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Samstag, 22. Oktober 2011

MEIN KREBSGANG. Ein überlebenstagebuch. Kann Liebe den Tod überwinden?

12.Dez.2010. 22.Oktober 2011
Dieter Schlesak

MEIN KREBS GANG

Ein Überlebenstagebuch
Kann Liebe den Tod überwinden?








Wie kann ein Mensch geboren werden, wenn er alt ist?
Johannes 3, 1-12


Was ist das: Je länger es dauert, umso kürzer wird es? Antwort: Das Leben!




Inhalt
EINLEITUNG
Die Schrift

I
DIE UHR DEM ENDE ZU …. 4
II
DAS SCHRECKENSWORT KREBS … 9
III
DIE LIEBE ALS RETTUNG … 15

IV
KREBSTAGEBUCH …. 20
V
HEIMFAHRT. FREUNDSCHAFT UND NATUR HEILT …89
VI
SCHREIBEN UND DAS MEER ALS THERAPIE … 106
VII
TODESNÄHE UND ALTERSANALYSEN … 121
VIII
LIEBE UND TOD – HAND IN HAND? … 134
IX
NACHTGEDANKEN NACH NEUN JAHREN …155


Das Gedicht-Tagebuch, das ich jetzt schreibe, reinigt wieder, stellt den verlorenen Zusammenhang wieder her, entwickelt die im Unbewußten liegenden Fotonegative. Die ihnen zugehörigen Zusammenhänge sind wieder da, um ihrer tieferen Natur gerecht zu werden. Der Gang der äußeren Tage ist nur die erste Ebene, ja, der Rohstoff für dieses bessere Gefäß und Gespinst im Gedicht. Denn wenn es geschieht, wissen wir noch nicht, was uns geschehen ist. Es ist eine Rettungsaktion, in der wir mithelfen, wenn auch mit geringen Mitteln, das Einzelne die Welt zu waschen, zu beseitigen, was der Verstand, die Gewohnheit, unsere Ichsucht und Eigenliebe, der praktische Verstand, unsere Vorsicht und Rücksicht mit soviel Mühe an Gefängnissen oder angeblichen Sicherheiten um uns aufgehäuft haben. Man dürfte vielleicht wieder vom instinktiven Leben (auch des Publikums) reden, und dem Talent, als Autor sein eigenes Unbewußtes auszudrücken, um so zum Leser zu kommen, ihm nichts anderes zu bieten als Lupen, um sich selbst zu erkennen.

Die größten Feinde aber sind die sogenannten "praktischen" und "sachlichen Leute, die das wichtigste, etwa den Tonfall einer Stimme, einen Geruch, die Nuance des Morgenlichts als Kinderei bezeichnen. Ich erinnere mich meist an solche

Beobachtungen von Lebensaugenblicken, die nachher hier in diesem Buch zum Gewebe wurden, wie die Beschreibung einer badenden Blinden auf der Insel Capraia:


Oder jenes Badegefühl in Cinque terre, aber auch das Erlebnis von Eisengefühl an der Hand oder an der Zunge festgeklebte Türklinken bei 20 Grad unter Null, die zu den unvergesslichsten und intensivsten Momenten meines Lebens gehören! Auch dieses, nicht nur der Traum überzeugt mich vom rein unbewußtem und Traum-Charakter der sogenannten Wirklichkeit. Bacovia und Arghezi waren darauf bedacht, den "Kitt", also jede rein "gedachte" Verbindung zwischen den Worten zu eliminieren, um so zur Natur der Dinge zu kommen, die nichts mit dem Intellekt zu tun haben kann.

Stimmt es, daß der Geist,
wenn er wirklich wach
und gegenwärtig ist, keine auswegslosen
Situationen kennt? Glauben und Gewißheit
als Glücksspender gehören dazu:


Nur sich einlassen können
in dieses Glitzern, jetzt
das lange, vertane Zeit aber ist gewonnen.

Das Unglück des Zeitunglesens
Das nützliche Lesen - es
spiegelt diese Welt.

Sich vertiefen können,
ist anders,
und war längst schon gewesen
eine andere Hirnspur.

Und du siehst wieder den Engel
hinter dem Papier deiner Augen.

Andere Verbindungen, andere Wege
und Augenkünste
als die
schlagenden.

Aber der Blick jetzt in das Meer
ganz nahe am Rande der Reling,
gibt gegen die Zeit wieder
Gewissheit.







Das Buch: Für mich ist es dein wichtigstes Buch. Denn es ist ALLES darin enthalten, was dein Leben, dein Schreiben ausmacht.
Authentischer gehts nicht.
Deine ganze Biografie, alles ist darin, dein Denken, deine Weltsicht , die Tanszendenz, die Trans-kommunikation, die Heimat und ihr Verlust, der Glaube und Abfall vom Diamat, die neue "Heimat", das Meer, deine Ehe, die Lieben, die Liebe, die Todesgefühle und -ängste die dein Leben durchziehn, der Widerstreit mit deinem "Bruder Körper", und immer wieder Kampf, Zweifel, Hoffnung, Gewissheit und DIE LYRIK. Und im Zentrum deine Krankheit und die Gründe für ihre Überwindung

(Elisabeth Krause)


EIN WORT VORAUS
Fürchten Sie ihren Krebs nicht! Kämpfen sie dagegen an. Vor allem der seelische Zustand ist wichtig. Und die Liebe, auch der Sex. Liebe hat mich gerettet.
Ich hatte im Jahr 2000 Prostatakrebs. Ich war 66 Jahre alt. In fortgeschrittenem Stadium, die Tumoren hatten die Kapsel durchbrochen, es gab also Metastasen. Der PSA-Wert war zum Verzweifeln hoch: 34. Am 8, Juni musste ich eine schwere Operation durchmachen, zweieinhalb Stunden (mit Eigenblut, starker Blutverlust!) dauerte sie; es war im Stuttgarter Katharinenhospital. Ich werde diese Klinik und die vielen Schmerzen nie mehr vergessen! Mit Komplikationen musste ich drei Wochen in der Klinik bleiben. Der Arzt, warum tat er das, gab mir bei der „Entlassung“ als Prognose mit: Eine Überlebenschance von etwa 5 Jahren!
Es war auch schon gleich von Bestrahlungen die Rede. Ich verweigerte sie. Und machte alternative Therapien. Und Yoga. Welche Therapien das waren, können Sie aus meinem Buch erfahren, dort ist alles genau beschrieben.

Aber wichtiger war: Ich verliebte mich mehrfach- mit viel Gegenliebe, ein großes, ein immenses Geschenk! Ja. Nur langsam wuchs der PSA-Wert (Anfangs 0,300. Als 1 erreicht wurde, sollte ich nun den "Hammer", die volle Dosis Antitestosteron spritzen. Das wäre das Ende jeder Lust, Schreib-Lebens-Liebeslust gewesen. Und sollte auch nur etwa sechs Jahre gut gehn! Ich verweigerte auch diese lebenstötende „Therapie“ und nahm nur ganz leichtes Antitestosteron Flutamid 3x täglich. Es hatte keine Wirkung auf meine Lust. Auch nicht auf die Schreib- und Lebenslust! Mein Urologe wunderte sich, dass der PSA Wert sank, ja, dass ich auch heute, im Jahre 2010 nur den Wert 0,7 habe. Auch die Untersuchungen, die ich alle drei Monate beim Urologen absolvierte, waren immer negativ. Und der Arzt wundert sich weiter. Ich lebe auch heute nach zehn Jahren ganz normal. Inkontinenz nach 2 Jahren schon zero. Nur Impotenz freilich, die Nerven durchschnitten, blieb, ein Problem. Ich nahm Viagra, es half wenig, sexuelle und Liebeserregung waren wichtiger. Dann aber spritze ich direkt in den Schwellkörper Caverjet 20 - und ich war damit voll DA! Doch wichtiger bleibt immer noch die Liebeserregung!

Mein Buch wurde zum Roman, auch ein Liebesroman freilich! Als Dank für die Hilfe der Liebe beim Überleben, auch beim Überwinden des Alters, schrieb ich dieses Buch. Inzwischen bin ich 76 und lebe völlig normal, esse alles, trinke viel guten Rotwein hier in Italien. Und Segle weiter im Sommer bis nach Sardinien..

Und das Alter? Ja, das lässt sich leider nicht heilen. Doch besser und mit mehr Lust leben, die Aufmerksamkeit dabei, die Wahrnehmungslust und das jeden Augenblick DA sein und die Liebe dazu, auch das Schreiben, die Kunst, die Literatur und die Natur, ich lebe in Italien am Meer, sind eine große Sinnhilfe gegen die schlimmen Todesgedanken:

Was kann ich besseres vorausschicken als dieses Rätsel:
Was ist das: Je länger es dauert, umso kürzer wird es? Antwort: Das Leben!
Erkennt man das Altern und Alter am besten an der Liebe? Und daran, keine Zukunft mehr zu haben? So dass die Zeitnot zunimmt. Doch die Liebe, ihre Kraft auch das zu lösen, muss als wichtigstes Gegenalters-Rezept bleiben. Die Liebesfähigkeit! Auch davon ist in diesem Buch die Rede! Meine Freundin Ingrid sagt, sie sehe Krimis gern, weil die den Tod und die Angst „überspielten“. Ich glaube, die Liebe ist ein besseres Rezept...

Ich habe dieses Buch auch geschrieben, um Leidensgenossen- und Leidensgenossinnen Mut zu machen, gegen Angst, Todesgedanken und vor allem gegen die Resignation beim Krebs anzugehen, ja, den Krebs zu bekämpfen, sich nicht unterkriegen zu lassen. Damit sich ihr Urologe und alle Ärzte mit ihren "Prognosen" wundern!

Geben Sie nie auf!

DIE SCHRIFT
„Vielleicht gehöre ich als ´freier` Autor zu einer Art experimentellen Grenzgängerei, bei der nur die Ersatz-Institution SPRACHE und meine Partnerin verhindert haben, dass es zu einem ´experimentellen Irresein` gekommen ist. Etwa 6000 Seiten Text entstanden in diesem tagebuchartigen Schreibprozess zum Roman ´Vaterlandstage`, unaufhörliches Schreiben, schreibend leben in der fremden Umgebung, beim Essen, in der Straßenbahn, im Auto, im Flugzeug, im Kaufhaus, in der Innenstadt, vielleicht aus einer Art Angst, zwischen die Sekunden zu fallen, da es anfangs so schien, als könnten die Sinne nirgends einen Halt finden, und müssten ins Nichts fallen, wenn die Sprache sie nicht in einem selbstgeschaffenen Außenbild, das aus dem eben Gesehenen ein Wortfoto als Boden herstellte, auffing.“
Und das gleiche gilt nun auch für den neuen Roman „Transsylwahnien“. Wie schon öfter in der vorliegenden Arbeit hervorgehoben wurde, sind die Sprache und die Schrift für den Autor Dieter Schlesak „Identitätsspender“ und ein „Kompensationsphänomen, […] ein Schreiben aus dem Mangel – bis hin in den Liebesverlust, in den Wahrnehmungsverlust, in den Bodenverlust – und aus der Unmöglichkeit einer Traditionsbindung auf andere Weise.“ In der Schrift erst gelingt es ihm, sich eine ´Ersatzheimat` zu errichten und die eigenen „Lebensstückchen […] zu einem Ganzen, zu einem selbstgeschaffenen Kosmos“ zusammen zu setzen. Und dass das Schreiben nicht nur ein bewährtes Mittel gegen den Wahnsinn sei, weiß der Schriftsteller aus eigener Erfahrung: „30 Jahre schon mache ich das […], diese Lebensjahre, so gelebt, meine angehäuften Investitionen […], dass ich diese Dinge um mich versammle, ja, einen Beruf daraus gemacht habe.“
„Das Schreiben ist auch eine Droge, sagt der Sieger! Jene Droge, mein Lieber, hat eine merkwürdige Ähnlichkeit mit der Politik der Diktatoren, ihre totalitäre Enklave aufzubauen, indem sie die banale Realität, >>die einzige<<, die wir selbst bauen, Spiegel unserer Unfähigkeit, überspringen, ausklammern, vernichten und Hoffnung vorspielen, wo es keine gibt. Und jeder, der sich mal als Traumtänzer sein Phantasie-Anwesen, ein dauererfundenes Fest via Kunst errichtet, sich damit eingelassen hat, ist nach Jahren unheilbar süchtig; und wenn er dieses Spielzeug, den Glauben daran verliert, gar sich traut, erwachsen zu werden, ist er ziemlich verloren…“ Diktatur und Geheimpolizei haben dem Autor nicht nur die Gefahr der Schrift nahegelegt („Dass Texte lebensbedrohend sein können, dass sie kein schönes Spiel sind, haben wir jedenfalls unzählige Male erfahren müssen – ein Wort zu viel, es konnte die Freiheit kosten. Diese Erfahrung einer besonderen ´Geheimdienstästhetik` ist unvergesslich, es prägt das Sprachverhalten fürs ganze Leben.“), sondern gerade dadurch auch den Weg zur Moderne geebnet: „Es ist kein Sarkasmus, wenn ich sage, dort mehr über die Hölle der Zeit erfahren zu haben als hier. Grundsätzliches über die Auflösung von Logik und Sprache, die Vernichtung des Vorurteils, das uns einredet, es gäbe so etwas wie Raum und Zeit, gar eine Logik. Also Dank dafür, die Moderne am eignen Leib erfahren zu haben, nicht nur als Schreibexperiment. Sondern sozusagen als geschriebene Figur von der Staatspolizei in Verhörprotokollen, Spitzelberichten, >>freundschaftlichen Gesprächen<< mit meinem jahrelangen >>Schatten<<, den ich einmal in der Woche treffen musste.“ Doch erst aus dieser „Reibung mit der Non-Realität“ und unter wachsender Lebensgefahr „indem man sein eigenes Leben abschrieb“ konnte „diese originelle südosteuropäische Variante einer postmodernen Literatur“ entstehen: „Literatur jenseits der Literatur, die die Grenzen des Erträglichen und der Vorstellung auslotete.“ Inwiefern diese Schreibbedingungen bestimmend waren, erkennt der ´Ost-Autor` beim Weltwechsel, wenn er sich „ins diffuse Private einer bindungslosen Freiheit entlassen“ fühlt und feststellen muss, dass im Westen „die rationale Kontrolle über jede Emotion größer ist […], die Öffentlichkeit […] so perfekt und instrumentell, dass sie nur Ursächlichkeiten, sozial und rational Klargestelltes und eventuell noch Diskussion annimmt. Die Diktatur des Öffentlichen, die Diktatur des Merkantilen und Anti-Privaten (das Private wird Konsum und Konsumartikel) ist hier mindestens so groß wie bei uns der offiziell manipulierte Mangel an Öffentlichkeit.“ Die anfangs noch beibehaltene östliche „Schärfe einer Sicht zwischen den Systemen“ nimmt allmählich ab „der Blick wird angepasst und matt“; „die Erregung beim Denken lässt nach. Eine gewisse Entspanntheit, ein sich nicht mehr persönlich Engagieren […] und das führt zu der allbekannten Unverbindlichkeit westlicher Intellektueller.“ „Hier käme ich nie auf den Gedanken, mich ´lyrisch` gehen zu lassen, und habe auch noch kein Gedicht geschrieben“ behauptet der Schriftsteller 1970, kurz nach seiner Emigration. Allein der Essay könne für ihn als Ausdrucksform noch in Frage kommen, da es die Möglichkeit bietet, sowohl kritische Distanz als auch analytische Unbestechlichkeit zu wahren. Für Schlesak ist die Kunst „Widerstand […], sie kommt aus ihrem Bereich der ´Zeit`, der ´Erinnerung`, der ´Utopie`, aus der Möglichkeit, nicht aus der Wirklichkeit“, und die Literatur „persönlichster Ausdruck eines sprachgewordenen Lebens […], das Gedächtnis ins Wort bringt“. Und im Hinblick auf das im Westen entstandene literarische Werk des Schriftstellers triff Oliver Sills Bemerkung genau zu: „[…] die literarische Erinnerungsarbeit [wird] für ihn zu dem vielleicht einzigen gangbaren Weg, mit jenem ´Erinnerungstrauma` des Emigranten umzugehen, von dem er bereits 1970 annahm, dass es ihn ´das ganze Leben` begleiten werde.” Auf diesem Weg wird der Autor von seinem „´besten Freund`“, seinem „Buchstabenklavier“, dem „neuen Schreibkumpanen […] Werkzeug und Extension unseres Selbst“ - dem PC begleitet. Obwohl die fortschreitende technische Entwicklung anfangs eine eher entmutigende Wirkung auf die künstlerisch-literarische Arbeit zu haben scheint („Heller Wahn, heute noch Bücher zu schreiben. Ein Textplattenstapel für Computer zaubert die ganzen Bibliotheken auf den Schreibtisch, durch Knopfdruck stehen 100 000 Bücher parat. Haha, dein papierenes Lebenswerk, Herr Pööt, hat Platz auf einem Spielraum von null Millimetern.“), entdeckt der sonst von der Technik begeisterte Schriftsteller bald das riesige Potential des Computers und die unendlichen Anwendungsmöglichkeiten des Internets (eine erste Fassung des Romans Der Verweser erschien auf CD und im Internet, außerdem ist unter www.dieterschlesak.de die reichhaltige Homepage des Autors zu finden). Doch wenn der PC im Verweser nur als Arbeitsgerät (mit DOS und Office 97 Programm und LCD-Bildschirm), bestenfalls poetisch als „das große Auge des Bildschirmfensters“ erwähnt wird, auf dessen „Buchstabenlandschaft“ >>sie<< ab und zu Nachrichten hinterlassen und der Erzähler mit seinem Widergänger Kontakt aufnehmen kann, so rückt das elektronische Gerät in Romans Netz in den Mittelpunkt und wird zum Haupthelden. Hier heißt der PC das neue „Monster“ und „Blitzgerät“ (S. 15), es wird „ein Fenster zur Welt“ aber ein „Schummelfenster“ (S. 34), eine „lichtschnelle […] tödlich strahlende Namensmaschine“ (S.215) und „Gespenstermaschine“ (S. 3), mit deren Hilfe der Autor eine neue Art Literatur schreiben kann, im Sinne einer größeren Publikumsnähe durch die Auflösung der Grenzen zwischen Buch und Realität, Leser und Schreiber im Internet:
„Der ´Autor` im Chat nimmt ja ´real` selbst an dem Geschehen teil: von Tag zu Tag in Echtzeit unfassbar blitzschnell Mailpost und Chatgespräch! Dieser Autor ist aber dann einer, der nicht mehr, wie es sich bisher gehörte, im stillen Kämmerlein schreibt, sondern schreibend zugleich mit seinen Figuren kommuniziert, sich ´am Schreibtisch` entweder ´verlieben` kann, oder Lebens-Material von seinen Personen erhält.“
„Internet ist vor allem eine Sprachwelt, ähnelt also verdammt der Literatur“, bemerkt der Schriftsteller, hier können ´Phantasie`, ´Wahnwelten`, ´Traumwelten` aber auch Literatur selbst Wirklichkeit werden. Die Sprache habe im Laufe der Zeit das Bewusstsein, die Wahrnehmung und die menschlichen Beziehungen enorm beeinflusst – nun sei eine „vierte Phase“ angebrochen („nach der mündlichen Phase im Mittelalter und dann der Gutenbergphase“ sowie der „dritten Phase, der Einwirkung von Sprache und Sehen“ durch Fernsehen, Radio, Telefon und Bandgeräte): „die der gesprochenen Schrift […] durch Mail, SMS über Handy, Chat und Internet.“ Für die ans lichtschnelle Informationsnetz Angeschlossenen kann der PC sogar ein „Kuppler und Knecht der Distanzen“, ein „Kuppler zum ´Leben`“, aber auch ein „Scheißlebensvernichter“ werden – denn auch die virtuelle Welt birgt ihre Gefahren, weiß eine der ´Figuren` zu berichten:
„[…] dies Schummelfenster da, der lockende Display, ist mit Vorsicht zu genießen, es kann sogar tödlich ausgehen bei manchen, passiert ist es auch Julie, einer französischen Freundin, einer MUD, einer Multiuser-Frau! Es gibt ja diese Langzeit-Onliner und Tastaturneurotiker, die sich schließlich verknallen, und dann wehe ihnen! Was Hartes zwischen dich und dies Erwachen setzen.“
Wie dramatisch der vom elektronischen Gerät abhängige kreative Akt enden kann muss der Schriftsteller schon öfter erleben – wenigstens einmal lässt er demnach dieses Gefühl des Ausgeliefertseins auch Roman, seine Romanfigur nacherleben:
„[…] ein Blitz, dann […] der Donner… die Natur schlug zu […] … der Absturz und totale Leere, alles, was seine Phantasie als Schrift hergegeben hatte, tot, gelöscht, schreckliches Nichts, Schwärze auch auf dem Bildschirm… […] ein kleiner Weltuntergang – als hätte plötzlich die Kunst der schönen Neuen Welt ihre falschen Augen geschlossen, ging mit einem Schlag auch das Licht aus, Roman saß im Finstern… und fluchte…“

Alina Oancea


Inhalt


I
DIE UHR DEM ENDE ZU …. 4
II
DAS SCHRECKENSWORT KREBS … 9
III
DIE LIEBE ALS RETTUNG … 15

IV
KREBSTAGEBUCH …. 20
V
HEIMFAHRT. FREUNDSCHAFT UND NATUR HEILT …89
VI
SCHREIBEN UND DAS MEER ALS THERAPIE … 106
VII
TODESNÄHE UND ALTERSANALYSEN … 121
VIII
LIEBE UND TOD – HAND IN HAND? … 134
IX
NACHTGEDANKEN NACH NEUN JAHREN …155







I
DIE UHR DEM ENDE ZU AUCH
IN DER SCHÖNSTEN LANDSCHAFT


Vom verwitterten Turm aus Pieve schlägt eine Uhr, mein Herz schlägt schneller, das Uhrwerk rasselt, wieder eine volle Stunde, es klingt durch die graue Mauer an mein Ohr.
Ich lese in "Engel, die unsichtbaren Boten" von Rex Hauck. Und denke an die letzten glücklichen Monate in meinem Leben vor dem Krebs. Ich lebte ahnungslos und naiv, so, als dauere das Leben ewig, obwohl dieser wuchernde Tod schon in mir wuchs.

Seit vielen Jahren leben wir hier in unserem toskanischen Haus. Es ist ein altes Natursteinhaus, es hebt sich wie ein Buch¬stabe aus dem um¬gebenden Land, ein einfacher geometrischer Bau, er wirkt fast antik; cultura uterina, sagt Hannah, umgebendes Sicherheitsgefühl.
Und das hatte ich wirklich nötig. Doch ist dieses Sicherheitsgefühl hier nicht einfach nur Betrug?

Der Himmel ist blau. In der Ferne das Meer, ein Strich. So schön!

Ich horchte, übte mich darin, zu vergessen, spürte aber mein Herz, die Brust und den Bauch, ging in Ge¬danken tiefer. Ich dachte an meine ferne Freundin Hella, an ihren Traum vom zerfallenden Körper. Und das war alles so laut innen, wie die Stirne, die Schläfe, die ich tief in mir spürte, als gäbe es da noch einen Anderen, den man nicht sehen kann; ich kann ja auch meine Pupille nicht sehen. Vielleicht beginnt in dieser Abwesenheit meine Todesangst, weil ich jene Stimme nicht abschalten kann. Die verstummt nie, sagt mir andauernd, ich sei unheilbar krank.

Ich kann so wenig von dieser Stimme weghören, wie ich von mir einfach weggehen kann.

Ich erinnere unsere letzte noch schöne Reise nach Katalonien, als ich noch nichts vom Krebs wusste; Sylvester mit Freunden, Tage, die aber schon voller Vorzeichen waren, doch ich bemerkte sie nicht.

Wenn ich gegen die Zeit, den Tod anschreibe, stelle ich mir vor: da sind die Zeilen wie herein¬geholt aus dem Land, den Fur¬chen, die der Bauer auf dem Kartoffelacker gezogen hat: LEBEN. Es ist ein uraltes Land. Je höher du die Hü¬gel hochsteigst, sagte Hannah, die mir den Tee brachte und auf dem Bildschirm die Zeilen gesehen hatte: Je höher du hin-aufsteigst, umso verwischter sind die alten Furchen und Steinmauern, unbebaut fällt das Land wieder ins Nichts zurück.

Danke, sagte ich, ich schreibe trotzdem weiter. Die Zeilen dort draußen … Bis hoch hinauf, bis auf achthundert Meter Höhe war das Land außerordentlich feinschichtig gewo¬ben, wie ein Ge¬dankennetz, bei Fiesole sieht man es noch heute: Linien, Flächen, Tra¬peze, dann die Reihen der Wein¬stöcke, die längst, als wären sie unerlaubt, gewe¬sen und ver¬gangen sind; dazwischen Diagonalen, Horizontalen, Grammatik des al¬ten Landes, verdichtet als Rast, als Punkt der Milde, wo alles noch einmal geträumt wird, die Casa, um¬geben von Oliven, Zypressen, Feigenbäumen, Obstbäumen, und alles wirkt aus der Vogelschau merkwür¬dig, abstrakt und doch orga¬nisch, als wäre es das ge¬formte Unbewusste, Muster des Schrei¬bens; Zeilen, Formen, dem Land abge¬rungen, und doch etwas zur Sprache gebracht. Es ist uns noch geblieben, in engster Um¬gebung.

Ich freute mich, dass Hannah endlich einmal wie ich dachte, und sagte, als sie schon gehen wollte: Die Landkirchen hier haben einen offenen Dachstuhl, er passt zum alten Land, das wie eine Ruine daliegt, die Landkir-chen mit offenem Dachstuhl schauen fast schon wie Vergessene ins Land. sagt sie.

II

DAS SCHRECKENSWORT KREBS

„Nichts ist dauernd, als der Wechsel; nichts ist beständiger als der Tod. Jeder Schlag des Herzens schlägt uns eine Wunde, und das Leben wäre ein ewiges Verbluten, wenn nicht die Dichtkunst wäre. Sie gewährt uns, was uns die Natur versagt. eine goldene Zeit, die nicht rostet...“ Heinrich Heine, Harzreise

1
Unsere verhängnisvolle Deutschlandfahrt. Ich schrieb im Auto, Hannah fuhr. Das Außen knallhart, und fern darin singende Vögel; keine Schneereise über die Alpen, doch Warten auf besseres Wetter. Berichte mit Wetterkarten, diesmal keine Schneeketten. Doch Unfälle in Mailand. Notstand.
Dein Hund bellt wie vor tausend Jahren; nur der Nachrichtensprecher stört.
Hineinsinken ins krankhafte Summen von je.

Und dann dieses Deutschland am 4. April. Heute war ich mit Mutter auf dem Waldfriedhof. Ich habe Vater und Friederike Blumen aufs Grab gebracht. Ich mochte Friederike sehr. Ihr Lungenkrebs, dann ihr Tod, hatten tiefe Spuren in mir hinterlassen.
Sie hatte Angst vor sich selbst und schlimme Depressionen; Die geistige Kraft nimmt ab, der Körper überschwemmt mit seinen Schmerzen den Kranken. Die Initiative fehlt, wenn du Schmerzen hast, sagte Friderike. Wir wollten damals mit ihr nach Staufen fahren, sie aber kam nicht mit. Sie saß im Sessel vor dem Fernseher, ihr liebes zartes Gesicht schien durchscheinend und wie aus Wachs. Sie sah schon wie tot aus und hatte tief liegende schwarzumränderte Augen. Mein ganzes Stützgerüst, der Knochenbau schmerzt, sagte sie, die Füße sind wie Blei, sie`glangeln´, ich habe keine Kraft mehr. Sie atmete keuchend. Ist dir nicht vielleicht der teure Pelzmantel zu schwer? Ach, es war ein Sonderangebot, sagte sie, ich leiste mir etwas, so lange ich noch kann. Wer weiß wie lange. Sieben Jahre lang starb sie nach der Operation in Tübingen. Seither eine merkwürdige Spätreife: Der Lehrmeister Tod begleitete sie. Und sie klagte über dieses dumpfe Gefühl des ´Aus¬geronnenseins`.

In mich ist der Ton ihrer Stimme unvergesslich tief eingedrungen. Ich fühle, wie es in mir nagt, sagte sie, wie meine Gefühle so ganz durcheinander geraten. Ich kann nicht mehr denken, ich hab so keine Klarheit mehr. Und ich habe Angst. – Sie hustete fast ununterbrochen, `verdämmelte sich`, und ihr einst feines Gesicht war aufgeschwemmt und hatte große dunkle Flecken. Mutter ließ sie nicht einmal mehr abwaschen, kaum einen Handgriff tun! Es war kurz vor Weihnachten und andauernd klingelte das Telefon. Es war eine gereizte vorweihnachtliche Stimmung im Haus, Vorweihnachts-Vorbereitungsstimmung ging um. Alle diese Einladungen kosteten Zeit, Aufwand, dies in der Küche Stehen, dann der Stress des Zusammenseins. So ging das Leben, so gingen die Feste dahin. Weihnachten… und am neunten Januar starb sie.

Mutter sagte tonlos: Ja, sie starb, und man kann fast von Glück sagen, dass sie so gnädig sterben durfte, fast ohne Schmerzen. Sie lag da, ganz zart, und so `wenig´. Am Tag vorher, da hatte sie ganz plötzlich noch nach meiner Hand gegriffen, nach ihr verlangt. Und ich sagte zu ihr: Ich geb sie dir, ich hab sie dir doch immer gegeben; sie aber sagte ganz leise: Ich fühle nichts mehr, ich fühle auch deine Hände nicht mehr. Und da war ich sehr erschrocken, obwohl wir ja auf alles gefasst sein mussten. Sie war am ganzen Körper gelähmt, die Beine, die Arme fühllos. Dann ist es ihr wieder besser gegangen, sie wollte sogar aus dem Bett aufstehen, aber es wurde ihr gegen Abend dann schlechter und schlechter, sie konnte kaum noch sprechen, die Schmerzen nahmen zu, Hermann kam und gab ihr eine Spritze, und er sagte draußen: Es wird zu Ende gehen, die Metastasen haben sich im ganzen Körper ausgebreitet, und auch das Rückenmark erfasst, daher die Lähmung, das Gehirn ist zerstört, das Sprachzentrum auch.

Friederike ist dann immer stiller geworden und so hinüber geschlafen, nicht mehr aufgewacht. Ulrike, die Tochter unseres alten Hausarztes, saß am Bett von Friederike und erlebte dieses Sterben wie eine Offenbarung. Die Söhne mit den Enkelkindern waren da gewesen, Detlef und Gerhard mit den Frauen. Es schien ihr besser zu gehen, Detlef fuhr mit seiner Familie zurück nach Stuttgart. Gerhard war nur einmal kurz hinausgegangen, und ausgerechnet in diesen paar Minuten starb sie.

Wir können uns das nicht vorstellen, wenn der Schmerz, der Tod durch den ganzen Körper zu ziehen scheinen, bis hinab zu den Beinen, in die Knochen, die Haut, vor allem auch ins Rückenmark! Nein, mit deinem gesunden, schmerzlosen Körper, den einigermaßen von Todesangst freien Gedanken, die sich nur wie aus der Ferne über die Angst vor dem Altern, dem Blick auf den Kalender, in den Spiegel, ins Vergleichen mit dem, was du bis zu diesem Jahr eigentlich alles hättest tun müssen, damit der Tod einmal sinnvoll erscheinen kann – einmal, mit diesem schmerzlosen Körper hast du kein Recht zu sagen, du hättest eine Art Nähe zu Friederike gehabt!

Weißt du, Friederikes Sterben erinnert mich an den letzten Besuch meines Vaters in unserem italienischen Agliano, sagte ich zu Hannah, es war auch ein September, und da wollte er nicht mehr aus dem Auto aussteigen, und milde, auf seine Art sagte er: Geht nur, geht, seht euch alles an, ich bleibe hier im Auto, ru¬he mich aus. Und ich erinnere mich, wie er irgendwo in der Pisaner Gegend, wir waren in die Pisaner Berge gefahren, bei einer alten Kirche einmal ausstieg, da gabs vom Auto aus nur einen kleinen Aufstieg bis zu jener Kirche, wie er sich da an der Wand festhielt, fast umge¬fallen wäre; und als ich ihn fragte: Vater, was hast du? Ist dir nicht gut? Da versuchte er es zu verber¬gen, um nieman¬den zu stören, niemandem den Tag zu verderben.

Er lebte nur noch kurze Zeit. Stalingrad hatte er überstanden und er¬zählte davon, im Januar, wie er "damals", erst 38 Jahre alt, so alt wie mein Sohn heute, das Auto im Schnee angezündet hatte, um sich und zwei Verwundete zu wär¬men; so waren sie bei Minus 50 Grad, mitten im rus¬sischen Winter, mit dem Leben davongekommen. Er war Fahrer einer Autoko¬lonne ge-wesen, und hatte noch etwas Benzin. "Damals". Und jetzt: kurz nach seinem vierundsiebzigsten Geburtstag starb er, der Krieg, die Kriegsfolge in ihm, hatten ihn umgebracht, Pneumothorax, die Lunge, ja, die Lunge war es gewesen. Mit Tuberkulose war er aus dem russischen Winter heimgekehrt. Am Schluss fror er entsetz¬lich, der Körper machte nicht mehr mit. Jetzt ist er auch bei „ihnen“, so wie der An¬dere in mir. Viel¬leicht habe ich seit Vaters, seit Friederikes Tod in jener Regi¬on sehr nahen Jenseits-verwandte, weil ich mit dem Ge¬fühl mitgegangen bin; meine Liebe wurde auf ei¬ne andere Ebene gehoben, die früher einmal der Himmel hieß.

2
Seit Monaten muss ich nachts mehrmals raus... Als die Beschwerden nicht mehr zu übersehen waren, drängte mich Hannah, zu einem Urologen zu gehen.

Der PSA-Wert war katastrophal, der Ultraschall und die Palpation ergaben Verdächtiges an der Prostata. Eine Biopsie wurde notwendig.

Das Monstrum nun auch in mir. "All mein Gedanken, die ich hab, die sind bei dir!" Wie sich das jetzt anhört... alles umkehrt, meine Gedanken sind andauernd bei der neuen Todesgeliebten, sie lässt mich keinen Augenblick los. - Ich will nicht sterben! Ich will nicht für immer nicht mehr sein!


III

LIEBE ALS RETTUNG?


15. Mai. Wir sind wieder in Italien, es ist ein herrlicher Mai. Und doch ist es nicht wie früher, die Farben sind weniger leuchtend, das Glücksgefühl, all das Schöne vor sich zu haben, mit dem Boot nach Elba zu fahren, das Flimmern der heißen Luft, das Aufwachen morgens in einem Golf … es ist alles verändert, es kommen fast schon Stressgefühle hoch, ob wir das auch noch schaffen nach dieser Krebsgeschichte, vielleicht nach einer drohenden Operation?

Heute kam ein Brief von Hella an. „Ich habe heute Nacht zwischen 3 und 5 Uhr nicht schlafen können,“ schrieb sie, „ich wachte auf und es war höchst unheimlich, ich spürte einen “Mantel“ aus Luft um mich, den ich einatmete, der mich aber auch einhüllte, ich musste aufstehen, Licht machen, mich hinsetzen. Ich tapste durch die Wohnung, schenkte mir ein Glas Apfelsaft ein, blieb vorne im Esszimmer, las im „Spiegel“, wurde aber das Gefühl nicht los, dass jemand bei mir war. Dann legte ich mich wieder ins Bett und öffnete das Fenster, damit kalte Luft hereinströmen konnte.
Irgendwann schlief ich ein, und hatte einen schrecklichen Traum von Dir, dass ich mir beim Aufwachen dachte: Den will ich nie mehr sehen, diesen D. Ich muss Tomaten auf den Augen gehabt haben!
Ich hatte auch noch ein einsames Zwiegespräch mit Dir heute Nacht, so gegen 4 Uhr. Ich sprach mit deinem Körper, als hätte ich einen Schlag in der Birne...Tja. Mir war so, als wärst Du tatsächlich da. Dass Du sagst, Du wärst nicht bei mir gewesen diese Nacht, bestätigt letztendlich nur meinen Glauben an die subjektive Einbildungskraft paranormaler Ereignisse. Ist auch egal. Ich denke, dabei kommt es eh nur darauf an, wie es einem "geht". Ich sprach mit dem Tod in Dir. Und mit der Angst. Deiner Angst. Sie hat eine Form und eine Gestalt. Dein Tod auch. Er ist so weit wie ein Land und hat fröhliche Augen und ein Lächeln. Deine Angst jedoch kann ich nicht beschreiben. Sie ist ohne Geschlecht. Vielleicht weißt Du, wie sie aussieht?
Dein Tod wollte die Angst von ihrer unberechtigten Existenz überzeugen, wobei diese fuchsteufelswild wurde und an ihrem Dasein festhielt. Ich sah zu und versuchte zwischen den Beiden zu vermitteln. Es war sehr, sehr eigentümlich.
Und dann kroch ich in deinen Körper, an der Wirbelsäule entlang, und nahm jede Deiner Rippen in die Handfläche und fuhr langsam mit der warmen Hand auf und ab an den Seiten, dem Becken, dem Hals, dem Schädel, den Ober- und Unterschenkeln, den Füßen und Fingern. Ich kroch wieder aus Dir heraus und sah Dich an. Da warst Du nur noch in den Augen. Du konntest nicht mehr sprechen und ich dankte Deinem Körper für den weiten Weg, den er mit Dir gegangen war und streichelte ihn, sagte ihm, ich verstünde, dass er jetzt müde sei und es an der Zeit sei, einen langenlangen Schlaf zu haben; endlich Ruhe! Dass Du ihn nun zurücklassen würdest, und Dein Körper hatte ein schlechtes Gewissen, Dich im Stich zu lassen; doch ich sagte zu ihm, er bräuchte kein schlechtes Gewissen zu haben, es sei verständlich nach all den vielen Jahren, der langen Zeit mit dir, nach all den Schritten und Kilometern, die er hinter sich gelassen hatte, nach all den Emotionen, der Liebe, der Angst, der Furcht, der Freude, dem Groll, der Trauer und Verzweiflung, es sei verständlich, dass er jetzt zurück in die Erde gehen wolle. Und in Deinen Augen sprach Deine Seele zu ihm, auch Du entschuldigtest Dich bei ihm für das, was Du ihm angetan hattest, damals als es Zeiten gab, in denen Du ihn einfach vergessen hattest, ihn nur als Anhängsel sahst, ihn betäuben wolltest, obwohl er ja auch sein Recht auf Leben gehabt hatte.

Und plötzlich war keine Angst mehr da, die den Raum verdunkelte. Als Du gingst, blieb die Hülle zurück, die sich innerhalb einer Sekunde im Leblosen zu einer toten Körperhülle verwandelte. Denn Du warst gegangen, hattest uns verlassen, und ich suchte Dich vergeblich noch in dem mir nun vertrauten Körper. Und dieser Schmerz ohne dich zu sein, völlig verlassen nun hier auf der Erde, war unbeschreiblich. Doch zugleich war ich glücklich, dass Du FREI warst! Ich wusste plötzlich, dass es keinen Tod gibt, und dass der Tod deshalb lächelt, weil er nur ein Begleiter ist, kein Mörder. Und ich wusste, dass ich Dich nie verlieren würde, weil Du bei mir und in mir bliebst, auch ohne Körper. Dass es keine Einsamkeit mehr geben würde, nie mehr. Ich streichelte noch einmal über Deine leblose Hülle und las die Vergangenheit von ihr ab. Ich weinte, weil ich so viele Stadien von ihr nicht gekannt hatte, weil ich deinen kleinen Körper nie umarmt hatte, als er mit 8 Jahren geschlagen wurde, mit 30 Wodka brauchte, um die Angst zu vergessen, mit 35 in der Fremde fror, mit 40 und 50 immer wieder schlimme Einsamkeit gespürt hatte, weil ich nicht da war, weil ich so viele Schmerzen nicht habe wegküssen können. Ich sah alle in Dir. Aber die Hülle zerfiel jetzt vor meinen Augen. Sie war nur noch totes Fleisch, organischer Abfall, und doch hattest Du in ihm gelebt. Aber dieser Körper war nicht mehr Dein Du. Ich suchte Dich im Raum. Und ich spürte es ganz genau und sehr tröstlich: Du warst noch da! Dann ging ich. Die Einsamkeit war jetzt so groß, dass es in meinen Schläfen pochte und die Welt um mich hallend pulsierte, ich ging wie auf Watte und das "Nie mehr" schnürte mir die Kehle zu. Aber jetzt war es auch das "Immer" geworden.“

IV

KREBSTAGEBUCH

Schwer ist nur die Seele, nicht die Erde,
Denn unsre Asche, Geliebte, kann
Auf der Waage gewogen werden
Mit ein paar Rosen.
Lucian Blaga



Einige Tage nach Hellas Traum, am 17. Mai, kam per Fax das Resultat der histologischen Untersuchung: Ich habe Krebs! Der Tod wächst in mir!
Schlaflose Nacht. Die Todesgedanken sind körperlich spürbar. Aus. Ich hatte mir bis heute Ferien gegeben. Donnerstag. Ab Freitag nun entwickelte ich eine panikartige Aktivität. Und ich suchte nach Lösungen. Nach den wichtigsten Experten, Alternativen auch zur OP. Und las den ganzen Tag aus dem Netz Seiten zum Prostatakrebs, seinen Stadien, seiner Aggressivität, der Überlebenschance. Tröstlich war, dass er der am wenigsten aggressiven Krebsart angehört.
Es gab auch eine Alternative zur Operation, die Brachythera¬pie (griech.: brachys = nah/kurz), es ist eine Form der Strahlentherapie, bei der eine Strahlenquelle innerhalb oder in unmittelbarer Nähe des zu bestrahlenden Gebietes im Körper des Patienten eingesetzt wird. Eine kleine Strahlenkapsel also, die bei mir in die Prostata eingeführt worden wäre. Auch gab es einen Eingriff über die Harnröhre Ich telefonierte den ganzen Tag mit deutschen Kliniken und Chirurgen. Und nachdem mich die Röntgenologie in Heidelberg mit der Brachytherapie wegen des hohen PSA-Wertes (34) abgewiesen hatte, schickte ich alle meine Daten per Fax. Und machte im Diakonissenkrankenhaus einen OP-Termin aus. Es gab sogar noch Platz, es sei wie ein Wunder, meinte die Schwester. Im Netz suchte ich die besten Spezialisten (mit Foto und Profil): Heidelberg (Krebszentrum Deutschlands, Uniklinik München: Prof. Hartung. Und machte auch mit ihm einen OP-Termin aus. Ich telefonierte wie ein Wahnsinniger, nahm einen OP-Termin auch bei Prof. Eisenberger in Stuttgart wahr, im Kathrinenhospital, ein äußerst günstiger Termin: Einweisung 30. OP 31. Mai. Die beiden Profs. verlangten 8000 DM für die Operation. Liegen könne ich die zwei Wochen in der Klinik als Kassenpatient.
Über meinen Urologen Dr. Mitschke kam auch der fürchterliche Sintigramm-Termin zustande (radioaktive Knochendurchleuchtung), der bei einer OP gefordert wird. Termin: 24. Mai. Am 23,. also Dienstag, musste ich mit Hannah zu all diesen Torturen und zur OP nach Deutschland aufbrechen. Die Gute tröstete mich, war nah und ich nicht einsam mit all dem! Denn jede Untersuchung war mit Angst und Zittern verbunden, jede konnte Metastasen anzeigen. Knochen, Lunge, Blase, Niere, Darm usw. Heute war der 19. Mai. Ich hatte also noch 4 Tage. Und ein Mühlrad im Kopf. Nachts kaum Schlaf. Schlafmittel. Und dachte andauernd: dieser Schock, dieses Unerwartete ist wie eine Strafe, als müsste ich Schuld auf mich nehmen: Du hast mit dir, mein Lieber, mit der Welt, auch mit Hannah. nur Ungeduld gezeigt, und nie daran geglaubt, dass das Unerwartete, das jederzeit wie der Tod möglich ist und aussteht, die Öffnung also, dass es das Wichtigste im Leben ist. Ein Sog schwarzer Löcher. Welle und Körper. Und deine Logoreia, dafür kommst du in die Hölle. Musik der Erde, dir nah: f a e b d c - Kepler hat es als „fame, miseria, fame“ ausgelegt, Hadyn, in Die Schöpfung aufgenommen als Motiv! Und Ich hörte es mir zum Trost an: wie Sphären-musik in der Ferne... die ersten Geigen durch f (fame) unvollständiger Dominant¬septakkord, der sich nach C-Dur löst, denn es ist ja noch Nichts fertig, sondern die Melodie in den Violinen geht über fis, als Leitton verkappt, leer nach g. Ist aber nur scheinbar ruhend aufgelöst. Zeigt an: Jeden Au¬genblick kann etwas Ungewöhnliches geschehen, Und der Leitton quält. Alles immer unvollständig und drängt in der Schwebe weiter. Unfertige Auflösung, denn das Orchester verlässt die ersten Geigen, die spielen oben weiter, schwächliches Thema als Kadenz nach Es-Dur. (Fame, miseria, fame, e aber als Es. Mein Gott: ES). Diesen Akkord hatte schon Johannes Kepler in der Sphärenmusik des Alls als Schwingungsakkord der Erde ausgemacht.

18. Mai. Die täglichen Todesgedanken wurden nun fast körperlich spürbar. Sie waren in mir. Sie wuchsen in mir. Ist Prostata ein Lust- und Straforgan? Liege da, fühle am nackten Fuß das Gras, kühl. Und habe mich von meinem anderen Untier entfernt, das mit dem schwarzen Schirm oben im Zimmer, das PC heißt, das Untier auf dem mit Kuhfell bespannten Tisch, und bin nach dieser letzten Nachricht mit dem Sintigramm hinab gegangen in den Garten, denn oben im Arbeitszimmer da hatte ich Angst, hin¬ein zu fallen in eine Schwärze des Alleinseins, trotz vertrautem Arbeitstierchen Blinker, ameisenfarbig, um alles zu vergessen, hier draußen aber ... da, wo sich der Name bewegen soll, und du, Hannah, sagtest mir mal, es sei ge-fährlich, sich von der lichtschnellen, der tödlich strahlenden Namensmaschine zu entfernen. So in der freien Natur stehst du da, ohne zu wissen, was aus dem Wolkengebilde über dem Fernsehrelais für ein Gesicht wird, oder was für ein Monstrum da in meinem Bauch wächst... wehe, auch die Schliere im Auge, die mich quält, verdun¬kelt sich ganz, verstellt mir die Sicht; besser ist es: Über diesen Augenblick und diese Unwissenheit, diese Schwärze ganz schnell Buchstaben zu pflanzen... immer fordert der Blinker, etwas zu tun, ihn zu bewegen, Welt zu erfinden, um die wirkliche Welt nicht ertragen zu müssen.... es ist noch keine Sekunde vergangen, da blinkte er mich schon wieder an, stand, wartete ... so lief ich vor ihm davon in den Garten mit den zwei Bäumen...

Aber was suchst du da draußen, such dich in deinem Skelett, es ist nur bekleidet mit Schein, deinem weichen fließenden und schmerzenden Fleisch.
Und dann denke ich: Wenn ich will, kann ich mich ja aus diesem Albtraum erwachen lassen... alles nur ein Irrtum bei der Untersuchung, die Phiolen wurden vertauscht... Wie hieß es doch in meinem Tagebuch, als ich noch gesund war: „WEG TAUCHEN wollte ich aus diesem Licht. Die Uhren wollte ich nicht mehr sehn. Sich verbergen, verschwinden. Ein Niemand sein...“ Wie schön wäre es, wenn ich es jetzt könnte! und so wehre ich mich auch, wenn nachts jene Gedankenfetzen hochkommen - seit jener Nachricht, deren Folgen ich voraussehen kann! Als griffe mir diese Fremdheit an die Gurgel. Und als wäre es lachhaft, dies zu denken: - Der Tod als Höhepunkt des Lebens? Und Rilke dazu?
Der beste Trost ist aber immer noch das Schreiben. Und so schrieb ich:

Wird endlich klar, dass Alltag nur ein Traum ist?
Und wie Erinnerung / sie baut uns auf
ein großes Aber kommt dazu
was hast du dir dabei gedacht?
War denn der Tod ein Helfer dir und Freund?
Die meisten reden lieber übers Wetter.

Und jetzt? Der Tod ist nicht diskret
und wettermäßig umgebogen
als wär ein blauer Himmel alles
der schwarz ist / Sonne trügt!
Jetzt kommt sie: schonungslos die Offenheit.
Ich bin jetzt nicht mehr Ich
ich bin der Andere
der längst vergangen ist / er lacht.
Nein ratlos ist er
der für diesen andern stirbt
dies nur ein kleines Stück
vom Leben hier.

Vergessen
dass wir gehen müssen?

20. Mai. … die Unterlassungssünde, eine unter vielen: NIE eine richtige Untersuchung gemacht zu haben. Ich liege da, fühle am nackten Fuß das Gras, kühl. Anfang? Ja, Anfang vom Ende? Es ist jetzt so, dass ich zum ersten Mal den Tod nicht nur fürchten muss, ihn denke, sondern er ist wirklich in mir, in meinem Bauch wächst er.

21. Mai. Die Verzweiflung aber schafft auch Eingebungen, inspiriert… Und dieser bohrende Gedanke: Du wirst nach der Operation nie mehr eine fremde Frau haben, mit ihr schlafen können! Das trieb mich an. Übers Netz fand ich eine der Gesuchten, „eine Jemandin“, sie, als könnte sich dieser Gedanke in Realität auflösen, ihr ganz real widersprechen, zumindest jetzt noch, ließ sich alles erfüllen. Ich fand im Netz eine fremde Frau aus der Garfagnana, die auch noch Poetin war… und es gab ein Treffen in Viareggio. In Italien das erste Rendez-vous überhaupt. In Viareggio am Meer. Nebliger Tag, und ausgerechnet heute gab es nach dem Passtunnel (Cipolaio) einen tödlichen Unfall, so kam sie 30 Minuten zu spät, erst halb vier war sie da.
Ich saß bei Fappani draußen, sah das Meer glitzern, die Boote. Und hatte starke Emotionen, wie Frühlingsgefühle trotz Todesgedanken, als wäre ich wieder ein Kind; sah Viareggio ganz neu, sagte es Lucia, so hieß sie, dann auch. Als wäre ich wieder frei und gesund. Es tat mir gut, so zu tun, als wäre ich nicht krank, sondern gesund… Ich weiß, Hannah wird "betrogen", auch Hella wird „betrogen“. Doch ich muss vergessen, nein, ich muss es zum „letzten Mal“ noch einmal dies als „Abenteuer“, also als „Naturakt“ erleben, diese Lebensexplosion, dieses Vorweghimmeln, noch einmal eine Frau aus dem Unbekannten, alles an ihr, die Brüste, das so himmelsweiche Verirren im Schamhaarwald verspüren, das gegenseitige nackt Ausziehen noch einmal schwer atmend erleben, die Lebensgeister wecken, bevor alles aus ist….

Sie kam. Hatte einen selbst gestrickten schönen langen Pullover an, eher einen Umhang. Sah schrecklich jung und schön aus. Sie war zuerst reserviert, hatte sich also doch etwas anderes vorgestellt. Ich war zuerst deshalb recht timid. Da Fappani zu war, setzten wir uns weiter draußen in die Sonne, gingen dann mit ihrem Hund - Zampano - am Strand spazieren, dann in ein Café etwas weiter Lido zu. Fanden einen Tisch, wo uns die Sonne ins Gesicht schien. Sie hatte mir eine selbst gemachte Wachskerze geschenkt, die draußen sogar die ganze Zeit brannte (Luce, Lucia, Fiamma). Erzählte ihr von Ly, dem Jungen, der Tragödie, der Securitate. Und dann lasen wir meine Übersetzung ihres Gedichtes. Zeigte ihr mein Buch „ Lippe Lust.“ Sie war an Erotischem sehr interessiert, ich übersetzte ihr einiges, "Haarfetischist", das blieb ihr. Las einen Teil meines gestrigen Tagebuch über Mystik. Erzählte von der Sixtina. Sie wollte wissen, warum ich nach Italien gekommen sei. Ich sagte ihr meine drei Punkte: Das Heimweh sei hier geringer, die kaputten Städte in D., die deutsche Vergangenheit, hätten mich fliehen lassen.
Sie las aus ihrem Büchlein eigne Gedichte vor. Im Flug erfasste sie alles, was ich sagte. Plötzlich fasste sie nach meiner Hand. Wir spielten. Dann küsste ich sie, sie wich zuerst aus. Dann aber ein langer weicher Kuss. Sie zeigte auf ihre im Schoß verschränkten Hände. Ein deutliches Zeichen. Ich hatte ja schon vorgehabt, abzubrechen. Doch sie lenkte alles in Richtung Vögeln. Und ich hatte schon mit einem Hotel telefoniert. Wir gingen. Sie fror. Im Hotel ging ich gleich ins Bad. Sie stand schon im schwarzen Unterkleid da, und ich zog sie aus, den Delphin hatte ich schon "stolz" aus der Hose geholt, er stand nun wohl zum letzten mal in seinem „Leben“.
Sie war eine explosive Mischung: geboren in Rom, aufgewachsen in Lucca, verheiratet in Pistoia. Jetzt in Castelnuovo di Garfagnana. Ihre Eltern und Großeltern stammten aus Lucca, Livorno und Sizilien. Sie weinte nach jedem Orgasmus: „E compiuto!“ Sie sagte: Du hast schöne, sensible Hände und weißt damit umzugehen! Welch ein Trost! Im Chat hatte mir mal eine ganz Junge, als ich meinte: Soll ich dich mit den Händen berühren und hochtreiben, gesagt: Hast du nichts besseres? Lachen.
Erst um Mitternacht trennten wir uns. Und erst gegen eins war ich zuhause. Wir haben uns nie mehr wieder gesehen.

Und der Tod? War er nach dem Erlebnis mit Lucia weit weg gerückt? Aber nein. Schon in der Nacht war er wieder da. Und dieser Gedanke vom „Letztenmal“ bedrängte mich nur noch stärker!
Am nächsten Morgen wieder mit Hannah. Wir fuhren nach Camaiore wie jedesmal am Friedhof vorbei. Und ich dachte: wo werde ich denn liegen? Wo eigentlich: liegen? "Keinesfalls hier", sagte ich laut und aufgebracht, "der Friedhof, der Müllablade¬platz des Dorfes, Abfall. Dann lieber die Asche oben auf unseren Weg streuen, weit in den Wind streuen, oder sich einfach ins Meer versinken lassen mit einem schweren Stein."
Einen Stein des Verrückten, gab es doch auch zu Hause am Bach... und dieses Heimweh kam ... Wenn Erinnerung älter und älter wird, fast so alt wie der Tod... so steigst du noch heute am Meer ins Wasser, ganz langsam, wagst kaum zu atmen... denn immer, wenn ich in diese Wasserwelt stieg, schien es mir, als könnte sich am Meer die Luft befreit von ihrem Hindernis, das ich war, wieder in Wind verwandeln, und so heftig werden, wie es hier immer wieder geschah, die Häuser, die Bäume, die Menschen einfach fort blies, wie beim letzten Unwetter... die vielen Gräben, die von den Bergen kommen, die Vezza und die Serra im Nebental, die bei schweren Gewittern die Häuser mit Frauen, Männern, Kindern einfach ins Tal mit reißen, dem Meer zu... meist im Juni oder September, bei Schneeschmelze im März oder April... schlug die Natur zu, rächte sich... wie jetzt auch ... bei dir und bei mir... im einfachen Tod... einfach? Dachte ich: Was soll ich tun, jetzt die Augen niederschlagen, atemlos, ein Schluchzen verhindern. Aber können Augen schluchzen? Doch als löse sich alles in mir auf, Herz, Eingeweide, Knochen... alle Hoffnungen, nicht nur der Leib zermahlen und aufgelöst im Wasser... und heult und knirscht in mir, vom ewigen Kopf befreit...

22. Mai. Letzte Nacht in unserem Haus. In dieser Nacht aber ein schöner Befreiungs-Traum: Mein Körper löst sich vom Denken, tut nicht mehr weh, ich kann mühelos aufstehen, öffne die Tür zum Garten, gleite hinaus, fliege. Flüssi¬ges Feuer auf dem Stuhl, es fällt durch den Oli¬ven-baum Licht und Schatten; flüssi¬ges weißes Feuer wie bei Van Goghs "Stuhl", es schlagen daraus Flammen und ich er-starre, alles ist aus dem Namen geschält, durchsichtig schwingt es; schwere Au¬genlider. Bleiern im Mund Ge-schmack von Kupfer und ein Dröhnen von Eisen¬häm¬mern im Ohr, aus¬ge¬laufen dieses Silber, im Atem Metall, der Körper schwer; und entferne mich; im Hirn eine Helle, taste mit meinen Fingern über rissig poröse Materie, eisigkalt, die Stelle wie verhext, der Finger gleitet hin¬ein, bricht durch, ach, und aus dem Bild an der Wand tropft es, ein Engel, Materie weint, das Summen wächst... ein Streifen Licht von draußen, es fällt ins Au¬ge und schmerzt; ich schweige, kann nicht reden, oder wenn ich rede, hört mich niemand; sie sehen mich nicht; dort oben an den braunen Deckenbalken des Zimmers - schweben, leicht wie eine Feder, das blaue Band bis zum Meer ist flüssiges Licht, blendet, durchdringt die Mauern, würzige Luft ein essbarer Gegenstand. Die erhöhte Klarsicht bis hinüber zum toskanischen Ar¬chipel; und hier in der Biblio¬thek ist nun alles aus Kristall und wie von Sinnen; die Luft scharf und der Himmel ... Vogelge¬zwitscher, die Linie des Berges wie mit dem Rasiermesser geschnit¬ten; dieses Rosa glüht von innen weich wie Kinder¬lippen, ich fliege, schwebe über den Wellen, über dem Meer, Sand, Sand ... und ich kann in jedes einzelne Körn¬chen hineinsehen: jedes Teilchen ein vollkommenes geometrisches Muster, strahlt, ist Kristall mit scharfen Ecken, jedes wirft einen Licht¬strahl zurück, leuchtet; ein Regenbogen: Strahlen kreuzen sich, bilden schöne Muster. Und ich fliege dann wieder zurück : sehe das Zimmer, die Bü¬cherwand, die beiden Fenster, den Sessel, ein dichtes Muster; es ist nicht mein Zimmer, es ist ein Bild von Braque, keine Ge¬¬¬brauchs¬gegen¬stände mehr, son¬dern himmlische Objekte, frei und schwebend ... ein Dröhnen, ein Pochen...

BEIM ERWACHEN
Hörst du sie
rauschen um dich
wenn die Zellwand
der Seele
fällt?
Übergib dich jenen
die die Uhren
schmelzen
zu denkhellem Licht:
wie die Unruhe
die früh
in dich fiel.


23. Mai
Als müsste ich Schuld auf mich nehmen, alles ist jetzt wie eine endgültige Mahnung! Als hätte ich bisher in der Welt, auch Hannah gegenüber nur unreif „gewütet“…
Dann auch mir selbst gegenüber, eine Verantwortung, die jedem für sich aufgetragen ist, nicht wahr genommen: hier die Unterlassungssünde, ich habe nie eine PSA eingeholt.
Und nach langer Zeit heute war bei den Yogaübungen, die ich nun vertiefter begriff, das „Herzensgebet“ von zu Hause und das Dostojewskis da: „Herr Jesus Christus, Gottes Sohn, erbarme dich meiner…“

Bei der Abfahrt Ricardo, der verabschiedete sich mit Tränen in den Augen und einem ernsten Blick. Abschiedsblick wage ich nicht aufzuschreiben. Und doch hatte ich mich auch von meinem Arbeitszimmer und dem Haus "verabschiedet", als wäre es für immer. 27 Jahre. Mein Leben versessen, vergessen? Schreiben – ein Fluch, eine Flucht vor dem Leben, dem Sinnverlust, letztlich vor dem Tod, als würden wir ewig leben.

Gestern Dieter Hösch im Fernsehen: Die Würde des Menschen liegt im Wissen vom Kommen und Gehen. Das Tier ahnt es, weiß es aber nicht.
Und schreibend mich hier verabschieden? Ich habe so oft, wie auch beim Liebestagebuch, das Wort rein „abstrakt“ gebraucht, die Ekstase, jetzt die Angst so abgeschwächt.
Und ich denke jetzt an ein Gedicht und schreibe es hier auf:

BESCHREIBEN MÖCHTE ICH HIER MEIN FENSTER,
wie ein Auge, in das ich gesperrt bin,
möcht ich den Berg, der in meinen Blick
kommen wird, als wäre es ein Heiland / ganz
geworden, weil ohne den Namen,
aufgeworfen aus lauter Gefühlen der
innern Wesen, an dieser Stelle, wo
ich stehe mit nackten Sohlen
auf leeren Kastanien Blättern,
dieser Berg nicht sein kann.

Und wer weiß, ob ich ihn je wieder sehen werde!

Und hier muss ich einen Artikel aus der Süddeutschen einblenden. Bin ich nur einer unter vielen? Es wird jetzt viel über Literatur und Krebs diskutiert:

„Schmerz und Schweigen
Banalität und Taktlosigkeit oder Trost und Rat: Darf man öffentlich über sei-nen Krebs sprechen?
Von vier Bewohnern dieses Landes wird einer an Krebs erkranken; und ein großer, ein sehr großer Teil der Erkrankten wird daran sterben. Keiner kann sich davor schützen, auch die allergesündeste Lebensweise bewahrt nicht da-vor; jeden kann es jederzeit treffen, in vielerlei Formen und an allen Organen; Organen, an deren Vorhandensein der gesunde Mensch nie gedacht hat, an der Fettmembran, die die Eingeweide einhüllt, am Zwölffingerdarm, am Zungenboden; und immer so, dass die Diagnose sofortige und nur allzu berechtigte Todesangst auslöst. Keine andere Krankheit ruft bei ihrer bloßen Erwähnung solches Entsetzen hervor; sie spielt in unserer wohltemperierten, wohltherapierten, der Tragik so weit wie möglich abgekehrten Gesellschaft den Part des blinden, heimtückischen Schicksals, das seine Zähne ins Fleisch des Opfers schlägt und nicht ablässt, bis es tot ist.
Da es sich so verhält und jeder das weiß, erstaunt die Debatte der jüngsten Zeit darüber, ob Literatur sich mit dieser Krankheit und diesem Leiden (denn bei-des wird sorgfältig geschieden: Krankheit meint den biophysischen Befund, Leiden die gesellschaftliche Wertigkeit und das individuelle Erleben) überhaupt beschäftigen sollte. Und wenn das zugestanden wird, dann werden doch Zweifel laut, ob die grässlichen Details in ihrem engen Fokus auf das Ich oder den nächsten Angehörigen dem Leser nicht besser erspart würden. Banalität und Taktlosigkeit werden beklagt - als wären Angst und Schmerz für den, dem sie widerfahren, jemals etwas Banales: Riesengroß müssen sie für ihn werden.

Dass Tausende das je für sich durchmachen müssen, diskreditiert nicht den Stoff, im Gegenteil: Literatur hat schon immer ihre Legitimation daraus bezo-gen, dass sie im präzis wiedergegebenen Einzelnen plötzlich hervortreten lässt, was alle betrifft. Bei der Liebe, neben dem Tod angestammtes Hauptthema der Literatur, mag es entbehrlich sein, die darin verwickelten Körperteile und -funktionen Stück für Stück aufzurufen, um das Erlebnis zu beglaubigen. Ein Liebesroman muss nicht pornographisch sein, denn Liebe entgrenzt. Ein Krebsroman wird auf diese pornographische Sicht des Körpers nicht verzichten können, denn das Furchtbare der Krebs-Erfahrung besteht eben darin, dass sie der Seele die eiserne Grenze des Körpers setzt.

Das Ende kennen wir schon

Ein Buch vom Krebs kann nicht anders, als den Leser zu peinigen, mit dem Schaurigen, das sich am befallenen Körper zuträgt, aber auch mit den Alltäg-lichkeiten, in denen er dabei gefangen bleibt. Bis zu einem gewissen Grad kann man also Richard Kämmerlings verstehen, wenn er einen Artikel in der FAZ mit den Worten beginnt: "Lasst mich mit eurem Krebs in Ruhe" und endet: "Lasst uns mit eurem Krebs, eurem Schlaganfall, eurer Leberzirrhose, eurer Schweinegrippe in Ruhe. Erzählt von dem, was zählt, und nicht von Tu-mormarkern. Erzählt vom Leben. Das Ende kennen wir schon."

Doch dass wir das Ende schon kennen, stellt eine reichlich verwegene Behaup-tung dar; vor allem im "Wir". Das eben ist das Furchtbare des Endes, dass es jedem für sich bevorsteht. Das Unbekannte trifft jeden in völliger Einsamkeit an, deswegen hat er ja solche Angst davor. Man muss dem Autor dieser Passa-ge dann doch die Antiklimax verübeln, die vom Krebs hinunter zur Schweine-grippe führt, in der Absicht, dem Krebstod den bösen Zauber abzusprechen, den er doch unter allen Umständen behält. Warum denn sollten Tumormarker nicht zählen? Und wie die zählen! Denn bei ihnen geht es ums Leben und nichts sonst. Von dem, was sich da zuträgt, sollten auch die Gesunden Kunde erhalten: Denn sie könnten sich von einem Tag auf den anderen in Kranke verwandeln. Von dem zu sprechen, was viele noch nicht kennen, aber für alle Wichtigkeit gewinnen könnte, das eben ist die Aufgabe von Literatur.

Mit dem "Wir" des Zeitungsartikels liegt noch etwas anderes im Argen. Es setzt den Begriff einer Öffentlichkeit voraus, die es so nicht mehr gibt. Wer ein bisschen durchs Internet surft, stößt auf Seiten und Blogs der Betroffenen, der Kranken und ihrer Angehörigen, die das Thema Krebs und wie davon zu reden sei, auf ihre eigene Weise behandeln. Die Seite "geschockte-patienten.de" for-dert auf: "Stehen Sie zu Ihrer Krankheit - Schluss mit der Geheimniskrämerei! Die Krankheit will über Sie bestimmen. Sie sind aber auch noch da! Zeigen Sie es!" und fragt: "Wann veröffentlichen Sie Ihre Krankenakte?" Unter Veröf-fentlichung begreift diese große Community etwas völlig anderes als besagter Artikel. Dass öffentliches Sprechen an ein Forum gebunden sein soll, in das al-le Straßen der Gesellschaft münden und bei dem der Zugang infolgedessen restriktiv zu handhaben sei, dafür gibt es hier kein Verständnis. Flammend wird hier Christoph Schlingensief verteidigt (der auch selbst massiv mitmischt) und wütend Michael Angele angegriffen, der sich im Freitag ähnlich geäußert hatte wie Kämmerlings in der FAZ.

Er hatte "Verzicht" angeraten und die wahre Größe im Umgang mit dem Krebs im Schweigen erblickt. Das Problematische an dieser Empfehlung erkennt aber auch er sehr wohl: "Wer beschließt, ein Buch nicht zu schreiben, weil ihn die Scham durchdringt, muss schon darauf hoffen, dass Gott anstelle des Marktes und des Publikums tritt und er auch wirklich, wie geschrieben steht, alles sieht."

Mit anderen Worten: Schweigen als ein bestimmtes, interpretierbares Verhal-ten lässt sich nur dort einsetzen, wo von jemandem erwartet wird, dass er spricht, also klare Privilegien den Zugang zum Medium regeln. Der klassische Begriff von Öffentlichkeit wird hier als ein aristokratisches Konzept kenntlich. Dem tritt die Community mit ihren "Patientenbriefen" entgegen. Im Schweigen vermag sie nur das Verstummen zu erkennen, welches ein schweres Unglück noch um die Schmach der Missachtung und Vereinsamung vermehrt (…)“ Autor: Burkhard Müller (22. September 2009)

Jetzt Fahrt zur OP in Stuttgart. Zuerst dieser Schrecken eines Sintigramms, „Knochenfraß“. (Und muss lachen: Es tröstet mich nicht, dass auch der Papst daran leidet!)
Und das alte Übel im Rücken, die Bandscheibe, die Wirbelsäulenblitze, dieser kleine Schmerz, der alle Knochen, auch Arme und Beine erfasst hatte. Und eine gewisse Schwäche beim Laufen in den Beinen, das alte Schreckgespenst wird nun zu einem Zeichen „der Alters-Gesundheit.“
Wie oft sind wir in unseren 27 Jahren über den Cisa-Pass gefahren. Ich will jetzt die Schönheit bewusst genießen. Nehme mir vor, meine Tagebücher zu durchforsten, um zu sehen, was ich hier früher erlebt habe; jetzt müssten die Sinne aber am offensten sein für den Augenblick. Als würde ich jetzt zu einer Hinrichtung fahren… Rechts zwei schöne Pferde, ein altes Haus, es wird mich überleben, wie das Magratal, die Magra. Und sehe wieder darüber hinweg, sehe in ein Engelbuch von Paola Giovetti. Dieses Wissen. Dass „alles“ Seine Ausstrahlung ist, diese Welt „ihn“ verkörpert, in jedem Grashalm wie auch in meiner armen Prostata „sein Gedanke“, die Blumen, der kleine Hund, und alles fühlt, heißt es, meine Zuwendung oder meine Wut, vielleicht auch die unberechtigte Verachtung, diese Absenz, die hat mich vielleicht so krank gemacht … Und ich denke an Celans „Krokus“-Gedicht, an Ernst Jünger oder an Hölderlin, bei ihm heißt es "wer das Tiefste gedacht, liebt das Lebendigste" : Mit der Welt selbst schreiben! Jenes "Lebendigste" ist mit der Welt verschworen, mit ihr im Einverständnis! Dieses Einverständnis, nicht ewige Kritik, etwa brachte Constantin Noica das hohe Schaffensalter. "Glück" ist da, wenn alles mithilft. "Im Glück denken die Dinge, denkt die Welt für uns."
Es ist das Erschrecken diese Essenz im Leben versäumt zu haben, ich nannte es auch „leichte Hand“. Soll ich jetzt erwachen, wie auch beim unfassbaren Tod eines lieben Menschen. Doch jetzt ist es in mir selbst, und ich bin nicht trennbar von ihm.
All mein Gedanken, die ich hab. Wie sich alles umkehrt. Sie sind bei „Ihm“, „Gott ist der Tod“, Hegel. Hannah fallen Krebsfälle ein, will sie mich trösten? Vaclav Havel hat Lungenkrebs. Giuliani (New York) Prostata. Der Papst, Knochenkrebs. Und sie alle leben noch. Man kann ja heute so viel machen, sagt sie. Der Vater unseres Paolo, des Handwerkers, ist an der Blase operiert worden. Und Professor Paulini hat ihm aus der eigenen Haut eine künstliche Blase „zurechtgeschneidert“. Damit lebt er schon drei Jahre.
Ich denke andauernd darüber nach, was noch zu ordnen wäre. Das Werk ordnen, auf CD kopieren, die Papiere in Mappen. Marbach und das Siebenbürgeninstitut anschreiben.
Ein Testament verfassen. Ein Archiv einrichten. Doch wann? Keine Zeit mehr… Alles bleibt ungeordnet liegen!
Nein, ich muss diese noch gegebenen Augenblicke leben, wenigstens zum Fenster hinaus sehen.
Doch dann kommen schon die banalen Körpergedanken: wieder dieser Urindrang. Ich versuche ihn zu unterdrücken, denn alle Stunden ist er da. Und ich bin besorgt, wie das dann in der Klinik sein wird.
Ich muss nun an Cris denken, das Vorbild für meine Figur aus dem „Verweser“, ist es nicht erstaunlich, dass ich lange vor meiner Krankheit, so den Krebstod schon beschrieben, und sogar ein Krebstagebuch von Cris und seiner Liebsten wie vorahnend „erfunden“ hatte.
Von ihm hätte ich jetzt lernen können, was suchst du denn, Landschaft, „festen Boden“? Hätte er gesagt: Was heißt hier festen Boden unter den Füßen? - Cris würde darüber nur lachen! Ja, würde mein Freund Cris, der Physiker sagen: Die feste Welt ist ein Myriadenwirbel wie das Sternenzelt, mein Lieber, oder besser: ein Schweizer Käse. Und erkennbar in seiner Struktur nur in der Formel oder im Tod, wenn wir unseren Körper verlassen, endlich die Atome durchdringen, durch Mauern gehen und fliegen können! Cris war krank, als er das sagte, sehr krank, er hat nicht mehr lange gelebt! Aber manche Leute, so wie er auch, halten den Tod für das größte Abenteuer, das uns noch bevorsteht, und er gehörte zu ihnen: es sei wie eine Ekstase, meinte er, wie wenn wir mit einer Frau verschmelzen. Und dazu fällt mir jetzt dieses Gedicht ein:

ERWACHEN
Und allein ist alles, das Ich wie es stirbt:
Du verlässt mich in jeder Sekunde
Neu/ und ich bin dann wie ein Gefühl
Und flüssiger Stein.

Allein ist allein und mit dir
Wie ein Sterben
Du die mein Ich ist
Zu zweit.


*

Oh das Wasser
Aus dem wir bestehen
Überflutet mich
Nur einmal im Leben
Wenn das Wasser zu
Wasser wird Erde zu Erde
Element und nichts anderes
Mehr wird.

Cris hätte das Gedicht gefallen.
Wenn ich jetzt im Rückblick und voller Nostalgie an Cris denke, sehe ich ihn, Cris: einen sympathischen Jungen, wie er früher mal gewesen war, bevor er krank wurde: mit hellen Augen und hellem Kopf, groß gewachsen, athletisch und sportlich, und er hatte viele Freunde um sich, alle hatten großes Vertrauen in seine sarkastische und abwertende Art, alles, was er anpackte, gelang ihm; auch sein Studium. Spielend alle Prüfungen. Dunkles Haar und helläugig. Brille. Volles kräftiges Haar mit leichtem Glatzenansatz. Glatte, helle Haut. Einsachtzig. Jeans. Er hatte früher neben Rut auch eine kleine Geliebte, die Lucetta hieß. Er war leichtsinnig und witzig gewesen vor seiner Krankheit, aufgeklärter Nihilist; er nannte seinen Schwanz "Reich der Mitte", und wenn der stand, "il Grande Proletario". Lud gern "gebrauchsfertige süße Puppen" auf sein Motorrad, "heißer Ofen unterm Arsch und unter der V..." sagte er früher. Seinen Vater mochte er nicht; es gab Spannungen, den Alten konnte er ironisieren: "Weg mit dem Schnurrbart, fort mit einigen Jahren aus der Gesichtsfalte, weg auch mit einigen Zentimetern deiner großen Größe!" Seiner Mutter Agnese, der Schönen, Sanften aber vertraute er sich an, sie wußte "es", bedauerte ihren "großen Jungen", dem die Mädchen nachliefen; sie kannte sein Problem: in ihm brannte vor seiner Krankheit die Leere, jene weit verbreitete Krankheit; und er fühlte sich oft wie ausgebrannt und meinte, nicht lieben zu können. "Warum eigentlich morgens überhaupt aufstehen", sagte er zu Agnese, "wozu?" Einmal saß er am Küchentisch und erschreckte sie mit seinem Lamento: "Weißt du Ma, eben kommt mir ein Vers von Quasimodo in den Sinn, der mich sehr anspricht und angeht: Und wirklich/ ich möchte tot sein!" Setzte hinzu, als er sah, wie seine Ma so bestürzt war und die Kaffeemaschine fast umgestoßen hätte: "Keine Spur, man muß ja nicht gleich so übertreiben! Und weißt du, jetzt befreie ich dich von meiner Anwesenheit! Befreie mich, repariere dir einfach das Schloss der Eingangstür. Tütü - und die Klingel dazu. Sublim, nicht?" Doch beim Schlossreparieren merkte er voller Schrecken, dass seine linke Hand plötzlich fühllos wurde, - die Finger zuckten. Er dachte zuerst an Übermüdung, "blödes Volleyballspiel!" Doch die Lähmung der linken Hand ließ auch am nächsten Tag nicht nach. So ging das einige Monate hin. Ohne es den Eltern zu sagen, ließ er sich von einem Neurologen, einem Onkel Ruts, untersuchen; Rut hatte er sich auch anvertraut, die schien besorgter dann als er. Lucetta sagte er nichts von seiner Krankheit, und die merkte bei ihrer nächsten Begegnung auch nichts; der Grande Proletario funktionierte wie immer. Doch das Zucken nahm zu. Und nun zuckte auch die linke Gesichtshälfte. Der Neurologe riet zu einer Tomographie. Cris stand kurz vor dem Examen. Und hatte nun Kopfschmerzen und Schwierigkeiten beim Studium. Das Testergebnis war katastrophal. Der Onkel rief an, redete unklar von einer Zyste, die müsse operiert werden. Als Cris in die Praxis kam, saß Rut schon im Wartezimmer. Sie war tapfer, sagte nichts. Sie rührte ihn, er strich über ihren dichten blonden Schopf. Nun sagte er es auch den Eltern. Die Mutter weinte. Diagnose: Hirntumor. Dies hatte Giovanni, Ruts Onkel, ihnen ganz offen gesagt. Auf dem Röntgenbild war der große schwarze Fleck deutlich zu erkennen. Das kann nicht wahr sein, ein Alptraum, ein Geräusch im Zimmer und du erwachst! dachte Cris. Doch es war kein Alptraum, sondern die fürchterliche Wahrheit. Nachts schlief der Kranke nicht, als wäre er zum Tode verurteilt worden. Rut wachte mit ihm. Es schien Cris, als sähe er sie jetzt zum ersten Mal. Er rief Lucetta nicht mehr an. Komisches Gefühl, dachte er. Seine Mutter wunderte sich, er witzelte nicht mehr. Dafür schrieb er. Vor der Operation musste er zwei Wochen auf Station. Er durfte seine Bücher nicht dabei haben, das war die größte Qual. Aber "ein wenig" schreiben durfte er. Rut saß neben ihm. Entwickelte großes Erzähltalent. Er staunte, wie viele gemeinsame Erinnerungen sie in den zwei gemeinsamen Jahren schon hatten. Er hatte Angst; schrieb sich eine "Angstskala" auf, grübelte darüber nach, was ihm zustoßen könnte, dachte, dass er nun verblöden würde: "Ich werde nicht mehr ich sein, Rut, du wirst sehen." Die ging oft hinaus. Und weinte draußen, sie wollte sich die Schwäche und die Tränen auf keinen Fall anmerken lassen.
Alles hatte sich verändert. Zuerst hatte sich Cristians jungenhaft-protzender Sex verfeinert. Vom Grande Proletario war keine Rede mehr. Was bisher getrennt schien, unten und oben, sein Schwanz und sein Kopf, sagte er zu Rut, kämen jetzt zusammen. Und sagte, ihm sei Aufmerksamkeit nun wie ein Gebet, da die Zeit unheimlich kurz geworden sei, jede Sekunde wertvoll, das Sehen, ein Lichtbild jede Sekunde, bewusst, in der Kürze des Nochverbliebenen, ein heiliger Akt.

Als säße man im Todestrakt, frei – und doch im Todestrakt. Die Ärzte, die Apparate, die Richter? Und wer ist der Henker? Der Krebs oder ich selbst? Oder das, was man „Schicksal“ nennt. Ist es nicht vielmehr mein Versäumnis? Dass ich nicht zu Untersuchungen gegangen bin? Und nun ist der PSA-Wert 32. 6 darf er sein.

Das Schlimmste aber ist: Die Hoffnung wird reduziert, nimmt ab, die Jahre in der Lebensrechnung auch. Also die stärkste Kraft, die wir haben! Jetzt sollen mir auch die Samenbläschen herausoperiert werden… Impotenz, Unfruchtbarkeit. Das stärkste Lebenszentrum als Naturkraft in mir soll es dann nicht mehr geben?

Hannah fährt, und ich lese im Engel-Buch, es ist tröstend. Und ich nehme mir vor, mit meinen „Schutzengeln“ umzugehen, Und den Genien (Michel Angelo). Ihr Reich, Wunderwelt des Geistes. Die unser vor den Schmerzen des Körpers schützen kann?

Sich dem armen Bruder, dem Brüderchen Körper nicht zu überlassen im Schmerz, ihn wie mein eignes Schmerzenskind zu behandeln, ihn betreuen, nicht sein Sklave werden. Aber immer wieder der Gedanke, wohin denn mit diesem Armen, mit diesem Kleidchen in dem wir leben.


24. Mai- 30. Mai. Tizianweg, Stuttgart, Tagebuchnotizen im "Überlebenstagebuch" Notizbuch handschriftlich!
Vorsprache bei Prof. Eisenberger um 14 h15.
Jubeln, das Sintigramm ist negativ Ich lag 20 Minuten in der Röhre – und meditierte. Die Ärztin telefonierte andauernd Dr. Mirjam Hakim, asiatische Ausstrahlung. Spritzte zuerst das Phosphat in die Vene.

11,15 wieder in der Radiologiegemeinschaftspraxis in der Schwabstr. Und ich fürchtete nun das Todesurteil. Metastasen bis hin zum Kopf und bebte. Betete, was ich sonst nie tat. Rief die „Schutzengel“ an. Hat es geholfen? Soll dies alles nur ein Schreckschuss sein?
Wir kennen ja das Jubeln: Die Ergebnisse negativ. Kein Befund.

Ich war dann auch in der Kriegerstr. Im Kathrinenhospital um mir die Privatstation des Prof. Eisenberger anzusehen. Seine Assistentin, Frau Dr. Wilms empfing mich.

25. Mai. Bei der Blutzentrale, um 1 Liter Blut abzugeben, Eigenblut bei der OP, falls nötig. Ich habe alle Blutgruppen A, B, O. Doch nachher bin ich fast unfähig zu gehen. Hannah holt mich mit dem Auto ab.

31. Mai. Nachts. Diese Nacht aber auch Traum mit Mutter, ich musste sterben, alles war vorbereitet, bis hin zum Licht im "Raum", der Sarghöhe, dem Grabstein. Als ich aber mit ihr in jene Totenhalle hinging, wie zum Arzt hineingehen musste, da sagte ich ihr, wie früher als Kind, nein, nein, Mama, ich komm nicht, ich will nicht! Und sie: Aber das kannst du mir doch nicht antun, ich hab doch schon den Grabstein bezahlt.
Das war mir egal. Und ich haute ab. Floh vor dem Tod, rannte davon, erleichtert und wieder froh, entkommen zu sein. Ausgelöschte Geburt, ausgelöschter Tod?

3.6. Nachts Telefonat mit Ingrid. Dann mit Tina. Beide sagen: Du musst dein Haus, deine Wohnung, dein bisheriges Leben verlassen, dich total verändern! Das ist wichtig, sonst stirbst du bald in deinem alten Haus.

6.6. Ich muss schon morgen in die Klinik. Dr. Matthes ruft an. Der Prof. operiert am Freitag nicht. (Pfingstferien). Wir packen schnell die Sachen.

7. Juni. Tag der Einlieferung. Zuerst zum Vorzimmer des Prof. Einweisungszettel auf U1, von dort zur Zentralen Patientenaufnahme. Streit wegen des Zweibettzimmers auf AOK-Kosten. „Das gibt es nicht“, „Aber die Privatstation des Professors. Ok, das ist dann seine Sache!“ So komme ich dann n ein schönes Zweibettzimmer – sogar allein, mit Bad und Parksicht. Dann die Analysen. Elektrokardiogramm. Ein Schenkelblock wird festgestellt. Lungenröntgenaufnahme. Ultraschall. Eine Nierenzyste. Transrektal. Sonar. Prostata 60 ml. 3x vergrößert. Und der Untersuchungen, ich noch "in Zivil".

Besuch vom Anästhesisten und seinem Assistenten. Der rein kam, meine „Weiße Gegend“ auf dem Tisch sah, ein Buch, das ich "zum Trost", wie alle meine Bücher mitgenommen hatte, als könnten sie mir helfen, Kinder, Freunde… Dr. Hamm nahm die Weiße Gegend„, und fragte: Ist das von ihnen?
Ja. Und der daraus dann "positive" Stellen vorlas, weiter von seinem Schwiegervater erzählte, der nach der OP nun völlig in Ordnung sei und doch einen höheren PSA-Wert als ich gehabt hatte!
Beide Anästhesisten wussten von den OBE-Erlebnissen, kannten allerdings das Wort nicht, wussten nur von Moody und diesen Nahtod-Erfahrungen mit dem „Tunnel“, die Menschen in Lebens-Gefahr, aber auch Patienten auf dem OP-Tisch gemacht hatten.
Ich musste alle Grässlichkeiten der Risiken einer Vollnarkose zur Kenntnis nehmen und unterschreiben, etwa Kreislaufkollaps, dann, dass durch den eingeführten Tubus auch die Luftröhre verletzt, Stimmbänder verletzt, werden, Heiserkeit, ja, Stimmverlust eintreten kann. Die Lokalanästhesie kam bei dieser langen und schweren OP nicht in Frage, etwa die über das Rückenmark, die sonst bei Unterleibsoperationen empfohlen wird!
Am meisten erschreckte mich, dass man durch eine intravenöse Injektion quasi klinisch tot gemacht werden kann, Herzstillstand - und du an eine Herz-Lungenmaschine angeschlossen wirst! Doch nur die Atmung wird bei mir blockiert, ich bekomme künstlich Sauerstoff zugeführt über einen Tubus in der Luftröhre.

Der Prof. kommt zur Visite, sportlicher Typ, weniger sensibel als die Jüngeren; sagt, er müsse vorher noch eine Blasenspiegelung machen, wenn sich Tumoren ergäben, könne er nicht operieren. Da könnten nur noch Hormontherapien angewendet werden, Bestrahlungen. Fast ist mir das recht, sie erspart mir die Operation.

Hannah besucht mich noch. Ist sehr lieb.

8. Juni. OP zweieinhalb Stunden. Viel Blutverlust. Eigenblutkonserve. (OP-Bericht, der beschreibt, was ich nicht bewusst erleben und beschreiben konnte.)

Pause. Ich war drei Tage unfähig zu schreiben, auch wenn mir die gute Hannah den Laptop an mein Krankenbett gebracht hatte.

11. Juni, Samstag. Die ersten zwei Tage (9. Und 10.) verdämmerte ich. Der dritte Tag, also heute, soll der schlimmste sein. In der Wahnsinnsnacht, das war die dritte, da fühlte ich mich in meinem Körper eingesperrt, raste trotz der drei Beutel dauernd aufs Klo, denn auch der Drang war sehr groß und ich konnte doch meinen Darm nicht entleeren, der Schlauch des Katheders innen drückte wohl dagegen... Das ging die ganze Nacht so, das Bett war zerwühlt, die Drainagen lagen einfach so am Boden herum, es sah wüst aus, ich völlig verkleckert, sah wohl auch im Gesicht danach aus! Und am Morgen das Riesengeschimpfe des Prof. Doch etwas mehr Disziplin bitte, und gerade Sie, Sie arbeiten doch geistig, wütete er, der Geist baut doch den Körper, müsste ihn auch beherrschen können! Und ich gab ihm reuemütig recht, sagte, dass ich doch seit 25 Jahren Yoga treibe... und er es doch wohl selbst nicht begreifen könne, wie man sich in so einer Nacht fühlt, wer es nicht selbst erlebt habe... da konterte er, er habe täglich Patienten in ähnlicher Lage... Doch Sie, Herr Prof. Eisenberger, sind nie selbst operiert worden, diese Perspektive haben Sie, haben Sie diese je überlegt? Als Gesunder?! Sehen Sie, das ist der Unterschied unserer Berufe, Sie sorgen sich um den Körper, ich aber muss mich um die ganze Verfassung eines Menschen kümmern.
Er ungerührt: Nachher, wenn Ihnen etwas passiert, bin ich verantwortlich.
Und noch etwas: Jetzt erst wurden die Folgen der Anästhesie spürbar: Tatsächlich war es dann am ersten und zweiten und dritten Tag so, dass ich kaum reden konnte, der Hals tat weh und es war viel Schleim und anderes Zeug in der Luftröhre, auf den Stimmbändern, und ich konnte kaum reden, Hannah war die erste, die mich besuchte, auch Anita kam, und ich konnte mich kaum aufrichten und bewegen. Auch Reden nur sehr belegt!

Wie war es dann wirklich gewesen nach der OP? Hannahs Bruder Gysi, er war der erste, der mich danach fragte, ob ich etwas Seltsames erlebt hätte? Ich dachte nach, sagte: Nein!
Doch nur halbherzig, da blitzte es mir, dass das nicht stimmte. G. sagte ich, dass vor allem im Halbschlaf allerlei Traumfetzen hochkämen. Er meinte, ich solle lieber alles ruhen lassen, nicht daran rühren, wer weiß, was es gewesen sei!
Und wenn ich es immer wieder versuchte, kam eigentlich undifferenziert so vieles, wohl Augenblickseingebung und Wachtraum hoch? Vor dem Einschlafen hatte ich mir geradezu einen Sport daraus gemacht, alles wieder heraufzuholen, zu „erinnern“. Und das war dann etwa so:

"Er" winkte mir, und ich ging mit diesem Buch aus dem Haus, es war windstill, im Nachbarhaus stand auf dem Schornstein eine senkrechte Rauchfahne. Lauter frisch aufgeworfene Hügel, sonst nur zubetonierte Gräber, wir gingen in eine tranceversunkene Stadt, manchmal schwankte ein hohes Gebäude vorbei, und Gesichter hingen müde, wie an eine Fensterscheibe gepresst, vor uns in der Luft. "Er" wich mir jetzt nicht mehr von der Seite, er und eine Frau hatten mich in die Mitte genommen, sie zeigte mit ihren knochenweißen Händen auf verschwommene Gesichter, die tiefernst und unbewegt in ein Loch starrten, einige hatten Tränen in den Augen, ein schiefer Regen von Tränen fiel auf die schlammige Erde.

Und dann war es eine bekannte Straße mit kleinen Häusern, Vögeln, auch Krähen und Raben in abgezirkelten Vorgärten, aus denen es nach faulen Äpfeln roch, süßlich nach Verwesung. Die rote riesige Sonne drang kaum durch den Nebel, hing hinter einem Gewirr von Ästen, alles war reglos, wie gefroren, und ein Gewebe von eisigen Wolken am Himmel sah aus wie ein ungemachtes Krankenbett oder zerwühltes Totenlinnen. Und wir nahmen einen Anlauf wie früher als Kinder beim Springen, hoben ab und flogen gemeinsam los, ein schönes Freiheitsgefühl, und ich sah deutlich, wie mein Schatten unter mir übers Pflaster glitt, sah, dass niemand anders als Hella unter mir flog, und strich zärtlich über die Planken der Gartenzäune, wie über tönende Saiten.

Und ich machte einen Luftsprung, um mich von ihm zu befreien, stieg steil in den Himmel, Dächer neigten sich schwankend unter mir, ich aber flog über die Wolken hinaus ins Purpurrote, und alles war durchmischt, da erschienen Damen mit riesigen Großmütterhüten oder war´s ein Lichtkranz, Glühwein bot eine von ihnen an, Wolkenbuden, alles war erschüttert vom Klingen und Lachen, Musik, Wälder, Meere, Schneegipfel, alles bewegte sich. Am Strand Pärchen, sie gingen aber langsam oder kamen nicht vom Fleck. Es sah komisch aus, wie sie dastanden, aber zu gehen schienen, sich küssen wollten; die Bewegung kam aber nicht an. Und gleich hinter der nächsten Uferböschung, die sich ins Meer hinaus bewegte, stand mein gläserner Hotelbau, nein, ein Turm war es. Ich ging in mein Zimmer hinauf.

Vom Bett aus konnte ich die Wolkenformationen sehen, in denen die Bilder wie in einem Kino abrollten, darunter immer wieder Hügel, knatternde Maschinengewehre und stürmende Soldaten, die am Fuß des Hügels erschossen liegen blieben, sich zu hohen Menschenwällen türmten, dass man den Hügel, die Wolken, alles, was außerhalb des Fensters war, nicht mehr sehen konnte. Ich las dann, trank mein Bier, und erschrak auch, obwohl die Stubenmädchen jung und hübsch und immer zur Liebe bereit waren, erschrak ich, als ich eine Seite aufschlug und las: dass dies ein Devachan-Zustand der Buddhisten und Philosophen sei, und dass ein gewisser Herr D. daraus hervortrete, dass er plötzlich zu reden anfange, und mir ein geöffnetes Buch vorhalte, und in dem stehe, dass ich in einem Glasbau liege, und er in seinem Buch nicht mehr lesen dürfe. Die Lebenden selbst - in ihrer Gebundenheit - sind die Toten, sagte er, und es klang wie ein Automat: Sie schaffen ihre zerbröckelnde Welt, weil ihre Phantasie nicht ausreicht, gleichzeitig in mehreren Welten zu leben, in deren unsichtbare Seiten hineinzugehen, und sich am Rahmen, an ihrem nur durch die niedere Vorstellung hart gewordenen Buch, wund zu stoßen, so dass sie endlich aufwachen können.

Meist war von einem hellen Lichtpunkt die Rede. Der Wagen der Ersten Hilfe des Malteserordens brachte den Andern zur Krankenstation. Und lieferte ihn in einer großen Wartehalle ab. Von dort holten sie ihn mit einer weißen Tragbahre in den Heilschlafraum, betreut von Ärzten und Schwestern, musste er sich zu Bett legen. Und schlafen. Doch bevor er einschlief, fragte ihn eine Ärztin, die ihm bekannt vorkam, es schien Hella zu sein: Glauben Sie an Geister? Die Frage war so gestellt, dass er nicht gut "Nein" antworten konnte. Und er sagte, er glaube zwar nicht daran, dass die Toten auf die Erde zurückkehrten, um die Erde heimzusuchen, dass er aber an den Geist der Natur, den Geist der Geschichte und andere Geister glaube, an gewisse erstaunliche Erscheinungen also, die darin bestehen, dass die Vergangenheit andauert, niemals vergehen kann.

Ja, da haben Sie aber vollkommen recht, sagte die Ärztin, das ist schon ein gewaltiger Schritt, um zu einer Heilung zu kommen. Und Sie sind ja auch noch immer in Ihrem Haus, alles andere ist nur geträumt, doch allein der Traum bewegt sich voran, alles andere bleibt, verharrt an seinem Ort, ewigkeitsbewegt natürlich. Es auszudrücken, das ist schwer: Und bleibt schwingend, wie eine Aufzeichnung in der Luft. Geräusche, Anblicke, Schall, Rauch sogar, Stimmen, tief bewegt. Es kann aber nicht übertragen werden auf Augen und Ohren der Leute im Raum, Schmerz, das Leid, aber die Angst, die machen es möglich, diese Geräusche zu hören.

Sie wies die eben in den Schlafsaal eingetretene Schwester an, Roman "unberührt" zu massieren und ihn von dem ganzen Unrat, der seinen Zweiten Körper bedecke, mit der "alten Methode" zu reinigen. Beide Frauen nahmen ihn in die Arme, ohne ihn wirklich zu berühren, aber ihr warmer Hauch küsste ihn von oben bis unten ab, und er fühlte sich nach diesem "Bad" wie neugeboren.

Sie wissen es ja längst, sagte Hella (ja, es war wirklich die verwandelte Hella). Und haben es früher auch, freilich, ohne es zu beherzigen: das, was wir als Leben ansehen, ist der Schlaf des wirklichen Lebens, der Tod dessen, was wir wirklich sind. Die Toten werden auf diese Weise, wie Sie, geboren, sie sterben nicht. Die Welten sind ja für uns vertauscht, wenn wir meinen, wir leben, sind wir tot. Wir sind im Schlaf befangen, und dieses Leben ist ein Traum. Bist du darauf vorbereitet zu sterben? Hörte er plötzlich eine ganz leise Frauenstimme. Er spürte es wie einen Schlag, es verletzte jedoch nicht, erweckte nur alle inneren Kräfte, und er hörte: Was hast du mit deinem Leben getan, das bestehen kann?

15.6. Gestern habe ich erfahren, dass in den Lymphknoten und Samenbläschen Mikrotumoren seien. Also war mein Krebs nicht lokal auf die Prostata beschränkt! Wieder ein Schock; mit Hannah trauriger Spaziergang im Park, die alten Incubi kamen wieder, die Todesgedanken. Obwohl es ja eine Prophylaxe ist, denn die Knoten wurden wie die Samenbläschen herausoperiert. Sie hätten sich aber verbreiten können; das aber lässt sich erst in 3 Monaten am PSA-Wert feststellen; daher wäre eine Hormontherapie erst dann fällig! Aber ich möchte nicht warten, sondern sofort alles stoppen. Ich besprach das heute mit Dr. Mattes, dem Stationsarzt, einem netten Mann, mit dem Prof. Eisenberger kann man so etwas gar nicht besprechen. Er hat kaum Zeit. Überhaupt wird man hier sehr demütig. Schon, dass nur auf der U1, der Privatstation des Prof., wöchentlich etwa 7 Patienten am gleichen Prostatakarzinom operiert werden, in der ganzen Klinik der Kassenpatienten, also U3, U4 ca. 50, ist Wahnsinn, und zeigt, wie diese Krankheit zugenommen hat, das auch, weil die Alterspyramide steigt. Neunzigjährige sollen die Krankheit sozusagen alle haben, 80- jährige fast alle!

Prof. Eisenberger erscheint mit seinem Team schon um 7 Uhr früh zur Visite; operiert dann; die OPs dauern 2-3 Stunden; er geht erst gegen 19 Uhr nach Hause; um halb sieben ist er schon wieder hier. Die philippinische Schwester, die um 22h nach Hause ging, stand um 6 Uhr wieder in der Tür; es ist Wahnsinn. Es wird enorm geschuftet.

Schon der Tagesablauf ist hart: 5,30 kommt die Nacht-schwester, um nach mir zu sehen, den Katheder zu leeren. Dann um 7 zwei weitere Schwestern; die eine gibt mir eine Spritze, macht "Kathederpflege", die zweite gibt mir ein neues Irrenhemdchen und überzieht das Bett neu. Ich bin ein offizieller Körper, die fummeln alle an mir herum, alles ist völlig asexuell, schamlos. Die Phlippina, die mir das Bett machte, den neuen weißen Kittel anzog, der hinten offen ist, der Arsch immer frei, und mir dann auch die Thrombose¬strümpfe auszog, mir die Füße wusch, war konzentriert-abwesend. Dann wird noch der Katheder geleert. Und schließlich die Drainage, wo immer noch Wundsekret fließt, täglich hellrotes Wundwasser aus der Wundhöhle; es gibt also als lästigen Körperzusatz 1 Drainage und 1 Katheder, die ich jetzt wie eine Tasche an der Seite trage, damit kaum schlafen kann, immer auf dem Rücken liegen muss!
7,30 Visite. Der Prof. mit Dr. Mattes, dem Stationsarzt und der giftblonden Ärztin, Dr. Willms, die Assistentin von Eisenberger, stehen im weißen Raum. Der Prof. sagt natürlich nichts zu seiner gestrigen Diagnose. Jetzt warten wir mal ab, sagte er, dass diese Sache, die Harakiri-OP-Wunde 25 cm horizontal über den Bauch, heilt. Schritt für Schritt.
Vorgestern hielt er auch noch einen Vortrag: „Prostata, Lust und Leid“ - im Rathaussaal, wo ich auch einmal gelesen hatte.
Dann wasche ich mich, Zähneputzen im Bad, sogar Bartfarbe. Das Klo wieder problematisch, wir nennen das Bad „die Folterkammer“, ich sitz da 30 Minuten mit einem Buch. von Borges. Essays: Buddhismus.

Anruf vom Neffen, der mich heute ganz überraschend besuchen will. Ich lud ihn nach C. ein. Auch Mutter rief wie jeden Tag an. Hannah und ich gingen dann ums Quadrat, hinten am Hörsaal vorbei, wie es uns der Prof geraten hatte, gingen in den kleinen Park. Ich schritt gut voran, doch nur langsam, hatte Seitenstechen, genau von de Stelle aus, wo die zweite Drainage angelegt worden war, und wir mussten umkehren. Begegneten auf dem Gang die kleine Kranken¬schwester¬schülerin Tanja aus Kasachstan mit zwei Verehrern, die russisch sprachen, und ich witzelte, man müsse mich jetzt, wie meine Frau, an den Händen festhalten, sonst jogge ich los!

Um drei kam die nette Tochter meines Bettnachbarn Richter mit ihrem Mann, die haben eine Agentur für Bootssailing und Verkauf. Sie hatten mir ihre Adresse gegeben, denn ich muss vielleicht die arme Frasquita, unser Segelboot verkaufen.

16.6. Redete mit dem Bettnachbar über unsere Wehwehchen, warum bei mir immer noch soviel Sekret aus der Wunde durch die Drainage läuft. Dies und Erbprobleme heute. Dass mein Sohn dann auch alles von mir erbt. Richter: Ich würde da nichts weitergeben, lieber alles verjubeln!
Was interessierte ihn da die Sixtina in Rom, weiß wohl gar nicht, was das ist. Ich erzählte davon, er war kaum interessiert. An meinen Büchern schon gar nicht.
Ich sprach auch über meinen Nachlass in Marbach, das interessierte ihn schon gar nicht.
Ach, das hat hoffentlich noch Zeit!

Und das OP-Erlebnis? Erst heute Nacht kam dies Bild einer Nebellandschaft, als würde die durch einen scharfen Scheinwerfer durchdrungen; darin bewegten sich Gestalten mit seltsamen Hauben. Meine Perspektive schien nicht von oben zu sein, sondern von vorn oder gleichzeitig von oben und von vorn, als wollte ich mich dem Ort nicht nähern. Mein Bewusstsein war jedenfalls „außerhalb“, dort aber geschah etwas mit jemandem, der gar nicht ich war. Dachte zuerst an eine Hinrichtung oder an eine nächtliche Bluttat... Lynchjustiz?
Und manchmal quälende Schuldträume.

Ich meinte zu reisen, und war plötzlich und ganz unvermittelt auf dem alten verrauchten Bahnhof meiner Heimatstadt. Doch es war wieder nur der Andere, nicht Ich, der mich lebte, so dass ich alles sehen konnte, auch ihn natürlich! Über seinem Kopf die Uhr. Und gleich wird ihr schwerer schwarzer Zeiger, der noch wie erstarrt, eine Pause zu machen schien, vorrücken, und die ganze Welt wieder in Bewegung setzten: langsam wird sich das Ziffernblatt abwenden, es wird keine Verzweiflung, Verachtung und Langeweile mehr geben; die alten verschnörkelten Eisenpfeiler werden, einer nach dem andern, vorüberziehen und gleichmütig die Bahnhofshalle forttragen, und auch der Bahnsteig mit den vielen Kürbiskernen, Zigarettenstummeln, Papier, Sonnen-Flecken, Rotz- und Speichelspuren, wird ins Unbekannte vorüber gleiten, er aber wird die Stadt für immer verlassen.

Er war in Schweiß gebadet, weil er wie jedesmal fast den Zug verpasst hatte, und jetzt musste er sogar noch warten. Der Verkehrspolizist, den er nach dem Weg gefragt hatte, war nur mit einem halben Lachen in eine Art halbe Wende gegangen, hatte ihm den Rücken zugekehrt und gesagt: "Gib auf, Mann!"

Ich hatte mein kleines Taschenradio eingeschaltet, um die Nachrichten zu hören, um nicht zu weinen, ich kam da mitten in einen Vortrag mit vielen Nebengeräuschen und Fadings, der Vortrag wurde mit einer merkwürdig hohen Frauenstimme gesprochen, als habe der Vortragende einen künstlichen Kehlkopf: Öffnen Sie sich bitte den neuen Formen der Wahrscheinlichkeit ... Mich schauderte es, diese unheimliche Stimme zu hören. Immer diese Frauen! Und einmal schwebte auch meine Großmuter, die ich immer zurückgestoßen und schlecht behandelt hatte, über dem Bett der Schlafnische, als wäre sie eifersüchtig; ich lag da mit Maria, und aus einem geöffneten Fenster kam eine lange Gestalt, ein Lichtstreif, fasste nach meiner Gurgel, drückte zu.

Und da kam auch schon der Zug. Eine Lokomotive vom ersten Gleis blies mir dicke Dampfwolken ins Gesicht, Ruß, klirrender Frost, festgetretener Schnee, ich hatte kaum bemerkt, dass es Winter war. Der Stationsvorsteher mit roter Mütze ging vorbei. Und ich fragte schüchtern, "Bittschön, ist dieses der Orientexpress?" Der Mann mit der roten Kappe sagte nur knapp: "Nein!" Ich ging nun gedankenlos den Perron auf und ab, dann hinaus auf den Bahnhofsvorplatz, setzte mich in eine klapprige Taxe und fragte den alten Chauffeur: "Sind Sie frei?" "Ja", sagte der, "ja, doch Sie sollten sich schämen, der Orientexpress steht schon auf Gleis eins, unu. Längst da. Beeilen Sie sich doch, wie behandeln Sie Ihre Familie." Und ich rannte los. Am Fenster des Abteils stand Maria, meine erste Frau, die ich verlasse hatte. "Maria", sagte ich, ";Maria, nimm mir bitte meine Tasche ab, nimm sie durchs Fenster zu dir rein." Maria streckte die Arme durchs Fenster, doch die griffen ins Leere, und die Tasche fiel zu Boden. Der Zug setzte sich in Bewegung, der blasse Mensch rannte panikartig neben ihm her, und sprang schließlich auf das Trittbett. Die Abteiltür aber war verschlossen, Er sah Marias Gesicht dicht vor sich am Fenster, neben ihr der Sohn, beide sahen ihn schweigend an, rührten aber keinen Finger, die Tür zu öffnen, und verschwanden dann mit gleichgültiger Miene im Zuginneren. Ich musste draußen auf dem Trittbrett fahren, und begann an Händen und Füßen zu schwitzen, klammerte mich an den Türgriff, wie an eine Seilhalterung, als wäre ich hoch oben an einer Gebirgswand, und es gäbe die tödliche Gefahr abzustürzen. Endlich hielt der Zug. Die Türen wurden geöffnet. Ich lief voller Panik durch die Abteile. Die meisten Leute waren schon ausgestiegen, doch dann sah ich die beiden, Mutter und Sohn in einer Abteilecke sitzen. Als ich mich zu ihnen setzen wollte, fauchte mich Maria an: "Was wollen Sie, lassen Sie uns in Ruhe, sonst rufe ich die Polizei!" Und ich wankte ins Nebenabteil, erschöpft von der langen Trittbrettfahrt schlief ich ein.

17.6. Ich bemühte mich in den nächsten Nächten mehr von den Erfahrungen während der Narkose heraufzuholen. Es gelang nicht mehr so gut wie noch vor zwei Tagen.
Ich fragte auch meinen Nachbarn, doch der konnte sich an gar nichts erinnern, es sei alles wie ausgelöscht gewesen! Ich hätte gerne auch andere befragt, werde es noch tun. Dr. Hamm und Dr. Mattes auch. Doch die sagten dann, sie hätten niemanden danach gefragt, sie wüssten aber, dass es so etwas wie Nahtoderlebnisse gebe.

Und ich musste an die Vorahnungen meines Genueser Freundes Cris denken, der Krebs gehabt und seinen Tod vorahnend geträumt hatte. Rut, seine Geliebte, war Tag und Nacht bei ihm gewesen und hatte seine letzten Stunden beschrieben. „Es war mir gestattet worden, nun bei meinem todkranken Cris zu übernachten. Er lag oft lange schlaflos da, im Halbschlaf hatte er die seltsamsten Erlebnisse. Und ich las davon in seinem blauen Notizbuch.

Er hatte unerträgliche Schmerzen. Schweißtropfen standen auf seinem abgemagerten Gesicht. Er bekam eine Morphium¬spritze. Aber die Wirkung blieb aus. Die Ärztin gab ihm eine Tablette. Eine Stunde wartete Rut. Cristian war ganz ruhig. Sie beugte sich über ihn, gab ihm einen Kuss. Er sagte noch: "Gehst du jetzt?!" Sie sagte: "Wir sollten beide schlafen, es ist sehr spät." Er nickte, sie ging. Sie schloss die Tür.

Eine Stunde später rief die Ärztin Rut an: Sie solle sofort kommen, Cris liege im Sterben. Rut kam. Die Eltern waren schon da. Cris lag ruhig im Bett. Bett und Zimmer schienen ganz weiß, sein Gesicht in einem merkwürdigen Glanz, hochgestellt; Rut war noch in Cristians Gesicht vertieft, da sah sie plötzlich eine Art Hauch, der schwebte eine Armlänge von seinem Körper entfernt waagerecht über dem Bett. Anfangs ließ sich nur eine neblige Form erkennen, als wachse um den Atem des Sterbenden plötzlich ein schimmernder Körper, doch langsam erhielt der Hauch immer mehr Kontur und verdichtete sich unter Ruts verwunderten Blicken; er nahm eine menschliche Form an. Ein Gesicht wurde erkennbar, es leuchtete. Die Augen waren geschlossen wie in tiefem Schlaf. Rut sah auch eine silbrige Substanz, die von diesem Hauchleib zum wirklichen, im Bett liegenden Körper von Cris führte, am Hinterkopf endete. Es schienen mehrere Fasern eines transparenten silbrigen Lichtstrahls zu sein, und Cris´ Körper vibrierte wie unter dem Einfluss einer starken Energie; es schienen Lichtimpulse zu sein; Rut sah dieses Licht in Adern pulsieren, auch in Cris` Körper pulsierte es, und zwar in Richtung des schwebenden Doppelkörpers über ihm, der mit jedem Stoß dichter und kräftiger wurde, während der materielle Leib schwächer und schlaffer zu werden schien.

Dann war dieser erstaunlich schöne Vorgang beendet, das ganze Leben befand sich nun im zweiten Körper, das Pulsieren der Silberschnur hatte aufgehört. Rut sah, wie sich die Fasern am Hinterkopf langsam lösten, sich öffneten, und abrissen. Als die letzte Faser abgerissen war, schien ein Stoß durch den schwebenden Körper zu gehen, er erzitterte, als müsse er sich abstoßen, dann schwebte er aufwärts. Cristian de Felice war frei! Und die Lichtaugen öffneten sich.

Rut wußte, dass sie dieses leuchtende Gesicht, dieses letzte Lächeln, das ihr oder auch Cris´ Mutter zu gelten schien, niemals vergessen würde.

18.6. Und es kamen auch viele Erinnerungen an Hella wieder… Ich sehe sie vor mir: In Dambach sahen wir uns eine Kirche an. Vor allem die offene Gruft mit dem Berg von Knochen, ein ganzes Durcheinander von Köpfen und Gliedern, nicht so schön ornamentiert und mit barocken Mustern wie in der Kapuzinergruft von Wien oder in Rom via Veneto, sondern so unordentlich und chaotisch wie der Tod wirklich ist, darüber die Inschrift, du lasest sie mir vor, gedankenverloren und du packtest fest meine Hand, dein kleiner Vogel lag fast die ganze Zeit in meiner Hand: „Was ihr seid sind wir gewesen, was wir sind, werdet ihr sein!“
Die sind nur umgebettet worden, sagte sie, der Friedhof wurde aufgelöst, zerstört im Dreissigjährigen Krieg. So lang her. Knochen haben Dauer, als müssten sie die Ewigkeit messen. Mein Gott auch Schädel aus der Altsteinzeit und vorher gibt es noch. Denk an das Jüngste Gericht und die Auferstehung.

Wie ist das möglich, dass ich alle diese Toten hier erfahre, als wären sie noch am Leben, sind sie durch mich auferstanden? Und Onkel Daniel würde sicher sagen, ich hör ihn: Schreibst sie reinholend, Schlawiner. Laufen am Stecken Buchstaben hier wie auf Himmelsleitern!
Dieses sagte auch Friederike noch zu Lebzeiten, auch sie schloss sich in ihr Zimmer ein, überwand mit der Musik den Schmerz, und das, was eigentlich im Laufe eines ganzen Lebens nur erfüllt werden konnte, holte sie so in einem Krebsjahr nach: Dieses Dritte sei etwas sehr Zartes, sagte sie, und sie habe gelesen, dass es nur bei den höchsten Weisen in sich selbst einen Halt finde über den Tod hinaus. Bei ihnen etwa sei es so gewesen. Sogar im Sterbeprozess habe sich in der Brust ein Licht gezeigt, das durch den Körper durch leuchtete, sich hervor schob, dann hochflog. Bei den übrigen Menschen müsse diese Möglichkeit, sich selbst auch nach dem Tode zu behalten, durch das Gedenken der Lebenden ermöglicht werden. Es gebe also einen unsichtbaren Strom, eine andauernde Verbindung mit den Toten, und keine Mauer, die richte nur der dumme Verstand, dieses tödliche Alltagsbewusstsein, eine Art Zivilisationskrankheit an und richte jene Mauer auf.

Und ich sehe jetzt plötzlich Mutter und im Hintergrund Friederike in einem weißen Morgenkleid vor mir, das ist ein schlechtes Zeichen... Und sie redet wieder wie früher, erzählte ja gern, nur ihr Gesicht ist so blass: Kamm, mer gohn hiemen, sagte sie.

Und jetzt gehöre ich eher zu ihnen; noch vor einem halben Jahr, noch im November, als ich in Deutschland war, im Winter dann, war ich noch gesund, bildete es mir ein, denn ich war ja nicht gesund, das Monstrum wuchs in mir, obwohl ich nichts davon wusste. Und mein Blick damals war ein ganz anderer, auch am Friedhof… Eigentlich wollte ich ja nur das Grab meines Vaters besuchen. Nasskalter Novem¬ber, es war der November vorigen Jahres gewesen... wer zählt sie noch, die Jahre, die Jahre... alles vergangen, - ich aber, bin trotzdem noch da: In diesem besonderen Jahr, bevor mein Winter kam, mein letzter. Regen. Nebel im Gesicht, im Herzen. Le¬ben, wer es umkehrt. Die Beine gehen ohne mich, treten auf vergilbte Blätter. Doch vorher noch der Sommer. Dann erst wird es Schnee geben. Alle Jahre wieder? Wie lange noch. Aber wer spricht da, Vaters Stimme in mir, als hätte er mich jetzt hypnotisiert, Schnee, dann er¬frieren die Blumen, spürt das vereiste rote Blatt, sagte er: Mimosen liebte mein Vater. War selber eine. Kleiner Kopf, Brille, abgeschabte Brauen. Und ich, der Sohn, sah immer noch das Loch vor mir, da hinab, dumpfes Geräusch, Erdschollen, dun¬kel, hinab, ein Loch. Da siehst du hinab, da bleibt dein Blick drin gefan¬gen, kannst ihn nicht mehr zurückziehen, feuchte Erde, Lehm, Insekten, Erdgeschmack fad, Wurzeln, alte Blätter, schon vermodert, fallen darauf, du kannst den Blick aus dieser Klammer, eingezwängt im Loch, nicht befreien, da wird es dunkel, verwirrt. Wer aber sieht den frisch aufgeworfenen Grabhügel, wer schluchzt da, - der eingegrabene Blick?

Wo hast du nur deine Augen? Lang her. Dort der Steinmetz Roth, der Grabkünstler von zu Hause, der langsam und mit schwung¬vollen Bewegungen wie der Zeichenlehrer Donath seinen Namen schraffiert: Goldbuchstaben auf Marmor, als schnitten die ins Fleisch, der Stein ganz heiß und weich. Schreiben ja, das das Sterben ersetzt, es aufhebt, so¬lange du liest. Das Leben aber fehlt, und den Namen schreibt ein ande¬rer. Er hat also doch eine ganz andere Vorstellung vom Schreiben, als ich, als wir, entzog sich also genau ins Alte, das er so vermisste, zurück, zurück der Spindel Spur, die¬ser Unsinn vom "Referenziellen", ihr Okzi¬dentalen, sagte er, Wasserkopf. Und hab mich selbst infiziert, sagte er: Was denn "schraffieren", sogar der Stein ist tot, sagte er. Aber es gibt eine Verwand¬lung und kein Ende, sagte er: wir kehren in den Zustand zurück in dem wir Millionen Jahre waren, bevor wir in den Körper kamen. Dieser Unsinn - zwei Hände Erde, dump¬fes Geräusch auf Holz, Erdschollen. Gibst den Geist nicht auf beim Able¬gen des Leibes, D.. Sag nicht Seele, D.., sag Nichts; es löst sich etwas vom Körper, inneres Leben verselb¬ständigt sich im Alter von Jahr zu Jahr mehr, Wahrnehmungen nehmen ab, Außenwelt nimmt ab, die Täuschung Welt schwindet langsam, da willst du fort, um am Leben zu bleiben?

Ich bin kein Überlebender, ich bin ein Überlebter. Alle sind wir Überlebte, nur merken es wenige. Zukunft gibt's keine, es sei denn, sie setzt sofort und schlagartig ein. Das Vergessen ist zu groß. Und das Vergessen des Vergessens.

19.6. Pfingsten. Dann der Juli und der August in jenem Jahr. Und Vater sagte: Es war in der Woche des Johannistages, als des Täufers Enthauptung gedacht wurde und jeder wusste, dass an diesem Tag alles möglich ist, dass sogar die Gesetze der Schwerkraft aufgehoben, die Erde wieder durchsichtig werden kann, Geister und Dämonen fliegen in dieser Nacht. Und die Leute flüsterten damals, auch meine Eltern und Großeltern flüsterten, denn es stand in jenen Tagen der sowjetischen Offensive vom August 44 plötzlich die Zeit still. Mit ihrem Durchbruch zwischen Huşi und Kischinew hatten sie alles gestockt, was bisher gewesen war, auch der Tod hatte sich von uns abgewandt zu ihren Gunsten. Die gesamte 6. Armee, die halbe deutsch-rumänische Armeegruppe Wöhler (die deutsche 8. und die rumänische 4. Armee) und die rumänische 3. Armee wurden damals in fünf Tagen eingekesselt und weitgehend zerschlagen. Bis zum 30. August 1944 konnte die Rote Armee nach Bukarest und Ploieşti vorstoßen.
Wir bekamen damals wenig davon mit. Obwohl es stärkere Verluste als in Stalingrad gab.

Ich erinnere mich an ein abgestürztes deutsches Postflugzeug vor der Steilwand der Wench an der Kükülö. Die Piloten ganz klein geschrumpft, verkohlt, zusammen gepresst von der Wucht des Aufpralls, Flug und Aufschlag, Heulen. Der Rumpf hatte sich in den Acker gebohrt. Wir rannten zur Unglücksstelle: Alles war weiß und pechschwarz zugleich, so das Auge völlig geblendet, ein Loch war zu sehen. Die Erde, die Sonne schienen untergegangen. Glas, Leder, Aluminium. Die Erde war verwandelt, stillgelegt.

An jenem Tag kam auch Vater wieder nach Hause. Ich rieche noch den Tabak, Vaters Zigaretten, scharfe Kriegszigaretten. Er hat um den Mund einen weichen Zug und Tränen in den Augen, er war heimgekehrt. Aus dem Krieg heimgekehrt. Lebte. Tränen, die langsam über die Uniformjacke kullern. Keine deutsche Jacke war es. Eine harmlose rumänische Jacke. Und Mama vor ihm, vor dem nach Krieg riechenden Mann. Weinte. War stumm. Stand da. streichelte ihn, die Hand da dauernd am Arm, fuhr darüber, als müsste sie noch mehr wissen durch die Berührung, war er denn 'wirklich' da? Nein, es ist mein Geist, lachte er. Joi Istenem, as ur. Von Kessel zu Kessel sei er gewandert. Die habe er umgehen müssen oder er sei auch mitten hineingeraten, manchmal gefahren durch Schnee, Dreck. Viel Blut. Und arme erfrorene Leichen. Dann aufgetaut. Das war nicht auszuhalten manchmal. Wenn der Tod auftaut. Manchmal an ihm vorbeigefahren, er oft an ihm. Wer war es, der Mann mit der großen Sense? Nein, ein ganz anderer, der schlug einfach ein. Oder wie Mücken, tuuuiii, die Kugeln. Der sanfteste aber ist wie Schlaf, fällst um im Schnee, träumst und erfrierst. Kein schönerer Tod. Winter. Russischer Winter. Die Kleidung, Mantel auch, dünn wie Regenwasser. Da hat er sich auf den Tod erkältet. Die Lunge, die Atmung rasselnd. Erwachen jetzt!

20. 6. Ich lese in meinem Schmerzensbett zur Beruhigung Borges über Buddha. Erlösung, dazu Mensch sein. Vom Leiden. Ursprung des Leidens, Mittel zur Heilung. Ganzwerden? Nirwana? Ja, was wäre das - die ewige Ruhe? Die Transmigration? Das, was wandert, das ist nicht die Seele, die gibt es nicht - wie es das Ich nicht gibt, sondern das Karma, die angesammelte Schwere (Schuld) aus mehreren Existenzen? Karma verbrennen, das also ist der Sinn, so diese einzigartige Chance, ein Mensch zu sein, diese in Milliarden Jahren zu nutzen? Welch ein „Gesetz“!
Gewebe, die wir weben, wachend und schlafend.
Was aber ist dann die Schuld, die wir zu tilgen haben, uns unsere Aufgabe ist? Leiden, Schmerz, Schock als „Sühne“ „Schicksal“. Gandhi widersetzte sich sogar der Gründung von Krankenhäusern, da sonst das so wichtige Leid abgeschafft werde, und keine Reinigung mehr möglich sei?! Unsinn? Fortschritt also als antigöttliches Teufelszeug. Wäre das so, würde ich schon aus Prinzip nicht mitmachen, sondern mich dem „Teufel“ verschreiben Außerdem wäre ich mit meinem Krebs wohl bald tot.

Dann heute wieder die Untersuchung bei Dr. Mattes. Sono-graphie. Ultraschall. Nichts besonderes, nur Lymphan-sammlung. Tut weh wegen der OP. Die Zyste an der Niere. Muss untersucht werden. DANN: Dass auch das Fettgewebe vom Karzinom befallen ist, es wurde entfernt, beidseitig die Samenbläschen, dann auch ein Mikrokarzinom in einem der entfernten Lymphknoten. Nicht klar, ob noch was zurückgeblieben ist, muss gestoppt werden. (Im OP-Bericht freilich ist dann später doch alles in Ordnung und negativ, kein Befund! Keine Mikrotumoren! Warum erzählen die mir das Falsche und quälen mich!) Dann später PSA Wert, der sinkt jetzt erst langsam, könnte noch 8 sein, geht dann wohl auf 4 oder sogar 0,5.

Und heute endlich ein Brief von Hella. Sie schickte mir eine CD: Gustav Mahler: 2 Sinfonie, AUFERSTEHUNGS-SINFONIE, wir hatten sie zusammen gehört. Und die Tränen kamen mir vor Rührung, dass sie SO an mich denkt. Ich hörte gleich den 5 Satz nach Klopstock:
Chor und Sopran:
Aufersteh’n, ja Aufersteh’n wirst du
mein Staub, nach kurzer Ruh!
Unsterblich Leben! Unsterblich Leben
wird, der dich rief, dir geben.
Wieder aufzublühn, wirst du gesät!
Der Herr der Ernte geht
und sammelt Garben
uns ein, die starben!
Alt:
O glaube, mein Herz! O glaube:
Es geht dir nichts verloren!
Dein ist, ja Dein, was du gesehnt,
Dein, was du geliebt, was du gestritten!
Sopran:
O glaube: Du wardst nicht umsonst geboren!
Hast nicht umsonst gelebt, gelitten!
Chor:
Was entstanden ist, das muss vergehen!
Was vergangen, auferstehen!
Chor und Alt:
Hör auf zu beben!
Bereite dich zu leben!
Sopran und Alt:
O Schmerz! Du Alldurchdringer!
Dir bin ich entrungen!
O Tod! Du Allbezwinger!
Nun bist du bezwungen!

Weißt du noch, schrieb sie, wir sprachen im Auto über den Isenheimer Altar; diese starke mystische Compassion, das Mitleiden und dieser surreale Ausdruck auf dem lei¬denden Gesicht. Wir werden es gleich wirklich sehen, sagtest du.
Ich sagte: Diese Auflösung des schrecklichsten Schmerzes bei Christus am Kreuz auf dem Wandelaltar in Auferstehung, das erinnert mich an Bruckners Achte, an unsre, und an Mahlers Auferstehungs¬sinfonie, die Zweite.
Und auch bei Mahlers Zweiter ist es da, schon im Aufbau. Im ersten Satz der Tod. Im zweiten dann Traum und Leben: glückselig-wehmütiger Gegensatz, ja, den ich ja täglich lebe und auch im Schreiben immer empfinde, dieses erschreckende Aufwachen auch, der Schock des Ernstes!! Der jetzt in allem so schön in Liebe und im Zusammensein aufgelöst, aber doch immer mittendrin war, weil wir uns miteinander, Hand in Hand, vor nichts mehr fürchteten?! War da im Scherzo nicht auch eine Lebensfluchtsynthese, fast derb, die dann aber schroff hinweggefegt wird, Phantastik und dann alles zerflatternd ins Endgültige kommt, und fast noch schöner als bei Bruckner, das angenommene, die eigne Tiefe und Liebe?
O glaube
Du warst nicht umsonst geboren!
Hast nicht umsonst gelebt,
gelitten.
.
21. Juni. Gleich am Morgen Esther, die Üppige und Freche, ich solle das Bein hochheben, sagt sie. Ich sagte: Aber anderes geht nicht mehr hoch. Lachen. Na ich würde was sagen, aber ich schweige lieber, sagt sie, sonst erzählen Sie es weiter. Nein, ich schreibe es auf. Also, sag ich es nicht. Aber ca. 10 % können es nachher wieder.

Ja, was war es wohl? Ich stellte mir vor, dass es eventuell Schwestern gibt, auch in den REHAS, die sich da auf Erregungstherapie spezialisiert haben, mit sexueller Mitmache und so; fast Geishaähnlich? Wir malten es uns mit Richter, dem Bettnachbarn, lachend aus.

Doch die Körperschamlosigkeit ist wirklich erschreckend. Dem Nachbarn wurde zu früh der Verband vom OP abgenommen, jetzt sabbert es dauernd, die Wunde ist von unten, vom Anus her zu sehen.

Auch Dr. Krüger, der lange Lulatsch kam, Chefoberarzt. Verband meine Drainage aus der Lymphe neu, verkürzte sie. Immer noch bis zu 700 ml kommen da täglich raus. Die Lymphen sind weg, die ja eine art Filter bilden, und jetzt fließt es einfach so aus. Und sie sagen: So können wir Sie am Mittwoch nicht entlassen.

Abends meine Länder im Weltmeisterspiel. Rumänien: ich ärgerte mich sie hatten 1:0 gegen Portugal in letzter Minute verloren, obwohl sie besser gespielt hatten. Hagi!! Und diese Aufwertung des Selbstbewusstseins hätten sie wirklich verdient.

Dann Deutschland. Auch wieder ungerecht 1:0 gegen die Engländer, obwohl die schlechter gespielt hatten. Aber 3 Torchancen wurden vertan, die Engländer blockten total ab, machten nur abblocken, sonst nichts! Campbell, der Schwarze.
Ich hörte die Kommentare von Netzer und Becker, eben: Alles ist auch Glücksache wie im Leben. Ungerechtigkeit ist normal.

Abends noch die Schwester. 200 ml Lymphe. Und um 5 weckten mich die zwei jungen Schwestern, da kamen nur noch 50 ml. Kann also Mittwoch vielleicht doch nach Haus.
Mein Bettnachbar Richter, ein Batschkaschwabe, blieb bei seiner Verurteilung: Wer zuerst ein Tor schießt, gewinnt. Basta.
Er hat auch so manches erlebt, war mit 17 bei den Deutschen, Gefangenschaft etc. Hasst, im Gegensatz zu mir, die Serben. Wurde nach Russland in die Gefangenschaft deportiert wie unsere Leute auch.
Ist Malermeister in Rente, 72. Hat 40 Jahre lang geschuftet. Jetzt führt sein Sohn den Betrieb. Hat schon 1972 seine Frau verloren, Hirnschlag. Dann mit seiner Mutter die beiden Kinder großgezogen.

22. 6. Schlafe nachts, auch ohne Schlafmittel. Morgens nehme ich wieder die Vögel wahr, die Frische des wunderbaren Junimorgens, hab wieder Lebenslust.
In der Früh dann Dr. Krüger. Er öffnet das „Getackere“, „Fäden ziehen“ der OP-Wunde, jetzt bin ich frei. Und er meint, ich könnte ab Sonntag schon nach Italien losfahren. Die Klammern ziepen etwas, aber sonst hat er ja sein Händchen.

Katharina, eine Mühlbächerin, Schwester hier, seit acht Jahren in Deutschland, Widme ich mein Buch, den „Granucci“ in Transsylvanien.

Die gute Hannah kommt. Ich spreche mit ihr über unsere Wohnungs¬probleme, kaufen oder mieten? Mit den Zinsen könnte man fast schon die Miete bezahlen, Unsinn zu kaufen. Aber dann ihr Vater, der arme Walter. Hatte nachts oft an ihn denken müssen und an dies Ende nun. Schäme mich, dass ich ihm diese letzten Jahre im Tizianweg nicht gegönnt hatte, immer wütend war, dass er nur an sich und seinen „Hofstaat“ dachte, und das Leben im Großvaterstuhl nur verdämmerte. Wie das abgenommen hatte; vor Jahren stand er noch mit Liselotte draußen und winkte. WIE GERUHSAM UND FAST FADE DAS DOCH GEWESENE WAR; und doch so, als nähme das nie ein Ende.

Und jetzt liegt er nachts da mit seinen dünnen Ärmchen und Beinchen kann nie mehr aus dem Bett, hat Panik, so dass sie ihn schon um vier wickeln, möchte sterben und hat doch auch Angst davor. Ich weiß, wie er sich fühlt, sage ich zu Hannah, ich habe diese Panik auch nachts. Doch er muss in die Erde. Oder zu Asche werden. Nicht auszudenken. Die arme Hannah, ich weiß nicht, wie ich ihr beistehen soll, und im Park sage ich ihr es beim Spaziergang: Ich weiß nicht, was ich deinem Vater wünschen soll! Jetzt haben sie auch noch sein Safe, wo er seine Goldbarren und Münzen aufbewahrt hatte, aufgelöst und verkauft, dann soll die Wohnung aufgelöst werden, NICHTS mehr soll von ihm übrig bleiben; warten alle nur auf seinen Tod? Er selbst auch? Er war einfach nur, wie auch sonst manchmal, nachts gefallen, stundenlang im Kalten gelegen; er kam dann zum Röntgen, dort womöglich infiziert, Lungenentzündung, Rippfellentzündung. Kam dann mit Fieber vor über einem Monat ins Diakonissenhospital, wurde von Tag zu Tag schwächer.

Nachmittags Schwester Esther aus Biethigheim.

23. Juni. Ich widme dem Prof. Die „Vaterlandstage“ er bedankt sich sehr, Handschlag sogar, fast etwas verwirrt. Sagt der Dr. Wilms, sie bekomme es dann auch. Stottere etwas davon, dass es nicht leicht zu lesen sei, bin ja von Haus aus Lyriker. Er werde es im Urlaub lesen. Nachher fast Scham, dass ich es so jemandem gegeben habe, der damit kaum etwas anfangen kann. Oder doch? Es ist schlimm, diesen Komplex zu haben, auch nachts. Ist mir doch sehr wichtig. Und hätte gerne mit ihm noch ein wenig diskutiert, nicht nur da zu sein, um als Patient entmündigt, seine Weisheiten anhören zu müssen. Andererseits bewundernswert, dass er Sonntag noch um 21 Uhr da zur Visite kommt. Und am nächsten Morgen um 7 wieder in der Tür steht, sich meine „Harakiriwunde“ anschaut, die Dr. Krüger „enttackert“ hat! Diese andauernde erhöhte Temperatur 37,5 etc. schwächt sehr. der Prof.: – Nun der Körper muss ja arbeiten.

Schlechte Nacht wieder.
Übrigens PSA bedeutet Prostataspezifisches Antigen (also Gegen-Chaos!)

Weiter: Das Alter, die unheilbare Krankheit!
Angst vor dem Tod, es geschieht nicht im Krieg, nicht durch Gewalt, es ist eine unheilobare Krankheit, ganz normal als das Alter, sie wird immer stärker mit dem Älterwerden. Die jungen Leute geben ihr Leben so hin, als wäre es Nichts.

Ach ja, den Tod da¬durch bannen können, dass ich das höchstmögliche Opfer bringe: Das Leben? dachte ich. Und heute? Heute ist es eine allgemeine Krankheit, nichtwahr: dem Leben ein Leben lang auszuweichen, und darauf zu warten, dass die Wissenschaft eines Tages uns als Belohnung für diesen Lebensverzicht, ein Mittel gegen das Sterben schenkt. Stirbt inzwischen aber doch die¬ser und jener, ist es ein anderer und nicht ich: der Nächste.
Und als es noch starke Naturen, verbrecherische Naturen der Gewalttätigkeit gab, da setzte „Leben“ gewaltige seelische Energien frei. Das Aufheben der Todesangst, das Opfern eines anderen statt seiner selbst. Die Nazis. Die Roten.

Jeden Tag war sie da, diese Angst, auch Mutter könnte sterben, auch sie einfach nicht mehr da sein; der letzte Mensch und Zeuge der Vergangenheit: Dieser Ort Siebenbürgen, wie weit hat er sich doch schon entfernt, wird einmal ausgelöscht sein und verblasst schon mit ihr, tönt, schluchzt und schlägt zu.
Mutter sagt zum Beispiel: Joi, sieh den Schatten, den Wald, grüner Wald wie zu Hause, eine Wand, grüne Wand, lauschig. Oder: weißt du, ich werde alt, manchmal diese Schwindel¬anfälle, es ist wohl das Herz; ein Taumel, meine ich, als hätte ich Schwammerl gegessen, als hätte ich einen Schwips oder wer weiß was.
Und dann singt sie: Der Mai ist gekommen, die Bäume schlagen aus. Weißt du noch, unsere Maifeste auf die Breite. Heute ist der erste Mai, alle Kinder bitten frei. Wunderbare Frühlingsluft, frisch, ganz frisch. Pfingstgefühle.

Da hört ich eine innere Stimme, etwas anderes dazwischen funken, die innere Stimme, und es entwickelte sich wie so oft schon ein Selbstgespräch; aber was heißt hier "Selbstge-spräch", es ist doch der Großvater, der schon seit 1946 Tote, jener Vertraute-Unvertraute, Sanfte aus Bistritz, ich kann seinen Blick nicht mehr vergessen, er ist plötzlich DA; er hatte mich in seine Mansarde nach oben gerufen, wollte mir Briefmarken zeigen und sie mir schenken... ich ging mit ihm die Treppe hoch... auf dem letzten Treppenabsatz brach er zusammen, sank ganz langsam in die Knie, dann fiel er mit dem Körper auf die Treppe und sah mich an... Ich kann diesen Blick nicht mehr vergessen; ich schrie und rannte die Treppe hinab... Sie hatten ihm am gleichen Tag sein Geschäft enteig¬net... ihm das Geschäft weggenommen... sein Lebenswerk... Das war 1946 … Es war ein Schlaganfall, sein dritter... und nach wenigen Tagen starb er... Und jetzt war er die Stiegen aus seiner Mansardenwohnung, wo er mit der Mitzmother lebte, herabgekommen, als wäre nichts geschehen, man sah ihm gar nichts an, er hatte ein leicht gerötetes Gesicht wie immer, und er war vielleicht zum Abendessen in die Diele gekommen, eben schlug auch die Kuckucksuhr acht; er hatte dann, wie so oft früher, die Tür aus der Diele ins Herren¬zimmer geöffnet, und mit seiner milden Stimme gesagt: Dieterchen, frälich bän ech hä, frälich! (Freilich bin ich hier, freilich!) Sagte das aus großer Zeitdistanz: Tea salt dech net erfehren (du sollst dich nicht ängstigen)! Aber eure Wunder hier, sagte er weiter auf Deutsch: Eure Monster, wie dies Lichtgerät mit Bild¬übertragungen über große Distanzen ... die gibt es doch so gar nicht, meine Mutter würde mich auslachen und mein Großvater verspotten. Und dann war der Milde wieder viel blasser zu sehen, und dann war er plötzlich verschwunden.

Oder der arme Walter Knopp.... ich habe ihn kürzlich wieder in meiner Erinnerung angetroffen, er sieht ganz frisch aus, der war damals doch ganz ausgeronnen, durchsichtig das Gesicht, die Hände, er hatte keine Kraft mehr, hatte Blutkrebs, Leukämie. Lag zu Haus im Oberst-Knopp-Haus, das war sein Vater, der Oberst Knopp mit Monokel, in der Schanzgasse auf der Burg, uraltes Haus, heute ist das Interethnische Jugendbildungszentrum dort untergebracht, jaja, nicht weit von der Wohnung unserer Freundin Lilli und der katholischen Kirche mit dem Siebenuhrläuten. Und wir besuchten den armen Walter, spendeten alle unser Blut, hielten ihn so am Leben. Eines Tages aber wurde das Blutspenden, da ja doch sinnlos, eingestellt, und Walter verlosch langsam, er war erst neunzehn Jahre alt! Ich weiß noch, er ließ beim letzten Mal meine Hände nicht los und hauchte schnell: Bitte, bitte ... ich will nicht sterben!

Ich las wieder in den Mails von Hella, die mich aufrichteten. Ich hatte sie ja alle im PC gespeichert. und wollte ein Buch über uns schreiben („FERNWEH. Mails und Küsse.“ Oder „Hella, die Morgenfrau“). Es könnte etwa so beginnen: Dank dir Hella, du hast mich verführt. Du verführst mich. Du verführst zum Leben. Du nimmst mir diese Schwere. Auch wenn du jetzt nicht da bist, ich spüre dich, das Herz ist verjüngt. In jedem Gedanken bist du da. Ich weiß jetzt und schreib es so auf: Mehr nicht, als diesen Augenblick aufbauen mit dir, als ginge es ums Leben. Das geht. Mehr nicht. Als diese Morgenwiese lachhaft naiv die Augen sehen lassen, mit Freudentränen. Mehr nicht, als leben - jetzt! Die Sonne scheint noch immer, sie bricht die Strahlen, nicht das Herz, den Satz. Ich möchte mit dir leben gegen diese Höllenfahrt, die uns erwartet. Sie steht noch in den Sternen. Sie steht; doch finster wartet sie.

Du, Hella, du weißt es, aber auch meine Mutter wusste es, und Hannah weiß es, sie hat mich lange so ertragen müssen, und meine Mutter, die mich immer „in die Sonne hängen“ wollte, weiß es vielleicht noch besser, was mir fehlt, sie fragte so oft: Was fehlt dir, mein Junge? Und überhaupt war dieses „Fehlen“ immer die Bezeichnung für Kranksein, und diese Leerstelle, dieses schmerzhafte Fehlen, ist wirklich die schwerste Krankheit, die es gibt:
Die abwesenden Engel, die ich im kalten Hirn zu Tode gedacht hatte… Nach René Char ist Einverständnis mit den Engeln unsere größte Sorge. Täglich wäre ich ohne sie verloren. Aber Schweigen und kein gebrochenes Wort jetzt. Und du fragtest mich dann, als wärest du ihre Botin: Wo bist du ohne mich? Und ich sagte: Oh, Hella, ich bin verborgen im Norden des Herzens, eine sich neigende Kerze. Und jetzt endlich ein besseres Ich, das mich sinken lässt.
Da stauntest du.

Und könnte dann unsere Briefe zitieren, wie diesen von ihr:
Mein Gott D.! So viele Mails!!! So viele Antworten! Ich ertrinke in Dir! Und tu' es so gerne! Keiner kann so schreiben wie Du!!! Du Wortkünstler, Du Tiefsatzschürfer, Du Weitsatzwerfer! Kann aber nicht antworten heute, wohl auch nicht morgen. Hab' nur wenig Zeit: vivement im eigenen Laptop! Montag ist nicht weit. Kann Dich heute nicht anrufen, Lieber, ein ausladendes Abendessen mit köstlichem Vino ist geplant. Bin am Sonntag aber vielleicht doch schon früher in R., Kristof wohnt gleich um die Ecke, das wird lustig, denn mit ihm verstehe ich mich super, er ist völlig verrückt und kratzt irgendwo zwischen Genie und der vielleicht daraus resultierenden Einsamkeit haarscharf am Leben vorbei, immer diese Angst, nicht geliebt zu werden... Immer diese Angst vor Disharmonie, als würde sie nicht zum Leben gehören und - einmal arrivée, gleich bis zum Nimmerleinstag bestehen bleiben... So ein Quatsch! Ach, Zusammensein ist doch nie nur EINES! Auch bei uns nicht, bei Dir und mir. D., der Grundkonsensus, der gemeinsame Nenner, das ist eine UNGLAUBLICHE ZUNEIGUNG, die ich für Dich spüre. Ich mag Dich so sehr! So sehr, D.!!! SO SEHR! Verstehst Du???!!!
Ich werde nächste Woche das Musikpaket fertigstellen und Dir nach Italien schicken. Da darf der Kutscher schleppen, sag' ich Dir! Wirst dann in Ruhe auswählen können, nach Deinem Rhythmus, nach Deinem Gustus. Es ist furchtbar, da auswählen zu müssen, WAS ich Dir schicke, denn diese Musikfülle ist auch ein Fluch! Wenn dann schon die minimale Beschränkung ausufert...
Muss aufhören.
Danke für all Deine Worte, all Deine Gedanken, Dein Bei-Mir-Sein, das ich so sehr spüre. Und Du motivierst mich selbst, mich noch mehr in meine Arbeit zu stürzen und das ist herrlich!!! Weißt Du, wie sehr ich das schätze?! Einen Menschen (nicht unbedingt männlichen Geschlechts), der INSPIRIERT! Den nicht nur ICH inspiriere, sondern der auch mich inspiriert! Davon gibt es so "fucking" wenige!!! Diese Gegenseitigkeit ist so selten!!

24./25.6. Am nächsten Tag wieder diese Ängste, werde um drei zur CT Tomographie geholt. Etwas Bammel: Was, wenn die 2 cm große Zyste in der Niere auch ein Tumor ist?!
Auch da wieder diese andern Ängste in die 60 cm Röhre für eine halbe Stunde reingeschoben zu werden und dort eingesperrt zu sein. Lass mir lieber Valium spritzen. Dazu das Kontrastmittel plus Prescopan für die Beruhigung des Darms. Da liegst du also drinnen und ein Foto nach dem andern wird geschossen.
Starre die weiße helle Röhrenwand an, denke, warum machen sie es nicht bunter, vielleicht gar elektronische Lektüre wäre angebracht! Habe einen Impulsgeber in der Hand, um Alarm zu schlagen, falls nötig, meine Stimme hören sie nicht, sie sind über einen Lautsprecher mit mir verbunden.
Am Schluss Gottseidank: negativ. „Webfehler der Natur“, sie können es vergessen, sagt der junge Arzt über ein „Dingsda“ in der Niere.

Gespräch mit Jürgen Egyptien. Ich erzähle ihm meine ganze Geschichte. Und bitte ihn, sich auch den PSA-Wert untersuchen zu lassen, er wird in einem Monat 45.
Wir sprechen mit ihm über das Glück, am Wachstum eines kleinen Kindes teilzunehmen, er hat einen kleinen Sohn jetzt; Welt nochmals zu entdecken. Bei ihnen war es einfach passiert. So kam also Emmanuel, der Vongottgeschickte.
Andere, die von meinem Karzinom wissen, rufen nicht an...

Hab aber dann nachts solche Anwandlungen, alles zu verkaufen, aus C. wegzuziehen, als wäre ich in Italien nur zu Gast (27 Jahre lang Gast?!) Aber wie soll ich das lösen, gar ein „Neues Leben“ anfangen. Jetzt nach S. zu ziehen, inmitten der Family, überfallen von allen, auch hier Anhängsel. Wie also die letzten Jahre verbringen mit dem Monstrum im Bauch? Alles verkaufen? Getrennte Wohnung? Ratlos.

Im kleinen Park, Bäume, Gras, Blumen, Bänke. Sehr heiß, 35° ! Der Park ist voll mit Patienten und Besuchern, auch Dialysepatienten mit ihren Wägelchen und Apparaten.
Sehr viele Ausländer. Am rührendsten ein türkischer Opa, wirkt wie halbtot in seinem Rollstuhl, umgeben von der Großfamilie, die Kinder und die Mutter streicheln ihn andauernd. Er liegt apathisch da!
Und noch etwas: Außer Piero D. hat aus Italien niemand angerufen. Sind das Freunde oder intellektuelle Bekannte: Francesco, Tommaso und vor allem Mario P., mein Übersetzer. Von andern ganz zu schweigen, in der Umgebung eher die Bauern-Kontakte.
Müsste den großen Schnitt tun, wie Ingrid das auch empfohlen hatte: Wegziehen aus dem bisherigen Haus. Einen totalen Lebensbruch herstellen, sonst gehst du drauf!

Abends Roland Z. sprechen über die Familienstreitigkeiten, Chr. und Mutter, dann auch Mutter mit ihren Spielchen. Und vor allem die Einmischung von G. Z. als ich nicht zu ihrem Geburtstag kommen wollte. Auch mit ihm einen Knatsch. Überall geht’s ja darum, dass sie ein ganz anderes Leben führen, angepasst und so angeben können. Meine Welt aber ist out und auch nicht zugänglich oder gar anerkannt, wenn sie das wäre nach außen, dann hätte ich es leichter mit ihnen! Aber sich darum kümmern ist ja genau das Gegenteil von der Adäquatheit mit mir selbst.
Kann, soll, muss ich jenes Outsein als mein eigentliches Leben und Wesen kultivieren. Wie? Die Zeit steht mir entgegen, der Gegenwind bläst mir ins Gesicht.
Doch wer steht dir bei, wenn du so schlecht dran bist, doch niemals die Buchhengste oder andere „Freunde“, nur die Family.

26. Juni. Schon um halb sechs geht’s los. Nachtschwestern. Wir frühstücken am „Büffet“ wie bei großen Hotels hochgezogen, die Serviererinnen sogar wie in Urlaubs-gegenden mit Strohhütchen. Doch ists ein schrecklicher Glaskasten. Neu aufgebaut 57. 43/44 total zerbombt.
Hab mir in den Kopf gesetzt, schon am Dienstag nach Italien zurückzufahren, jetzt ist alles geregelt, Walter ist versorgt, künstliche Ernährung! die Schränke für die Wohnung aufgelöst, jetzt kann es los gehen. Ähnliches passiert dem Nachbarn, dessen Lebensfreundin will nicht, dass er schon zurückkommt, sie will die Verantwortung für ihn nicht übernehmen. Diese Frauen! Sind sie egoistischer als wir?

Versuche kleine Debatten. Und weg aus der idiotischen menschelnden Atmosphäre. So gestern mit der Heilgymnastin, die in C. war, um Goffy Fischer zu besuchen, weil sie seine und Tuttis Bücher gelesen hatte. Ich erzähle von ihm und meinen Sendungen über ihn, wie er sie zensuriert, selbst zensuriert hatte. Morgen werde ich die „Bodenbecken¬gymnastik“ mit ihr übern, alles, was man so braucht: Inkontinenz, Impotenz etc. Sie meint, ich müsste überhaupt nicht zur REHA, in Camaiore ließe sich die Rekonvaleszenz sicher besser ausheilen.
Heute spreche ich mit ihr auch darüber, dass sich mein Klassenkollege Werner K. (Pfarrer) ärgert, weil ich die Grabrede für Lieselotte gehalten hatte. Dabei welch Unsinn, über Auferstehung der Leiber zu sprechen. Das ergäbe doch eine Übervölkerung aus den letzten 100-tausend Jahren... kein Quadratzentimeter mehr wäre auf der Erde frei.
Spreche über die Bibel, Genesis, das hebräische Alphabet, etwa, dass die Vokale nicht geschrieben, sondern nur im Kopf des Lesers auftauchen müssen, also als Assoziationsvermögen, Gnade Gottes, um einen Sinn im „Körper“ des Wortes herzustellen.

Die meiste Zeit in Borges gelesen (Die letzte Reise des Odysseus. Essays) Lehrmeister der Menschheit waren mündliche MEISTER: Sokrates voran! Pythagoras auch. Christus. Buddha. Die Bibel?
Lesen, Schreiben als einziges Glück. Wozu dann alles andere, auch meine Nachfolge und Enkelsuche. Blödsinn. Muss wieder konsequent werden, auch im Kleinen.
Möchte nicht an die persönliche Unsterblichkeit glauben. Grässlich wäre es.
Wichtiger wäre es, diese blöde äußere Welt zu relativieren - wie früher auch!!!
Demokrit riss sich die Augen aus, um diesen dummen Schein, an den alle glauben, nicht mehr sehen zu müssen! Wichtiger sind doch die Bewusstseinszustände und Wahrheiten, die während des Lesens, Schreibens, des Gesprächs entstehen, da lohnt es sich zu leben, sonst ist doch alles nur ordinär.

Wäre nicht dies die Freiheit!? Weg von dem Garten, dem Boot, den Häusern, dem Auto, die uns zu Sklaven machen, nur für mein Werk müsste ich leben! Dazu reichen 2 Zimmer plus Küche, Bad. Die Bücher und Manuskripte. Sonst nichts hinterlassen!!! Alles da hinein investieren. Die Familienblöd¬heit plus „Nachfolge“ nicht weiter mitmachen!
Und müsste in D. sein nach Italien gehöre ich gar nicht hin, bin ein reiner Kolonialist! Das Land interessiert mich außer der Landschaft wenig, das Soziale, Politische gar nicht.
Die Entelechie ausleben, nicht den DS: es ist das A und O von Borges: vielleicht ist das das Glück, wenn sie hochkommen kann, nicht diese Kleingeisterei des DS. Und dazu dann noch sein armer KÖRPER:

Berkley. ROT HÄNGT VON UNSEREN Augen ab. Hume dachte ebenfalls so. Kant. Und die neue Physik - es ist doch alles klar! RUHE GEBEN:
„Es denkt, also existiert etwas“ – nicht ich denke also bin ich.

Abends Brigitte K. Ich kann noch alles sehr gut, ich gehe normal. Ich geh an den armen Dialysepatienten und Chemotherapiepatienten mit ihrem Galgen vorbei. Reden wieder über das Unmögliche aus der alten Zeit unseres bisherigen Lebens. Reisen und genießen, nicht nur vor dem Papier hocken. Nur noch Veröffentlichungsstrategie. 2 Stunden pro Tag arbeiten, mehr nicht. Dann für 2 Wochen ausbüchsen. Wie es auch Ingrid B. getan und geraten hatte. Brigitte hatte sich sogar vorgenommen, wenn alles gut geht, sich scheiden zu lassen, ein ganz neues Leben zu beginnen; und genau so kam es. Bei ihr… ja, bei ihr!

Vielleicht doch alles in I. verkaufen und Geld verpulvern. Reisen etc. Plus das Werk, Hirne, Hände, Können kaufen (ach, Faust, die vier Pferde!) mit Geld, Leute für mich anstellen.
Also Zeit, die ich nicht mehr habe, kaufen!

Abends dann die beiden Spiele. Die deutschen fußkranken Millionäre, die gegen die portugiesische Ersatzmannschaft 3:0 verlor.
Und meine guten Rumänen, die ohne Hagi und ohne Popescu, in einer enormen KRAFTANSTRENGUNG (Moldovan, Siebenbürgen.) und wunderbarem Passspiel, die Engländer 2:3 schlugen. Das muss ein Jubel zuhause gewesen sein. Und stärkt die Moral dieser armen Nation.

Tutzi F. rief wieder an. Sagte, es sei doch merkwürdig, dass wir alle, auch nach 30-40 Jahren mit unseren Rumänen hielten.

Sehr schlechte Nacht, trank Wein, dann Schlafmittel, erst gegen 3 eingeschlafen. Um halb sechs schon Nachtschwestern, dann der Wechsel. Um 7,15 der Prof. Sehr freundlich heut. Verordnete mir wegen der gestrigen Zystografie (undichte Stelle), aber auch Lymphe, die Drainage, immer noch 240 ml, und nun gelb wie Urin. Eine Probe wegen Karitiningehalt genommen, bis Montag Klinikaufenthalt, auch weil die Drainage wie mit tausend Nadeln bei der Bewegung sticht. Vielleicht hat aber die Schwester da beim Auswechseln des Beutels einen Fehler gemacht, denn vorher hatte ich überhaupt keine Schmerzen. Jetzt wieder ein Ultraschall verordnet von Dr. Mattes. Und neuer Beutel. Hab ihm die Vaterlandstage mit einer Widmung überreicht.

27. Juni. Einige deutsche. Schwestern sind ekelhaft. Die Rothaarige vor allem. Aber auch Esther ironisiert nur: Ach, sie armer Mensch!
Die Ausländerinnen sind viel feinfühliger und lieber.
Jetzt bin ich allein. Hab mir e-Mail einrichten lassen. Jetzt wird mir Hel schreiben können! Der Techniker war nett und geduldig. Um 14h verabschiedete sich mein "Zivi“ Tobias, will Medienwirtschaft studieren. Er ist 22. Ja, der Ernst des Lebens beginnt erst nach dem Studium, sagte ich: Frau und Kind, Job etc.
Dann kommt die Rothaarige wie eine Furie rein, misst die Temperatur: 38, und Blutdruck 135-88. 88 auch Puls. Mit kleiner Sanduhr. Sie ist mir herzlich unsympathisch, nicht nur weil sie so hexisch und mager aussieht und sich auch so benimmt, die, mit ihrer Unwirrschheit.
Ich bitte sie Dr. Mattes zu rufen, wenn er kommt. Sie: Ich habe auch anderes zu tun! Dann kommt sie doch, nimmt den Urin mit, wieder Furie: Sie haben einen Urinaffekt. Und gibt mir Ciprobay, ein Antibiotika. Sehr wichtig. Ihr Urin ist ganz violett, ist mir fast in der Hand explodiert. Sehe nach. Pustekuchen, in meinem Beutel ist es weiter goldgelb.
Sie ruft nur von der Tür, da bräuchte man Zeit, um diesen Infekt auszuheilen.

Jetzt ein neues Leben. Die Mails. Ich schreibe gleich an Hel. Warte aber vergebens auf eine Antwort. In den Mails auch besorgte Anfragen aus Italien von Francesco. Aus der Schweiz von Gabrielle, die sich lieb nach mir erkundigt, ebenso Fred F. aus den USA. Doch ich suche eine Nachricht von Hel.
Mincu will meinen Gedichtband machen. Sonst kaum Nachrichten.

Da, eine Nachricht von Hella aus Frankreich; doch sie ist ja ahnungslos, weiß nichts von der OP. Bin ich verrückt, warum verheimliche ich es ihr? Klar: Scham, Angst, sie könnte mich als Liebeskrüppel ansehen?
Ihr Tenor: Warum schreibst du nicht? Wo bist du, wohl in D. nehme ich an, und hast keinen Anschluss. Aber irgendein Internetcafé wird doch um die Ecke in Stuttgart zu finden sein?! Lass mich nicht wieder so lange darben! 2 Wochen!
Wie bin ich froh, dass Du gut in D. angekommen bist! Ich machte mir solche Sorgen, weiß ja nicht, wie Du Auto fährst, weiß nur, dass Du es nicht gerne tust, bin so froh, dass Du lebst, bin einfach nach S. gefahren, sitze an meinem Schreibtisch, umgeben von tausend CD's, die ich Dir überspiele, hab' Dir eben eine gemacht mit lauter wunderbaren Jazzsängerinnen, ach, alles meine Lieblingslieder, die ineinander passen, "Petitesses" nenne ich sie. Ich bin wie ein kleines Kind, habe so eine Freude daran, Dir eine Freude zu bereiten, ich SCHENKE DIR SO GERNE!!! Du freust Dich so wunderbar, Du zeigst es so, und das macht mich noch glücklicher!!! D.! Sind wir denn wirklich durchgeknallt?
Haha, ich muss gerade lachen! Ich bin nämlich unheimlich gerne durchgeknallt!
Du? Bitte sage mir, ob ich die Musik auf einmal schicken darf, wenn du wieder in C. bist, wann bist du wieder DA? Oder ob Du denkst, dass "zu viel" vielleicht kein richtiger Genuss mehr ist. Dann schicke ich es nach und nach los. Wie Du möchtest! Sag's mir einfach.
Ich muss weiter brennen! Hab' hier zwei Geräte, der Pioneer ist allerdings recht langsam. Ohhhhh, jetzt singt Dearie Blossom gerade:" How do I say "Auf Wiedersehen"?"
GAR NICHT!!!!
Kein Abschied, Dieterot, NIE!!! Versprich' es mir!

NIEMALS! IMMER!
Dein leidenschaftlicher Heller

Ps: OH JA! Schreib' mir Deine Fantasien! Wenn Du wüsstest, welche ICH HABE...Ich...oje...Ob das überhaupt geschrieben werden darf.

Sie ist da wunderbar geduldig, meine Hel. Doch sie war mit ihrem Freund zehn Tage unterwegs. Hab eigentlich Glück mit diesem B. Muss nicht die ganze Liebeswucht der starken Hel allein aushalten.

Der Arzt, er hatte mich auch geröngt, mach noch eine Ultraschallaufnahme. Beruhigt mich, das käme oft vor: Über den Katheder der Urin infiziert. Hoffentlich hab ich da jetzt nicht eine Blasenentzündung mit den entsprechenden Schmerzen.

Ich rufe meine Hannah an, mag ich sie eigentlich mehr und „solider“ als Hel? erzähle ihr einiges! Sie ist todtraurig!
Jetzt wird es noch 2 Wochen länger dauern!

Ein Nachbar kommt herein, angezogen von meinem Laptop. Er langweile sich zu Tode.

Las heute über diesen Ernst bei Borges. Über Zeit. d.h. Ewigkeit Sie ist all unser Gestern, alle Gestern aller bewussten Wesen. Die ganze Vergangenheit von der wir nicht wissen, wann sie begann. Und dann die ganze Gegenwart. Dieser gegenwärtige Moment, der alle Städte, alle Welten, den Raum zwischen den Planeten umfasst. Und dann die Zukunft. Die Zukunft, die noch nicht erschaffen sind, die aber doch existiert!
Cioran sagte mal, die Hölle sei die Schlaflosigkeit, weil es da keinen Unterbruch gebe. Nur so können wir es überhaupt aushalten, als begänne alles neu! Aber auch bei Schopenhauer klingt es ähnlich.
Eigentlich ziemlich einfach sind Borges Gedankengänge, aber eingängig.

Swedenborg von Borges. Erotische Träume vor der Bekehrung?
Seine Erfahrung, die andere Welt viel lebhafter als diese, Farben, wirklicher. Diese nur ein Traum. Unbekannte sprechen mit uns.

Erlösung ist nicht ethischer Natur. Sondern es ist nur die Gegend, wohin wir gehören: Ethos. Auch Wüste und Genüsse: Hölle?

Und wieder nun eine Mail von Hel. Ich halte verzweifelt mit, als müsste ich noch üben, sehn, ob „ES“ noch geht, antworte ich „interlinear“.

28.6. Schmerzen heute wegen der Drainage. Kann mich kaum waschen, Zähneputzen. Essen.
Dann der Stationsarzt: Er meint, es seien nur noch 60 ml, ein Schnapsgläschen.- Und spätestens Samstag könnte die Drainage raus. Ebenso der leitende Oberarzt Göritz, der mir auch die Drainage verlängert, was reinspritzt, was sehr erleichtert. Auch Schwester Nathali und Esther werden netter.

Die Brüder von Hannah mit ihren Frauen kommen zu Besuch. Erzähle ihnen den neusten Stand, alle hören aufmerksam zu. Sag ihnen noch von Walter, dass er was gegen Depressionen bekommen müsse. Parkinson geht meist Hand in Hand mit Depressionen.
Erzähl von der polnischen Schwester, die gestern vom Wunder des Körpers sprach, wie der das alles schaffe, und auch die OP verkraftet.
Sag, wie ich das zu schaffen versuche: Ich rede dem Bruder Körper gut zu, mein Kind, mein Armer, versuche ihn vom Kopf loszukoppeln, das schafft der auch allein, muss aber wahnsinnig arbeiten, wie es auch der Prof. formuliert hatte: Der Geist baut den Körper, versuchen Sie nicht auch noch mit ihm mit zu leiden!!

Der Sohn und seine Mutter haben mir per Fleurop sehr schöne Blumen geschickt. Natürlich nicht er. Aber immerhin, samt Briefchen!

Hannah war schon wütend, weil sie sich als meine „Vermittlungs¬station“ sieht, über mich mit ihren Freundinnen (Ziegen) redet.
Kleiner Spaziergang mit Hilfe von Schmerzmitteln. Erklärte Hannah dann, dass ich mein Leben total verändern müsse, ich nicht mehr in Italien leben dürfe, dort hätte ich nichts verloren, niemand kennt mich, niemand liest meine Bücher. Von den italienischen Freunden hat sich ein einziger gemeldet.
Mindestens 7 Monate müsste ich hier in Deutschland leben, nur den Rest dort, wie das auch andere tun, so die Zadeks. Was soll ich noch in Italien, Pensionär spielen…?
Verbiete Hannah, den Leuten über mich Auskunft zu geben. Und dann dauernd ihre Wehleidigkeit, wie sehr sie leide!
Na, da wünsch ich dir mal meine Schmerzen.

Telefonat mit meiner Nichte. Sie hat zwei meiner alten Sendungen über die rumänische Revolution im Auto gehört (Tun was geschieht!) das rührt mich. Bemerkte, meine Arbeiten seien ja eigentlich Frauensendungen.
Sage ihr, dass ich ja auch mithalte, ein Donau "Flussbuch" erscheine, wo zwei Gedichte von mir abgedruckt sind, die aber eher zu meinem Zustand als zur Donau passen. Lache: "Erinnerungen an die unvorstellbare Langmut der Zeit"....: "Warm, ein sonnengewärmter Span, das Element Holz / Unter der Haut Geruch der Erde nach dem Regen". Diese ersten Kindheitserinnerungen im Baruchhaus, meinem Geburtshaus in Schäßburg, sie kommen jetzt in diesem ins Elementare zurückgeworfenen Zustand intensiver hoch als je, sage ich zu ihr:"Wir aber haben gelernt, / sternklare Kälte / ZUZU¬DECKEN MIT GESTOTTERTEM TROST / aus Bibeln und Alphabeten, / zuzudecken wie den / Betrug der Staaten, Beschiss der Wirtschaft..." "UND DER UNABWENDBARE / TOD / Ein Märchen / den andern / zugedacht."

Nachts wieder Schlafmittel. Starkes Schwitzen, in Schweiß gebadet. Der griechische Pfleger wechselt mein Hemd, meine Decke! Obwohl es Gottseidank draußen kühl ist, ungewöhnlich für diese Jahreszeit, höre ich andauernd die Wetternachrichten, Angst vor neuer Hitze. Doch es soll weiter abkühlen!

23. 6. Noch radikalere Vorstellungen beim Erwachen über den Lebensknick und die notwendige Trennung. Um 7 der Prof. mit Dr. Mattes. Die Drainage nur noch 40 ml, der Prof. entscheidet, dass sie Samstag raus kann, ich aber bis Montag bleiben muss: Zystogramm. Dann käme auch der Katheder raus. Endlich. Es schmerzt schon der Harnkanal.
Den Harninfekt hätten sie im Griff mit Antibiotika. Kaum noch Fieber. Hat also gut angeschlagen!

Lese in der ZEIT, beantworte Mails, die Nachfragen nach meinem Zustand. Auch einen langen Brief an Hel. Doch nichts von meinem Zustand. Ich ärgere mich über meine Verstellungskünste. Doch die Liebe ist ja echt. Und sie, so sag ich mir, sei auch die Ursache….Nein, es ist deine Angst und Eitelkeit, sagt eine Stimme!

Mit Ingrid lang telefoniert, die eben ihre neue Enkeltochter erwartet. Glück. Weniger Todesangst. Sie rät mir zu alternativen Therapien. Hatte ebenfalls Krebs, Mammo? Und das vor 28 Jahren. Mistelinjektionen (anthroposophisch)- auf die sie schwört, hätten sie gerettet.
Wir sprechen über unsere Bücher, sie ist weg von Herbach u. Haase, nachdem sie in Berlin beide kennen gelernt hatte. Es sei zu lau gewesen, da könne sie sich doch besser selbst vertreten. Fragt nach meinem Liebestagebuch. Lange Bank bei Haase, sage ich. Von der Graf ist sie auch weg, die wollte ein Honorar fürs Gutachten. H. hat sie auch nicht anbringen können, war auf der Messe mit seinem Manuskript winkend von Verlag zu Verlag gegangen. Nichts.
Soviel Misserfolg überall. Ich werde immer mehr auf Elektronisches setzen.

24.6. Nachts wieder schlechter Schlaf, Nachtschwitzen wie verrückt. Ilias, der griechische Pfleger, hilft mir darüber hinwegzukommen, will mich wechseln. Doch ich lasse das jetzt. In der Früh ab 6 lässt er den Beutel mit der Lymphflüssigkeit ab, Gottseidank nur 12 ml, also dann, heut werd ich den los, und die Schmerzen? die mich elend nerven und schwächen, mehr noch als die OP. Auch das Dauerfieber natürlich!
Komisch, in der Früh dann die Rothaarige (Gabrielle) seit sie weiß, dass ich TB schreibe, behandelt sie mich wie ein rohes Ei, fragt, ob sie mir den Rücken waschen soll, ob ich was brauche, ob ich Tee haben will usw.
Will auch den leitenden Oberarzt Dr. Göritz herbeischleppen, damit er mir endlich die Drainage entfernt. Der sei leider schon nach Hause gegangen.

Mutter ruft an. Rate ihr zu Antidepressiva, sie schläft schlecht. Rührend ruft sie täglich, morgens und abends an, um sich nach meinem Befinden zu erkundigen.
(Warum gebe ich nicht auch Hel diese Nummer? Aber es ist ja die Kliniknummer!)

Gegen 12 kommt Anita, die Nichte, bringt mir auf CD ihr „Morgenläuten“, dann aber auch Isoldes (Ohlbaum) „Denn alle Lust will Ewigkeit“, mit einer schönen Widmung, die so gut passt: „Liebe und Tod das gleiche Geheimnis?“
Reden über die Vorteile der Frauen heute. Meine Erfahrungen aus dem „Liebestagebuch“: dass die Frauen, die Männer zurücklassen, weil die nur Teile lieben, Frauen aber erstreben ein Ganzheitsleben, eine Entwicklung, Kinder und Job, Sex und Liebe, Hunger nach Welt und Familie. Die Männer geben sich weniger neugierig, kaum welthungrig, sind oft mit ihrem Erreichten, dem „Job“ zufrieden.

Und wieder Familiäres: dass uns unsere Eltern schmallippig erzogen, pflichtkantig, obwohl sie es selbst nie so gewesen waren. Ich bin da entkommen. Doch meine Geschwister sind es geblieben. I. hat den ungeliebten Mann geheiratet, nur weil sie es ihm versprochen hatte (Versprechen muss man halten!). Und A. meint, sie sei viel unmoderner als meine neunzigjährige Mutter. Und der Streitpunkt, das, was mir Bruder G. bis heute vorwirft, dass er sich immer nur angepasst habe, ja stimmt. Dass er seine Heiterkeit, Unbeschwertheit nach der Heirat verloren hatte. Er war früher kommunikativ und voller Humor gewesen. Jetzt gerät ihm anscheinend sein Sohn nach, der sich von seiner Unterdrückungshexe befreit hat (die kleinere Mutter mit Kuratel) und frei, nun in eine Rumänin verliebt ist!

Erzähle wieder von Roland, Mutters Cousin, dass ich seine Aussagen, auch über seine Verbrechen in Flossenbürg (Hinrichtung von Bonhoeffer und Canaris) auf Band habe, dass ich das jetzt eigentlich veröffentlichen sollte, ebenso wie den Capesius-Text. Und auch die vielen Bänder mit den Eltern.

Anhand meines Bruders. Gestern mein Bruder. Er brachte sogar von seiner Frau Kuchen und Äpfel mit. (Sie aber war nicht erschienen!) Was bleibt, ist tatsächlich nur die Familie, die im Ernstfall da ist. Und das auch nur sporadisch. Gutes Gespräch. Auch über die Erblichkeit des Prostatakarzinoms. Er ist Lektor bei Thieme, also! Und bringt mir andauernd auch Fachliteratur, jetzt Van Deest: Heilen mit Musik und Praktische EGG-Deutung. Sie haben ja im Kardiogramm bei mir einen Schenkelblock festgestellt. Und da kann es schon erschrecken, wenn da steht, dass der Block bei Myokarditis, koronarer Herzkrankheit und linksventrikulärer Hypertrophie auftritt. Muss mich später drum kümmern. Vielleicht hat dieses periodische Herzweh und Flimmern, Kurzatmigkeit etc. hier seine Ursache.

Bei uns ist das Prostatakarzinom. wohl vererbt; ich bekniee meinen Bruder, seinen PSA-Wert untersuchen zu lassen! Der Onkel H. hatte sich operieren lassen. Und Großvater „hatte etwas mit der Prostata“ als er 86 war. Ist aber dann an „der Lunge“ gestorben. Hatte er ein Prostatakarzinom mit totaler Streuung. Und Friederike ist ebenfalls an Lungenkrebs gestorben. Allerdings ist sie nicht an der Brust operiert worden, wie ich bisher dachte, sondern hatte einen Tumor zwischen Lunge und Herz, so nahe am Herzen, dass nicht alles herausgeschnitten werden konnte, daran ist sie dann sieben Jahre später gestorben. Von anderen wissen wir es nicht, die sind wohl zu früh verstorben.

Immer mehr kommt S. in meine Erinnerung. Ich erzähle Gerd von meiner Fortsetzung der Vaterlandstage, der „Heimatstadt der Toten“ (Transsylwahnien), wo ja nach dem toten Vater, ja, nach allen Toten, zu denen man gehört, gesucht wird!

Und dann reden wir über Musiktherapie. Das müsste doch bei Krebs besonders wichtig sein, ins Schwingungssystem und Informationssystem eingreifen, heilend. Wie Meditation, Schreiben, Gebete. Konzentration also aufs Außerich wirken können! Künstlerische Form der Behandlung, wie sie für Patienten, ja auch Navratil in Klosterneuburg betrieben hatte. Wann war es, ach 1976, Besuch in Wien, dann mein Hörspiel mit O-Tönen, Kunstkopf „Königin die Welt ist narr“!

MIT DER NUN ENTFERNTEN Drainage geht’s viel besser, ich kann gehen, aufstehen, kaum Schmerzen mehr. Mit Hannah einen langen Spaziergang unter den Säulen, es nieselt, es ist kalt. Im Zimmer dann wieder kleiner Streit wegen des neuen Lebensstils, nämlich die Zeit zwischen D und I zu teilen, mindestens 6 Monate hier zu leben. Was haben wir auch in Italien verloren. Nachts dachte ich, wir haben unser Leben in jener schönen, ereignislosen Gegend ohne Menschen, Ereignisse, Beziehungen einfach verpulvert, was bleiben sollte, die dabei geschriebene Literatur, kommt nicht an. Vielleicht ist es auch meine Sprache, meine Erfahrungslosigkeit mit diesem Land Deutschland, wo ja meine Leser sind, die mich zum Misserfolg verdammen. Wie ein kleines Kind beharrt Hannah eigensinnig darauf, in Italien leben zu wollen, sie fühle sich in D nicht gut.

Hatte mir doch vorgenommen, nicht mehr nur vor dem PC zu sitzen oder vor dem Papier, und dann, in jener grünen Einsamkeit, was sollen wir da, Pensionäre spielen, im Garten Zeitung und Bücher lesen, nach Buginagno spazieren gehen, mit dem Hund? Keine Freunde, Keine Connection, niemand kennt mich dort, ich bin ein totaler Nobody, wer soll dort zur Kenntnis nehmen, was ich in Italien / deutsch / schreibe? im „Niemandsland“!

Dann rief Mutter an. Es ist schon so, dass sie viel karger und eigensinniger geworden ist, eben alt, sie wird 90.

Abends dann Fußball; Rumänien-Italien, es fällt mir nicht im Traum ein, mit den Italienern zu halten, sie sind die Gegner, und bin verzweifelt bei den 2:0. Die Rumänen spielen sehr gut, wenn auch zu kurz gepasst, und können nicht schießen! Hagi bekommt dann auch noch die rote Karte. Mit 10 Mann verändert sich das Resultat nicht, sie hätten gewinnen können, doch immer nur Pech, Pech hat diese Nation, egal auf welcher Ebene. Und dann ärgere ich mich, dass bei allen, bei Portugiesen, Italienern, Spaniern, Holländern etc. auch die Trainer zu Wort kommen, die Fans gezeigt werden, nur über die Rumänen spricht niemand, sie zeigt niemand, keine Fans etc. So werden sie immer schon übergangen, als gäbe es sie gar nicht, und Kommentatoren, Speaker etc. hielten eindeutig mit Italia. Es hieß sogar, es sei für Europa besser, wenn sie siegten, auch aus wirtschaftlichen Etceragründen.

Schlief schlecht, trotz Schlafmittel, hatte auch während des Spiels schon Lebenskürze- und Todesgefühle, das kann ja gut werden, wenn die wieder kommen, wenn ich aus dem Krankenhaus entlassen werde.

25.6. Ilias der Grieche „legt mich trocken“, geht um 6 wieder. Hat zwar die nächtlichen Schweißausbrüche eingetragen, doch, so meint er, die liest ja der Doktor sowieso nicht, das müssen Sie ihm selbst sagen!

Beobachte, auch beim Lesen jetzt von „Eros auf der Flucht“ von Hochkeppel über Picassos erotische Kunst, ob meine Libido noch funktioniert, noch Interesse da ist, wenigstens mental. Ja, sie ist da. Gottseidank.
Und als die schöne dunkelhaarige Marie aus Mährisch-Ostrau (ich fragte sie, woher kommen sie? – Ich bin eine Tschechin!) ganz selbstverständlich die „Kathederpflege“ machte, also meinen Penis wusch, die Eichel sanft massierte, da tat es nicht nur weh. Ach, was ist aber solch ein Patient für ein armseliges, bemitleidenswertes Objekt, ich mit dem gelben Schlauch in meiner Harnröhre, der zum Kathederbeutel führt. Welch ein Liebestöter.
Einzig Esther hatte damit anzüglich gespaßt, vom Vögele gesprochen, das man sehe, wenn ich da sitze und schreibe. Was denkt sich wohl Marie dabei, wenn sie dies armselige Wesen so reinigend anfasst. Den Schwanz da, der immer nur winzig über den Hoden sitzt, und ob er je noch mal wachsen wird, je noch einmal in eine Furche rein kann?
(Hat Marie das nur aus Nostalgie getan, weil ich behauptet hatte, meine Vorfahren kämen aus der gleichen Gegend, hatte ein wenig geschummelt, sie kamen ja aus der Slowakei, Tyrnau!?)

Anita, die ja wußte, wie ich von der Liebesgeschichte und dem Liebestagebuch und den Trostlieben und Hella und und – dann zum Gegenteil kam, zum Tod, hat gut gewählt mit dem Geschenk „Denn alle Lust will Ewigkeit ...“ von Isolde Ohlbaum, der Autorenfotografin. Haben die beiden wirklich so viel miteinander zu tun: „Eros und Thanatos“ – auf den Friedhöfen ist es verewigt! Doch ist das nicht nur wahnsinnige Nostalgie, wenn da zwei Tote in Stein sich umarmen oder wie bei Heloise und Abaelard für “ewig“ nun nebeneinander liegen?
Schöne Gedichte dazu, die fast auch an die Heimatstadt der Toten denken lassen und an Heine:

Du hast mich beschworen aus dem Grab
Durch deinen Zauberwillen,
Belebtest mich mit Wollustglut –
Jetzt kannst du die Glut nicht stillen.

Press deinen Mund an meinen Mund.
Der Menschen Odem ist göttlich!
Ich trinke deine Seele aus,
Die Toten sind unersättlich.

Ein sich ans Leben klammern, es nicht fassen können! Ein Denkmal setzen, Leben, leben, leben – zum Trotz? Oder ein Hinüber gemeinsam? Ein Beschwören, des Schönsten, was es hier gibt – als leuchte es uns aus jener andern Welt heim, die uns erwartet? Und die wir nicht mit Körperängsten angehen dürfen, diesem Abgrund, was alles an Schmerzen, an Eingesperrtsein, an Schrecklichem uns auch nach dem Tode vielleicht erwartet? Doch wir haben ja zumindest auch eine Geburt hinter uns, das Eingesperrtsein in einem engen Kanal, Finsternis... auch das kaum vorstellbar, ist das nicht wie ein lebendiges Grab? In der Maramuresch heißt es, Geburt sei Gefangenschaft und Tod Befreiung: Weinen bei der Geburt, Lachen beim Tod! Überhaupt gibt es dort noch der Wirklichkeit entsprechende Riten beim Begräbnis, die richtige Auffassung vom Freiwerden, bis hin zum Nahtoderlebnis.

Nur ist es so mit dem Popengeseiere und orthodoxem Singsang und Gemurmel durchsetzt, dass alles unerträglich wirkt, schlimmer noch als die andern Riten, unsere. So möchte ich sicher nicht begraben werden, so unfrei, in einer schier abergläubischen Gemeinschaft, die auf die Kirche schwört.– Auch Frossards Erlebnisbericht „Gott existiert“, ist deshalb unerträglich, weil er wie eine Propagandaschrift für die katholische Kirche wirkt; welch Unheil doch diese Kirchen alle gebracht haben, wie sie das reine Todesereignis der wirklich göttlichen Natur, die so etwas nicht braucht, im Gegenteil, verderben, die etwas ganz anderes sind, als sich Pfaffen vorstellen können.

Ich erinnere mich jetzt an den Besuch eines Freundes, eines ev. Pfarrers und seiner Frau bei uns in C. Ich sprach über diese Dinge, und der einzige, der sie nicht begriff, sie sich sogar von Hannah und seiner Frau erklären lassen musste, war der Pfarrer; es stellte sich heraus: ein Ungläubiger und eher ein Pragmatiker, gar Materialist, der nur an den Körper glaubte, das war der Herr Pfarrer.

Telefoniere mit Hannah Wieso ist Brigitte eigentlich an den Eierstöcken operiert worden?
Sie hatte so einiges, sagte Hannah, so auch Reste des eigenen Zwillings, der sich nie entwickelt hatte, nie geboren wurde, in sich, sagte Hannah, wie grässlich das doch sei, dies langsam in sein eigenes Körpergefängnis im Mutterleib, in dieses Grab hineinzuwachsen. Wer mir das sagen würde, nehmen wir mal an, einer freien Seele im Wartestand (vgl. Platon und Weizsäcker) – es gäbe nichts Grausigeres, als in diesen Fleischkanal hinein zu müssen, neun Monate total gefangen zu sein. Wer möchte da noch an die Wiedergeburt glauben, sie gar selbst mitmachen? Von anderen Formen, wie Pflanzen, gar Ameisen und Mikroben ganz zu schweigen, von denen etwa Borges schwärmt. Wie schön dagegen das reine Nichts, die Körperlosigkeit auch, die wir ja schon jetzt „denken“ und empfinden können, als sehnten wir uns nach ihr!
Und dann die Bachmann, die an einen Geliebte nur als „Skelett“ denken kann, sie mit dem Körper identifiziert:
„Und darum will ich dein Skelett noch als Skelett umarmen und diese Kette um dein Gebein klirren hören am Nimmermehrtag.
Und dein verwestes Herz und die Handvoll Staub, die du
später sein wirst, in meinen zerfallenen Mund nehmen...“

Wie elend makaber, wie geist- und lieblos! Das sind unsere Poeten auch heute! Reine Körpermaschinendichter!

Dr. Göritz zur Visite. Sage ihm von den Schweißausbrüchen nachts. Er: Das gehört dazu.

Inge ruft aus Rhodos an. Herrliches Wasser, kalt, doch die Luft heiß. Höre Mahler die Fünfte. Möchte sie hören, wenn ich gestorben bin. Den ersten Teil. Und versinke dabei. Plötzlich zuckt diese Erinnerung auf, hatte ich vergessen, was mit mir während der Narkose geschehen war? Das weiße Nebellicht mit den Schatten und Gestalten dahinter... Und dass alle Angst weg war, ich dachte, jetzt bist du hinüber, jetzt stirbst du...
Und das Rilkedicht las ich eben dazu, das alles weiß – und auch zur Heimatstadt der Toten passt:

Er wußte nur vom Tod, was alle wissen:
dass er uns nimmt und uns in das Stumme stößt.
Als aber sie, nicht von ihm fortgerissen,
nein, leis aus seinen Augen ausgelöst,

hinüber glitt zu unbekannten Schatten,
und als er fühlte, dass sie drüben nun
wie einen Mond ihr Mädchenlächeln hatten
und ihre Weise wohl zu tun:

da wurden ihm die Toten so bekannt,
als wäre er durch sie mit einem jeden
ganz nah verwandt; er ließ die andern reden

und glaubte nicht und nannte jenes Land
das gut gelegene, das immersüße –
und tastete es ab für ihre Füße.


Dann ein anderes wunderschönes Gedicht aus Isoldes Fotobuch von C.G. Rosetti:

Bin ich einst tot, mein Liebster,
Sing keine Trauermessen;
Pflanz mir zu Häupten Rosen nicht
Noch schattige Zypressen:
Lass grünes Gras mich decken,
Das Tau und Regen nässt;
Und wenn ihr wollt gedenket,
Und wenn ihr wollt, vergesst.

Ich sehe nicht die Schatten,
Spür nicht des Regens Fall;
Hör nicht den schwermutssatten
Gesang der Nachtigall;
Und träumend lang im Dämmer,
Der nimmer steigt noch fällt,
Wer weiß, ob ich gedenke,
Ob ich vergess der Welt.

Nathali kommt. War gestern bei der Sonnenwende in Nürtingen. Übers Feuer springen. Das gibt’s also noch.
Auch die Rothaarige ist da, Gabrielle, wohl Oberschwester. Wieder sehr nett, ist auch gar nicht so übel, nur etwas hysterisch.
Schimpfen über die SW-Seite des Zimmers, und dass ausgerechnet die Privatpatienten keinen Balkon haben, sein Bau wurde verschoben, weil Nassräume benötigt werden! Die Architektin Schnell hat das uns eingebrockt.

Hannah ist da. Wir sind schon auf dem Gang zum Spaziergang (ich kann gut gehen, keine Schmerzen mehr!), da kommt der Prof. zur Visite. Begrüßt uns mit Handschlag. Ist sehr freundlich und mit Hannah zuvorkommend gentlemanlike. Fragt nach Schmerzen. Keine, nachdem der Beutel entfernt worden ist. Und wann sollte das Zystogramm sein. Morgen, sage ich. Also gut, versuchen wir es morgen. Und jetzt können Sie spazieren gehen.
Die frische Luft und das Gehen tut mir gut.

Wieder im Zimmer schmieden wir Pläne. Mit dem Boot nach Portovenere zu fahren.
Telefonat abends mit Christel und Piero, die rührend aus C. anrufen. Mir erzählen, dass auch ihr Freund Wiegenstein von Eisenberger operiert worden sei, und alles Ok ausgegangen war. OP vor 2 Jahren.

Gestern Abend noch ein Brief von Irene. Ich hatte ihr geschrieben: Liebe Irene, dankbar bin ich dir, dass du mir schreibst und an mich denkst, ich liege im krankenhaus, bin geschwächt, hab schmerzen und einen totalen lebensknick, nichts mehr ist so wie es war, auch jede liebesmöglichkeit ist wohl vorbei, dafür hat mich der tod im griff, mit dem ich bisher eher theoretisch umgegangen bin, jetzt sitzt er tief in mir; ja, es ist / war ein karzinom. eine schwere operation 2,5st. 1,5 liter blutverlust, jetzt nach über zwei wochen auch noch komplikationen / infektionen; meine bisherige gute lebenskraft ist dahin, doch ich hoffe, dass es wieder anders werden wird.
Nur - ein leben wie bisher ist nicht mehr möglich!

Eines ist gut: vor der OP überfielen mich nachts die todesgedanken, machten mich völlig fertig, nacht für nacht, denn am tag da konnte ich mich mit meinen kräften, mit meinen überzeugungen, meiner literatur und meinen meditationen wehren!
Jetzt ist diese Folter auf diese Angstart mit vielen grauenhaften
Alpträumen - hoffentlich- vorbei.
ABER: man kann es auch so sehn, es ist eine große erfahrung, sogar die OP selbst hat mir nahtoderfahrungen gebracht, du wirst ja in jenen zustand versetzt bei schweren OPs, wie du ihn auch im sterben fühlst. Und ich sehe die welt, meine umgebung plötzlich ganz anders. Ich schreibe jetzt alles auf, führe tagebuch, kläre und rette mich da hinein.
(Soweit das meine kräfte erlauben!) Also doch auch ein geschenk?
Ich schreib dir, wenn ich wieder zu kräften komme, mehr,
liebe grüße von D. aus dem Stuttgarter Katharinenhospital

Und fast postwendend kam ihre Antwort:
„Lieber D., ich wusste nicht, dass du noch im Krankenhaus liegst. Umso froher bin ich nun darüber, mich gerade jetzt bei dir gemeldet zu haben.
Lass mich dir erst mal das Beispiel meines Schwagers erzählen, der im Februar letzten Jahres die gleiche schwere Operation durchgemacht hat. Er ist jetzt 63. Nachdem er ein paar Wochen zu Hause war, musste er zurück in die Klinik und man hat ihm dann auch noch die Hoden entfernt. Er hat wie du unsägliche Qualen erlitten und sämtliche Lebenskraft verloren. Nach dem Aufenthalt in der REHA, wieder zu Hause, war er dann ein kranker Mann, der andauernd überall Wehwehchen hatte, wo aber die Ärzte keinen ersichtlichen Grund finden konnten. Das ist also das Eine bei ihm gewesen, weil wohl die Psyche jedem dann anscheinend einen schweren Strich durch die Rechnung macht. Das Andere aber war, dass er schon ein halbes Jahr später mit seiner Frau eine sehr strapaziöse, 4-wöchige Reise nach Indien gemacht hat. Sie begleiteten einen jungen indischen, katholischen Priester, der hier geweiht worden war und nun in seine Dörfer zurückkehrte. Mein Schwager hatte keine Beschwerden mehr. Noch vor dieser Reise waren sie in den USA Freunde besuchen, und nach Indien noch auf weiteren Reisen.
Anfang dieser Woche ist er losgezogen, um ein Wohnmobil zu kaufen. Du siehst, der Lebensmut und die Lebenskraft kehren zurück. Letzten Mittwoch war ich mit meiner Schwester an unserem kleinen See schwimmen und plötzlich kam er mit dem Fahrrad und brachte uns Kaffee und Kekse. Eine Lie¬bens¬würdigkeit, die ich eigentlich vorher noch nie an ihm bemerkt hatte.
Ich fragte meine Schwester, wie er mit seiner Impotenz klar kommt, denn das war für ihn immer eins der wichtigsten Dinge.
Sie sagte, dass er immer weniger daran denkt, es fast vergisst, weil er einfach kein Verlangen mehr verspürt, und würde er Verlangen verspüren, würde Viagra helfen.
D., sag ehrlich, ist dies denn nicht eine wunderbare Einrichtung der Natur. Alles hat seine Zeit, und diese Zeit geht eben auch vorbei. Andere wichtige Dinge werden an Stelle des Vergangenen treten.
Dass nun jetzt, in diesem Augenblick der Entzug deiner "Liebesmöglichkeit", wie du es nennst, die Schmerzen, die kör¬perliche Schwäche dein Leben vollkommen auf den Kopf stellen, scheint deine größte Verzweiflung. Ich glaube aber, deine größte Verzweiflung rührt daher, dass du nun entgegen deiner bisherigen Vorstellung und dich leitenden Einstellung zum Leben und Tod nun wirklich eine panische Angst vor dem Tod in dir spürst. Dies, so kann ich mir vorstellen, lässt dein ganzes System zusammen brechen und macht den eigentlichen, drastischen Lebensknick aus.
Du hast jetzt mit dieser neuen Erfahrung und den neuen Blickwinkeln die Chance, auch ganz neu anzufangen.
Deine körperliche Kraftlosigkeit, deine Schmerzen und Leiden werden vorbei gehen, (hier kannst du ruhig der modernen Medizin vertrauen,) und vor Dir wird ein ganz neuer, anderer D. stehen, der du natürlich auch immer schon warst.
Und die "Liebesmöglichkeit", die Liebesfähigkeit, verliert man nie, auch, wenn man körperlich kein Verlangen mehr spürt.
Ist die körperliche Liebe, der Geschlechtsakt, mit all seinem Drum und Dran, nicht eigentlich nur Eigenliebe? Ist es nicht so, dass wenn man sagt, ich liebe dich, man eigentlich meint, ich liebe MICH bei dir? Deine Liebesmöglichkeit wird auf einer anderen vielleicht sogar noch intensiveren Ebene stattfinden, die für einen Mann wie dich nur eine weitere Bereicherung sein kann.
In der Hoffnung, dich mit diesem Brief nun nicht über zu strapazieren, schicke ich ihn mal ab und wünsche dir ganz fest und aufrichtig Schmerzfreiheit und baldige Lebenskraft.
Alles Liebe Irene.“

Ich müsste mit mehr Schockbewusstsein reagieren. Und bin nun auch körperlich zu schwach dazu. Am liebsten würde ich mich hinlegen, doch ich zwinge mich, weiter zu schreiben. Literatur als Trost?
Ach, die Literatur ist angesichts dieser Schmerzen ein Nichts. Nachts noch Telefonat mit Ingrid B. Wir reden über diesen Wandel in der Literatur. Auch ihr Buch, wie meines, von Krüger abgelehnt. Uns Alte nimmt niemand mehr, sie wollen nur Junge, wo es sich noch zu investieren lohnt. Beide haben wir kein „Haus“, sie hat Hoffmann und Campe, ich Rowohlt verloren. Sie ist weggegangen aus Solidarität zu ihrem Lektor. Ich bin gegangen worden. Das Haus Rowohlt gibt es praktisch nicht mehr.
Jetzt sitzen wir beide bei Agenturen. Ich erzähle ihr von BOD und Göbel und Arnold und meinen beiden Bänden, die im Herbst dort erscheinen werden. BOD etc. auch Gutenberg unsere Chance noch. Und die kleinen Verleger, sagt sie. Spricht vom Zeitartikel darüber. Möchte noch etwas für die letzten Gedichte des H. D. Schwarze (Ihr erster Ehemann, der an Krebs gestorben ist) tun! Ruf doch den Arnold an, der macht es sicher, rate ich ihr: Er bringt auch meine Reisegedichte und „Aufbäumen“ im nächsten Jahr.

Ich werde unterbrochen, Ilias, der griechische Pfleger, kommt zum Nachtdienst. Er sieht aus, wie aus der Odyssee entsprungen. Ich frag ihn, ob ich denn nun segeln dürfte. Lieber nicht, das strengt an. Die Haut ist ja geheilt, aber bis zur Heilung der Muskulatur vergehen 3 Monate. Da könnte etwas reißen. Auch Schwimmen nur vorsichtig, Krawlen gar nicht. Und erst in 2 Wochen. Nicht heben vor allem. Und dass in den Leisten die Drüsen geschwollen sind, ein wenig schmerzen, sei normal. Auch dass meine OP-Wunde, mein „Harakiri“, gespannt sei, Spannungen immer spürbarer werden, sei normal!

26.6. Wieder Kurzvisite. Der Prof. nicht ansprechbar. Wage kaum zu fragen. Schon gar nicht über mögliche Sterbeerleb-nisse zu reden. Und seine Erfahrungen damit? Doch wird das gleich psychiatrisiert und Patienten wagen kaum etwas zu erzählen. In einem medizinischen Lehrbuch wird solch ein Erlebnis eines 68-Jährigen gebracht, doch unter der Rubrik „Psychiatrische Komplikationen“, wo von „Schweren Persönlichkeits¬störungen“ die Rede ist oder von einem „Deliranten Syndrom.“

Herr Richter kommt, wir begrüßen uns herzlich, hoffen zusammen die „Pisszone“ zu überwinden, wenn der Katheder raus ist, und wir wieder üben müssen, das Urinieren zu lernen. Schon jetzt rinnt und rinnt es neben dem Schlauch raus, Schwester Lisa hatte da was rein gespritzt. Und wenn es ganz weg ist? Pampers? Säckchen. Mein Gott ist das entwürdigend! WIE WIRD DAS LAUFEN; JAJA; LAUFEN; LAUFEN; LAUFEN WIE BEI EINEM Kleinkind?!

NACH DEM LETZTEN SCHLUCK Rotwein, wir dürfen hier sogar trinken, der Prof. nennt uns das „Rotweinzimmer“!: Dies meine Leserin, hatte ich also eben geschrieben, und manchmal kommt es mir vor, als wäre es nur für dich, für sonst niemanden, du, meine beste Leserin der Welt! Und jetzt mache ich eine Pause, denke an dich, betrachte die Tastatur rechts vom Buch, dann meine Fin¬ger, die Hand, nein, die rosig hautfar¬bene, pigmentlose Land¬karte, Vitiligo, schwarze, nachge¬wachsene Här¬chen und blonde, braune Inseln, dann die Fingergelenke wie tiefe Ker¬ben. Und eine Fliege, die mich so oft ärgert, kitzelt, eben von der Tastatur auf den Handrücken surrt sie, bekannt seit der Kindheit, auf dem Fliegenpapier, wie sie verzweifelt gegen den gelben Gifthonigseim ankämp¬ft, kennst du das auch: langsam einge¬sunken die feinen einge¬knickten Bein¬chen, wie Striche, die vergehen, sie krabbelt sehr schnell auf der lin¬ken, nur wenig beschäftigten Hand über die Landkarte, dann auf meine Stirn, der Rüssel saugend, das Bekannte¬ste, was uns immer begleitet, die Erde würde ich auf dem entfernte¬sten Planeten durch diese Fliege wiederer¬ken¬nen, meine Vertraute, irdi¬scher Winziggänger und Quäl¬geist.

Und jetzt hier in der Urologischen Klinik, U1, Privatstation des Prof. Eisenberger, Zimmer 007. Bad, zwei Betten, jetzt, seit Richter draußen ist, nur ich, Zwei Ständer für den Tropf, eine Leiste mit elektrischen und Telefonanschlüssen, dem Notruf, mit dem man auch das Fernsehen und das Licht betätigen kann. Dann Anschlüsse für Air, O2, Vac. In der Ecke der einfache Kasten, eher ein Spind für Patient 1 und Patient 2 und Pflegemittel. Dann eine Bank, davor ein Tisch, 3 Stühle. Es ist schon eine Art Zelle. Die vordere Wand ist Glas, 3 öffenbare Fenster in Richtung Park, man sieht also Grün, Blumen, Bäume, und das Lindenmuseum. Und da habe ich nun 20 Tage verbracht. Gottseidank von der AOK bezahlt. 17 DM, wie bei Medikamenten, musst du zuzahlen pro Tag, ebenso 3 fürs Telefon und 3 fürs Fernsehen, plus 20 Pf. pro Einheit.
Draußen der lange Gang, der zu den vielen anderen Stationen, plus Buffet und Einkaufszentrum führt, dann nach draußen und auch zum Sekretariat des Prof. und auf die Straße.
Grundsätzlich junge, auch hübsche Schwestern, meist Ausländerinnen, gehört das zur geheimen Aufbaupsychologie, hat das einen verdeckt helferisch-erotischen Aspekt? Das müsste untersucht werden. Im Krieg hatte es besondere Bedeutung! Trösterinnen aus der Liebe, dem Leben.

Um 14h werde ich zum Zytogramm geholt. Die Schwester, nachdem ich sage, ich wissen nicht, was mir lieber sei: mit oder ohne Katheder, dann beginne ja das Elend. Meint: Sie haben es ja schon erlebt! Ja, als Baby! Kann mich aber daran nicht erinnern, außerdem gabs damals keine Pampers sondern Windeln. Da musste man andauernd frisch gewickelt werden, brüllte usw. Oft die ganze NACHT: Das muss schlimm gewesen sein. Jetzt bin ich aber ein Baby ohne Mutter!

Dr. Mattes macht die Röntgenaufnahme. Es scheint alles OK, ich sehe wegen Kontrastmittel meine Blase ganz schwarz, und es schaut eher wie ein Geschlechtsgespenst aus. Schließmuskel und Harnröhre scheinen gut verheilt; hoffentlich ist der Muskel nicht beschädigt worden! Sang und Klanglos zieht Dr. Mattes den Katheder raus, ich spüre nichts, dachte es sei entzündet, hatte davor Angst! Er legt mir Pampers an. Im Lift rede ich mit ihm über die Nachfolgetherapie: Hormontherapie. Gegen die Alternativen zur Schulmedizin (Misteln, Homöopathie) hat er nichts einzuwenden, und man könne sie auch parallel mit den Hormonen machen.
Aber das rinnt und rinnt. Ich hab gar keinen Reflex mehr. Versuche zu kontrahieren, übe, rufe die Krankengymnastin an, die ist für Tage weg, jene, die in C. war, sich für Goffy interessiert, und der ich aus seinem Leben viel erzählt hatte, wird mir mal wieder die Bände ansehen. Überhaupt alle Bände meines Archivs.

Morgen wird dann eben nicht Frau Haig, sondern eine Frau Schmidt kommen. Schade. Hätte mir gerne noch eine Menge Ratschläge geben lassen! Anstatt REHA eben Zuhause üben.
Die blonde Schwester Gabrielle gibt mir bessere Pampers, die je 500 ml aufsaugen, Extrapampers für die Nacht. Hatte heute Untertemperatur 35,9, abends Gottseidank doch 37,1. Eine Qual die Pampers zu tragen, hatte auch das Bett schon voll gesaut, ein Wasserundurchlässiger Lappen kommt jetzt unter meinen Hintern.

Dann kommt der Prof. mit Mattes. Hatte mich darauf vorbereitet. Also Morgen könnte ich nach Hause... doch, na ja, ich frage: Und die Nachsorge, wie machen wir das mit der Hormontherapie. Mit T2, meint er, sollte man sofort anfangen. Aber eine Mammographie wäre nötig, übermorgen... um Gottes Willen. Doch, überlegt er, dann hätten wir ja gar keinen Nachweis mehr, ob noch ein Rest da ist oder nicht, wir haben ja alles herausgenommen, was T1 ergab. Eine Therapie jetzt wäre nur prophylaktisch. Also entscheidet er... Erst in 3 Monaten. Frage ihn, was er von alternativen Therapien hält, Mistel etwa oder Homöopathie. Wenn es nicht schadet, find ichs gut, sagt er. Könnte ja psychosomatische Wirkung haben, Selbstsuggestion zur Heilung.
Dann aber auf die Frage, aber was halten sie davon? Sagt er; also hören Sie, wie sollte einer in einem Hinterhof oder einer Garage mehr rauskriegen als sämtliche hoch dotierte Laboratorien!?
Ich aber denke, sage es nicht: Diese Therapien, die nicht nur die Körpermaschine im Blick haben, brauchen keine Laboratorien...

Hannah kommt, wir machen einen Rundgang. Walter ist heute mit dem Krankenwagen ins Heim „Hasenberge“ eingeliefert worden. Mit der Magensonde geht’s ihm besser.

27.6. Die Nacht war wie gewöhnlich, keine besonderen Belastungen wegen der Pampers, wechselte nur einmal, um 11h10. Das Herumdrehen und Wühlen ist ja bei mir im Krankenzustand normal.

Darf heute also nach Hause, Gefühl der Freiheit, doch auch Angst vor dieser neuen Normalität und den Gedanken. Die müssen aber abgestellt werden, absolut, und tat dann so, als gäbe es dies nicht; leider bin ich kein Verdrängungskünstler.
Spüre den frischen Morgen wieder, doch die Lebensfreude, auch die Freude, wieder nach C. zu dürfen, ans Meer, in meinen Garten, in mein Arbeitszimmer – diese schöne Flucht von früher, gibt es so nicht mehr. Ich bin seelisch gealtert. Doch denke ich an das, was Irene über ihren Schwager geschrieben hat. Ich muss so leben, als gäbe es wirklich nur noch zehn Jahre, nicht die immer beschworenen 25.

Visite. Darf nach 6 Wochen, grobe Heilung, baden, segeln. Doch mich nicht anstrengen. Bekomme auch den OP Bericht.
Als ich aber nach Prostata: Lust oder Leid fragte, suchte der Prof. das Weite, drückte mir schnell noch die Hand und draußen war er. Verwies mich an Dr. Mattes. Mit dem Zuruf „Lassen Sie sich noch mal sehen“!

Beim Frühstück zwei Patienten, der eine mit Magen-Darmbeschwerden, so dass er 2 Wochen nur über den Tropf ernährt wurde, schon 12x hier gewesen war, große Schmerzen. Ich war quasi ein kleiner Fisch mit meinem Prostatatumor. Aber: jeder interessiert sich freilich nur für sich selbst und seine Krankengeschichte. Und – der andere war 6 Wochen hier gewesen, ja, man ist froh, versorgt zu sein und keine Schmerzen zu haben, sagt er. Am schlimmsten ist ja der Dauerschmerz, fast schlimmer als der Tod, der oft als Erlösung gesehen wird! Man fühlt sich irgendwie behütet hier, auch in einer Gemeinschaft von Leidenden, und von Leuten, die das beste versuchen aus dem, was es gegen das Leid gibt, wegen dem man hier ist, zu tun! Die Reaktion der Schwestern, aber auch der Ärzte ist allerdings unmittelbar praktisch-helfend. Und es wird auch mit Schmerzmitteln nicht mehr gespart!
Erstaunlich ist ja, dass trotzdem viel gespaßt und auch mit Humor genommen wird, auch von Seiten der Patienten (falls sie noch die Kraft dafür haben!) Ringsum beim Frühstücksbuffet gilt Scham kaum noch, Schamlosigkeit ist es auch nicht, wenn Frauen mit ihrem Harnbeutel in der Hand (am Handgelenk) essen, ihr Essen holen, Ausscheidung und Nahrung direkt daneben. Schrecklich wie viele dicke, hässliche Frauen da sind, keine einzige jüngere Attraktive. Da schneiden die Männer (sind hagerer, ansehnlicher, und rassisch sehr durchmischt!) viel besser ab!
Leider ist auch hier alles scheußlich gemacht, ein Glaskasten mit einem Blick in die Wäscherei, Mondlandschaft... diese Architekten, wirkliche Idioten! Dabei ist dies alles sündhaft teuer. Und die Patienten sind dankbar, sehn die Hässlichkeit gar nicht.
Vor allem der Mann mit der Bauchspeicheldrüse, die chronisch entzündet ist, schubweise immer wieder wahnsinnige Schmerzen verursacht, sie ist auch noch an den Magen angewachsen, muss zur Hälfte jetzt raus. Eine Hälfte für Fett, die andere für Zucker zuständig. Es muss dann andauernd Insulin gespritzt werden.
Jedenfalls ist er ein Wahnsinn dieser komplizierte menschliche Körper und seine Funktionen, Bruder Körper, wer hat ihn so konstruiert, die Zeit? So tüchtig, so resistent und auch so anfällig. An all diesen Dingen ist man früher unter großen Schmerzen gestorben! Schon Chapeau für die medizinische Kunst, ihre Entwicklung, sogar im Apparatesektor!
Jetzt vor allem wird in den USA mit durchsichtigem Glasfieber gearbeitete etc. Wir sind 10 Jahre zurück. Wer Geld hat, lässt sich heute dort behandeln! Ja, sag ich, das fortschrittlichste Land der Erde, dabei bringen sie Monat für Monat Menschen auf dem elektrischen Stuhl um, oft Unschuldige, und meist auch Schwarze, der Rassismus in der Justiz ist mittelalterlich! Vor einigen Tagen erst wieder eine Hinrichtung...

Dr. Mattes. Endgespräch. Also doch n3b (es gibt 4), und trotzdem doch nur beschränkt aufs Umfeld der Prostata: Samenbläschen, 1 von 15 Lymphknoten rausoperiert: dort ein Mikrokarzinom, wie passt das zusammen? Aber jetzt warten wir mal die 3 Monate ab, sagt Matthes, nichts überstürzen und keine voreiligen Ängste.
Jedenfalls bin ich jetzt aus ihrer Verantwortung entlassen!
Vorerst alternative Therapien, Misteln vor allem! dann über den Hausurologen die Therapie im Oktober. Dabei aber einmalige Bestrahlung der Brust, damit ich kein Hermaphrodit werde. Schade. Eine Mischung aus weiblichen Hormonen und und...
Bis dahin doch regelmäßig zum Urologen gehen, jetzt schon nach 2 Wochen. Harninfekt? Inkontinenz. Ultraschall?
Frage nach dem „sexuellen Blindarm“, der Prostata; die habe sehr wohl eine Funktion, stelle die Gleitflüssigkeit für die Samenzellen her, während der Ejakulation werden. Samenzellen hergestellt in den Hoden, werden über den Samenleiter in die Samenbläschen geleitet, von dort dann über den inneren Ring des Schließmuskels, der für die Ejakulation verantwortlich ist, gemischt mit Gleitflüssigkeit durch die Harnröhre raus¬kata¬pultiert!
Dieser innere Ring wurde entfernt. Der äußere aber dient der Harnkontrolle, hoffentlich ist der nicht verletzt worden, sonst wäre es sozial fast aus mit mir, und ich wäre total inkontinent! Doch es fließt ja nicht andauernd, das wäre schon ein Zeichen, dass er intakt ist, meint Dr. Mattes!
Frage nach Patientenberichten wegen autoskopischen Operations¬erlebnissen, wie sie viele Op-Berichte von Moody und Sabod zusammengetragen haben: Patientenzeugen, die von Nahtoderlebnissen, transzendenten und autoskopischen berichtet haben!
Er kenne keine, sagt Matthes, doch die Patienten erzählten sicher nicht von sich aus solch „irren Sachen“. Hüten sich.
Doch stimme es nicht, dass bei der Allgemeinen Narkose ein Herzstillstand stattfinde, das Herz schlage kontrolliert weiter (Kardiogramm, die Kurve), nur die Atmung werde durch die intravenöse Injektion gestoppt, dann sofort über den Tubus die Kontrolle der Atmung mit CO2 etc. extern übernommen; aber keine Herz-Lungenmaschine.
Mein Erlebnis sieht er so, dass die Narkose Schwankungen unterworfen sei, sogar ein leichtes Erwachen möglich ist. Dann hätte ich in diesem Nebel die starken Scheinwerfer und die schwankenden Gestalten – eben wirklich gesehen: OP-Lampen und das PERSONAL:
Nur die Perspektive stimmte nicht, sage ich, leicht von oben kam der Blick.

Zur Bodenbeckengymnastik mit H. Heick, der Camaiorefanin um 11h. Noch 3 andere Männer, wirken alle viel kräftiger und gesunder, einer sogar in Hosen, und einer hat schon eine Ahnung vom Harndrang, musste nachts 3x raus.
Nur bei mir nichts. Fürchte schon, dass der Schließmuskel verletzt worden ist, trotz Eisenbergers "Händchen".
Frau Heick kommt mit, möchte das „Stehende Ich“ (schreibe ihr auch eine Widmung später, sie kommt aber nicht, es sich abzuholen.) Ähnlich wie die Sächsin Katharina, die auch nicht kam, und die ich als „Vertrauensschwester“ auserwählt hatte, ihr 100 DM plus „Landsehn“ (mit Gedichten, Heimweh- und Kälte-Gedichten West, die sie interessieren dürften, war das auch ihr Zustand?) geben wollte für alle Schwestern!
Um 12 wie angekündigt Dr. Mattes, Routine-Ultraschall. Und er findet eine Ansammlung von Lymphen. Meint, das könnte mal starke Schmerzen und Fieber ergeben, da müsste ich gleich zum Urologen, mir eine Drainage machen lassen! Und eventuell 2 Tage in die Klinik. Adieu Italia oder?
Er geht und kommt nach 10 Minuten wieder, meint der Prof. ließe mich nicht mit gutem Gewissen ziehen, schon jetzt müsste eine Drainage angelegt werden. Ich muss auch eine Einverständniserklärung unterschreiben, dass Gefäße verletzt, Nerven, dass notfalls sogar ein neuer chirurgischer Eingriff nötig werde. Ich unterschreibe natürlich.

Um 15h holen mich die zwei netten Schwestern Claudia und die Blonde. Schaffen mich in den OP Bereich. Keine Angst, es ist nur ein kleiner Eingriff, sagen sie. Doch der Bereich da unten kommt mir wie die Unterwelt vor, da hat der Prof ja auch meinen Harakiri angebracht. Dann kommt Dr. Göritz der Chefoberarzt. Nochmals Ultraschall. Ja, Lymphe ist da. Kommt da eventuell Schmerz, Fieber etc. wie geschildert? Kann sein, muss nicht sein. Naja.
Kommt mit einer Spritze und einer langen Nadel, sticht das tief in meinen Bauch rein, schlimmer Schmerz. Und dann lässt er die Nadel da im Bauch vibrieren ca. 5 Minuten, sucht einen Schlauch zum Punktieren und zur Drainage- aber ohne Ballon. Sie suchen und suchen, finden keine, ein Arzt, er, eine Schwester. Naja. In mir vibriert die Nadel im Bauch. Dann nochmals ein Pieckser. Und stößt mir dann ruckweise eine Sonde tief in den Leib, ich glaub ich geh drauf. „Sie haben doch gesagt, sie machen eine Lokalanästhesie!“ „Sorry, die geht doch nur unter die Haut und nicht so tief.“ Dann sehe ich, wie er sich verfärbt, da kommt nur Blut, ca. 200 ml. Er hat ein Gefäß größerer Art getroffen. Im Beutel sammelt sich mein Blut. Er drückt und drückt auf das Gefäß. Endlich gerinnt es, schließt sich. Naja. Die Quälerei hat 30 Minuten gedauert. Komme wieder ins Bett. Soll mich aber nicht bewegen. Und heute nicht spazieren gehen. Bin ziemlich deprimiert. Dr. Mattes tröstet mich, ein lieber einfühlsamer Kerl. „Sie haben doch schon so viel hinter sich, dies ist doch jetzt nicht so schlimm.“ Kommt nach kurzer Zeit wieder.
Und ebenso 17,30 mit Gabrielle, die mein „Stehendes Ich“ sieht. Würde solche Bücher nicht lesen, so ein trockner Titel. Ja, aber Tagebuch und vor Ort nach 89 im Osten. Das lese sie vielleicht in 20 Jahren, daran denkend: Das war ein Patient von mir!
Intelligent gesagt, heute ist es Schnee von gestern in 20 Jahren aber ein Dokument!

Hannah am Telefon. Sagt mir, dass auch der Bruder ihrer Freundin eben zum zweiten Mal am Darmkrebs operiert worden sei. Prostata, na ja, das ist nichts dagegen.

28. Juni. Heute also soll ich endlich entlassen werden. Früh. Der Prof. meint, ja, mit der Drainage könne ich jetzt nach Hause. Einen Beinbeutel macht mir die blonde polnische Schwester. Bekomme noch den OP-Bericht, den Brief. Antibiotika etc. Hannah holt mich um 12 Uhr ab. In der Früh war ich schwindlig und sehr schwach. Am Büffet wollte mir eine der Serviererinnen sogar das Tablett tragen, so leichenhaft und wacklig wirkte ich. Dann die Überraschung zu Hause: fühle mich dort plötzlich sehr wohl, erhole mich in 2 Stunden schon. Intimität, kein öffentlicher Körper mehr, die schwarzen Schwingungen der leidenden Patienten dringen nicht mehr durch die Wand.

Rose ist lieb, bringt einen Blumenstrauß. Die Nacht ist ohne Schlafmittel relativ gut. Schlafe im Wohnzimmer um Hannah nicht zu stören. Allerdings: Angst vor Todesgedanken, und wie Ilse, die schon so oft operiert worden ist, Krankenhausaufenthalten aus dem FF kennt, am Telefon sagt, da hast du Angst, nicht rundum gesichert und versorgt zu sein! Rede noch mit Peter, mit Mutter, Gere ruft auch an.

29.6. Die Inkontinenz aber ist katastrophal. Bestelle bei der Hausärztin noch 3 Packungen 500-ml Pampers. Merkwürdige Aussage des doch eher „ungläubigen, aber todkranken Walter“, da habe eine Gestalt am Fußende gestanden (nein, kein Traum!) und ihm gesagt, er habe noch 2 Tage zu leben. Alterswahn? Da muss ich an die Halluzinationen unserer Eletta in Agliano denken, die bevor sie starb, jammerte, da kämen nachts irgendwelche Leute, die ihr andauernd das Bett umstellten!

Versuche die Misteltherapie in die Wege zu leiten. Alle Ärzte voll besetzt, es bleibt nur der von der Killesbergapotheke empfohlene Dr. Brettschneider, der aber 18o DM verlangt, dafür nehme er sich eine Stunde Zeit. Bekomme sogar für heute einen Termin.
16.h. Brettschneider: Sportlich, gut aussehend, jünger als ich. Anthropo¬sophen¬atmosphäre mit Tier- und Menschen-totenschä¬deln, Pflanzen, Mineralien, und Wohnzimmeratmosphäre.- Wirkt gut. Die Praxis aber ist total leer. Muss einen Fragebogen ausfüllen.
B. erklärt, er mache Iscador nicht (also die auf die Person zugeschnittene Mischung, Äpfel Mistel etc.), sondern nur eine Standardtherapie, entweder eine weiche oder eine aggressive. Bei mir schwierig, da nicht klar, ob ich noch einen Tumor habe oder nicht! Trotzdem würde er die aggressive Th. empfehlen, 1 Monat, allerdings mit hohem Fieber, Körperabwehrkräfte herausgekitzelt. Die weiche THERAPIE; die ich als erstes vorschlage, sei nicht möglich, da dann die andere nicht gemacht werden könne!
Allerdings, sage ich, mein Gesamtzustand erlaubt es nicht, dass ich den Körper jetzt so fordere! Wir machen aus, dass ich ihn anrufe, wenn ich meine, die Therapie machen zu können, oder auf den PSA-Wert warte und dann... Die Hormontherapie verteufelt er. Dagegen meint meine Apothekerin, alle seien mit der zufrieden gewesen!

Dr. B. erklärt sein Konzept: es gäbe 12 Körper, bei mir kämen der Seelenleib und der Ätherleib in Frage. Ätherleib sei für die jugendlichen Impulse zuständig, der andere für das Erleben der Lebenszustände. Krebs trenne beide, das mache krank.
Ich sage ihm, ja, dass ich ein Jahr verliebt gewesen war, starke Impulse hatte, und dann auch das zweite getan habe: aufgeschrieben alles, jeden Tag arbeite ich ja mit der Seele. Ob die Jugendlichkeit zugeschlagen habe? Er wage es nicht, da einzutreten, da sei er überfordert. Aber das Symbol stimme. Und ich meine, ja, ich bin auch schizophren, einesteils glaube ich daran mit dem Kopf, dem Herzen, der Körper aber zittert vor Angst!
Todesgefühle hätten vor allem die Tiere, die nicht wüssten, was mit ihnen passiert, da reagiert ihr Überlebensinstinkt! Bei Menschen aber auch, das Zentaurische bei uns! Ich solle in ein paar Tagen wieder kommen!

30. 6. Die Nacht war furchtbar lang. Schlief wieder nur in Raten, nahm aber nur Baldrian. Wieder Schweißausbrüche. In Schweiß gebadet. Mehrfach Toilette, regelmäßig Harn ablassen, das geht sogar, am besten mit Hustenstößen. Gott-seidank bin ich im Wachliegen nicht so empfindlich wie früher, fast abgestumpft. Wehe ich wäre jetzt ein empfindsames Kind mit wachen Sinnen, das jeden Uhren-schlag zählt. Auch die Projektwut ist weg, das Planen. Hatte viel Rotwein getrunken am Abend, wie ein Idiot das Fußball-Halbfinale Frankreich-Holland gesehen, mich sogar wohl gefühlt mit dem Wein.

Morgens zur Kontrolle zu Dr. Heinze ins KH (Ambulanz) die Drainage kontrollieren, will sie aber noch keineswegs rausnehmen lassen. Hannah setzte mich ab, fuhr weiter zu Walter, wollte in einer Stunde wiederkommen.
Im Warteraum eine 33-jährige, die unserer Nichte Julie frappierend ähnelt. Ich frage sie, ob sie am Anfang oder am Ende ihrer Therapie stehe. Mittendrin sagt sie. Seit 17 Jahren leidet sie, also das fing mit 16 an. 10 Jahre Nierenschrumpfung. 5 Jahre Dialyse, vor zwei Jahren eine Nierentransplantation. 7 Operationen. Jetzt stehe eine neue bevor, da sich an den Leitungen, die zu lang sind, irgendetwas verwickelt habe, sie andauernd Beckenentzündungen hat. Doch keine, ja, seltsamerweise nie Schmerzen. Vielleicht kann sie deshalb so frisch wirken. Meine Leiden wirken daneben fast banal und klein. Nur dass ich bisher noch nie operiert, noch nie im Krankenhaus gewesen war, interessiert sie, erregt ihre Aufmerksamkeit. Ich erinnere mich an Dr. B., der gesagt hatte, fast alle Krebspatienten hätten nie etwas gehabt, seien "kerngesund" gewesen. Eben. Andere Krankheiten, etwa Grippe, Fieber etc. verhindern den Krebs. Der gemeiner weise, im Gegensatz zu denen, kaum spürbar sei, heimtückisch.
Die junge Frau hat keine eigenen Kinder, nur eine Pflegetochter, Tochter ihrer toten Schwester. Der Vater, ein Italiener, sei fort, up and away nach Italien.
Ihre Tapferkeit beeindruckt mich. Sie war zuletzt 5 Monate in der Klinik. Ist dann ein paar Wochen zu Hause, und dann geht’s wieder los. Sie habe aber einen tollen Lebenspartner. Und mit dem lebe sie eigentlich immer im Ausnahmezustand. Daher geht’s so gut, sage ich. Das kann schon sein!
Sie wird aufgerufen. Dann kommt eine Patientin auf Krücken. Sie erzählt auch gleich, wie man sich im Leid doch so sehr viel näher kommt, sich als Leidender mit dem andern begegnet: Sie hatte einen Nierentumor, ist operiert worden, doch ein Hämatom ist zurückgeblieben, und das schmerzt, sie hat Fieber, da muss eine Drainage eingelegt werden, da sich das Blut da staut, Unheil anstiftet.

Während dieser Stunde im Warteraum fallen mir allerlei Erlebnisdinge des Tages ein, auch die von gestern, und nachher geht’s weiter auf seltsam karmatisch positive Art:, so bei Dr. Brettschneider, dass so ein Tumor auch ein Geschenk sei, näher an dein Leben ranzukommen, an dein Schicksal, alles, was sonst verdrängt wird, steht ganz nah, wie der Tod. Und auch ohne das Wie.
Was fällt mir jetzt dazu ein, dass bei Brettschneider eine Wohnzimmeratmosphäre wie zuhause beim guten Onkel Hermann, dem Hausarzt herrschte. Dass es ein so gutes Gespräch war, wie sonst selten bei einem Arzt, nein, noch nie bei einem Arzt. Er nahm sich Zeit. Zeit ist das Leben der Seele! Dass er auch auf das Wesentliche, die Todesangst, einging. Und nachher auf Fragen. Was denn geschehe, fragte ich, wenn die Hoden weiter sinnlos produzieren, doch nirgends eine Ejakulation- oder nächtliche Samenergussmöglichkeit besteht? Da sagte er, ein Patient habe ihm gesagt, er habe sich wie ein Wallach gefühlt. Also könne diese Energie in andere Kräfte verwandelt, vielleicht in Geistiges sublimiert werden?
Erstaunlich bei diesem Mann, dass er so knickrig war, es fehlten mir im Beutel 10 DM von den 180, da ich sie Hannah gegeben hatte. Da forderte er mich auf, doch nachzusuchen, ob ich kein Münzgeld hätte. Fand nur einen Pfennig.

Dann wurden meine Gedanken unterbrochen, ich kam an die Reihe. Dr. H. begrüßt mich, wir kennen uns, er war auch schon bei der Visite. Er untersucht mich, Ultraschall. Alles in Ordnung. Auch relativ wenig Lymphe.
Montag oder Dienstag kann das Ding wohl raus. Am Donnerstag können Sie fahren.
Ja, bis Weihnachten sei ich völlig gesund, meint er. Ich muss dabei lachen.
Geh noch ins Vorzimmer des Prof. Will die Albträume, dass da wer weiß was für Summen auf mich zukommen, ausräumen. Und es gelingt. Die Visiten müsse ich nicht bezahlen, sagt Frau Ziegler. Wohl nicht viel mehr als abgesprochen. Freilich wird auch die AOK etc. noch so manches wollen. Mit ca. 1500 DM rechne ich.

Jedenfalls möchte den Körper und die Körperlichkeit eher loswerden, als sie zu genau zu empfinden, gar zu schildern, wie das die Kollegin Christine Fischer in ihrer „Augenstille“ tut, sogar einen Trick erfindet, dass die Ichperson sich entschließt, von einem Tag auf den andern die Augen nicht mehr zu öffnen, die „Blinde zu spielen“, fast Blasphemie. Blinde zu sein, das wäre doch dramatischer, tragischer gewesen. Diese KollegInnen. Und die fiktiven Körpergedanken – auch noch unästhetische, „mit schwimmenden Armbewegungen ruderte ich ans andere Ende des Schlauches (vom Badezimmer) und ließ mich aufatmend auf die Kloschüssel fallen. Ein warmer Strom rieselte aus mir heraus. Ich blieb sitzen. Ich wartete darauf, dass nach der Blase auch der Darm und mit ihm mein ganzer Unterleib, ich selber Erleichterung finden könnte... Ich atmete und endlich drängten sich ein paar harte Bällchen an die frische Luft.“ Die hat eine Ahnung! da könnte ich ja täglich meine realen Inkontinenz-katastrophen schildern, wie ich versuche, die Wohnung rein zu halten, auch Hannah zuliebe, was bisher gelungen ist.

Wenn ich an meine Schwierigkeiten in der Klinik und die meines Nachbarn in der Klinik denke, als der Kathederschlauch den Darm reizte, ohne dass irgendwas daraus werden konnte, da finde ich dieses normale Körpergeschehen dumm, wenn es bewusst gemacht wird. Wozu auch. Möchte entkommen, mich auch noch da reinsteigern? nein!! eher ins Wissen, dass ja all dies schmerzhafte Projektion ist. Und dass dieser blöde Naturalismus eine gemeine Verdopplung dessen ist, dem wir doch entgehen wollen! Am dümmsten diese neuerliche Perspektiv, die technische Stürmerliteratur erzeugen soll: etwa ein ganzes Leben Sekunde für Sekunde mit Hilfe einer Kamerabrille etc. wie das der Amerikaner Steven Mann tut, zu „dokumentieren“ – etwa auf 569 Gigas. Jede Sekunde des Lebens könnte dann wieder erlebt werden, wenn, ja, wenn man es im Apparat auch wieder fände, was schwierig sei. Und wenn ich bedenke, dass mich nichts mehr langweilt, als diese Video-Filme, die ich auf meinem Boot gemacht habe, oder auch in der Familie usw., sie einmal anschaue und dann weglege, reizt mich dieser Literatur nach¬ahmende Unsinn nicht. Tagebuch wäre da schon was anderes, selektiv, erinnernd, mit Intelligenz und Sprache durchdrungen, also Zusammenhänge herstellend, nicht dumme Kopien, Fotos. Und sogar der Spiegel erklärt dies und warum es interessanter, ja, realitätsgerechter ist, als das Daueraußen, wann sind wir denn schon Draußen, doch nur momentweise, das Wechselspiel macht es doch erst real: „Das menschliche Gedächtnis ist beileibe kein neutraler Speicher. Es ist ein Durcheinander aus halbwegs genauen und halb erträumten Szenen, aus verdämmerten Bildern und klaffenden Lücken. Wer sich erinnern will, muss sich daraus Geschichten zusammenreimen.“

Was hilft da das Kopieren, Scannen ganzer Bibliotheken oder des eigenen Lebens, es bleibt außen.

Andererseits, wie Norbert Bolz richtig bemerkt, ist dieses Neue, auch das Internet, das Virtuelle, die Simulation eine Befreiung vom „Götzen Realität“
Und wie wichtig wird da erst Lyrik, denn der Wahnsinn der Information, denk da immer ans Zeitungslesen etc. von L, da es kein Wissen, eben ein Loch, Nichts ist. Und Literatur, Lyrik, wäre eben Vernichtung von Information, daher das Gegenteil von dieser Idiotenkultur des angeblichen „Wissens“ und hat es deshalb schwer.


V

HEIMFAHRT. FREUNDSCHAFT, LIEBE UND NATUR HEILEN

Do. 6/7. Juli. Heimfahrt. Fast ein Jauchzen. Wie wird’s mit meinen Kräften sein? Fahren um 8 Uhr los. Ich fahre. Und habe seltsame Schwindelgefühle. Auf der deutschen Autobahn kann ich schneller als 120 nicht fahren. Schwarzwald. Ein herrlicher Tag. Hannah fährt dann. Grauenhaft diese dicken Einlagen samt I-Hose. Es rinnt wie verrückt. In der Schweiz wechsle ich sie, doch in dieser unwürdigen Haltung, Hose ausziehen, I.-Hose, Unterhose mit Pampers ... ziehe ich auf einem Feldweg. alles verkehrt an. Es schneidet grässlich, ich fahre, auf einem Holzparkplatz am Ufer eines Baches parken wir wieder.. Rutsche den steilen Hang zum Bach hinab, ziehe mich um. Fahre dann plötzlich ohne Schwierigkeiten, je näher wir Italien kommen, umso besser geht es mir.. Und dann geht’s los, ich bin nicht mehr zu bremsen, weder der starke Verkehr, noch die Hitze in der Poebene oder die Mailandautobahn, dann Cisa etc. ermüden mich, ich fahre 150-170 so gut und besser als früher. Das gibt mir Selbstvertrauen. Welche Schutzengel waren dabei?

Fast glücklich zu Hause. Postberg. Wein, Willkommenstrunk. Die Sterne, die Stille und Ruhe, das schöne Haus. Schlafe auch so gut wie seit Wochen nicht mehr, sogar im gleichen Zimmer mit Hannah Nachts nur zweimal raus. Frühstück unter dem Olivenbaum mit Meerblick.

Am Freitag zum Boot. Auch das wieder ein Lichtblick, und ich tanke immer mehr auf. Das Programm: Sich gehen lassen. Nur Hannah ist genervt, hetzt, macht nicht mit. Versuche ihr dies Aufatmen beizubringen. Sie explodiert immer wieder, ihr andauerndes schnellschnell, ihr Dreinreden ins Fahren, weil es ihr nicht zackig und präzise genug geht. Hat mich auch dies krank gemacht?

Mit Marco die carena (antifouling) besprochen. Das war hier noch unsere Sorge, auch muss der Bootskörper am Kiel abgedichtet werden. Als ich Marco von meiner OP erzähle, stellt sich heraus, dass sein Bruder vor 7 Jahren ebenfalls am Prostatakarzinom operiert worden war. Und der hatte 3 Tumoren im MUND; 10 Zähne wurden gerissen, das Zahnfleisch heraus¬geschält. Schrecklich, wie viele Menschen an dieser Pest unserer Zeit leiden.

Mit Dorothea, der homöopathischen Ärztin, einen neuen Therapieplan besprochen.
Gestern rief auch HJS an. Ja, die alten Freunde!
Auch hier von Fabiano und Lucia sehr herzlich begrüßt, ebenso von Vivetta. Christel hat uns beiden zur Post Blumen auf die Schreibtische gestellt.

Manchmal sogar ein halber Ständer, jedenfalls eine Ahnung von Erektion. Jedoch keine Lust mehr, und wenn ich daran denke, dass ich noch vor einem Jahr wild auf erotische Kontakte war, sogar mein Buch der Chatterleys („Romans Netz“) entstanden ist, meine ich, dass sei in einem anderen Leben gewesen.

Hannah tröstet mich, obwohl sie ja auch nun zum Verzicht verurteilt ist. Da geht doch alles nur im Kopf vor sich, sagt sie, und warte nur bis du wieder hergestellt bist... Sie zeigt mir einen Artikel über eine Neuentdeckung zweier italienischen Forscher, die gezeigt haben, dass sich bei Verliebten bestimmte Regionen des Gehirns auch chemisch verändern. (Andreas Bartles u. Semir Zeki aus Rom.) Und zwar lässt sich das sogar durch Tomographiefotos erkennen.

Meine Wut über die USA. Vor kurzem der Schwarze Gary Graham hingerichtet. Verurteilt aufgrund einer einzigen Zeugenaussage. Ebenso Joseph Green Brown, der auf die Hinrichtung wartet. Vor allem Schwarze werden verurteilt. Geschworene sagen aus, dass sie es „sich nochmals überlegt“ hätten, wäre es ein Weißer gewesen.
Jetzt mit Giftspritze die Exekution. Doch auch der Elektrische Stuhl ist noch üblich. Kurz vor der Hinrichtung wird der Delinquent aus dem normalen Todestrakt in eine Einzelzelle unmittelbar neben dem Hinrichtungsraum verlegt. Üblich war, dass zweimal am Tag die Maschine auf Funktionstüchtigkeit geprüft wurde. Zischen und Flattern wie bei einem Buschbrand. Schikane, und die Armen so weich gemacht. Sie leisten keinen Widerstand mehr. Wurde einer aus diesem Trakt zufällig einmal begnadigt, kam er nachher gleich in die Psychiatrie.

Seit Donnerstag 6. Juli bin ich nun mit meiner Frau wieder hier in meinem italienischen Domizil, wo wir seit 27. Jahren wohnen und arbeiten, ich als Autor, meine Frau als Übersetzerin. Seit kurzem sind wir in Rente, doch wird natürlich weiter geschrieben.
Nachts schlafen wir unverändert seit ca. 35 Jahren, mit kurzen Unterbrechungen der Deutschlandfahrten und unseren Segelboottörns im zweiten Stock unseres Bauernhauses. (Es gibt, vor allem bei Regen, ganz sicher einige Wasseradern, die unter unserem Haus durchfließen.)

Gottseidank ist der Schlaf und auch der allgemeine Zustand, körperlich und seelisch, hier viel besser als in Deutschland, wenn auch die Stille und Einsamkeit immer wieder die leidigen Todesgedanken aufkommen lassen, und der sehr veränderte Zustand seit diesem Schock spürbarer wird. Ich versuche ihn schreibend und meditativ (Yoga) aufzuarbeiten und den ganzen Einbruch auch als eine Art "Geschenk" und Weckmittel aus der eingefahrenen Lebensroutine zu sehen. Schmerzen habe ich keine, nur eine gewisse Schwäche, die wohl auch mit dem Blutmangel zusammenhängt. Und oft bin ich genervt und verliere die Geduld als Sklave meines Bodys. Lange Spaziergänge hier in bergiger Gegend kann ich durchaus schaffen, doch das Muskelfieber zeigt mir, wie sehr sich der Körper entwöhnt hat.

Ich habe auf Grund des Rates eines Freundes (Arzt, Jahre in einer onkologischen Klinik in Kassel) seit dem 4. Juli regelmäßig eine Reihe von Aufbaustoffen für den Körper zu mir genommen. So:

Basica
Vitamin E
Magnesium
Mutaflor
Wobenzym (4 Tabl. 3x)

Sowie einige Homäopathische Preparate:
Ferrum pomatum D1
Causticum Hahnemanni
Calcium carbonicum Hahnemanni D6
Arsenicum album D6

Am 1. Oktober soll ein neues PSA gemacht werden, um festzustellen, ob noch etwas zurückgeblieben ist, dann soll auch eine Hormontherapie begonnen werden, die ich aber vermeiden möchte.
Als Alternative habe ich von einem Homöopathen in Stuttgart eine radikale Misteltherapie empfohlen bekommen, das Rezept lautet auf: Abnobaviscum Quercus-2 Amp. S: 1x pro Woche s.c. Wobei hohes Fieber erzeugt wird.

10. Juli
An
Herrn Dr. Hübner

Sehr geehrter Herr Dr. Hübner, von unserer Freundin Dorothea Beilfuß habe ich freundlicherweise Ihre Adresse und einige Hinweise erhalten, leider nicht schon in Deutschland, sondern erst in Italien (telefonisch).
Beiliegend schicke ich Ihnen 6 ml meines Eigenblutes aufbereitet auf einem Melittafilter und getrocknet. Ich hoffe, dass das Präparat so verwendbar ist.
Weiter schicke ich Ihnen einige Unterlagen zu meinem Fall, der mit einem PSA-Wert von 34 begonnen hatte, festgestellt Anfang Mai dieses Jahres.
Die OP fand dann am 8. Juni statt. Es gab einige Komplika-tionen nachträglich, ein Harninfekt mit Fieber und vor allem die Lymphe wurde nicht aufgesogen, so dass ich bis zum 4. Juli einen Drainagebeutel tragen musste.
Der Katheder wurde am 26. Juni entfernt, doch bis heute habe ich, trotz fleißiger Beckenbodengymnastik große Inkontinenz¬probleme.

11./12. Juli. 30. Geburtstag des Sohnes. Komisch, wieso denke ich jetzt anders an den Sohn als bisher, ist er nun die Überlebenshoffnung, die ich bisher so immer abgelehnt hatte? Ich mache Zahlenspielchen, überweise 660 DM, 2x330, es sind meine 66 Jahre, die sich am 7.8. erfüllen werden.
Fordere ihn wieder auf, hierher zu kommen, sich sein Erbe anzusehen.

Ich überführe das Boot in den Neuen Hafen, starker SW. Marco soll es überholen, das Antifouling soll gemacht werden etc. Ich bin nachher ganz geschafft, blass und zittrig. Warum, was strengt da so an? Das Ablegen, der Wind, die Emotion? Kann nichts mehr genießen, auch das Bootsfahren nicht! Marco übernimmt alles, ich darf keine Hand mehr rühren.

Am 12. Mache ich mit dem Urologen Dr. Lunardini einen Termin für den 24. aus, um eine postoperative Kontrolle durchzuführen, vor allem die Lymphe, die Gefahr eines Abzesses, das Fieber zu kontrollieren und eine neue Drainage per Ultraschall zu bekommen..

Schon früh bin ich bei „Campus Major,“ einem privaten Diagnosezentrum in Camaiore, lasse 6 ml Blut abzapfen für den Therapieplan von Dr. Hübner. Nehme es dummerweise in der Umhängetasche mit an den Hafen, abends, als ich es auf Filterpapier verteilen will, um es nach Deutschland zu schicken, ist es koaguliert. Rufe Dorothea an, sage ihr, dass mein Gewebe um die OP-Wunde und auch in den Leisten etc. geschwollen sei, die Drüsen auf Druck wehtun. Das sei normal, auch dass die Harakiriwunde "ziehe", sie habe um die abgenommene Brust auch eine 30 cm lange Schnittwunde. Safir der Johannis¬krautwinde tue da sehr gut, das nehme sie. Rufe dann Hübner an. Nachts um halb elf, nach Telefonaten mit Roland W., der lieb anruft, dann Telefonat mit Mario P., der geschockt ist, er hat jetzt erst von meinem Unglück erfahren. Er spricht von einem Buch von Jean-Luc Nancy über Krebser¬fahrungen, die Pest unserer Zeit, das in 2 Monaten bei Cronopio erscheinen soll. Dann spreche ich mit Francesco Donfrancesco. Alle sind erleichtert, dass ich "so wirke wie früher". Doch alles, was geschieht, mein ganzes Leben, steht nur noch unter diesem Zeichen und bestimmt alles.

Dr. Hübner, der kein Arzt, sondern Philologe ist, quatscht mir die Ohren voll. Fragt als erstes nach meinem Schlafplatz und wie lange ich dort nachts schon liege. 25 Jahre, sage ich. Seltsam, sagt er, meist sind es 8-14 Jahre bis der Krebs dann ausbricht. Doch schon nach 6 Jahren kann es geschehenen. Dort sei ganz sicher ein "Krebspunkt". Das seien 2 oder 3 sich überkreuzende Wasseradern, nicht solche der Oberfläche, sondern in der Tiefe. Er erzählt von der wissenden römischen Architektur, die schon die Geopathologie eingeplant habe, gute und schlechte Bauplätze durch Priester (Rutengänger) bestimmen ließ und in der S-N oder O-W-Achse immer 45° die Bauwerke und Häuser schief verlegt hatte, genau entsprechend den Strahlungslinien, so dass bei Römern, im Gegensatz zu den Griechen. Krebs nur minimal vorgekommen sei, Er habe sich da sehr gewundert.
Ich müsse jedenfalls mein Bett sofort um mindesten 50 cm vom tellergroßen Krebspunkt, der mich krankgemacht habe, verlegen. Sonst werde ich nie geheilt.

Und seine Therapie? Na, die ist natürlich homöopathisch, sie geht, sagen wir mal so, auf die Informationsstruktur des Körpers ein, auf die Software, nicht wie die Schulmedizin, die nur an der Hardware operiert, Symptome und nicht Ursachen kuriert; ihr Körpermodell ist falsch. So Dr. Hübner. Was ich sehr bejahe.
Um eine Diagnose zu erstellen, brauche er mein Blut, aber nicht das koagulierte, sondern gleich aus der Spritze beim Abzapfen müsse es auf Filterpapier gebracht werden und dort trocknen.

Und dann, wie gehe er vor? Ja, da fahre er ebenfalls mit der Wünschelrute darüber, lege Phiolen mit Medikamenten dazu an. Genau erklärte er es mir nicht. Es sei eine sehr aufwendige und komplexe Sache. Jedenfalls sei es phantastisch, wie genau die Ausschläge das Krankheitsbild und auch die Medikation anzeige. Es sei bei Patienten schon vorgekommen, dass sie gar keinen Krebs hatten, da könne er auch nichts verschreiben, obwohl der PSA-Wert, sogar OP etwas anders angezeigt hätten. Der PSA-Wert sei sehr unscharf, ja unsicher.

Also Rutengängereien mit meinem eigenen Blut? Ich werde skeptisch. So soll die Diagnose gemacht werden? Ja, wir müssten uraltes Wissen wieder reinholen, das ausgeklammert wurde.
Es sei phantastisch wie z.B. Goethe das in seinem Faust weise einbringe. Kennen sie Goethe? fragt er, ich wundere mich, und sage: Nicht persönlich!
Er habe über Goethe promoviert. Dann bringt er die Szene, wie aus dem Pudel Mephisto wird... Dass der Teufel immer nur dort hinauskönne, wo er herein gekommen sei. Und genau das sei seine Therapie, diesen Weg zu finden, um das Monstrum wieder zu vertreiben. "Softwaretherapie" eben.

I/Studierzimmer.
Mephisto als Aufwecker, der den Körper zerstören will, um die Wahrheit zu sehen?

"Ich bin der Geist, der stets verneint!
Und das mit Recht; denn alles, was entsteht,
ist wert, dass es zugrunde geht;
Drum besser wär es, dass nichts entstünde."
Oder: "Und doch gelingts ihm nicht, da es, so viel es strebt,
Verhaftet an den Körpern klebt."

"So hoff´ ich, dauert es nicht lange,
Und mit den Körpern wird’s zugrunde gehen."

Dann will Mephisto aus dieser Welt, dem Zimmer, verschwinden, und ist gefangen, Sklave... denn
„´s ist ein Gesetz der Teufel und Gespenster:
Wo sie hereingeschlüpft, da müssen sie hinaus.
Das erste steht uns frei, beim zweiten sind wir Knechte."
Nämlich auf der Schwelle ist aus Kraftlinien das "Pentagramm", denn "der eine Winkel, der nach außen zu,
Ist , wie du siehst, ein wenig offen."

Lese auch in einem alten Wälzer über Radioästhesie, Rutengängerei, und finde vieles wieder, was mir Hübner da erzählt hat.

13.-15.Juli. Spaziergänge. Boot. Schreiben an „Draculas Vaterstadt.“ Ein Gedicht, das ich auch an Fred V. und an einige "meiner Frauen", so an die V und an Hella in Dresden verschicke.

DIE FREMDEN
Schlaflos wieder eine Nacht
ich wälzte mich im Frühlicht
Spüllicht schien es

Und spürte sie im Raum
Embryonen des Futurs
mit den Hypnose-Augen.

Und einer sagt

"Wohin ist unklar nur die Angst zeigt uns
dass du dich hier noch nicht bewährst
nur deine dir gewährte Form
die jetzt den Zustand
überschreitet."

Wenn mich die Angst packt
sie im Augenwinkel schräg mich sehen
dann wird mein Schatten konsistent und
aufgerissen eine Naht
die Narbe unverborgen:

*

Die Sorgen sind ein Tor
in dem die Spannung einfällt
und uns zerstört

Und nachts erst merke ich
dass ich verändert bin
und durch die Wände sehn
und schreiben kann

Neu wirst du werden
und daran gesunden -
genau an dem
was du dir angetan

Bist du erst hier
an diesem Punkt
dann geht es immer weiter

Heute kam ein trostreicher, schöner Brief von Fred. V.

16./17. Juli. Hannah hatte schlecht geschlafen. Seit dem 16. ist Walter wieder in der Klinik, Gottseidank wieder im Diakonissen¬hospital auf der gleichen Station mit Dr. Mayer; das Pflegeheim wusste sich nicht mehr zu helfen, er isst nicht, die Magensonde macht Schwierigkeiten, er erbricht, hat Durchfall, Schmerzen. In der Klinik wurde er purgiert, und ist nun noch schwächer, murmelt nur noch: Ich will nicht mehr, jetzt soll mal Schluss sein... Alle, auch ich seit unserem letzten Besuch, sind der Meinung, dass alles hoffnungslos ist, und wozu ihn noch weiter aufpäppeln, was für ein Leben erwartet ihn noch. Es ist alles zu. Und wenn sie ihm nun die Magensonde entfernen, wird er langsam verlöschen und an Altersschwäche sterben. Ich habe Angst vor der Grabrede; doch sie erwarten es alle von mir. Ich kann jetzt keinen Friedhof mehr sehn, geschweige denn eine Beerdigung.

Hannah hat nun auch noch geträumt, er sei wieder bei Kräften, könnte wieder gehen, in seinem Sessel sitzen. Und auch ihre tote Mutter war sogar dabei.
Stuttgart macht uns noch fertig. Die Todesgefühle sind nachts wieder da.

AUF DER TOILETTE BIST DU DEM TODE KÖRPER NÄHER. Das Banale Ausscheidungen zeigten ihn
Immer schon an keine Idee ist an ihn gebunden nein nein Kot und Urin Und Blut und Haut bist du Wasser Gottseidank rein also auch/ Und siehst zum Fenster hinaus schön schön die Garten Blumen

Kastanien, grüngrün und ein Hund bellt, es wird hier anders sein/ Wenn du nicht mehr bist / bist schon jetzt nicht mehr du
Dein Haus schon abgetragen, sie werden alles ausräumen, verscherbeln/ Wegwerfen und was hier jetzt zu lesen
steht am Friedhof in die Müllcontainer
Wie dein Körper weggeworfen wird: sie sagen:
Begräbnis mit tamtam

Vielleicht eine Rede, der Wind nimmt sie mit sie gehört kaum dazu/ Er hat dich im Griff bist kaum frei lebst wo? in der Todeszelle
Genau so / als wär das Bett auf das sie dich schnallen schon
Für die Giftspritze bereit

Und welche Gefühle hast du D. beim Fensterhinausschauen?
Angst, was ist das? Du wartest auf den Befund, das
Wird sich dann hinziehen, und Hannah sagte heute brutal: ich werde
Allein bleiben und es geht mir so wie meinem Vater im Pflegeheim: Allein/ deine Lebenserwartung ist nun sehr eingeengt... Eingeengt, eingesargt schon jetzt ... zu tief in den Abgrund, wo sich die Worte verlieren, geht nachts die Angst nicht hinab ins Zittern.

O viele Freunde und Alte sind schon drüben
Im Licht?
Nichts ist zu tun? Zu warten? Du kamst ja, woher? Und du
Gehst, wohin?
Sie, wer? Tun es für dich?

Am Schluss ein Blitz vielleicht / und dann
Tief ist die Nacht, die dich
für immer besitzt?

Und es wird mir klar, auch durch einen Brief von Carmen S., dass ich mich sehr verändert haben muss. Sie schrieb:

Lieber D., deinen Zeilen ohne Anrede und mitten in die Sache hinein, lassen mich erahnen, wie sehr du im Moment von den Dingen, die du erfahren hast, eingenommen bist. Den Zeilen entnehme ich, dass du irgendwo operiert worden bist, die Ärzte fachlich gut, nicht schulmedizinisch borniert und zudem menschlich ansprechbar waren, wenigstens dies als gute Erfahrung in einer Situation von Sprach- und Hilflosigkeit, weg von den geübten und geschärften Denk- und Empfindungsweisen. Und es gibt gute Hoffnung, auch wenn noch keine Sicherheit.
Meine innigsten und besten Wünsche begleiten dich, auch wenn ich den Sprach-Gefühlsstrom nur annähernd erfassen kann. Vielleicht kommt auch unsere gemeinsame Sprache wieder-einmal. Bis bald , alles Liebe, auch von Bertram, Carmen

18. Juli. Heute der Gärtner. Der empfing mich gleich mit der brutalen Frage: Wie geht’s, ich dachte sie sind für immer verzogen.
Wohin?
Und er zeigte mit der Hand gen Himmel. Wir sind einmal hierher gekommen, wir müssen auch einmal gehen.
Ja, auch bei der Geburt wissen wir ja nicht, woher wir gekommen sind.
Er lacht und nickt.

Heute einen Brief und zwei Bücher von mir an Dr. Fetscher nach Freiburg geschickt:

Herrn Privatdozenten Dr. Sebastian Fetscher
D-79104 Freiburg

18. Juli
Sehr geehrter, lieber Herr Dr. Fetscher,
Anfang Mai dieses Jahr wurde ich bei einer Routine-untersuchung durch eine Unglücksbotschaft meines Urologen überrascht und aus meinem normalen Lebens-rhythmus schockartig herausgerissen: Prostatakarzi¬nom, PSA-Wert: 34!
Unsere gemeinsame gute Freundin, Frau Ilse Staff, ebenfalls schockiert, aber auch so hilfsbereit und freundschaftlich engagiert wie immer, hatte Sie um Rat gebeten, und Sie, lieber Herr Dr. Fetscher, hatten trotz eigener Zeitnot und familiär sehr gefordert, sofort geholfen, nicht nur mit dem Namen des wichtigsten Spezialisten in der Stuttgarter Gegend, sondern sich sogar telefonisch für mich eingesetzt, was für mich dann eine ganze Reihe von Vorteilen brachte; und auch eine gelungene Operation, denn ich meldete mich natürlich dann bei Prof. Eisenberger zur Operation an, und nach 2 Wochen Wartezeit, ab 24. Mai, um eine Eigenblutspende vorzubereiten, fand dann der Eingriff am 8. Juni statt.
Ich wurde in der Privatstation des Prof. sehr gut und mit großer Akribie behandelt, und war auch immer wieder erstaunt über den persönlichen Einsatz des Professors, der regelmäßig zweimal, auch Pfingsten und Sonntags zur Visite kam ("die Patienten sind ja auch an Feiertagen krank!" hörte ich von ihm.)
Es war ein schwieriger Eingriff, dauert zweieinhalb Stunden und ich verlor anderthalb Liter Blut. Ich lege Ihnen den OP-Bericht hier bei.
Ein kleiner Tumor wurde anscheinend in den Samenbläschen gefunden; vor allem aber ein Mikrotumor in einer der herausoperierten Lymphdrüsen; dies ist der Wermutstropfen, eine Hormontherapie steht an, falls noch andere Drüsen angegriffen sein sollten, was Gottseidank nicht unbedingt sein muss. Der Professor entschied, erst in 3 Monaten damit zu beginnen, da ja erst dann durch einen neuen PSA-Wert endgültig mein Zustand festgestellt werden kann, jede vorherige Therapie wäre ja nur prophylaktisch, und würde auch den Wert verfälschen, so dass mein wirklicher Zustand (eventueller Streuung) gar nicht mehr festgestellt werden könnte.
Bis dahin habe ich mir vorgenommen, alternative Therapien zu versuchen, gegen die die Ärzte im Katharinenhospital auch nichts einzuwenden haben.
So eventuell eine neue Art der Misteltherapie, die radikal sein soll, mit hohem Fieber arbeitet. Allerdings warte ich noch ab, mache eine Aufbaukur und stärke mein Immunsystem mit einer ganzen Reihe von Aufbaupräparaten, unter anderem Basica und Wobenzym, Magnesium ,Vitamin E etc. Aber auch durch Spaziergänge, Yogaübungen und natürlich die Übungen wider diese sehr lästige Inkontinenz, die mich zum Sklaven meiner Blase gemacht hat. Und mein Bruder Körper nahm und nimmt mich ganz schön her, wenn auch nach den nun vergangenen sechs Wochen, die Harakiriwunde gut verheilt ist, das Ziehen nachgelassen hat, ebenso die Löcher im Bauch für die Lymphdränagen verheilt sind, und ich keinerlei Schwierigkeiten habe, aber in einer Woche hier noch einmal zu einem italienischen Professor, der einen guten Namen hat, zur Kontrolle gehe. Die letzte Kontrolle in Stuttgart war am 4. Juli im Katharinenhospital, bis zu diesem Datum musste ich die Drainage noch mit mir herumschleppen.
Als zweite alternative Therapie (mit Therapieplan), die ein gewisser Dr. Hübner aus der Stuttgarter Gegend aufstellt, aufgrund einer recht unorthodoxen (auch intuitiven) Blutanalyse, ist homöopathischer Art, und ich kann wohl sagen, auch auf Prinzipien der Radioästhesie aufgebaut. Also auch davon ausgeht, dass "Wasseradern" und andere "Strahlungen" Krebs verursachen können. So dass als erstes die Schlafstelle "verschoben" werden muss.
Ich weiß nicht, was Sie von all diesen Alternativen halten, aber ein Freundin, Ärztin und Homöopathin, selbst krebsoperiert, schwört auf diese Therapie und meint, auch bei ihren PatientInnen großartige Erfolge damit aufweisen zu können.
Ich fühle mich zur Zeit wie früher, die alte Vitalität kehrt wieder, auch die Nächte sind gut. Wenn auch der seelische Zustand des Schocks immer wieder durchbricht und mich in Atem hält. Ich hatte von Anfang an, auch um mir so wie in einer Schreibtherapie zu helfen, ein "Überlebenstagebuch" begonnen und alles, was in diesem ungewohnten Grenz- und Sonderzustand vorfiel, notiert, und ich führe es bis heute weiter, auch mit vielen literarischen Einschüben, Erfahrungen, Erzählungen und Schmerzen anderer Betroffener, es ist, als gehöre man nun zu einer Art arg verbreiteter Leidensgemeinschaft, nun auch zu einem Leidensclub mit dazu; dies, aber auch bis hin zu Gedichten, kommt vieles dazu; mein altes Thema Tod saß und sitzt ja nun spürbar in mir, war und ist identisch mit dem Körpergeschehen, also sehr nah, und kaum poetisch, auch wenn ich manchmal solch eine Erregung verspürte, als wärs ein umgekehrtes und negatives Verliebtheitsgeschehen mit allen respektiven Schmerzen; nur, es ist keine süße Geliebte, sondern der Gevatter Tod, dem alle meine Gedanken galten, mir Tag und Nacht keine Ruhe ließen, mich quälten und immer noch quälen!
Ich versuche zu vergessen, das alles ins Fabelreich und in die Literatur zu verweisen, und den Aufschub wie Ferien zu genießen, mich auszuruhen, seelisch und körperlich ins Gleichgewicht zu kommen, hier in meinem schönen Haus am Meer in Italien, denn manchmal kommt mir alles vor wie ein böser Alptraum, aus dem ich bald erwachen werde.
Ich danke Ihnen von ganzem Herzen für Ihre Hilfe, für Ihren freundschaftlichen Einsatz, und schicke Ihnen als Hommage und ganz persönlichen Dank einen Gedichtband von mir mit; ein neuer Band, der vielleicht wie vorahnend meinem heutigen Zustand näher steht, erscheint erst im Laufe des Sommers, und zwei weitere, die noch nichts ahnend sind: wie eine gekonnte Ironie des Schicksal ist ein Band Liebesgedichte darunter, erotische Gedichte, die im Laufe des Jahres 98/99 entstanden sind, erscheinen dann zur Buchmesse im Herbst!
Ihnen und Ihrer Familie wünsche ich alles nur erdenklich Gute und grüße Sie respektvoll und herzlich aus Camaiore/Lucca.

19.Juli. Den ganzen Tag Aufrüsten des Bootes. Macht großen Spaß. Das Deck auffrischen, den Randstreifen neu streichen mit Epifanes. Innen reinigen, spritzen. Das Klo reinigen. Die Vorhänge. Das Großsegel anschlagen. Pico bello nun das Boot. Mittags sogar Bier. Fabio, ein Chirurg, der Nachbar, kam auf sein Boot, lag nackt in der Sonne. Sah entsetzt, dass er auf der Brust einen riesigen melanomähnlichen Fleck hatte. Es war heiß, ich hatte nur ein Ruderhemd an, dachte nicht an die brennende Mittagssonne und an Marcos Warnung, wir müssten uns vor der Sonne hüten!
Auch Fabio kann in diesem Sommer nirgendshin segeln, vielleicht nach Portovenere, wie wir auch, er hat eine 92-jährige Mutter, die kann er nicht allein lassen. Sie wohnt bei ihm.

20. Juli morgens merkte ich, dass ich im Nacken einen Sonnenbrand hatte. Ich Idiot! Hannah wiegelte wie immer ab. Dachte, wie das schaden, sich irgendwelche Streuungen in den Lymphen entwickeln könnten.
Ich arbeite an einem neuen Buch, einem Draculatext. Bei Eugen Barbu "Principele" fand ich für den Vlad die großen Fressen der Fürsten und Bojaren. Fand auch bei Ion Stăvăruş und dann vor allem "O lume intr-o carte de bucate" (1997) von Ioana Constantinescu und Matei Cazacus Vorwort eine Menge Materialien zu den Essensriten und Rezepten in der alten Walachei.
Wir beschlossen, alle, die bei der Operation mitgezittert hatten, zu meinem Geburtstag am 7. August, einzuladen, auch Elisabeth und Zadek. Dies- nachdem ich Elisabeths Widmung in ihrer Hamlet-Übersetzung nochmals gelesen hatte:
"Für D.: Wir halten es, wie ich seit zwei Tagen weiß, mit dem Sein, dem lebenden Schein, Dich wiedergefunden zu haben! Deine E. 14.5. Vecoli.“
Las auch in ihrer "Stella Polare", wo unser Gegend und ihre verrückte Liebe zu Z. geschildert wird. Hannah fand das Buch "gut".

Mit unserer Antoinella, der Reinigungsfrau, die ihre Mutter durch Krebs verloren hat, einen Schock hatte, der nachklingt, und die Hannah wie eine Ersatzmutter kultiviert, sprach ich davon, dass ich nun auch zu einem Leidensclub gehöre, und es erstaunlich sei, wie viele Menschen von dieser Pest des Jahrhunderts betroffen seien. Vererblich sei alles, ja, und sie müsse sich auch öfter untersuchen lassen, doch ich sagte auch, dass viele andere Faktoren heute mitspielten. Strahlungen, Klimaveränderung, Wasser, Nahrung, Smog etc. Dass aber jetzt durch die neue DNS-Entdeckung, 97 % des menschlichen Bauplans nun erkannt worden sei, der allerdings noch aufgeschlüsselt werden muss, dass dies zu einer hoffnungsvollen Gentherapie in den nächsten fünf Jahren führen könne.
Ich schickte den Brief an Fetscher auch noch an Fred, Carmen und Irene.

Komisch, wie viele heute dann anriefen. Zuerst ein alter Freund Wolf K. und Brigitte, Hannahs alte Freundin. Wolf rief gleich burschikos: Was machst du für Sachen. Wir bleiben doch gesund!
Eben, weil ich es zu sehr dachte, hat mich dies erwischt, ich bin nicht zu den Vorsorge-Untersuchungen gegangen. Und du? Musst unbedingt deinen PSA-Wert feststellen lassen.
Ich wußte, dass er eine panische Angst hat, auch vor der Blutentnahme etc.
Abends dann Sal, der Maler und Roland W., der sich nach mir erkundigte, aber nur mit Hannah sprach. Wie eine Formalie.

25. Abends bei Christel und Piero. Abendessen mit den beiden Kindern und dem Ehepaar W. Die Frau regt mich schrecklich auf. Kein Wort nach meiner Op. Von meiner Arbeit und meinen Büchern keine Rede. Es ist schlimm wie alles banalisiert wird mit Hihi und Haha. Ich hatte eine Lesung aus diesem Tagebuch vorbereitet, las dann natürlich nichts vorf. Und sprach auch kaum über mein Schreiben oder meine Lesungen im Herbst oder überhaupt über geistige Dinge.
Hatte einen Wutausbruch. Und entschloss mich, keinen Geburtstag mehr mit diesen Leuten zu feiern.

26./27. Gestern beim Dr. Pierini, der die künstliche Blase von Paolos Vater so großartig aus der Haut des Lari-Vaters hergestellt hatte. Lunardini sei ein Metzger. So ging ich zu ihm. Und heute äußerte sich nun Marco abfällig über ihn. Er sei ein Halbtalent. Und ich solle doch nach Pisa gehen, da seien die wahren Spezialisten. Pierini hatte mir und Hannah einen Schrecken eingejagt, er untersuchte mich, keine Lymphe oder nur geringfügig. Doch dann kam die Perspektive: Weil das Fettgewebe auch angegriffen war, müsste ich unbedingt jetzt schon den PSA-Wert haben, und dann eventuell eine Bestrahlungs-Therapie absolvieren. Doch die ist gefährlich, Blasenentzündungen und OP. Kann vorkommen.
Weshalb hat Eisenberger mir nichts davon gesagt, oder übertreibt Pierini?

Beide schliefen wir schlecht. Und wieder kamen diese Todesgedanken.
Marco beruhigte mich. Geh aber doch morgen zu Campus Major wegen der PSA, sagte er.
Nur Stress und Ungeduld mit diesen ewigen Reparaturarbeiten am Boot. Frisst Geld, Nerven und Zeit. Warum mach ich das, hab doch so wenig Zeit, und das bedrückt.

29. Juli. Betreff:
Wünsche zur Genesung
Lieber D.,
eben, bevor ich meine Siebensachen packen wollte, Dein dramatisches E-Mail gelesen. Schlimm, was Ihr habt durchstehen müssen. Leider kenne ich das alles, vor einem Jahr schien Markus nie mehr singen zu können. Willkommen im Club, würde er zu Dir sagen! Wie durch ein Wunder ist ihm seine Stimme erhalten geblieben, trotz allem (bösartiger Tumor auf dem Mundboden, 8 Std. Operation, sämtliche Drüsen im Mund-/Halsbereich weg, Luftröhrenschnitt, erst keine Stimme mehr, und er sah lange aus wie ein Monster).
Es war alles furchtbar, ein einziger Alptraum. Manchmal bleibt nur noch Galgenhumor (nicht schlecht). Und jetzt, nur ein Jahr danach, ist alles vorbei (hoffen wir, man weiß es ja nie, Sicherheit gibt es ohnehin nirgends), er LEBT und SINGT wieder, nimmt alles gelassener, ist reifer geworden, so blöd das klingt.
LEBEN IST KEINE SELBSTVERSTÄND¬LICHKEIT. Un-glaub¬lich, was der Mensch alles erträgt und übersteht. Die Ärzte können ja nicht mit Sicherheit sagen, woher die Krankheit kommt.
Dies nur, um Dir Mut zu machen! Lass Dich nicht unterkriegen von der Krankheit, so schlimm es im Moment zu sein scheint. Du hast noch viel zu sagen, zu schreiben, Deine neuen Gedichte finde ich sehr, sehr gut, und Dein Essay "Fragmente zu einer posthumen Poetik" ist unglaublich, genial, gibt mir seit Tagen zu denken, so vieles steht drin, was ich in letzter Zeit gesucht habe und nicht habe ausdrücken können. Danke für die "Erleuchtung". Klar werde ich versuchen, etwas darüber zu schreiben, vielleicht in „orte,“ aber ich weiß nicht, ob meine Intelligenz ausreicht ...
Ja, versuch jeden Tag zu genießen, das kann man wahrscheinlich ein Stück weit lernen. Seid froh, im Süden zu sein, denn hier regnet es diesen Sommer ständig.
Der Schwiegervater im Sterben ...? Er wird betagt sein. Hoffentlich muss er nicht zu sehr leiden. Aber in seinem Alter ... Meine Mutter, die seit 4 Jahren im Pflegeheim ist, hat vor einigen Wochen erneut einen Hirnschlag erlitten und ist halbseitig gelähmt. Aphasie. Das war schlimm. Jetzt kann sie sich wieder einigermaßen verständlich machen, bringt halbe Sätze zustande. Ich habe Erinnerungen immer als etwas Wunderbares gehalten, und jetzt erlebe ich, dass diese plötzlich zerstört werden können. Und trotzdem hängt meine Mutter (89) noch am Leben, rund um die Uhr pflegebedürftig und inkontinent.
Ja, damit müssen wir leben.
Also, D., versuch jeden schönen Tag zu genießen, bewusster zu leben, schick die Todesgedanken in die hinterste Ecke, es ist zu früh. Und er kann uns ohnehin immer treffen. Also keine Angst vor der Zukunft oder vor Kuren, Bestrahlungen usw. usw. JETZT bist Du noch da.
Eine liebe Kollegin von mir, Ingeborg Kaiser (sie wird 70) hat vor ca. 6 Jahren Magenkrebs gehabt. Sie lebt immer noch und schreibt, hat ein phantastisches, kluges, poetisches Buch über die Zeit der Krankheit, die Angst vor dem Tod geschrieben und sich Gedanken gemacht über die Fragwürdigkeit der Begriffe "gesund" oder "krank", "lebend" oder "tot". Die Erzählung heißt "Den Fluss überfliegen" (eFeF-Verlag, Bern 1998).
Ich schicke es Dir demnächst, denn Markus findet, es sei das Beste und Klügste, was er über Krebs gelesen
habe. "Der Sommer nach Krabb, ein geschenkter Sommer, war wie ein alter ausgetrockneter Kuchen, den sie vergessen hatte zu genießen. Es war nicht der erste gedorrte Sommer, der, einer schönen Luftspiegelung gleich, verweht war, versank, was sie schmerzlich bemerkte, ohne ihre Lebensklause zu ändern."
So, ich muss leider noch tausend Dinge erledigen, bevor wir morgen endlich verreisen können, samt der alten Katze Chipsy, die unterwegs 3 Stunden miauen wird. Vorläufig gute Gedanken und Wünsche zu Euch aus dem regnerischen Bern ins traumhafte Agliano, wie ich es noch heute vor mir sehe, ich melde mich wieder, sei ganz herzlich umarmt und gib nicht auf! Und auch liebe Grüsse an Hannah, ich weiß, was sie durchgemacht hat...Deine Barbara.
P.S. Die neue CD von Markus (berndeutsch) heißt "Ohni Rücksicht uf Verluschte", also ohne Rücksicht auf Verluste.

VI

SCHREIBEN UND DAS MEER ALS THERAPIE

22. August. Und dann die alternativen Therapien. Zwischen 16-21. Waren wir wieder in Ligurien segeln. Körperlich war ich in Ordnung, seelisch aber der Todsgedanke, der mich nicht mehr loslässt, und die Blickrichtung, ja, das Licht der Welt verändert hat; ich kann mich eigentlich nicht mehr freuen. Ein Tag nur war diese Freude da, ich sah im Golf von Lerici alles wie ein Wunder an, und dachte plötzlich alles zum erstenmal zu sehen….

Am 20. rief Hübner an und kündigte an, dass er alles schicken wolle, den Therapieplan. War sehr geizig mit der Telefonzeit. Mit mir auf meine Kosten aber hatte er eine Stunde lang telefoniert.
Einen Brief von unserer Freundin Dorothea, die ihn vermittelt hatte, fand ich hier vor. Und heute antwortete ich:

22. August Liebe Dorothea,
danke Dir von Herzen für Deine Mühe; wir waren segeln, daran siehst Du, dass es mir nicht schlecht geht, meine alten Kräfte sind wieder da, nur psychisch bin ich ziemlich schlecht dran, das Monster will nicht weichen.
Als wir gestern zurückkehrten, fand ich Deinen Brief vor, und kam ja auch mit der Nachricht von Dir zurück, dass Du die Medikamente durch die Apotheke schicken lässt, auch Hübners Therapieplan war per fax schon da.
Angesichts Deiner Mühe bin ich nun ziemlich ohnmächtig, da Ihr von der AOK, meiner Kasse, also nichts kriegen könnt. Nichtmal die Rezeptevergütung etc.
Kannst Du mir eine Rechnung schicken?
In meiner Ohnmacht – hab ich wenigsten ein "ideelles" Angebinde Dir zukommen lassen, meinen eben erschienen Gedichtband (Tunneleffekt, Berlin 2000) mit provokativem Nachwort, das so geschrieben ist, als hätte ich all dies mit meinem Monstrum geahnt. Das Todesthema, aber auch das Überleben nach dem Tod steht im Zentrum.

Hübners Therapieplan ist recht kompliziert. Auch verstehe ich ihn nicht ganz. Die erste Woche ist ausgefüllt, die 2. Bis 8 Woche nur mit zwei Parallelstrichen angegeben, heißt es, dass die Angabe der ersten Woche auch für diese gilt?
Sehr entscheidend für mich ist auch, ob ich daneben noch andere Therapien machen darf/kann. Ein Freund ein Arzt, riet mir, mich nicht auf eine einzige alternative Therapie zu verlassen, sondern mehrere zu probieren, und wenn ich nun 18-20 Monate "blockiert" bin? Das ist eine lange Zeit, da kann man längst tot sein.
Ich hatte hier vor, etwa die Di Bella-Therapie zu versuchen, und auch eine Misteltherapie hatte ich schon angeleiert.
Dazu kommen dann noch die Schulmediziner, die mich operiert haben. Die gehen ja vom PSA-Wert aus, denk ich, und der ist jetzt extrem niedrig .

Ein Professor hier, der mich untersucht hat, ging sogar davon aus, weil ja auch im Fettgewebe schon Streuungen waren, die aber herausoperiert wurden, wer aber kann da alles mit freiem Auge "herausoperieren", was im Körper-informations-Sysdet drin ist! Also dieser Prof. schlug mir sogar eine Strahlen¬therapie mit der Box vor. Und wer weiß, was meine Stuttgarter da noch vorhaben.
Es ist nicht so, dass ich der Hübner-Geschichte nicht traue, aber es ist ja grundsätzliches alles mit den Tumoren so unsicher in unserem heutigen historischer Erkenntnisstadium. Das einzige, was sicher wäre, ist, wenn direkt mit dem DNS gearbeitet würde, aufgeschlüsselt ists ja. Doch bis die praktische Anwendung kommt, sind wir wohl längst bei den Engeln.
Die aufbauenden Mittel, auch Wobenzym hab ich ja nun schon alle geschluckt, ich glaub fast, dass sie mir etwas geholfen haben, ich fühl mich eigentlich sehr gut.

Ja, bitte, schick mir diese spezielle Literatur zum Thema. Ich hab schon ziemlich viel gelesen. Und ich glaub, ich komm da schon gut mit. Eher kommt mir die Literatur meist zu einfach und zu simpel gedacht vor.
Die Sache ist doch sehr komplex. (Ich hab die ganze Zeit Tagebuch geführt, auch in der Klinik, und hab vor, das zu veröffentlichen, denn ich bin nur einer von sehr vielen Menschen, die von dieser Pest betroffen sind!)
Nein, ich verabscheue das Rauchen, hab nie geraucht, und möchte auch Linde sollte es aufgeben. Sie tuts leider nicht.
Bekomme ich von Hübner auch noch einen genaueren Befund? Ich habe nur den Therapieplan!
Meine Inkontinenz war am Anfang katastrophal. Jetzt ists fast normal, aber ohne einen kleinen Schutz komm ich noch nicht aus. Ich hab spezielle Übungen gemacht, und will sie auch weiter machen. Für öffentliches Auftreten und überhaupt ists lästig.
Schlimmer ist die Sache mit der Impotenz. Und da muss ich auch einen Weg finden. Weißt du einen. Als ich darnieder lag
war es kein Problem, jetzt...

Viele liebe Grüße an Dich auch von Linde, ohne die all dies schwer durchzustehen gewesen wäre! Sie ist so freundschaftlich und verständnisvoll!!! So eine Geduld und Tiefe hat nicht jeder!
Dazu kommt noch die schreckliche Sache (auch ein Todesproblem) mit ihrem Vater. Und dann dieser Oktober, dieser Wahnsinn, wo geballt alles auf uns zukommt. Vater, eine neue Wohnung, auch meine Mutter wird 90. Dann noch mein Monstrum als immerwährendes Problem.
Nochmals Dank Dir
D. und Linde

27. August Heute schrieb Barbara:
Lieber D.,
vielleicht schick ich den Brief per e-Mail, vielleicht auch per Post ... Danke für Dein langes Mail, das mich sehr beschäftigt. Ich habe es mehrmals gelesen, darüber nachgedacht, bin unsicher, was ich Dir dazu schreiben soll und sehr froh, dass Du die alten Kräfte wiedergefunden hast, jedenfalls physisch. Vorläufig die Hauptsache.

Einmal konnte ich nachts, es war sehr heiß, nicht schlafen, las über zwei Stunden in „Tunneleffekt“. Was für ein kluges Buch, und die Gedichte, ja, die enthalten viele Todesgedanken, fast erschreckend, fast eine Obsession. Wahrscheinlich ahnt man Krankheiten, und vielleicht sind Gedichte das beste Mittel, Schlimmes zu verhüten, vielleicht hast Du gegen den Tod angeschrieben, ihn verjagt.
Jede Therapie kann gut sein. Hauptsache, Du glaubst daran.
Bei Markus war eine Bestrahlungstherapie leider absolut notwendig, und alles tönte im Voraus sehr schlimm, und er hatte Angst, die Stimme ganz zu verlieren, Angst vor all den berüchtigten Nebenwirkungen. Niemand konnte ihm absolute Sicherheit geben, dass nicht ... Trotzdem ließ er es dann über sich ergehen, fast stoisch, mehrere Wochen lang täglich zweimal der Gang ins Inselspital, die Maske über das Gesicht, die Angst, fast zu ersticken, die paar Sekunden Bestrahlung, jedesmal eine Tortur. Die Nebenwirkungen blieben dann zum Glück fast alle aus, kein Haarausfall, die Stimme unverändert, der Appetit eher zunehmend, kaum etwas. Manchmal weiß man wirklich nicht, was man den Ärzten glauben soll. Ich bin so weit, dass ich denen kaum mehr etwas glaube, skeptisch bleibe und im Übrigen das Gefühl bekomme, sie könnten einen jederzeit krank machen, etwas finden, das nicht normal ist und behandelt werden muss. Als ob wir Menschen bis 100 wie eine fabrikneue Maschine funktionieren könnten. Mit kleineren oder größeren Beeinträchtigungen usw. muss man doch rechnen, oder etwa nicht? Vieles kann man kompensieren, die Schönheit lässt ja auch nach, die geistigen Kräfte nehmen dafür zu. Oder etwa nicht? Jedenfalls hat man herausgefunden, dass die positiven Eigenschaften sich im Alter verstärken. Also.
Bitte, D., versuch, auch psychisch, vor allem psychisch wieder zur alten Form zu finden, das ist sehr wichtig. LEBEN, jetzt, so schlecht geht es nicht, das Sterben kann warten, noch bist Du da, und wie! Der Alltag ist schwierig genug. Besser, man weiß nicht alles, und treffen kann „es“ jederzeit, jede und jeden. Ja, all die Alltagsprobleme, die alten Eltern, Wohnungswechsel, Geldfragen, Lesungen, Verlage, immer wieder etwas Neues. Stimmt. Andererseits: Möchten wir ein Beamtenleben, immer dasselbe, keine Herausforderungen?
Und Verliebtheit, Liebe, Leidenschaft???? Das findet doch größtenteils in der Phantasie statt, oder etwa nicht? Aber ich bin da vielleicht naiv. Und wenn man Glück hat, bleiben (vorläufig) die Erinnerungen.
Wunderbar, dass Linde so sehr zu Dir steht, alles mitträgt, Geduld zeigt und ein so tiefes Verständnis. Das ist doch ein Glücksfall.

So, und jetzt schick ich das doch rasch per e-Mail, denn es ist Sonntagabend, die Post funktioniert also nicht.
Ich wünsche Euch von Herzen eine gute Zeit, viel Schönes, viel Kraft und Mut und auch ein bisschen Galgenhumor, ohne den geht nichts.
Ganz liebe Grüße aus Bern

29. 8. Brief von Ingrid, in dem sie mich zu ihrem Geburtstags-Fest im Bahnhof Rolandseck einlädt. Und sich besorgt nach meinem Zustand erkundigt, ich solle nicht soviel arbeiten, sondern den Sommer genießen. Je älter sie werde, um so langsamer werde sie und umso schneller vergehe die Zeit.
Auch Barbara schreibt wieder, und es ist erstaunlich, wie viele an mich denken, seit ich dies Monstrum habe. Auch Roland W. rief gestern Abend an, er ist auch nicht gut dran, hat Angina pectoris, schwört auf die Homöopathie. Das kam mir gut, denn von Dorothea sind die homöopathischen Mittel, die Hübner verschrieben hat, unterwegs; und mittags kamen sie dann auch an. Ich begann meine Kur. R. warnte vor der Strahlentherapie, und ich hab den Dr. Perini, der sie mir empfahl, auch nicht mehr angerufen!
Und auch Peter Geist vom Brechtforum schrieb heute fast erschrocken, weil ich ihm den Zustand geschildert und gebeten hatte, die Lesung in Berlin zu verschieben:

Lieber D.,
herzlichen Dank für Deine Mail und den Brief, die mich in die Urlaubszeit hinein erreichten, deshalb entschuldige bitte die verzögerte Antwort.
Das war nun einer der beklemmendsten Briefe, die ich je erhielt. Lieber D., ich wünsche Dir so von Herzen, dass Eros den Kampf mit Thanatos gewinnen möge und Dich vom Krankenlager erheben lässt. Zumal dich die Schicksals¬schleuder in einem Lebens-Moment unwahrscheinlicher Kreativität getroffen hat, die aus Deinem Chat-D. und den Gedichten in das Lesevergnügen herüber springt. Insofern freue ich mich natürlich sehr auf das Wiedersehen und die Lesung im Frühjahr nächsten Jahres.
Ich umarme Dich und wünsche Dir alles, alles Liebe
Dein Peter

3. September. Fand folgende Passage aus dem Vorwort zum „Verweser:“ „Der Todesprozess erweist sich als der Schreibprozess. denn was ist das Zeichen anderes, als die Absenz des Lebens. Zuerst nichts als gedacht, am Ende war es ein ganzes Leben!
Das Buch aber als versuchtes Zauberbuch. erscheint auch heute möglich. als ein Zaubern durch den Sinnzusammenhang, als das apriorische Licht.
T. wirkt auf seine Umgebung "verrückt" und "unmäßig", denn er ist einer, der WIDERSTAND leistet, der Gewöhnung an die Gemeinheit widerstehen will, die von "oben", die vom "System" verlangt wird, und die im Leben der Menschen dann so oft zum eigenen Ausbrennen führt. Er kämpft gegen dieses Ausbrennen. er ist DER VERWESER. einer der unaufhörlich das, was ist, voller Schrecken als das Gewesene und Verwesende erkennt, jetzt vor allein, wo sogar der Osten in die Vergangenheit rückt, die Kindheit während der Nazizeit in die Vorvergangenheit, immer im Abschied und voller Trauer, wie schon gestorben, zwischen Leben und Tod, (Es in sich spiegelt, was die Zeit ist: alles noch da und schon längst vergangen, egal. ob er bei seiner Heimkehr in Siebenbürgen sein Elternhaus betritt, die Reihe der Weinstöcke auf seinem Berg sieht oder durch die Straßen Luccas geht. Merkwürdig, dass jenes 16. Jahrhundert Granuccis mit seinen bunten Geschichten, voller Leben, Gestalten. Ereignisse. Nun, näher jenen selbst erlebten Vergangenheiten steht, als die Gegenwart. Gegenwart, wann war das'?"

Ich arbeite an meiner Homepage. Die Homepage ist ja vorerst die einzige sichere Veröffentlichungsmöglichkeit. Ich bastle an meiner Website, was mir aber weniger Spaß macht. Ich hab jetzt sogar drei Romane im Netz und vieles andere, was "auf dem Weg" ist und warten muss. Da ist mein armer „Verweser,“ der wird im nächsten Jahr als CD-Rom-Buch erscheinen, und hab ihn doch schon ins Netz gestellt:
1. Der Verweser, ein Geisterroman:
http://www.geocities.com/transsylvania/verweser.html
2. Chatterleys in Romans Netz:
http://www.geocities.com/transsylvania/chatterleyslfa.html
3. Vlad, der Todesfürst oder Draculas Heimatstadt:
http://www.geocities.com/transsylvania/draculalfahp.html

Und es ist tatsächlich so, es ist als gehöre man einem „Club“ an nun mit dieser Krankheit, von der so viele betroffen sind! Auch der Kritiker Georg Quante hatte sofort eine Geschichte parat, als ich ihm von meiner OP erzählte. Und ich schrieb ihm darauf:

Lieber Georg Quante,
Als sie dies von ihrem vater erzählten, der tod des vaters ist vielleicht das zweitwichigste ereignis in unserem leben, lässt uns nicht mehr los, da dachte ich an meinen eigenen vater.
Ja, der tod, ich weiß nicht, wie man hier in zivilisierten länden, in Deutschland, in Italien mit ihm umgehen kann, wie man mehr wissen soll, da dieses wissen ein rein gefühlsmäßiges und intuitives ist, und das wird ja auch versucht, doch es widerspricht der sonst geforderten „objektiven“ „wissenschaftlichen haltung“. Wer, mein gott, kann das, alles abzublocken, was in diese richtung geht; ich hab mich viel damit beschäftigt, und seltsamerweise, jetzt, wenn der tod so nah ist, wie noch nie, kann ich es kaum noch; dabei ist ihm auch mein Schwiegervater nah, sehr nah, meine mutter ist 90. Und ich hab ihn in mir.
Ich dachte an die Riten im Oasch, wo noch reales, weil altes erfahrungsgedankengut zum tod gilt, ähnlich wie bei Castaneda, wie es die riten der naturvölker noch kennen, oder neuere forschungen zum todesprozess, etwa der transkom¬muni¬kation.

Abendessen im Garten, noch mit Sternhimmel, und wieder zeigt sich, dass man nur vom Krebs sprechen muss, sofort ist jemand da, der zum Leidens-Club gehört. Editt D., die Bildhauerin aus Kanada, die ein Atelier in Pietrasanta hat, sie stammt aus Iaşi, fing sofort an von ihrem Vater zu erzählen, der – erst 80-jährig im März gestorben war. Man hatte seinen Krebs zu spät entdeckt, und er war voller Metastasen, lebte die letzten 2 Monate in einem wunderschönen privaten Sterbehaus. Editt kam auch zu seinem Tod nur im letzten Moment, zwei Stunden bevor er starb, er konnte auch nicht mehr reden, nur "sehen" und verfolgte sie, saugte sie ein mit seinen Blicken. Und sie saß ganz nah, spürte, dass sie plötzlich in gleichem Rhythmus atmeten, und der Herzschlag synchron ging.

Dann musste sie Tag und Nacht an ihn denken, den sonnigen Menschen, der jetzt eine schwarze Sonne geworden war. Sein Auge, das sie wie von drüben angesehen hatte, verfolgte sie. Vor allem, das im letzten Augenblick seines Leben im rechten Augenwinkel eine Träne hervorkam und dort hängen blieb, nicht übers Gesicht lief.
Ich widmete ihr dieses Gedicht:

LACRIMA rerum nicht nur gespiegelt in der Träne
Die Welt:/ wir sind wie ein Auge der Toten / und nur ihre Träne rinnt in unsre Lichtwelt.
Im Augenwinkel langsam / wie die Zeit, die einmal
Geblüht hat, fällt sie als Ende
Auf das was zurückbleibt,
auf den ihm gleichen, den Herzschlag der Tochter,
ein letztes Geschenk seiner Sonne,
die in Gedanken nie mehr vergeht.

Schwarze Sonne der Augen
Mit einem Lichtblick der Iris
Täuscht sie Welt vor/ ist sie
Der Eingang, wenn sie
Das Auge schließt/ um es drüben
Zu öffnen?

+++

Sie erzählte, dass sie am Meeresstrand plötzlich ihren eigenen Schatten über den Sand habe fallen gesehen, ein Bild der Vergänglichkeit. Und daraus ist "Schatten" entstanden. Dieser auferstandene Grabstein mit dem Skelett:

WIEDERKEHR DER TOTEN mit einem blitzenden Licht
der schwarze Kopf, um uns zu zeigen, dass es eine verborgene schwarze Sonne gibt, die wir nicht sehen! Liebe ist von der anderen Seite hier / Ein-Leuchten berührt, was unser Herz wach macht - und wieder singt.

Das Auge blitzend in der Pupille
Licht in der Träne:

Schwarzer belgischer Marmor/ gerippt
Wie ein Pilz / wie ein Fächer
Schwarze Sonne, unsichtbarer Schmerz.

Die Träne aber fällt nicht,
fällt nicht, rinnt nach innen,
wie die Tränen der Heiligen, aus denen diese
innere Gotteswelt wird.



Heute wieder einen Waldlauf mit Felix bis Buginagno, und es ging ganz gut, nur Atembeschwerden, wenig Luft, kann nicht mehr durch die Nase atmen. Musste an meine Skilangläufe in meiner Jugend denken. Fast Atemnot, kalte Luft in der Lunge.
Seit gestern meditiere ich wieder ernsthafter, weil nachts dieser Krampf im Bauch da ist; diese Stressgefühle da waren, sicher Gift und neue Ursache für das Wachstum irgendeines Tumors, der vielleicht im Fettgewebe lauert.
In der Früh auch Leichtigkeitsübungen, Mantra, Entspannung, und der alte Versuch, jede Tätigkeit, auch Abwaschen oder andere "Banalitäten" als spirituelle Übung zu begreifen, atmend, konzentriert. Es ging.
Ursache des Stresses war aber nicht nur der Tumorgedanke, sondern damit kombiniert die alte Zeitangst und die Erfolglosigkeit.

Und ein erstaunliches Gedicht über die Zeit der kleinen Anita, sie schrieb es mit neun Jahren, fiel mir ein:
Du liebe Zeit,
du läufst bergauf, bergab
und ohne Rast und Ruh’
uns durch die Mitte nun. –
Es ist nicht böse gemeint mit dir,
bleib stehen, bleib stehen,
wir brauchen dich,
hörst du: wir brauchen dich ganz dringend!
Du sollst nicht sausen
wie die Vögel im Winde
und auch nicht wie es die Marder tun,
nein, nein, mit uns sollst du gehen,
ach, bleib doch stehen!

Mit Hannah sprachen wir darüber, dass wir, die Zeit ja auch, unser Leben da eingebracht, „reingebuttert“ hatten, gearbeitet, auf alles verzichtet, und was ist nun der Erfolg? Nichts, jedenfalls wenig. Und die Zeit drängt, rast, ich hab wenig Zeit, das scheint mein Unterbewusstsein besser zu wissen als ich, ich lebe ja so, als wäre alles in Ordnung, außer diesem Drang, das Werk in Ordnung zu bringen, zu ordnen, fertig zu stellen, zu "speichern". Daher auch dieser Drang, das Werk als Homepage zu bewahren, zu verlinken, zu vernetzen. Und dann das viele Papier, die vielen Disketten. Ich komme ins panikartige Schwitzen, und arbeite ganz diffus an vielen Stellen und Skripten gleichzeitig, stelle mir selbst ein Bein, komme zu nichts.

8. September. Lese Korrektur in der Neuauflage der "Weißen Gegend" und finde viele Gedichte über die Toten aus S.: "Vaterstadt der Toten", "Komm, Vater, führ mir vor" und "Neujahr", gehen mir unter die Haut.

Gestern langes Telefonat mit Edith K. Der ich erzähle, dass ich wieder an der „Weißen Gegend“ arbeite, aber eigentlich nicht mehr schreiben könne, als wäre das Verrat an der Ordnung meiner bisherigen Werke. So dass ich andauernd nur als "Administrator" meines Opus beschäftigt bin. Sogar beim Schreiben der Gedichte für die Bildhauerin aus Iaşi, deren Vater an Krebs gestorben war, hatte ich Stress und ein schlechtes Gewissen.
Edith aber erzählte, dass sie sich in Schässburg. wunderbar fühle. Mit dem Körper heimgekehrt, dort fühlt sich unser Biotop gut, in der eigen Umgebung, der Luft, der Farben, der Konstellation? Sie sucht nach der Stunde ihrer Geburt, minutengenau muss es sein, möchte sich ein Horoskop ihres Charakters stellen lassen. Ich bin dort 8 Uhr früh geboren, sag ich ihr, steht die Geburtsschilderung schon in meinen "Vaterlandstagen"? Nein, glaub nicht, sagt sie, die sich fast schon besser darin auskennt als ich, und schreibt jetzt einen Essay über die „Vaterlandstage“, über Schlattners "Geköpften Hahn" und Bergels "Adler“. Und dann erzählt sie vom Mittelalter-Festival in Schäßburg. So mittelalterlich habe sie die Burg noch nie erlebt. Lauter junge Leute, die sich nur "mittelalterlich" fast besinnungslos "aalen" wollen.!

8.9.-12.9. Hans-Jürgen und Ute, die Freunde, bei denen wir in Katalonien Neujahr gefeiert hatten, sind da. Ausflüge nach Lucese, nach Del Freo, Passo della Croce, dann das Segeln und Baden, die Abendgespräche taten gut. Auch wenn ich wie jeden Tag spürte, dass meine alten Kräfte nicht ganz zurückgekehrt waren, und ich oft Schwierigkeiten hatte, bei Aufstiegen mitzuhalten. Kurzatmigkeit und die alte Schwäche in den Beinen waren da.
Auch tranken wir zuviel vom Haussäuerling. Und ich merkte auch, dass ich nicht wie früher Spaß an Nachtgesprächen, und überhaupt an Gesprächen hatte. Ich war nicht stark genug, meine Themen durchzusetzen, und ihre langweilten mich oft. Und die ständigen Geschichten aus dem Alltag nervten mich. Und ich erinnerte mich an unsere gemeinsamen Ausflüge vor zehn Jahren mit Christina zu den Steinbrüchen, als Hannah und Hannes vorausgingen, Christina und ich zurückblieben, und sie sagte, es sei erstaunlich, dass jemand, der sich so intensiv mit Lyrik beschäftige, so wenig Sinn für Poesie und wirkliche Bedeutung im Leben habe.

Das Interesse für meine Arbeiten war dementsprechend auch lau. Ich las abends aus dem "Tunneleffekt" das Walter-Benjamin Gedicht, wir waren zusammen in Katalonien bei seinem leeren Grab gewesen.
Auch hier wieder zeigte es sich, wie sehr man zum "Club" gehört: Noch bevor die beiden da gewesen waren, hatte Hannes Tochter angerufen und erzählt, dass auch ihr Mann vor zwei Jahren am Prostatatumor operiert worden sei. Und dann beim Spaziergang nach Del Freo erzählte Ute, dass auch die Mutter von Hans Brustkrebs habe. Die Schulmediziner hätten sich auf sie gestürzt und Bestrahlung empfohlen, das wurde aber von ihnen abgelehnt.

13./15. September. Segeltour nach Palmaria. Wieder drei schöne Tage mit Hochdruck, milder Temperatur, glattem Meer. Wir fuhren bis nach Vernazza (Cinque Terre), ich hatte aber Schiss in dem engen Hafen und unter den Blicken der vielen Touristen und Badenden, die mir dauernd vor den Kiel schwammen, zu ankern, und fuhr aus dem Hafen wieder raus. Das war wie eine Niederlage, denn sogar als Anfänger hatte ich hier vor Jahren unter den gleichen Bedingungen geankert.
Wir ankerten dann in Monterosso (Montale). Eine winzige nautische Einrichtung, fast schon angejahrt mit Patina und älteren Leuten, faszinierte mich. Die Rückfahrt, die vielen kleinen Orte, auch Manarola und Riomaggiore mit der Via del amore, die Steilwände, erinnerten an früher, ebenso Palmaria, wo wir ankerten (Platen hatte sich hierher zurückgezogen, auch als Homo, der das damals verheimlichen musste! Er hatte hier einsam seinem Groll gelebt!)

Abends, nach der schönen Fahrt, Krach mit Hannah wir wollten zur Locanda "Lorena" vor der wir ankerten, auch schon vor 15 Jahren hatten wir hier geankert (mit dem Neunmeterboot Izwara, es sogar einmal bei Sturm hier zurück gelassen!) Ein Streit beginnt immer mit Bagatellen. Sie wollte direkt bis zur Anlegstelle des Restaurants, ich nur bis zur allernächsten Anlegstelle, sie wollte in Schlappen und schlampig gehen, ich nahm meine Schuhe mit, was sie monierte. Dann aber während des Essens erzählte ich ihr von der Krebstherapie, die mich überzeuge von Hulda Regehr Clarc, die einen großen Darmegel, der in die Leber eindringe, für Krebs verantwortlich macht.

Beide schliefen wir schlecht, beide wussten wir ja, dass wir nie voneinander loskommen. Die Lebensumstände, die uns unser Zusammenleben ermöglicht, sind zu schön, ja, ideal.

15. September. Heute, als ich beim Frühstück von der Notwendigkeit sprach, alles Metall aus dem Mund, den Prothesen, Zähnen etwa, die Kavernen zu reinigen, sprach, explodierte Hannah wieder.

16. September. Ich glaube Hulda Regehr Clarc hat recht. Und las in ihrem Buch Heilverfahren aller Krebsarten, Sielaf&Reich, Berlin.

Oktober. Stuttgart. Wieder Kontrolle bei Dr. Mitschke, dem Urologen.. Erschreckt mich mit dem PSA-Wert 0,34, der müsse null sein! Telefonat mit Hübner, der mich aufklärt, dass ein Zusammenwirken des Krebspunktes mit dem Diphteriefaktor Krebs ergebe. Bei mir sei beides gegeben gewesen.
Rät mir wieder ab von der Hormontherapie, die das Gleichgewicht total zerstören würde, den Stressfaktor, der wichtig sei, nicht mehr möglich mache. Doch fast mehr setze ich auf die Therapie der Frau Dr. H. R. Clark, deren Buch ich mir angeschafft hatte: „Heilung ist möglich“. Wo auch die Adresse der Firmen, die die homöopathischen Mittel zur Tötung des großen Darmegels, verantwortlich für Krebs, zu finden sind. Ich rufe an, bestelle die Wermut – und Gewürznelken¬kapseln. In der Apotheke habe ich das Übrige schon bestellt. Und auch den Bausatz des Zappers bei der Firma Conrad.

Was mich fast umbringt, ist der Mangel an Poesie in meinem jetzigen Leben. Bereite die Lesung hier im Mörike-Kabinett und die in Hessen vor. Über Wetzlar erfahre ich nicht nur die Goethedaten und die Sache mit dem Reichskammergericht, sondern auch die wirklich phantastische Geschichte mit dem falschen Kaiser Friedrich II (Tilo Kolub oder Friedrich Holzschuh) aus Ricarda Huchs „Altem Reich.“ Kolub wurde auf Befehl des Kaisers/Königs Rudolf I gefoltert, dann verbrannt. 1284. Die Folteraussage aber gilt nicht, er hatte ausgesagt, dass er nicht der Kaiser sei, sondern ein Betrüger. War er ein Wiedergeborener, ein Un-Toter? Ein ehemaliger Knappe oder Ritter des Kaisers? Er erinnerte viele Einzelheiten. Und solange er träumte, besessen war, lebte er, war er groß, wirklich der Kaiser; doch rau angefasst, gemartert gar, ist er ein gehetzter Kranker, armselig und ein Jammer¬lappen, der sich fürchtet, zittert und „nach Hause möchte“. Im Abgrund des Traumes und des „Wahns“ ist er herrlich, weiß er viele Dinge, sonst ist er ein Nichts. Der echte Kaiser ist der Träumende, der Hohenstaufen, der von Gottes Gnaden.

Freude mit Michi, dem Sohn, der bei einem Besuch bei Mutter, die ganze Zeit in meinem „Tunneleffekt“ las. Sogar wusste, dass es eigentlich ein „Totenbuch“ ist, und ich meine Transkommunikations-Überzeugungen hier „übersetzt“ und eingebracht hatte.

VII

TODESNÄHE UND ALTERSANALYSEN

Ich korrigiere heute meinen Essay (in S2 Kultur schon gesendet, jetzt „Lauter letzte Tage“), und wundere mich, wie das alles auch auf mich zutrifft, was Améry schreibt; Améry war bei seinem Selbstmord genau wie ich 66 Jahre alt.
Es ist erstaunlich, dass dabei sinnvolles Leiden wie ein Schutz sein kann, wenn man es durchlebt, kann auch der Tod eines Menschen Sinn schenken. Doch der andauernde, nur erinnerte Schmerz kann zer¬mürben, vor allem, wenn der eigene Tod heranrückt. Jean Améry sagt dazu: "Das Altern ist es, das allerlei Besinnungen uns aussetzt und uns zu ihnen befähigt. Schon macht die Welt, deren Abbild die Logik ist, sich davon. Schon ist, wenn wir die Höhe überschritten haben und es abwärts geht, immer steiler, immer geschwinder, ein Denken, das der Weltüberwältigung gilt und darum in der Logik sich ein Weltabbild abziehen hat müssen, nicht mehr ganz unsere Sache ... der Tod erwartet uns und zwingt uns, logisch un¬saubere Sätze zu bilden, wie "wenn ich nicht mehr bin". Er ist schon in uns und schafft Raum für Zweideutigkeit und Widerspruch."
Améry schrieb ein Buch "Über das Altern. Revolte und Resignation" und eine Fortsetzung, den "Diskurs über den Freitod", dort heißt es: "Das Wissen wird mit den Jahren intensiver, setzt gleichsam ´Füße´ an. Der Mensch lebt also jenseits des Herumredens, das er um seiner Selbstverteidigung willen veranstaltet, im ständig sich verdichtenden Wissen um den Tod hin, denn tatsächlich ist ja das vegetativ-taube Ich, das er redend ver¬lassen zu haben meint, das eigentliche: dies gönnt ihm, so¬bald erst der Tod gesetzt ist, fürderhin keine Ruhe mehr."

Es ist erschreckend, wie genau und erbarmungslos Améry die Alterungs¬symptome beobachtet. Und er, der eine ganze Menge mit¬gemacht hat, sieht dieses "private" Verhängnis als eigentliche Katastrophe an. Er beschreibt das Erkalten z.B. des Land¬schaftsgefühls; das verfallende Körpergefühl, die entsetzten Beobachtungen im Spiegel. Den Selbstüberdruss: „Die dünne Alltagsschicht aber wird gesprengt, wenn das altern¬de Menschenwesen seinen Alternsspuren nachspürt, am Spiegel¬bild haften bleibt: dann bricht urplötzlich das Entsetzen auf.“ Sonst aber sei dieses Schaudern, die menschliche Grund¬verfassung durch Alltäglichkeit überdeckt. Sie verwandelt sich im Alter langsam in Lebensekel. Schlimmer aber sei die Zeit¬not und Zeitangst, des "O-weh-wohin-entschwanden-alle-meine¬ Jahr", schlimm sei vor allem, diese Unwiederbringlichkeit. Ist diese Todesnähe die sogenannte "Altersweisheit"?
Es ist wohl eher Grauen.
Améry sagt sich trübe: "Es ist gar nicht so lange her, dass ich von der rive gauche aus mich hineinwarf in die Welt, nur so rund zwanzig Jahre, ich verspüre sie auf eine das Herz zu Tode erschreckende Weise als eine geringe Spanne ... in noch¬mals zwanzig Jahren werde ich nicht mehr sein: wie wenig Welt habe ich noch vor mir!
Wenn die Lebenskraft abnimmt, die alles verdeckt, jenes Todes-Wissen vor allem, kommt die Wahrheit unverhüllt zu¬tage. Freilich gibt es auch Menschen, denen dieses die Vitalität bis ins hohe Alter erspart. Oder ist es Naivität? Gottver¬trauen? Gewohnheit?“ Améry schrieb seinem Freund Hans Mayer in ein Exemplar seines Buches "Hand an sich legen" die Widmung: „Dem namensgleichen Freund, dessen glückliche Vitalität von diesem Buch nichts zu befürchten hat.“
Weiß erst der einsam Alternde wirklich Bescheid, gar der alte Mensch, der heimatlos ist in einer fremden Stadt, wie es Jean Améry bis zu seinem Freitod war?

"Mag sein, es wird des Zeitvergehens im Altern am intensivsten der Gescheiterte gewahr, der aller Illusionen enteignete ´raté`, so wie ja überhaupt und allgemein das, was man Erfolglosigkeit nennt und was besser Weltmisslingen heißen mag, den Menschen letzten Fragen aufschließt." Der "raté" Améry „allein im Café, Améry, der keine Kinder hat und auf die Mirage des Nachruhms keinen Anspruch erheben darf, der sich keinen Grab¬stein errichten lassen wird und nicht einmal ein Testament zu machen braucht, vielmehr kalkuliert, es sei am besten, den eigenen Kadaver dem anatomischen Institut zu verkaufen - er weiß sich gründlicher als ein Bündel Zeit. Er hat schon immer, seit es nichts wurde aus dem Sich-in-die-Welt-Werfen, nur wenig Raum besessen. Er ist gewohnt, sich hineingleiten zu lassen in den Brunnen der Vergangenheit und darin sich selbst in der Zeit zu suchen. Sein Nachbar mit dem großen Wagen und den vielen Zimmern lärmt noch herum, bis eines Tages in seiner Brust ein Schmerz aufreißt, als wäre er an einem Fleischerhaken aufgehängt, und der Arzt seiner Frau gedämpft vom Herzinfarkt spricht; ihn nimmt er aus dem Raum, noch ehe er Zeit hat finden wollen, an die Zeit zu denken."

Ausnahmezustände, Gefahren, Kämpfe erscheinen nun fast nostalgisch als Jugendvorrecht: jenen vorbehalten, die die Gnade der Zeit genießen. Erstaunliches äußert Améry dazu, in¬dem er sich selbst wieder in der dritten Person mit Améry anspricht: „Er sah seinesgleichen hingehen auf jede nur erdenkliche Weise. Die Kameraden, man kann es nicht anders sagen -: verrecken wie es sich gerade ergab an Typhus, Dysenterie, Hunger, an den Schlägen, mit denen man sie traktierte, auch schnappend im Zyklon B. Er ist achtlos über gehäufte Leichen gestiegen, durch unterirdische Korridore geschritten, in denen man manche an mächtigen Eisenhaken aufgeknüpft hatte. Wie war das doch damals mit mir, fragt sich Améry, und erteilt sich die Antwort, von der er weiß, dass sie andere mit Misstrauen auf¬nehmen werden: ´Ich hatte keine Angst. Ich war nicht tapfer, denn es gab vielerlei, was mich in Schrecken stürzte. Ich war jung. Und der Tod, der mich bedrohte, kam von außen.´“
Nun aber ist der Feind innen, der Tod ist im Alternden, kein Mut, kein Kampf hilft weiter. Auch keine Flucht. Oder irgend¬eine zu erhoffende Befreiung am Kriegsende. Dieser Tod ist so nahe wie die eigne Haut, ist immer da. Und die Hinrichtung findet mit Sicherheit statt.
Damals als noch junger Gefangener war es eindeutig noch ein Leben mit Hoffnung:
"Ich schleppte mich bei rund zwanzig Grad minus tagelang, ich weiß nicht wie viele Kilometer über verschneite Landstraßen und dann und wann vernahm ich den Peitschenknall eines Schusses, unter dem ein Kamerad fiel. Der fremde Schrecken machte mich vielleicht kurz erbeben, aber von Angst war ich verschont.“
Und heute?
"Ich nehme, wenn ich ermüde und den eignen Wagen nicht fahren mag, ein Taxi, es ist alles ziemlich bequem und niemand versagt gute Dienste dem, der ein paar Geldscheine hinlegen kann. Aber die Angst ist in mir, ein taubes, mich niemals zittern machendes, aber ungemein beharrliches Gefühl, das langsam zu einem Teil meiner Person wird, so dass ich eigentlich nicht mehr sagen kann, ich habe Angst, vielmehr ich bin Angst, wenn dieses Angstsein mich auch nicht hindert, meine Arbeit zu tun, wenn auch von ihm die andern nichts wissen und sogar meine zur Schau getragene gute Laune dadurch kaum Einbuße erfährt. Ich hege den dringenden Verdacht, dass es nicht besser steht um die andern Alternden, die allenfalls fröhliche Picknicks veranstalten, Theater besuchen, sich modische Kleider anfer¬tigen lassen die ontische Dichte meiner Existenz ver¬dünnt sich und den leeren Raum füllt die Sterbensangst."
Jean Améry war 55 Jahre alt, als er dies schrieb. Paul Celan fast 50 als er am 20. April 1970 in der Seine ertrank. Beide lebten in einem selbst gewählten Vakuum, Celan in Paris, Améry in Brüssel.
"Ich denke viel an die verschneiten Landstraßen von 1944 und den guten Mord-Tod, der von mir nichts hat wissen wollen. Kein schönerer Tod, in der Tat - nicht jedermann hat die Chance. Inakzeptabler Gedanke, wenn man erwägt, zu was für reaktionären Gemeinheiten er ein Alibi abgeben könnte! Wahr bleibt, des bin ich gewiss, dass man es leichter hat mit dem Sterben, wenn keine Zeit hinging, mit dem so Unausweich¬lichen wie Unausdenkbaren intim zu werden."

Ich lese Boris Groys als Gegenentwurf zu Améry. Und überlege, was mich, der ich immer Angst vor dem Zeitvergehen hatte, am Diamat so sehr fasziniert hatte, ja, ich in ihm die „Rettung“ ,ein Überleben sah. Auch ein Überleben des Todes, der Zeit, dieser Fluss undurchschaubaren praktischen Lebensgeschehens, dem kein Denken wirklich kommensurabel sein kann, Zeit, der wir völlig ausgeliefert sind, auch ihrer Entropie, der sie auflöst? Wirklich ganz?
Und die tödliche Anziehungskraft, die diese Ideologie auf alle, aber auch besonders auf Intellektuelle hatte, war durchaus nicht nur das Soziale, die Gerechtigkeitsvorgabe, die Revolution, es war ein radikales Erlösungsversprechen. Und ein Ja zur menschlichen Größe und Kreativität.
Wir sahen, was die Unschärferelation leisten kann, genialer Einfall eines genialen Menschen. Was die Wahrscheinlichkeits¬rechnung leisten kann. Was letztlich also die "Apriorität des Individuellen" (Hölderlin) im Angebundensein an das kosmische Wissen leisten kann, bis hin zu Prophetie (was wäre die Bibel ohne sie!). Und sogar die „Wunder“ und das "Wundern" sind ein großes Hoffnungspotential. Das Sich-Wundern eine Kunst des Jungseins, das Wissen auch von einer Art schamanischen paranormalen Einwirkung auf "materielle Systeme" und sogar auf das "Schicksal, bis hin zur Veränderung des Todes, und sei es auch nur in Legenden, wie im Christentum, sind Hoffnungspotentiale, die wir im grauen , trüben Alltag des Alterns und der Krankheit immer wieder aktivieren sollten!

Das Diabolische des Diamat aber ist eine andere Sache, gerade auch, weil er zum Glauben an Hoffnungswunder gehört! Auch nach Boris Groys (2002) heisst es, dass der Diamat, obwohl er sich selbst für rational und materialistisch hält, eben im Zentrum solch einen Wunderglauben, solch einen Durchbruch durch die Zeit vertritt, christentum¬-ähnlich; schon in der Verkündigung am Ende aller Zeiten des Paradieses Kommunismus, obwohl er eigentlich im Gegensatz zu Hegel, der solch ein Ende im Geist postuliert, in jenem Gesetz der Gegensätze die unmögliche Aufhebung dieser Gegensätze predigt.

Gefährlicher und diabolischer noch ist das erklärte Machtprinzip als Wahrheitsprinzip, oder Macht, auch als Glaube, die angeblich Berge versetzen kann, also Wunder vollbringt, der Zeit und der Geschichte diktieren kann!! Die Macht aber hat die Partei inne, sie allein und ihre Entscheidungen als Monopol, SIE wie der Herrgott kann sich einmischen in jedes Geschehen, den Gang der Geschichte sogar bestimmen als eine Art Engel- Avantgarde! Eine Art Gott der Geschichte durch ihre Tat, und nur sie weiß, besser als die Geschichte selbst, wo es langgeht. Jede andere Position "spaltet", ist reaktionär, falsch, feindlich sie kann nicht kritisiert werden, weil es ja keine festen Standpunkte geben kann im Strom der Geschichte. Hier haben wir die Basis, die Erklärung für die blutigen Säuberungsprozesse, die absurden Tribunale und Verhöre, Selbstbezichtigungen, die in dieser Partei-Märchen-Sicht sogar als notwendig erscheinen.
Wie es im Lied so schön heißt: Die Partei, die Partei hat immer recht!

Gestohlen hat der Diamat sein zentrales Gesetz von Einheit und Widerstreit der Gegensätze aus Kants Philosophie: Der Mensch ist fremd in der Welt, weil er nach Kant eine Art Ebenbild des "höchsten Gutes", des "Einen" sei. Im Diamat aber Ebenbild seiner Klasse, wobei alle vom "höchsten Gut" ausgeschlossen sind, die nicht der richtigen Klasse angehören, dem Proletariat. Jeder hat in sich den "innern Sinn", also den Klassensinn. Dieser "innere Sinn" aber gehe über die Alltagswelt der Sinne weit hinaus, da schon wegen des Voranrückens von Zeit in den Außeneindrücken eine Erfahrung überhaupt nur möglich sei, wenn "Zusammenhang" oder "Einheit" unseres Bewusstseins als "Gewusste" und zugleich Wissende, also Verstehen da sei. Das heißt wer die "Einheit", also die Partei in sich trägt, teil an ihr hat, ist Teil einer Elite, einer Vormachtstellung, die alles andere bestimmt – bis hin zur Vernichtung der anderen! "Einheit der Apperzeption (oder des Bewusstseins, Klassenbewusstseins)" ist. Hier wäre das höchste Bewusstsein eben das der Partei. "Einheit der Synthesis in der Mannigfaltigkeit" nannte Kant diesen Kernpunkt seiner Philosophie. Wir sind sozusagen "Gewusste" und zugleich Wissende. Diese "Selbstunter-scheidung" ist nach Kant aber "schlechterdings unmöglich zu erklären, obwohl ... ein unbezweifelbares Faktum ... (sie) zeigt ... ein über alle Sinnenanschauung ... weit erhabenes Vermögen an ... den Grund der Möglichkeit eines Verstandes." Den kann aber nur einer haben, der teil am Parteiwissen und zugehörig ist. Zu Stalins Zeit war es der Diktator allein, dr diesen Gott des Einen abgab. In der Partei-Ideologie ist freilich alles platt und primitiv, doch ihr Hintergrund könnt vertieft gut so gedeutet werden!

Ich lese „Ödipus“ von Sloterdijk.

Mein Leben war immer eine Flucht vor dem Familienstall. Der Zeugungsgefängnisse. Nein, min Leben scheint ein Monstrum, das aus allem heraus fällt, was "normal" zu sein scheint.

Hat meine Krankheit auch mit dieser jahrzehntelangen negative Einstellung dem „Leben“ gegenüber zu tun? Muss man dabei krank werden bei dieser Dauerauflehnung?!
Ich hoffe, dass ich dies Elend, das uns überfallen hat, bald hinter mir habe, auch wieder ein wenig jung sein darf mit aller Hoffnung auf lebendige Berührung...

Was kann ich mir vornehmen, von jetzt an Freundschaft mit dem Leben zu schließen, mit Dingen und Menschen, mit mir selbst. Wie Noica, wie Jünger. Die meinen, dass dann alle Dinge, alle Menschen dir helfen, dich unterstützen und du auch in den schlimmsten Situationen „Glück“ hast?

Ich muss dabei an unsere Erlebnisse mit Hella denken. Überall, wo wir hinkamen, wurden wir freundlich empfangen, alles gelang, uns wurde immer geholfen. Strahlten wir Liebe aus, die alle wollten, alle entbehrten?

Ja, es stimmt, ich habe einen Roman begonnen, der heißt „Hella, die Morgenfrau“. Und der beginnt so: Dank dir Hella, du hast verführt. Du verführst mich. Du verführst zum Leben. Du nimmst mir diese Schwere. Auch wenn du jetzt nicht da bist, ich spüre dich, das Herz ist verjüngt. In jedem Gedanken bist du da. Ich weiß jetzt: Mehr nicht, als diesen Augenblick aufbauen mit dir, als ginge es ums Leben. Das geht. Mehr nicht. Als diese Morgenwiese lachhaft naiv die Augen sehen lassen, mit Freudentränen. Mehr nicht, als leben - jetzt! Die Sonne scheint noch immer, und sie bricht die Strahlen nicht, das Herz den Satz. Ich möchte mit dir leben gegen diese Fahrt, die uns erwartet. Sie steht noch in den Sternen. Sie steht, doch finster wartet sie.

Die abwesenden Engel, die ich im kalten Hirn zu Tode gedacht hatte… Nach René Char ist Einverständnis mit den Engeln unsere größte Sorge. Täglich wäre ich ohne sie verloren. Aber Schweigen und kein gebrochenes Wort jetzt. Und du fragtest mich dann, als wärest du ihre Botin: „Wo bist du ohne mich?“ Und ich sagte: „Oh, Hella, ich bin verborgen im Norden des Herzens, eine sich neigende Kerze. Und jetzt endlich ein besseres Ich, das mich sinken lässt.“ Da stauntest du.

Jetzt im Oktober in Deutschland waren auch wieder viele schlimme Sachen zu regeln. Unter anderem mussten wir für den schwerkranken Schwiegervater sorgen, auch Hannahs 2 Operationen, und die Auflösung der Wohnung, wir haben in D jetzt keine mehr. Sind auf Mietzentralen angewiesen. Doch so, das haben wir gedacht, sind wir frei, vogelfrei, und sind nicht gezwungen, immer in die gleiche Wohnung in Stuttgart zu gehen, so sind wir mal in München, mal in Berlin, vielleicht in Paris?

Aber gabs mich auch als einen Anderen, jemanden, den die Liebe verwandelt? Ein DU, das mehr ist also so ein vergrämtes negativ lebendes Ich? Ich lese einen Brief von Hella:

D! Jede Sekunde unserer drei-dreissig Tage-Jahre ist in mich gebrannt wie mit Feuer, jedes Glücksgefühl, jedes Lachen- oh, wie wir gelacht haben! - jeder Blick, jede Geste, die Wärme Deines Schafspelz' bei der Auffahrt zum Todtnauberg, Deine Kaugummifahne, der Würstelverkäufer im Dunklen vor der Garage im hintesten Eck: "Was verkauft denn DER da?!" und "Sind die Esel schon da?!" vorm Gasthof „Enzian“, ich, Du, DU hast mich so glücklich gemacht, D!, mit Dir, mit Deinem Dasein. Deine Hände, diese Hände, Dein Gesicht, dieses Gesicht, das ich immer streicheln möchte, Dein Lachen - Du lachst so schön und ansteckend - Deine Leichtigkeit des Seins, wenn Du "fhüfhüfhü" vor Dich hinpfeifst mit viel Luft und Deinen Kruscht zusammensuchst und ein bisschen mit den Armen schlenkerst, so selbstversunken mit Dir und froh am Leben, alles, alles ist da jetzt und Du fehlst mir so, dass ich nicht weiß, wie es jemals wieder ein Leben ohne Dich geben kann und darf. Du bist es, D!, Du bist es. Du. Mein Du.
Mein so über alles geliebtes Du.
Hallo. Hallo, mein Du.
Deine Hella

Für jemanden Sein. Darf es nur so ein Leben geben, ohne es zu vergeuden?

November aber. Mein Leben ist ein Dauernovember, vergeudet, ein Krampf. Wir sind nun schon 2 Wochen wieder zurück, hier in Pieve, wir hatten uns so darauf gefreut, doch es ist ewiges Regenwetter, das depressiv stimmt, und dann kam auch noch eine Doppelerkältung, die uns immer noch nicht loslässt, wahrscheinlich geschwächtes Immunsystem bei beiden, es war auch zuviel: der Vater, die Wohnung löschen, Hannah OP, mein Monstrum, von dem immer noch nicht klar ist, ob es erledigt wurde, oder ob es immer noch droht! Im Hintergrund ist ja doch immer das memento mori sehr oft, und erlebt, verdrängt, da kommt es raus. Die Kürze der Zeit, sechzig oder achtzig Jahre für eine Ewigkeit?

Ein Freund aus Bern, Markus, hat mir seine Songs zugeschickt, er ist ebenfalls krank, hat Mundkrebs gehabt, schwer zu verstehen dies Berndütsch, doch mit dem Text in der Hand lässt sich fast alles verstehen. Wie nah ist doch der Dialekt, früher redete man da von "provinziell", das ist jetzt in der "Globalität" anders, und ich denke auch immer wieder an meinen eignen, sogar darin zu schreiben, sowieso ist mein neustes größtes Projekt eine Fortsetzung der Vaterlandtage, eine Heimkehr ganz anderer Art nun: Heimatstadt der Toten.

Die Nächte sind hier nicht gut, eher schlechter als im turbulenten Deutschland mit all den Sorgen und Lesungen undund. Die Einsamkeit tut nicht gut, im Gegensatz zu früher.
Ich ordne und schreibe zwar weiter an meinem Opus, richte dazu ein "Sammellager", eine Homepage im Internet ein, das sogar Spaß macht, doch wahnsinnig viel Zeit frisst, aber eingefahren muss die Ernte, das ist klar.

Ich sag mir immer wieder, schrieb ich an Barbara, es war eine Art große Bilanz, so, als müsste ich mich nach dem Überleben des Todes für meine Existenz hier rechtfertigen, so schrieb ich also: Wie gut wir es hier doch haben. Jetzt vor allem. Ich weiß, wie das ist, wenn man angstvoll aufs konto starrt. Gottseidank geht’s bei uns auch ohne auftragsarbeit mit unseren beiden kleinen renten und den beiden häusern, keine miete und sogar miete erhalten. Und durchs schuften auch etwas beiseite gelegt. Aber ich weiß auch, dass in all den 35 jahren immer was da war, aufträge! irgendwie ging es! Als wäre es ein guter geist gewesen, der da schützt. Ich seh bei euch ist es genau so. und aufträge kommen, seltsamerweise, auch nur, wenn man sie braucht. Jetzt haben wir beide keine! Komisch. Aber gerade das ist nicht gut!

Die existenzängste gehen dann tiefer, werden grausam, schlaflos, haben das ende im sinn, nicht die not-lösung.
Ja so etwas ist gut, ein literaturfestival, singen, lesen, echo, presse, publikum, rummel. Da vergisst man alle sorgen, und es sind höhepunkte. Mir ging es auf meiner lesereise im oktober auch ein wenig so. Das echo, das echo. Und immer noch kommen briefe, fotos, zeitungsausschnitte, sogar mails von zuhörerinnen, die den abend dann (sogar im chat) kritisch begutachten, mit enthusiasmuspower.
Und natürlich positives echo über das eben veröffentlichte. Vor allem, wenn es verstanden wird. Ich denk auch immer wieder an eine einfühlsame besprechung des neuen bandes, meines gedichtbandes "Tunneleffekt" in der schweizer zeitschrift "orte", die ich in meine homepage übernehmen werde. Da war von einem „modernen Totenbuch" die rede, das hat mich besonders berührt; ja, das möchte es sein.

Ja, das "Totenbuch" - Doch es ist ja auch das gegenteil davon: Ich habe eine ganze reihe von parallelen zu einer kürzlich gelesenen audiophilosophie gefunden, vor allem hat mich diese großartige CD mit Borys Groys und J. Baudrillard, berührt und nicht mehr losgelassen; es ist phantastisch, wie sich diese finis-gedankenwelt und so ein kreisen um das (noch) nicht formulierbare mit dem "Tunneleffekt" trifft; dass es hier um solch eine welt des nichttodes und des verschwindens geht. Das haben inzwischen auch andere entdeckt, und ich schicke dir einen sehr guten rezensionstext hier mit. Es gibt natürlich auch solche von dummen aufklärichten, die gar nichts begreifen! Einer ist in der basler nationalzeitung erschienen.
Dass es um eine sehr ernste sache geht, die die literatur weit überschreitet, nicht aber die poesie, die es, falls sie die abgründe erlebt hat, immer im bereich jenes transzendentalen ernstes lag, ist mir eigentlich erst jetzt ganz bewusst geworden!

Mit dem, was auch vom theoretischen her so ernst geworden ist wie die "unfertige welt" und die "embryonen des futurs", und wie das mit all den absenzen und unausdenkbaren möglichkeitsfomen sein könnte, mit genau ihnen, den "engeln" oder wie man sie auch immer nennen mag, wenn man es anders nicht kann und formen-existenzen braucht; für mich jedenfalls ist es aus mit der leicht-fertigkeit und dem spekulieren damit, schon wahr ist das elegien-wort, denn jeder engel ist tatsächlich "schrecklich". Und meine bisherige recherche mit all dem, was ich früher versucht hatte, ist gnadenlos überholt und wie ein oberflächlicher kitsch auch - aus nämlich. So hab ich nicht nur mein bisheriges "exil" verloren, das nach innen geht, sondern auch jene "Embryonen des Futurs", die ich mir aus andern sphären metakörperlich vorstellte, mit denen aber das gleiche geschieht, nämlich das verschwinden! Was zum teufel wird mir noch alles genommen werden? jetzt auch noch ein anderer bereich, ein leben damit - bis hin zum "liebesfieber", woraus dann zwei bücher entstanden sind. Zum Gedichtband "Lippe Lust" und der neu aufgelegten "Weißen Gegend" leg ich dir ein faltblatt bei über das neue editionsmodell des Heinz Ludwig Arnold. Vielleicht hast du lust über diese zukunft der bücher zu reflektieren. Vielleicht hast du irgendwann mal gelegenheit in dieses projekt und die vielen autoren die da veröffentlicht haben, von Heißenbüttel bis zu Waterhouse, reinzuschauen. Vielleicht sogar darüber zu schreiben.
http://194.163.254.241/partnerverlage/lyrik2000/schlesak_dieter.html

Tod. Liebe? Jetzt nach der operation, wo sie mir alles herausgenommen haben, ist es mit dem zweiten vorerst mal sense, auch wenn ich wunderbaren feedback habe, vor allem was den Chatroman, was also "Chatterleys in Romans Netz" betrifft, der vorerst nur auf meiner homepage greifbar und lesbar ist; bis die verlage sich da bequemen (jetzt ist das manuskript bei der frau schädlich, im verlagsmonstrum ullstein - mit allen von ihm geschluckten häusern). Naja, zukunft braucht zeit. Und wieviel ist noch da? Ich ordne mein opus und sichte es. Meinem alten Delf Schmidt, der von rowohlt zum berlin verlag gegangen ist, hab ich eben meine essay¬zusammenstellung geschickt: „Lauter letzte Tage“ (von Kepler bis Celan und Améry), 50% davon war ja schon bei ihm im Literaturmagazin erschienen.
Und da ich mit dem supposé-verlag und seiner "audiophilosophie" und dem herausgeber Thomas Knöfel (über Cioran) im anregenden kontakt bin, hab ich mir dies CD-modell abgeschaut und mir auch einen brenner gekauft, cds als archiv- und publikationsmöglichkeit, wem sag ich das…?! Kennst du den gutenberg-medien- verlag, dem ich ein hör-buch anvertraut habe?

Und so komme ich wieder zu Boris Groys, sonst verliere ich mich im administrativen, dem verwalten meines werkes aus lauter torschlusspanik; kommen wir lieber zur "illusion des endes, das ende der illusion", die es mir angetan hat, weil sie auch bei meinem werk das zentrum und herz der dort beschriebenen dinge ist, wo genau diese "kunst des verschwindens" und die unmöglichkeit des "natürlichen todes", dass alles durch "virtualität verflüchtigt" wird, zur sprache kommt. "Dieses Schicksal zwischen Klonen und Fossilen". Und all meine alten bereiche erscheinen mir jetzt aktuell, aus meinem ersten roman, den „Vaterlandstagen“ z.b. die "schicksalslosigkeit", die unmöglichkeit zu leben, die posthumen gestalten, wo nichts mehr wirklich ist. Mein ganzes leben, bis hin zu Italien und zur literatur als körpergewordenes nichts und lauter eigene gedichte fielen mir dazu ein, so aus "Aufbäumen": "Wie hast du mich gequält / Langjährige Liebe / Zeile //... Zuerst nichts als gedacht / und dann wars doch / ein ganzes Leben.“
Und aus der "Weißen Gegend": "Als wären wir Verwalter von Museen / der eignen Gegenwart / mit ihren toten Exponaten. // Kalt ist der Pol. / Die Tropen heiß. Wie / alles wir zusammenfassen können / und nie fassen."

Ja, recht hat mein rezensent, dass ich eine wut habe auf diese geschichtslose lyrik der kollegen - bis hin zu pastior heute, wobei auch diese auflösung bei ihm eine neue berührung, eine "unendlichkeit" mit sich bringt, dies inhaltslose zeichenspiel also manchmal was ein-bringt in der neu aufgebrochenen unendlichkeit, die so ungewohnt und körperlos zum fürchten ist, oder ists genau das, was die physik, etwa popper meint, dass das nächste paradigma die jetzigen naturkonstanten unseres weltmodells, also die lichtgeschwindigkeit über¬schreiten muss, das aber hieße doch, dass wir nicht nur verflüssigt, zu luft werden, sondern körperlos himmeln, "engel" werden? immaterielle wesen.
Zugleich stimmt es, dass dieser ärger auf vieles, was heute geschieht, mir manchmal durchgeht in "didaktischen einsprengseln" meiner gedichte, und dann, dass wohl das apokryphe manchmal den sinn verdunkelt, das schwer fassbare eben ins intuitive der bilder entschwindet, vieles wieder erst fassbar wird, wenn es festgemacht ist an gestalten wie Benjamin oder Celan, Meister u.a. wie das mein besprecher sagt. Schön und treffend finde ich seine formulierungen vom "aphoristischen lyriker" und den "lichten Höllen einer Menschheit, die in der potenzierten Geschwindigkeit und der rasanten Verwertung des Lebens keinen Zugang mehr zu einem humanen Tod schaffen kann." Wenn das nicht Baudrillard ist!

Was soll ich noch sagen? Vielleicht dass Groys meinung, das subjekt sei verschwunden, das soziale ich sowieso, ebenso jede art von "substanz" und "wesen" noch zu komplettieren sei, dass sich dahinter etwas ganz anderes zeige, was bisher so verstellt war, eben durch das subjekt. Wir kennen das ja von indien her, aber auch die mystik weiß davon. Und ich bin bis heute fest davon überzeugt, dass 1989 im geschichtlichen raum etwas aus einer anderen ebene, und zwar aus der zukunft eingebrochen ist, und alles total verändert hat, eben in diese "virtuelle zeit", " im abgrund der echtzeit!"
Sei umarmt von deinem alten d.!“

19.6. Pfingsten. Dann der Juli und der August in jenem Jahr. Und Vater sagte: Es war in der Woche des Johannistages, als des Täufers Enthauptung gedacht wurde und jeder wusste, dass an diesem Tag alles möglich ist, dass sogar die Gesetze der Schwerkraft aufgehoben, die Erde wieder durchsichtig werden kann, Geister und Dämonen fliegen in dieser Nacht. Und die Leute flüsterten damals, auch meine Eltern und Großeltern flüsterten, denn es stand in jenen Tagen der sowjetischen Offensive vom August 44 plötzlich die Zeit still. Mit ihrem Durchbruch zwischen Huşi und Kischinew hatten sie alles gestockt, was bisher gewesen war, auch der Tod hatte sich von uns abgewandt zu ihren Gunsten. Die gesamte 6. Armee, die halbe deutsch-rumänische Armeegruppe Wöhler (die deutsche 8. und die rumänische 4. Armee) und die rumänische 3. Armee wurden damals in fünf Tagen eingekesselt und weitgehend zerschlagen. Bis zum 30. August 1944 konnte die Rote Armee nach Bukarest und Ploieşti vorstoßen.
Wir bekamen damals wenig davon mit. Obwohl es stärkere Verluste als in Stalingrad gab.

Ich erinnere mich an ein abgestürztes deutsches Postflugzeug vor der Steilwand der Wench an der Kükülö. Die Piloten ganz klein geschrumpft, verkohlt, zusammen gepresst von der Wucht des Aufpralls, Flug und Aufschlag, Heulen. Der Rumpf hatte sich in den Acker gebohrt. Wir rannten zur Unglücksstelle: Alles war weiß und pechschwarz zugleich, so das Auge völlig geblendet, ein Loch war zu sehen. Die Erde, die Sonne schienen untergegangen. Glas, Leder, Aluminium. Die Erde war verwandelt, stillgelegt.

An jenem Tag kam auch Vater wieder nach Hause. Ich rieche noch den Tabak, Vaters Zigaretten, scharfe Kriegszigaretten. Er hat um den Mund einen weichen Zug und Tränen in den Augen, er war heimgekehrt. Aus dem Krieg heimgekehrt. Lebte. Tränen, die langsam über die Uniformjacke kullern. Keine deutsche Jacke war es. Eine harmlose rumänische Jacke. Und Mama vor ihm, vor dem nach Krieg riechenden Mann. Weinte. War stumm. Stand da. streichelte ihn, die Hand da dauernd am Arm, fuhr darüber, als müsste sie noch mehr wissen durch die Berührung, war er denn 'wirklich' da? Nein, es ist mein Geist, lachte er. Joi Istenem, as ur. Von Kessel zu Kessel sei er gewandert. Die habe er umgehen müssen oder er sei auch mitten hineingeraten, manchmal gefahren durch Schnee, Dreck. Viel Blut. Und arme erfrorene Leichen. Dann aufgetaut. Das war nicht auszuhalten manchmal. Wenn der Tod auftaut. Manchmal an ihm vorbeigefahren, er oft an ihm. Wer war es, der Mann mit der großen Sense? Nein, ein ganz anderer, der schlug einfach ein. Oder wie Mücken, tuuuiii, die Kugeln. Der sanfteste aber ist wie Schlaf, fällst um im Schnee, träumst und erfrierst. Kein schönerer Tod. Winter. Russischer Winter. Die Kleidung, Mantel auch, dünn wie Regenwasser. Da hat er sich auf den Tod erkältet. Die Lunge, die Atmung rasselnd. Erwachen jetzt!


Nun hat auch mein Bruder das Monstrum. Also Erbschaden? Ich abonniere mich bei „Prostata.de,“ der Zeitschrift, schicke G. die Internetauszüge. Und alle Telefonnummern und Adressen. Mutter ist sehr besorgt, dass nun ihre beiden Söhne diesen Krebs haben. Fühlt sie sich gar schuldig? Elfriede ist an Krebs gestorben. Helmut ist möglicherweise am Prostatakar¬zinom operiert worden.

10. November.
Lange nichts ins Tb geschrieben; vielleicht wollte ich das Thema, das Monstrum vergessen, nicht mehr daran erinnert werden?! Doch ich werde ja täglich davon bedrängt. Vor allem seit ich soviel schlafen muss, erschöpft bin. Gestern schon um 9. ins Bett. Und seit dieser Rückenschmerz wieder da ist, fühle ich mich wie lebensunfähig alt. In der ZEIT heute ein Frankensteinartikel: Im Land der Kindermacher. Kinder auf Bestellung. Eizellenverkauf von Elitestudentinnen. Aber vor allem Nachdenken jetzt darüber, wie auch so der Tod überlistet werden kann. Samen kann aus den Hoden gezogen und in einer Samenbank aufbewahrt werden. In Zukunft wird der Körper wohl so erhalten, wie früher die Mumifizierung bei den Ägyptern?

Asche bringt auch physisch nichts, sondern zeigt nur, wie sehr ich das eine vom andern trennen würde, was falsch ist: ich werde mich der Erde übergeben lassen.
Gestern auch eine neue Therapie in Italien in der römischen Klinik Fatebenefratelli, San Pietro, Mauro Pulone: Eineisen des Tumors.

Heute schrieb ich einen Brief an unsere Freundin und Ärztin: Liebe Dorothea, danke dir für die liebe betreuung, und ich habe wirklich aufgeatmet, als der test so gut ausfiel und du es nun auch wieder bestätigst!! Auch mit Hübner hatte ich lange telefoniert und ihm auch von meiner schlaflosigkeit und meinem schwitzen, vor allem der merkwürdigen schwäche und erschöpfung berichtet.
Er hat mir darauf auch einige neue tropfen verschrieben; und es scheint in den zwei wochen seit wir hier sind, auch erheblich besser zu gehen; meine alte kraft ist wiedergekehrt. Und gerade heute bei einem langen bergspaziergang habe ich das testen können, ebenso bei den vielen bootsarbeiten die anstehen; freilich bin ich etwas „wacklig“ und nicht so sicher wie bisher auf den beinen.
Ich muss das jetzt beobachten, ob die schwäche wiederkehrt.

Ich nehme weiter gewissenhaft die medikamente plus vitamine, und halte mich an die diät, esse vor allem keine kuhmilchprodukte.
Erfreulich ist, dass die inkontinenz fast total weg ist, ich brauche keine einlagen mehr. Freilich die op-stelle ist auch nach einem jahr immer noch taub und die potenz ist nicht wiedergekehrt, obwohl, - ich stelle es mit erstaunen fest, dass da wohl doch noch ein nervlein unzerschnitten geblieben sein muss oder sich neu gebildet hat, denn eine, wenn auch schwache errektion ist da. Ich las gerade im internet, dass das möglich sei nach anderthalb jahren. Jetzt gibt’s neben viagra auch ein neues potenzmittel Exense, las ich.

Kontraproduktiv, da hast du recht, ist dieser schock via urologen, telefonisch! Der idiotische psa-wert! 0,73 jetzt, der mich nicht schlafen ließ und mich durcheinander brachte mit diesen alten todesgefühlen. Aber dann kam die nachricht von euch!!! Und machte wieder alles gut! Nein, liebste Dorothea, ich halte Hübners therapie keineswegs für scharlatanerie!!! Ich habe absolut nun auf die isopathie und homöopathie von Hübner gesetzt und vertraue ihr und euch!

Deine kollegin in berlin, die bei meinem besuch sehr nett war, hat mich noch einmal darin bestätigt, und meinte, die nachricht von dieser therapie verbreite sich in berlin wie ein lauffeuer. Sie sei zuerst auch skeptisch gewesen, wegen auspendeln und so, aber die resultate seien so phantastisch, dass auch schulmediziner (du ja auch!) davon überzeugt werden!
Was den psa-wert betrifft, hat mich von seiner schwach-wertigkeit ein neues unglück überzeugt: stell dir vor, mein bruder hat die gleiche prostatasache wie ich, nur gottseidank im früheren stadium. Er ist, weil ichs habe, zu untersuchungen gegangen. Aber der psa-wert war nur 3,8. Also total normal! Der arme hat einen op-termin für den 19. Ich hab ihn bekniet, er möge noch überlegen, den eingriff zu vermeiden. Hier gibt es inzwischen sogar eine kältetherapie, dann strahlen, brachytherapie etc. auch abwarten und beobachten. Er hat erst einen minitumor.

SAG, WAS MEINTEST DU MIT DER POLYPSAGNASIE (?) (THERAPEUTISCH) HAB ICHS RICHTIG ENTZIFFERT? DIE BEI MIR EINE HEILUNG VERHINDERN KÖNNTE??
Hast du die neuen werte von Hübner nun? Kannst du sie mir gelegentlich mal zuschicken? Ich möchte sie in meiner mappe haben, auch zum vergleich.

Außerdem schreib ich ja auch an einem Krebs-Tagebuch, hab ich dir das schon mal gebeichtet?
Sogar in der klinik, schon vier tage nach der op., hab ich täglich alles aufgeschrieben.
Ich hatte ja von Anfang an, auch um mir so, wie in einer Schreibtherapie, zu helfen, ein "Überlebenstagebuch" begon¬nen und alles, was in diesem ungewohnten Grenz- und Sonderzustand vorfiel, notiert, ich führe es bis heute weiter, auch mit vielen literarischen Einschüben, Erfahrungen, Erzählungen und Schmerzen anderer Betroffener; es ist, als gehöre man nun zu einer Art Leidensgemeinschaft, zu einem Leidensclub. Dieses, aber auch vieles andere, was stimmungs- und erfahrungsmäßig dazugehört, bis hin zu gedichten, fließt in dieses buch ein; mein altes thema tod saß und sitzt ja nun spürbar in mir, war und ist identisch mit dem körpergeschehen, also sehr nah, und kaum poetisch, auch wenn ich manchmal solch eine erregung verspürte, als wärs ein umgekehrtes und negatives verliebtheitsgeschehen mit allen Schmerzen, nur, es war und ist keine süße Geliebte, sondern der Gevatter Tod, dem alle meine Gedanken galten und gelten, mir Tag und Nacht keine Ruhe ließen, mich quälten und immer noch quälen! Jedoch bedeutend weniger zur zeit!! Und das habe ich vor allem auch euch zu verdanken!

Ich versuche zu vergessen, das alles ins fabelreich und
in die literatur zu verweisen, und den aufschub wie ferien zu genießen, mich auszuruhen, seelisch und körperlich ins gleichgewicht zu kommen, hier in meinem schönen haus am meer, denn manchmal kommt mir alles vor wie ein böser albtraum, aus dem ich bald erwachen werde. Und es wird ja, sagst du, in einem jahr so weit sein.

Ich habe übrigens jetzt auch einen anderen schrecken neutralisieren können! Der stationsarzt, der zwar nett war aber blöd anscheinend, hat mich mit dem schreckensgespenst eines mikrotumors in den lymphen mit „bedauern“ „entlassen“. Jetzt, nachdem mein bruder auch geschlagen ist, habe ich mich nochmals reingekniet, den op-bericht genauer gelesen, da steht nun klar und deutlich: Ligatur der Lymphbahnen. Die schnellschnittuntersuchung der entnommenen präparate ergibt keinen Anhalt für eine lymphknotenmetastasierung.
Das hat mir, kombiniert mit eurem befund, sehr viel auftrieb und hoffnung gegeben, vor diesen metastasen hatte ich am meisten angst!
Und dazu kommt jetzt noch eine schöne überraschung von außen: ich hab den schillerpreis der schillerstiftung weimar /marbach erhalten, der wird im november in berlin festlich verliehen!“



VIII
LIEBE UND TOD – HAND IN HAND?

Ich lese in Rilkes Orpheus, es ist ein großer Trost: Liebe, Tod und Schreiben als Erlösungshoffnung. Und muss doch wieder ein Datum setzen. 28.11. Donnerstag

Das Datum / das vergangene zu Mal
Ist wie ein Todeszeichen ganz real
Zeigt es Vergehen an / und deine dir
Verbleibende Zeit noch hier
Dein Leben dir bewusst zu leben: ja lies es
Laut vermischt mit Todesängsten
Du liest hier so / als wär es Nichts.
Der Name deines Henkers.

DRUCK und Morbus. Sind seine Bilder an der
Wand /die Todesbilder. Vom Abschied hier gerundet
Mein Leben / wird alles noch mal
Wild / und jung / tut weh.
Dies ist es und es gibt / kein anderes.
Und was im Buch nur steht / hat es zerstört.

Nur Ungeduld mit dem was aufscheint jeden Augenblick
Und auftaucht ansatzweise nur / in jedem Ding
Und Blick / Langweile geht / hier nur nach außen um
Und innen brennts / als wäre dieser Abschied
Der uns tötet / nun genug.

Rilke:
(XIII) Sei allem Abschied voran...
Sei allem Abschied voran, als wäre er hinter
dir, wie der Winter, der eben geht.
Denn unter Wintern ist einer so endlos Winter,
dass, überwinternd, dein Herz überhaupt übersteht.

MEIN Vogel der aus deinem wehen Herzen singt
Der das Vergangene Leben wieder bringt
Als wär er allem Abschied schon voran
Als es uns gab / nun in mir selber klingt.


Auch er Atom, na und wohin
Mein Freund / tauch tief in dein
Inferno / wo die Schatten blühn.

Und alles ist
Nichts als Kontur.
Doch… die Uhr… die Uhr…

Doch schon unser Leben hier vor der Krankheit und dem Liebesverlust war so schön, hier ein Stimmungsbild von „damals“ auch zur Liebe mit Hanah:

Gedächtnis sublime Reihen, ich sehe die Reben auf dem Feld, ich trinke zu viel Wein: Was ist es, was uns weiter gab, wie das grüne Holz seinen Sinn. Zusammen Hang mit ihnen? Mit Syrten, Bougain-villea am Haus zu Haus. Noch ein Glas, bitte! Hier ein Südwort und ligurische Komplexe und das Herz hier in dieser Gegend höher ge-schlagen? BLAU machen ja. Und Blüten sind das Entscheidende, wir sind wieder zusammen! Und ich bin nicht mehr allein! Blau Herrgott Hieroglyphe, und bald weit: Blau im Meer, es schimmert in der Ferne wie Schöpfungs-Dämmer…
Spinnst du? Ja, ich spinne. Und gern!.
Hannah und die Freunde sagen es, meinen es auch.
Lass ihn, er schreibt ja! So kann er die Zeit aufhalten, die ihm Angst macht!
Merkt ihr es, wir leben hier weiter im Satz, ich bin euer Lebensretter, sage ich dann, um mich zu wehren, meine Liebe nicht zu verraten! Und sie lachen nur. Dieses ist das eigentlich Unmögliche: Leben ist trotzdem möglich. Sogar Schönheit! Sage ich zu Hannah.

Und heute liegt es wie Glück in der Luft; der Morgen ist taufrisch und jung, und ich hatte plötzlich Lust zum Barfuß Gehen im Morgen-gras; Duft und Klang, es riecht nach Pinien und nach frischer Früh-lingsluft, nach Berg und nach Kaminrauch. Langsam, alles ganz lang-sam tun, mit vielen Pausen und ruhigen Atemzügen. Nur manchmal das Tier mit vier Füßen, schwer atmend, schnaubend und hechelnd im Rhythmus der gemäßen Natur und den hochschießenden wunderbaren Säften. In Transsylvanien roch es nach Erde, Heu, Zwiebeln, Kamin-rauch, und sauer nach Schweiß, nach festem Boden, und nach einem andauernd sicheren Glück. Das Kind hatte kaum sprechen gelernt, kaum laufen, wie sollte es da etwas vom schnellen Zeitempfinden wissen können, hie und da ein stinkender Uraltford auf staubiger Landstraße, der wie ein Ungetüm krachend und hupend dahin kroch und 20 Kilometer in der Stunde zurücklegte, da ist erst jetzt noch im Geruchssinn und am stärksten nackt in der Sonne und im Frühjahrs-gras einer Blumenwiese, eine so starke Wahrnehmung des flüchtigen Daseins, und auch im Parfüm meiner Mutter, dass ich sehr traurig bin über das Verlorene, das sein musste, immer weiter sein muss, bis dann nichts mehr existieren wird!

Nur außen schlugen damals die Uhren mit langen Pendeln, sogar Ku-ckucksuhren mit einem bunten Holzvogel, der vor Schmerz zu schreien schien, dass schon wieder eine Stunde vergangen war, wenn er dort im Türchen erschien; das aber merke ich ja erst jetzt, jaja, das Gedächtnis, sublime Reihen, ich sehe die Reben auf dem Feld, ich trinke Wein: Was ist es, was uns weiter gab, wie das grüne Holz seinen Sinn. Zusammen Hang mit ihnen?! Ein Tag war eine Ewigkeit, lang, lang, wie heute ein Jahr. Und ein starkes, fast zu lautes Gefühl für sich selbst dort in der Öffnung und im Haar, erinnere ich heute noch, ach, Erinnerung vergangener Liebe, und blitzartig kamen die Empfindun-gen, taten fast weh, und ich wusste es ja nicht, dass ich durch ein haa-riges, stark riechendes Tier, durch einen Schlauch im Dunkeln raus gestoßen worden war, mit klebrigem Blut hinaus ins Kalte. Und dass ich vorher in einer ganz anderen, einer großen Stadt gelebt hatte, Hella dabei war, dort im Licht, wo man fliegen konnte, und jeder Gedanke sofort zu einem Ding oder zu einem Menschen wurde, und dass man sich hier auf der Erde lebenslang wie nach einem verlorenen Zuhause sehnt, und nur nachts manchmal im Traum dort in jener Stadt sein darf. Früher, da tat ich nie etwas anderes, nur das, was ich sah, jetzt aber waren meine Augen müde, Einsamkeit der Augen, hatte jemand gesagt, und ich hatte nun auch hier in diesem toskanischen Bergdorf, wohin ich meiner Kindheit nachgezogen war, etwas Neues geübt, zaghaft und langsam an die Dinge heranzugehen, als würden sie sich wieder in ihr Inkognito zurückziehen können, die Bekanntheit, die mich fluchen ließ, aufgeben, und sie so, wie als Kind aus der Sprache fallen lassen, scheues Auftreten angesichts des unfassbaren Abgrundes bei jedem Schritt, Respekt, anstatt des heute üblichen Zynismus. Er-leuchtung der Langsamkeit, dachte ich: Nie, nie schnell werden. An-statt nur Erinnern, lieber wirkliche Pausen; Zartheit, Zärtlichkeit, schon mit den einfachsten Dingen und durch sie, wenn wir es merken, scheint etwas Undenkbares hindurch. Und ich legte die Hand auf den angewärmten Stein der Treppe, auf dem ich saß, und tastete die Ver-tiefungen und Rillen dieser Landkarte einer Stein gewordenen Erinne-rung von Milliarden Jahren nach, ließ dann auch meine Finger den Stein abtasten, den warmen Körper, die Waden. Und die Katze schmiegte sich mit zwei ihrer Jungen, reizenden flaumig geschmeidi-gen Geschöpfen, die keine Schwerkraft zu kennen schienen, an mich, und sprangen in kurzen hohen Sätzen dem Spiel der Sonne und der Schatten nach.
Nicht "Südwelt" suchen/ 0 (Null) Agliano (=alienus) heißt mein Ort hier. Hier/Hier/Jetzt ein Quant kein Traum / wenn die Sekunde tickt ein Riss im Ding, der Lorbeer blüht in dem Canale waldwärts und glüht hinab ...
L'Eternité. C´est la mer allée Avec la soleil.

Aber die Liebe hilft leben, sie ist vielleicht eng an das Vorherrschende im Alter, an den Tod gebunden. Es ist wirklich Zeit, mich um Hella zu kümmern; es geschieht oft, dass sie einfach für Wochen verschwindet! Und hatte sie es, die Jüngere am besten verstanden, besser noch als ich, worum es ging? Sie hatte mir in ihrem „letzten“ Brief, es kann immer der letzte sein! geschrieben: „Die Antriebsfeder nach (erotischem) Austausch ist bei Alt die Sehnsucht nach "Vererbung", "Weitergabe" und dadurch "Weiterleben" bzw. "Aufleben", "Hinauszögern", "Verschleierung" eines Realitätszustandes (= Tod). In der Erotik mag es wohl die Illusion nach neuem Leben sein, das "Sich Spüren", das Herbeisehnen eines Zustandes, den man mit 20 ebenso intensiv erlebt wie mit 70. Die Lust, die Freude, die Liebe, das Leben. Der fortschreitenden Zeit ein Schnippchen zu schlagen! Das Verbleibende verzweifachen oder verdreifachen durch die Intensität des Erlebten! Und nach mir die Sintflut!“

Ich müsste ja einfach nur etwas aus unserem gemeinsamen gelebten und geschriebenen „Roman“ hier einsetzen, um alles aufzuhellen, das Leben wieder lebbarer zu machen:

Unsere erste Begegnung, nachdem wir uns schon acht Monate durch Telefon, Chat und Schreiben kennengelernt hatten? Ein Wahnsinnsaugenblick:

Da, ja, da kam ein dunkler Golf um die Ecke, hielt am Taxistand, ich rannte darauf zu, eine Autotür ging ungeduldig auf, und da tauchtest du hinter dem Wagen auf, zuerst dein Haar, dein Gesicht mit den großen Augen, dein schwarz¬gekleideter Oberkörper … wie aus einer Versenkung kamst du hoch, wie im Märchen oder auf der Bühne, als käme da Teil für Teil aus dem bisherigen Nichtsein in den Alltag, aus einem Abgrund der Zeit tauchtest du langsam auf, und Du warst da, warst es, die Niegesehene im vollen Licht des wirklichen Tages, zuerst im stehenden Augenblicksbild, und wie nicht erkannt, staunend starrte ich das Bild da an, fülliger, runder, grösser, dunkler auch als erwartet, nur ein kurzer Blitz da des Sanftrunden, Madonnenartigen, Dunklen, sehr ernst und erwartend-prüfend, doch schon mit einem Widerschein des Vertrauten – als sich dieses Dunkle, diese großen Augen auf mich richteten, die bisher auf eine Gruppe von diskutierenden Männern am Eingang gerichtet gewesen waren, wo du mich wohl gesucht hattest, und später erfuhr ich, dass du wirklich dachtest, ich sei jener Reisende dort im Mittelpunkt, der schon Bekanntschaften geknüpft hatte und sich nun von denen verabschiedete; da aber, als du mich sahst, wie ein freudiges Wiedererkennen, ein aus aller Ewigkeit herausgeschnittener Moment gewesen sei, wo die Welt um uns versank…

…Und du liefst um das Auto herum auf mich zu, ich ließ die Koffer fallen und wir lagen uns zum ersten Mal in diesem Leben in den Armen , umschlangen uns … versteckten wir uns einer in den Armen des Anderen voreinander? Nein, nein, nichts wollten wir, sondern wir bekamen Geschenke: wir bekamen mehr, mehr als nur das Gesehene, das Erkannte, wir sanken durch uns hindurch, vom ersten Augenblick an dort am Bahnhofsvorplatz, auf dem Trottoir zwischen Autos und Menschen, allein mit uns, als wären wir nur kurz getrennt gewesen, und nun dies WIEDERSEHEN… alle Befürchtungen wie weggewischt.. wir waren nachhause gekommen… zu uns, zu uns wollten wir kommen durch die Wärme des Körpers hindurch, der das ausstrahlte, was wir im anderen suchten, was wir ja kannten, wieder erkannten an uns. Dein Haar, dein Duft, der Kuss auf die Wangen, nein… scheu auch auf den Mund, kaum geöffnete Lippen… alles doch auch noch fremder als zuerst gefühlt am Körper noch unerkannt etwas, das aber zu uns eilte wie ein Herzschlag, immer zwei Herzschläge voraus?

Was sagten wir, sagten wir etwas? „Bist du das?“ „Bist du das wirklich?“ Klar, wir sagten, flüsterten unsere Namen. Ich versuche, es zu erinnern: gab es Tränen der Freude, schnelleres Atmen, Herzklopfen, ja. Hattest du die Sonnenblume schon in der Hand? Ja. Ich nahm die arme kleine Rose, die kleine gelbe Wiesenorchidee aus meinem Garten, die 2 Tage gedarbt hatten. Nein kein Augenblick der Verlegenheit, nichts unausgefülltes, keine verlegene Geste, Kofferraum Öffnen oder so, alles wie selbstverständlich und ganz natürlich, so liefen unsere Sekunden zum erstenmal gemeinsam im hellen Licht zusammen ab; im Kofferraum das Gepäck verstaut, die Türen geöffnet, der Beifahrersitz… ja, wann nahmen wir uns zum ersten mal an der Hand… vielleicht schon gleich nachdem ich den kleinen Koffer verstaut hatte? Was redeten wir? Die Stimmen waren uns ja so vertraut, und jetzt gab es den Körper dazu, die Stimme lief, hatte zwei Beine, einen Kopf, Haare, Brust… Hände. Sagte ich? Bis wir Körper und Stimme zusam¬men¬bringen, wird es noch dauern? Aber es gab ja jene gefürchtete Fremdheit nicht… auch das lachende vorherprophezeite „Grausen“, mit dem wir uns abwenden und flüchten würden natürlich nicht, das waren ja sowieso unsere Lästerzungen gewesen! Angst? Falten? Altersunterschied? verdeckte Lider, dunkel umschattete Augen… Keine Spur. Ja, wenn ich flüchten werde, hattest du am Telefon mal gelacht, dann nehme ich alles, was ich von dir habe, Briefe, Bücher, Geschenke und mach ein großes Feuer!

Wie selbstverständlich fanden sich unsere Hände beim Fahren, deine Rechte, meine Linke, sie passten wie füreinander gemacht, deine rundliche wie ein kleiner Vogel in meiner. Und das ist ja nicht selbstverständlich, die fremde Hand kann man ganz unangenehm in seiner fühlen, wenn das Gefühl nicht stimmt, es wird fremd und peinlich. Bei uns aber wollten sich die Hände gar nicht trennen,

Erstaunlich ist, dass im Gespräch hier in C. seither plötzlich Dinge hochkommen, die ich gar nicht gewollte hatte. Meist wird ja über allen möglichen Unsinn geredet, Einkäufe, wie früher Passübergänge, Kinder. Banalitäten, und ich mich beleidigt zurückziehe, weil über meine Sachen nicht geredet werden kann, Hannah dient den meisten als Katalysator, sie ist dann mit allen Gästen ein Herz und eine Seele, und sie schwatzen mit Vergnügen, geben auch ein wenig an, wie Hannah auch, und ich komme dann, platze mit der Frage rein, warum sie denn das Fernlicht vom Auto, wenn sie spät heimkommen, nicht ausschalten, da es unsere Fenster abtaste, direkt herein scheine, uns erschrecke... Hannah sieht mich dann entgeistert an, und eine peinliche Gesprächspause entsteht. Noch während ich es sagte, wusste ich, dass das Unsinn war ... und die Nachbarin eine sehr diskrete und feine Frau, eine deutsche Bildhauerin, beteuerte dann auch, dass sie nach der Kurve in unserem Weiler, und wenn sie in die enge Gasse, die unsre beiden Häuser verbindet, ein mulattiere, nie das Fernlicht einschalte. Eigentlich war sie unsere Mieterin, was die Sache noch peinlicher machte, weil es wie ein Verweis des gestrengen Mieters klang ...

Während ich das noch dachte, überfielen mich wieder jene Überflutungen ... das wahnsinnig helle Licht über unserm Haus, das auch die Wiese abtastete, ins Zimmer kam ... mich, wie ich nun mit Schrecken dachte, auch hoch gesogen hatte ... Und wieder konnte ich mich nicht wehren, die Bilder kamen ... und ich entschuldigte mich, ich müsse noch eine Arbeit für den Funk fertig stellen ... und sie waren ja unangemeldet gekommen, morgen müsste ich es nach Berlin faxen ... Wieder ein Fauxpas, und Hannah sah mich strafend an!

Ich hatte es nicht über mich gebracht, Hella meinen Zustand zu schildern. Sie war ja auch lange Zeit in den USA, ein Doktorandenaustausch, so dass sie von der OP und dem ganzen Elend nichts mitbekommen hat. Doch dann, es war im Februar, kam die erste Wiederbegegnung.

… Wir saßen wir in einer Wirtsstube. Du bestelltest, ich glaub aus lauter besorgtem Mitleiden, eine leichte Suppe, die ich dann auch nahm, denn ich hatte Magenschmerzen, und du strichst mir mit den Blicken und Händen immer wieder übers Gesicht: Wie du strahlst, wie schön du bist. Kein Wunder, wenn du da bist, sagte ich, Deine Liebe ist wie eine Medizin! Das was ich bin, kommt alles von Dir!
Was sollte ich da sagen, wie dir meine Bewunderung für dein Aussehen zurückgeben, ohne zu hudeln. Ich wollte keine Komplimente machen, du solltest diese spüren, dies rückhaltlose Eingehen auf alles, was du bist, ausstrahlst, fühlbar machst in diesem kleinen Raum, der zum inneren Spiegelsaal der alles heilenden Liebeszärtlichkeiten wurde. Das Leben wieder spüren und in mich kommen lassen!

Die Wirtin kam mehrmals, brachte Brot, brachte den Tee, brachte den Saft, zuletzt die Gemüsesuppen, deine, dann meine… und bei diesem letzten Gang saßen wir wieder eng umschlungen auf unserer Bank und küssten uns gerade… sahen noch wie die muntere Madame plötzlich ganz verschüchtert wurde, und ihr, wie von einem zu starken Licht getroffen, sie in einem seltsamen Seitwärtsslalom, um uns so zu sehn und gleichzeitig nur abgewandt zu sehen, zwischen den Tischen davon glitt. So aus dem Kuss geweckt, folgten wir diesen seltsamen Übungen amüsiert mit unserem Blick, der einer war, und mussten wieder unbändig lachen, wie so oft an diesem Tag, der so unendlich lang schien wie in der Kindheit.
War es der Altersunterschied, den wir liebend überbrückten, ganz natürlich und völlig ungeniert uns küssend zeigten, der alle zu so seltsamen Kapriolen brachte? Drehten sich ihre Gedanken wie ein Kreisel? Es hätte ja Vater und Tochter sein können, aber die tun das ja nicht öffentlich, also doch Geliebte und Geliebter. Und dachte es auch der spindeldürre gebückte Alte in Holzfäller- oder Jägertracht, warum ICH nicht? Als er sich mit schiefem Blick immer langsamer an uns vorbeitastete, mit einem „Guten Abend“ die Eingangstür hinter sich schloss, nach einigen Minuten aber wieder auftauchte, sagte ich mit ernstem Gesicht, dass du wieder lachen musstest: „Der hat sich doch vorhin verabschiedet?!“ War er da, um noch mal nachzuprüfen, ob er richtig gesehen hatte, oder um sich mit scheuen aber intensiven Blicken zu vergewissern, dass er doch nun gar nicht so alt sei, wie er es vor dem Spiegel immer gedacht hatte?

Was sprachen wir, was erzählten wir den ganzen Abend, nicht viel, glaub ich, wir sahen uns an, wir streichelten uns, wir küssten uns, wir fassten uns an den Händen, wir spürten unsere Anwesenheit, tauchten ineinander ein, schmeckten, kosteten, rochen, betasteten auch das unsichtbare, das Ausstrahlende, nichts sonst, Gedanken blieben draußen, unsere Arbeiten, alles Geschwätzige auch, alles nur Intellektuelle, unser Sein war es, es war ja noch ganz früh als wir gingen, erst gegen sieben, holten noch unser Gepäck aus dem Auto, alles langsam, nie mit Hast, alles, was manchmal an mir, auch anfangs, schusselig war, hatte sich in unserer Auratarnkappe völlig in Ruhe verwandelt, und auch unsere Gesten und Bewegungen waren genau aneinander angepasst, sogar der Atem, der gleiche Rhythmus nicht nur im Herzschlag. Man sah einige Sterne, der Bach rauschte stark, die würzige Luft ließ besser atmen als in der stickigen Wirtsstube; doch das alles war schwach, die Sinne waren nach innen gewandt, nein, keine heftige erotische Regung, kein starkes Begehren, miteinander zu schlafen, alles war nur zärtlich ineinander, eine große, heitere Ruhe, die Außenreize hatten kaum Chancen, nur die Hautreize, doch die waren Seelenreize, ich fühlte deine Hand, deinen Kopf zärtlich und hingebungsvoll, so vertrauend an meiner Schulter; wir fühlten uns viel stärker als den Himmel und die Sterne, ich fiel in dich, du in mich.

Ich habe Hella während unseres Zusammenseins den Krebs und die OP nicht gestanden, ich wollte dieses Zusammensein nicht stören; erst nach dem Abschied, und über einen Mailbrief wagte ich es aus gehöriger Distanz; ich dachte: sie würde mir sicher schwere Vorwürfe machen. Und ich war dann auch wie erschlagen über ihre Reaktion. Ich schrieb ihr:


Liebe Hella, ausgerechnet heute war wieder der teufel los mit meiner mutter und dem heim, daher komme ich so spät wieder.
Ich hab zweimal versucht, dich zu erreichen, aber wahrscheinlich bist du weg, geflüchtet. Ich muss dauernd an dich denken seit deinem weinen.
Es tut mir so leid, so weh, dass es dich so aufwühlt, ich wusste es ja, und ich hätte es dir auch jetzt nicht sagen sollen; warum sollst du so belastet sein, so schreckliche gedanken haben, so nicht zu deiner ruhe finden, und es gibt so viel zu sagen, auch dass nie unser jahr so reich gewesen wäre, hätte ich es dir gesagt! und DIESER reichtum bleibt, aber ich hoffe, dass alles, was zu uns gehört, uns auch weiter beschenkt, wie bisher.

Dann kam ihre Antwort, die war dann seltsam cool:
Bitte schicke mir alles, alle Unterlagen und Werte Deiner Operation und auch die neuen Werte der letzten Untersuchung, damit ich eine klare Vorstellung von Deinem aktuellen Zustand haben kann.

Und meine Antwort:
Ich bin am Akademischen Lehrkrankenhaus der Uni Tübingen in Stuttgart, Urologische Klinik, von Prof. Dr. Eisenberger am 8.6. vorigen jahres operiert worden. Eisenberger ist einer der besten spezialisten nicht nur in Deutschland.
Mein Urologe hatte das karziniom bei ultraschall ausgemacht, die biopsie ergab ein karzinom mit dem wert pT2b pl/1, Ux, G IIb.
Die blutuntersuchung ergab einen psa-wert von 34. Die kapsel war also durchbrochen.
Aber die knochenuntersuchung (sintigramm) ergab gottseidank null. Sonst wäre keine op mehr möglich gewesen.
Wichtig aus dem op-bericht ist: „Ligatur der Lymphbahnen. Die Schnellschnittuntersuchung der entnommenen Präparate ergibt keinen Anhalt für eine Lymphknotenmetastasierung.“
Es war eine körperliche (3 wochen krankenhaus) drainage etc. mehrfach bei „lebendigem leib“, ohne narkose und vor allem eine seelische tortur. Ich hatte den tod im leib. Ein jahr lang waren meine lebenskräfte und meine gedanken wie gelähmt. Ich habe mich meditierend und vor allem schreibend psychisch aufrecht zu halten versucht, schon am dritten tag im krankenhaus, dass ärzte und schwestern mich für „verrückt“ hielten, so mit dem pc im bett zu liegen wie mit einer geliebten, doch als sie erfuhren, dass ich tagebuch schreibe, waren sie alle plötzlich interessierter und freundlicher, beflissener…, was mich amüsierte.

So schrieb ich dieses „Überlebenstagebuch“ in dem wir uns gerade befinden.
Das alles hat mich sehr geprägt, wie selten etwas in meinem leben, und du weißt es ja, wie sehr ich auch bisher mit dem tode umgegangen bin.
Seit Oktober ist alle 3 monate eine untersuchung fällig. Ultraschall, urin testen, psa-wert. Bis januar ergaben sich immer nur gute werte. Dann gab es eine „zyste“. Doch der arzt meinte, es sei nichts „besorgniserregendes“, mal sehn.
Leider ist aber der psa-wert langsam ansteigend. Er ist allerdings auch schon runtergegangen. Bei der letzten untersuchung anfang januar war er bis zu 2,6 angestiegen, was viel zu hoch ist!
Nach der OP 0,4. Bei höheren werten droht eine hormontherapie, die ein unguter eingriff in den körperhaushalt ist.
Bisher habe ich nur eine therapie nach dr. hübner, und eine misteltherapie nach dr. Müller/dr. Wagner in Stuttgart gemacht. Beides hat sicher gut angeschlagen und den psa-wert auch zeitweilig gedrückt. Ich spritze mir jeden zweiten tag subkutan die mistel. Es ist erforscht, dass es hilft.

Aber wenn du möchtest, erzähle ich dir viel mehr, alles, was du wissen willst; du hast ein recht es zu erfahren. Doch bereue ich es nicht, dich nicht von anfang an damit belastet zu haben.
Und eigentlich habe ich es dir schon mehrfach, aber nicht im klartext, „zu verstehen gegeben“. Immer sehr zaghaft, immer unsicher. Zum letzten mal jetzt, gestern, als ich vom „todesmonstrum“ in mir sprach.
Und es war noch bevor du mir diesen schock versetzt hattest heute. Es war eigentlich eine reaktion auf dein traum- „zwiegespräch“ über den tod, wo mein körper als hülle zurückblieb. Und mich sehr hergenommen hat, vor allem auch, weil es so intensiv, ja, poetisch und abgrundtief und von DIR kam. Und ich ahnte, dass du es intuitiv längst aufgenommen, unbewusst kenntnis davon hattest.

Es ist nicht so, dass ich körperlich irgendeine veränderung spüren würde. Ich fühle mich gesund, und vital und allen anstrengungen gewachsen, etwa auch beim laufen, schwimmen oder auf dem boot, beim nachtlang Auto fahren sowieso. Und ich lebe auch so, als wäre nichts geschehen; nur die seele ist nicht mehr jene so optimistische, fröhliche, wie ich sie vorher hatte. Und doch arbeite ich und plane ich, und so war es auch in meiner liebe zu DIR, wie als ganz gesunder mann, bis mich dann eiskalt der schock überkam, und mich wie ein blitz zum nachgrübeln brachte oder mich lähmte, dass ich alle kraft darauf verwenden musste, dich die auswirkungen des monstrums in der liebe nicht spüren zu lassen. Denn auch der eros ist beeinträchtigt… du weißt… Und ich erinnere mich noch an der Mosel, wie du alles versuchtest…. Und es dann wohl als „alterserscheinung“ ansahst… oder gar nicht mehr weiter darüber nachdachtest… wie du doch so gerne meinen samen hättest schlucken wollen…. Was immer daran erinnert und schockt. Nicht die orgasmusfähigkeit ist behindert, sondern die zeugungsfähigkeit, doch sogar diese ist, wenn auch beschränkt, vorhanden die samenproduktion hat ja nie aufgehört und geht weiter.
Zweimal tragödie also, die UNS bestimmte, keine freie entscheidung möglich machte. Und du kennst mein weinen…
Und dieses Monstrum hat mir das ganze so heiß und kalt scharf bis in die knochen noch viel intensiver, unerträglicher als schlag spürbar gemacht, als wenn ich nur noch damit, also mit einer negativen Geliebten, und ohne meine liebe zu dir gelebt hätte! Es wurde extrem stark, und der todesgedanke durch die liebe so extrem nahe gebracht, wo das leben beginnen sollte, stand wie eine Mauer das Monstrum davor!

Egal, was passiert, schriebst du zurück, ich bleibe an Deiner Seite! Und wenn das Schlimmste einträte, würde ich meinen Wohnort einfach ins Krankenhaus verlegen. Wie das mit Hannah wäre, weiß ich nicht. Aber vielleicht würde sie es verstehen. Ich wäre auch heute ins Auto gestiegen und zu Dir gefahren.

Hella, meine liebe, du. Als wir davon sprachen, dass ich möchte, du solltest in meinen letzten stunden bei mir sein, dachte ich an diese todesnähe, und es wurde mir so dankbar heiß ums herz, dass du so weit denkst, bis in den tod mit mir sein willst.
Und es rührt mich zutiefst, wie du zu mir stehst. Und ich verstehe so viel mehr, auch das von heute morgen! Deine unendliche stärke bis ins absolute, was ja da seinen platz hat, auch in dem, was jetzt passiert. Und dass du sofort kommen wolltest… oh, Hella! Bald! Ja?
Ich möchte dich sehen. Ich werde sehr bald nach deutschland kommen. Und sage dir in diesen tagen, wann.
Die liebe durchleuchtet mir den tod, bewusster, aber auch tröstlicher.
Ja. Krankheit relativiert Vieles.
Ich empfinde es normalerweise gar nicht als krankheit.

Hella am Telefon: Es wird auch für meinen Freund einiges relativieren, denke ich.
Aber es ist nicht gut, dass Du mir erst jetzt sagst, dass Du Prostatakrebs hattest und operiert wurdest. Und dass Du es nur unter diesen Umständen sagtest.

D: Ich sagte es nicht „unter diesen umständen“, ich sagte es gestern wegen deines todes-„zwiegespräches“, und nahm es heute nur auf, dachte, du hättest im grunde verstanden.

Hella: Ich bin die Wahrheit wert, D. Ich fragte Dich so oft nach der Narbe und Du hattest die Gelegenheiten dazu. Nie wäre ich kreischend davongelaufen, oder hätte Dich nicht mehr berührt. Im Gegenteil.

D: Ja, ich hatte die schon beschriebene hemmung. Vielleicht sogar scham, das nichtkrankseinwollen, dem geliebten menschen GANZ und gesund gegenüberzutreten. Vielleicht ist auch etwas stolz dabei. Aber sicher, etwas hielt mich zurück. Nicht weil du nicht wert gewesen wärst, mein gott, es zu wissen, nein, im gegenteil, doch ich fürchtete eine radikale veränderung, und das blockieren der offenheit unserer geschichte. Glaubte auch an wunder, dass vielleicht, doch eine heilung möglich sein könnte. Gentherapie etc., dass etwas gefunden wird! Gegen die Pest wurde ja auch etwas gefunden! Und dann: ich wollte leben, nicht sterben. Leben mit dir. Und lebte mit der hoffnung, immer wieder mit ihr, dass ALLES einmal möglich sein würde… Und auch auf radikale entscheidungen, vor denen dann letztlich DAS stand. Immer wieder aber, immer wieder kam dieser starke lebenswille hoch, gerade weil die zeit zu kurz ist, um sie total nützen zu können. MIT DIR, DIR das, was ich habe, noch GANZ zu geben, ALLES, was noch möglich ist. Weil die liebe ja HOFFNUNG IST, zukunft ist, und ich… das war ja das furchtbare lebensdilemma, ich hoffnung nicht mehr haben durfte! Und es wer so paradox: wenn ich mich zur radikalen entscheidung, hier wegzugehen, mit dir zu leben, gekommen wäre, hätte ich es dir vorher sagen müssen, und dann hätte ich mir ja das verstellt, genau das, was meine hoffnung war. Das war MEIN buridans esel. Was glaubst du, wie ich mich dabei herumgequält hab, nächtelang. Ja, und gerade mit dir hätte ich es besprechen müssen! Ich weiß…

Hella: Es ist nun so, wie es ist. Ich möchte mir ein Bild von der Krankheit machen, damit ich damit umgehen kann. Dein Alter kommt Dir auch zugute. Die Krankheit bleibt lieber faul und bewegt sich nicht. Und es wird die 10 guten Jahre noch geben. Weil ich daran glaube. Und weil das Leben da ist.

Ich habe dir das bild davon in zahlen und befunden hier mitgeschickt. Frag noch, wenn du etwas wissen willst. Doch wenn wir uns sehen, werde ich noch viel erzählen.
Die Zellen wachsen nach 80 nicht mehr. Leider bin ich noch nicht alt genug, das ist bei ganz alten der fall und ich bin noch zu jung für diese faulheit der zellen; langsamer freilich sind sie gottseidank schon.
Doch ich hoffe es auch, Hella, liebe, dass es die zehn guten jahre gibt, und ich werde alles dafür tun, mit allen therapieen und auch mit dem lebensstil und der psyche, die sehr wichtig ist, um die ZEHN zu erreichen. Alles ist da besser, stärker, ausgeglichner jetzt. Auch die lebenskraft. Und ich glaube sehr, dass du, meine liebe, du, meine liebeskraft, mir so sehr auch geholfen hast, dass der aufstand der lebenskräfte und der positiven psychischen verfassung, die du mir bis ins unbewusste, ins herz und in mein hirn und in meinen bauch gepflanzt hast, diese jahre erstrecht möglich machst.

Und noch etwas: Krankheit darf niemals ein Erpressungsgrund für Gefühle sein. Das wäre ein moralisches Verbrechen. Aber das weißt Du. Und Du weißt, wie ich darauf reagieren würde.

Ich habe es nie getan. Es gab genug Gelegenheiten. Und ich werde es nie tun. Das was du mir schenkst, ist so einmalig, so unendlich. Und wenn gefühle nicht da sind in achtung und stärke, wäre ein ersatz durch mitleid das schlimmste, das gegenteil zweier freiheiten und einsamkeiten, die sich auf gleicher ebene der liebe treffen.
Und gestern hatte ich es dir nur „gebeichtet“, weil mich dein zwiegespräch mit dem tod so sehr getroffen und betroffen gemacht hatte, dass ich mir dachte, es muss deine intuition sein, die es WEIß! Dass dies von dir längst aufgenommen und ins fühlen gebracht worden ist.

H: Nein, ich wusste nicht von Anfang an, dass Du krank bist.

Ich hatte Hella dann als eine Art Wiedergutmachung und als Teilnahmeangebot für jenes, was sie durch mein Schweigen versäumt hatte, das Überlebenstagebuch geschickt. Sie gebeten, sich dazu zu äußern; es war eine Fortsetzung unseres langen Gespräches!
Und sie schrieb zurück:

Lieber D.,
Du wolltest wissen, was ich über Dein Überlebens¬tagebuch denke? Die Donnerstagmail ist verschollen, weil sich die Mailbox bei den rausgehenden Sachen von selbst aufräumte? Ich weiß ja noch, was ich ungefähr schrieb. Mein erster Impuls war, dass ich mir in der Rolle der Voyeuristin Deiner schweren Lebensstunde nicht gefiel. Also änderte ich den Blickwinkel und sagte mir, dass ich ja auch eine Freundin bin und Du ein Freund, dass wir Freunde sind und damit ging auch das Lesen besser. Wegen der Form: Was mich immer ad hoc stört, ist, wenn Text nur stichpunktartig verarbeitet wird. Klar, es ist ein Tagebuch und mit Drainagen und Sense im Genick, wirst Du keine Lust zum Ausformulieren gehabt haben. Umso stärker hauen dann die Worte rein, denn Dein Wille zum Schreiben und zum Betrachten von Außen, was innen passiert, ist unglaublich! So springst Du dem Tod von der Schippe! Inhaltlich ist es die Hölle. Was Du erlebt hast, geht auf keine Kuh- aber scheinbar auf die D.-Haut. Ich habe ziemlich geweint, als ich einige Passagen las. Geweint vor allem wegen Deiner Bedenken, wegen des Ungelebten, das Du Dir in dieser schlimmen Zeit vorwarfst und weil der Tod dann umso schlimmer ist. Auch das Nicht –ausleben--können von gestauter Zärtlichkeit, die doch jeder Mensch hat. Das ist schlimm, wenn man so dran ist, im Krankenbett, und sich dieser Dinge bewusst wird, die dann wie Zentner auf einem lasten. Deine starke Natur hat mich bewegt. Tagebücher, die man zum Lesen gibt, sind ja auch immer irgendwie beschönigt. Hier hatte ich eher den Eindruck, als wären die Eintragungen authentisch.
Stark kommt Deine soziale Zerrissenheit heraus. Ich denke nicht, dass Du von Dir aus die Menschen nicht magst, das Äußere so dermaßen meiden willst. Ich erlebte Dich ja einige Male sehr froh und glücklich, sei es im Supermarkt oder beim Schwätzchen mit irgendwelchen Fremden, die unsere Wege kreuzten.
Und Du hast auch im Tagebuch dieses große Interesse an Lebensumständen der Mitmenschen, die Du teilst, indem Du sie aufschreibst. Sonderbarerweise habe ich bei Deinem Tagebuch eher den Eindruck gehabt, dass nicht der akute Tod Dir die meiste Angst macht, sondern das Leben! Die Menschen. Die „Umstände„ Du hörst Dich so gefangen an. So, als könntest Du den Tod viel leichter überwinden, um zu leben, das Leben aber unüberwindbar da ist als ein Gegebenes, das lähmt und doch nur wieder zurück zum Schreiben treibt, wo es ungefährlicher ist. Ich mag mich täuschen. So war einfach der erste Eindruck. Bewundernswert ist Dein Durchhaltevermögen und der absolute Wille, Dich nicht unterkriegen zu lassen. Erschreckend sind die Träume, die Mutter, die will, dass Du den schon gekauften Sarg auch gefälligst mit Deinem Tod „ausnützt„ und somit bezahlst, damit sich die Ausgaben rentieren. Und bedrückend ist die Bitterkeit, die manchmal angesichts in Deiner Lebensgeschichte vorkommender ProtagonistInnen durchschimmert.
Es wimmelt vom Sterben, der Gedanke, Italien zu verlassen ist scheinbar auch nicht neu, umso erstaunlicher, wie sich dann doch alles wieder in die Gewohnheit einfügt, sobald die erste große Gefahr des Todes gebannt ist.
Dein Tagebuch ist ein bewegendes Zeugnis der Krankheit. Aber wie der Titel ja schon sagt, ist es kein Sterbetagebuch, sondern ein Überlebenstagebuch. Du bist so stark und tapfer. Und zart. Darunter liegt diese Zartheit, die ich so sehr an Dir mag und die mich unheimlich berührt. Ich spüre aus Deinen manchmal verzweifelten Worten und Versuchen, dem Krankheitsalltag durch Intellektualität zu entwischen, Dein fürchterliches Alleinsein, Unverstandensein, die Einsamkeit, an der man auch erkranken kann und die einen verändert. Ich hatte beim Lesen immer den Impuls, Deine Hand zu halten. Absenz, ja, on connaît la chanson: pas de main à tenir. Es muss eine furchtbare und einsame, Angst einflößende Zeit für Dich gewesen sein. Wie tapfer Du dabei bist und auch noch in Deinen ?schwachen? Momenten dieser aufbegehrende, auf-müpfige D.-Turbo-Diesel rumort! Na, und Deine schneidende Beobachtungsgabe ist Dir auch im Katherinenhospiz nicht verloren gegangen! Was ich mir auch noch dachte: Es ist schade, dass das Leben einmal vorbei ist und so viel nicht gelebt wurde, was leben wollte. Es ist schade, dass alles ein Ende hat. Und es ist wunderbar, wenn man einen Kämpfergeist besitzt und Humor, der einen sogar aus den versifften Laken hebt. Übrigens ist das eine unglaubliche Unverschämtheit, wie der verantwortliche Chirurg Dich zusammenputzte, weil Du den Stuhl nicht „kontrollieren„ konntest. In so einer Lage, in so einem Zustand, einem Menschen deshalb Vorwürfe zu machen, ist unmöglich. Ich hätte mir den Blödmann am liebsten vorgenommen! Die Weißkittel dürfen sich nämlich nicht alles erlauben, auch nicht bei Kassenpatienten. Aber sie wissen natürlich von der Abhängigkeit der Frischoperierten, die ihnen an den Lippen hängen und auf ihr Lebens- oder Todesurteil warten. Umso gemeiner, sich so einem Patienten gegenüber zu verhalten. Was die Körperschamlosigkeit anbelangt, weiß ich das noch von mir, als ich im Krankenhaus lag. Meine Nachbarin wurde auch wie Vieh abgestellt und halbnackt herum geschoben. Und man ist doch so verletzlich und hilflos in diesen Momenten! Da hilft nur die innere Abgrenzung und Stärke, sonst dreht man durch.
So ungefähr sah die Mail vom Donnerstag aus. Vielleicht besser geordnet, aber anders krieg ich es jetzt nicht mehr zusammen.
Hella

P. S. Und es ist auch so, dass ich Dir jetzt wie eine Maschine schnell den Tag runterreiße, das, was faktisch geschieht, aber in mir, D., da herrscht ein Gewimmel von Gefühlen und Gedanken, auch von Vergangenheitsfetzchen, die nun in einem anderen Licht erscheinen und ich denke und frage immer: Wie konntest Du NICHTS sagen?

Dein Schweigen wird in der Retrospektive plastisch und Füllsel der ungreifbaren Zwischenräume. Ich war so sehr überzeugt, dass Du mir alles sagen würdest, dass ich nie und nimmer einen Verdacht hegte, nicht einmal, als ich Deine Narbe küsste. Ich vertraute Dir wie ein Kind in allem, was Du mir sagtest. Aber an der Mosel gab es Momente eines undefinierbaren "Zweifels", auch als wir auf dem Mont waren mit den Wehranlagen und als Du im Auto dann in meinem Arm weintest, weil der Terplan-Roman der Abschied von Deiner Mutter sei "und von mir", sagtest Du. Das begleitete mich ab diesem Moment und ich dachte mir, es kann nicht nur Dein lyrisches Ich sein, das so tief den Tod und den Abschied empfindet, das muss etwas anderes sein. Aber ich konnte es nicht greifen, nicht benennen. Es schlich sich nur ein Zweifel an Deiner Authentizität ein. Und ich spürte, dass Du etwas zurückhieltst. Aber ich konnte dem keinen Namen geben und ich konnte Dir auch nicht sagen: "He, Du verheimlichst mir doch was Schwerwiegendes!", weil ich mir gar nicht sicher war. Ich habe immer geglaubt, Du hast die normale Angst des Altwerdens, vielleicht ein bisschen stärker als andere in Deinem Alter, aber es gehörte eben zu Dir und ich nahm Dich so, als der, der Du eben bist. Ich hinterfragte mich nicht, wieso Du so bist. Ich nahm Dich so, wie Du warst und bist in Deiner Todestrauer. Und jetzt wird so vieles klarer. Eigentlich bin ich noch dabei, herauszufinden, wie Du es zustande brachtest, mir dieses Wichtige nicht zu sagen. Und ich verstehe es. Aber ich verstehe es auch nicht. Es muss wohl sehr schwer gewesen sein für Dich, es nicht zu sagen. Und ich hoffe, Du bist jetzt erleichtert und musst nichts mehr herunterschlucken, oder wegschieben. D., Liebster, nichts soll sich als unsichtbarer Keil mehr in Zwischenräume schieben, nichts wie eine durchsichtige Folie zwischen die Zeiten legen und unsere Tage umhüllen, und ich kann nur immer wieder sagen, dass ich Dir so sehr dankbar bin, dass Du es mir sagtest. Auch wenn dieser Satz "Ich habe Krebs" nun ein Meilenstein auf unserem Weg ist.

Du musst mir noch so viel erzählen. Aber ich möchte Dich nicht anstrengen mit meinen Fragen. Es ist nur so, als würde ich erst jetzt eintauchen in den ganzen D. Für mich ist es wie eine Offenbarung, trotz des Schmerzes der neuen Realität, trotz eines neu zu definierenden Lebensbegriffs, D., ich bin in meiner Trauer froh, das Damoklesschwert betrachten und seinen Faden mit den Augen abschneiden zu können. Und ich bin froh, dass meine Gefühle für Dich zum ersten Mal wirklich frei fließen können, als wären sie vorher von einem Undefinierbaren eingeschränkt und zurückgehalten worden. Vielleicht habe ich doch etwas unterschwellig gespürt. Sonst hätte ich vielleicht auch nicht dieses Zwiegespräch mit "Deinem" Tod und "Deiner" Angst geführt. Und vielleicht vertrautest du darauf, dass ich eines Tages selbst darauf käme? Aber sogar der Traum hätte mich nicht zur Übertragung auf die Realität gebracht. Ich vertraute Dir in all Deinen Gesten und Deinem Gebaren. Und doch kannte ich die Grabesstimme und dieses Dunkle, das so unendlich Traurige. Aber eben auch die Sonne in Dir und das Lachen. Oh D.. Es gibt noch so viel zu sagen. Und ich habe auch noch so viele Fragen zu stellen. Und ahne erst jetzt auch das psychische Ausmaß, das Drago in Dir bewirkt haben muss. Und ist es nicht paradox, dass genau das, was den Mann "formt" und in seinen Hoden das Leben macht, zum Gegenteil werden soll? Ich bin erst an der Peripherie des Denkkreises, was in Dir alles vorgegangen sein muss und nur mit Dir gemeinsam kann ich dort eintauchen, wo Deine Einsamkeit liegt. D., Geliebter, erst jetzt wird das Rundwesen seine Arme um die Körper schließen. Wir wissen noch so vieles nicht voneinander. Und so vieles schon! Und dann habe ich auch dieses Fragen in mir, inwieweit Drago Dein Verhältnis zu mir beeinflusst hat. Was tust Du wegen ihm und was nicht? Denn mein Verhältnis konnte er ja nicht beeinflusst haben, da ich von seiner Existenz nichts wusste. So warst Du eigentlich auch Voyeur. Und was war ich?“

Es kommt mir wie eine ewigkeit vor seit unserem gestrigen gefühls- und gedankentausch, schrieb ich zurück, dabei entwickelte sich ein interlineares gespräch mit Hella: und dem Drago und Fuchur, den du mir nun auch dazu geschenkt hast, ja, als sei mit ihm und mit dir alles anders, sanfter, mit liebe umhüllt, und nicht mehr so beängstigend wie das "monstrum". Das habe ich aber jetzt erst mit dir und durch dich so neu und so sanft empfunden, vorher stimmte es, anfangs vor zwei jahren noch - nichts als reine angst.

Das kann ich mir sehr gut vorstellen. Wirst Du mir davon erzählen?

Ach, liebste Hella, ich empfinde wieder diese zweiteilung der zeit, einesteils rasen die tage und stunden dahin, mit dir aber ist jeder tag eine ewigkeit wie in der kindheit, und jeder tag anders und reich im erleben. War das erst gestern, haben wir erst vorgestern lang, lang und so abgrundtief zuerst bis hin zum wahnsinn des lebwohl und des weinens und dann so ganz in die liebe wieder hinein- telefoniert. So ein tag, so ein tag…

Er gehört zu den wichtigsten Tagen unserer Geschichte, D.

Und wie du dann zu mir kamst, dein ganzes tiefes und ernsthaftes Hellawesen dabei im aufnehmen des DRAGO, den du verändertest!
Oh, ich danke dir, meine liebe, ich danke dir, dass du so bist, dass es dich so gibt.
Und du fehlst mir den ganzen tag wieder!

Du mir auch. Ich möchte, dass die Zeit schneller vergeht, damit wir uns bald sehen.
Ich sehne mich unendlich nach Deinem Körper, den ich so wahnsinnig gern jetzt nackt an meinem spüren möchte.
Es sind zwei Tierchen, zwei Tiere, zwei Welpen, zwei warme Wesen, in denen unsere Seelen hausen. Ich sehne mich so nach Deiner Haut und danach, Dich zu streicheln, zu massieren, zu umfangen. Ti voglio bene. Seitdem ich Dich kenne.

Ich liege neben Dir und gebe Dir all meine Kraft und alle Wärme, die ich Menschlein habe, ich liebe so sehr diesen D-Menschen und möchte ihn heilen…
IX
NACHTGEDANKEN NACH NEUN JAHREN


Jahre später: 2009 und 2010. Und heute, Jahre nach der OP, bin ich immer noch am Leben. Die zehn guten Jahre? Ob die Kraft von Hella, ob Hannahs Kraft und Fürsorge mitgeholfen haben, Hannah hat sogar das Rauchen aufgegeben, als Zeichen dafür, dass das Überleben geklappt hat. Oder waren es andere, noch stärkere Kräfte? Mein Widerstand, mein Wille noch zu bleiben, um mein Werk zu beenden? Oder war es doch viel banaler: Die alternativen Kuren, die ich konsequent durchgestanden habe?

Und Hella? Mit Hella immer noch der schönste Briefwechsel, Liebesgefühle, auch wenn sie inzwischen geheiratet hat, Kinder hat, mit ihrem Mann, es ist der alte Freund, in Afrika, und jetzt in Indien lebt, wir uns gar nicht sehen können, auch wenn wir es wollten. Und sie mahnt die „10 guten Jahre“ an:

Hella schrieb aus Nigeria:
Liebster D., mein lieber D., ich spüre dieses schleichende Alter, das sich in gebrochenen Armen, Unfällen, Schmerzen bei Dir ankündigen möchte bis hierher und deshalb ruf’ ich Dir zu (und Du Dir auch): Lass es nicht rein! Es soll draußen bleiben, die guten 10 Jahre sind noch lang nicht um! Die Zeit lässt sich nicht zurückdrehen, aber das, was verbleibt, und wären es nur Stunden, die können ausgekostet und genützt werden. Und das tust Du doch, mein lieber lieber D.!

Ein produktiver, geistiger Tag wiegt ein Jahr vor der Glotze, im Großraumbüro, todmüde und abgeschlafft in öffentlichen Ver-kehrsmitteln auf. Denk’ an die Metro in der Früh...Was für leere Gesichter man dort oft sah. Aber auch die wachen Menschen, in Bücher vertieft, an Fenster sitzend oder im Gang stehend, das Buch war dabei, die Lektüre katapultierte in andere Welten und darum geht es: Es gibt viele Leben in einem, viele Welten in einer. Wir müssen sie nur aufsuchen und gestalten!! Doch wem sag’ ich das...

Es ist auch ein Appell an mich, Caro. Menschen sterben, Armut läuft täglich an einem vorbei, aber die „sichtbare Armut“, nicht die versteckte wie in Deutschland. Kinder mit Ärmchen so dünn wie Streichhölzer in Fetzen gekleidet, irre gewordene Mütter mit Babys auf dem Rücken, die barfuß um Almosen betteln, dazwischen Luxuslimousinen und aufgetakelte Nigerianer in bunten Kleidern. Ein kaum auszuhaltender Kontrast, der täglich aufwühlt. Wie einfach ist es, sich in dieser hässlichen Umgebung, in der das Auge keinen ästhetischen, liebreizenden Anhaltspunkt hat, zu verzweifeln, in graue Stimmungen zu fallen. Doch da ist Lilly, mein Kind, mein wundervolles Mädchen, und sie fegt alle Zweifel dieser Welt mit einem Lachen hinweg. Und da ist auch dieser Wille, die kleinen Dinge zu erkennen und wertzuschätzen...

Der Tod, D., ist nicht nur das Ende der physischen Zeit. Er kann viel früher und täglich aufs Neue eintreten...Aber das weißt Du ja, mein liebster Dieterot und Abaelard! Und ich klinge so alt-klug...hihi!

Du bist so tapfer und mutig, wie Du Dich dem Alter stellst und ich lerne von Dir und dem, was Du mir schreibst und sagst! Du gibst mir Einblicke in eine Zeit, die noch nicht meine ist, und ich bin glücklich für Dich, dass Du die Möglichkeit und Fähigkeit besitzt, zu sehen, zu begreifen, sublimieren zu kön-nen.

Lilly malt riesige Bilder mit Wasserfarben auf den Steinboden und zeigt mir ihre Werke alle zwei Minuten, der Himmel ist heute endlich wieder blau, nachdem er tagelang von Saharasand verhangen die Welt in ockerfarbenes Licht hüllte.
Und ich trage Dich in meinem Herzen, wo Du hingehörst und Deinen unverrückbaren Platz hast.

Ein Kuss auf Deine Arme, die so gut halten können und auf Deine Stirn, hinter der Du ein Kind bist, ein Jugendlicher, ein Erwachsener, alle Alter besitzt, die Du möchtest, stirbst und geboren wirst, täglich! Du vielschichtiger, tiefer, kluger, melodiöser, bunter, lustiger und herzensguter Mensch!

Lebst in mir und überall, ein Blick zur Sonne genügt!
Viele Küsse!
Deine Heli früh am Morgen

Der bisher letzte Brief von Hella am 28. Juli 2010:
Dieterchen, sind die Fotos bei Dir angekommen?
Ich habe hier einen schnellen Internetzugang, yippie!
Wir haben 3 einhalb STunden Vorsprung vis à vis Europa, also hier ist es jetzt 23.30Uhr.

Wie geht es Dir? Bist Du auf hoher See? Ich bin heute mit der Rikscha durch Delhi gekurvt auf der Suche nach Vorhangstoffen...Lass mich alles noch aufschreiben, damit ich es Dir schicken kann! Es gäbe so viel so viel so viel zu erzählen! Ob wir jemals die Zeit dazu haben werden und zu erzählen und zuzuhören?

Und bald dann Yoga und Meditation, ich sitze hier an der Quelle!

Schlaf gut, mein lieber Poetikuss,

7. Juni. Heute dann, wie früher, wie „immer“, am Meer mit Hannah und der kleinen Dea. Wir wollten rausfahren, taten es dann doch nicht. In der Ferne ein Segel trotz bewegtem Wasser, drohende Wolken, früher, als wir jünger waren, haben wir das ja auch gewagt, sagte Hannah Weißt du noch im Februar mit Gianni und dem Siebenmeterboot, da gabs auch kein Halten, nur seine Frau Maria bremste ihn andauernd, wenn das Boot zu sehr krängte. Und wie immer beim Gehen, sprachen wir viel, gehend, Erinnerungen wie von den Wellen und weither gebracht. Und in dem Augenblick tat es mir leid, die neue Digitalkamera nicht mit dabei zu haben; früher habe ich viel mehr aufgenommen, und jetzt liegt sie, ist nur noch gut, um das bisher Aufgenommene wiedergeben zu können? Das ist wie mit meinem Leben und Schreiben. Bin ich nur noch der Verwalter meines Lebens und meines Werkes? Hannah sagte, es ist schade, und öde, wenn das, was du empfindest, nicht mehr jetzt und wirklich geschieht; aber du warst früher auch besser, es fiel dir mehr ein. Ja, das Älterwerden, das Vergessen! Nichtmal die holländische Kritikerin aus der Solitude-Jury, die mich 1990 als Stipendiat zur Solitude gebracht hatte, fiel mir gleich ein. Dann plötzlich wie ein Blitz: Van Maaren. Ja, das kommt aus jener Zeit, als dein Hirn noch frisch war, hörte ich Hannah ins Rauschen hinein sagen.

Und Dea sprang an mir hoch. Weißt du noch Huchel, damals beim Suhrkampempfang, ihm fiel kein Name mehr ein, und seine siebenbürgische Frau half ihm auf die Sprünge. Schlimmer ist das jetzt mit Walter Jens, der in seiner Altersdemenz nicht einmal mehr seine Frau erkennt! Aber besser noch, als überhaupt weg sein! Da kräht bald kein Hahn nach dir. Und sei froh, so Hannah, dass sie noch nichts über dich gebracht haben, so in weiser Voraussicht wie beim „…uns geht’s ja noch gold“. Der Name… bitte der Name… Klar, …kowski, ach, Kolakowski, Senkowski… Kemp… aha, Kempowski. Na, endlich. Er hatte ja auch Krebs. Besser so, up and away, als sich wie Jens jahrelang zu quälen. Gestern sagte ich unserem Freund Hem… Ja, dein Hem, so Hannah: Euer Gequatsche am Telefon, vier Stunden lang dauerte das. Ja, er sagte mir auch, dass seine Prager Frau allergisch sei, wenn wir über Transsylvanisches reden. Dabei war es ja mehr, viel mehr. So auch, dass Inge Jens und der Sohn Walter Jens´ Alzheimer im Stern publik gemacht haben, vor allem auch deshalb, um zu zeigen, dass so etwas nicht sein darf, dass Euthanasie in solch einem Fall sein müsste, vor allem, da Jens es auch, sogar schriftlich verlangt hatte, seine Wille aber nicht respektiert wurde.

Dann sprachen wir über Lühmi. Der arme Rühmkorf. Auch er hatte Krebs. Und auch über den hatten sie schon einen Vor-Nachruf in der „Zeit“ gebracht. Lebe ich so jetzt, diese Augenblicke, LEBEN, erinnert, erinnernd mit den Andern, auch den Sterbenden? Und nehme aus dem Regal „Walther von der Vogelweide, Klopstock und ich…“ Und sehe ihn, freundlich auf mich zukommen, am Rowohltstand in Frankfurt, und erkundigt sich so freundschaftlich, wie es mit meinem Werk stehe… und ich bin nur wortkarg, warum.? Er sagt „Wir“, und ich sagte, wir müssen was tun? Und dann der Spaziergang durch den Schlosspark in Stuttgart mit Uwe Schultz. Rühmkorf im wallenden dunklen Mantel, so stilisierte er sich damals, und heute? Er hat ja tatsächlich eine Gemeinde, Fans. Rowohlt? Ja, er hat ein Haus, das sein Werk betreut, dort war er Lektor gewesen, dann kam Manthey. Und in Hamburg besuchten wir ihn mit Jürgen Manthey. Und er hatte unendlich viel Zeit für uns. Worüber wir sprachen, wohl über mein Ostwestliches und die Schockerfahrungen West? Aber nein, das war nicht die erste Begegnung, die erste, auch diese bei ihm zuhause, wohl im Winter 68 oder Frühjahr 69 von Inter Nationes vermittelt, von Dr. Fehr, und ich kam als Exot und wurde schön empfangen und sie hörten mir zu, ich kam ja auch aus der Kälte einer Diktatur.

8. Juni. Nun sind es genau neun Jahre seit der OP. Neun Jahre sind vergangen; und ich bin noch immer da, wir sind noch da. Doch dieses Gefühl gibt es schon seit dem Zeitenbruch, seit 89.

Von Brigitte, Hannahs Freundin, die meinte, sie könne meine Bücher nicht verstehen, die Lyrik schon gar nicht, erhielt ich heut Guardinis Buch über „Die Lebensalter“, und dort stand im Zentrum als „Wert“ des Alterns, eben die Nähe zum Tod, und das Sterbenlernen, die alte „ars moriendi“. Aber auch, dass es nochmals zwei Phasen gebe: den alten Menschen und den senilen Menschen, wohl ab 85? So war ich mit 66, bei der Krebsoperation, trotz Unglückseinbruch ja noch ein „junger Alter“, jetzt mit 75 wohl ein „Alter“ … Doch ich spüre seit einem Jahr, und das mag wohl mit einem Bootsunglück vor einem Jahr in Marciana Marina/ Elba und dem neuen Gefühl des Ausgeliefertseins zusammenhängen, dass sich dieses „vierte Lebensalter“ nähert.

Damals im Jahr 2000 begann wohl dies Bogendenken, einerseits Voll-Enden, der Tod (wie sehr war er im Bauch spürbar) – warf nicht nur Schatten, das tat er seit meinem 14. Lebensjahr, sondern war so nah und wurde zum Schicksal und Ereignis, täglich näher kommend. Und der Anfang, die Kindheit dazu, auch die kam näher, war nah. Auch durchs Schreiben freilich, lange Arbeit an dem autobiographischen Roman „Transsylwahnien“ in diesen Jahren, der eigentlich vor allem der Kindheit gewidmet war, den Schreckensjahren, die die schönsten gewesen waren. Guardini hat recht: Anfang und Ende „sind geheimnisvolle Dinge“. Denn woher kamen wir, ja, und wohin gehen wir wieder?

Es schließt sich ein Bogen. Das Seltsame ist, dass die Eltern und Großeltern, mit der ganzen Umwelt der Kindheit, nun andauernd da sind, sie sind um mich, ich „lebe“ mit ihnen. Ich sehe sie, ich fühle sie. Als kämen sie immer näher, als wollten sie mich dann auch ins andere Leben begleiten.
Gleichzeitig ist das Vergehen, tatsächlich auch wie ein schmerzhaftes Vergehen spürbar, als wäre man daran schuld. Und ist man es nicht: es vergeht immer schneller und schneller. Zeit ist wie ein Henker, der immer schneller zuschlägt, das schrieb ich schon als Dreißigjähriger. Doch jetzt nachdem es immer weniger „Zeit-Haben“ gibt, Zeit als Kraft, als Erwartungskraft, wird weniger, nimmt ab, spürt man dieses so vordringlich, wie in keinem anderen Lebensalter; und ich spüre es wie eine Schuld, weil der Tag der Bilanz immer näher rückt und die Versäumnisse bis ins Detail immer deutlicher werden!

Als junger Mensch lebte ich eigentlich immer nur in der Zukunft, in der Erwartung, da ich meinte, das Leben käme erst noch, und hasste oft die Gegenwart. Jetzt gibt es kaum noch Erwartung, Hoffnung auf etwas hier, es sei denn, dass mein Werk, bei anderen sind es die Kinder und Enkel, ein Lebens-Werk, das die ganze Lebensfülle enthält, aufgeht wie eine Blüte, das heißt endlich gerecht anerkannt wird. Und da kann man erstaunliche Parallelen sehen, sowohl die Bücher als auch die Kinder müssen sich „bewähren“, sie sind von uns geschaffen, sie tragen auch uns und unser Können, ja, „Erbgut“ in sich!

Will ich „belohnt“ werden? Eigentlich ist es etwas anderes, es soll „normal“ aufgenommen werden, die Fülle zurückgeben. Was Reisen oder Liebe betrifft, die ja seltsam erst aufgeblüht sind um die 60, vorher nie, habe ich keine Wünsche mehr. Was bleibt ist nur Sinn-Erfüllung, und – Vorbereitung auf den großen Übergang, was freilich eine Verunendlichung des verbliebenen Lebens ist. Leider aber auch die Ungeduld damit. Die Erwartungsabnahme lässt diese Zeitstreckung, die vor allem in der Kindheit unendlich war, abblassen, als wiederhole sich nur alles, immer das gleiche und gibt keine Eindrücke mehr her; „Bescheidwissen zieht die Zeit zusammen“, so Guardini, und vor allem Hannah, aber auch ich, haben das Gefühl, dass „beständig etwas zu Ende ist“, schon ist ein Tag, eine Woche, ein Jahr vergangen. Ich nehme oft bei Sonnenuntergang Abschied vom Tag. Der nie mehr wiederkehrt, wie nichts mehr wiederkehrt, auch das Leben nicht.

Allein Tapetenwechsel, also Reisen, streckt etwas die Zeit. Und auch das „unwillkürliche Gefühl“ nimmt sehr ab, keine Überraschungen mehr, das Unvorhergesehene, das ja zum Wunder und zu Wundern gehört, ist kaum mehr da. Das Wundern, Rätsel, dass ich da bin freilich, nimmt eher zu. Das Erleben wird blasser, ja, wird nicht mehr so Ernst genommen, die Verantwortung freilich dafür und dessen Kostbarkeit nimmt zu.

Doch das früher Erlebte wird fast wichtiger. In der Liebe, etwa, auch die Liebe sogar dreier Frauen für mich! Nehme ich da weniger oder kaum Anteil? Nur Hannahs Liebe oder Liebesabnahme berührt mich wirklich oder sorgt mich! Liebe als Gabe berührt mich, doch nur im Liebes-Moment. Und ich kann sie so sehr im Moment fühlen, spüre dann auch viel mehr als früher. Doch nicht als Kontinuität, als „Strom“. Und bin so wohl auch vor dem Schmerz gefeit, wenn sie zu Ende geht. Ja, gehört das auch zum eigenen Ende, dass jene Weltabnahme, Gefühlsabnahme, Abschied nicht mehr so schmerzt?
„Dünnwerden der Dinge?“

Doch die „Senilität“ ist ja erst noch zu erwarten, sie ist noch nicht da. Schaffe ich es dann, so zu sein, wie Guardini das gute Beispiel des Ganzalten beschrieb? Oder werde ich ein im Körper Eingesperrter sein, nur mit Körperqual und daher zum Tyrannen geworden? Erzwingen, erlisten, was ich haben möchte? Gehasst von allen?

Ich hoffe, das, was Guardini schön beschreibt, erreichen zu können: „In ihnen ist ein langes Leben still geworden. Arbeit ist getan, Liebe ist gegeben, Leiden ist gelitten worden – aber alles ist noch da, in Antlitz und Hand und Haltung und redet in der alten Stimme…. Durch die Einsicht, dass Verzeihen mehr ist als Rechthaben, Geduld stärker als Gewalt, und dass die Tiefen des Lebens im Stillen, nicht im Lauten liegen… Der Kern im Leben des alten Menschen kann nur das Gebet sein – welche Form es immer annehme.“ Doch eines ist klar, am allerwichtigsten ist, dass wir lange vorher schon alles dafür vorbereitet haben, denn die „Annahme des sinkenden Daseins aus sich allein heraus gelingt nicht; dazu ist es zu dürftig.“

Krebs Gang? Zurücksehen, immer wieder, um die Schichten des abnehmenden Lebens zusammen zu bringen, dichter zu machen`
Ich lese wieder im Tagebuch von 2007, als eigentlich unsere Altersphase heftiger spürbar wurde, und am 22. Juli 2008 mit einem Bootsunglück dann unumkehrbar und schmerzlich durchbrach.

Und heute habe ich den Entschluss gefasst, die alten Tagebücher auf Band zu sprechen, und in diesem Stil fließen zu lassen! Oder muss es die „Fingersprache“ sein, sonst entwickelt sich nichts? Unendlich viele Tagebücher, über hundert Hefte.

Wer sagte es nur, Ja, Kunert, er sitze täglich vor seinem Berg von Aufzeichnungen, und arbeite für Hanser auf, eine Art Tagebuch und Notizen undund. Heute schlief ich wie in jeder Frühe ab fünf Uhr nicht mehr. Doch es ist die schöpferischste Phase, Pläne werden in meinem Kopf assoziativ geschmiedet, das Tagesprogramm tritt im Kopf auf, ich notiere es dann am Morgen. So kam ich auch zum Gedichtband „Der Tod ist nicht bei Trost“, der mich bedrängt, wie fünf andere auch, so das „Reisebuch“, zu dem Transsylvanien und Mexiko neu aufgearbeitet werden müssen, und die andauernden Todesgedanken, das Totengedächtnis, es werden immer mehr Menschen, bald gibt es mehr Tote als Lebende in meiner Umgebung.

Elba. 20. Juli. Las im Tagebuch von Ingrid. Dass sie jetzt so alt sei, wie ihre tote Mutter. Ich habe Vater im nächsten Jahr um drei Jahre überlebt. Und ich erinnere mich, wie er sagte, dass er mit seinem Leben zufrieden gewesen sei. Das kann ich von mir nicht sagen, im Gegenteil, je älter ich werde, die Kräfte, auch die schöpferischen abnehmen, umso klarer wird mir das Scheitern, und wie wenig ich „zufrieden“ sein kann. Deutlich wird mir, dass ich auch in der deutschen Literatur nicht akzeptiert worden bin, irgendwohin in den Osten gehöre, mit meinen Themen sowieso, die hier kein Schwein interessieren, nicht einmal wenn es um Capesius geht; ein Exot, ein Hereingeschneiter, Reingeschmeckter … Der Stallgeruch haftet dir klebrig an.
Und familiär hab ich nur zwei Frauen ruiniert, und mit diesem blöden Geschreibes auch mein Leben versäumt. Nun ist nichts mehr zu erwarten.

22. Juli. Bootsfahrt. Elba. Im Golf von Portoferraio mit Palmen und Eukalypten, vis á vis die alte Stadt Napoleons. In der Höhe die Burg
Ich schwimme vom Boot an Land, begegne einer Mutter mit ihrer Zweijährigen, wie sie beide singend vorbeischwimmen. Oh, diese Liebe. Und nur Biologie soll alles sein?
Ich erinnere mich daran, wie ich vor vier Jahren hier nachts im Gummiboot in der Ecke unter den Palmen mit Hel telefoniert hatte. Irgendwie waren wir im Krach auseinander gegangen, wieder diese blöden Eifersüchteleien, Hannah war während unseres Telefonats in mein Zimmer gestürmt und hatte Flüche ins Telefon gebrüllt. Und Hella hatte wütend reagiert, wollte mit „euch“ nichts mehr zu tun haben. Immer diese Säfte und Sekrete, und worauf beruht überhaupt Eifersucht, nicht auf der Selektion und Zuchtwahl? Warum ist es nicht möglich, einfach lieben zu dürfen? Wieso soll das Sünde sein? Sind wir nur Sklaven der Natur?

Und muss jetzt immer wieder daran denken, wie meine neue Poetenfreundin Vive aus Rapallo resolut und aus Erfahrung vor einer Woche geschrieben hatte, dass ich mich doch dem Körper nicht hingeben sollte, der reiche auch bei dem Liebesakt nie aus. Und ich sollte in Freundschaften nie die geistige Wahlverwandtschaft damit aufs Spiel setzen. Hella hatte es einmal ähnlich formuliert, und wir sprachen immer nur von der „Teufelsküche“. Ist es dies, was Frauen auszeichnet, Freundschaftsfähiger zu sein?

Und erst als Ältere können auch wir dieses einlösen? Denn was ist das Alter in erster Reihe anderes als Biologie- Manko, so dass auch beim Mann der fordernde Körper nichts Seelisches mehr verdeckt? Später heißt es, „drüben“ haben alle einen zweiten, etwa dreißigjährigen Körper. Doch dann seien wir reifer als hier, wo Männer oft ewig Pubertierende sind!

24.7. Mein Nirgendwo in Deutschland: In Italien oder Rumänien, auch in Polen oder den USA werde ich als Deutscher gesehen, anerkannt wie selbstverständlich; nur in Deutschland nicht.

28.07. Heute sind es zwei Jahre. Wir erinnern uns an den kleinen Felix. Ich im Gummiboot, um den armen sterbenden Felix an Land zu bringen, da sagte Hannah wieder: Ich kann nicht mehr an die gleichen Orte kommen wie früher, auch hier, diese schöne Gegend, Erinnerungen tun weh, und dass wir nicht mehr die gleichen sind, dass wir alt geworden sind, dass die Zeit rast, und schon wieder ist ein Tag vergangen, das kann ich nicht aushalten, ich werde noch verrückt. Ich kann mich nicht mehr freuen. Und das ist heute 2010 noch schlimmer geworden. Die Jahre werden auch ununterscheidbarer. 2008, 2009, 2010?
Du hast das Binswangersyndrom, und ich habe es auch! sage ich zu ihr.
Und sie: Das hilft mir nicht weiter. Du hast die Zeit-Not-Krankheit! Ja, auch ich kann es nicht mehr aushalten, dies Schöne hier und die Erinnerungen, dass wir mal jung gewesen waren, hier, genau hier. Und auch der Felix … noch vor einem Jahr ist er hier so herum gesprungen, ich konnte ihn kaum mehr bändigen. Ich muss mich ablenken!

Am schlimmsten geht es mir in der Nacht, wenn mich die Erinnerungen überfallen. Zuerst sind die Eltern gegangen, das nagt schon nicht mehr so an uns, denn jetzt sind wir es, jetzt sind wir dran! Und es gibt immer weniger Zukunft. Und meine Freundin Ingrid schrieb in ihrem schönsten Buch („Sieh, da, das Alter“), es sei alles, „das natürliche Vergehen selbstverständlich zu nehmen“, und nennt es gleich eine „Beschwichtigung“ des Bewusstseins, das doch gerade am meisten schuld sei an diesen Schmerzen. Die Tiere kennen nur Ahnungen, aber kein Wissen vom Tod.


30.7. Die Müdigkeit ist die größte Alterssünde. Ich spüre sie andauernd, auch jetzt, sie macht gleichgültig….

1. August. Ingrid schreibt: „Wenn der Körper nachlässt, ist zu hoffen, dass der Geist beweglicher wird. Soll er sich doch am Ende des Körpers entledigen“.
Leider ist das Gegenteil der Fall, auch der Geist wird bei dem Verfall mitgezogen; allerdings heißt es, wenn der alte Körper dann endlich abgelegt wird, ist der Geist ganz jung, auch Kranke, Irre etwa, werden wieder kerngesund.

Kann mit „Wunschkraft“ im Leben etwas ausgerichtet werden? Sie nimmt ja erheblich ab. Keine Lust mehr, heißt es dann. Und gibt es noch die Kraft, alles zu beobachten, Moment für Moment zu leben, diese Existenz wie ein Mirakel zu sehen, wie ich es mir immer vorgenommen hatte, Aufmerksamkeit, das Gebet der Seele! Doch schon tritt Langeweile ein, auch jetzt in Marciana Marina, diesem herrlichen schönen Ort in Elba. Abgenommene, ja, zunichte gewordene Gefühle. Alles mit Trauer besetzt. Und die Ferien sind vorbei. Aber auch Schäßburg quält mich; ich bin eingeladen worden; doch es ist alles viel zu stark; jetzt am Ende dorthin zu fahren, wo ich als Kind diese Welt zuerst erfahren habe, jung war. „Alles“ dort zurückgelassen habe, jede Hoffnung des Anfangs. Und kann ich meine Literatur nun in der Wirklichkeit durch-„erleben“, auch den Capesius, gar in der Synagoge? Das ist unmöglich? Und dazu hätte ich nicht genug Kraft. Hinzu kommt noch diese generelle Unlust, diese Gleichgültigkeitsanfälle, Nichtwollen, das in Unlust und Qual umschlägt. Ist es auch die Diskrepanz zwischen meinen Erinnerungen, und wie sie umgewandelt in meinem Werk als „Literatur“ erscheinen, und dem, was wirklich gewesen war, sich oft widersprechen? So wie der gedachte Tod, der geschriebene Tod etwas anderes ist als der wirkliche Tod? Und diese kleinen schwarzen Lichtbuchstaben dazu, was solls…?

Es hilft nicht weiter, auch Jean Améry, dem Altersselbstmörder nicht, wenn wir den Sinn der Zeit als unfassbar analysieren. Nichts hilft, auch kein Schreiben mehr. Und der sterbenskranke Kempowski, der nur noch einige Monate zu leben hat, sagte gar: Ich sterbe gern. Und der alte Rationalist kam sogar mit Jenseitsgedanken, dass wir das sowieso nicht fassen könnten, und dass der Tod die hohe Zeit des Lebens sei, der wichtigste Lebensaugenblick. Sagte er das nur, um zu entkommen? Was sagte er so noch alles seinem jungen Freund Stuckrad-Barre.

Wichtig aber ist, Guardini betont es immer wieder, dass man Alter und Tod „annimmt“, sozusagen „einsetzt“, nicht davonläuft, sich jünger macht in einer kläglichen Komödie. Erstaunlich, dass ich das gar nicht nötig habe. Ich werde so angenommen, wie ich bin, auch von den Frauen, und seltsamerweise für viel jünger gehalten. Hat das mit meiner Sportlichkeit oder mit meiner geistigen Arbeit zu tun? Hella sagte sogar: Du hast viele Falten, aber es sind „gute Falten“! Oder ist es auch, weil ich mich um die „ars moriendi“ bemühe, die eigentlich das wichtigste im Leben geworden ist, auch im Schreiben. Liebe und Tod. Ja, die Glaubenspflege, Gebet als Sammlung dem Ende zu mit Meditation. Doch die Frauen helfen mir über die Liebe sehr damit und halten mich fürs Eine wach, auch über die Poesie.

Wie steht es mit meinem „Altersmaterialismus“, dass ich Essen und Trinken, Bankkonto usw., ja, allem Körperlichen, bis hin zur Sexbesessenheit verfallen bin? Nein. Eher im Gegenteil. Und das Geld will ich nur zusammenhalten, damit, falls schlimmes an Krankheit passiert, Geld für uns da ist, zur Vorsorge. Und – testamentarisch, dass auch meine Lebenswerk, die Taktiken des Wachsens, die Wichtigkeit der Entelechie und des geistigen Samens bis über meinen Tod hinaus weiter getragen wird, meine Einsichten, die Bücher dazu, die Exempel, die Katastrophen der Zeit, die alles zunichte machen wollte, die Diktaturen. Und die Gegenwehr dazu. Zeitzeuge?! Der Preis, den ich stiften will, soll nicht meine Person weiter erhalten, sondern das Lernbare aus meinem Leben weitergeben.

Noch bin ich weit entfernt vom Alterseigensinn, der billigen Geltungssucht, dem Tyrannisieren der Umgebung. Ich kann mir freilich vorstellen, dass jemand, der nur noch Körper ist, nur noch Schmerzen hat, nur noch glaubenslos, hoffnungslos dahinvegetiert, so werden kann, auch ich! Und ich hoffe, es vermeiden zu können, bis zuletzt, mit Denken, Schreiben und Aufarbeiten. Und ich gebe zu, dass es die Sinnarbeit, das Schreiben ist, die mir noch am meisten Lust vermittelt, und mich am Leben hält. Manchmal bedauere ich meine Kollegen, und hier in meiner Nähe meine gute Hannah, die das ebenfalls nicht hat, sich oft schrecklich langweilt, völlig ihren düsteren Gedanken ausgeliefert ist. Hätte sie ihre Blumen, die kleine Dea, die Alltagsverpflichtungen nicht, auch die Medien, die Zeitungen, würde sie wohl hier in der Einsamkeit verrückt werden.

Vorerst sind die „noblen“ Werte noch da, die Guardini aufzählt, und sie werden mir von den Frauen sogar fast wortwörtlich aufgesagt: Einsicht, Mut, Gelassenheit, Selbstachtung, Aufrechterhaltung des gelebten Lebens (Erinnerung, also Krebs Gang), des geschaffenen Werkes, des verwirklichten Daseinssinnes…
Auch wenn mich manchmal Wut mit den Dingen, der Lebenszähigkeit, ankommt, Ungeduld, täglich solche schwachen Momente mit Fluchen, doch das war immer so, hat freilich zugenommen. Wut auch gegen die Welt von heute, wo man so oft übers Ohr gehauen und ausgenommen wird, aber kaum „Ressentiments gegen das geschichtliche Neue“ sind da, soll das etwa der Neoliberalismus oder Berlusconi, die Banken und Manager sein?

Meine Ablehnung kann nicht als „Ressentiment“, gar als Neid bezeichnet werden. Ich lehne es ja auch im Sinne der Jungen ab! Da denke ich schon manchmal an die „gute alte Zeit“, auch in der alten Bundesrepublik oder auch in Rumänien. Wo ethische Werte, auch Literaturwerte (im Osten im Untergrund) noch etwas galten. Nicht nur Geld.

Freilich, „weise“ im Sinne der ruhigen Haltung, auch existentiell, kann ich mich nicht nennen. Höchstens im Sinne des „Voll-Stopfen der kürzer werdenden Zeit“, aufmerksam mit ihr sein, keine Zeit verlieren… „weise“ höchstens im Sinne der deutlicher werdenden „Ewigkeit“, durch die Vernichtung und weniger wichtig werdende Schein-Welt des Getriebenseins und des Außen, damit der hinter der Wand der Augen, der Sinne stehenden unvergänglichen Welt, die uns nach dem Tode vielleicht erwartet! Dass dieses nur ahnbar, hoffend da ist, nicht bewiesen werden kann, treibt mich eher an, ihm nachzugehen, nachzuforschen, auch in mir selbst. Mich dem auch im Augenblick des Offenseins, manchmal mit Hilfe der Musik, der Poesie zu widmen. Dass ich dieses nicht auch zu meinem Beruf „nach außen“, also den Lesern, der Gesellschaft zu gemacht habe, hängt wohl damit zusammen, dass es in mir oft so schwach ist, und von dort her nur ein kalter bis eisiger Wind weht, der es mir ganz austreibt!

Aber so lange es geht, werde ich versuchen, dem ein Dennoch entgegenzusetzen, ich bin ja noch ein Alter, nicht ein Greis, gar ein Seniler, wenn auch der „Greis“ wohl seit einem Jahr schon zu spüren ist. Vor allem beschleunigt durch äußere Unglücks- und Krankheitsfälle, und sei es nur ein Armbruch, Krankenhaus¬aufenthalte usw., denen wir beide, Hannah und ich ausgesetzte waren. Hannah fiel sogar aus dem Stand hin, und brach sich den Arm!
Doch niemand weiß, wie es wirklich ist, wenn er tatsächlich dann in der zweiten Kindheit ein „Pflegefall“ sein wird. Wir haben darüber gesprochen, ja, außen einen Aufzug hier am Haus, ein junges Ehepaar, vielleicht aus Rumänien, hier in der schönen Gegend, im eigenen Haus zu haben, um hier bleiben zu dürfen, um diese Restautonomie zu kämpfen. Und erst wenn es nicht anders geht, alles zu verkaufen, in ein siebenbürgisches Pflegeheim zu gehen, wo schon Mutter war, etwa nach Gundelsheim. Es graust uns, mir besonders davor, Mutter saß da mit ihrem „Tisch“, alle stumm vor dem Fernseher, wackelten mit den Köpfen, dösten, ein Summen der totalen Leere… Bei Walter, Hannahs Vater, war es noch schlimmer, er lag am Schluss nur noch im Bett, künstlich ernährt. Mit Windeln. Trockengelegt morgens. Zweite Kindheit? Zweites Babyalter? Auf die Hilfe anderer angewiesen, allein unfähig zu sein, nicht mal allein essen zu können, die Ausscheidungen nicht kontrollieren, ja, nicht mehr auf die Toilette gehen zu können, sich nicht mehr waschen, an und ausziehen können. Nachts vielleicht ans Bett gefesselt. An nichts mehr interessiert. Nicht einmal mehr Buchstaben, Fernsehbilder erkennen zu können, kein Buch lesen zu können, von Schreiben ganz zu schweigen, Fernsehen ebenfalls nicht. Nichtsmehr, Nichts. Dazu die Schmerzen, Organdefekte. Nicht schlafen können. Nichts. Im Gefängnis des Körpers eingesperrt zu leiden, nur noch auf den Tod zu warten.

Mutter freilich, sagte es oft: Nimm mich aus der Welt, lieber Gott, aber ich bedanke mich bei dir für alles! War ihr das erspart geblieben, ohne Glauben zu sein? Was das Schlimmste wohl ist. Nur vegetativ der Scheiße ausgesetzt, dem alten, verfallenen mageren, elenden Körper in aller furchtbaren Kümmerlichkeit des Altersleids ausgesetzt, Hiersein nur noch Qual? Schon jenseits des Altersmaterialismus, des Alterseigensinns? Ich erinnere mich an die Greisenallüren meiner besten Professoren und Vorbilder, die sich in Gundelsheim wegen des Essens stritten, da es gar nichts mehr anders gab, woran sie noch Interesse hatten!

In totaler Leere und Gefühllosigkeit jenem Eigensinn und dem Tyrannischen, die dann auch jede Liebe austreiben und die Nächsten, die mal diesen Menschen geliebt haben, verfallen zu sein, die dann nur noch Gott bitten, den Alten, der sie nur belastet und quält, endlich zu sich zu nehmen. Seinen Tod wünschten. Weil diesen Alten langsam auch jede Würde abgeht, ihnen alles egal ist, unwürdig, auch nicht mehr auf sich achten, „surkig“, mit stinkender Scheiße und Pisse behaftet, verwahrlost dahinvegetieren. Zänkisch, rechthaberisch und missmutig, nur noch fordernd… als hätten sie ein Recht darauf.

Ich habe schon lange vorgehabt, mir Schmerzmittel, am besten Morphium, aber auch genug Schlafmittel für einen Freitod zu besorgen, und muss da an den alten Goffy Fischer denken, der mir mal anvertraute, er habe eine 7-mm Pistole im Nachtstisch… sie mir auch zeigte. Giuseppe, der Diener konfiszierte sie ihm. Und auch die Schecks konfiszierte er dem alten Herren, weil er oft eine Null zu viel hinschrieb. Dies die langsame Entmündigung, sogar durch das verantwortungsbe¬wusste Personal. Und wir hatten ja auch, was Mutter betrifft, eine Generalvollmacht abgeschlossen, um in ihrem Namen entscheiden zu können, jaja, ohne sie zu fragen… konnten wir über sie entscheiden!

2./3. August. Aber das Alterselend, die Altersschmerzen, das Verschwinden ist ja ein generelles Weltgesetz. Auch unseren armen alten Hund Felix gibt es nicht mehr. Wieso soll ich das nicht dürfen, alle, alle sind wir letztlich arme Kreaturen! Einige Zeilen aus meiner ihm gewidmeten kleinen Hundeballade setze ich hierher:

August. Felix Dehydrierte. Soff unmäßig viel Wasser. Der Arzt zupfte sein Fell. Es zu prüfen. Felix immer nur liegend, Kot und Urin An seinem Fell. Es half kein lockendes „kriegst was? Er blieb liegen. Manchmal nur und mühsam der Versuch, sich aufzurichten, da knickten die Beinchen zusammen, und er spürte seine Ohnmacht, Klagelaute, Bellen in dieser Körper-Gefangenschaft.
Und hörte heut früh nah ein Bellen, und dachte: Felix ist wiedergekommen! Und du dachtest ihn zu sehen, wie er endlich wieder hereintrappelt und sich unter den Tisch zu deinen Füssen legt. Nein, der Platz ist leer, und wenn wir zum Boot gingen: der Platz an deiner Seite war leer, fast wie ein Phantomschmerz, abgehauenes Bein, dein Hundchen. Auf dem Boot neues heftiges Weinen, weil er überall fehlte, kein Felix ging die Brücke hoch, suchte sich seinen Schattenplatz an der Winch oder an der Rettungsinsel.

Frisch gebadet gehst du in die Ewigkeit. Sagtest du, schwer vor Trennungsschmerz. Entschlossen ihn abzugeben. An wen? An Ihn, der für alles und Nichts verantwortlich ist? Weil die arme Kreatur vor Schmerz schrie, Tag und Nacht nur Tropfen von Valium zum Todesweg. Ich hielt sein Körperchen auf dem Weg auf den Knien im Korb. Nah zu nah sein warmes Fell, die Pfoten Das Köpfchen, die offenen Augen, die mich ansahen wie Nie. Fast alles war anders. Alles aber entgeht mir beim Schreiben. Am Kirchplatz an der alten Langobardenkirche vorbei. Was ist Zeit? Schon beim geliebten Tierchen komm sie im Tode schmerzhaft nah. Im Blick spürbar. Vorbei. Die gewohnten Kurven. Schnall dich doch an! Die Statale zu Marcello dem einfühlsamen Tierarzt. Alles für dich mein Felix zum letzten Mal.
Und seither bist du ein Schatten des Todes, der sich über die schöne Landschaft legt: als wären unsere eignen Erinnerungen die er in sich sammelt, nenn es: Liebe, tief verletzt und gingen ihrem Ende zu in die Erde.

Er liegt im Körbchen lang ausgestreckt, fast schlafend. Auf dem Tisch, die Beinchen fühllos, Arthrose, der Arzt fand die Venen nicht. Ein letzter anrührender Abschiedsblick zu dir. Ein Nie wieder. Zwei Betäubungsspritzen in die schon gelähmte noch warme Haut. Die Augen zu. Ein Abhorchen des Herzchens. Wir mit unseren Händen an seinem Fell, streichelnd, vierhändiges letztes lebend zuneigendes Spiel. Rührend das schmerzende Bäuchlein, preisgegeben, zuckend in Krämpfen, doch kein Schrei mehr, kein unterdrücktes jammerndes Bellen und Klagen. Und dann wie bei den schlimmsten Herzspritzen: Phenol im Todeslager, die Spritze auch bei ihm ins Herz. E andato? Fragte ich. Ein letztes Abhorchen mit dem Stethoskop: Si. Same und Urin noch auf dem Tisch und eine kleine rührende harte Fäkalie ließ der Kleine hier zurück. Scheiße auf der Erde ist doch alles Sichtbare. Und unser Schmerz. Schwer wie Blei alles Endgültige, auch bei seinem kleinen zu nahen Tod, der wie durch unsere Hände ging. Letzte Wärme.

Wir stückelten alle Kabel zu einem Licht im Sternenlicht zusammen. Das Gras. Der Himmel. Der Orion. Die Bäume um ihn, zwischen zwei Olivenbäumen und Apfelbäumen im Garten, das ewige Loch zum Verschwinden… Bäume dabei, die Zikaden und Grillen, Vögel auch, und Pasqualino, der Kater, Vertreter der Tiernachbarn hier: So trug ich ihn in den Garten hinab zu den Apfelbäumen und dem Loch. Legte ihn bedeckt hinein. Ein Stück Tierform, ein Strandholz vom Ufer, wo er so gerne war, schnüffelte und rannte, sommers, winters, herbst und frühjahrs, immer im Sand, dem ewigen Sand am Meere, weg war, wiederkam im sechsten Gang, Hundebe¬gegnungen oft, kaum an der Leine, frei. Oft von mir mit den kommenden, schäumenden Wellen aufgenommen, mit dem Hintergrund der Marmorberge, FELIX, Spaziergänger am Sonntag. Ruhe. Frieden. Als könnte es ewig so sein. Ereignislos sich wiederholende Langeweile. Die gut tut. Wie das Ausbleiben von Schneidendem. Schöne Fadheit des Sonntags im Winter.

Und jetzt das Loch in der Erde, mit Wurzeln und Ameisen auf ihm, den ich hineinlegte. Das Tuch dann abnahm. Das Köpfchen winzig, kalt schon und verschrumpelt, die Augen geschlossen. Brav die Beinchen ausgestreckt, schon starr. Bereit für das Immer. Und eine weiße Hibiskusblüte, vom Hibiskusstrauch, noch von Vater gepflanzt vor fast dreißig Jahren. Vater, der längst „dort“ ist. Alle haben sie hier etwas gepflanzt, auch Mutter, die Schwester, der Bruder, Mutter ebenfalls „dort“, und die Geschwister waren nie mehr hier, ich hab sie im Leben verloren.
Dann schüttete ich mit Erde das Loch zu, kaum bewusst, dass ich das Hundchen für immer verschwinden ließ, die so von uns geliebte Kreatur, als wäre sie „das Leben“.

Die Wunde bleibt, dass die kleine geliebte Kreatur auf der Erde die gleiche Chance nicht hatte wie wir Menschen. Als wäre es ein anderes Karma niedrigerer Art, und das geistige Glück fehlt. Die Entwicklung auch, das Selbstwissen. Oder hatte er es? Doch im Spiegel erkannte er sich nicht. Und so stirbt er für immer und gibt nichts mehr weiter. Und so diese tiefe Wehmut und Trauer, dauerndes Mitleid. Nein, sagt Vive, auch unsere und seine „Zuneigung“ bleiben und haben die Momente erfüllt wie klingende Noten. Eingegangen hier in das Spiel mit Romeo oder den Lauf am Strand, ein Sprung ins Wasser vom Boot, die Entenjagd. Seine letzte Regung als kleiner Jäger, spontan sprang er ins Wasser und schwamm ihnen nach. Das war in Portoferraio. Kurz bevor er ging. Mein kleiner Entenjäger! Dann sehe ich die Spritze vor mir. Sie bohrt sich tief in sein Herz im noch warmen Körperchen. Doch pulst noch das Blut. Dort, dort, eben höre ich sein Bellen, und dort liegt er, und jetzt taucht er auf und biegt um die Ecke, fass ihn an, sein Köpfchen, das genau in die Hand passte, so nah war niemand, kein Mensch, jeden Tag. Mein Kleiner, komm zurück.

So rein, „paradiesisch“ alles. Und absurde Gedanken: gestern Regen und Blitz und Donnern, mein Gott, wird er jetzt nicht nass, dort in seiner Erde? Nie mehr werden wir ihn sehen können. Er kommt nicht mehr wieder. Kleine unschuldige Kreatur. So ist das Leben.

7. August . Geburtstag. Mit Stefano und Giancarlo. Auch das eine Öffnung.

15. August. Über Stazzema zum Forato, den wir nicht erreicht haben, auch nach dreieinhalb Stunden nicht. Und erinnern nur den ganz steilen Aufstieg, den wir vor 2 Jahren noch schafften. Jetzt fiel es sehr schwer. Heute nur bis zur Foce. Das Alter! Alle Knochen tun weh, und kurz der Atem. Auch Hannah schaffte es kaum, blieb stehen, konnte nicht mehr weiter. Es war eigentlich eine Qual. Aus also mit diesen früher so schönen Ausflügen. Einen hatte ich genau beschrieben, nannte ihn. „Tempo Quiete.“

Halbprofil mit langer Nase am Rifugio, aber hochragend steil die Wand zum Matanna, so sieht das Unübersteigbare gefährlich aus, und Schweiß an den Händen, trocken auf einer Bank, trinken wir dann den letzten Schluck Weißwein und essen Schokolade, der Hund springt dazu auf die Holzbank. Ich aber habe vom gestrigen Weißwein Entzugserscheinungen, bin auch atemlos, Schwere beim Aufstieg, ich denke, mein Lieber, bald ist es aus, die Kräfte lassen nach, spürst es an den Knien, und werde an meine Mutter denken, die bei dem Passo della Croce auch nicht weiter konnte, mein Herz, sagte sie, und es flimmerte ihr vor den Augen.

23.8. Abend mit Sorensen und seiner halbjüdischen Frau Eli, der Vater ist Jude, und war im KZ. Die Mutter ist Dänin. Ein Buch ihres Vaters hatte sie mir ausgeliehen: The Holocaust Odyssee. Daniel Benahmias. Sonderkommando.
Der Bildhauer ist gleich alt mit mir. Schenkt uns zwei Kataloge. Ein bekannter, ja, berühmter Mann. Hunde, Hunde, er gestaltet sie, Und den Tod vor allem. Eine Figur beeindruckt mich besonders, Kuss und Umarmung mit dem Sensenmann. Und das blühende, obszöne, verfallende Fleisch dazu.

Am Samstag 25. August besuchen wir Sorensen wieder. Begutachten den neuen Wurf, um Felix zu ersetzen, ihn zu verschmerzen Das Gewusel hat die Augen noch nicht offen. Es sind Aztekenhunde (sie wurden damals verspeist) Xoloitzcuintle Rasse. Geschenkt an Sorensen von Francisco Toledo aus Oaxaca. Zum Todesgott Xolotl wurden die Toten von diesen Hunden begleitet.

26./27.8 Portovenere/ Le Grazie. Mit Frasquita und ohne Felix. Hannah weint viel. Doch der arme Kleine hat uns vorgezeigt, was Verschwinden heisst . Er hat es uns ganz nahe gebracht. Alles, jede Kleinigkeit ist nun ein Niemehrwieder. Ein Niemehr in Portovenere, nie mehr diese Berge sehn, wie er jetzt, durch mich gedacht. Nie mehr schwimmen, nie mehr schlafen, nie mehr laufen, nie mehr müde sein, nie mehr mich ansehen, nie mehr. Nur die kleine Xolotla, die wir jetzt Dea nennen wollen, tröstet.

Und gestern las ich von Norberto Bobbio über das Alter in der „Lettre International“ Und einen anderer Text von Vianu ebenfalls über dieses bleischwere Thema. Jede Kleinigkeit sollte wichtig werden, getränkt mit diesem Gedanken, und von der Zeit doch veredelt, wenn es lange her war. Doch auch dieser Gedanke: Was hast du an diesem 27.8. gemacht? Er kommt nie mehr wieder! Und bemerke, wie ich in Nervosität verfalle, die mir die Zeit des Erlebens stiehlt. Vor allem der PC. Und „mein Werk“ hat mir Zeit gestohlen. Es ist doch unerwünscht, keiner will es kaufen, lesen, zur Kenntnis nehmen. O ja schon, aber wenige.

Das Schreiben? Das Illusionen schafft? Während das wirkliche DA Sein, einfach so in der Landschaft atmen, schauen, schwimmen, von Wasser umhüllt, das Weiche fühlen, das Kühle, die fernen Marmorberge sehen, oder während des Schreibens in den kleinen schwarzen Buchstaben verschwinden? Und dann dieser harte, schneidende Felsen, zu dem ich hin schwamm in unserer Bucht (südlich vom Wehrturm, der auch da sein wird, wenn es mich längst nicht mehr gibt, und der da war, als es mich noch lange nicht gab? Aber wie unsicher bewege ich mich da, keine Kraft, kein Gleichgewicht mehr, auch kein Vertrauen in meine Kräfte, mühsam und vorsichtig taste ich mich voran. Am besten geht noch das – reibungslose- schwimmen. Und immer ist hier der Shelleygedanke mit dabei, der mit seiner Mary und ihrer Schwester in San Terenzo kampierte, in der Villa Magnani. Und dann bei Viareggio mit seinem kleinen Boot unterging.

28.8. Bernhard Taureck, Kritische Ikonographie. Bilder in ihrer Unbegrenztheit sind Analogien des Todes. Entgrenzung ist auch Poesie. Also im Schwebezustand schreiben, solange das noch möglich ist, negiert mein gewesenes und kommendes Nichtsein. Daher ist es jetzt not-wenig nachzudenken, denn auch dies ist Antitodesdenken: Es ist ja nur möglich, weil es mich überhaupt einmal gegeben hat. Ohne Bezugspunkt wäre es nicht möglich, so bin ich für immer mehr als Nichts. Genau so ist es ja auch mit meinem kleinen Felix, der auch jetzt durch mich da ist, auch nach seinem Tode.
Schon bei Platon (Apologie des Sokrates) gibt es zwei Möglichkeiten im Todesgedanken: Entweder ist es das Ende des Bewusstseins (ein totales Aus), das wird als „Annehmlichkeit“ geschätzt, oder es ist eine Wandlung, dann gerecht, weil die Wandlung vom Wert, dem gelebten Leben abhängt. Das geht auf Pythagoras zurück die Seele ist unsterblich.
Im ersten Fall sehr angenehm, traumloser ewiger Schlaf. Im zweiten Fall ein „Auswandern“, ein „Verreisen“, Übersiedlung. Und die wird ja auch als kleinen Tod empfunden.
Tod nicht als Fakt sondern als Bezug bei Seneca. „Wir fürchten nicht den Tod, sondern das Denken an den Tod“. Insoweit sind die Tiere glücklich. JA; DIESE QUAL: Daher auch Qual des Nichtwissens. (Non mortem timemus, sed cogitationem mortis.) Und Montaigne geht davon aus und sagt auch, der Tod sei eine allzu augenblickliche Angelegenheit, als dass es sich lohnen würde, darüber nachzudenken. Epikur meint, wir müssten uns vor ihm nicht fürchten, denn „das Aufgelöste ist empfindungs- und bewusstseinslos.“ So war die Angst vor einem unglücklichen Überleben, Lebendigbegrabenwerden etwa, größer als der Tod selbst. Auch bei mir. Bei Mutter.
Bei Lucrez in seinem „Der rerum naturae“: Ursprünge unnötiger Angst. Denn wir gehen ja dahin, woher wir gekommen, und das macht uns keine Sorgen, obwohl es ebenso ein Geheimnis ist.: Der Mensch begreift nicht ohne weiteres, dass er „nie nach seinem Tode gleichsam / anderes Ich sein eigenes Sterben, noch Lebens, betrauern; / nie sich als Beute von Raubtieren oder von Flammen beklagen / könnte.
Leibniz dagegen war sich sicher, dass der Tod nur schein bar ist. Er sprach von Monaden. Wir können von Atomen und Molekülen sprechen, Das Sichtbare aber ist nur Trug und Schein. Daraus folgt auch, dass im Universum „Nichts Totes“ sein kann. Wir also nichts als Maske und der Körper ein Kleid ist. Allein diese werden uns genommen.

28.8. Beim Schwimmen der harte, messerscharfe Fels, ich muss daran denken, dass auch ich aus Wasser bestehe und dies Messerscharfe, Kantige, Harte hier, viel konsistenter mit Kalk überdauert seit Jahrmillionen Jahren… es da sein wird, wenn ich längst nicht mehr bin.
Es geht um das „dritte Alter“ (nach 70) und sogar um das vierte (nach 80). Die Frage gilt nun immer vordringlicher, weil nichts mehr wieder gut zu machen ist: Was hast du aus deinem Leben gemacht, du hast nur noch Vergangenheit, und wie sieht die aus? Wie richtest du dich ein?
Wirklich? Ist das alles, was wir mit dem gewohnten kleinen Menschenverstand, der gewohnten Erfahrung „bedenken“ können?
Meine Überzeugung hilft mir darüber hinweg, dass es wahrscheinlich noch wichtigere Zukunftsräume gibt, also die Mutation, der Wandel unendlich ist, und es ein Überleben gibt; ein seniles Warten auf den Tod nicht „alles“ in diesem Lebensstadium ist. Der rumänische Psychiater Vianu meint, wichtig sei, wie die heute Produktiven und Jungen uns sehen? Und da kann ich mich nicht beklagen: Ich werde besucht, Doktorarbeiten werden über mein Lebenswerk geschrieben, und für manche bin ich der „padre spirituale“, „paspi“ lachen sie… Und sogar den Frauen bin ich noch willkommen, seltsamerweise bin ich ihnen liebenswerter als in früheren Lebensaltern, und sie toben ihre Phantasien an mich denkend aus. Wie ist das möglich? Lieben sie nun den „Vater“ in mir, den Großvater gar? Wie schon Hel bekannte:
„Ja, sei mein väterlicher Freund. Das wollte ich immer. Ich suchte nie einen Geliebten: ich habe ja meinen Mann. Ich wollte den geistigen Vater, mit dem ich mich austauschen kann in den komplizierten Gedankengängen meiner Seele, den reifen, alten Mann, der vom Leben weiß und mir von sich erzählt und der mir zuhört in meinen Zweifeln und meiner Bestimmtheit der vergehenden Jugend .- Und wenn Du Dich erinnerst, war ich diejenige, die ursprünglich vor Teufels Küche warnte. Ich brauche sie nicht mit Dir. Ich war nur in ihr gefangen, unter anderem auch, weil Du viel mehr als ich darauf bestandest und mich in suggestiver Art immer wieder zurückholtest in sie, wenn ich schon längst an der Wegkreuzung stand. Was ich Dir damals im Auto vor dem Kloster unter Tränen gestand, ist wahr und ist wahrer als alles andere sonst: Du bist der Vater, den ich mir gewünscht habe, einer, der sich um mich kümmert, auch wenn ich über Dreißig bin, der an mir teilnimmt. Dieser Wunsch vergeht nie. Auch wenn man erwachsen ist. D.: Lass mich Dein Kind sein, das Dir alles Gute und Liebe mit Deiner Frau in Mexiko wünscht und dass sich auf ihren väterlichen Freund freut, irgendwann, die Zeit spielt keine Rolle mehr, aber ohne Sexualität und Körperlichkeit, gemeinsam im Geist unserer Arbeit und Gedanken. Und dass ich sein kann als die, die ich bin. Dass ich ins Licht kann und nicht in der Dunkelheit bleiben muss.
Ich mag Dich so sehr von ganzem kindlich-erwachsenem Herzen, Du kannst Dir gar nicht vorstellen, wie sehr. Was bleibt, ist nur das Wesen. Leben, darin liegt kein Glück. Leben: das schmerzende Ich durch die Welt tragen. Aber Sein, Sein ist das Glück. Sein: sich in einen Brunnen, in ein steinernes Becken verwandeln, in das wie warmer Regen das Universum fällt."

Fast täglich kommen Mails wie diese, jetzt seit einiger Zeit von E., wieder einer Ostdeutschen, wieder einer Sächsin, und es ist mir klar, dass die gemeinsamen Erinnerungen an eine untergegangene Lebensform, die uns geformt hat, die Schwingung verstärken, die Gefühle zusammenfinden lassen.

Unglaublich. Und auch Hella bleibt mir erhalten. Die freilich wegen der Entfernung oft für viele Wochen verschwindet.

29. 8. Und was war heute? Ich strenge mich an. Ach ja, ich schrieb an Florian Höllerer, Preisverleihung im Literaturhaus Stuttgart. Und stellte mein Bilanz des Jahres zusammen. Noch Nachwehen des Festivals. Dann vormittags beim Boot, Reparaturen. Vorher bei Tim, dann für den Autopiloten einen Stecker gekauft. Wieder Brief von V.. Abends bis spät nach Autovermietung in Rumänien gesucht. Nichts. Langes Telefonat mit meinem Verleger wegen „Vlad“.
Auch mit Maria Lauper telefoniert und dann mit M., einem Jugendfreund, dem einzigen, der meine Bücher liest, und der mir über Schässburg berichtete, wie turbulent und gut und ergreifend vieles gewesen war.
Also es ist doch so einiges geschehen und ich habe einiges „gelebt“. Darf ich es unaufgezeichnet, tagebuchlos vergehen lassen?

Zum 31. August am 22. September. Letzter August. Schon vergangen, alles schon vergangen seither, denn ich schreibe es viel später auf: Heute ist der 22. September, unser Hochzeitstag. Doch vor vierzig Jahren haben wir uns kennen gelernt und leben seither zusammen. Ich las eben Meschen Dörfers Siebenbürgische Elegie. Das Ende: „Ehern, wie die Gestirne, zogen die Jahre herauf, Ach, schon ist es September. Langsam neigt sich ihr Lauf.“ Und nachts noch im Buch des sterbenden Tiziano Terzanis „Mein Ende ist mein Anfang.“ gelesen. Das Leben dem Sohn erzählen. Der Versuch, im Sohn weiterzuleben.
Spiegelgleich: Telefongespräch mit meinem Sohn, der zwischen zwei Frauen lebt, seiner Mutter und Marion, seiner Liebsten. Und mache mir Sorgen wegen seiner Mutter, der Geschiedenen
Terzani lebte ähnlich wie ich, auf einem grünen Hügel bei Florenz. Wunderblick ins Tal. Er liegend, in indische Decken gehüllt, spricht mit seinem Sohn. Er hat Krebs im Endstadium. Und er meint, er habe mit allem abgeschlossen. Das sei die indische Lehre. Ich denke an Schopenhauer, dass der über das Abschaffen des „Verlangens“ sprach, und Tiziano Terzani über das Ablegen auch des Besitzes, ja, der Liebe seiner Frau, da er das alles nicht sei. Sein oder Haben? Ist das möglich? Kann ich mich dazu bekennen? Nein. Das ist ja mein Elend. Jetzt denke ich sogar ans Testament, die Hinterlassenschaft, den Versuch, dass mein Werk weiter gehen soll! Durch einen Preis für jene, die darüber schreiben, es weiter führen! Terzani aber sagte: Er sei abgeklärt, schwebend leicht. Also das Gegenteil von mir, aber auch etwa von meiner Freundin Ingrid B. und ihrem Alters-Buch. Oder gar von Jean Améry und seinem Buch. Und tatsächlich: zur „geliebten Essenz“ zu kommen – aber ohne Gegenüber? Wer schafft das? Ohne Sklaverei. Nicht nur „leichte Hand,“ sondern bei Améry: leichter Körper, der er ja auch “nicht sei“. („entsetzlich schwach, aber heiter und gelassen“). Er war erst 66. Mit 66 gab es bei mir nur den Bruch, die Krebsoperation. Vor 7 Jahren. Und bei Terzani? Mit dem Sohn nun als „Testament“ nachvollziehen „die große Reise des Lebens“, den Rückblick. Also doch wieder ein BUCH, auch bei ihm? Ein gelebtes Buch freilich, mit dem Sohn wieder gelebt. Und ich denke an meine Gespräche und Tagebücher. Und jetzt kommt eine Mail an. Sind Mails nicht auch intensive Gespräche, die ich täglich „lebe“. Und das Leben mit Hannah macht mir Sorgen, mit ihr nur die Banalität und der Streit? Heute wieder. Sie lässt sich nichts sagen, meckert aber täglich an mir herum. Dieser Rückblick ist traurig, und doch ist er mein eigentliches, mein ständiges, nicht mein „inständiges“ Leben; in meiner „Kunst der Rückkehr“ (meinem „Transylwahnien“) ist er nachzulesen. Ich habe ja immer tagebuchnah geschrieben, mit gelebten. Sequenzen, immer warm, ja heiß die Nadel..
Und auch bei Tiziano, das höre ich (selten) auch von anderen, dass er sich auf den Tod, dieses letzte Abenteuer freue, alle anderen habe er schon oft genug erlebt, und nichts Neues mehr erwarte ihn, da könne er vielleicht neues Erleben und neue Erkenntnisse gewinnen, denn wirklich ganz freie Freiheit, nicht „Tod“ möchte er das nennen, ein „Freilösen vom Körper“. Das hatte er im Himalaja gelernt, in der Einsamkeit, für die er dankbar sei, dankbar auch für diese Krankheit, die ihn dazu bringe, tiefer nachzudenken.
Und das wichtigste ist, ich sag es mit Rilke: „Sei allem Tode voran.“ Ihn also im Leben schon zu erkennen, und zu erproben, was Sterbenlernen heißt, alles aufgeben können. Ich kann es, nur das Lebenswerk kann ich nicht aufgeben, obwohl… auch das ist ja Nichts, letztlich nichts und vergeht. Was ist es in 1000 Jahren? Meine Idee mal geschrieben: mit meinen Knochen, auch mit meinem Papier „unverderblich“ eingesargt und aufgehoben zu sein, ist lächerlich! Und „Geld und Ruhm“? Ich dürfte mich auch über den neuen Preis, die Anerkennung nicht mehr freuen? Dieser Mangel an Anerkennung meines Werkes, der mich schmerzt, sollte mich nicht mehr bestimmen! Auch wenn dieses Schreiben meine ganze Anstrengung in diesem Lebens ist und es so zunichte macht. Ciorans Scheitern? Als beste Meditations¬möglichkeit, die das Leben selbst schenkt, sollte ich das Scheitern als letzten Sinn und „Geschenk“ akzeptieren?
Und dann: warum sollten wir Angst haben, uns sträuben? Milliarden Menschen sind gestorben, es ist die natürlichste Sache der Welt. Und Milliarden Tiere. Und die Erde ist ein riesiger Friedhof. Doch daraus wachsen Blumen und Bäume, es gehört mit zur Schönheit der Welt, das sie auch vergeht! Und ständig werden Millionen Menschen geboren. Und Millionen Tiere. Was soll also die eigne Selbsttrauer und die Trauer um diese kleine und alte Kreatur D.?
Ich lese in der „Vatra“ über Richard Wurmbrand, übersetzt in 70 Sprachen: „Cu Dumnezeu in subteran“ Und auch er hatte es als Wundermittel in den kommunistischen Folter-kammern und Zellen geübt: Wer sich aufgibt in Seinem Namen… (Christus meint er, dessen Willen tun, und so überleben?) Wird gerettet werden. Terzani nimmt ihn nicht in Anspruch, eher das buddhistische Nichts als doppelsinnige „Aufgabe“.
Ich habe es auch versucht, und die jungen rumänischen Poeten, etwa Claudiu Komartin, gehen davon aus: Komartin, der das Nichts anders erreicht, eben über ein Nichtsein, das er annimmt („noi nu avem nume, noi nu avem viitor / nu îmi e frică nu îmi mai e frică…“ Wir haben keinen Namen), wir haben keine Zukunft / ich habe keine Angst, ich habe keine Angst mehr); Namen Los heißt mein neuer Gedichtband.
Doch es gibt auch diese grauenhafte Überzeugung falsch verstandener Teil- „Wissenschaft“, vor allem der Neurologie (Das Gehirn sei alles, alles habe dort seinen Sitz) Sogar eine der Freundinnen, H., mit ihrer Depression beschimpfte mich als alten „Zurückgebliebenen“, der „keine Ahnung“ habe von den Fortschritten der „Wissenschaft“, und meinte, dass nur die „Botenstoffe“ in ihrem Hirn nicht richtig funktionieren, daher mit Medikamenten auch ihre Depression heilbar sei. Ich sagte: Auch der Tod? Ihre Antwort: „Dann ist alles aus“. Das war ein Verlusttelefonat gewesen. Und damit war unsere Beziehung auch beendet.
In jener Zeit schwadronierte ein gewisser Ludger Tebartz van Elst (ein Tierarzt), über die „Bauteile der Seele“. Alles könne durch Elektroden im Gehirn an Gefühlen erzeugt werden. Nichts stimme mit dem Gefasel vom „Selbst“ und der Einmaligkeit jedes Menschen überein. Wir seien nichts als eine Hirn- und Fleischmaschine. Seele und Bewusstsein seien nichts anders als von der Hirnmaschine erzeugte Reflexe; das hatte so nicht einmal der gute alte und brave Marxismus behauptet. Und ein Wissenschaftstheoretiker F. M Wuketis schreibt: „Moral ist nur die Summe aller Regeln“. Also gäbe es nichts in uns, was man Gewissen nennen könnte! Kant darf noch einmal sterben! (SDZ 17.8.07.)
30. 9. Lesen, lesen, lesen in Ingrid B. s wunderbarem Buch über das Alter. Sie denkt, fühlt und fürchtet sich auch für mich, steht so davor, wie ich.
Das Zwingende, dass ich bald verschwinden muss, begreife ich nicht, und es kommt mir nicht wirklich nahe. Gellende Hilfeschreie sind nicht hörbar. Obwohl es für alle ein Todesurteil ist.
Was uns bleibt, ist das verdichtete Netz der Erinnerungen. Würzburg etwa mit H., nun für immer vorbei! Bei mir tauchen freilich ganz andere Netze auf. Meine Lesung 83 in Würzburg, ein ganz anderes Würzburg als noch junger Mensch in der Evangelischen. Akademie (von Andreas Möckel organisiert.) Die Klassenkollegen staunen, meine fremde, blitzende intellektuelle Rede damals, die war wie eine Wand zwischen mir und den anderen. Meine Kommentare zu abgehoben. Am nächsten Tag mit Anneliese der Stadt-Rundgang, sie zeigte mir Würzburg, vorher war ich noch mit Hannah bei unserem Deutschland-Trip in Würzburg gewesen. Ich erinnere noch das Grab und Gedenken an Walther von der Vogelweide, sehe alles noch genau vor mir. Nachher in dieser alten Würzburg-Beziehung gab es eigentlich nur das Bett jahrlang, die Filme, die ich von ihr machte, und mit denen ich auch zu Hause erotische Phantasiespiele trieb. Und jetzt? Depressionen… die Liebe wurde von dieser Krankheit auf Eis gelegt. Und sie ist vorbei. Mailos geblieben.
Und ich lese jetzt: Joyce Carol Oates. In ihrem Tagebuch erzählt sie, sie schreibe täglich mit fieberhafter Intensität, fast wie besessen, und fühle sich, wenn sie nur einen oder zwei Tage nicht geschrieben habe, "vollkommen wertlos". Mir geht es ähnlich. Doch seit etwa einem Jahr habe ich auch zum Schreiben kaum Lust mehr. Und das macht mir Zukunftsangst. Es ist ein Wunder, dass ich mich noch nicht ganz so fühle wie Oates. Was aber wird kommen? Ist es die „wachsende Gleichgültigkeit“? Abnehmende Lust, wie Julien Green meint. Und Ingrid schreibt: „Der Abschied von der körperlichen Liebe zieht sich lange hin.“ Hängt Schreiblust mit Liebeslust zusammen?
Nein, nicht unbedingt. Und doch kann ich nicht mehr so angesteckt werden wie früher. Wieso kommt jetzt eine dreiundfünfzigjährige so heftig auf mich zu, ein Liebesbrief nach dem andern kommt an, sie habe sich in mich verliebt. Sie habe auf den Heimweg geweint, weil sie dachte, mich nie mehr wieder zu sehen. Und es lässt mich ziemlich kalt.
Also doch jeder Tag Sinn durch Schreiben?
Bei Ingrid fand ich in ihrem Alterstagebuch die Bewunderung für die Etrusker und Tarquinia, Lust auf das natürliche orgiastische Leben, Akzeptanz der Naturgesetze, so ist nichts sinnlos und absichtslos, alles eingebunden in ein Netz von Zueinander, ja, die Gewissheit verbunden zu sein, dass jeder Atemzug, nichts einfach so und beliebig ist, wie wir heute meinen. Ich fühlte es bei der Hingabe, wie es pulst am Meer, sich hingeben… in Palmaria. Ja, klar, es war die Bucht von Palmaria… westlich vom Turm.
Als ich Ingrids Buch las, fühlte ich beim Kapitel Tarquinia meinen Abwehrimpuls gegen die Römer, gegen ihre Technik und Vernichtungsstrategie der Natur, Vernichtung auch der Etrusker. Lawrence schrieb darüber. Er sah vor 75 Jahren Tarquinia, noch ungeschützt vom Staat und seinen Museen, nur mit einem Bauern. Da fällt mir mein Gedicht ein über Barrati und die Etruskergötter und das elbanische Feuer. Es ist lang her: achtziger Jahre.

DAS BOOT. Überfahrt. Die etruskische Küste hinab bis Populonia. Hier sah ich die ersten Münzen der Gegend im Golf von Baratti in der etruskischen Nekropole: Drachmen. Und im Bergnest Populonia das Museum mit dem Tränenkrüglein und dem phallischen Grabstein, das Ei dazu der Frau: Tod und Leben. Und der Totenkopf eines Zwölfjährigen. Lang her. Lang her? Beim Herabsteigen in den Golf, Rundblick bis nach Elba: da sehe ich Kinder, die mit Wildschweinen spielen! Und dann die Abfahrt. Das Reale ist hart/ fordernd, das Schiff unter dir, jede Sekunde Zeiteneinheit spürbar der Mühe, über deinen Kopf hinweg; das Meer schäumt, dazu etwas Fades, Langeweile, Enge des Körpers, den du gegen die Elemente verteidigst. Die Gedanken wie festgebunden an Ankerketten, Tauwerk und manchmal ans Ruder. Hart war die Arbeit früher. Es bleibt das Meer. Die starke Welle der Zukunft. Die kreist/ stark ist die See in uns. Und grausam. Der Geruch von Teer. Das Schlagen des Falls/ verdeutlicht die Sekunde der Angst. Keine Zeit bleibt zum Atemholen.

RIO MARINA/ELBA

Aethalia. Die tausend Feuer
Unter den Eisenbergen von Elba
Rio Marina abwesend über der See
So sammle ich mich ein: rechts der Kompaß
vor mir/ im Westen aber der Stundturm
wie ein Schiff/ es schneidet mit dem Bug
in Richtung 12 Uhr/ auf mich zu
den Himmel durch

Hinter dem Vorgebirge
Baratti/ der Golf der Etrusker
wo die Eisenzeit/ unsere begann.

Für sie war das Leben nicht hell
und eine dunkle Hur
Blut dort am Grund
mächtig im Körper eingesperrt
bis der Puls platzt die Ader das Herz.

Den Nekropolen ein Haus
unter dem Boden
der die Jenseitigen mit Wurzeln
ernährt
die Sphärenleiber wie Gummi
und Geist
Da wohnt man fein
und geht auch nicht unter

Der Genius: Penis und Kopf
rot die Farbe die unbeschwert
blitzt/ und schöpft und geht
aufs Ganze/ ein Lachen

Hochzeiten Essen vor allem
ganz fröhlich sein/ da der Tod
auch den Tod überwindet.

Befreit der Funke
wenn die Schalen fallen
in Eisenwaffen Dolchen Speeren
in heiligen Bäumen am Grunde des Wassers
wer ein Auge hat erkennt ihn schon gut

Da sitzen sie und beten
etruskisch liber linteus
SEHEN wie Apulu der Inspirierte
jenseits der Linie des Himmels
vor Rot ist -

Zehn Grad von unendlich
Wandlung und Himmelsrichtung
die disciplina etrusca
heilige Fläche
zum Lesen der Schriften des Himmels
geeignet

Alles Leben ein Zeichen
der Stunde die einfällt
und uns kreuzt
mitten im Wirbel
Spirale der Zwei
am Grunde der Welten
Bilder/ Funktionen

Des Kosmos Mathematik
ist acht mal acht
wie beim Königsspiel Schach
64 Felder des Schicksals
bewegt ist dein Leben/ darauf
Orakel will sehen
Apulu/ Uni und Tin

In jeder Sekunde
die Kreuzung/ der Blitz
anwesend in dir ist das Umfeld
ein Götterkollegium
du mitten drin
im Urknall der Welt.

Und das Nicht zuhause auch hier… wir sprachen, wo sollen wir uns mit unserer Leben „zu Hause“ fühlen, in S., wo ich alle meine Kindheits-Erinnerungen habe, fühle ich mich nicht wohl, die Distanz dazu ist groß… Aber auch hier und in Deutschland. nicht! Und manchmal denke ich jetzt: meine Leben ist eine einzige Flucht, ich kann es nicht einmal als verfehlt bezeichnen … es lag immer „daneben“.
Mit Hannah reden wir über unseren Tod. Wenn wir nirgends zu Hause sind, wissen wir auch nicht, wo wir „ewig“ sein möchten. Wo will Hannah begraben werden. Neben Felix, sagt Hannah Ich möchte zwischen meinen Büchern sein, sage ich. Sie: Glaubst du die sind ewig hier. Und der Garten wird Fremden gehören. Also wohin? Nichts Vertrautes mehr. Ingrid schrieb es auch so auf: und es ist „Heimat“, die fehlt, wo man einen kennt, wo man geboren wurde, wo man stirbt, klar… wie die Bauern hier. Wir sind doch fremd. Ortlos.
Und auch hier, mit Hannah nicht mehr eins. Allein? Eher irritierend. Streit. Nein, ich wehre mich immer mehr dagegen, denn Eines bleibt: es ist trotz allem ihres, meines, es ist unser Leben… „gewesen“?
Kein Ort, wo man Abschied von mir nehmen wird, sich an mich erinnern kann aus dem Alltäglichen, der Vertrautheit, in die man hineingewachsen ist? Doch ist der od nicht sowieso ortlos? Wie verrückt, sich auf der Erde dafür große Grabmähler zu bauen…? Ich dachte: So ist nun das Leben verloren in der Flucht, Dauerflucht. Und so auch der Tod verloren. Und stimme dem nicht mehr zu.
Der Wunsch zu schaffen, etwas „Bleibendes“ zu hinterlassen?
Mein Buch "So nah, so fremd,“ beginnt mit einem Laotse-Zitat: Der SINN, der sich aussprechen lässt,/ ist nicht der ewige SINN./ Der Name, der sich nennen lässt, / ist nicht der ewige Name. / "Nichtsein" nenne ich den Anfang von Himmel und Erde / "Sein" nenne ich die Mutter der Einzelwesen. / Darum führt die Richtung auf das Nichtsein / zum Schauen des wunderbaren Wesens, / die Richtung auf das Sein / zum Schauen der räumlichen Begrenztheiten. (Laotse, TAO TE KING)
Im Todesmoment soll es die "Panoramaschau" des Lebens geben. Eine Art Gericht. Der klassische Fall ist der des Admirals Beaufort, ja, der auch den Windstärken den Namen gegeben hat. Der in jungen Jahren fast ertrunken wäre. In einem Brief schildert er den großen Frieden, und die umgekehrte Panoramaschau: ein Zurück bis in die Kindheit, jedes Ereignis konnte er genau sehen.
Doch auch nach dem Tod werden die Ankommenden in einen tiefen Schlaf versetzt, und sehen dann ihr Leben wie ein Gericht ablaufen, heißt es.

EINE ART ODE
Wäre es besser nach dem Tode
weiter zu leben?
So denke ich darüber nach,
weil ich den Tod fürchte.
Manchmal aber denke ich nur an unendliche Ruhe,
und sich auflösen mild unterm Gras.
Und fürchte mehr noch den Ewigkeitsschrecken,
weiter leben zu müssen nach dem Sterben -
in andere Gedanken geworfen, größer als die Gedanken.

Es heißt, darüber gäbe es keine Nachricht,
weil sie allem, was nachher sein wird,
Nie ausreicht, der Erde, dem Gras
nicht, und allem, was wir sein werden,
und es nicht wissen. Engel - Nichts
als ein Wort, sagen die
Hinübergegangenen und lachen.

Nicht D-Mut, Nein.
Der Un- und Nicht-Mut wäre sein,
der ihn so hier hält, ohne die Trenn-
Wand, den Schein.

Dabei war es mir bisher nie gelungen, was einem Freund gelungen war: die Toten zu hören, zu sehen; ja, er meinte sogar, dass es besser so sei, sie nicht zu sehen, denn sie waren ja da, es brauchte keine banalen Beweise, gar banale Aussagen über den Tod. Das Unsichtbare sollte unsichtbar bleiben. Und doch hatte er, wie wir alle, ein großes Bedürfnis, seine quälenden Zweifel zu beseitigen.
Keine Zeit mehr verlieren mit anderen Themen. Ich erinnere mich an eine Gesprächsrunde in der Heilanstalt. Alle, die sich "damit" beschäftigen, werden eingesperrt.
Heute waren wir beim alten Verleger und Nachbarn Er hört andauernd die Stimme seiner toten Frau. Meint sie sitze neben ihm. Wir redeten über Senkowski, den Paraphysiker in Mainz. Ich erzählte der Tochter des alten Verlegers von meiner neuen Meditation. Sie erzählte von ihrer Heilerin auf einer kleinen Insel im Indischen Ozean, die habe ähnliche Praktiken, Hangtsa: aufsteigender Lichtpunkt, Ausweiten des Körper, daraus ein Lichtpunkt über die Erde, dann Flug und Rückkehr aus dem All. Im Tod: erwartet uns ein großes Licht. Die unvorstellbare Liebe.


2009. Und ich bin immer noch am Leben. Was hat mich geheilt? Ich glaube schon, dass es mein Widerstand gegen die Ärzte, meine Meditation, meine homöopathische Kur war. Ja, diese alternative Kur, die von einem genaueren Körpermodell ausgeht. Und dann DIE LIEBE! Mich geheilt haben.
Ich lese in der ZEIT mit Zustimmung den Essay von Iris Radisch:

Metaphysik des Tumors
Bücher über Krebs und Tod haben Konjunktur. Wozu brauchen wir eine literarische Sterbebegleitung?
© Sean Gallup/Getty Images

In seinem Buch erzählt Christoph Schlingensief vom Lungenkrebs. Es wurde zum Bestseller
Über den Tod wurde nicht gesprochen. Als mein Großvater starb, machte sich mein Vater zu Hause einen Kaffee. Als meine Großmutter starb, spielte mein Vater mit Freunden Karten. Das waren die siebziger Jahre. Man konnte damals aufwachsen, ohne auf die Idee zu kommen, dass die Kaffeestunden, die Canastaabende gezählt und irgendwann unwiederbringlich vorbei sein könnten. Die Kriegsteilnehmer wollten vom Tod nichts wissen. Sie hatten vielleicht schon zu viele Tote gesehen.




ANZEIGEVater ließ den Keller fliesen. Die Glas- und Betonwelt, die damals entstand, erzählt bis heute von der berühmten »Unfähigkeit zu trauern«. Und von der legendären »Unsichtbarkeit des Todes«. Die Vaterwelt war abwaschbar, todesresistent und al¬terslos. Die Toten wurden ohne Aufhebens entsorgt. Das Sterben und das Geboren¬werden in Räume verlagert, die mit ihren abspritzbaren Wänden größere Ähnlichkeit hatten mit einem Schlachthaus oder einer Hinrichtungsstätte als mit menschlichen Behausungen.
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Auch der Spiegel- Reporter Jürgen Leinemann, dessen autobiografischer Bericht über seine Krebserkrankung in diesen Tagen erscheint (Das Leben ist der Ernstfall, Hoffmann und Campe), kennt noch diese geflieste, todesvergessene Welt. Als seine Mutter starb, feierte er gerade seinen Geburtstag in Rom. Der Abschied von der To-ten fand in einer Abstellkammer statt, die voller Gerümpel war. Aber das ist lange vorbei. Heute erfährt das Sterben beinahe größere Aufmerksamkeit als das Leben.
Heute sind die Sterbehospize hell und freundlich. In den Sterbezimmern gibt es Gäs-teschlafsofas und TV-Anschluss. Die Fernsehgeräte hängen den Sterbebetten di¬rekt gegenüber (ungefähr dort, wo früher das Kreuz gehangen hat), und der Ster¬bende kann bis zuletzt das deutsche Fernsehprogramm verfolgen, in dem andere Sterbende wie die britische Fernsehberühmtheit Jade Goody und womöglich auch Jür¬gen Leinemann oder der Theaterregisseur Christoph Schlingensief über ihre Krebserkrankung Auskunft geben.
Auf das lange Schweigen folgt das dauernde Gerede. Bücher und Zeitungsartikel über das Sterben, das eigene oder das der Mutter, des Vaters, des Ehepartners, er-scheinen beinahe wöchentlich, erreichen die Bestsellerlisten und werden mit Preisen ausgezeichnet. Fotodokumentationen über sterbende Kinder und Greise – vorher, nachher – liegen als Coffeetable-Buch in den Läden. Die Kulturwissenschaftler nen-nen das die »neue Sichtbarkeit des Todes«.
Das neue Öffentlichwerden des Todes kann man ungehörig und geschmacklos fin-den. Aber es ist auch eine große Befreiung und Enttraumatisierung. Verfall und Tod werden nicht länger wie andere Peinlichkeiten ins blütenweiße Kachelbad abge-schoben. Die Hospizmitarbeiter respektieren den Sterbenden und seinen Tod. Die Krankenschwestern stellen Kerzen am Totenbett auf. Die Familien lassen die Ster-benden nicht mehr allein. Als mein Vater starb, saßen seine drei weinenden Kinder an seinem Bett.
Aus all diesen Gründen ist eigentlich keines der vielen neuen Bücher über das Ster-ben eines zu viel. Warum soll in einer Gesellschaft, die sich über das Wehwehchen jeder Talkshow-Tante endlos verständigt, ausgerechnet der Tod versteckt werden? Unser Kollege Bartholomäus Grill hat in der ZEIT ergreifend über das Sterben seines Bruders geschrieben und dafür den Henri Nannen Preis bekommen. Unser ehe-maliger ZEIT- Kollege Georg Diez hat gerade ein Buch über das Sterben seiner Mutter veröffentlicht (Der Tod meiner Mutter, Verlag Kiepenheuer & Witsch). Der Journalist Tilman Jens und die Autorin Ursula Priess haben Bücher über das Siech-tum ihrer berühmten Väter Walter Jens und Max Frisch veröffentlicht. Christoph Schlingensief hat einen Bestseller über seine Krebskrankheit geschrieben (So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein, Verlag Kiepenheuer & Witsch). Es ist eine endlose Liste.
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• SCHLAGWORTE Literatur | Sachbuch | Medizin | Krebs
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LESER-KOMMENTARE
1. 1. Metaphysik der Röhren
Wer wenig zu erzählen hat, schreibt ein Buch über den Tod eines Verwandten. Diese alte Kuh, der Tod, verzuckert die paar Gedanken, die so jemand in sich zusam-mensucht, zu einer persönlichen Offenbarung.
Was ist schon gegen den fremden Vater einzuwenden, oder gegen den Verlust eines und-so-weiter? Herein fallen darauf anscheinend vor allem mittelschichtige öffentli-che Akteure, die von der Bühne treten, oder junge Gänse mit dem geistigen Spekt-rum eines Fernsehers. Man denke beispielsweise an die großen Enthüllungsstories eines dahinwelkenden Großjournalisten, oder eines Theatermachers, der nicht gera-de durch Scharfsinn besticht, sondern gewalttätigen Stumpfsinn.
Im übrigen gilt das Gleiche für Journalisten, die aus beliebigen Meldungen gleich ein gesellschaftliches Phänomen stanzen. Es ist überhaupt keine Leistung irgendetwas zu einem Symptome der Gesellschaft aufzublähen: das tut jeder Bauarbeiter, den ich nach den Ursachen von Überstunden befrage.
o 19.09.2009 um 10:31 Uhr
o nichtdasbild
2. 2. hilfreich
gut beobachtet und hilfreich analysiert - ohne dabei ins Metaphyische oder Mathe-matische überzugehen - Hilfeich: lesen (oder auch nicht) und die "Beurteilungmaschine" mal abstellen
o 19.09.2009 um 12:39 Uhr
o tiefenbronn
3. 3. "Neuer Existenzialismus" mit geringem Nutzen?
Die relationsreiche und abgewogene Auseinandersetzung unterscheidet den Artikel positiv von Texten anderer Autoren zu diesem Thema.
Wieso aber sollte der "neue Existenzialismus" - so es einer ist - zu nichts weiter nutze sein - außer für Demut und Selbstbegrenzung? Die Konfrontation mit der "Zer-brechlichkeit des Daseins" kann uns dazu bringen, neben der Erweiterung prakti-scher Fertigkeiten im Umgang mit diffizilen Situationen und dem differenzierteren Kennenlernen der eigenen Persönlichkeitsstruktur Konsequenzen für das Leben zu ziehen. Das kann auch zu Veränderungen in der eigenen Wertehierarchie führen. In-sofern ist das eventuell durchaus zu etwas nutze.
Aber ist "Demut" eine adäquate Forderung? Wem oder was gegenüber? Göttern, Fa-tum, Supraindividuellem? Und warum? Warum sollte in einem "neuen Existenzia-lismus" der Mensch sich demütig statt frei von Instanzen und realitätsgerecht in sei-nem Blick machen? Auch wenn uns der realistische Blick konstatieren lässt, dass nicht alles in unserer Macht liegt, muss sich daraus nicht ergeben, dass es in der einer anderen Instanz liegt.
Heilung von dem "Wahn, Herr im eigenen Haus zu sein"? Wer dann? Wodurch soll-te, so ist hier ohne Selbstüberschätzung oder Omnipotenzphantasien die Frage, die-ser vermeintliche "Wahn" ersetzt werden oder rational ersetzbar sein?
o 19.09.2009 um 13:16 Uhr
o socanalytica
4. 4. Wozu literarische Sterbebegleitungen?
Danke für das Panorama! Die Reportage von Bartholomäus Grill könnte eine weite-re Antwort auf obige Frage geben: Literarische Sterbebegleitungen zeigen manchmal eindringlicher
(s.a. Youtube: Schlemm der Film), wie man heute stirbt (sterben darf).
o 19.09.2009 um 14:17 Uhr
o on-cloud-9
5. 5. Sich den Tod holen
Selbst wenn schriftstellerisch, oder auch künstlerisch, die allgemein verlangte Schöpfungshöhe vom Einzelnen erlangt wird, kann einem Tumor auf diese Weise realiter nicht gegenüber getreten werden. Notwendig ermöglicht jede Erkrankung es jedem allein, sie wissenschaftlich zu gewärtigen. Sich mithin darüber hinaus auch noch dazu zu versteigen, ausschließlich auf schriftstellerischen oder künstlerischen Pfaden sich einer Erkrankung zu nähern, muss somit darin münden, sich ungeduldig den Tod selbst zu holen.









ANHANG



"Das Altern ist ein Tanz auf unebener Erde ..."
Gerda Lerner im Gespräch mit Ingrid Bauer und Christa Hämmerle
IB, CH: Kommen wir noch einmal auf den Ausgangspunkt unseres Gesprächs, nämlich die persönliche Erfahrung des Altwerdens, zurück. Simone de Beauvoir hat sich in ihrem Buch "La Vieillesse", das erstmals 1970 erschienen ist – sie war damals 62 Jahre alt –, auf die ihr eigene philosophisch-essayistische Art mit dem Lebensabschnitt "Alter" auseinander gesetzt und festgehalten:
„Wollen wir vermeiden, dass das Alter zu einer spöttischen Parodie unserer früheren Existenz wird, so gibt es nur eine einzige Lösung: weiterhin Ziele zu verfolgen, die unserem Leben Sinn verleihen: das hingebungsvolle Tätigsein für einzelne, für Gruppen oder für eine Sache, Sozialarbeit, politische, geistige oder schöpferische Arbeit. Im Gegensatz zu den Empfehlungen der Moralisten muss man sich wünschen, auch im hohen Alter noch starke Leidenschaften zu haben, die es uns ersparen, dass wir uns nur mit uns selbst beschäftigen. Das Leben behält seinen Wert, solange man durch Liebe, Freundschaft, Empörung oder Mitgefühl am Leben der anderen teilnimmt. Dann bleiben auch Gründe, zu handeln und zu sprechen.[6]

Können Sie sich dieser Vision anschließen? Und: Worin bestehen die weiterhin verfolgten oder auch neuen leidenschaftlichen Engagements und Ziele der Gerda Lerner?

GL: Ich stimme mit der Beauvoir überein, dass hingebungsvolles Tätigsein für andere oder Sozialarbeit einem das Alter verbessern kann. Aber ich glaube nicht, dass es eine "einzige Lösung" für das Altsein gibt. Wie ich vorher schon gesagt habe, sehe ich das Alter als einen natürlichen Lebensprozess, nicht als eine Katastrophe an. Es gibt so viele Arten des Altwerdens wie es Menschen gibt. Man altert so, wie man gelebt hat. Für manche bedeutet es eine intensive Konzentration auf "gute" Ziele, Engagement für andere Menschen; Flucht in soziale Tätigkeit. Für andere bedeutet es geistige und schöpferische Arbeit. Manche finden Zufriedenheit durch neue Interessen: Gärtnerei, Handarbeit, Basteln, Handwerk und sogar Sport.

Für diejenigen, die das Alter mit körperlichen Schmerzen und Behinderungen erleben müssen, ist der ständige Kampf um Unabhängigkeit und Kompetenz eine allumfassende Aufgabe. Sie müssen um Geduld und innere Ruhe ringen und doch noch genug Interesse am Leben aufbringen, um gute Tage und Stunden haben zu können.

Aber es gibt viele Menschen, die das Altwerden dazu benützen, sich mehr und mehr nach innen zu wenden, ihr eigenes Leben oder das ihrer Familie zu überprüfen und besser zu verstehen. Sie wollen nicht nur tätig sein, sondern auch Verstehen und Weisheit erlangen. Sie wollen verstehen, was dieser letzte Lebensabschnitt bedeutet, und sehen das Altern als eine Anforderung an, der man sich stellen muss.
Da gibt es also keine einzig gültige Lösung. Das Altern ist ein Tanz auf unebener Erde, den man mit geschwächten Gliedern unternimmt, in dem man Mal diese, Mal jene Schritte versucht, und in dem man doch ab und zu in Schwung kommt und einfach das Tanzen erlebt – so wie es früher war und, noch besser, so wie es jetzt ist. Denn das Altsein ist ja überhaupt auf das Jetzt-Erleben angewiesen. Wir sind so weit gekommen und was jetzt da ist, ist alles was je da sein wird. Und so tanzt man weiter, so gut es eben geht.
Ich liebe und schätze den ständigen Mut alter Menschen, ihre Geduld, ihren Optimismus und ihre kindliche Bereitschaft, spontane Freude zu empfinden.
Literatur zum Thema Alter
(Die Krebsliteratur ist zu unüberschaubar umfangreich)
Backes, Gertrud M.; Clemens, Wolfgang: Lebensphase Alter. Juventa, Weinheim 2003
Baltes, Paul B.; Baltes, Margret M.: Gerontologie: Begriff, Herausforderung und Brennpunkte, in: Paul B. Baltes, Jürgen Mittelstrass (Hrsg.) Zukunft des Alterns und gesellschaftliche Entwicklung, Berlin, Walter de Gruyter, Berlin 1992: 1-34.
Vern Hannah Bengston, K. Warner Schaie (Hrsg.): Handbook of Theories of Aging. New York 1999. (engl.)
Romano Guardini: Die Lebensalter, Topos Taschenbücher, 7. Auflage 1996.
Christian Carls: Das Neue Altersbild. Münster: Lit-Verlag 1996
Birgit Jansen, Fred Karl, Hartmut Radebold, Reinhard Schmitz-Scherzer: Soziale Gerontologie. Beltz Verlag, Weinheim und Basel 1999, ISBN 3-407-55825-2
Andreas Kruse, Mike Martin (Hrsg.): Enzyklopädie der Gerontologie. Hans Huber, Bern 2004, ISBN 3-456-83108-0
Mann, Bernhard: Altern und Gesellschaft - zwischen Handlungskompetenz und "Ageism". In: Soziologische Revue. Heft 2. April 2002. S. 133–149 ISSN 0343-4109
Mayer, K. U., & Baltes, P. B. (Hrsg. 1996, 2nd ed. 1999: Die Berliner Altersstudie. Berlin: Akademie Verlag. ISBN 3-05-002574-3
Carola Otterstedt (2005): Der verbale Dialog. Für Begleiter von Schwerkranken, Schlaganfall-, Komapatienten und Demenzbetroffenen. Verlag modernes lernen, Dortmund.
Carola Otterstedt (2005): Der nonverbale Dialog. Für Begleiter von Schwerkranken, Schlaganfall-, Komapatienten und Demenzbetroffenen. Verlag modernes lernen, Dortmund.
Rosenmayr, Leopold: Die späte Freiheit. Das Alter - ein Stück bewusst gelebten Lebens. Severin und Siedler. Berlin 1983, ISBN 3-88680-046-6
Rosenmayr, Leopold: Die Kräfte des Alters. Edition Atelier. Wien 1999, ISBN 3-900379-44-0
Schmitz-Scherzer, Reinhard: Alter und Freizeit. Wissenschaft. Praxis. Kohlhammer. Stuttgart-Berlin-Köln-Mainz 1975, ISBN 3-17-002281-4
Ursula Staudinger, Heinz Häfner (Hrsg.): Was ist Alter(n)? Springer, Heidelberg, 2008. 248 Seiten. ISBN 3-540-76710-X
Hans-Werner Wahl, Vera Heyl: Gerontologie – Einführung und Geschichte. Kohlhammer Verlag, Stuttgart 2004

Fachzeitschriften
Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie via Springer-Link.
Neurologie u. Rehabilitation. Die Zeitschrift für Neurologische Rehabilitation. Hippocampus Verlag.

Hoch- und Höchstaltrigkeit
Luczak Hania: Alt werden in Japan. Die Abkehr vom Egoismus. Japan: Die Insel der glücklichen Alten. In: GEO Magazin 12/05.
Shino Nemoto, Toren Finkel: Das Wunder der über 120-Jährigen. Spektrum der Wissenschaft, November 2004, S. 70 – 75, ISSN 0170-2971

Antiaging, Versuche der Vorbeugung
Christoph M. Bamberger: Besser leben – länger leben, Droemer Knaur 2006. 224 Seiten. ISBN 3-426-64280-8.

Literarische Beiträge
Petra Bruns, Werner Bruns, Rainer Böhme: Die Altersrevolution - Wie werden wir in Zukunft alt? Aufbau-Verlag, Berlin 2007,ISBN 3-351-02644-7.
Silvia Bovenschen: Älter werden. Notizen. S. Fischer Verlag, Frankfurt/M. 2006, ISBN 3-10-003512-7. Rezension von Gisa Funck im Deutschlandradio
Astrid Nourney: Zu alt? Abgelehnt! Berichte aus Deutschland über das Älterwerden, 220 S., Viola Falkenberg Verlag, 2006, ISBN 3-937822-53-4.
Myron Hurna: Das Alter. Philosophie einer Lebensphase. 170 S., Sonnenberg Verlag 2008, ISBN 978-3-933264-48-0.

Weblinks
Deutschland:
Leibniz-Institut für Altersforschung, Fritz-Lipmann-Institut (FLI)
Homepage der Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen
Kritische Gerontologie im Internet
Linkliste von querelles net
Mannheimer Forschungsinstitut Ökonomie und Demographischer Wandel, MEA
Schweiz:
Schweizerische Gesellschaft für Gerontologie
Zentrum für Gerontologie der Universität Zürich
Österreich:
Österreichische Gesellschaft für Geriatrie und Gerontologie


Der Autor:







Dieter Schlesak, * in Transsylvanien, Rumänien. Lyriker, Essayist, Romancier, Publizist und Übersetzer. Lebt seit 1973 in der Toskana und in Stuttgart. Mitglied des deutschen P.E.N.-Zentrums und des PEN-Zentrums deutschsprachiger Autoren im Ausland (London). Preise/Stipendien. Zuletzt: Für das Gesamtwerk die Ehrengabe der Schillerstiftung/Weimar 2001. 2005: Dr. h.c. der Universität Bukarest; 2007: Premio Umberto Saba, “Trieste Scritture di Frontiera Poesie”. Maria-Ensle-Preis, der Baden-württembergischen Kulturstiftung, 2007.Zuletzt erschienen: Herbst Zeit Lose, Liebesgedichte, München 2006; Sette volte sete. Grenzen Los. Oltre limite. Lyrik-Werkauswahl italienisch-deutsch, Pisa, 2006; Namen Los, Gedichte, Ludwigsburg 2007. Capesius, der Auschwitzapotheker, Bonn 2006 (auch ungarisch, rumänisch, polnisch und italienisch. Wird ins Spanische, Englische, Holländische, Portugiesische, Hebräische übersetzt); Vlad. Die Dracula-Korrektur, Ludwigsburg 2007, 2008; Tod und Teufel, Materialien zu Vlad, Ludwigsburg 2009; Heimleuchten, Gedichte, Ludwigsburg 2009; Transilvania, mon amour, Hermannstadt 2009; Der Tod ist nicht bei Trost, Liebes- und Todesgedichte, München 2010; Sprachheimat. Zum Werk von Dieter Schlesak, Ludwigsburg, Bukarest 2010; Zeuge an der Grenze unserer Vorstellung, Porträts, Studien und Essays, München 2005; Nichita Stãnescu: Elf Elegien, Übersetzung und Nachwort: Metapoesie der roten Zeit, Ludwigsburg 2005.


29.11.2009

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