme der subjektphilosophischen logozentrischen Tradition vor Nietzsche. Ganz im Gegenteil: Es handelt sich vielmehr um ein säku-larisiertes Element im Denken des Dichters, der die Wahrheit nicht ei-ner einzigen Glaubenslehre zuspricht, sondern die „Pluralität und Of-fenheit heute“ anerkennt und darin einen Versuch sieht, „dem entlarv-ten ideologieverdächtigen „Absoluten“ zu entkommen“ . Zugleich warnt er aber davor, dieses herkömmliche Absolute mit dem „Einen“ der negativen Mystik, dem unfassbaren Ursprung des Seins, zu ver-wechseln. In diesem Zusammenhang kommt der Lyrik die Aufgabe zu, mit Mitteln der Sprache die Grenzen des Gewohnten zu sprengen und den „Erfahrungskern der Existenz mit Metaphern [...], innern (Hervorhebung: D.S.) Bildern und Traumbildern“ zu umkreisen. Dieser Poetik liegt ein Zeichenbegriff zugrunde, worin sich eine Iden-tifikation von Wort und Ding, von Wort und Heiligem vollzieht. Das Gedicht wird also einem göttlichen Schöpfungsakt gleichgesetzt, der im Sinne von Hölderlin eine radikale „Umkehr aller Vorstellungsarten und Formen“ herbeiführen sollte. In diesem Kontext könne die Ly-rik auch Epiphanien des Numinosen vermitteln, die das Zeitkontinuum unterbrechen und die Grenze zwischen Leben und Tod auslöschen. Die Gedichte Dieter Schlesaks bewegen sich ständig auf dieses Desiderat hin und erheben damit den Anspruch, den Techniken der mystischen bzw. der erotischen Ekstase gleichzukommen.
In diesem Zusammenhang sollte man meines Erachtens die erotischen Gedichte Dieter Schlesaks betrachten. Der Begriff Erotik bennent bei diesem Dichter ein Phänomen, das über die sexuelle Attraktion zwi-schen Mann und Frau hinausweist. Er beschreibt vielmehr eine kosmi-sche Kraft, die imstande ist, den Riss in der Schöpfung, die artifizielle Grenze zwischen Geist und Materie wenigstens für einen Augenblick zu überbrücken und dadurch dem Menschen zu einer „mythischen Wahrnehmung“ der Wirklichkeit zu verhelfen.
Mein Beitrag ist einer doppelten Absicht verpflichtet. Zum einen ver-suche ich Schlesaks Poesia erotica vor dem Hintergrund der kabbalis-tischen Tradition der Weltschöpfung aus den Buchstaben des hebrä-ischen Alphabets zu lesen. Zum anderen möchte ich aus einer feminis-tischen Perspektive auf einige interessante Aspekte des Frauenbildes aufmerksam machen, die in diesem Gedichtband zum Ausdruck kommen. Die erste Interpretationsrichtung wird sowohl von vielen Textstellen angeregt, wo es sich um kosmologische Schemata handelt, die als Figuren des hebräischen Alphabets gefasst werden, als auch von den theoretischen Überlegungen des Autors .
In seiner Lyrik geht Schlesak von einer Metaphysik der Sprache aus, die zugleich eine Kosmologie enthält und von der kreativen Magie der Buchstaben Gebrauch macht. Darin vollzieht sich eine Wendung zu vormodernen Herkunftswelten, die freilich nicht vereinzelt ist, son-dern mit dem Interesse vieler Autoren des 20. Jahrhunderts an Herme-tik und Okkultismus vergleichbar ist. „Zukunft braucht Herkunft“, heißt es in einem Vortrag von Dieter Schlesak und diese Überzeu-gung drückt sich nicht nur in seiner intensiven Beschäftigung mit der jüdischen Mystik aus, sondern auch im wiederholten Verweis auf sol-che unterschiedlichen Denker wie Swedenborg, Friedrich Weinreb, Laotse usw., die man alle einer esoterischen Tradition zuordnen kann. Im Folgenden werde ich auf eine Untersuchung der intertextuellen Bezüge bei Dieter Schlesak verzichten müssen und mich stattdessen auf die konkrete Funktion der kabbalistischen Symbolik im Gedicht-band Lippe Lust konzentrieren, die ich am Beispiel einiger ausgewähl-ten Gedichte beleuchten möchte. Meine These ist, dass für Schlesak der Antrieb des Schreibens in einer theurgischen Intention liegt. Unter Theurgie verstehe ich die von Moshe Idel definierten Praktiken – Gebete, Meditationen, Rituale –, denen die Macht zugeschrieben wird, auf die Gottheit Einfluss ausüben zu können. Das Brückenbauen zwischen „der alten Sinnenwelt und jener anderen, immateriellen Welt, die geister- und geistnah ist, wo Zeit und Raum aufgehoben sind“ , die Vermittlungsfunktion der Literatur, die die Kritiker schon bemerkt haben und die eine sinnbildende Wirkung in der posthumanen Welt nach Auschwitz und dem Gulag anstrebt, ist ja eine säkularisierte Form von Theurgie.
Auf den ersten Blick scheint eine feministische Lektüre der Gedichte mit einem aus der Kabbala inspirierten Weltbild schwer zu vereinba-ren. Man könnte jedoch in der erotischen Lyrik Schlesaks eine gewisse Abweichung vom tradierten Frauenbild feststellen, die u. a. einer intensiven Auseinandersetzung des Autors mit der Kabbala entspringt. Feministische Ansichten werden im Text nicht explizit artikuliert, sondern bieten sich als Interpretationsmöglichkeit an, vor allem weil der ganze Gedichtband auf einer durchgehenden Polarität von „männ-lich“ und „weiblich“ aufgebaut ist. Eins soll vorweg gesagt werden: Lippe Lust ist der Ausdruck einer deutlichen Aufwertung der Körper-lichkeit und der Sexualität, die von einem patriarchalischen Frauenbild abweicht. Obwohl die Frau immer noch als die Andere imaginiert wird, ist diese Alterität durchaus eine Kategorie jenseits der essenzia-listischen Geschlechterdichotomie. Männlichkeit und Weiblichkeit sind Archetypen, deren Komplementarität in ein mythisches Sinnge-füge neu eingeschrieben wird. Die erotische Begegnung der Ge-schlechter beruht weiterhin auf einer Dialektik von Eigenem und Fremdem, die anders als das tradierte Muster keine Hierarchie voraus-setzt. Bezeichnend ist auch die dialogische Struktur mancher Gedich-te, wo sich die männliche und die weibliche Stimme bis zur Undiffe-renziertheit abwechseln. Die artikulierten Ichs changieren vom „radikal subjektiven Ich“ zum „poetologischen Ich, das seine eigene Funktion innerhalb des Gedichts reflektiert“ , wobei das Du auch nicht mehr ausschließlich auf die in Liebesgedichten naheliegende Anredeform bezogen wird. Manchmal ist die zweite Person vielmehr im Kontext einer Ich-Spaltung zu verstehen, vermutlich als Jung’sche anima, die der Liebende auf seine Geliebte projiziert:

ALS ICH ZU DIR KAM
War die erinnerung da
ein mädchen in mir
so laut so stark so heftig noch
und du nur da
es leis zu übertönen.

Die Stimme der inneren Weiblichkeit wird dem Schreibenden erst nach dem „kleinen Tod“ des Orgasmus bewusst, die ähnlich dem Schreckerlebnis oder dem poetischen Einfall die alltägliche Reizüber-flutung durchbricht und das „Heraufkommen von anderen Archetypen und Bildern von jenseits der Grenze“ ermöglichen, „die die gewohn-ten löschen.“

Da kamst du an in wilder zärtlichkeit
und immer stärker war die stimme
die du bist
in mir erwacht
Dann die gefahr dass deine liebe geht
erst nach der liebesnacht kam diese stimme
sie brannte mich wie feuer
und die absenz schlug ungeheuer
wütend an die leere
ein loch das keine seiten hat
und keinen ausgang keinen eingang
so dass nichts wiederkehrt
nur seine mitte ist
ein sog des abgrunds
schmerz

Wenn die Frau als passive Andere und im kulturell codierten Opposi-tionspaar „männlich“ – „weiblich“ als vom männlich-aktiven Geist Verdrängte erscheint, wird sie in ein ähnliches ungleichgewichtiges Muster hineingebracht, wie die Juden, die von den kulturell „Eigenen“ Deutschen zu Anderen gemacht wurden . Schlesak selbst deutet auf

einen Dialog zwischen Deutsch und Hebräisch in seinem Werk an, der dem Verhältnis der empirischen zur geistigen Welt entspricht. Deutsch wird dem Sichtbaren und der Handlung gleichgesetzt, während das Hebräische eine von der Oberfläche verdrängte Tiefenstruktur darstellt. Hebräisch ist die Sprache, die sich nicht verweltlichen lässt, der man – um mit Gershom Scholem zu sprechen – „den apoka-lyptischen Stachel“ nicht ausgezogen hat. Die heilige Sprache ist ein Abgrund , der sich unter der säkularisierten Oberfläche auftut. Wenn man bedenkt, dass laut Weinreb Begriffe wie „Jude“ oder „Israel“ die nationale Konnotation verloren haben und mentale Tendenzen bzw. Einstellungen gegenüber der Wirklichkeit symbolisieren, erhält die Parallele zwischen dem Jüdischen und dem Weiblichen noch eine tie-fere Bedeutung.
Diese lyrische Konstellation ist existenziell verankert und entsteht aus der Lebenssituation eines „Zwischenschaftlers“, d. h. eines Nur-in-der-Sprache-Beheimateten. Die Exilerfahrung ist zentral im Werk Dieter Schlesaks, das in der heutigen von Absenz und Immaterialität bestimmten Welt um eine Erweiterung der Perspektiveauf die „my-thische Wahrnehmung“ der Wirklichkeit bemüht ist. In der Doppelna-tur der Sprache (geistig und körperlich) widerspiegelt sich die Ord-nung der Welt, was einer esoterischen Auffassung entspricht .
Die unaufhebbare Fremdheit und Einsamkeit der Existenz ist ein Grundton der modernen Lyrik, der auch in diesem Buch mitklingt. Schon die biblischen Genesis-Erzählungen erklären das Leben des Menschen als ein Leben im Fremden. Dieses allgemein-menschliche Bewusstsein der Unheimlichkeit und der verstörenden Fremdheit des nachparadiesischen Menschen wird noch bei Dieter Schlesak von den historischen Ereignissen verstärkt, die die tradierten sinnstiftenden Einrichtungen „Familie“, „konkrete beschränkbare Heimat“, „vertraute eigene Kultur“ als illusorische Tröstungen entlarven. In der räumlichen Ordnung des Textes befindet sich der einzige Begegnungsort, wo sich das Getrennte und Fremde wiederfinden kann.
Die Erotik ist in diesem Zusammenhang eine Sehnsucht nach Vereini-gung mit dem Fremden und Wiederherstellung des ganzen Menschen vor dem Sündenfall. Ein utopischer Wunsch, ein Streben nach Einheit und Identität, die nur flüchtig und annähernd zu erreichen sind. Schle-saks erotische Lyrik bewegt sich an der Grenze zur Mystik. Der Titel eines Kapitels von Lippe Lust lautet sogar „Unio Mystica Erotica“ und im letzen Gedicht des Bandes ist von Hierosgamos die Rede.
Trotzdem – und das ist ein wesentliches Kennzeichen des Liebesbe-griffs bei Dieter Schlesak – haben die aus dem Bereich der Erotik stammenden Bilder nicht ausschließlich eine Verweisfunktion, die dem Leser höhere religiöse Inhalte anschaulich machen. Im Gedicht-band Lippe Lust kommt eine Einstellung zum Ausdruck, die sich deut-lich von Augustinus’ antisexueller Integritätsvorstellung im paradiesi-schen Zustand abwendet. Die enge Verknüpfung von Geschlechtlich-keit und Sterblichkeit im Denken des Heiligen Augustinus hat jahr-hundertelang die abendländische Kultur geprägt und die Körperfeind-lichkeit der größten Mystiker und Visionäre beinflusst. Die Hoch-schätzung der Jungfräulichkeit beruht auf einer Vorstellung von Se-xualität als einer Form der Gottunähnlichkeit, die zugleich eine Mah-nung an den Tod und die Vergänglichkeit sei. Augustinus entwickelt die Fantasie einer Fortpflanzung ohne sexuelle Lust, einer Intimität ohne Überschreitung der Körpergrenzen, wo „ohne Stachel brünstigen Begehrens, in voller Ruhe des Geistes und Körpers und ohne Verlet-zung ihrer Unversehrtheit, […] der Gatte seines Weibes Schoß be-fruchtet.“
Von dieser dominanten theologischen Auffassung ist Schlesak mei-lenweit entfernt. Er bringt zwar die Geschlechtlichkeit auch in die Nä-he des Todes, spricht sie aber von der Sündhaftigkeit los. Die letzte Konsequenz des Sündenfalls sei, so Schlesak, die Unfähigkeit, die spi-rituelle Dimension der Wirklichkeit zu erfassen. „Nur getrennte (ma-terielle) Körper zu sehen, ist eine Art Sündenfall, weil wir so im Kör-per und unseren Sinnen – also dem Schein und der Illusion – gefangen bleiben!“ Unsere Vorstellung von Erotik müsste also vielschichtiger, umfassender, mystischer werden und die Aufspaltung des Begriffs Liebe in Eros und Agape überwinden. Mehrfach kommen in den erotischen Gedichten Schlesaks Bilder der Verschmelzung vor, die das göttliche Konzept der nach Ganzwerdung strebenden Sexualität wiederherstellen. So wird der Körper nicht mehr vom Geist getrennt, sondern die Sexualität vielmehr als jenen Punkt der menschlichen Per-son anerkannt, an dem der Körper am ehesten zum Geist durchbrechen kann. Die erotische Vereinigung grenzt an ein Versinken in den Urzustand freudentrunkener Ekstase und das Einswerden mit dem Universum.

LUST WILL ICH DIR GEBEN LUST WEIL ICH DICH MAG
so dass du untertauchst in meinem fleisch
und wir uns ganz vergessen
die härte weich wird: du und ich
wir sind das erste paar
wir sind ein jedes paar
wir sind in diesem augenblick
vermengt & nichts als das
seit hier auf diesem blauen stern
die liebe brennt
& liebe dreht uns um
dass wir die lange reihe sehen können
oh komm und lösch mich aus mein ich
verschmelzen wir im feuer.

Der Dichter bettet die Sexualität und die Geschlechterpolarität in ein kabbalistisches Muster ein, um sie von der „Gefangenschaft im aus-weglos Materiellen“ zu retten. Das Gedicht Rondinara / Korsika Sommer aus dem Kapitel Unio Mystica Erotica ist ein relevantes Bei-spiel dafür. Am Anfang erweckt der Text den Eindruck, es handele sich einfach um eine zufällige erotische Begegnung an einem sonnigen Meeresstrand. Die erste Sequenz des Gedichts arbeitet mit Bildern, die Wollust und Weiblichkeit evozieren („gespaltene Früchte“, „nasser Sand“, „schwarze Muschel“, „haariges Geheimnis“) und auch ausdrücklich an ein sexuelles Erlebnis erinnern, das wiederum mit Plötzlichkeit („Spontanfick“) und der „Sehnsucht nach einer fremden Berührung“ verbunden ist. Es entsteht ein Bildergeflecht, in dem die kabbalistischen Chiffren schon präsent sind. Die Frucht ist ein stark besetztes Symbol, das nicht nur für Fruchtbarkeit steht, sondern zu-gleich auf die vom Ur-Baum getrennte Frucht andeutet, die die Idee der Spaltung in sich birgt.
Die konkrete Situation, von der das Gedicht seinen Ausgang nimmt, wird auf die biblische Schöpfungsgeschichte bezogen, was ei-ne Reflexion über den Sündenfall, die Entstehung der zwei Geschlechter und die Kluft zwischen Körper und Geist auslöst. Dieser ursprünglichen Spaltung steht die Gier entgegen, die im Gedicht unter verschiedenen Erscheinungsformen („Lebensgier“, „Neugier“, sexuelle Begierde) auftaucht. Vor dem bereits erwähnten esoterischen Hinter-grund kann man wohl die Lebensgier auch als Gier nach Eva interpre-tieren, deren hebräischer Name Chava Leben bedeutet . So wird die Sexualität in den breiteren Rahmen des spirituellen Strebens nach Er-gänzung integriert, das der Mystik nahe steht: „…hier also mystica erotica das ist der Kern der Welt.“
Die erotische Begegnung als reales Geschehen versinkt in Mehrdeu-tigkeit, die das Wesen der Allegorie ist. Schlesaks Gedicht gleicht in dieser Hinsicht dem Weinreb’schen Mythoskonzept, das ebenfalls auf der Nahtstelle zwischen dem Vergänglichen und dem Ewigen erstellt wird. Im Fortgang des Gedichts, vor allem in seiner zweiten Sequenz, wird das sexuelle Motiv zu einem kosmogonischen und anthropogoni-schen transformiert. Das bringt die LeserInnen gleichsam zur Erkenn-tnis Weinrebs, dass das Wichtigste in der zusätzlichen Bedeutung in-newohnt, die von einem bestimmten Objekt oder Ereignis wahrge-nommen wird.
Das erotische Erlebnis am Strand findet bezeichnenderweise in der Nacht von Freitag auf den Samstag statt, also auf der Schwelle zum siebenten Schöpfungstag. Bis zu diesem Zeitpunkt der Schöpfungsge-schichte gab es im paradiesischen Zustand keinen Tod und auch keine Trennung und keinen Identitätssinn. Der Ur-Mensch, der von den Kabbalisten Adam ha-Rishon genannt wird, war eine androgyne Rie-sengestalt, die nicht mit physischen Augen sah, sondern mit einem unendlichen Bewusstsein ausgestattet war . Damit verbunden ist die Idee, die bereits in der antiken Midrashim-Literatur vorkommt, dass Adam und Eva gleichzeitig und gleichwertig geschaffen wurden. Die-se Auffassung liegt dem Frauenbild zugrunde, das den ganzen Lyrik-band durchzieht:

Die Frau ist nicht die „Rippe“ (Unsinn: Luther!)
nein, sie ist „tsel“ wie es hebräisch heißt
ist Schatten Bild und Seite IST unsre andere Hälfte
sie tritt nicht aus dem Mann sie IST
der Schatten stößt sich ab die Frau sein Traum und doch
viel wirklicher als er…

Von dieser ontologischen Ebenbürtigkeit von Mann und Frau gehen alle erotischen Gedichte Schlesaks aus und dekonstruieren damit die patriarchalische Geschlechterhierarchie. Die Tatsache, dass die Frau hier als „Schatten“ bezeichnet wird, heißt jedoch nicht, dass sie ein ontologisches Derivat des Mannes sei. Das hebräische Wort tselem (Bild, Antlitz), in dem auch das Wort tsel (Schatten) mitklingt, kommt in der Genesis vor, wo es heißt: „Und Gott schuf den Menschen ihm zum Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn.“ (1:27, Mose). In der esote-rischen Tradition bezieht sich tselem auf den Astralkörper, den Ver-mittler zwischen dem physischen Leib und der immateriellen Seele. Im Zohar sowie bei Dante in der Göttlichen Komödie wird der Ast-ralkörper im Zusammenhang mit dem Schatten erwähnt, was auf das hebräische Wortspiel zwischen tsel und tselem zurückzuführen ist . Wenn in der mystischen Interpretation der Schatten eines Menschen die Projektion seines inneren tselem ist, dann könnte man wohl mei-nen, dass hier die Assoziierung von Frau und Schatten – „…diese Frau in dir ersetzt die Stelle wo / mein Schatten war der fliegen konnte“ – eigentlich als eine Anspielung auf das Jung’sche Modell von anima und animus zu verstehen ist.
Der Begriff „Erotik“ wird also auf der Dialektik der Spaltung und der brennenden Sehnsucht nach Verschmelzung aufgebaut. Diese prototy-pische Spaltung, die sich nicht nur auf die Geschlechterpolarität be-zieht, sondern auch die Trennung von Körper und Geist, göttlich und menschlich, Eigenem und Fremdem mitrepräsentiert, ist ein Grund-motiv im Denken Schlesaks. Die Unüberwindbarkeit der uranfängli-chen Spaltung ist Ursache des Leidens, aber im Umkreisen dieses Themas mit Bildern und Metaphern liegt ein unerschöpfliches kreati-ves Potenzial.

Es ist die Trennung in der Welt
die wehtut / und das sind wir
weißt du dass hier in unserer Nacht
wir Eins sind in seinem Widerhall
kennst du die „Gotteszahl“ von der
wir durch die Trennung abgefallen sind
wie eine Frucht von dem verdammten Baum
der alles schön entzweigeschnitten hat?

Die poetische Kraft solcher Meditationen liegt in der mythischen Auf-ladung der Sprache und dem Vermögen, äußerst konzentriert ein dich-tes Bezugsgeflecht entstehen zu lassen. In der oben zitierten Stelle kann man die Lehre über die Entstehung des Kosmos aus dem Einen erkennen, die sowohl den Neuplatonikern als auch den Kabbalisten eigen ist, sowie die esoterisch fundierte Beziehung zwischen Buchsta-ben und Zahlen und das ganze Paradigma „Spaltung“.
Auch in der erotischen Lyrik bleibt Dieter Schlesak durch sei-nen Stoff ein Metaphysiker. Sein kosmologisches Weltbild ist der kabbalistischen Hermeneutik und auch der pythagoreisch-platonischen Tradition der sakralen Mathematik verpflichtet. In seinen Essays lehnt er ausdrücklich das rationalistische Konzept ab, das „Zahl und Name, technisches Wissen und Gewissen auf tödliche Weise“ voneinander trennt. Für ihn haben die Zahlen eine tiefere Bedeutung jenseits der ra-tionalen Beziehungsgrößen. Die wechselseitigen Verknüpfungen zwi-schen Zahlen und Buchstaben und ihre mythisch-metaphysische Sig-nifikanz fangen schon mit der „Gotteszahl“ an. Diese „Gotteszahl“ bezieht sich einerseits auf Aleph, den ersten Buchstaben der heiligen Sprache, die unbegrenzte und lautere Gottheit, d. h. das En Soph oder die ewige Eins, aus der die Welt hervorgeht. Andererseits wird damit das Tetragrammaton J H W H gemeint, ein Buchstabengeflecht, das in der jüdischen Tradition als verborgener Name Gottes gilt und dessen richtige Aussprache verloren gegangen sei, weshalb es üblicherweise als ha-Shem (= Name) umschrieben wird . Im Sinne der Gematria denkt Schlesak über Weltordnung, Stellung des Menschen gegenüber der Gottheit und die Rolle der sexuellen Vereinigung zwischen Mann und Frau nach.

Jetzt rätsle nur an Seinem Namen: J H W H
so hieß er doch, J ist die Zehn und H die Fünf
und W heißt Mensch ein UND das trennt
die eine Fünf der H von ihrer andern H
was Fenster heißt. Die Zehn (die Eins) zerschnitten
durch uns: in Mann und Frau! Das Ganze aber
samt dem Schmerz der Trennung
die wir doch täglich brennend spüren
und wollen tief ineins zusammen
kommen – ist Niemand /Anders
als der ganze „Gott“!

Es ist vielleicht nicht unbegründet, wenn man hier auch eine Andeu-tung auf eine gnostische Lehre erblickt, die u. a. im Zohar vertreten wird und die die Spaltung in die Gottheit selbst einschreibt. Die trans-zendente Eins (oder En Soph) bringt zehn Sefirot (d. h. Gefäße der göttlichen Kraft) hervor, die unterschiedliche Attribute von J H W H aktualisieren. Die zehn Sefirot werden hierarchisch dargestellt als eine vertikale Struktur, die die absolute Transzendenz mit der irdischen Welt verbindet. Überdies wird im Zohar die Emanation der niedrige-ren Sefirot aus den höheren als Geburt aufgefasst und das Verhältnis der Sefirot-Paare in erotischen Bildern anschaulich gemacht. Die nied-rigste Sephirah, Malkhut oder Shekhinah genannt, wird als weiblich betrachtet und steht für die Anwesenheit Gottes auf Erden . Im Zo-har wird eine Remythisierung der biblischen Texte unternommen, in-dem die zehn Sefirot als Gestalten in den biblischen Geschichten interpretiert werden . So etwa nach der Episode des Goldenen Kalbs findet eine Selbstspaltung Gottes statt. Infolgedessen wendet sich die männliche Hälfte der Gottheit voller Wut von den Menschen ab, wäh-rend die weibliche Hälfte Shekhinah das Volk Israel ins Exil begleitet.
Wichtig für unser Anliegen ist im Falle dieses Mythos vor allem die Idee, dass die Natur der Gottheit ebenso wie die des Ur-Menschen androgyn ist. Mit dieser Auffassung geht eine gewisse Gleichstellung des männlichen und des weiblichen Prinzips einher. Zugleich beinhal-tet der im Zohar vorkommende Mythos eine Kritik an seiner eigenen gnostischen Quelle. Die Spaltung Gottes bedeutet also nicht unbe-dingt, dass die irdische Welt verdammt ist, da der wütende und stra-fende Gott-Vater nur eine männliche Persona des J H W H ist.
Dazu kommt noch die Tatsache, dass die Spaltung Gottes der Spal-tung in der Darstellung entspricht, und zwar der Kluft zwischen Zei-chen und Gegenstand. Daraus erklärt sich die Vehemenz, mit der Schlesak den Wirklichkeitswahn des Realismus und die falsche Mime-sis bestreitet. In diesem Zusammenhang lesen sich folgende Verse wie eine Erinnerung an die theurgische Funktion des Liebesaktes:

…wenn ich nachts ins freie renne
seh den eingesperrten baum
bin ichs auch und renn und renne
mir entkomm ich kaum
doch sagst du so fließe
fließe lieber menschenfluß sei mein
arme beine leib und pflanzer sind
ja nicht nur dein
[…]
eingebildet alles feste:
NICHTS als irrer sinn!
komm mein lieber: wir verschmelzen
sind dann fließend endlich wahr.

Das Feste, das durch die erotische Vereinigung überwindbar wird, ist das Handgreifliche und Nur-Sichtbare, die Illusion des Goldenen Kalbs. Die Sprache der Poesie versucht wiederum dem Fließenden der erotischen Ekstase gleichzukommen und an manchen Stellen entstehen echte Glossolalien, wie etwa die folgende Passage:

…wie der Ertrunkene
im Lächeln an Kommendes ist er vergeben
fast schon ein Kind im Schrei jetzt des Orgasmus
des Sexuellen Tropfenglanz Zauber warum so großen Blickes dans des cas pareils sperrbeinig fenstersturzläuternd c´est toujours unbedacht blindlings die gleiche Sa-che…

Diese Auflösung der Syntax verweist zum einen auf eine Dekonstruk-tion der klassischen mimetischen Verfahren und zum anderen auf die semiotische Ausdrucksweise, die Julia Kristeva dem weiblichen Schreiben zuspricht . Ohne an dieser Stelle auf die Opposition männliches Schreiben – weibliches Schreiben eingehen zu wollen, sei jedoch kurz darauf hingewiesen, dass im von uns besprochenen Ly-rikband Dieter Schlesaks das Schreiben vorwiegend männlich codiert wird . Abgesehen von den semiotischen Passagen im Sinne Kristevas finden sich darin zahlreiche Formulierungen, die auf eine enge symbolische Verbindung zwischen dem Schreibinstrument und dem Phallus andeuten. Es seien hier nur einige Beispiele gegeben: „…jetzt fließt mein Same zu dir / hier auf dem weißen Papier erigiert der Fin-ger wie das Glied…“; „Abwesend hier / doch mitten drin / ein Liebes Buchstab ja, mein Baum / oh der Zaddik mit seinem Phallus / das vö-gelnde Gebet…“ oder „Erlöst mit uns / geöffnet seine weiche Schrift / mein Griffel ist der Menschenstab / und schreib und schreib damit / in deinen nackten Leib jetzt tief hinein.“ (Hervorhebungen: M. I.)
Trotzdem lässt sich die Lyrik Schlesaks kaum einem ideologischen Hintergrund zuordnen. Durch seinen Bezug zum Mythos grenzt er sich grundlegend von jeder Ideologie ab. Da Mythos sich wie Religion auf ein Numinoses gründet, hat er seinen Bezugspunkt außerhalb des geschlossenen geistesgeschichtlichen Systems und unterscheidet sich dadurch von der Ideologie, die ein innerweltliches System mit Allge-meingültigkeitsanspruch darstellt. Zum Mythos kommt noch das nu-minose Zeichen als Bestätigung hinzu, dass sich das Gesamtsystem nicht nur aus Elementen dieser Welt zusammensetzt. In diesem Rah-men lassen sich auch die erotischen Gedichte Schlesaks am besten interpretieren, die ebenso wie die Liebe selbst als theurgische Akte aufgefasst werden und denen die Macht zugesprochen wird, wenigs-tens vorübergehend die Wunde in der Schöpfung heilen zu können.

LITERATUR

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RIFFARD, Pierre: Dicţionarul esoterismului. Aus dem Französischen von Doina und Gheorghe Pienescu. Nemira, Bucuresti 1998.
Schlesak, Dieter: Vaterlandstage und die Kunst des Verschwindens. Benziger Verlag Zürich 1986.
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Ders.: Fragmente zu einer posthumen Poetik. In: Tunneleffekt, Gedichte mit einem Essay. Edition Galrev, Berlin 2000, S. 212 – 245.
Ders.: Lippe Lust. Poesia erotica. Lyrikedition 2000, Book on Demand Verlag München 2000.
SCHOLEM, Gershom: Despre chipul mistic al divinităţii. Aus dem Deutschen von Viorica NIŞCOV. Ed. Hasefer, Bucureşti 2001.
WEINREB, Friedrich: Die Symbolik der Bibelsprache. http://www.geocities.com/fweinreb_documentation/

Renate Färber-Häuser
Capesius, der Auschwitzapotheker
Dieses intensive Buch ist schwer zu ertragen. Doch wer sich darauf einlässt, wird es vor der letzten Seite kaum aus der Hand legen. Dieter Schlesak treibt den Leser durch alle Schrecken des Vernichtungs-lagers. Trost gibt es keinen, auch am Ende werden nicht die Guten belohnt und die Bösen bestraft, denn das Buch handelt von Auschwitz. Noch lange nach Ende der Lektüre glaubt man, die nicht mehr menschlichen Schreie der Opfer in den Gaskammern zu hören. Im Mittelpunkt steht Viktor Capesius – ein Name wie aus einem Arztroman der fünfziger Jahre. Doch der Mann hat wirklich gelebt, leitete als SS-Offizier die Apotheke, wurde im Frankfurter Auschwitz-Prozeß zu neun Jahren Haft verurteilt und verbrachte anschließend ein Alter im Wohlstand.
Und das ist die Geschichte, die klingt, als habe jemand mit einer bizarren Fantasie sie ausgedacht und die doch passiert ist: An der Rampe in Birkenau standen sich eines Tages die früheren Kunden, Nachbarn, Bekannten aus Schäßburg in Siebenbürgen und ihr einstiger Apotheker gegenüber. Die nicht Arbeitsfähigen schickte er kaltblütig ins Gas. Aus dem rumänischen Städtchen stammt auch der vielfach ausgezeichnete Romancier, Lyriker und Essayist Dieter Schlesak, Jahrgang 1934. 30 Jahre seines Lebens hat er mit dem gutbürgerlichen Massenmörder verbracht. Er hat mit überlebenden Juden aus Schäßburg gesprochen, hat Dokumente, Briefe, Tagebuchaufzeichnungen gesammelt, sich in die Akten des Auschwitzprozesses vertieft, bevor er dieses Buch schrieb.
Auch Capesius wurde von Schlesak mehrmals befragt. Der Schriftsteller traf einen Mann, der sich keiner Schuld bewusst war. Er hatte Alte, Kranke, Mütter und ihre Kinder mit einem jovialen Lächeln im Gesicht in den grauenhaften Tod durch Cyklon B geschickt und wurde im Prozess mit den herzzerreißenden Zeugenaussagen der wenigen Überlebenden aus seiner Heimatstadt konfrontiert. Sein ungerührter Kommentar später war: “Eine kommunistische Verschwörung gegen mich. Ihnen war ich ausgeliefert. Sie machten mich fertig.”
Viele der Täter von damals – diese Geschichte ist tausendfach erzählt worden – sind nach dem Ende der Nazizeit unauffällig in bürgerliche Existenzen zurückgeschlüpft. Capesius hatte bald wieder eine Apotheke in Göppingen, dazu einen Kosmetikladen in Reutlingen und lebte – so Schlesak – in geradezu protziger Umgebung. Woher kam das Geld? Überlebende Häftlinge berichteten im Prozess von seinen Beutezügen: Er durchsuchte die Koffer der Ermordeten, fand versteckte Juwelen in Salbendöschen und Zahnpastatuben. Er hortete Goldzähne, die den Toten aus dem Munde gerissen worden waren – und setzte sich aus Auschwitz vor der Befreiung durch die Rote Armee vermutlich mit diesem zusammengestohlenen Vermögen ab. So profitierte also auch die Wirtschaftswunderzeit von Auschwitz
Während die Täter mit ihrem notorisch guten Gewissen wieder in die Rolle der Biedermänner schlüpften, haben die Opfer Auschwitz nie verlassen.“ Der Entkommene entkommt nicht. Auch das Opfer wird nicht verschont”, schreibt Schlesak und schildert seine Begegnung mit Baila, einer Überlebenden, die nicht weiss, warum sie überlebt hat, denn ihre beiden Kinder wurden von der Rampe direkt ins Gas geschickt. Und sie lebt mit einem Schmerz, der nicht heilen kann, nämlich mit dem Wissen, dass ihre Kinder vor dem Tod nach der Mama geschrien haben und die Mama nicht da war.
Warum geht gerade dieses Buch so nahe? Das liegt auch an der besonderen Begabung Dieter Schlesaks, in dieser hopchkomplizierten Collage nie den roten Faden zu verlieren. Er hat eben nicht nur die Geschichte der Schäßburger Juden und ihres Mörders geschrieben, sondern, wenn diese Wortwahl erlaubt ist, den grauenhaften Alltag von Auschwitz geschildert und die absolute Gefühlskälte der Täter.
Alles, was Schlesak erzählt, beruht auf historischen Quellen und auf Interviews. Entstanden ist dabei etwas ganz Eigenes: Kein Roman, kein Sachbuch, keine Dokumentation, stattdessen vielleicht eine Essenz von Auschwitz mit dem Fazit: Es gibt keine Gerechtigkeit. Die Täter schliefen gut, die Opfer aber haben auch nach ihrer Befreiung Auschwitz nicht verlassen.

Wolfgang Schlott

Ein Dokumentarroman über die Todesmaschinerie der deutschen Nationalsozialisten

“… denn Gott ist ja seit Auschwitz ausgezogen aus dem Bereich menschlicher Er-fahrung. Und eine Wiederkehr müsste aus dem Todesidiom selbst kommen … Doch angesichts der Gaskammer gilt kein Glaubens- und Trostspruch mehr, geschweige denn Literatur.“ (S. 208)

Einen Dokumentarroman über die Todesmaschinerie der deutschen Nationalsozialisten mit einer fiktionalen Person als Erzähler auszustat-ten, erweist sich als ein gewagtes poetologisches Verfahren, das der Autor gleich zu Beginn der Erzählhandlung mit einem hohen Auf-wand an Glaubwürdigkeit seinem Leser gegenüber vertritt. Adam, der letzte Jude von Schäßburg, habe alles gesehen, er wisse etwas, was wir nicht wüssten, und nie wissen werden. Doch er habe überlebt, also wisse er auch nicht, was die Toten wissen. Und als Überlebender habe er Schuldgefühle, doch Schreiben habe ihm überleben geholfen, er habe „dort“ geschrieben, deutsch habe er geschrieben. Um Adam gehe es, der „DORT gewesen war, zum ‚Sonderkommando’ der Kremato-rien gehört hatte, es geht um einen Menschen, der das, was wir nicht begreifen können, in sich trägt“. (S. 7) Dieses ungeheuerliche, mit dem Todesidiom versehene empirische Potenzial will der Autor für seine Leser auf unterschiedlichen Wahrnehmungsebenen „erfahrbar“ machen. Adam gäbe es WIRKLICH: „Ich konnte ihm in die Augen sehen, ihn anfassen, mit ihm essen, spazieren gehen, reden, sein Schweigen, sein Versinken, sein immer wieder Abwesensein in der gleichen Lebenssekunde erleben …“ (S. 7) In diese Projektionsfigur versetzt sich der Autor, stattet sie mit seinem umfassenden dokumen-tarischen Wissen über die Vernichtungsfabrik aus, verleiht ihr sogar die Fähigkeit, in einem Ansatz von perspektivischer Verfremdung in die Psyche von SS-Männern zu schauen, die die „schwere Mordarbeit“ in der „kaum erträglichen Hitze“ leisteten. Eine weitere Verdichtung der Dokumentationscollage erreicht Dieter Schlesak durch die Einbeziehung von Aussagen der wichtigsten Zeuginnen und Zeugen der Anklage im Frankfurter Auschwitz-Prozess 1964/65, die sich vor allem über die Tätigkeit des Auschwitzapothekers Victor Capesius in den Jahren 1943 bis 1945 äußerten. Es sind Augen-Zeuginnen wie die aus Schäßburg stammende Kinderärztin Gisela Böhm, die in der Häft-lingsapotheke in Auschwitz tätige Ella Salomon, der in der SS-Apotheke des Lagers beschäftigte Drogist Jan Sikorski und zahlreiche andere ehemalige Häftlinge, deren Aussagen den Überlieferungsgehalt und Wahrheitsanspruch des fiktiven Erzählers Adam im Laufe der do-kumentarischen Handlung verstärken.
Doch die langjährige und langwierige Trauerarbeit des Autors bei der Rekonstruktion der Person des Todesgehilfen Capesius erfasst weitere Untersuchungsbereiche. Sie beziehen sich auf die Tätigkeit der Vollstrecker und Helfershelfer im Umkreis von Mengele, Capesius, Klein, Moll, Nyiszli, Grabner, Boger, Kaduk, Jurasek, Roland und an-deren, unter ihnen eine große Anzahl von aus Siebenbürgen stammen-den Schergen. Auch die wissenschaftlichen „Nutznießer“ der wahn-witzigen medizinischen Versuche geraten in das Visier der dokumen-tarischen Untersuchungen. Ihre mörderischen Taten und ihre mit „wissenschaftlichem“ Erkenntniswahn vorangetriebenen Experimente werden auf der Grundlage der Zeugenaussagen bestätigt und aus der Sicht des Erzählers erweitert und vertieft. Doch damit nicht genug: Die unerbittliche Suche des Autors nach den Motivlagen und Ant-riebselementen der Mörder gehört zu den besonders hervorzuheben-den Merkmalen der Dokumentation. Sie gipfelt in Tonbandprotokol-len, die er 1978 mit Capesius in Göppingen führte, wo der Auschwit-zapotheker nach dem Krieg wieder eine Apotheke führen durfte, ob-wohl er im Prozess von 1964 zu neun Jahren Gefängnis verurteilt worden war, ohne berufliche Folgen aus seiner mordbeladenen Ver-gangenheit! Ausschnitte aus diesen Gesprächen montiert Schlesak in die Aussagen von Entlastungszeugen und die Fragen der Richter und Verteidiger. Darüber hinaus zitiert er aus Briefen, die Capesius aus dem Gefängnis an seine Frau und seinen Schwager schickte, um seine „Schuldunfähigkeit“, zu der sich wie fast alle anderen Angeklagten mit Vehemenz bekannten, noch einmal „nachzuweisen“. In diesen schriftlichen Dokumenten verdichtet sich auch der Eindruck von ei-nem Todesbürokraten (vgl. dazu auch die Auflistung der Züge und Opferzahlen, S. 149), der „unter der Belastung seines Amtes leiden musste“ und gleichzeitig kaltblütig die Zykon-B-Blechschachteln aus-teilte, dann und wann auf der Rampe stand, um lächelnd – auch auf Ungarisch – Mütter mit ihren Kindern in die Gaskammern schickte. Nachgewiesen durch Zeugenaussagen wurde auch sein Verhalten, als jüdische Deportierte aus seiner Heimat ihn erkannten, ihn begrüßen wollten, er sie jedoch kalt abservierte.
Und im April 1945, als sich Capesius mit dem Rest der Nazischergen aus Auschwitz abgesetzt hatte? Der auktoriale Kommentar hält fest: „Zweimal war Capesius interniert, 1945/46 als Kriegsgefangener bei den Briten im KZ Neuengamme, und, angezeigt von einem ehemali-gen Häftling, im ehemaligen KZ Dachau. Seit 1950 ist er auch der Zentralstelle in Ludwigsburg bekannt, er wird mehrmals wegen Aus-chwitz zu Verhören geholt und von der Polizei befragt. Nein, ver-steckt hat er sich nicht, der Dr. Capesius.“ (S. 169) Eine Spruchkam-mer habe ihn in Stuttgart 1947 für unschuldig und nicht belastet hingestellt, sagte er dem Autor 1978, er sei nicht aktiv in der SS gewesen, er habe immer für das Gesundheitswesen im Deutschen Reich gearbeitet. Und sein schneller wirtschaftlicher Aufstieg nach 1950? Im Auschwitzprozess wurde ihm vorgehalten, er habe mehrere Immobilien erworben, darunter die Marktapotheke in Göppingen, einen Kosmetik-Salon in Reutlingen, eine Eigentumswohnung und eine in der Steiermark gepachtete Jagd. Aufgrund zahlreicher Zeugenaussagen konnte ihm nachgewiesen werden, dass sich der „unschuldige“ Apotheker in unsagbar dreister Weise an den ermordeten Häftlingen in Auschwitz bereicherte, indem er vor allem das Zahngold, das Häftlingsärzte den vergasten Menschen aus den Kiefern herausreißen mussten, regelmäßig „in das Reich“ transportieren ließ. Mit dem Erlös aus dem Zahngold und anderen Wertsachen baute er sich seine Nachkriegs-Existenz auf.
Schlesaks Dokumentation setzt sich auch mit anderen Details der ras-senwahnsinnigen Politik der Nazischergen auseinander. Im Kapitel III zeichnet er unter dem Titel ‚Der deutsche Volkskörper-Wahn und die deutsche Sprache als Heilmittel’ am Beispiel des Hermannstädter Psy-chiaters Dr. Jekelius, der Direktor einer Tötungsklinik im Spiegelgrund war und dort kranke Kinder ermorden ließ, einige Hintergründe für die Realisierung des Euthanasie-Programms der Nazis nach. Jekelius war der Ehemann von Hitlers Schwester Paula. In Jekelius nach-gelassenen Papieren gab es eine Notiz, in der nach dem Willen des übermächtigen Bruders sie ebenso wie die gesamte Familie Hitler un-bekannt bleiben sollte. Hitler habe sich seiner Verwandtschaft, in der der Anteil geistig gestörter Menschen besonders hoch war, geschämt. Im Kapitel IV geht Schlesak dem Komplex ‚Ordnungsliebe und Pflichtbewusstsein’ nach, von dem die Nazimörder – als Teil der Ver-innerlichung der nationalsozialistischen Wahn-Ideologie – geprägt waren. Indem sie sich auf ihr „Pflichtbewusstsein“ beriefen, hätten sie – mit Ausnahme von Dr. Lucas – auch keine Schuld eingestanden. Ein weiterer Aspekt des rassenhygienischen Wahns wird im Kapitel V (Liebe im Todeslager) abgehandelt, die Rolle des nationalsozialisti-schen Wissenschaftsapparats bei der Vernichtung „unwerten“ Lebens unter dem Stichwort ‚Mein Gott, Wissenschaft’ im Kapitel VI thema-tisiert. In diesem Kapitel greift Schlesak nicht nur die Zusammenarbeit zwischen Mengele und Capesius auf, er setzt sich auch mit der Mitschuld einiger jüdischer Ärzte auseinander, die im Dienste des medizinischen Massenmörders Mengele die Experimente mit Zwillin-gen und Liliputanern durchführen mussten. Auch die Nachkriegskar-rieren einiger SS-Ärzte mit Lehrstühlen an westdeutschen Universitä-ten werden erwähnt. Zu den abschließenden erschütternden Dokumenten gehören der Bericht über den Aufstand der Sonderkommandos, die Testamente des Sonderkommandos, das seit Ende 1944 die Krematorien abbauen und vernichten musste, die Bekenntnisse des SS-Manns Roland über die Schaffung einer neuen Religion, die Details über die täglichen Hinrichtungen in Auschwitz an der Jahreswende 1944/45, die Dokumente über die antisemitische Einstellung von hohen Amtsträgern der Evangelischen Landeskirche in Siebenbürgen, Berichte über die Bombardierung von Auschwitz durch alliierte Geschwader im Januar 1945 und das grausame Schicksal der Häftlinge, die vor der Besetzung des Lagers durch die Rote Armee am 27. Januar 1945 unter der Bewachung von SS-Kommandos die Todesmärsche durch Oberschlesien antreten mussten. Und der Chef der kriminellen Auschwitz-Ärzte, ein gewisser Dr. Wirths? Er besaß wenigstens die Courage, sich nach seiner Flucht in den Norden Deutschlands zu erhängen, während ein großer Teil der geflüchteten Auschwitz-Mörder untertauchte.
Schlesaks großes dokumentarisches Werk über den Todesbürokraten Capesius leistet eine Aufklärungsarbeit besonderer Art: sie verwandelt die Fiktion von der Hölle der Massenvernichtung in eine unerbittliche Realität, in der die mündlichen und schriftlichen Beweise der unsag-baren Verbrechen sich zu einer kompakten Aussage über die Shoa verdichten, in der die Befehlsvollstrecker noch einmal vor das Gericht der Opfer gestellt werden, in deren Namen der aus dem siebenbürgi-schen Schäßburg stammende Autor, Jg. 1934, mit seinen nazihörigen Landsleuten unerbittlich abrechnet. Ein mutiges Buch, das in den Ka-non der Auschwitz-Literatur aufgenommen werden sollte, gerade, weil eine solche Form von Dokumentationsroman für nachfolgende Generationen eine lebendige Erinnerungskultur schafft.

Georg Aescht

Von der Familiarität des Bösen

Der Dichter Dieter Schlesak geht den siebenbürgischen Weiterungen von Auschwitz nach und verzichtet auf das Dichten. Dafür lässt er die Menschen reden und mehr sagen, als sie selbst von sich wissen: Cape-sius, der Auschwitzapotheker. Verlag J. H. W. Dietz Nachf., Bonn 2006, 352 S., 29,90 Euro
Jeder, der seinen Beruf ernst nimmt, hat es schwer, auch ein Dichter. Nur hat dieser neben der Herstellung und dem Verkauf seiner Produk-te noch manche zusätzliche Schwierigkeit. Er hat nämlich ein ganz und gar eigenes Material, mit dem er arbeitet, die Sprache, und die ist immer auch die Sprache der anderen. Überdies hat er nicht nur seinen eigenen Kopf und seine eigenen Gedanken bei der Arbeit einzusetzen, sondern auch die Köpfe und Gedanken anderer, die er kennt, von de-nen er gehört oder gelesen hat. Hier ist ein Buch, bei dem man gut daran tut, sich all diese vermeintlichen Selbstverständlichkeiten vor Augen zu halten.
Denn der Dichter Dieter Schlesak ist mit dieser Arbeit, ohne sich zu schonen, an die Grenzen gegangen, an seine Grenzen als Dichter, als deutscher Dichter aus Siebenbürgen. Er hat jahrzehntealtes Wissen mit jahrzehntelangen dokumentarischen Recherchen unterfüttert, hat einen Berg von Material zu einem Buch zusammengetragen – und hat sich schließlich selbst aus dem Buch zurückgezogen, hat darauf verzichtet, die Sammlung ausdrücklich als die seine vorzustellen und zu kommentieren. Er hat sie einfach in ihrer ganzen Ungeheuerlichkeit mithilfe des Bonner Verlags J. H. W. Dietz Nachf. vor den Leser hin-gestellt. Das ist, wie die Dinge nun stehn, keine Nachlässigkeit und kein Versäumnis, es ist vielmehr ein Wagnis.
Der Schäßburger Dieter Schlesak ist der auch in siebenbürgischen Kreisen bekannten, wenngleich nicht oft und nicht gern erörterten Fama des Schäßburger Apothekers Victor Capesius nachgegangen, er hat dessen Tätigkeit im Konzentrationslager Auschwitz zu ergründen versucht und ist dabei auf siebenbürgische Weiterungen, auf ein Ge-flecht von Zusammenhängen bis in den engsten Bekanntenkreis ge-stoßen, das seinen literarischen Gestaltungswillen herausfordern musste. Wodurch sähe sich ein Schriftsteller des ausgehenden 20. und des beginnenden 21. Jahrhunderts auch mehr gefordert als durch die-se ungeheure, ungeheuerliche Episode der Menschheitsgeschichte. Dass aber die Ungeheuerlichkeit nicht nur mit seiner deutsch gepräg-ten Identität und den damit verbundenen Fragen allgemein im Zu-sammenhang steht, dass er sich nicht nur als deutscher Schriftsteller damit auseinandersetzen muss, sondern bei dieser Auseinandersetzung auf Landsleute, ja Bekannte trifft, dass sein Leben mit dem Leben sei-ner „Personen“ in unmittelbarer Verbindung steht, das ist ihm und dem Leser, zumal dem siebenbürgischen, ein intimer Schrecken. Auch dieses „Heimat“ genannte Fleckchen Erde, auch die Menschen, die man seinerzeit „Onkel“ oder „unsere Sachsen“ zu nennen pflegte, auch diese entlegenen Winkel „jenseits der Wälder“ haben also schon vor der Russlanddeportation mitten in der fürchterlichen Zeitgeschichte gestanden? Allerdings.
Wie erzählt man von, wie erinnert man an Menschen, mit denen einen mehr verbindet als der Wille zum Erzählen? Diese Frage haben alle zu beantworten, die eine Lebenserinnerung schreiben. Sie bemühen sich bei der Darstellung ihrer Nächsten um Sachlichkeit, sie trachten um-sichtig nach Objektivität und dem möglichen Maß an Gerechtigkeit, sie versuchen, alle Fragen erst einmal sich selbst zu stellen, um Selbstgerechtigkeit zu vermeiden. Nun schreibt ja aber Schlesak keine Lebenserinnerung, keine Selbstbiografie. Oder doch?
Schwerer noch, er arbeitet an, er arbeitet sich ab an der Selbstbiografie der Siebenbürger Sachsen. Darum auch hat er jahrzehntelang gesucht und versucht, darum stellt er alle Fragen erst einmal sich selbst, geht von sich aus und schont dabei sein Umfeld nicht. Das kann, das will er auch nicht, denn seine Mutter kennt „den Vik“, wie ihn jeder Schäß-burger ihrer Generation gekannt hat und Schlesak ihn „kennenlernt“: „Ich war bei Capesius zu Hause gewesen, beim ‚Vik’, wie meine Mut-ter ihn nannte, in Göppingen war ich zu Besuch gewesen. Und er war froh, einen Landsmann getroffen zu haben.“ Und schon sind wir mit-ten in der siebenbürgische Fatalität.
Was Hannah Arendt als „Banalität des Bösen“ bezeichnet hat, hier wird’s zur transsilvanischen „Familiarität“ des Bösen. Dieser Doktor Capesius war eben „der Vik“, ein Schäßburger wie du und ich. Da gibt es auch noch den Zeidner Arzt Fritz Klein, sogar einen „Rolandonkel“ aus der eigenen Kindheit entdeckt Schlesak unter dem Auschwitzer Personal, besucht ihn in Innsbruck und dokumentiert seine grausame Selbstgefälligkeit. Überdies sind die Wachsoldaten der Waffen-SS zum Teil Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben gewesen. „Landsleute“ … Eines aber kommt hinzu: Viele Opfer sind es eben-falls: „Landsleute“. Mit den massiven „Ungarntransporten“ treffen aus Nordsiebenbürgen, aus den Gegenden um Klausenburg, Großwardein, Bistritz und Neumarkt, Menschen im Lager ein, denen Capesius sei-nerzeit als Vertreter deutscher Pharma-Produkte (IG Farben) begegnet ist, die er besucht hat, denen der Ruch auch seiner Heimat anhaftet – und die an der „Rampe“ „selektiert“ und in den Tod geschickt werden, unter Umständen von Capesius oder Klein selbst.
Siebenbürgen ist nicht die begütigend hinterwäldlerische Provinz, taugt nicht mehr als Quell nostalgischer Empfindungen oder verson-nener Überlegungen, durch Auschwitz wird es in den bösartigen, un-menschlichen Mittelpunkt des Weltgeschehens gerissen. Hier, wo der Abgrund sich auftut, erscheint der Begriff Heimat aufs grausamste pervertiert. Im Angesicht dieser Perversion zieht sich der Dichter Die-ter Schlesak zurück, verzichtet weitgehend auf seine literarisch-sprachliche Kreativität, versagt sich die poetische Selbstaussage und genügt nur noch der selbstauferlegten Chronistenpflicht. Das Entset-zen ist nicht darstellbar, ist schriftstellerisch nicht fassbar, die literari-sche Sprache versagt. Die Beteiligten selbst müssen reden, und der Schriftsteller muss sich mit dem Verdienst begnügen, dass er sie zum Reden gebracht hat und so zitiert, dass ihre Sprache, ihre Art zu spre-chen mehr über sie aussagt, als sie selbst von sich wissen.
Schlesak lässt sie reden, über andere, über sich. Man lese und fröstele. Etwa Capesius über seinen Chef Mengele: „Mengele war 174 cm groß, hatte eine kurze gerade Nase, Sommersprossen und einen stechenden Blick. Die Augen dunkelbraun, der Haarscheitel links. Mengele hatte eine mittlere Statur, drahtig, sportlich, und erinnerte wohl an seine Zigeunervorfahren aus der Zeit wahrscheinlich, als die Mengelewerke noch eine Schmiede waren. Mengele war ein Gerechtigkeitsfanatiker und sehr impulsiv.“ Oder „Rolandonkel“ über sich: „Einerseits bin ich sensibel, andererseits habe ich gerade dort festgestellt, dass ich robuster bin als die so genannten Robusten.“ Und über Fritz Klein: „Wenn du den Klein gekannt hättest, natürlich auch Siebenbürger. Bei dem war Mensch Mensch. Er hat sich hingesetzt mit den jüdischen Häftlingen und hat mit ihnen Kaffee getrunken. Arrest hat er dafür bekommen. Nicht wahr. Er war ein Mensch. Er war die Güte selber. Er hat nur helfen wollen.“ Diesen Klein wiederum zitiert Capesius mit dessen Interpretation des hippokratischen Eides: „Aus Achtung vor dem menschlichen Leben schneide ich einen vereiterten Blinddarm heraus, die Juden sind der vereiterte Blinddarm Europas.“ Hier ist sie, die „Banalität“, die trügerisch glatte Oberfläche bedenkenloser Unmenschlichkeit.
Selbst die schwächste Spur von moralischer Einsicht wird ordinär schnippisch verdrängt, wenn Capesius während seines Prozesses sei-nen Schwager, der ihn in einem Brief als vor den Menschen schuldig, aber vor Gott unschuldig bezeichnet hat, ermahnt, nichts dergleichen mehr zu schreiben, weil die „Censores“ „daraus entnehmen könnten, dass die nächsten Verwandten an meiner Unschuld vor den Menschen zweifeln, die Unschuld aber vor Gott ist bei den Gerichten höchst un-wichtig. Ich bitte also … um nüchterne oder schwärmerische Briefe, die sich weder mit mir noch mit meiner Familie beschäftigen“. Oder wenn Roland Menschlichkeit beschwört, die in Auschwitz auch statt-gefunden habe, ja sogar erwägt, etwas darüber zu schreiben. Schließ-lich schreibt Dr. Wirths, zwar kein Sachse, aber ein Hauptakteur me-dizinisch kaschierter Verbrechen in Auschwitz, aus der Gefangen-schaft vor seinem Gespräch mit englischen Behörden an seine Frau über seine Befürchtungen, ob denn jene seiner eigenen moralischen Größe gewachsen seien: „Trotz des besten Gewissens ist es halt doch ein schwerer Schritt, da sich kaum absehen lässt, wie weit die andere Seite Verständnis für die Schwere meiner Aufgabe aufbringen wird. Ob sie verstehen kann, wie schwer dieser harte Zwang dabei auf mir lastete.“
Es musste ein Dichter sein, der diese indirekten Offenbarungseide, diese selbstvernichtenden Aussagen dokumentiert. Ein Dichter nur vermag in einem Buch den Raum zu schaffen, in dem diese Aussagen so hallen, dass man auch ihren Widerhall vernimmt: Alles, was diese Menschen sagen, kann, muss gegen sie verwendet werden. Das ist al-lerdings nur die eine, gewissermaßen anekdotische, siebenbürgische Dimension des Buches. Dieter Schlesak hat seine Aufgabe viel weiter gefasst, er hat aus der umfangreichen Materialsammlung ein Bild zu-sammengestellt, das den Abgrund Auschwitz zwar nicht erfasst, aber den mörderischen Wahn, der dort Wirklichkeit wurde, spüren lässt. Wieder ist es die Sprache, die Aus-Sage der Zeitzeugen, über die er zu vermitteln versteht, dass nicht zu sagen ist, was dort geschah. Man kann allerdings bei aller sprachlichen Ohnmacht eine Ahnung davon bekommen, wenn man den Sätzen nachhorcht, wenn man versucht zu ermessen, wieviel Ungesagtes darin mitklingt.
Schlesaks Kronzeuge Adam beispielsweise berichtet darüber, wie er und ein Leidensgenosse, die tagsüber Stubendienst hatten, abends die grausamen, doch mit befremdlicher Sachlichkeit referierten Gescheh-nisse des Tages von ihren Mithäftlingen erfuhren: „Shlomo und ich saßen meist zusammen, und wir redeten noch nachher darüber, konn-ten uns nicht beruhigen, denn es war erstaunlich, wie unsere Leidens-genossen das berichteten, sie wirkten müde und abgestumpft, ihre Stimme klang wie die von Automaten, wenn sie über Schreie, über Szenen, die niemand glauben konnte, der nicht dort gewesen war, be-richteten …“ Die Häftlingsärztin Dr. Böhm formuliert das Unsagbare so: „Und das Leben ging weiter, immer weiter. Auch in Auschwitz. Und das war eben so, dass durch nichts auch nur im geringsten der Alltag gestört, gar eine Augenöffnung oder eine seelische Verände-rung eintrat, obwohl die Geschehnisse so furchtbar waren, dass sie nicht zur normalen Wahrnehmung passen konnten.“
Die Zitate mögen täuschen. Das Buch besteht nicht aus nachgetrage-nen Nachdenklichkeiten, nicht aus Reflexion der Reflexion, sondern es ist gefüllt mit furchtbarer historischer Wirklichkeit, mit Berichten und Geschichten vom Leben zum Tode. Etwa über die Unterschiede zwischen dem schwarzen Rauch, der bei der Verbrennung der „Unto-ten“, der abgezehrten „Muselmänner“, aufstieg, und den „hellauf“ lo-dernden Flammen, in denen die „frischen ‚cugangi’ (Zugänge) mit ih-rem frischen Fett“ aufgingen. Oder über die Kinder im Zigeunerlager, die jene Selektion nachspielten, die sie an der Rampe erlebt und ein-stweilen überlebt hatten. Oder über den abgründigen Zynismus, mit dem den mehr oder minder ahnungslosen Verdammten auf dem Weg in die Gaskammer eingeschärft wurde, sich die Nummern zu merken, unter der sie ihre Kleider abgegeben hatten, für nachher.
Sich selbst nimmt Schlesak nicht aus von der hochnotpeinlichen Be-fragung: „‚Gnade der späten Geburt’ und so nicht schuldig geworden, nur deshalb nicht schuldig geworden, weil ich acht Jahre jünger war als der jüngste Eingezogene??“ Damit bezieht er auch jeden Leser ein, der sich, ob siebenbürgisch oder nicht, zugehörig fühlt. Auch wer sich so nicht fühlt, wird nach der Lektüre dieses Buches etwas von der Zwangszugehörigkeit begreifen, die allen Über- und Nachlebenden auferlegt ist und die nicht aufgearbeitet, nicht bewältigt, nur gelebt werden kann.

Zoltán Tibori Szabó

Mit Dieter Schlesak auf den Spuren menschlicher
Würde
Dieses Buch, das der verehrte Leser in Händen hält, ist herzzerreißend und atemberaubend. Es verursacht Kopfschmerzen, Schwindelgefühl und Übelkeit. Und denen, die sich tiefer greifende Gedanken über das Berichtete machen oder sich gar in die Geschichten, von denen sie le-sen, hineinversetzen, bereitet es schlaflose Nächte. Daher stehen be-reits von Beginn die Fragen im Raum: Kann man, ja darf man eine Lektüre solcher Natur überhaupt weiterempfehlen? Hat es einen Nut-zen, dieses Buch zu lesen? Weiß man mit solch grausamen Eindrücken umzugehen? Meine Antwort auf diese Fragen ist eindeutig: Man muss. Die aufeinander folgenden Generationen stellen sich selbst eine riesige Falle, wenn sie sich nicht mit dem Geschehenen konfrontieren und somit gleichzeitig eine Tatsache aus dem Auge verlieren: Die Menschheit ist bedauerlicherweise dazu veranlagt, ihre Gräueltaten zu wiederholen.
Gewiss stellte sich der siebenbürgisch-sächsische Schriftsteller Dieter Schlesak eben diese Fragen, als er seinen Dokumentarroman verfasste. Ich halte das Werk für einen Dokumentarroman, da dieser Band nahe-zu ausschließlich aus Dokumenten und Zeugenaussagen besteht, ja ei-ne Art Collage aus diesen bildet und somit auf die Fiktion als ein grundlegendes Mittel des Romans verzichtet. Dies ist auch nicht nö-tig, denn jene Wahrheit, die im Roman dargestellt wird, ist hundert-mal, tausendmal, ja, millionenmal erschütternder als alles andere, was sich ein Mensch vorstellen kann.
Die Geschichte handelt von Victor Capesius, einem Schäßburger Apo-theker, der 1907 im siebenbürgischen Reußmarkt geboren und 1985 im westdeutschen Göppingen gestorben ist. Die Mittelschule besuchte er in Hermannstadt und Schäßburg, wo er 1925 sein Abitur machte, um schließlich in Klausenburg Pharmakologie zu studieren. Nach dem Abschluss seiner Studien 1931 leistete er ein Jahr lang Wehrdienst bei der rumänischen Armee (mit dem Dienstgrad eines Leutnants, der denjenigen zugesprochen wurde, die ihre Studienjahre bereits absol-viert hatten), doch nach einigen Wochen wurde er beurlaubt, um seine Studien zwischen 1931 und 1933 an der Universität in Wien fortzuset-zen. Er erlangte 1933 seinen Doktortitel und war bis 1943 Vertreter der deutschen Pharmakonzerne Bayer Werke Leverkusen und IG Far-ben in den Apotheken Siebenbürgens und der Walachei (vornehmlich in Bukarest). Er heiratete seine aus Wien stammende ehemalige Kol-legin. Seine Frau, Dr. Friderike Capesius, die halb jüdischer Abstam-mung war, zog nach Schäßburg, wo sie auch nach 1945 blieb, bis sie aus Gründen der Familienzusammenführung nach Westdeutschland zog.
1941 wurde Capesius von der rumänischen Armee mobilisiert. Man schickte ihn nach Cernavodă, wo er ein halbes Jahr lang die Apotheke des Soldaten-Krankenhauses leitete. Im Januar 1942 wurde er zum Hauptmann befördert und vom Wehrdienst freigestellt, doch ander-thalb Jahre später, im August 1943, wurde er erneut einberufen. Im Sinne des deutsch-rumänischen Abkommens musste er dieses Mal als siebenbürger Sachse zur Waffen-SS. Er wurde nach einer kurzen Aus-bildung in den Rang des Hauptsturmführers erhoben und in die War-schauer Außenstelle des Zentralsanitätslagers des Dritten Reiches ein-geteilt. Von hier kam er nach Auschwitz, wo er (ab November 1944 als Sturmbannführer) bis zur Räumung des Konzentrationslagers im Januar 1945 Leiter der SS-Apotheke und Mitglied der SS-Sondereinheit war.
In Auschwitz erwies er sich als einer der raffiniertesten Mörder, der die Juden und diejenigen, die für Juden gehalten wurden, und unter denen sich zahlreiche seiner ehemaligen Kunden und deren Familien befanden, aus den anrollenden Zügen über die berüchtigte Birkenauer Rampe lächelnd in ihren grausamen Tod in der Gaskammer schickte. „In einer Stunde seht ihr euch wieder“, beteuerte er den zu Tode ver-ängstigten Deportierten, wie später mehrere Überlebende einstimmig berichteten. Es gibt viele Anzeichen dafür, dass Bereicherung seine Motivation ausmachte, da die Goldzähne, Kronen und Prothesen, die von einer Sondereinheit für schmutzige Arbeit in den Gaskammern und Krematorien teilweise noch mit Fetzen des Zahnfleisches aus den Mündern der Opfer ausgerissen wurden, allesamt bei ihm landeten.
Capesius nahm damals als Herrscher über Leben und Tod an den Se-lektionen auf der Rampe teil, und es kam nicht selten vor, dass er selbst die Zyklon B genannte tödliche Chemikalie, die unter seiner strengen Aufsicht lag, in die eigens für diesen Zweck errichteten Öff-nungen der Gaskammern schüttete.
Unser Apotheker schaffte es, im Januar 1945 nach Berlin zu gelangen, von wo er in Gesellschaft anderer Nazi-Führer nach Schleswig-Holstein flüchtete. Dort wurde er von den Engländern gefangen ge-nommen, doch bereits im Mai 1946 kam er frei und ließ sich in Stutt-gart nieder. Noch im Sommer desselben Jahres erkannte ihn in Mün-chen ein ehemaliger Gefangener aus Auschwitz. Diesmal wurde er von der amerikanischen Militärpolizei verhaftet, doch da die Untersu-chungen gegen ihn keine Ergebnisse brachten, wurde er am 2. August 1947 von einem Gericht, das die Fälle der Internierten bearbeitete, freigesprochen und kam erneut auf freien Fuß.
In den folgenden Jahren lebte und arbeitete er unter seinem eigenen Namen in einem Stuttgarter Pharmakonzern, und im Jahr 1950 eröff-nete er in Göppingen seine eigene Apotheke, wenig später seinen Kosmetiksalon in Reutlingen. 1958 hatte er bereits einen Umsatz von 400.000 Mark, der selbst inmitten des damaligen Wirtschaftswunders als außerordentlich galt. Er konnte nie über seine plötzliche Bereiche-rung Rechenschaft ablegen. Die Überlebenden erklärten sich dies mit der Tatsache, dass er es war, der die Koffer aus Auschwitz, gefüllt mit vergoldeten Gebissen und stinkend von den faulenden Zahnfleischfet-zen, an sich genommen hatte.
Capesius wurde 1959 nach einer erneuten Anzeige auf Befehl zweier junger Richter – Fritz Vogel und Joachim Kügler – verhaftet. Ihm wurde die Mittäterschaft im gemeinschaftlichen Mord vorgeworfen, woraufhin er untersucht und vor Gericht gestellt wurde und 1965 in Frankfurt am Main im so genannten Auschwitz-Prozess zu neun Jah-ren Haft verurteilt wurde. Mit seinen zwei Verteidigern – Hans La-ternser und Fritz Steinacker – stand er selbst im Gefängnis in ständiger Korrespondenz, um Zeugen zu suchen, die seiner Freilassung dienen könnten.
Die ungarischen Leser Siebenbürgens konnten bereits dem Buch Dániel Löwys über die Tragödie der Klausenburger Juden entneh-men, dass Capesius alle Anschuldigungen im Fall gegen ihn abstritt. Er behauptete, dass seine Aufgabe lediglich darin bestanden hätte, die Arzneimittel aus den Gepäckstücken der Deportierten zu nehmen. Nur aus diesem Grund habe er sich auf der Rampe aufgehalten, doch an den Selektionen habe er nicht teilgenommen. Heute ist bereits be-kannt, dass alle Deportierten ihr Gepäck in den Zügen zurücklassen mussten, dessen Durchsuchung das so genannte Kanada-Kommando durchführte, doch nicht auf der Rampe, sondern in den eigens für die-sen Zweck eingerichteten Lagerhallen. Am 112. Tag der Frankfurter Verhandlung war Pál Pajor, ein Apotheker aus Großwardein, der ebenfalls von Victor Capesius auf der Rampe selektiert worden war, als Kronzeuge geladen. Er schickte Pajor nach rechts, seine Frau und sein dreizehnjähriges Mädchen nach links – in den Tod . Die Zeu-genaussage Pál Pajors wurde am 17. November 1965 in voller Länge von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung gedruckt:
[FAZ Zitat vom 17. November 1965 vielleicht hat es Herr schle-sak???...]
Nach seiner Verurteilung kam Capesius jedoch auf freien Fuß, da ihm – obgleich der Bundesgerichtshof die Verurteilung erster Instanz statt-gab – die Jahre der vorangehenden Internierungen und der Untersu-chungshaft abgezogen wurden. Die siebenbürgische Justiz kam dem Apotheker aus Auschwitz jedoch nie auf die Spur. Nach dem Krieg sah sich das Klausenburger Volksgericht gezwungen, ihn trotz seiner Abwesenheit – in absentia („in contumaciam“ – so das Gericht) zur Todesstrafe zu verurteilen. Selbstverständlich bot sich nie eine Gele-genheit zur Vollstreckung der Strafe. Diese Tatsache hatten die Nazis aus Siebenbürgen und Ungarn in hohem Maße dem baldigen Einbruch des Kalten Krieges zu verdanken.
Capesius starb am 20. März 1985 als freier und wohlhabender Mann in Göppingen.
Es bleibt Dieter Schlesaks ewiges Verdienst, dass er Jahrzehnte inten-siver Arbeit damit verbrachte, Zeitzeugen zu suchen, für die Dr. Josef Mengele und Dr. Victor Capesius nicht bloß zwei Namen unter vielen bedeuteten, sondern die Nacht für Nacht die Hauptrolle ihrer Alb-träume gespielt hatten. Schlesak ließ sie zu Wort kommen, um ihre Erinnerungen schließlich mit den zahlreichen Dokumenten aus priva-ten und öffentlichen Archiven zu vergleichen.
Was die Aufdeckung der Fakten betrifft, so hat der Verfasser hervor-ragende Arbeit geleistet. Er gab den Ergebnissen seiner Recherchen eine Form, die den Leser geradezu zwingt, sich seine Meinung ledig-lich aus den zu Papier gebrachten Zeugenaussagen und den erschlos-senen Dokumenten zu bilden. Die Gleichmütigkeit, mit der Schlesak eine eigene Wertung der Dinge umgeht, mag erbarmungslos erschei-nen, wobei es eben diese Methode ist, mit deren Hilfe er seinen Leser zu einer vollkommenen und allgemeingültigen Selbstreflexion führen möchte. Er bringt ihn dazu, das Geschehene zu durchdenken, sich den Tatsachen zu stellen, um aus diesen jene wichtigen Schlüsse zu ziehen, die auf der Hand liegen.
In diesem Band reihen sich erschütternde Szenen und Geschichten aneinander, die einem die Rede verschlagen. Durch die Lektüre be-greift der Leser, welch gewaltige Gefahr mit dem Verschwinden der Überlebenden und Zeitzeugen auf uns alle lauert, denn ohne ihre Zeu-genaussagen bleiben Auschwitz, Birkenau, Monowitz, Dachau, Ber-gen-Belsen, Sobibor, Theresienstadt, Buchenwald und die anderen Todeslager und die vom Tod oftmals heimgesuchten Arbeitslager le-diglich Ortsnamen, in denen womöglich – so wird die heutige und nächste Generation noch im glücklichen Fall darüber denken – einst grausame Taten vollzogen wurden. Aber auch die nicht viel aussagen-den Zahlen – bedenke man, dass die Grausamkeiten des Holocaust durch den Mangel an persönlichen Zeugenaussagen zu trockenen Sta-tistiken schrumpfen können – bergen die Gefahr, zur gleichgültigen Waage solch abstrakter und ferner Geschichten zu werden, deren Hin-terfragung oder Widerlegung keine größeren Schwierigkeiten mehr bereiten wird (6.000.000 ermordete Juden, 600.000 ungarische Juden, darunter 130.000 siebenbürgische Opfer).
Die Tatsache, dass die Generationen des 21. Jahrhunderts, die vor un-seren Augen aufgewachsen sind, den Holocaust hinterfragen und sich freiwillig neonazistischen Organisationen anschließen, unterstreicht die Aktualität dieses Werkes.
Und so empfehle ich Dieter Schlesaks Buch in erster Linie jungen Le-sern, in deren Reihen ich sowohl als Journalist als auch als Pädagoge oftmals eine besorgniserregende Unwissenheit feststelle. Der Grund dafür liegt größtenteils im hiesigen unsensiblen Schulwesen dem Thema gegenüber. Doch auch der Verantwortung der Eltern und Großeltern ist dies zu verdanken, deren Standpunkt generell wie folgt lautet: Worüber wir nicht sprechen, das ist auch nicht passiert. Es ist wesentlich leichter, das Geschehene unter den Teppich zu kehren, als offen über die Schattenseiten und Verbrechen der Vergangenheit zu sprechen. In Bezug auf den Holocaust ist diese Haltung im Laufe der letzten Jahrzehnte – aus vielerlei Gründen – in ein „großes Schweigen“ ausgeartet, das die heutigen Juden und Christen in fast gleichem Maße betrifft. Dieter Schlesak schlägt mit seinem Buch gegen eben diese Mauern des „großen Schweigens“, und das auf die effizienteste Art und Weise: mit den teils in Einklang ertönenden, teils wider-sprüchlichen, in jedem Fall aber das Schweigen brechenden Aussagen der Henker und ihrer Opfer – mit der Dokumentation des Geschehe-nen.
Dieter Schlesak lehrt uns die Art, mit der wir der Vergangenheit ins Gesicht schauen sollten. Gewiss hat es der Verfasser etwas leichter als wir, da der Prozess des mündlichen Aufarbeitens in Deutschland be-reits vor Jahrzehnten begonnen und sich als viel effizienter und ergeb-nisreicher erwiesen hat als der rumänische oder ungarische. Und doch ist es die Katharsis, die dieses mutige Buch so wirkungsvoll machte, als es vor zwei Jahren unter den deutschen Lesern bekannt wurde, ei-nerseits, weil es das Gedächtnis der noch lebenden Zeitzeugen er-schütterte, andererseits, weil es durch die Vermittlung der nackten Tatsachen bereits unter mehreren Generationen zur Reflexion, zum Aufarbeiten der Traumata und folglich auch zur aufrichtigen Reue und seelischen Hygiene beitrug.
Wir können die unmenschlichen Regime des letzten Jahrhunderts nicht verstehen oder uns vorbehaltlos dem Gedankenkreis von Schuld und Sühne widmen, ohne ebendiesen Fakten in die Augen zu schauen. Was meine ich damit? Es ist eine Tatsache, dass die Generation unse-rer Großeltern (im Falle der jüngeren Leser sind es bereits die Genera-tionen der Ur- und Ururgroßväter) ihren Teil zur Ausrottung der Juden in den 1940ern beigetragen hat – angefangen vom geglückten Ver-such, das Judentum des Szeklerlandes bereits vom Herbst 1940 an über die Grenzen abzuschieben, bis einschließlich der allgemeinen Deportationen, die im Frühling 1944 durchgeführt wurden. Tatsache ist auch, dass ihre Generation keinen Protest gegen die reihenweise er-lassenen Judengesetze erhob, durch die der Jude schließlich zum Staatsbürger zweiten Ranges erklärt und an den Rand der Gesellschaft gedrängt wurde. Unsere Großväter glaubten – weil sie ihm glauben wollten – dem Horthy-Regime, dass ihr Leben sich bessern würde, wenn sie zwischen 1941 und 1942 die Juden mit „ungeregelter Staats-bürgerschaft“ aus Ungarn und dem gesamten Gebiet Siebenbürgens versammelten und sie über die Grenze, in die heutige Ukraine warfen (wo die Deutschen und ihre ukrainischen Gehilfen etwa 16.000 De-portierte in Massengräber schossen). Unsere Großväter waren anwe-send auf den Kriegsfeldern der Ukraine, auf denen die ungarische Armee die Juden aus den Arbeitslagern als lebendiges Minenfleisch benutzte, auf denen sie statt Tieren Juden vor die Wägen spannte, die mit militärisch-technischer Ware beladen waren (denn Juden galten nicht als Menschen), und auf denen unter den Gejagten ebenfalls Tau-sende starben. Und es war auch die Generation unserer Großeltern, die 1944 nach Áron Mártons beispielloser Rede in Klausenburg stumm blieb, dagegen aber in der Meuterei der siebenbürgischen Juden teil-nahm und Beihilfe leistete, als sie zusammengetrieben und ins Ghetto gesperrt wurden.
Wir wissen natürlich, dass es auch Menschen gab, die den ungarischen Juden zu helfen versuchten, als sie aus dem Körper der Nation getrie-ben wurden, doch ihre Zahl hat sich als schmerzhaft gering erwiesen. Wir wissen auch, dass nach dem Krieg Tausende ungarischer Soldaten und Zivilisten in den Lagern der Sowjetunion die Hölle durchmachten. Doch wir können uns nicht hinter den Tatsachen verstecken und in keiner Sekunde vergessen, dass die meisten, die an diesem Völkermord teilnahmen, ungestraft oder mit einer zu vernachlässigenden Strafe davonkamen und sorgenlos unter uns weiterlebten und fleißig daran waren, ihre grausamen Sünden für immer im Dunkeln zu behalten – wie uns das Beispiel von Victor Capesius zeigt.
Nur um Missverständnisse zu vermeiden: Es geht hier nicht um Kol-lektivverbrechen, das haben auch die Juden, die am Leben geblieben sind, noch vor Beginn der Prozesse nach dem Krieg betont. Es kann jedoch von einer Art Kollektivverantwortung gesprochen werden, die durch die Geschehnisse auf uns allen lastet. Aufgrund dessen muss man eindeutig klarstellen, dass: 1. die Mörder und die Opfer keines-falls verwechselt werden können, ja dürfen; 2. diejenigen, die dies tun, zu Komplizen werden; 3. das Ziel eines Komplizen es ist, das Walten der Justiz zu verhindern, die Wahrheit zu vertuschen und sie zu leug-nen oder ihre Leugnung zu propagieren; 4. wir den für uns allzu schmerzlichen und unangenehmen Tatsachen der Vergangenheit ins Auge schauen müssen, um zu vermeiden, dass sich die Geschichte wiederholt; 5. es unsere Pflicht ist, im Namen unserer Vorfahren die Opfer um Verzeihung zu bitten und sie für jegliche Verluste zu ent-schädigen.
Unter denen, die an den Gräueltaten des Dritten Reiches mitwirkten, hat Dieter Schlesak zudem eine Gruppe identifiziert, deren Rolle – auf den ersten Blick – noch schwerer zu interpretieren ist als die der Hen-ker und deren todgeweihten Opfer. Es sind die deportierten Juden, von denen die SS in den Gaskammern und Krematorien von Auschwitz unbegreifliche Arbeiten verrichten ließ. Als Mitglieder eines siebenhundert- bis tausendköpfigen Sonderkommandos wurden sie von ihren Mördern nach drei, vier Wochen ebenfalls in den Tod geschickt (nach Zeugenaussagen wurden insgesamt zwölf solcher Sonderkommandos im Schatten der Gaskammern ausgewechselt), um so die Zahl der Zeugen möglichst auf Null zu reduzieren. Doch einige überlebten die schrecklichen Taten, unter ihnen auch solche, die im Warten auf den Tod Tagebücher führten, diese im Boden des Lagers von Auschwitz vergruben und nach dem Krieg vor verschiedenen Gerichten Zeugenaussagen über ihr furchtbares Schicksal und die Grausamkeiten machten, die sie durchlebt hatten. Die Aufgabe des Sonderkommandos war es, den zu einem Berg erstarrten Massen von Toten die Haare zu rasieren, ihnen die Goldzähne auszureißen, sie ins Krematorium oder auf den Scheiterhaufen zu schleppen, sie zu verbrennen und die Asche verschwinden zu lassen. Eine andere Truppe, das Kanada-Kommando, durchsuchte währenddessen die Kleider und Gepäckstücke der Vernichteten. In erster Linie wurde nach Gold, Edelsteinen, Geld, Wertpapieren und anderen Wertgegenständen gesucht, doch sortiert wurden auch die anderen besitzerlos gebliebenen Sachen: Kleider, Erinnerungsstücke, Dokumente, Fotos, Brillen usw. – alles für die weitere Verwertung.
Es sind nicht wenige, die behaupten, dass diese zwei Gruppen die Be-fehle der SS ausführten und größtenteils aus Juden bestanden, die letztendlich selbst dazu beitrugen, ihre Glaubensgefährten auszurauben, zu ermorden, sie zu verbrennen und ihre Asche verschwinden zu lassen. Man darf diese Menschen jedoch nie mit den SS-Mördern vergleichen, denn was sie taten, taten sie nicht aus freier Entscheidung, sondern als Menschen, die seelisch und körperlich gebrochen und völlig unfähig geworden waren, sich den Befehlen zu widersetzen. Im übrigen zählten zum Sonderkommando außer den Ju-den noch deutsche, polnische und russische Mitglieder. Die Tatsache, dass die Juden dennoch in der Überzahl waren, ist in erster Linie damit zu erklären, dass die Gefangenschaft des Todeslagers nach 1943 zu 90-95 % aus Juden bestand und dass die Deutschen um jeden Preis beweisen wollten, dass das Judentum eine vollkommen verdorbene, niedere Rasse sei, die man selbst zur Vernichtung ihrer Selbst anstiften könne. Die Untersuchung dieses teuflischen Werks führte der italienische Jude Primo Levi ein Jahr vor seinem Selbstmord in seinem erschienenen Buch meisterhaft durch. Seine Feststellungen haben noch heute ihre Gültigkeit.
Das Beispiel des auch von Schlesak zitierten Kanada-Kommando-Mitglieds Tadeusz Borowski ist in diesem Zusammenhang sehr auf-schlussreich. Nachdem er nach Kriegsende seine schrecklichen Erleb-nisse zu Papier gebracht hatte, setzte er seinem Leben, das er für nicht mehr lebenswert gehalten hatte, im Alter von kaum 29 Jahren eigenhändig ein Ende, in erster Linie aus dem Grund, da die im To-deslager Auschwitz verlorene Würde unwiderruflich verschwunden zu sein schien. Mit dieser Erkenntnis sahen sich nicht nur die Mitglieder der Sonderkommandos konfrontiert: all die Gefangenen, die sich nach allem Durchlebten nicht in Schweigen hüllten, sondern sich einer tief-greifenden Selbstanalyse unterzogen. Es ist wohl kaum ein Zufall, dass Jean Améry, Bruno Bettelheim, Paul Celan, Jerzy Kosinski, Pri-mo Levi und andere, die das Grauen der Todeslager ebenfalls überlebt und sich ihre höllischen Erinnerungen von der Seele geschrieben hatten, auch Selbstmord begangen haben, da sie den gewählten Tod als einzige Medizin auf ihre unheilbaren Wunden und als einzigen Ausweg aus der Falle ihrer Qualen sahen.
Es ist zudem kein Wunder, dass die Identität einiger Überlebenden in weit größerem Maße von den erlebten Traumata und von den sich hie-raus ergebenden Schicksalsgemeinschaften geprägt wurde als von ihrer jüdischen Herkunft. Im Falle Amérys ist dies zweifellos der Fall, da ihn – war er doch ein vollkommen assimilierter, deutschsprachiger österreichischer Jude – nicht besonders viel an das Judentum band. (Eine ähnliche Identität besaß im Übrigen auch ein wesentlicher Teil des ungarischen und nordsiebenbürgischen Judentums, dessen Mut-tersprache und muttersprachlicher Kulturkreis es eng mit dem Ungarn-tum verband.) Eben dadurch wurde Auschwitz für ihn zum Origo: Dort hatte alles seinen Ursprung und dorthin konnte alles zurückge-führt werden – einschließlich des Judentums. Dieser Gedankengang führte ihn zur letzten niederschmetternden Erkenntnis: „Ich trage auf meinem linken Unterarm die Auschwitz-Nummer; die liest sich kürzer als der Pentateuch oder der Talmud und gibt doch gründlicher Aus-kunft. Sie ist auch verbindlicher als Grundformel der jüdischen Exis-tenz. Wenn ich mir und der Welt, einschließlich der religiösen und na-tionalgesinnten Juden, die mich nicht als einen der Ihren ansehen, sa-ge: ich bin Jude, dann meine ich damit die in der Auschwitznummer zusammengefassten Wirklichkeiten und Möglichkeiten.“
Das jüdische Lebensgefühl nach dem Holocaust war also in hohem Maße von Erfahrungen geprägt, die im Zeitalter der Nürnberger Ge-setze als „Entwürdigung“ bezeichnet wurden. Die Nazis raubten den Juden auch den letzten Rest ihrer menschlichen Würde, und dies taten sie geplant und mit allen Methoden psychischen und physischen Ter-rors. Das Hauptziel war es, die Juden vollkommen zunichte zu machen und ihnen zu verstehen zu geben: Sie seien weder der Liebe noch des Lebens würdig, und ihr einziges Recht und auch ihre Pflicht sei es, aus der Welt zu verschwinden. Nach dem Krieg zeigte sich, dass das Wiedererlangen der verlorenen Würde bei weitem nicht einfach, in vielen Fällen gar unmöglich ist – eben dies wird auch am Beispiel der genannten Denker deutlich.
Auch in dieser Hinsicht ist Dieter Schlesaks Werk von außerordentli-cher Wichtigkeit, da diese Zeugenaussagen und Dokumente im Zu-sammenhang mit dem Kampf um das Wiedererlangen der Würde eine feine Parallele zu den todgeweihten Opfern und ihren Henkern zieht. Seine Arbeit veranschaulicht ausgezeichnet das erbärmliche Streben, mit dem Victor Capesius sein Zeugnis rechtfertigt und somit letztend-lich nur versucht, die letzten Scherben seiner eigenen Würde zu retten. Diese Parallele erweist sich als äußerst beeindruckendes Mittel des Autors, mit dessen Hilfe der Leser sofort einsieht, wer Opfer und wer Täter ist und somit diese zwei Rollen hoffentlich nie wieder durchei-nanderbringt.




QUELLENNACHWEISE

I
Joachim Wittstock, Im Oberland von Camaiore. Nachdruck der stellenweise leicht gekürzten Texte mit freundlicher Genehmigung des Autors aus: Joachim Wittstock, Keulemann und schlafende Muse. Erfahrungsschritte. Hermannstadt/Sibiu, hora Verlag 2005, S. 133-172
Reiner Wochele, Literarischer Mönch, in: Stuttgarter Zeitung, 20.09.2005
Lerke von Saalfeld, Poeta doctus. Preisrede 2007, unveröffentlicht.
Werner Söllner, Dieter Schlesak in: Kritisches Lexikon der deutschen Gegenwartsliteratur, 32. Nlg., 1989. .
Edith Konradt, Dieter Schlesaks Grenzgänge, Lexikon der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur seit 1945. Neu herausgegeben von Thomas Kraft. München: Nymphenburger, 2003. S. 1110–1112
Maria Irod, Dieter Schlesaks „Zwischenschaft“, unveröffentlicht

II
Oliver Sill, Reisen Wegwohin, Richard Wagner, Herta Müller, Dieter Schlesak, in: Studien zu Ost-West-Wanderungen im 20. Jahrhundert. Hrsg. Georg Weber, Westdeutscher Verlag, Wiesbaden 2003, S. 863-892
Edith Konradt, Die sprachgewordene Vernichtung. Zu Dieter Schlesaks Roman, Vaterlandstage und die Kunst des Verschwindens, in: "... auch vor dem, was war, fürchte man sich": Die Auseinandersetzung mit dem Dritten Reich in drei ausgewählten Romanen von Dieter Schlesak, Hans Bergel und Eginald Schlattner. Deutsche Literatur in Rumänien und das „Dritte Reich“. Vereinnahmung – Verstrickung – Ausgrenzung. Hrsg. von Michael Markel und Peter Motzan. München: IKGS Verlag, 2003. S. 269–297

III
George Guţu Laudatio Domini Dieter Schlesak, Auf der Suche nach der Heimkehr, Preisrede am 11.11. 2005 bei der Verleihng des Dr.h.c. der Universität Bukarest.
Alina Oancea, Heimkehr, in: Rumäniendeutsche Gegenwartsliteratur am Beispiel von Dieter Schlesaks Prosawerk (Dissertation, Udine, 2004), Heimkehr, S. 53-60
Lothar Baier, Die gebrochene Übereinkunft; Süddeutsche Zeitung Nr. 296, 24. – 26. Dez. 1991
Alina Oancea: Das weiße Blatt, a.a.O. S. 82-99; Das Exil, S. 16-42

IV
Marian Victor Buciu, Die Welt als Text in Zeiten von Diktatur und Exil. Übersetzt aus dem Rumänischen, gekürzt und überarbeitet von Dieter Schlesak. Originalfassung: Marian Victor Buciu: Dieter Schlesak, un maestru german al evaziunii, eseu critic, Editura Universitaria, Craiova 2003, 2., durchgesehene Auflage: Ideia Europeana, Bukarest 2007

V
Christina Weiss, Am Wortstamm die Schlange, Süddeutsche Zeitung 21./22.Juli 1990
Michael Braun: Die Wiederkehr des absoluten Gedichts, in: Frankfurter Rundschau 1990
** * Physik und Gott, hk: Dieter Schlesak: Tunneleffekt. Gedichte, in: Die sieben Göttinger Literaturtipps der Text+Kritik-Redaktion, Juni 2001
Hans-Jürgen Schmitt, Mails und Küsse, in: Süddeutsche Zeitung vom 23.01.2001
Jürgen Egyptien, Transsylvanien und Transzendenz. Zu Dieter Schlesaks neuen Reisegedichten, literaturkritik.de. Nr.4, April 2003, Online-Zeitschrift ohne Seitenangaben.
Wolfgang Schlott, Poetik der Absenz, in: Wolfgang Schlott: Neue Lyrik und Prosa von Dieter Schlesak, in: Die Horen, H 10331, 47. Jahrgang, 4. Quarttal 2002, S. 239-
Wolfgang Schlott: Dieter Schlesak, Vom Reisen der Zeithäftlinge, Los, Reisegedichte, in: Die Horen, Nr. 208, Dezember 2002
Zur Neubegründung der Lyriksprache nach Auschwitz? Vortrag des em. Lehrstuhlinhabers der Pisaner Germanstik Luciano Zagari bei der Vorstellung des Gedichtbandes „Settanta volte sete“. GRENZEN LOS (Universitätsverlag Edizioni ETS, Pisa) am 9. Juni 2006
Walter Hinck: Elegie des Abschieds. Zu: Dieter Schlesak: „Herbst Zeit Lose“. Liebesgedichte. Buch & Media GmbH / Lyrikedition 2000, München 2006. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16.12.2006. Frankfurter Anthologie, Nr. 31. 2008, S. 189-192
Maria Irod: Lippe Lust. Poesia Erotica zwischen Erotik und Mystik. Mitteilung (unveröffentlicht)

VI
Jürgen Egyptien, Totenschrift und posthume Ästhetik Zum ,Verweser’-Projekt. In: Im Schatten des Verwesers. Werkstatt-Fragmente aus einem Geisterroman. Einleitung von Jürgen Egyptien: Totenschrift und posthume Ästhetik, in Juni, Magazin für Literatur und Politik, Nr. 22/1995. S. 97-101 Und: Zu Dieter Schlesaks Verweser-Projekt und seiner posthumen Ästhetik, in: Passauer Pegasus, Heft 31/32/1998, S. 46-50
Maria Irod, Schrift und Melancholie. Der Verweser und Vlad, die Dracula-Korrektur (unveröffentlicht)
Wolfgang Schlott, Der Verweser, in: Die Horen, Nr. 208, Dezember 2002
Olivia Spiridon, Romans Netz. Ein Liebesroman. In: Südostdeutsche Vierteljahresblätter, Nr.3/2005, S. 332- 334
Edith Konradt, Dieter Schlesak: Eine Transsylvanische Reise. Ost-West-Passagen am Beispiel Rumäniens, in: Zeitschrift für Siebenbürgische Landeskunde, 28. (99.) Jahrgang (2005), Heft 1, S.121-122
Wolfgang Schlott, Eine Transsylvanische Reise. Ost-West-Passagen am Beispiel Rumäniens in: Halbjahresschrift für Südosteuropäische Geschichte, Literatur und Politik, Mai 2004, 16. Jhg. Heft Nr. 1, S. 120-122
Renate Färber-Häuser, Capesius, der Auschwitzapotheker. SWR 2 Buchkritik. Manuskriptdienst Dieter Schlesak: „Capesius, der Auschwitzapotheker“, Dietz Verlag. Redaktion: Uwe Kossack. Sendung: Dienstag, 30. Januar 2007, 10.55 Uhr, SWR 2
Wolfgang Schlott, Ein Dokumentarroman über die Todesmaschinerie der deutschen Nationalsozialisten. In: Matrix, Heft 8, 2007, S. 114-118
Georg Aescht, Von der Familiarität des Bösen, in: Siebenbürgische Zeitung, Folge 20 vom 20. Dezember 2006, S. 11, und in der Onlineausgabe am 30.November 2006
Zoltán Tibori Szabó, Mit Dieter Schlesak auf der Suche nach menschlicher Würde, (Vorwort) zur ungarischen Ausgabe von: Capesius, der Auschwitzapotheker: Capesius az auschwitzi patikus, Bookart, Csikszereda, 2008, S.5 – 16

Zu den Autorinnen und Autoren

Georg Aescht, Literaturwissenschaftler und Publizist, Bonn, Deutschland
Dr. Michael Braun, Literaturwissenschaftler und Publizist, Heidelberg, Deutschland
Prof. Dr. Marian Victor Buciu, Literaturwissnschaftler und Publizist, Facultatea de Litere, Universitatea Craiova, Rumänien
Lothar Baier, Literatrwissenschaftler und Publizist, Frankfurt a. M. (+ 2004), Deutschland
Prof. Dr. Jürgen Egyptien, Autor und Literaturwisenschaftler, Lehrstuhl für Allgemeine Literaturwissenschaft und Neuere Deutsche Literaturgeschichte, Universität Aachen, Deutschland
Renate Färber-Husemann, Literaturwissenschaftlerin und Publizistin, Frankfurt, a. M., Deutschland
Prof. Dr. George Guţu, Literaturwissenschaftler, Germanistiklehrstuhl, Universität Bukarest, Rumänien
Dr. Maria Irod, Literaturwissenschaftlerin, Germanistiklehrstuhl, Universität Bukarest, Rumänien
Dr. Edith Konradt, Literaturwissenschaftlerin und Publizistin, Geretsried / München, Deutschland
Prof. Dr. Walter Hinck, Literaturwissenschaftler und Publizist, Professor em. für Neuere Deutsche Literatur, Universität Köln, Deutschland
Dott. Alina Oancea, Literaturwissenschaftlerin, Udine, Triest, Italien und Sibiu, Rumänien
Dr. Lerke von Saalfeld, Literaturwissenschaftlerin und Publizistin, Stuttgart, Deutschland
Prof. Dr. Oliver Sill, Literaturwissenschaftler, Universität Münster, Deutschland
Dr. Christina Weiss, Kulturstaatsministerin a.D. Literatur- und Kunstwissenschaftlerin, Berlin, Deutschland
Prof. Dr. Wolfgang Schlott, Literaturwissenschaftler und Publizist, Universität Bremen, Deutschland
Dr. Hans-Jürgen Schmitt, Literaturwissenschaftler, Publizist, Berlin, Deutschland
Dr. Olivia Spiridon, Lehrtätigkeit an der Universität Heidelberg, z. Z. Tübingen, Deutschland
Werner Söllner, Autor, Literaturwissenschaftler, Gastprofessor an der Goethe-Universität Frankfurt und am Oberlin College, USA, Frankfurt a. M., Deutschlandland
Dr. h.c. Joachim Wittstock, Autor, Publizist und Literaturwissenschaftler, Rumänische Akademie, Sibiu-Hermannstadt, Rumänien
Reiner Wochele, Autor, Literaturkritiker und Publizist, Stuttgart, Deutschland

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