Es ist mir klar, ich muss heute, wie versprochen, aus dem Roman SECURITATE etwas in den Blog stellen, eine Szene, die aus einer besonderen Erfahrung kommt.
Das Material habe ich nun gesammelt, es sind etwa 300Seiten. Ich überlege, was ich heute wählen soll: Ich entscheide mich für das heftigste Trauma, es ist die Verhaftungsszene und der Traum in der Zelle nach dem Verhör. Doch im Zentrum steht diese Diabolik des „Gewissens“ oder des schlechten Gewissens, das anerzogene Schuldgefühl, das der Staat damals gehörig bei unserer Autoren-Generation ausnützte, eine schizophrene Seelenfolter, die blind machte, und die fast metaphysische Ausmaße annahm, eben in die Zone des „Glaubens“ und der Glaubensfähigkeit reichte, es aber in der Gulag-Zeit nur „Überzeugung“ heißen durfte und sich mit fürchterlicher Angst vermischte.
Dieter Schlesak,
Die teuflischen Mechanismen der Securitate-Verhöre in den sechziger Jahren: Seelenfolter.
Aus meinem neuen Roman SECURITATE. (In Arbeit)
(Vgl auch diewsen Text in der ZEIT vom 14.Januar:http://community.zeit.de/)
„ …es blitzte mir, wie ein anderes Feuer durch den Kopf: Mircea! Ja, klar, deshalb hatten sie mich doch damals in Bukarest geholt. Ich sah das schmale Gesicht, die intelligenten leuchtenden Augen Mirceas vor mir. Bei Gertrud, Ediths Schwester, in ihrer kleinen Mansarde am Rosettiplatz im siebenten Stock. Ich saß mit Mircea etwas abseits auf einem Sofa in der ärmlichen Mansarde. Mircea hatte ein paar beschriebene Blätter seiner Aktentasche entnommen; ich las und erschrak: es waren Satiren auf den Diktator. Ob ich es wagen würde, die harmlosesten vielleicht, irgendwie in der Zeitschrift, wo ich damals Redakteur war, „unterzubringen?“ meinte er. Ich sah mich um und sagte flüsternd: „Ja! Aber ich müsste mehr davon sehen. Um im Versteckspiel mit der Metapher die Zensur hinters Licht führen zu können!“ Zum Glück aber hatte ich dann keine der Seiten mit mir genommen. Am nächsten Morgen schon kamen SIE, war Mircea von ihnen verhaftet und mit dem Auto, verhängte Fenster, nichts mehr war zu sehen gewesen… abgeführt worden…
Und damit begann auch meine Angst- und Verhörsphase mit „IHNEN“.
Es war ein Abend gewesen, auch diesmal mit Zeno, in unserer Lieblingspinte, einem fensterlosen Kellerraum. Zeno Salmens Gesicht vor mir, Zeno mit der runden Omabrille, wie eine doppelte Lampe die dunklen Augen. Zeno. Auch er erzählte gern. Und dichtete. Schrieb. Auch unter Lebensgefahr - die „Röllchen.“ Und so war er seelisch am Leben geblieben. Nur so kannst du mich jetzt noch vor dir sehn, Herr Genosse! So alberte er mit dem tödlichen Ernst. Doppelbödig seine podolisch-jüdische Intelligenz. In den Augen immer ein kleiner Schalk. Wir tranken aus Wassergläsern Moskowskaja Wodka. Er erzählte von Eliade, „was, du kennst Pe strada Mântuleasa nicht?“ und dann flüsternd: „Du mußt die Geschichte unbedingt lesen, es ist so, als wäre es deine und Mirceas Geschichte!“ Und Zeno sah mich komisch von der Seite an: „Da ist ein Held, der andauernd Geschichten erzählt, die SIE zu entschlüsseln versuchen, die Geheimpolizeiphilologen…“ „Die Geheimpolizeiphilologen?“ „Ja. Du kennst sie noch nicht?“ Und wieder sah er mich an, als wäre ich ein Baby. Und so war das, als wir dann hinaustraten auf die Straße, wer hatte mitgehört? Plötzlich kam ein Mann auf uns zu, schrie uns an: „Ich habe genau gehört, was ihr geredet habt, ich zeig euch an, ich ruf die Polizei!“
Immer wieder kommen diese Szenen mit Mircea hoch... mit den Manuskripten ... seinen Satiren. Eine Woche nach Mirceas Verhaftung holten SIE auch mich. Das Verhör am Anfang, das Verhör. Du zitterst. Du schreist. „Ich weiß nichts“, schreist du. „Du weißt“, brüllen sie dich an. „Wir wissen es, dass du es weisst, red, du verdammtes Schwein! Wo ist dieses dreckige Buch, wo ist das Manuskript von Mircea Palaghiu? Er hat alles gestanden, er hat alles gesagt, wir wissen alles, hier...“ Und der Knollengesichtige zieht eine Schublade auf, „hier, siehst du dieses Protokoll, da steht alles schwarz auf weiß: steht; bestätige es und du bist frei. Frei! Wo hast du es versteckt, das Drecksmanuskript. Dein Freund ist längst dort, wohin er hingehört: du weißt, die Hölle, der Kanal, du, sein Komplize, du weißt. Die Hölle der Kanal. Du, sein Komplize, Staatsverrat, rede oder du darfst ihm Gesellschaft leisten.“ Und so war es dann, auch ich kam für eine Zeit in diese Wahnsinns-Mühle… Und die Narbe am Unterleib, die manchmal noch brennt, sich zu bewegen scheint, zeugt immer noch davon… wie ein Bauchschuss war´s… nein, nicht im Verhörraum geschah es, es war unten im Keller, da wirst du für das Verhör präpariert … von Mitgefangenen…
Doch es ist in tieferer Abgrund, es reicht in andere Dimensionen als nur ins Sichtbare und so Fassbare, ich hab mich ja aus solcher Schwäche andauernd auch schuldig gefühlt, ähnlich wie Tasso der Kirche gegenüber, weil er nicht glauben konnte. Seine Selbstanzeige. Sein Wahnsinn. Ich kann das verstehen. Im Kommunismus ist die stärkste Gewalt das missbrauchte, fehl gelenkte Glaubensbedürfnis. So hab ich mich schuldig gefühlt, weil ich meine Zweifel hatte, weil ich das "Absolute", also die soziale Revolution nicht engagiert genug mitgemacht hatte, mich letztlich unfähig gefühlt hatte - auf allen Ebenen, das Unvollkommene am Staat, das Unrecht, die Verhaftungen, die Securitate usw. mit "Klassenkampf" und notwendigem Kampf wider die "Feinde" zu rechtfertigen, war mir doch genau bewusst, dass diese "Feinde" auch in mir selbst waren, ja, meine Substanz ausmachten. FEIND also, der ich wirklich war! So schloss sich ein diabolischer Zauberzirkel. Und ergab ein seelisches Inferno. Aber es war schlimmer: ich wagte es mir gar nicht zu erklären, und schon gar nicht, es mit jenem hehren Ziel zusammenzubringen, sondern hasste diesen Staat und seine Verbrecherpartei insgeheim bis in meine Träume; das Unbewusste war davon infiziert. Diabolische Erklärungen und Absicherungen dieser allen gemeinsamen Komplexe lagen in der Ideologie bereit: und der Zauberzirkel schloss sich wieder: meine Zweifel, meinen Hass führte ich dann auf meine "ungesunde Herkunft" zurück, diabolisch genug: alles was an biographischer Schwäche, an persönlicher Schwäche da war, zu Gunsten des Systems und für Schuldgefühle eingesetzt werden konnte. So war es auch bis hinein in die Verstrickungen, dass ich als solch ein "idealistischer" Stalinist Kollegen bekämpfte, da sie dem aufgezwungenen Schema gemäß nicht "richtig dachten" - aus Herkunftsgründen, wie ich meinte. Dabei sprachen sie aus ihrer Substanz heraus, ich aus meinem aufgesetzten diabolischen Gedankengebäude, das wir auch noch "Überzeugung" nannten, und wo ich also ein "Überzeugter war! Alles nur ein seelischer Zwang, denn eigentlich war ich ein unpolitischer Mensch, wollte in mich selbst und in mystische Literatur- Phantasien über das Rätsel des Daseins versinken, dort fand ich meine Schwingungsfähigkeit wieder, die vom Alltag gestört und unterbrochen wurde, dass mich Ekel überkam. Doch hier entstand dann wieder Schuldbewusstsein, weil ja all diese privaten Träume als bindungslose Dekadenz hart abgelehnt wurden. Zenos Verhaftung in Freiheit, die unsichtbare Verfolgung, war ein genaues Abbild meiner Lage. Doch bei einer Verhaftung erhältst du einen Schlag: es ist wie bei einer Todesnachricht. Angst kam hinzu, weil wir uns bei einer Festnahme ertappt fühlten. wenn auch nie auf frischer Tat; ich hasste den Staat, doch gestand ich mir diesen Hass nicht ein. Hatte Angst, diesen Hass hochkommen zu lassen, ja, maskierte ihn, wie die anderen, mit Ja-Sagerei, Jubel, fand krumme Wege zu Staats-Gunsten im DENKEN-.
Das Auto mit den zugezogenen Vorhängen; ich höre meinen Atem, ich spüre meine Hände, das glatte Vinillin wie ein Tier an den Händen, wenn ich mich am Sitz festhalte. Es riecht nach Schweiß. Ich schwitze, wenn ich Angst habe. Ich bin wie gelähmt. Ich werde ihnen sagen, ich bin doch Marxist! Und sie werden laut lachen, roh grölen. Witze reißen. Alles hat sich verändert. Das Straßenbild ist nicht zu sehen, die Geräusche sind nicht mehr vernehmbar oder so gedehnt, so zugespitzt, ein Autohupen zum Beispiel, als wäre jeder einzelne Laut abgetrennt, aus der Welt herausgeschnitten, so, als gehörte ich nicht mehr dazu. Es ist ein schöner, warmer Septembernachmittag, beharrlich Schweigende sitzen neben dir. Du bist wahnsinnig nervös. Prüfungssekunden zu Stunden gedehnt, bis du ganz erschöpft bist. Du bist eine schwache Natur. Du bist kein Held. Ein komplizenhaftes Verhältnis mit den Leuten in Zivil, die aber eine unheimliche Uniform ist, zwischen Verhaftetem und Geheimdienstleuten stellt sich etwas teuflisch- koboldhaft Vertrautes her. Ekel. Doch als wäre das Erbrochene neu geschluckt. Du machst mit. Fast untertänig. Lieferst dich ihnen aus, akzeptierst den Zustand ohne Protest, keiner hat einen Haftbefehl vorgezeigt, und du denkst nicht einmal daran, ihn zu verlangen. Rechte? Ha. Du hoffst, es sei nur ein "Versehen", sagst es, beteuerst deine Unschuld. Hast alle Zustände. Der Eingang, in den der Wagen jetzt einfährt, scheint so eng zu sein, dass du nicht durchkommst, doch du kommst natürlich durch, nur früher, war es undenkbar, dass du allein da hineinkommen kannst. Und gingst lieber auf die andere Seite der Straße. Der Vorhang hat sich verschoben, du siehst einen Lieferwagen, ein Brautpaar vor einer Kirche mit großen gelbroten Sträußen, zwei Männer streiten, doch alles summend und wie ein Traum, du gehörst nicht mehr dazu. Das Eisentor schließt sich. Du wirst eine Treppe hinaufgeführt, doch es ist keine Treppe, es ist eine Nerventreppe, es ist jetzt nichts mehr voraussehbar, es können die schlimmsten, dir die unvorstellbarsten Dinge zustoßen. Jede gewohnte Geste, etwa wenn du eine Verabredung hast, eine Freundin triffst, alles ist vorausschaubar, hier nicht. Genau jene Sicherheit, jene Überzeugung, die du meintest von ihnen zu erhalten, haben gerade sie jetzt zerschlagen. Von jetzt an nur noch Zweifel. Der Boden wankt….“
Donnerstag, 14. Januar 2010
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Danke für diesen Außschnitt, Herr Schlesak.
AntwortenLöschenHier sieht man die psychologischen "Mechanismen" die einen befallen, im Angesicht des Terrors...