Der Lyriker Oskar Pastior (geboren 1927 in Hermannstadt/Siebenbürgen) wurde 1945 als Angehöriger der deutschsprachigen Minderheit in Rumänien in eine sowjetisches Arbeitslager deportiert. Nach seiner Freilassung arbeitete Pastior als Redakteur beim Rumänischen Staatsrundfunk, 1968 ging er in den Westen, wo er 2006 starb, posthum erhielt er den Georg-Büchner-Preis. Seine mündlichen Erzählungen über seine Gulagzeit inspiriertren die Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller zu ihrem Gulag-Roman »Atemschaukel«. Nun hat der Münchner Germanist Stefan Sienerth einen Bericht vorgelegt, der beweist, dass Oskar Pastior in den Jahren 1961 bis 1968 informeller Mitarbeiter der Securitate war. Sein Kollege und Weggefährte aus dieser Zeit, der Schriftsteller und Dichter Dieter Schlesak (geboren 1934), erinnert sich an jene Jahre in Bukarest. DZ
Ich könnte alles wie einen Albtraum abschieben. Doch die 40 Seiten von Sienerths Akten-Untersuchung zum Fall Oskar Pastior, sprechen eine zu glaubwürdige Sprache. Ich muss schreiben – auch um Oskar zu verteidigen. Ich bin der letzte Augenzeuge jener Bukarester Zeit (1961-1968), als Herta Müller und Ernest Wichner noch Kinder waren. Ich kam im August 1959 zur Zeitschrift »Neue Literatur«, Oskar 1961 zum Rundfunk. Seit Sommer 1961 verfolgte uns beide die Securitate. Ich lese jetzt die nachgelassenen Notizzettel von Oskar: Die erste Verhaftung verlief fast zeitgleich mit meiner eigenen und nach dem gleichen Schema.
Wie bei Oskar hatte die Securitate auch bei mir ein jahrelanges Erpressungsmittel. Bei ihm waren es ein paar antisowjetische Gedichte, bei mir ein regimefeindliches Manuskript eines Freundes, das ich in unserer Zeitschrift abdrucken wollte. Es folgten jahrelange Erpressungen, immer wieder mit der Gefängnis-Drohung!
Pastiors Verhaftung und sein Verhör fanden am 8.Juni 1961 statt. Das Verhörsprotokoll zeigt Oskar als zitternden Nicht-Helden, ja Feigling. Er spricht schlecht über den Kollegen Birkner und den Hermannstädter Literaturkreis, der 1959 zur Verhaftung von fünf Schriftstellern beigetragen hatte. Er sagte, er habe um das Jahr 1954 unter dem Einfluss dieses Kreises und weil es ihm an »klarer ideologischer Orientierung« gemangelt habe,« einige Gedichte mit feindlichem Charakter gegen die Sowjetunion geschrieben.
Unsere Biografien sind seit jenen Securitate-Erlebnissen krank. Oskar kann sich nicht mehr wehren.Er lebt nicht mehr, doch ich finde keine Ruhe, als müsste ich auch für ihn sprechen. Und ich muss vorweg sagen, dass ich Ossi, wie wir ihn nannten, voll und ganz verstehe, auch dass er schwach wurde und nachgab, sich schuldig gemacht hat!
Die Drohungen waren so massiv, ja lebensbedrohend, die Umgebung und Atmosphäre, die heute genau wie die Lagerstimmungen verschüttet und verdrängt sind, können Westmenschen kaum noch nachvollziehen. Es waren Ausnahme-Zustände, die auch für uns heute nur noch schwer zu rekonstruieren und zu erinnern sind: tägliche furchtbare Angstzustände, Schlaflosigkeiten, Hochzucken bei Telefonanrufen, Warten auf den »Führungsoffizier«, sich Umblicken im Lokal nach »Beobachtern«.
Es gibt die »Verpflichtungserklärung« Oskar Pastiors vom 8. Juni 1961 ( Securitate-Akte R 249.556), das Protokoll zeigt, wie es zur Unterschrift und Mitarbeit Oskars kam. Das Erpressungsmittel, die antisowjetischen Gedichte, und dass diese zirkuliert hatten, daraus vorgelesen wurde, die drohende Verhaftung, die Atmosphäre der Angst beim Verhör, machte ihn fertig. Er sagte im Verhör sogar, er habe ein Vergehen begangen, und er könne verurteilt werden. Und er bat, »die Staatsorgane mögen ihm die Chance geben zu beweisen, dass er ein ehrlicher und loyaler Anhänger der RVR« sei. Sie gaben ihm die Chance: Im Bericht darüber heißt es, er werde, um sich zu rehabilitieren, durch »konkrete Taten seine Loyalität gegenüber dem volksdemokratischen Regime der Rumänischen Volksrepublik beweisen und alles tun, die Feinde des Regimes zu enttarnen«. Er werde »ehrliche und objektive Informationen« liefern und dabei nichts verheimlichen. Die Informationen werde er seinem Führungsoffizier schriftlich übermitteln und mit dem Pseudonym »Stein Otto« unterzeichnen.
Dies alles nachdem fünf deutsche Schriftsteller 1959 zu insgesamt 95 Jahren Haft verurteilt worden waren, Grete Löw, die Pastiors antisowjetischen Gedichte für ihn aufbewahrt hatte, zu 7 Jahren. Oskar hatte in permanenter Angst gelebt, abgeholt zu werden., nun war es geschehen. In einem seiner Gedichte aus dieser Zeit kommt die tägliche Angst zum Ausdruck: »Da ist doch das Dach der Chinesischen Gesandtschaft, ach«. Das Gedicht endet mit den Zeilen: »Der Wind fährt manchmal mit den Drachen oben vorüber, / Dann heult das Radio, / Dann geht der Mensch vorüber, / Dann kommt das Auto an. // Sage mir was du fühlst. / Schreibe was du fühlst.« Bestürzend ist, dass er den Auftrag hatte, mich und Paul Schuster „zu observieren“. Berichte sind bisher nicht aufgetaucht.
Doch er lud mich damals ohne ersichtlichen Grund einige Male zum Abendessen zu sich ein. Einmal bat er mich in einer »sehr wichtigen Sache« (es mag 1961 oder 1962 gewesen sein) in ein Café; ich sehe alles noch genau vor mir im langgestreckten Raum des Cafés auf der Calea Victoriei. Von seinen Gedichten war dort wenig die Rede, eher von seiner Bewunderung für meine Poetik. Das »Versteckspiel in der Metapher«, um gefährliche Inhalte an den Leser zu bringen, ohne von der Zensur ertappt zu werden! Er wollte mehr davon hören. Dass er mir auch etwas »Wichtiges« sagen wollte, stand ebenfalls im Raum, es kam aber nicht dazu. Wollte er sich offenbaren oder halb offenbaren, mich warnen?
Später im Westen hat mich Oskar nie in seiner Wohnung empfangen. Wenn ich in Berlin war, habe ich ihn immer angerufen, aber er ist mir ausgewichen, wie überhaupt allen aus unserer älteren, also seiner Generation. Nur zu den Jüngeren hat freundschaftlichen Kontakt gefunden. Hatte er Angst, dass wir Älteren etwas wüssten und »aufdecken« könnten?
Es läuft mir kalt über den Rücken, wenn ich bei meinen ausführlichen Recherchen über jene Zeit nun weiß, wie furchtbar das Schicksal jener war, die in diese konkrete Straf- und Folter- Mühle gerieten. Hier nur ein kurzes Zitat: »Der zu Verhörende wurde mit dem Kopf nach unten aufgehängt… Mit einer Sonderzange wurden ihm die Fingernägel ausgerissen … Seine Fußsohlen wurden mit einer Stichflamme gebrannt … die Hoden wurden mit einem dicken Bleistift oder einer dünnen Weidenrute so lange geschlagen, bis das Opfer unter fürchterlichen Schreien in Ohnmacht fiel, und in vielen Fällen verstarb.« (Methode des Securitate-Folterers Franţ Ţandără. Sein Bekenntnis erschien am 21. März 2010 in der Zeitschrift »Singur« in Bukarest. Die Quellen sind inzwischen weitgehend zugänglich, vor allem durch den offiziellen »Raport Final«, eine Art Schwarzbuch des rumänischen GULAG, erschienen in Bukarest 2007 im Humanitas Verlag.)
Der Erinnerungsschock bleibt, die Verstörung, die »Belastung«, die kranke Psyche. Ich werde wütend, wenn ich sehe, wie Leute, die keine Ahnung haben, wie die jüngeren Kollegen oder gar Westdeutsche, sich anmaßen, über unser Leben von damals um 1959-1964 zu urteilen! Sich gar zu Richtern aufspielen. Ich hätte die heutigen Moralisten und die Autoren als Gewissen der Nation, gerne in unserer Lage gesehen, wie sie damals gehandelt hätten. Wobei gesagt werden muss, dass weder Oskar noch ich zu den wirklichen Opfern gehört haben, denn wir kamen nicht in die Securitate-Keller oder in die Sümpfe des Donaudeltas. Aber wir wussten, dass wir dorthin kommen konnten! Es war wahnsinnig schwierig, angesichts dieser furchtbaren täglichen Angst, angesichts der das Gewissen zermürbenden, jahrelangen oft täglichen Verfolgung durch Securitateoffiziere, mutig zu sein, standzuhalten, jahrelang.
Es geht um den rumänischen GULAG, um inneren Widerstand in einer Lager- und Folterzeit und nicht um Luxusdissidenten der Tauwetterzeit Ceauşescu, des grotesken kommunistischen Königs mit Zepter und Thron, der fast alle politischen Gefangenen entlassen hatte und unter dessen Herrschaft es diese fürchterlichen Lebens- und Existenzbedrohungen, von denen die jüngeren »Dissidenten« bis hin zur Nobelpreisträgerin dauernd sprechen und damit jene Epoche hochspielen, nicht mehr gab. Der eigentliche lebensbedrohende Terror war nicht die bunte, im Westen bekannt gewordene rote Königszeit von Ceauşescu. Es war nicht jene relativ freie Zeit von 1964 bis 1971, in der wir unsere Texte fast ohne Zensur veröffentlichen konnten, es war nicht einmal die neue Eiszeit der achtziger Jahre, die von jüngeren Dissidenten für die Terrorzeit gehalten wird. Nein, die wahre Terrorzeit war die Stalinzeit, wo Dissidenten undenkbar und unmöglich waren, sofort verhaftet wurden und oft für immer verschwanden. Sie sollte endlich neben der blutigen Nazizeit als großes Menschheitsverbrechen in die Erinnerungskultur und die Geschichtsbücher eingehen.
Es bleibt ein Rest von Schwäche, sich, auch im eigenen Interesse, mit der Securitate auf Verhandlungen eingelassen, zu haben. Doch eines weiß ich ganz sicher: Dieses späte Wiederauftauchen des Teufels Securitate kann meine freundschaftlichen Gefühle für Oskar Pastior jetzt nach seinem Tode nicht beeinträchtigen!
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