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Montag, 20. September 2010

MEIN FREUND, DER SECURTATESPITZEL OSKAR PASTIOR

Schon als Oskar starb, war ich fassungslos, konnte es nicht glauben.
Und jetzt diese andere gnadenlose Nachricht.

Es geht mir näher, als ich es anfangs zugeben wollte: Oskar war ein IM der Geheimpolizei. Ich muss dies nachklingen lassen, und ich kann es nicht glauben. Und doch ist es aktenkundig. Und: Die Akten sagen, ich sei einer seiner Bespitzelten gewesen. Über mich sollte „Ossi“ wie wir ihn nannten, 1961 und später Berichte für die Securitate schreiben!? Ja. Es gab Offiziersvermerke in seiner Akte, die belegen, dass ihm speziell die Beobachtung von Schriftstellerkollegen wie Paul Schuster und Dieter Schlesak abverlangt wurde. Soll ich mich damit trösten, dass bisher von ihm keine Berichte über uns gefunden worden sind?.
Nachdem ich die 40 Seiten von Sienerths Akten-Untersuchung zum Fall Oskar Pastior, gelesen hatte, lese ich nun in der FAZ vom 18.September 2010 Müllers Interview „Die Akte zeigt Oskar Pastior umzingelt“, Wichners Aufsatz und eine mit S.K. gezeichnete Notiz, worin es heißt: “ Was aber immer gleich bleibt, das ist das Leid der Bespitzelten… Sie müssen nun erfahren, dass sie von ihren engsten Freunden, von Familienmitgliedern, von Kollegen und Geliebten verraten worden sind. Die Reaktionen – Wut, Trauer, Entsetzen, Ratlosigkeit- münde nicht selten in die Frage aller Fragen: Warum habe ich nichts davon gemerkt, und warum hat er nie darüber gesprochen?“ Dieses ist genau mein Fall. Und meine Angst vor weiteren Enthüllungen – auch in der Familie, wächst. Und da DIE Akten klar belegen, dass unser Freund Oskar den Auftrag hatte, Paul Schuster und mich zu „observieren“, konnte ich nicht anders: ich musste versuchen, zu erinnern, Erinnerungsnotizen zu schreiben, um mich zu befreien. Und das nach einer schlaflosen Nacht und nach all dem Wirbel in der deutschen Presse. Ich musste schreiben, es war meine einzige Waffe. Ich musste schreiben - auch um ihn zu verteidigen. Schuster ist tot. Pastior ist tot. Ich bin der letzte Augenzeuge jener Bukarester Zeit (1961-1968), als Müller und Wichner noch Kinder waren, den Securitate-Pastior gar nicht kannten. Nur den späteren hochgeschätzten Freund und Büchnerpreisträger.
Ich schreibe an einem Buch über die Securitate, weil ich jene andere, die schreckliche Gulagzeit, und unsere, Oskars und meine Securitate-Fälle ERLEBT habe, die Verletzungen wie eine Krankheit in mir trage. Ihre Ceauṣescu-Zeit war dagegen im Vergleich eine sanfte Tauwetterzeit.
Alles begann schon in Bukarest, ich studierte seit 1954, Oskar seit 1955 Germanistik. Wir freundeten uns an. Uns wurde Widerstandsdenken angelastet, und dies von unserem Uni-Dozenten Heinz Stănescu (IM Silvio), der uns anschwärzte, wir betrieben im Untergrund einen „subversiven Literaturkreis“. Sienerths Aktenstudium ergab:“ Außer mit Jutta Birkner sei Pastior auch mit Dieter Schlesak (geb. 1934) und Dieter Fuhrmann (1935–2009), den späteren Schriftstellern, gut befreundet, mit denen ihn die Liebe zur Literatur verbinde. Und das ging so weiter:“ Dies 1957. „Mit kaum minderer Intensität wurde Pastior auch im Laufe des Jahres 1958 ins Visier des rumänischen Geheimdienstes genommen. „Tatiana“, offensichtlich eine Kommilitonin Pastiors, erhielt am 26. Februar 1958 den Auftrag, herauszubekommen, in welchem Beziehungsverhältnis Pastior, Schlesak und Fuhrmann zueinander stünden, wohl auch weil die „Securitate“ wissen wollte, ob sie möglicherweise irgendwelche staatsfeindlichen Aktionen planten und wer in der Gruppe das Sagen habe.“ Meine Akte werde ich erst im November einsehen. Was da noch zum Vorschein kommen wird, weiß ich noch nicht!
In jenen Jahren 1956/ 1957 gab es den Ungarnaufstand, der Wellen bis zu uns Studenten schlug. Damals verschwanden eine ganze Reihe unserer Kommilitonen, da wir mehrere Demonstrationen geplant hatten. Auch Paul Goma wurde damals verhaftet, weil er ein „staatsfeindliches“ Fragment aus seiner Prosa vorgelesen hatte.
Wir von der Germanistik entgingen der Verhaftungswelle und den Exmatrikulationen wie durch ein Wunder.
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Und das ging weiter so. Ich kam im August 1959 zur Zeitschrift „Neue Literatur“, Oskar 1961 zum Rundfunk. Seit Sommer 1961 verfolgte uns beide die Securitate. Ich lese jetzt die nachgelassenen Notizzettel von Oskar: Die erste Verhaftung verlief fast zeitgleich nach dem gleichen Schema. Pastior: „Ich wurde in Bukarest aus dem Rundfunkgebäude nach den Bürostunden zum ersten Verhör verschleppt …. (im Auto, unter dem Vorwand, eine ‚Künstler-Agentur‘ wolle mir was unterbreiten); echtes Kidnapping; – ob ich ein Protokoll oder eine Erklärung ‚Staatsfeindliches aus meinem Tätigkeitsbereich zu melden‘, unterschrieben habe; – wann und wie oft man mich nachher zu Verhör und Berichterstattung zitiert hat; – wer und was dabei zur Sprache kam; – dass ich nie Geld oder andere Zuwendungen erhalten habe . . .“

Ich wurde ebenfalls zur Künstleragentur „OSTA“ bestellt, um sie zu beraten. Am Eingang aber empfing mich ein Offizier in Zivil, der mich zu einem Auto führte, um mich „zum Direktor“ zu bringen, wie er hämisch sagte. Im Auto fragte er:“ Weisst du, wo du bist?“ Nein. „Bei der Securitate“. Ein Schock, der alles in meinem Leben veränderte. Und in meinem Buch „Die Rote Hölle. Beispiel Securitate“ an dem ich jetzt schreibe, ebenso im Roman „Vaterlandstage und die Kunst des Verschwindens“ (Benziger 1986) gibt es diese Szene: „Das Auto mit den zugezogenen Vorhängen; ich höre meinen Atem, ich spüre meine Hände, das glatte Vinillin wie ein Tier an den Händen, wenn ich mich am Sitz festhalte. Es riecht nach Schweiß. Ich schwitze, wenn ich Angst habe. Ich bin wie gelähmt. Ich werde ihnen sagen, ich bin doch Marxist! Und sie werden laut lachen, roh grölen. Witze reißen. Alles hat sich verändert. Das Straßenbild ist nicht zu sehen, die Geräusche sind nicht mehr vernehmbar oder so gedehnt, so zugespitzt, ein Autohupen zum Beispiel, als wäre jeder einzelne Laut abgetrennt, aus der Welt herausgeschnitten, so, als gehörte ich nicht mehr dazu. Es ist ein schöner, warmer Septembernachmittag, beharrlich Schweigende sitzen neben dir. Du bist wahnsinnig nervös. Prüfungssekunden zu Stunden gedehnt, bis du ganz erschöpft bist. Du bist eine schwache Natur. Du bist kein Held. Ein komplizenhaftes Verhältnis mit den Leuten in Zivil, die aber eine unheimliche Uniform ist, zwischen Verhaftetem und Geheimdienstleuten stellt sich etwas teuflisch- koboldhaft Vertrautes her. Ekel. Doch als wäre das Erbrochene neu geschluckt. Du machst mit. Fast untertänig. Lieferst dich ihnen aus, akzeptierst den Zustand ohne Protest, keiner hat einen Haftbefehl vorgezeigt, und du denkst nicht einmal daran, ihn zu verlangen. Rechte? Ha. Du hoffst, es sei nur ein "Versehen", sagst es, beteuerst deine Unschuld. Hast alle Zustände. Der Eingang, in den der Wagen jetzt einfährt, scheint so eng zu sein, dass du nicht durchkommst, doch du kommst natürlich durch, nur früher, war es undenkbar, dass du allein da hineinkommen kannst. Und gingst lieber auf die andere Seite der Straße. Der Vorhang hat sich verschoben, du siehst einen Lieferwagen, ein Brautpaar vor einer Kirche mit großen gelbroten Sträußen, zwei Männer streiten, doch alles summend und wie ein Traum, du gehörst nicht mehr dazu. Das Eisentor schließt sich. Du wirst eine Treppe hinaufgeführt, doch es ist keine Treppe, es ist eine Nerventreppe, es ist jetzt nichts mehr voraussehbar, es können die schlimmsten, dir die unvorstellbarsten Dinge zustoßen. Jede gewohnte Geste, etwa wenn du eine Verabredung hast, eine Freundin triffst, alles ist vorausschaubar, hier nicht. Genau jene Sicherheit, jene Überzeugung, die du meintest von ihnen zu erhalten, haben gerade sie jetzt zerschlagen. Von jetzt an nur noch Zweifel. Der Boden wankt.“
Wie bei Oskar hatten sie auch bei mir ein jahrelanges Erpressungsmittel, regimefeindliche Manuskripte eines Freundes, aus denen ich ein Fragment in unserer Zeitschrift zugesagt hatte. Das wussten sie:
„Immer wieder kommen diese Szenen mit Mircea hoch... mit den Manuskripten ... seinen Satiren. Eine Woche nach Mirceas Verhaftung holten SIE auch mich. Das Verhör am Anfang, das Verhör. Du zitterst. Du schreist. „Ich weiß nichts“, schreist du. „Du weißt“, brüllen sie dich an. „Wir wissen es, dass du es weisst, red, du verdammtes Schwein! Wo ist dieses dreckige Buch, wo ist das Manuskript von Mircea Palaghiu? Er hat alles gestanden, er hat alles gesagt, wir wissen alles, hier...“ Und der Knollengesichtige zieht eine Schublade auf, „hier, siehst du dieses Protokoll, da steht alles schwarz auf weiß: steht; bestätige es und du bist frei. Frei! Wo hast du es versteckt, das Drecksmanuskript. Dein Freund ist längst dort, wohin er hingehört: du weißt, die Hölle, der Kanal, du, sein Komplize, du weißt. Die Hölle der Kanal. Du, sein Komplize, Staatsverrat, rede oder du darfst ihm Gesellschaft leisten.“

Es folgten jahrelange Erpressungen, immer wieder mit der Gefängnis-Drohung! Ich hatte nichts zu gestehen, aber mein Versprechen „sowas“ zu veröffentlichen, konnte zur Verurteilung führen. Pastiors Fall war viel komplizierter.

Sienerth hat Verhaftung und Verhör Pastiors am 8.Juni 61 rekonstruiert, dem auf dem Fuß die „Verpflichtungserklärung“ folgte: „Aus Angst, unter Druck gesetzt oder aus vorauseilendem Gehorsam fügte Pastior, nach der Stimmung in diesem Kreise (Hermannstädter Literaturkreis um Birkner, der auch zur Verhaftung der fünf Schriftsteller beigetragen hatte, die seit 1959 in Haft waren!) befragt, hinzu, er habe während dieser Leseabende die „Parteilichkeit“ vermisst, auch sei ihm aufgefallen, dass in einer Novelle von Birkner, in der die Rede von einem Zigeuner oder Rumänen gewesen sei, sich sogar „nationalistische Tendenzen“ bemerkbar gemacht hätten. …) Um das Jahr 1954 habe er unter dem Einfluss dieses Kreises und weil es ihm an „klarer ideologischer Orientierung“ gemangelt habe, einige Gedichte mit feindlichem Charakter gegen die Sowjetunion geschrieben, in denen er seine Erlebnisse während seiner „Aufbauarbeit“ festgehalten habe. Es handle sich um die Gedichte: Appell, darin habe er der Darstellung des allabendlich stattfindenden Antretens zum Befehlsempfang während der Winterzeit eine pessimistische Note verliehen und so die Möglichkeit zu feindlicher Interpretation gegen die „sowjetischen Organe“ eröffnet.(…) Diese Gedichte habe er Grete Löw, Trude Cluj (Klusch) und deren Bruder Richard Cluj (Klusch) vorgelesen. Von der Existenz der Gedichte wüssten auch seine Mutter, sein Schwiegervater Bernhard Capesius und seine Frau Roswith.“


Aber unsere Biografien sind seit damals krank. Wie können wir uns helfen, wie können wir die tiefsten Traumata therapieren? Denn die Securitate ist ja nicht einfach nur unser Eckermann! Sie ist die Ursache einer jahrzehntelangen Krankheit und Verstörung! Oskar kann sich nicht mehr wehren, doch wie Dinescu richtig bemerkte, er muss nun diese unappetitliche Affaire und die Konsequenzen seiner „Jugendsünde“ so spät nicht mehr mitmachen, was ihn, den sensiblen gewissenhaften, zarten Menschen und Dichter weiter zerstört hätte, wenn er jetzt das, was vor über einem halben Jahrhundert geschehen ist, hätte ausbaden müssen, ohne je „reingewaschen“ werden zu können.
Er lebt nicht mehr, doch ich finde keine Ruhe, als müsste ich auch für ihn sprechen. Ich fühle mich verpflichtet, mein Gedächtnis anzustrengen, um jene mörderische Gulagzeit, die kaum noch jemand kennt, mit allem was verschüttet war zurückzuholen, wieder zu erinnern, zumindest „unseren“ Fall.
Ich bin heute der letzte Augenzeuge jener Bukarester Zeit, als alle, auch Müller oder Wichner, Sienerth und Dinescu noch Kinder waren. Und ich muss vorweg sagen, dass ich Ossi, wie wir ihn nannten, voll und ganz verstehe, auch dass er schwach wurde und nachgab, auch wenn er sich dadurch schuldig gemacht hat! Die Drohungen waren so massiv, ja lebensbedrohend, die Umgebung und Atmosphäre, die heute , genau etwa wie die Lagerstimmungen verschüttet, verdrängt sind, kaum nachvollziehbar von Westmenschen nie, auch von uns nur schwer rekonstruierbare und erinnerbare Ausnahme-„Zustände“ : tägliche furchtbare Angstzustände, Schlaflosigkeiten, Hochzucken bei Telefonanrufen, Warten auf den „Führungsoffizier“, sich Umblicken im Lokal nach „Beobachtern“ usw., die Psychiatrie erklärt diese Schwererinnerbarkeit auch bei uns Betroffenen als „Zustandsgrenzen“, wie etwa die zwischen Traum und Wachen, so dass man im erwachten Zustand die Träume nicht mehr erinnern kann.
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Gestern sprach ich lange am Telefon mit meinem Kollegen Stefan Sienerth, der auch den Fall Oskar aufgedeckt hat, er ist an vielen Fällen dran, und sagte mir, als er hörte, dass ich bei der rumänischen „Gauck-Behörde den Forscherstatus habe, du wirst noch staunen, wo du überall verwickelt bist, aber vor allem bei Oskar Pastior, sagte er. Und es traf mich und stimmte mich nachdenklich, als er meinte, er sei sich nicht so sicher, ob nicht doch noch andere „Berichte“ Oskars auftauchen würden. Über mich, über Schuster? Über andere Kollegen? Oder über Ausländer? Heute Nacht zermarterte ich mein Hirn, um Details zu finden, Hinweise, immer verwundert und fragend: Wie? Ossi, so nannten wir ihn unter Freunden, soll ein IM gewesen sein, der dich beobachtet und der Secu berichtet hat? Freilich, die Erinnerung funktioniert auch „gerichtet“, ja fängt an zu richten, zu spinnen, wenn mal der Stachel tief sitzt- bis in die Erinnerung, ja, bis ins Unbewusste!
Bei Stefan Sienerth lese ich jetzt den ganzen Prozess alle Hintergründe, wie es dazu kommen konnte, dass Oskar dennoch zum IM wurde, und dass es genau dokumentiert ist. Dass es eine „Verpflichtungserklärung“ vom 8. Juni 1961 gibt ( Securitate-Akte R 249.556), die zitiert wird. Dass als Erpressungsmittel antisowjetische Gedichte von ihm gab, und im die Verhaftung und Gefängnis drohte. Eine Kollegin, Grete Löw, der er diese Gedichte zur Aufbewahrung
Übergeben hatte, schon in Haft war, dass sie und auch er, in Freundeskreisen daraus vorgelesen hatten usw. So Sienerth das Protokoll des Verhörs vom 8.Juni 1961 kommentierend: „Es leuchte ihm ein, erwiderte er, dass aufgrund dieser Vergehen ihm der Prozess gemacht und er verurteilt werden könne, und spätestens seit der Verhaftung von Grete Löw sei er, innerlich aufgewühlt, nicht mehr zur Ruhe gekommen, wissend, dass auch er nun zur Rechenschaft gezogen werde für das, was er getan habe. Dennoch bitte er die Staatsorgane, ihm die Chance zu geben, zu beweisen, dass er ein ehrlicher und loyaler Anhänger des rumänischen volksdemokratischen Regimes werden könne. ..“ Die schriftliche Verpflichtungserklärung hatte man ihm „ am 8. Juni abgenötigt. Im Bericht darüber (Raport de felul cum a decurs recrutarea ca agent a numitului Pastior Capesius Oskar Walter) wird festgehalten, man habe ihn aufgrund der ihn „kompromittierenden Materialien“ d. h. der von ihm verfassten Gedichte, dazu veranlasst, eine schriftliche Verpflichtungserklärung (Angajament) abzugeben. Darin hatte sich Pastior – im Sprachgebrauch seiner Auftraggeber – bereit erklärt, er werde, um sich zu ‚rehabilitieren‘, durch konkrete Taten seine Loyalität gegenüber dem volksdemokratischen Regime der Rumänischen Volksrepublik beweisen (…) und alles tun, die Feinde des Regimes zu enttarnen (…) Er werde ehrliche und objektive Informationen liefern und dabei nichts verheimlichen, ganz gleich über welche Person er zu berichten habe (…) Die Informationen werde er seinem Führungsoffizier schriftlich übermitteln und mit dem Pseudonym „Stein Otto“ unterzeichnen. Die ihm anvertrauten Geheimnisse werde er niemandem verraten (…) und hielte er die eingegangene Verpflichtung nicht ein, solle er nach den gesetzlichen Vorschriften der Rumänischen Volksrepublik bestraft werden.“

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Auch Ernest Wichner, der Pastiors Akte studiert hat, ein Freund Pastiors, Wichner ist Herausgeber der „Werke“ Oskars im Hanser Verlag, schreibt, Pastior habe ihm immer wieder von dieser großen Angst, verhaftet zu werden, erzählt, doch immer wieder als Grund seine Homosexualität angegeben, von den Gedichten habe er seltsamerweise nie gesprochen. Sich auch nie offenbart. Und Pastior habe auf ein Gedicht verwiesen, wo diese Angst ganz besonders zum Ausdruck gekommen sei. Dies alles nachdem fünf deutsche Schriftsteller zu insgesamt 95 Jahren Haft verurteilt worden waren, Grete Löw zu 7. „Als wir im Herbst 2005 am ersten Band seiner Werkausgabe arbeiteten, erzählte mir Oskar Pastior, dass er vom Herbst 1956 an, besonders nach der Niederschlagung des Ungarnaufstands, in permanenter Angst gelebt habe, abgeholt zu werden. Ein Versuch, diese Angst literarisch zu fassen, stelle sein Anfang 1957 geschriebenes Gedicht „Da ist doch das Dach der Chinesischen Gesandtschaft, ach“ dar. (..)Das Gedicht endet mit den Zeilen: „Der Wind fährt manchmal mit den Drachen oben vorüber, / Dann heult das Radio, / Dann geht der Mensch vorüber, / Dann kommt das Auto an. // Sage mir was du fühlst. / Schreibe was du fühlst.“ Autos vor der Tür oder Klopfen an die Tür, Stiefeltritte… das waren dann immer „SIE“, die jemanden abholen kamen, der dann für Jahre verschwand. Manchmal für immer. Fast harmlos verschlüsselt erscheint mir Oskars Gedicht. Wenn ich meine eigenen Gedichte über Angst aus jenen Jahren jetzt lese, denke ich, ich muss verrückt gewesen sein:

NEBEN JEDEM EIN BLAUER DRACHE UND WINTERZUNGEN

Hier habe ich das Schweigen gelernt,
das täglich mich vereiste.
Mein Mund will sich durchgraben.
Die Lippen brennen von bunter Leere.

Ein Tier aus Rauch, ein Schatten,
geht barfuß über die Straßen.

GOLEM
Man sieht nur, wenn man anders sieht.
Doch nun ist er ein Häufchen Lehm.
Wer schützt uns hier, da man nicht sehen darf,
vor Tod und vor der greisen Gewalt, wer,
da der Name, der unaussprechbare,
ihm eisern von der Zunge fiel
und in des Mundes Fälschung starb.

Und viele andere, mit Zeilen wie diesen: „BLAU spielt am Stacheldraht der Mord./ Weh dem, der überschreitet.“ Oder „Wo zwei sind, beginnt man zu sein./Wo drei sind, wird die Rede Angst.“ Freilich, ich hatte sie, außer Sperber, niemandem gezeigt, aber dann 1968 im Bukarester Literaturverlag unter dem itel „Grenzstreifen“ veröffentlichen können. Was auch ganz klar den Unterschied der beiden Securitate-Zeiten vor und nach 1964/65 zeigt. In der Gulagzeit wäre ich sicher im Gefängnis gelandet, hätte ich sie auch nur im Freundeskreis vorgelesen.
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Die „gerichtete“ Erinnerungsarbeit nun, die sicher noch wochenlang weitergeht, ergab einige Details, was die Pastior-Schlesak-Beziehung damals betrifft. Merkwürdige Dinge aus jener Zeit: bisher hatte ich sie mir damit erklärt, dass ich damals Redakteur für Lyrik bei der Zeitschrift „Neue Literatur“ in Bukarest gewesen war (1959-1970), und ich vieles für rein professionell gehalten hatte. War ich naiv? Was mich jetzt aufhorchen lässt: Schon beim größten Autoren-IM, dem rumänischen Lyriker Ion Caraion, mit dem ich 1968 meine erste Westreise antreten durfte, fällt mir jetzt auf, dass er mich so oft zu sich zum Abendessen eingeladen hatte, er mich in der Redaktion besuchte, mit mir Kaffeetrinken gehen wollte, reden wollte, obwohl keine besondere Freundschaft oder professionelle Beziehung zwischen uns bestand. Mit Oskar gab es beides. Doch auch er lud mich einige Male zum Abendessen zu sich ein. Auch er kam in die Redaktion, um Gedichte zu besprechen. Freilich, einmal war er stundenlang in der Redaktion der NL beim Chef Emmerich Stoffel, Mitglied des ZK, der sicher alles wusste; ich sehe jetzt noch Stoffels verdruckstes Grinsen, dieser Krampf, als ich ihm von meiner Securitateverfolgung berichtete, ihn bat mir zu helfen, dass ich frei käme!. Stoffel war eine sehr positive Gestalt und half, auch der Literatur, wo er nur konnte. Was mich freilich damals sehr wunderte, war, dass er sich oft für Pastior-Gedichte einsetzte, obwohl die seiner Partei-Ästhetik nach doch „dekadent“ sein mussten, und die Zensur schon moniert hatte. Ich konnte es mir damals nicht erklären! Aber es muss freilich auch gesagt werden, das Pastior damals auch schöne regimefreundliche Gedichte schrieb!
Einmal lud mich Oskar wegen einer „sehr wichtigen Sache“ (es mag 1961 oder 1962 gewesen sein) in ein Café ein; ich seh alles noch genau vor mir im langgestreckten Raum des Cafés auf der Calea Victoriei, ich nahm an, es sei die Sache mit der Zensur, die Gedichte von ihm beanstandet hatte. Doch von Gedichten war dann wenig die Rede, sondern von seiner Bewunderung für meine Poetik (auch als Redakteur): das „Versteckspiel in der Metapher“, um gefährliche Inhalte an den Leser zu bringen, ohne von der Zensur ertappt zu werden! Er wollte mehr davon hören. Dass er mir auch etwas „Wichtiges“ sagen wollte stand ebenfalls im Raum, es kam aber nicht dazu. Wollte er sich offenbaren oder halb offenbaren, mich warnen? Ich werde es nie erfahren. Nur die gängigen Witze kamen, ein Spiel mit dem Feuer, wie wir es manchmal unter Kollegen und Freunden trieben: Ah ja, du bist auch…? Bist du schon Hauptmann? Und so. Doch schien mir dies damals anders als sonst; ich war merkwürdig berührt, ich hatte plötzlich Angst, trank schnell den Cognak aus und ging. Über all diese Dinge sprach man sonst nur auf der Straße (Wanzen!). Ich weiß nicht, wieso ich mich einwickeln ließ im Café zu reden, oder war das Vertrauen so groß, und: es sei ja alles nur harmlos. Auch tranken wir leider wie so oft zu viel Wodka und Cognak.
Es sind nur Impressionen, Vermutungen. Aber auch, wenn es „Auftrag“ war, heißt das noch gar nichts, irgend etwas musste man ja „abliefern“, um die zu besänftigen. Und sogar in den Akten steht, dass OP kein interessierter und guter IM war, er sich winde. Und ich nehme an, dass er über all das auch nicht berichtet hat, nicht einmal mündlich. Oder waren es die Wanzen im Café? Doch ich war sicher instinktiv sehr vorsichtig im geschlossenen Raum, wenn auch sträflich blauäugig und naiv.
Und dann im Westen: Hat mich Oskar aus Gründen des schlechten Gewissens nie in seiner Wohnung empfangen, wenn ich in Berlin war, habe ich ihn immer angerufen, er hat mich immer abgewimmelt, ist mir immer ausgewichen, und Paul Schuster auch, überhaupt unserer älteren, also seiner Generation, und hat nur zu den Jüngeren später dann freundschaftlichen Kontakt gehabt. Er hat große Geburtstagsfeste gefeiert, ich wurde nie eingeladen. Wollte er nur nicht an seine Jugendsünde erinnert werden oder hatte er Angst, dass wir etwas wüssten und „aufdecken“ könnten. Er hat nie mehr „daran gerührt“. Hoffte er, dass alles mit der Zeit vergessen werden könnte, „es“ nie bekannt würde? Er, der so gierig nach öffentlicher Anerkennung war, fürchtete wohl nichts mehr als „ertappt“ und an den Pranger gestellt zu werden! Manchmal dachte ich auch daran, dass er mir böse sein könnte, da ich einmal ein kritisches Gutachten über seine Lyrik geschrieben, in dem ich moniert hatte, dass man mit solchen Sprachspielen das Monströse unserer Epoche nicht fassen könne, Form als Inhalt verpuffe im Leeren, gehe daneben.

Zu denken gibt mir auch folgende Notiz bei Sienerth über Grete Löw, die wohl auch seinetwegen ins Gefängnis kam: „Die Frage, ob sie Oskar Pastior, nachdem sie aus dem Gefängnis entlassen worden sei, noch getroffen habe, und ob es zwischen ihnen zu einem klärenden Gespräch gekommen sei, verneint Grete Löw, die heute in Lauffen am Neckar lebt. Wenn man sich in Hermannstadt über den Weg gelaufen sei, habe Pastior die Straßenseite gewechselt, betonte sie.“

Aber sie gehört zu den vielen tapferen Frauen, die in meinem Buch „Die rote Hölle“ porträtiert sind. Sie hat, anstatt IM zu werden, sich verweigert und ist lieber ins Gefängnis gegangen. Sienerth schreibt: „Von den sieben Jahren, zu denen sie 1959 verurteilt worden sei, habe sie bloß zwei absitzen müssen, aufgrund einer Amnestie sei sie im Oktober 1961 freigekommen. Die Haftzeit sei bitter gewesen. Etwa ein halbes Jahr habe man sie im Gefängnis in Zeiden behalten, nach der Geburt ihres Kindes sei sie nach Văcăreşti, unweit von Bukarest, verlegt worden, die letzten Monate habe sie in Miercurea Ciuc, im Szeklerland, verbracht. Hier sei sie auch anderen siebenbürgisch-sächsischen Frauen begegnet, u. a. der Germanistin Hermine Pilder-Klein (1901–1998), der Physikerin Marie Luise Roth (geb. 1930), Tochter des Politikers Hans Otto Roth (1890–1953), und einer Bäuerin aus Michelsberg (Cisnădioara). Gelegentlich hätten sie die dünne Gefängnissuppe
zusammen gelöffelt oder sich durch Klopfzeichen verständigt, wie es Eginald Schlattner in seinem Roman Rote Handschuhe so einfühlsam beschrieben habe.“
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Dass mir in den Gulag-Jahren nichts wirklich Schlimmes passiert ist, habe ich möglicherweise meinem Chef Emmerich Stoffel zu verdanken! Viele meiner ehemaligen Freunde landeten in den Securitatekellern oder gar in Lagern und Foltergefängnissen.
Es läuft mir jetzt kalt über den Rücken, wenn ich bei meinen ausführlichen Recherchen über jene Zeit nun weiß, wie furchtbar das Schicksal jener war, die in diese konkrete Straf- und Folter- Mühle gerieten. Hier nur ein kurzes Zitat:
„Der zu Verhörende wurde mit dem Kopf nach unten aufgehängt… Mit einer Sonderzange wurden ihm die Fingernägel ausgerissen … Seine Fußsohlen wurden mit einer Stichflamme gebrannt … die Hoden wurden mit einem dicken Bleistift oder einer dünnen Weidenrute so lange geschlagen, bis das Opfer unter fürchterlichen Schreien in Ohnmacht fiel, und in vielen Fällen verstarb. (Methode des Securitate-Folterers Franţ Ţandără, der auch nasse Sandsäckchen zu Schlägen auf Rückgrat und Nieren benützte. Sein Bekenntnis erschien am 21. März in der Zeitschrift „Singur“ 2010 in Bukarest) …Schreckensschreie oder Stöhnen von nahen Verwandten wurden dem Opfer zu Gehör gebracht… Schläge mit einem Prügel auf den Kopf des Opfers … Tritte mit dem Stiefelabsatz in den Mund, die Zähne des zu Verhörenden … Hetzen eines Wolfshundes auf das nackt an einem Pfahl festgebundene Opfer … Isolierung des Gefangenen über Wochen und Monate in engsten Zellen, wo er nur stehen konnte …“
Die Quellen sind inzwischen weitgehend zugänglich, vor allem durch den offiziellen „Raport Final“, eine Art Schwarzbuch des rumänischen GULAG, erschienen in Bukarest 2007 im Humanitas Verlag. Die Aufzählung der Foltermethoden stammt aus diesem Bericht. Der ehemalige politische Häftling Cezar Zugravu zählt in seinem Bericht „ Die Foltermethoden der Securitate“ Einundvierzig „Methoden“ auf.
Ich kann heute nur noch schwer „nachfühlen“ wie es mir, damals allen Autoren, so auch „Ossi“ erging. Der Erinnerungsschock aber blieb, die Verstörung, die „Belastung“, die kranke Psyche. So dass mich erst Wut überkommt, wenn ich sehe, wie Leute, die keine Ahnung haben, wie die jüngeren Kollegen oder gar Westdeutsche, die auch nichts nachfühlen oder rekonstruieren können, weil es nichts zu rekonstruieren gibt. sich anmaßen über unser Leben von damals um 1959-1964 zu urteilen! Sich gar zu Richtern aufspielen, wie die Massemedien dieses Leiden zur auflagesteigernden Sensation aufbauschen. Ich hätte die heutigen Moralisten und die Autoren als Gewissen der Nation, gerne in unserer Lage gesehen, wie sie damals gehandelt hätten. Wobei gesagt werden muss, dass weder Oskar noch ich oder Paul Schuster und viele andere, die gequält wurden, zu den wirklichen Opfern gehört haben, denn wir kamen nicht in die Securitate-Keller oder in die Sümpfe des Donaudeltas. Aber wir wussten, dass wir dorthin kommen konnten!. Es war wahnsinnig schwierig, zwischen dieser furchtbaren täglichen Angst und der Moral, Gewissen und zermürbender, jahrelanger oft täglicher Verfolgung von Anrufen der Securitateoffiziere, Treffen mit ihnen, jeder Autor hatte damals einen „Schatten“ zur Gehirnwäsche, zur Secu-Zentrale zitiert werden usw. mutig zu sein, standzuhalten, jahrelang, gar, wenn man auch jahrelange Haft hinter sich hatte, gar in der Zelle selbst zur Mitarbeit aufgefordert wurde. Meine Hochachtung gilt jenen, die es geschafft haben. Es sind sehr wenige. All dieses, auch die Securitate-Diskussion um Söllner und Müller, die anderen IMs jener Zeit, hat mich veranlasst, ein Buch zu erarbeiten, ich schreibe täglich daran. wo ich viele Fälle aus der Gulagzeit, rumäniendeutsche, aber vor allem die vielen rumänischen Fälle zu untersuchen. „Die rote Hölle“ ist ein Nachfolgebuch meines Dokumentarromans über den siebenbürgischen Auschwitzapotheker Capesius (2006, 2009) und die NS-Lager. Die Securitate und ihre Lager standen der SS nicht nach, ja, in einigem übertrafen sie diese noch!
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Oskar Pastior hat auch ein sowjetisches Lager kennengelernt, er kam dann in die Mühlen der Securitate. Das einzig Positive an diesem neuen „Fall“, er ist im Vergleich zu anderen in der Auswirkung wirklich harmlos, nimmt man seine persönliche Seelenfolter und Gewissensqual aus, ist die Tatsache, dass nun endlich auch die Vor-Ceauşescu-Zeit, die eigentliche rumänische Gulag-Zeit des Stalinismus (bis 1964), wo es bis hin zur Todesstrafe, den Lagern, den Foltern, ging - so öffentlich zur Sprache kommt; und das mag darüber hinweg trösten, dass Pastiors Fall nun aufgebauscht wird, sein Bild, wenn auch, hoffe ich, nur geringfügigen Schaden erleidet! Es geht wirklich um eine Hölle. Und wir alle, die nur SO leiden mussten, müssen, wie der Reiter über den Bodensee froh sein, nur mit seelischen Schäden weggekommen zu sein. Denn es geht um den rumänischen GULAG, um inneren Widerstand in einer Lager- und Folterzeit und nicht um Luxusdissidenten der Tauwetterzeit Ceauşescu, des grotesken „kommunistischen Königs“ mit Zepter und Thron, der fast alle politischen Gefangenen entlassen hatte, und wo es diese fürchterlichen Lebens- und Existenzbedrohungen, von denen die jüngeren „Dissidenten“ bis hin zur Nobelpreisträgerin dauernd sprechen, nicht mehr gab. Der eigentliche lebensbedrohende Terror war nicht die bunte, im Westen bekannt gewordene rote Königszeit von Ceauṣescu war, die zu Unrecht andauernd in der ganzen Welt, vor allem aber in Deutschland, auch von karriereinteressierten „Dissidenten“ in Presse und Fernsehen gebracht, das Publikum irreführen! Nicht jene relativ freie Zeit von 1964 bis 1971, wo wir auch unsere Texte fast ohne Zensur veröffentlichen konnten, nicht einmal die neue Eiszeit der achtziger Jahre Zeit, die hochgespielt als Terrorzeit in der Öffentlichkeit bekannt wurden, sondern eben die Stalinzeit, wo Dissidenten undenkbar und unmöglich waren, die sofort verhaftet wurden und oft für immer verschwanden! sollte endlich als Geschichtskorrekur neben der blutigen Nazizeit als großes Menschheitsverbrechen in die Erinnerungskultur und die Geschichtsbücher eingehen.
Es gibt immer weniger Augenzeugen! Doch wie auch Oskar Pastior oder Paul Schuster, habe ich beide Zeiten erleben dürfen. Wir waren befreundet, wir waren schon in der Hochschule in Bukarest Freunde (ab 1955), dann in der Zeit als Pastior beim Radio arbeitete, Anfang der Sechziger, als er in „ihre“ Fänge geriet (1961), ich Redakteur bei der Zeitschrift „Neue Literatur“ war, ebenso auch Paul Schuster, und Ossi uns „observieren sollte,“ um Berichte über uns zu schreiben… Es gibt keine. Das Entscheidende ist nicht, ob einer „unterschrieben“ hat oder nicht! Davon bin ich überzeugt. Schuster, so ich auch, haben es unter Risiken abgelehnt, anderen zu schaden, „Berichte“ zu schreiben! Wie Herta Müller viel später, haben wir es gegenüber der Securitate mit unserem Gewissen und unserer Arbeit als Autoren motiviert. Wir wussten ja alle, wie das lief, dass jeder bedrängt wurde, dass jeder seinen „Schatten“ hatte. Freilich, wir sprachen damals nicht darüber, jeder hatte Angst, darüber zu sprechen, es war auch strafbar, brachte Gefängnisjahre! Die Einsamkeit, das wir nicht so schön, wie später die Aktionsgrüppler“ sich absprechen konnten, sagten, wenn sie „gerufen“ wurden „dekonspirierten“ es den Freunden, verstärkte die Qual und den Druck in den Gulag-Jahren. Wie befreiend die Auflösung dieser Schuldeinsamkeit nach 1964 war, wissen nur die Älteren. Ich offenbarte mich zwar meinem Chef, der Mitglied des ZK war und dem Kollegen Arnold Hauser, KP- Mitglied, und bat um Hilfe, dass ich das nicht könne und wolle! Ich wurde aber auch von ihnen verwarnt. Es half vielleicht doch etwas, zumindest als Entlastung. Sprechen befreite. Auch meine damalige Ehefrau wusste es. Sie fuhr mir mit dem Taxi nach, wenn sie mich „holten“, dies tat sie aus Angst, ich könnte für immer verschwinden, wie es einigen geschehen war Da palaverte man weder vorher noch vor allem nachher im Westen, um hochzukommen, sondern war so geschädigt, traumatisiert und verstört, dass man auch im Westen nur aufatmete, als der Druck von einem genommen war, aber man schwieg. Ab 1965/66 war auch mein „Schatten“ verschwunden; und nach meiner ersten Westreises 1968, als ich auf Jordan, auf Anrufe wartete, was ja bisher „normal“ gewesen wäre, kam kein Telefonanruf, kein „freundschaftliches Treffen“, keine Drohung mehr. Ich habe das alles in meinen Büchern längst genau beschrieben. Und tue es nun auch in der „Roten Hölle“; es darf nicht vergessen werden, was unsere Generation und die Älteren erlitten haben, es waren zwei Millionen Menschen, Hunderttausende in Lagern und Kerkern; unsere Jugend, unsere Psyche wurden in jener grauenhaften Zeit zerstört.

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Weg damit! Nicht mehr daran rühren! Das war anfangs wie bei Oskar auch meine Devise. Pastior hat das bis zu seinem Tode durchgehalten. Mir war es unmöglich, ich musste mich in meinen Gedichten, in meinem Roman „Vaterlandstage“ (1986) vor allem auch in Freundesgesprächen befreien. Ich habe nicht einmal, wie Oskar die Chance wahrgenommen nach der Flucht in den Westen, beim Bundesgrenzschutz, englischen, amerikanischen Geheimdiensten, die mich nach all dem fragten, aber auch nach topografischen Details auf militärischen Karten, darüber gesprochen, sondern ihnen gesagt, dass ich gegen mein Herkunfts-Land die westliche herrschende Ideologie des Antikommunismus nicht bedienen wolle, was ich auch der Presse gegenüber wiederholte. Zuhause musste man gegen den roten Terror Widerstand leisten und nicht im Westen, den das eigentlich gar nichts anging, es sei denn als politisches Kampfmittel, wo schreibende „Widerstandskämpfer“ mit Ehren, Preisen und Ruhm für ihre Augenzeugenschaft und Schreibe gegen die eigne Heimat überhäuft wurden, ja auf diesem Boden eine schöne Karriere aufbauen konnten. Auch Oskar hat geschwiegen, ja hat die innere Zerstörung als Sprachzerstörung und Sprachspiel sublimiert, in Subtilität verborgen, die keiner inhaltlich entschlüsseln konnte, weil auch der Inhalt aufgelöst war in sprechendem verletzten Schweigen unter unerhörtem Druck, wohl auch Gewissensdruck!
Aber zumindest in zwei Fällen ist Oskar Pastior schuldig geworden; durch seinen einzigen Bericht über die Germanistin Ruth Kisch, der diese fast ihre Arbeitsstelle gekostet hätte. Und die Sache mit den „Russlandgedichten“ und Grete Löw. Doch er hat in beiden Fällen Schuld nicht akzeptiert: Er hat in einer nachträglichen Anmerkung sogar Überlegungen zu seiner „vermeintlichen Schuld“ angestellt, vor allem auch, ob er an den Gefängnisjahren von Grete Löw schuldig sei, versucht zu verdrängen, doch er hat es niemals weggesteckt: „Vielleicht ist der rote Faden, der sich durch meine inneren Motivationen zieht [,] die Überzeugung (und Auswegslosigkeit), immer wieder und an allem schuldlos schuldig gewesen und geworden zu sein. Dostojewski lässt grüßen, die protestantische Erbsünde lässt grüßen. Alle in Grenzsituationen überlebt habenden lassen grüßen,“ so heißt es in seinen nachgelassenen Notizen. Ich selbst fühle Schuld, die in die Unizeit hinab reicht, als ich „Marxist“ war und dafür plädierte, im Konsensus sogar mit den Kommilitonen, dass (es war 1956 oder 1957) der „reaktionäre“ Nietzscheanhänger Dieter Fuhrmann exmatrikuliert werde. Es ist Gottseidank durch unseren jüdischen Assistenten Ernst Maria Flinker verhindert worden. Ich werde das niemals vergessen können. Fuhrmann ist vor kurzem verstorben, es gibt keine Möglichkeit mehr zur Aussprache.
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Ich habe als Forscher bei der rumänischen „Gauck-Behörde“ eine Zulassung erhalten, kann jede Akte einsehen, und werde im November auch Oskars Dossier lesen, und meinen eigenen natürlich auch; hätte er über mich Berichte geschrieben, was ich für ausgeschlossen halte, weil ich seine Art kenne, und auch „damals“ mit ihm freundschaftlichen Umgang hatte, müsste ich etwas finden.Doch ich bin überzeugt über Oskar Pastior werde ich nichts Neues finden. Stefan Sienerth hat sehr genau alles durchforstet und kommt zu dem Schluss: „Verglichen mit den anderen IMs („Silviu“, „Johann Wald“, „Marga“, „Dorina Gustav“ u. a.), die in den 1950er und 1960er Jahren in vielen „Securitate“-Dossiers deutscher Intellektueller aus Rumänien mit ihren oft inkriminierenden Berichten präsent sind, war „Stein Otto“ eine marginale Erscheinung und vermutlich wohl auch vorwiegend darauf bedacht, durch seine Berichte möglichst niemandem zu schaden.“
Aber da hat er sich, wenn auch letztlich dann edel, selbst hineingeritten, Schwäche und Feigheit müssen ihm zum Vorwurf gemacht werden, auch, dass er nie versucht hat, der Securitate zu „kündigen“, wie es etwa Werner Söllner nach drei Jahren getan hat. Denn ab 1964 wäre das nicht mehr so gefährlich gewesen, wenn es auch Konsequenzen gegeben hätte, jedoch nicht so drastische wie bei Grete Löw. Bei Söllner gab es keine Konsequenzen, und auch bei Helmut Frauendorfer nicht. Mir hat meine Weigerung auch keinen Rauswurf, gar Gefängnis eingebracht.
Aber beim äußerst sensiblen Dichter Pastior überwog wohl eine Art Berührungstabu Und vielleicht ist auch der Ekelkomplex und di Ekelfrequenz bis hin zur Angst, dass „gemunkelt“ wird, er sein Ansehen verliert. Zu Recht schreibt er auch für die Zeit nach 89 und heute, das wir uns wehren sollten, weiter Gefangene der Securitate zu sein, dass diese von neuem die Macht über unsere Seelen übernimmt und triumphiert, was leider in den letzten Jahren tatsächlich der Fall ist, nicht nur beim Fall Oskar Pastior: Er hat in einem Notizblatt von 2002 im Hinblick auf ein Podiumsgespräch unter der Überschrift „securitate, stasi etc.“ einiges zu diesem Komplex festgehalten : „ich möchte keinen gedanken denken und keinen satz aussprechen in welchem und durch welchen diesem ekelkomplex von institution zu einem späten erreichen seiner ziele verholfen würde - den zielen: mißtrauen u. argwohn zu säen / unversöhnlichkeiten aufzubauen / persönlichkeiten zu spalten / psychosomatisch angst u. schrecken zu verursachen / kurzum uns nachträglich wieder einmal zu entmündigen (die würde zu nehmen). was ihre konkrete frage betrifft - bitte wenden sie sich diesbezüglich an unsere deutschen behörden (ich glaube es war der bundesgrenzschutz) und an die entsprechenden amerikanischen, britischen u. französischen stellen, denen ich vor 34 jahren gerne und bereitwillig detailliert auskunft gab / indem ich mich ihnen rückhaltlos 'offenbarte‘ / - auch um reinen tisch zu machen u. einen heilungsprozeß bei mir zu ermöglichen (und neubeginn) u. eben den ganzen 'ekelkomplex‘ in den orkus zu schieben, weg damit! dies ohr, das uns hier geliehen wurde, war, nüchtern und aus großer distanz (eines drittel jahrhunderts) gesehen, ein heilsames verdrängungsangebot 'des westens‘. (die bis zur wende dort im land warten mussten, hatten dieses angebot nicht).“
Es bleibt freilich auch da ein Rest von Schwäche und Schuld! Sich, auch im eigenen Interesse, mit der Securitate auf Verhandlungen eingelassen, zu haben. Schuld auch, weil Pastior deutsche Staatsbürger, die zu Besuch nach Bukarest kamen, im Auftrag „begleitet“ und vielleicht ausgehorcht hatte. Berichte allerdings sind bisher keine aufgetaucht. Grenzschutz und Verfassungsschutz wussten davon. Und dieses war wohl der eigentliche Grund, sich zu offenbaren. Dass es auch eine persönliche Entlastung war, zählt erst als „Begleiterscheinung“. Und nach Österreich und Deutschland ließen ihn die Offiziere nur im Auftrag fahren, es gibt dazu ein unglaubliches, von ihm unterschriebenes Papier, wen er alle bespitzeln sollte. Sienerth dazu aus den Akten: „In der Zusammenarbeit mit der „Securitate“ habe er sich als korrekt erwiesen, die ihm auferlegten Aufgaben erfüllt. Er habe nützliche Materialien geliefert über verschiedene „suspekte Personen“, auf die er angesetzt worden sei, vor allem westdeutsche Staatsbürger, die er entweder offiziell, über seine Dienststelle kontaktierte oder auf Geheiß der „Securitate“. Bevor er seine Auslandsreise antrete, werde er folgende Aufträge erhalten In Österreich, wo er zwei Wochen bleibe, solle er Gerhard Brössner, einen Schauspieler, kontaktieren, mit dem er korrespondiere, der aus Temeswar stamme und vor etwa vier Jahren nach Österreich emigriert sei. (…) In der Bundesrepublik Deutschland, wo er ebenfalls zwei Wochen bleibe, solle er Kontakt aufnehmen zu seinen Bekannten Edmund Pollack, einen ehemaligen Hochschullehrer der Klausenburger Universität, der nach seiner Aussiedlung bei der westdeutschen Rektorenkonferenz tätig sei, Walter Biemel (geb. 1918), den aus Kronstadt stammenden Heidegger-Schüler und Existentialismusforscher und zum Rundfunkredakteur Alfred Coulin (1907–1992), die alle der westdeutschen Spionage verdächtig seien. Man habe ihn instruiert, Alfred Coulin, mit dem er verwandt sei, anzuschreiben, er solle ihm eine Einladung für die Bundesrepublik Deutschland beschaffen und zuschicken… Während dieser Kontakte gelte es, Daten über ihre Tätigkeit zu sammeln, ihren Status kennenzulernen und herauszubekommen, mit wem sie Umgang pflegen.“ Und vieles andere mehr steht in dem unsäglichen Bericht von Pastiors Führungsoffizier.
Taktik, sich darauf einzulassen um ausreisen zu können mit der klaren Entscheidung, nicht mehr zurückzukommen? Wer kann das heute noch entscheiden? Jedenfalls Oskars Ehefrau konnte dann nicht mehr selbst in den Westen fahren, auch sonst wurde die Familie geschädigt. Pastiors Ehefrau hat ihm dies sehr übel genommen und sich von ihm scheiden lassen. Auch hier gibt es eine schuldhafte Parallele zu meinem Fall, woraus bei mir eine Leidensgeschichte von vielen Jahren entstand, auch wenn ich Mutter und Sohn schon nach 5 Jahren in den Westen holen konnte.
Dass die Verdrängung („heilsames verdrängungangebot“ als „neubeginn“) , Vergessenwollen also, Pastiors Werk zur Qualität verholfen habe, oder dass er aktiv jene „Maximen“ irgendwo angewendet hätte, sich also gegen die Securitate gestellt, seine Geschichte aufgearbeitet, in sein Werk aufgenommen hätte, muss ich verneinen. Oder dass die allgemeine Wertschätzung seines Werkes irgendetwas damit zu tun hätte, wie Ernest Wichner in seinem FAZ-Artikel schreibt, und dazu geführt hätte, dass bei so einer Biografie allein „seine literarischen Entscheidungen, die für ihn auch ethische und moralische waren,“ für gerechtfertigt gehalten werden können, bezweifle ich. Erst ganz spät hat er sich dem „Sowjetkomplex“, der nach seinem Tode erst zur „Atemschaukel“ geführt hat, gestellt. Und mit den späten Notizen war, was die IM-Karriere betrifft, erst der Anfang gemacht. „Überzeugender und ausführlicher als in seinen späten Notizen lässt sich die gehetzte Befreiung des IM „Stein Otto“ zum Dichter Oskar Pastior allein in dessen Gedichtbänden nachvollziehen“(??) wie Wichner schreibt? Nein, in den Gedichtbänden gab es, wie auch der genaue Kenner Michael Markel feststellt, kaum Spuren des Securitatekomplexes, es sei denn, dass diese Sprache als Gegensprache wider die Verhörsprache, die Ekelparolen oder als Flucht gesehen werden kann! Auch die zerstörte Sprache umzukehren in verzweifelte Befreiungsbewegungen, sie so neu zusammenzusetzen, auf einer neuen, freien Sinnebene, die so sehr „anmacht“, dass sie wie ein Widerstand wirkt, kann nur als Mutmaßung in den Raum gestellt werden!
Aber ich kenne es zu genau, um Oskar daraus einen Vorwurf zu machen. Spät haben auch mich all diese Erinnerungslast und die Verstörungen, neu eingeholt, „es“ hat uns alle nach Öffnung der Akten eingeholt! Ich musste die „Rote Hölle“ schreiben; Oskar Pastior hätte, vielleicht zusammen mit einem Kollegen, die „Securitate-Schaukel“ erarbeiten können, wo für den von der Macht Verschaukelten auch der Titel besser gepasst hätte als für die Geschichte der Russlanddeportation.

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