Hier ein neuer Tagebucheintrag
http://schlesak.blogspot.com/2012/03/erstaunt-sehe-ich-dass-das-tagebuch.html
Und der neue Gedichtband
Dieter Schlesak
EIN GRÜNER BUCHSTAB BLEIBT
Auf grünem Zweig
Gedichte, Kurzessays
und Aphorismen
INHALT
Ankünfte ………………………………
Berge und Meere
……………………………….
Eros ………………………………………….
Tagebuchgedichte. Die
frühe Eifersucht……..
Tod und Vergeblichkeit
…………………………..
Immer nach Hause
………………………………
Widmungsgedichte …………
Ziel.
Ciel………………………………..
Anhang. Securitate.
Mein Eckermann? ……………………………..
Stimmen und Bibliographie ………….
ANKÜNFTE
UNSER BUCH
Ist da/ meine Liebste
Wir schrieben
Wir schrieben gestern
Wir schreiben heute
Wir schreiben morgen
Wir schreiben jeden Tag
Ein dickes weisses Buch
Liegt vor uns, Liebste:
Oh, sag
Haben wir genügend Zeit
Sieh es dir an: Es hat noch so viele
Unbeschriebene
Blätter
Sie warten auf uns
Sie warten auf dich und auf mich
Sie warten jeden Tag
Jede Nacht
Jeden Tag
Hörst du sie
weinen
manchmal vor Angst
Mein Blättern in Dir
mein Blättern in mir
Von Tag zu Tag unheimlich nah
Näher und näher täglich dein Du mein Ich dein Ich mein Du
Ineinander verwoben verwurzelt wie
Muster und Mütter des Ewigen Tages
Und manchmal sind weisse Seiten
wie weisse Haut
Und nicht mehr zu trennen
Zu lesen die schmelzende Weichheit
Väternder Mütter und mütternder Väter
Im Kuss ihrer blätternden Lippen
Einsinkender Körper
Wortlos zuhaus.
Als blättertest du in mir meinem Herzen
Wenn du doch in dir blätterst
Als blätterte ich in dir deinem Herzen
wenn ich
Ganz bei mir war.
Oh, lach: Was steht denn da? Welch
Griffel schreibt
Für Dich in Dich kreisrundes Oval.
Seine Schusswunde in deinem Fleisch
Singt und sinkt in mich
Und gebiert ein kirschrundes
Schreiendes Kind.
(6/03)
PROPFEN KNALLEN
den Mond an
Bellt ein Widerhall
ein Geist entkommt
aus der Flasche
Und eine Stimme,
vielleicht
die Mutter:
Kind, bist du
da?
Oder der blaue Dunst
im Tal? Sekt perlt im
Glas.
Wie schnell die
Sekunde auf der Zunge
vergeht.
Im einzelnen Ohr war
die ganze Welt
taub. Und blieb
stehen.
Dann blitzte es weiter
Feuerwerk über Berg
und Tal.
Du hast einen Knall
all diese Jahre
was suchst du denn
hier
auf der fremden Erde?
Nur von jenseits der
Berge
ein Sprachblitz
Deutsch.
Sie kehren zurück
die Worte
Sie sprechen sich aus
Fest ist zu halten
Nichts zu vergessen .
Wir leben und sammeln
sie ein
die Reife die Jahre:
ICH SEH IM FENSTER
diese Landschaft,
Berg und Tal das Meer
die Bäume rauschen
vergehen auf der Taste
auf der ich dieses schreibe:
im schwarzen
Hintergrund stürz ich hinein.
Der "schwarze
Hintergrund?" Du
fragtest mich als ich
- noch mehr
als du - die Hälfte
des Jahrhunderts
überschritt: Der
schwarze Hintergrund?
Die Wand die vor uns
steht glaubst du
sie wird sich öffnen?
Ein Laut aus der
Idylle/ Glocken talwärts
der frische Morgen
Autohupen Bellen
wie aufgedreht der
Schirm
für dies Gedicht für
dich
heut ist dein Tag.
Die Stille hinter dem
Tal
es fiel mir auf
dass jener den ich
denke fehlt.
Einsetzender Sturm in
den Geräuschen
Abwesenheit. Und denke
Ihn in mir gefangen.
Nichts als ein Echo
der Gedanke. Er ohne den
das Tal nicht ist
im Auge nur der Schein
zurück geblieben.
Was ist Sein Grund im
Blätterrascheln,
den Sonnenflecken dort
im Wald, als Kind:
die Morgenschrift:
Der AusSchnitt ist in
mir, im Wirklichen
vergangen.
Beton dich nicht,
um die Musik zu hören
in jedem Ding,
mein Freund von hier,
schon nicht mehr sein,
schon jetzt zu sein,
was ewig sein wird:
innen die Musik,
singend der Kern:
dein Leben.
Im Zeitspalt der
Seele, wag es, zu sagen
wieder
"Seele", wie Vögel, der Gedanke,
ein Wort dann als
Kleid für den Ewigkeitsschrecken,
darauf erlöst aus
deinem Leib/ Flug,
der ihn hinauf warf.
WENN DANN Entfernungen
zusammenbrechen,
Summen der Bienen
wie Menschenstimmen,
die Worte endlich sich
entkleiden,
berührt die Nähe fern,
entfernter war es noch
nie.
Das Maß setzt
nach dem Herzschlag
deinen Wächter
in Eins, der warst du
warst es schon immer,
steht auf
und geht - in der
letzten
Entfernung dort wo
geheim dein Herz ist -
davon.
Und das Gesetz,
das was du kennst,
lass hier getrost zurück,
so bleibt die Zeile
scharf, die du
heimlich
gedacht,
verwandelt in eine
Blume,
innen gewachsen
hinaus über den
Schein,
der das Leben ist,
und kehrst getrost zu
dir
heim.
8/94
IM SECHZIGSTEN JAHR
Unter der alten Buche
bei San Pellegrino im Apennin UND
an einem Pass/ sogar delle Radici
ist es aufgeschlagen das Jahr
mit Glockenklang zu hören
jedes Mal in all den Jahren im
August
über den Emigrierten
Mumien der Einsiedler hier
suche ich immer noch Und
grabe
bis hinüber die Öffnung, die Hoffnung
sicher, im Ohr die Stimme
des toten Apothekers: sicher, sicher
grabe nach meinen Wurzeln, sie werden
sichtbar: näher näher UND
sie fallen ja bald vom Himmel
herab.
7.August 94
IHR BLUMEN
nicht nur, benennbar
und gesehen,
durchleuchtet
alle, ungesagt
von dem, was
hier das Licht kennt.
Ihr andern auch
unsichtbar dabei,
schwirrend
und ahnbar,
vorerst im Kopf.
Streckt das Gesagte:
ausgesagter Gedanke,
und fühle lichtlos,
dass sie nun da sind,
lautlos wie ich.
Und wenn ich das. was ich will,
endlich verliere,
seid ihr befreit, wie das Licht,
endlich ihr Blumen
unter dem wortlosen Himmel.
Für
Constantin Noica
PARAPHRASE
Ein Toter, schön, mit Augen des Lebendigen
Im Schlaf allein/ kann sie ihn noch erinnern
"Und
kommt mit Trauer im Kalten Strahl,
aus jener
Welt Getrennter ...
Doch zeitlos
lieben werd ich ihn
im Zeitlosen
bleibt er ferne."
Und Nichts
ist er und ist doch hier
Ein Hungern das ihn aufsaugt,
Im Tiefsten
doch ein Schwarzes Loch
und Blindheit
im Vergessen.
TAGEBUCHGEDICHE
12.
September 96
In St.
Gildas de Rhuys. Besuch in Abaelards Klosterabtei. 1128-1136. Vor zehn Jahren
ist er zur Strafe (Beziehung mit Heloise) entmannt worden. An Heloise schrieb
er im 5. Brief, "Die Glut meiner Gier hatte mich mit dir
zusammengeschmiedet; ich dachte nicht mehr an Gott, ich dachte nicht mehr an
mein besseres Selbst, so tief untergetaucht war ich in den armseligen Genüssen,
die zu schmutzig sind, als dass ich sie ohne Erröten auch nur nennen
kann.." Da habe Gott in seiner Barmherzigkeit, das Messer, das seinen Leib
traf, habe ihn Abaelard von dem Schmutz befreit. So habe er nur an einem
kleinen Teil des Leibes seine Sünde büßen müssen. Ein "Pfahl im
Fleisch" . Selbst aber habe er es nicht tun dürfen, ein anderer musste es
tun. Origines sei schuldig geworden, weil er es selbst getan.
Und
doch wurden sie zusammen bestattet, waren sogar Eheleute gewesen, hatten einen
Sohn. Auf dem Père Lachaise in Paris schrieb ich an ihrem Grab:
Weißt du noch: HELOISE UND
ABAELARD
Etwas Regen auf dem Père
Lachaise.
Versteint. Wir unter
Regenschirmen.
Was weint da. Sogar über
Steinen. Wir
suchten. Und unter Linden
hören wir
ein Flüstern. Laute, wie
Tandaradei.
Klang Worte in Höfen. Tage.
Und dies Paris
so spät. Kaum Große
Herbstzeitlose, die
zur Liebe jetzt auf Gräbern
rät. Ein
Liebespaar, wir waren jung,
berührt den
Stein. Von unten her. Ein
Kind, das weint.
Woher ein Sic et Non, der
Erdgeruch mit
deiner Haut im Regenduft
vereint, im Schritt
der Kuß unter dem Kleid,
ein Blitzen wie
durch Tränen, ein Blick der
Tote überholt.
Jetzt stehn sie auf und
lachen. Sie sehn
dir unters Kleid, die
schwarze Herbst-
Zeitlose die Sonne
runterholt.
Heloise, Abaelard:
"Was ich begangen, es lebt
so stark in freudiger
Süße," riß mir das Herz
entzwei.
Saß sie auf einem Steine,
Heloise, Abaelard.
Fließt in die Iris heute
dies Liebespaar.
Und steigt ganz aus dem
Wort und nur ins Auge ein.
Der Name sucht durch
Todesnacht lichtschnell verborgen dort
im Stein, den nur der
Finger anstößt, Kälte fühlt,
als wäre dieses wahr ("drei Tage sind es drei/ von keinem
Schmerz
verschont,")
Heloise, Abaelard...
Tod ist ein Liebespaar.
Liegt vor uns, geschwärzt
Figur, der Stein.
Schmerzlich der Durchgang
mit Bildern und Dornen,
durchkreuzen das Auge und
sieh, die Paare, sie
wärmen.
Vom Tode denke nichts, und
nur auf ein Wort. Steht
Sic et Non - gerade für
wen? Daran miß und trau
dem Auge nicht mehr,
trau denen, die nicht
mehr sehn.
Nichts
erinnert in der kleinen Abtei, die nur noch seinetwegen besucht wird, an ihn,
er selbst floh von hier, der Rauheit und Ungebildetheit, Gesetzeslosigkeit der
Mönche. Und doch werden andauernd Abte und Heilige, meist in Form von
Grabsteinen, einer sogar im Glassarg mit den heiligen Gebeinen vorgezeigt. Die
Kirche mochte den freien A. nicht. Immer wieder wurde er "bestraft"
Auch in einem Kloster bei Soissons, das zugleich Irrenhaus und Kerker war. Und
hier die heiligen Knochen. Überall die Materie verehrt.
Ich mache Aufnahmen davon. Auch von einem
großen Schiffsmodell, dem Nonnenkloster daneben. Werde verjagt. Und denke an
Abaelards "Sic et non": das meinem eigenen Stil entspricht: jede
Aussage zurücknehmen, nichts stehenlassen, weil nichts wahr sein kann, was nur
gedacht oder nur Sprache ist.
Fünfundzwanzig Jahre. DIE FRÜHE EIFERSUCHT
·
November 1985. Mittwoch.
Mit dem Blick des Abschieds fällt mir
plötzlich Lucca ein.
Und ich habe Sehnsucht nach Lucca ...
Damals, wann? 1974? 1973?
Und der Spaziergang zur Wiese, wann?
1977?
als mir einfiel der Beginn
eines Essays über / “Diesseits der
Gegenwart”.
Was ich vorausgedacht, das ich abwesend
bin
du noch da warst, hier lebtest, mich
mitzogst,
dass wir Abwesende sind nun beide, hier
ohne
Liebes Gefühl , das uns irgendwo im Tessin
an einen bärtigen Kopf hängt, der mir
ähnlich
sieht, aber der ich nicht bin.
Und
ein Vierteljahrhundert später, jetzt
dieses Heute das wir sind
ist der Bärtige wieder da / drohender
unfühlbarer auch nicht mit Schmerzen
ertragbar / als Preis /
unwiederbringlicher bist du
der täglich das Leben schwächende
mit allen Schatten /wahrnehmungslos
fast ohne Gefühl
der Alte / der Älteste! DU bist es
geheimster Liebhaber aller Gedanken
Freund Tod.
Wie ein Kinderspiel wars, damals:
“Wir fahren sie ab / unsere Gegenden /
wund
wir gehen und leben / sind wieder
in Bagni di Lucca gewesen / in Granaoila /
wo Montaigne
die Höhe hinauf geritten ist zum
Friedhof / welche Tote
von damals sind noch kenntlich? / und
er?
Wir sind die Lima entlang gegangen /
milchiges
Wasser / gelbe Kastanienblätter, das
Sonnennetz
unter der Brücke / Montale hat es
gemalt /
auch er tot / doch spürt er es nicht
mehr / wie das
langsame Sterben ist. / Wir sind
an jenem Ort gewesen / Barga / die
romanische Kirche steht
noch / der Christophorus mit dem Kind /
die engen Gassen / die Mauern mit den Gittern
und Einschüssen / die Bar vor dem
Stadttor /
doch immer war jener Dritte dabei / und
die Hand die
ich nehmen wollte / fiel ab / Worte
fielen
herab / erreichten dich nicht mehr /
deine Lippen
zusammengekniffen ...
28.11. 1985 Donnerstag
Das Datum / das vergangene zu Mal
Ist wie ein Todeszeichen ganz real
Zeigt es Vergehen an / und deine dir
Verbleibende Zeit noch hier
Dein Leben dir bewusst zu leben: ja
lies es
Laut
vermischt mit Todesängsten
Du liest hier so / als wär es Nichts.
Der Name deines Henkers.
DRUCK und Morbus. Sind seine Bilder an
der
Wand /die Todesbilder. Vom Abschied
hier gerundet
Mein Leben / wird alles noch mal
Wild /
und jung / tut weh.
Dies ist es und es gibt / kein anderes.
Und was im Buch nur steht / hat es
zerstört.
Vielleicht lieb ich in dir nur / was er
sieht
Das Andere was mir unerreichbar ist
Weil ich nicht bin / nicht sein kann
Was ich doch erahne
Ist
hier zerstört / ein Leben lang
Nur Ungeduld mit dem was aufscheint
jeden Augenblick
Und auftaucht ansatzweise nur / in
jedem Ding
Und Blick / Langweile geht / hier nur
nach außen um
Und innen brennts / als wäre dieser
Abschied
Der uns tötet / viel zu langsam.
Als gäbe es Orpheus wieder
(XIII) Sei allem
Abschied voran...
Sei allem Abschied
voran, als wäre er hinter
dir, wie der Winter, der eben geht.
Denn unter Wintern ist einer so endlos Winter,
dass, überwinternd, dein Herz überhaupt übersteht.
dir, wie der Winter, der eben geht.
Denn unter Wintern ist einer so endlos Winter,
dass, überwinternd, dein Herz überhaupt übersteht.
Sei immer tot in
Eurydike -, singender steige,
preisender steige zurück in den reinen Bezug.
Hier, unter Schwindenden, sei, im Reiche der Neige,
sei ein klingendes Glas, das sich im Klang schon zerschlug.
preisender steige zurück in den reinen Bezug.
Hier, unter Schwindenden, sei, im Reiche der Neige,
sei ein klingendes Glas, das sich im Klang schon zerschlug.
Sei - und wisse
zugleich des Nicht-Seins Bedingung,
den unendlichen Grund deiner innigen (Rilke aus: Die Sonette an Orpheus
den unendlichen Grund deiner innigen (Rilke aus: Die Sonette an Orpheus
1
Auch bin ich aufgewacht, und weiß,
Und bin nun schlaflos jede Nacht,
Der Vogel singt / ich bin ganz im Gehör
Am Baum der diesen Winter uns erfror
Und weiß, dass ich wie dich auch ihn
Zu wenig hier umgeben und geschützt.
Es kommt nun einer, der den Baum nicht kennt
Doch der den armen Platz nun für sich
selber nützt
Und dieses Blatt das nicht mehr ist
Doch
brennt
MEIN Vogel der aus deinem wehen Herzen
singt
Der das Vergangene Leben wieder bringt
Als wärt er allem Abschied voran
Als es uns gab / nun in mir selber klingt.
2
Und dann frage ich dich / mein Gott wie
Alt / sind unsere Gefühle / doch
Und wie neu / diese Welt - wo wir
Hineingestellt sind / Atome in uns
Wie in anderen Dingen Tieren und
Pflanzen hier
Elementen auch wir
Und Schluss ach Schluss
Trotz Radar
Und trotz Trotz: haben wir uns?
3
Erweckung
Orphus und Eurydike / so erweckt
An wem / an was
An einen bärtigen Ulyss?
Auch er Atom, na und wohin
Mein Freund / tauch tief in dein
Inferno / wo die Schatten blühn.
Und alles ist
Nichts als Kontur.
UND fragen, ob du hier nicht bestehn
musst
Ihr Gesicht / das abfällt / und sich
einem Dritten
Zu
neigt
Und du warst ja so weit
Und stehst nun vor ihr wie ein Schatten
/ wie ihrer
Der einmal auch vor dir stand.
Schattengleich. Schattenzeichen. Nun
bist du bei ihr
Und einer ist in dir / der weint /
bitter ein Kind
Das noch viel Zukunft hat, hier
Du aber weißt / und spaltest dich so
Und gehst / lässt sie los
Bist erst so / für immer mit ihr.
28./ 29.
Traum von einer Schwarzhaarigen
In einem Amt. Annäherung. Küsse.,
Rendez-vous.
Um acht Uhr abends. Da kommt MR Ranizki
zu Besuch.
Ein großes Bett / meine Bücher liegen
auf der Decke.
Er sieht sie flüchtig an: Sie
beschäftigen sich wohl mit
Joyce? Ich sage ja. Aber nur in Maßen.
Versuche
Innere Monologe. Habe dabei Angst
Die Frau zu versäumen. Es ist halb
acht.
Wenn ich nun ans Allgemeine binden will
/ was uns
Geschieht, ist es die Auflösung der
Zeit,
Der wir (mit Überdruss nur) sicher waren.
Denn das Leben / schien nicht mehr
weiter / zu wollen.
Jetzt wenn die dir unsere Freuden
Also die erregenden Utopien / wohin
reisen wir,
die Ausflüge in die Berge, Boots-Reisen
/
was machen wir noch / wie wird’s uns
ergehen?
Jetzt wenn die Utopien sich als Trug
erweisen?
16h. Dann der Ort ein Topos / Schnitte
in der
Mauer / blutrotes Ereignis in den
Wolken über Pedona /
Widerschein in den Fenstern / darin
spiegelt sich der
Garten / die Bäume / wir, unsere Jahre.
/ Als wäre alles
Unsere Geschichte / der Küchenschrank /
hier gekauft,
Von dir “restauriert” / 82 im Februar,
als der Selbst-Mörder
Fotograf kommen sollte / mich aufnehmen
für Serkes Buch.
Oder Widerschein im Zinngeschirr / auf einem antiken
Eckschrank / ja wann war das /
Amsterdam 1972
Grachten / Trödlermarkt / und dem
Lupenschleifer
Baruch / der de Monaden kannte / in uns
allen.
Ein glühend roter Lichtstrahl / fällt
fast horizontal ein /
ein Abschied neigt sich der Erde zu / wie ein
sehr langer
großer Schatten / wie der Tod / vorstellbar /
fäll
auf die Hopi Kashinas hier / 1979 im
Juli / im Jahr
Als mein Vater starb / alles hier
in ein jung gebliebenes Jetzt
Topos, Schnitte “combinazioni dei
fondi”, so sagte er / ich suche
im Herzen Schichtontologien /
Schnitte, alte Tage Bücher und Nacht
Bücher
und eben brachtest du von den Fischers
aus Pieve eine Buch Kassette Wölfli /
wann war das: 76?
Bei Elka Spoerri in ihrem “Stöckli” bei
Bern.
Von der Wiege bis zum Graabe. Oder
Durchsichtig arbeiten und schwitzen,
leiden, und Drangsal
betend zum Fluch?
Schnitt. Und musst einsehen / großes
Gespinst
Eurydike / und hol sie... Oder die /
Unterwelt / Ulyss
lässt die Mutter Blut trinken
um kein Schatten mehr zu sein.
Und wenn wir uns vornehmen / am 6.
Dezember
nach Neapel zu fahren / müsste
natürlich Cumae und auch die Sibylle
besucht werden, denkst du an Waste Land
von Eliot? / Und die Ebenen müssen
zusammen-
kommen / parallel laufen,
das ist die Rettung.
“Nichts zählt als die
Inständigkeit der
Zuneigung.” (H. Pound).
Und erlaube mir / an die
Kristallisation des
Herzens zu denken / bei Stendhal / auf
Monte
Christo / er war ja dort gewesen.
Ich
mit Hannah und dem Anderen / diesen Sommer
zählte sie da / diese Inständigkeit /
oder werde ich später
so beschenkt / von zwei Frauen / oder
beschenke ich sie
denn nichts zählt mehr als Himmelsgeschenk: Erfüllung/
diesen tiefen Grund auch
des Meeres zu erleben, tauchend sehn /
40 Meter tief
sahen wir seine Wunder
Gottes Liebe der zärtliche Blick /
alles klingend
angenommen / Banales wird heilig / dass
der Kustode uns
nicht landen ließ / ein scharfer Wind
blies später / als wären
es Aeolos Windsäcke / und waren doch
ein Geschenk
von mir, dem Eifersüchtigen geöffnet
worden /
dachte, er betrügt mich, der Bärtige,
und so wurden wir wieder weit
hinausgetrieben / Heimat
irgendwo? / Dass ich nicht lache!
Genialität / heißt es
sei ein gutes
Gedächtnis.
Alef: Eins – das Stierhaupt ist zu
sehen
denkst du an Knossos / ein Kitschfilm
von gestern Abend oder eignes
Knossos-Ich
vor Jahren?
Oder heute der rotglühende
Sonnenuntergang Adam
Adom (rot) dam wie ein Damm das Blut vor dem Sterben
Stier / ein rotes Tuch mir spanisch
aber Leben heute....
Beth: zwei: das Haus / wie die
Lippenöffnung
einer Frau so oben wie auch unten
und blüht auf / der Atem
DEZEMBERFRAGMENT 85
Florenz, 18./19. 12. 1985
Und Giulianas Ehrentag m „Saal der
Elemente“
Vor mir das Vasari Wasser/ Venus/
Muschelgerippe Dreieck/ Mauer
Darunter Musatti/ über Panajotis und
Giuliana/ ich seh Gesichter/ Bild und Saal/ die Wand durchdringen Gesichter/
der Druckerin/ sphinxhaft schön/ aus den Augen/ oder die Therapeutin
Margherita/ das Kindergesicht./ Frauen in Pelzen/ Blicke. L. neben mir im
schwarzen Jäckchen.
Auf der Straße/ der lange Rücken.
Der berühmte Psychologe spricht über
Kelten und Zwangsjacken
Über die Kranke, die schöne: in der
zwei Frauen wohnten/ Exorzismus/ Falle/
und vor mir
Riecht es nach Parfüm.
Fiorino d´Oro der Bürgermeister/ über/
reicht ihn/ und geht./ hier die Nackten
Von Vasari, da wusste ich, was mich
erwartet: corpi nudi/ undgeht./ Voller Ironie/
Im dunklen Anzug/ geplaudert.
Schläfrigkeit/ dann kommt/ die Blonde/
langes Haar und ine andere mit Engelsgesicht
Flüstert ihr etwas zu/ berührt das Haar
mit der Nase/ stützt jetzt mit aufgeblühten Fingern
Das Kinn auf/ sie lösen/ langsam
Erregung wie eine Droge/ Schwingungen
Als würde ich angefüllt mit dem Saal./
Das Marmorinnen zieht mich an wie mein Freund Egidio.
LIONARDOS MENSCHENMODELL mit vier
Händen und vier Füßen im Kreis
Aufgeklebte Karte mit seiner
genauartistischverschlungenen Schrift. Un/
Nachahmbar kalligraphisch schön.
Il meglio fabbro/ im Garten 1 Meter
tiefer Graben für Reben./ Joh. 15./ Mein Leben morgens: diese Lust. Sie stößt
durch Buch-Staben./ Doch am Florentiner Dom/ keine Erregung mehr./ Autobus in das Baptisterium/ grauer Alltag/
Jungen und Mädchen und Tauben und ein alter Mann./ Zwei Deutsche gehen mit
Fototasche ins Innere./ Und wir: Heute immer wieder zu Giuliana/ Argia und M.
Panayoti, den Griechen./ Sie sind wirklich „der Tod“./ Blicke/ Durchblicke zum
Dom./ Blickhalt. Haltestelle Memoire./ Florenz noch älter geworden./ Bei Santa
Croce wohnt Carlo/ Borgo, alter Innenhof./ Das Auge viel zu nahe dran./ Er hat
Existenz Sorgen. Der Grieche ist sein Chef/ Institut für autistische
Kinder, von P. erfunden./ Argia/Giuliana
ist Carlos Analytikerin:/
Lebt alles so wie im Irrenhaus/ 31 ist
er/ und geht gebückt wie ein Greis./
Ängste. Obwohl der Vater sehr reich ist (Quelle: wohl Parmegiano!)./ Carlos
Frau ist Spross serbischer Partisanen../ Belgraderin. Und stark /
Der Grieche erfand auch/ das „göttliche
Syndrom“/ Gott al Krankheit./ Er hat einen einzigen/ infantilen/ Patienten. Und
der ist auch schon 21.
Ich denke an die ersten Besuche in
Florenz./ Lauter Legenden.. San Miniato. „Deine Zärtlichkeit wird wider
auferstehn.“ L. hatte mich untergefasst auf dem Ponte Vecchio/ wimmelte es von
Andenkenverkäufern und Gold. Und dort am Rundbogen/ lehmig der Arno/ floss
vorbei/ und wir suchten einen Ring/ gegen die Zeit/ ihn beide zu tragen/
dazwischen eine Bindung hier/ auf dem Papier/ nur die drohende Trennung/ dort
das Gesicht meines Vaters/ die Mutter Hände/ daneben/ stehen. Sie beide einmal/
auf dieser Brücke/ Blick in die Fließende Zeit./ Ein totes Hochzeitspaar./ Nur
der eine Teil lebt noch/ der andere (…) wer weiß (…)/ Und ich küsste sie
wieder/ das Brücken Geländer/ der Halt in die Tiefe./ Ja, die Vitrinen: Gold
Ringe/ viel zu teuer dieser Halt/ für uns./ Was hatte ich hier/ jedes Mal/ aus
der Tradition / heraus gedacht./ Auch, dass wir arm seien./ Und das Zurück ins
Jahr 1932. Das mir jetzt nah ist. Fast gleich gültig, als wärs Jetzt/
vergangen. / Gleich gültig wird alles./ Nur Transsvylvanien ist weit/
vielleicht gar nicht vorhanden.
Was gestern geschah, geschieht erst
nach träglich/ in mir/ blind strömt viel zu viel/ wie der Verkehr/ Richtung
Autobahn abends./ Geschieht erst jetzt: hier. So dass Zeit „das Leben der
Seele“ sei.
Wieder zu Hause. Abschleppen/
haarigmosig/ Heizung blubbert und plätschernder die anderen Zeit/ vor. Kommt
He, das Fenster, das Hebräische ist nah. Fünf. Sonne. Ich. Radio Kainsmal durch
die Wand. Und höre Marianne Fritz mit ihrem Wälzer aus Austria. Fritz nannte
man Deutsche. Auch: Aufwiederschaffen (in Triest).
·
Bei
Esselunga Fondane Liebes-Gedichte (Obsedat de lumină). Alle Poren durch. Kleine
frische Säckchen./ Und damit dann Gaskammern abgebraucht Zyklon/ Fenstern
gittern fern/ kein Eis
·
Lösung
urmaṣ und Genealogie/ Schwarzerde/ Ciernosom. De Ird. Af deser/ Er-zählerisch
be-gabt (Gowen. Bald äs Chrästdach)VGl. SBG. Sächsisches Wörterbuch, Buch Stabe
G.
… Femeie,
pămánt negru, te vreau ṣi te iubesc…
In care mă aṣteaptă
ca íntr´o oglindă chipul.
Das
Umständliche/ Ver-stand/ Stand und Nicht-Handliche.
Kind/ Känjd/
copil/ Djermäk/ bambino/ hast du/ host tea/ ai/ singura ṣansă de continuitate?
Frau/ Frucht
fructus ventris tui/ Ave Maria grazia plena?
Kein Lust/
ab Dreieck/ mehr als gewesen!
·
De
Stadt säcken/ Ekbatana oder/ Schess brich/ in C. schau Fenster stehen offen
Auf der Bank
Millionen früherer Frühlinge in mir. Aber Aus Brechen…?
Aus dem Ort
Zwei-Wert/ die Nase der Syllogismen verstopft/ ist
Rotztropfengrün/ hier ist aber: Drehen und Wenden Kubus.
Ideogrammatisch vergehn/ wie der Film. Eine Hand/ liebt Dolch/ Dolch dringt ein.
Geweitetes
Auge. Klammer Tischkante. Spritzt. Schrei. Etwas tropft/ Schuhwärts.
Entdeckend.
Schnitt.
*
22.12.
Alles hinein zitieren/ Celan/
Wörterbuchverfolgung. Und die Vor-Schrift in mir.
Jeder begegnet seinem „Drachen“ / Wer
aber ist hier der Hausdrache/ rettet oder vernichtet/ ganz
Unvorhergesehen. Phallus klebt dann
nicht mehr/ allus.
Bisher/ einfach: z.B. 1558 Moment Anna
Chendae in Hunnyad. Török war ihr Mann/ ein General.
Er ließ sie köpfen./ Weil sie ihn
hinter ging. Sie sein Besitz. Er ließ sich stehlen, stahl ihm selbst die Frau.
Ratlos/ den Drachen umarmen?
23. 12. L.s Geburtstag. Kommt im TB
aber nicht vor.
24./25. 12.
Was sich als Licht begreifen lässt/
solange wir da sind/ du meine Mutter/
die Zeit Erinnerung/ der Bruch.
Wir wissen es nicht mehr/ was war./
Sicher ist nur – dass es einmal
Gewesen und nicht mehr sein wird.
Vorbei.
Und das Licht verschwindet. Stille.
Nacht.
Die alten Weihnachtslieder, sie sangen
den Duft
Und du warst zu Hause/ einmal in deinem
Leib./ Was ist Dankbarkeit – ein Wort.
Wie die Abwesenheit beim Telefonieren/
sich in keinem Augenblick sammeln kann
Was für uns spricht/ und was schön war.
26. 12.
Denken an Mutters Geburtstag (75).
Wenn man die Zeit aufhalten könnte…
Du bist verpflanzt worden, vielleicht
versetzt worden. Schmerzen auch
Weil du „unten“ geblieben bist mit
deiner Seele.
Mutter, du mein großes Gedächtnis bis
weit vor meiner Erinnerung.
Es lässt sich kaum sagen.
Fest-Ablehnung, Fest-Aufhebung wider
die Zeit, die sich oben irgendwo schließt
Nach unserem Verschwinden!
Der Kreis, der sich hier zeigt, und
nicht nur wir.
Zu ihren Ehren etwas aus
„Vaterlandstage“ lesen!
Celans Mutter – als Gegenteil. Nicht
ausdenkbar. Wo warst du
Als seine Mutter starb./ Wo waren wir?
Ja: es dehnt sich/ und sprachlos fand
ich mich/ ohne deine ersten Worte/ aus dem kleinen Kreis des
Nussbaumes/ und eines Roten Hauses/ bis
die Zeile/ wo der Kern wieder zu finden wäre
Den wir ahnungslos aßen/ war ich ein Kind zu Haus….
Es ist die Schwere, die mich zu dir
zieht. Du warst der Anfang meiner Erde/ die sich dann bald
Nicht weiterdrehte / in allen deutschen
Worten. Es war August. Es hieß: Zusammen Bruch.
Kein Auge blieb trocken.
Daher ist das Tagebuch wichtig, dass die Lebenstage nicht "in Äonen
untergehn", gegen das Vergessen - die Schrift, mein Bewusstsein vom Tag da aufbewahren.
Vielleicht sollte ich "ALLTAGE" schreiben oder fiktive
Tagebuchbücher, Freud, Mann, Hölderlin, Shelley.
4. März 96 Cinque Terre. 5 Terre. Riomaggiore. Manarola. Via del amore.
Am 3.3. Furchtbare Trennungsgespräche.
LEBENSZEITJAHRE
Cinque Terre
(Und ins Wasser gefallen, das Meer)
Steinweiß
nach einer dunklen
Schlaflosigkeit
Nacht der Trennung
wie übt das schreiende Herz
wenn die Jahre vergehen
jetzt die Weite aus
wund
weil das Meer nicht trennbar ist
nur in den Köpfen
wie die Gewohnheit
gefangen
Der Blick unter Agaven
die Wärme die Füße
aber fast schon im Wasser
lesend
Und oben auf der Terrasse
lieben sich zwei unter dem Pelz
wir: als wir jung waren
Horizontweit der Blick
erinnert den Sommer im Boot
und Vernazzas Turm die Sehnsucht
im Hafen du hebst die Erinnerung vom Grund
das alte Herz ist der Anker.
Schicksalsoffen
zu sein und tun
was geschieht
neu wissend da
alles was ist dein Bild hält
das du erzwingst aus Gewohnheit
Doch unbefangen bleibt
Geh sanft mit dir um
ruhig und zärtlich hinter dem Bild
das du viel zu laut vor dir siehst
schreiend nur redest
Unendlich bist du
ohne dass du es willst
Übe die Langsamkeit immer
und langsam kommt deine Zeit
von innen und die Menschen
strömen hinter dein Bild
dir zu
Für die meisten ist kein Heil
weil ihr Gesicht verzerrt ist.
Durchbrich jede Planung
sei ohne Zukunft Hier!
3/96
Und wenn ich es vergleiche: mein
Gefühl/ es kommt von dir/ im Abdruck meines Lebens
BERGE UND MEERE
NIE VERGESSEN DIE ORTE
Frühe im Dunst der Berge
Das Meer in dir
Wo es Gott noch gibt
Oder du-selbst im UND
wieder kehrst?
Das Und als Gebet
Sag es Niemand NUR Dir
Im Ja der Geliebten
Schaukelt das Meer.
Niemand die Geliebte
Wirkt/ durch mich denkt Er
An dich an uns
Lässt diesen Augenblick zu
In seinem Sein
Das uns erschüttert
GEFÜHLE BEIM SEHEN DES LANDES VOM MEER
AUS
(Bei Forte dei Marmi)
Im Dunst ists fern wie die Verheißung
Berg Baum die Stadt das Haus die
Menschen
Dort der Strand
Das Meer gleißt nah wie Weißglut/ kühl
Im Salz ein Brennen
Und Distanz
Die Häuser und der Mensch sind Punkte
Im Spiegel nun eins zu unendlich
Weich rauscht am Bug das Meer
Die Angst spannt dich ins Segel ein
Als wärs ein Bogen der dich abschnellt
Dem Wasser zu
Du bist dir hier entzogen
So sahst du dich noch nie
Das Land ist zart gezeichnet
Wie mit Kreide kindlich unerfüllt
Du spürst wie fremd du gehen
kannst
Auf
einem glatten Meer
Es ist als kämst du neu auf dieser
Erde,
weil sie jetzt fern ist, an.
6/81
Capraia. 5.6. Juli 1985
MEGALITH; MEER. Wo das Sausen Null zum
Tönen bringt.
Langer Atem, woher er kam, was mich
betrifft, Stil ist der Mensch, woher gelenkt, Sphärenklänge auch in mir, da
denkst du an „Akroasis“. Oasen der Töne, Dichte in uns, woher meine Leere,
Armut, kein Integral.
Gottes Kreatur mit erschöpften Kräften.
Rund um meine Stunde, die abnimmt
*
Die Funken, die mich vergessen haben/ das
Meer macht müde, hat einen Stein im Maul, gegenüber die Steilwand.
Die Notiz hält mich nicht mehr wie
früher, Zeit Note. Unsinnig geschrieben
zu sein, ohne DIE SCHRIFT.
Im Ort das alte Gefängnis, Colonia
agricola. Gefängniszone und wir mit unsern Ferien/ auf Segelbooten/ mit Staub
überdeckt das Gemäuer. Capraia.
Wunder sind/ die uns umgeben/
durchziehen auch das Wort/ meines, deines/ trägt uns zurück bis zu uns/
Stonehenge oder zu den Menhiren/ die uns ihr Gesicht, tonnenschwer hochgehoben/
mit Gedanken/ aufhob die Schwerkraft.
Felsen. Pinien. Sommerhauch. Rauschen
des Meeres/ das sind Worte/ doch ein Zustand/ in mir schwingt mit/ ist JA
unbeschreiblich.
Es muss wieder/ aufgenommen werden.
Dann wäre ich wieder da/ über den Tod hinaus.
Aufmerken. Das ist Fehlendes/ das
schlägt mit Missmut. Wenn Abwarten beginnt/ gestern im Dorf: Alimentari/ ein Hund/ mein Hund/ Brotkauf/
ein Mädchen an der Kasse/ alles hing zusammen/ und ihre Frische/ da war noch Hoffnung/
Zeit, die sie noch vor sich hatte./ Ich stand nur dabei/ schon abwesend / müde einmal zum Narren/ geliebt vor viel zu viel
blinder Kraft.
Saint Florent, Montag 8.7.1985
Was sich zusammenfassen lässt/ hier am
Strand eines Besitzers/ Campo di Fiore/ und du denkst an Rom/ Giordano Bruno/ ein Morgen/ blitzendes Feuer/
wie die Sonne. Ich aber gehen zurück/ alte Zeilen/ als ich Rom noch nicht
kannte/ nicht Giordano Bruno nicht die Etrusker/ nun bin ich ein Einwohner
Etruriens/ Ein Traum in Lucca/ Ritt in der Via dei Fossi / an der Madonna
vorbei/ und an der Steilwand der Insel gestern/ steinerne Gespenster/
Gesichter/ auch meines/ und das meines Vaters/ Köpfe , Stein-Kultur/ Hirne
winden/ Spiralen bis hinab zur Naht/ die reißt/ Eukalyptus am Ufer/ greifen/
die Hände sind Pinien, rot und weiß, wie die Schechina der Oleander ins Auge
getönt./ Fern Windstärke drei von Nord/ alles hier ein topos/ versammelt/
Bücher greifen in mich ein wie Zahnräder/ unendliche Mehrzahl keiner Grammatik/
Technik um dichte exakte Gegenwart fehlt/ nur das Radio VHF bringt
lebensnotwendige Wetternachrichten./ Unendlich aber soll es strömen durch mein
Hirn/ wie der Golf/ nicht die Sackgasse/ stehend schon sumpfig das Ende./ In die Steine hinein will ich hoffen/ dass
mich die Atome noch mögen/ das Licht/ kreisend in meinen Neuronen.
*
Hier bin ich im Paradies/ zart
gezeichnet die korsischen Berge aus Dunst/
weiß die Kontur/ und darunter Masten/ kleine schwankende Finger/ die
sich selbst, den Himmel anzeigen/
gestohlene Lust/ Zikaden und Krähen zum Plätschern des Golfes/ Sommerglut blinkt/ und der Stift schreibt ab/
was ich zu sehen meine/ mich.
Dies die Musik. Ich höre sie mit den
Wolken/ noch zwei Schiffe vom Mistral in Streifen geschnitten/ über dem rötlichen
Berg. Hier aber anstatt der Musik/ eine Null/ die an mich grenzt/ Nur manchmal
Erschrecken/ dass ich das bin.
*
Der Augenblick hat mich wieder/ im Ohr
trinkt er die Sonne aus/ gieriges Insekt von jenseits/ kommt hier an/ man weiß:
alles ist eine/ unberechenbare Welle/ von weither/ ich in ihren Spiralen
gefangen/ ohne Organe/ wie die Leute hier/ die ihre schweren Menhire hoben/
kraft des Vertrauens.
*
Mut sorgt nie aus/ der Schädel aber/
eine hohle Schale/ gefüllt auf Zeit/ die sinkt und abnimmt/ die Last/ Mut zu
haben/ hier/ begreifen zu wollen/ was ist.
*
Feen sorgen federweiß für die Schönheit
hier/ Berge schweben/ und es ist wie
Sonntag. Ja/ Frieden/ Kinder stehen in mir auf und singen/ ernste Lieder/
fröhlich, als wär’s sogar Ostern/ und ein Licht blendet/ aus ihren Augen/ als
gäbe es wieder die alte Sonne/ obenauf.
*
Erregt sehe ich um mich/ ein einziger
Atem/ zieht durch den Satz/ über die Augen verlängert/ zu mir/ wo die alte
Acedia/ saß und Essig austrank zur Neige/ die Öffnung hinüber ersoffen in Gift
und Galle/ die Kinder betäubt und hinausgeworfen/ bizarr/ kein Märchen. Spleen
von Paris/ als alles anfing/ sich so aufzuschreiben. Dankbar zu wissen/ nicht
allein zu sein.
*
Stöße. Ein ganzes Biest aus Stößen.
Auch Kreta erfand den Stier. Hebräisch die Zeugung der Welt. Atem. Pneuma und
Moll. Trotz dagegen/ das Labyrinth des Daedalus.
*
Sprung ins Lesen/ und weiter: wie ein
körperloses Schweben. Das Alter hat mich längst. Aber der Blitz, wenn sich die
zwei Ideen berühren, bringt die Kontur, das Schreiben. Wer diktiert? Singt wie
Musik/ ich selbst ganz ohne Widerstand/ unendliches Gebet/ und tönt/ reißt alle
mit/ die dachten/ solang ich da bin/ hat der Fuß gefasst/ der sich enthüllt/
als einer im Diktat/ die Sprache springt/ die Meile der Geschichte ab: so kam
sie weit/ und geht die Stufen hinab/ unten tönt’s/ als wär Er wirklich hier: Palenque einmal so
aufgefahren/ in die Idee/ als Flug gemeint/ der erste Mensch: Kam aus dem
Alphabet zum Labyrinth zurück/ Spirale einst/ tief in die Zelle schießt das Wissen in die Formen ein./ So sahst du
rot/ von Anfang an/ der Stier hat mir den Kopf gezeugt/ was war/ das ist ein
Riesen/ Genital/ ein Ei der Welt/ das sie gewogen hat/ im Keim als Er zur Welt
sich brachte/ da wusste Er auch dich.
*
Was flach erzählt/ als wäre es
all-gemein/ gut dar-gestellt/ nimmt als
Erschöpfung/ des Anfangs zu/ als wäre es
nie geschehen/ wir nur selbstverständlich DA/ als wär’s nur Augenschein/ kein
Wider und nie Wieder/kehr nur flach, was wir uns nachgezählt/ erzählt. So
angepasst/ dies „wirklich“ scheint/ als hätten wir Ihn ausgetrickst. Erzähl nur
Nichts/ als Bitte um Gesundung.
Als wär ich abgeschafft, so strömt es
wieder, tönt/ auch ziemlich stark durch mich/ was meine Uhr/ am Armband gar
nicht meint/ und tickt/ mein Pass am Herzen.
*
Je weiter entfernt vom/ Inhalt, sag es:
so genannt/ sieh mich dann an: nun so feiner diese Nähe/ frei benannt zu jenem,
was sich zeigen kann, sogar an dir/ und mir „zerstreute Gewissheit/ als eure
Begründung/ isoliertes Geschick“ sagt einer (er heißt Char)/ wo ich noch stehen kann/ mit Mut/ wär ich
gerettet: ich, abgelegt: meine unbekannte Hoffnung.
*
Saint Florent, 9.7.1985
(Seite 11-13 nicht abgeschrieben)
Ernst bleibt/ Morgenfrühe wir früher
fischende Indianerväter aus einem Kinderbuch/ am Fluss, den es mal gab/ und
jetzt die Frühe hier/ Nebel über den Wassern/ Krähen./ Ich in der Kabine/ drüben eine Seemeile
entfernt/ der grauweiße Turm/ Saint Florent/ Korsika/ der Leuchtturm Richtung Nordwest
schließt eben sein grünes Auge/ und ich lese dazu Rilkes Zehnte Elegie./ Auch
war Duino im Turm von sechzig Jahren: „Dass von den klar geschlagenen Hämmern
des Herzens/ keiner versage an weichen zweifelnden oder/ reißenden Saiten. Dass
mich mein strömendes Antlitz glänzender mache…“ Vergehen der Schmerzen?
ZUZWEIT EIN BUCH. EROS
„EXPERIENTSA AMANTEI DIVINE“
Habe ich Ihn in der Stimmung
Vom offenen Rain der Welle/geneigt
Am Tode vorbei
Gegraben tief in die Träne
Meerwärts/ hinter den Wellen
Über den Berg
Eine Brust
Zunehmend
Das Ungeweinte ist dein Peitschenhieb
Gezüchtigt von dir deiner Liebe/ der
Schmerzgier
Dass das Auge wieder schwimmt
Oval in dich/ ins Gebären hinein
Greinendes Kind
Himmelsrein
hier
DU HAST MEINEN PENIS GESEHEN
Rot eine Kirsche gereift
In den Jahren
Immer DIR zu
Du hast meinen Penis gesehn
Ohne mich ohne ihn
Der ihn erschuf
Lass ihn Sein Sohn sein
Mit DIR!
Blind in später Zeit
Schmerzt meine Scham in mir
Wars Abaelard: Ihn/
Amputiert dir zugeschickt
Ohnmächtig liegend vor ihm
Vor dir vor mir
Schreiend allein?
TOTALITÄR
Doch das Bild
nah, dein Kopf gefesselt, auch da:
Glaube Inbegriff
jeder
Vernunft, sie redeten mir ein, den Kopfverband, und sagten:
Genosse, die
Überzeugung, nicht Glaube gilt, Nie der Gewissheit,
wir retten
dich, das Ganze in letzten Sätzen, die gelten. Das christliche
Gleichnis
der Liebe, dass ich nicht lache. Hinab in den Bunker, Kopf:
wehe du
weichst von der Linie ab, ein Feind der in dir sitzt, der unserer ist!
Ach ja, der
Punkt, die Linie, fast Delta t, sie aber
schlugen zu!
Aber fürchte dich
nicht, du hast eine Vision, und sie verletzten doch, das was ist,
umstellten
es mit Fahnen und Gewehren, Parolen - ein Zaun vor dem Tod?
Immer zur
Zeit, immer zu Recht da sein, kommen? Was für ein Hirnorgasmus:
die ewige
und geheime Sicherheit, ich aber bleibe bei mir, jetzt: und sehe
mir zu,
dass ich
niemals zurecht komme! Mir und dir und Niemandem ist so zu helfen!
Das Unheil ist noch
nicht sicher, Unheil der Glaube, dass
wir alles und hinter Seinem
Rücken
erreichen auf unsere Schnelle! Ich aber liege: - im Pflegbett lebenslang
Und schreibe
mich auch dir zu, deinem wachsamen Auge.
Doch -
besteht der innere Wert nicht darin, bettlägerig zu sein?
Die
metaphysische Wiege, die
Toten, die Kinder, ja, alle kommen und
geht da an!
Auch im Traum ja diese Schrift! Und du lachst:
Finalität
ohne Ziel? Abzuwenden vom Werden,
der
Täuschung, damit kamen sie mir, berauscht durch Veränderung,
die Roten
legten das Gute in die Besiegten,
die Braunen
in die Sieger, doch endeten beide
als Henker.
Doch ein Wundern schon,
dass ich bin, das klein geschriebene ich, wartend,
ausgefüllt meine Sekunde mit diesem
Satz,
eine Straße die stimmt und endet gleich
hier,
solange ich schreibe - am Leben.
Februar 2006
Lieblos und
leer, daraus schöpfe ich
Mut
Sowieso bald tot, und ein Wundern,
dass ich bin, das klein Geschriebene ich, wartend
ausgefüllt meine Zeit mit diesem Satz,
eine Straße die stimmt und endet gleich
hier,
solange ich gehe - am Leben..
Und es scheint doch zu sein, dass Schlafen
ein
Kunststück bleibt, die Augen verklebt auch
von der
Blindheit, ist es ein Geständnis, dass
der
verwöhnte Körper hier ablegt: Blei wie
ein Schuss,
die Lider drücken und schmerzen. Abgelegen
abgehangen
und/ im Feder Bett, weißer Körper,
langer
Krückstock, der jetzt in das Sterben fliegt.
Endlich löst
sie, was dir blieb, Auflösung
und nichts
mehr gilt, der Kopf dröhnt, packt
mich ein,
das Denken: der Motor Verzweiflung.
Wachsein war
einmal gut. Wo ist sie, wo,
die
Zeitdienststelle fürs Leben, fürs Himmeln,
einem, es
ist lang her, wars unangenehm, nicht auf dem Kopf
gehen zu
können, den Abgrund, wie bekannt: als Himmel
gespannt
tiefgrau über sich. Als sähe ich den Armen von oben.
WAS DIESES dünne Blut nicht
weiß, überall
hinterlasse ich
falsche
Hoffnungen, auch mich
habe ich betrogen, liegen
gelassen durch Gefühllosigkeit,
ein Ort der Welt, wo
niemand ist/ auch ich nicht -
Bin ein Rauch,
starker Geruch in einem
Himmel, der sich verflüchtigt.
Als wäre ich schon gestorben, so müd.
Und es hätte auch
zu Hause sein können, sagt er: Doch frei sind wir nur hier oben. Und dieses
Oben gab es auch dort. In der Kindheit sogar besser, noch bevor mit dir alles geschah.
Wo saßen wir jetzt, wo wars, ein Holztisch
vielleicht, nein, ein besonderer Stoff, da drehten sich die Atome fast sichtbar
in einem Weltmodell, um den Mund, als wäre er mit einem Eisen verbrannt
worden, sprangen die Gedanken, lautlos, wortlos, und alles schien, als wäre es
ein anderes Jahrtausend. Die Schönheit, die wir spüren, das Blenden des Lichts,
Natur innen bewegt. Unten im Hof aber gurgelt Wasser, der Gang hängt völlig
in der Luft und die Treppe ist verschwunden ... Und von dort unten ist die Internationale zu hören. "Siehst
du", sagt Großvater, der aus dem tierärztlichen Instrumentenschrank ein
kunstvoll zusammengelegtes Hanfseil holt und daraus eine Strickleiter knüpft,
die er in die dunkle Tiefe hinablässt, "siehst du, und war es denn vielleicht besser, als die
Roten kamen, die alles umkrempeln wollten Die Internationale und die russische
Hymne erklangen - auf unserem
Marktplatz?!
ES GIBT STARKES UND SCHWACHES PAPIER
nur gedulde ihm
die wichtigsten Zeichen sind
ungeschrieben, jedes wenn es
auftaucht in der Flut der Tage trägt
zum Wahn bei, dem
Tiefschlag, als gäbe es mehr.
Starkes Papier und schwache Zeichen.
Todesurteile in Havanna,
in Peking, heimlich in Bukarest. Oh,
süße Heimat,
das waren noch Zeiten des Verlustes des
Lebens, der Freiheit
aber dienlich der Sicherheit.
DER KLEINE TOD
Einmal gab es noch Ferne und kein
Gestotter: das bin ich, der arme Satz,
der war ich bin müd nun. Auch das Dreieck
zur Zukunft und weiter, ein Loch
der Metaphysik ist in mir lustlos
dürr geworden.
Und schrieb gestern in die
"Akzente" mit Bleistift:
Schluss jetzt, Schluss, es ist genug!
Dabei wartet doch dieses Rätsel, das
nur mit Schleiern mich
täglich ärgert, schlaf , mein Junge,
schlaf, und träum, sagt eine,
die ich mal liebte, sagt jetzt, sagt
nie.
Und ich war hier im Wort meine
Einsamkeit los.
Träum nur, träum: nur so kommt er zu
dir, auch wenn zwischen ihm
und deinem Ich ein uraltes Schweigen
begann.
Weißt du noch, Snagov, so fad
der See, und eine gläubige Geliebte,
im Kahn mit Seerosen: vom Lieben Gott,
sagte sie: so weiß wie ein
Brautkleid. Und der See war dunkler und
gekräuselt
wie Schamhaar. Und kniete, 64, Ilse,
ein Fischmund,
SO KÜSST SIE DAS DAMALS.
Von der Ferne wusste ich nicht viel und
glaubte an Marx. Und später an mein
Fernweh:
Heute weiß ich, die Ferne ist in mir
vielleicht gestorben; noch nicht aber
die Lust.
Und schreiben - warum hetzt du die
Sätze,
anstatt ein bisschen zu leben.
Die einzige Chance - zu überleben.
TOD UND VERGEBLICHKEIT
WAS IST GEB LIEBEN
dazwischen, sechzig: was ich war, und
bin,
solange ich bleibe.
Keine Bleibe, außer das unbekannte
Gefühl:
in der Erde, das ich nie kennenlernen
werde, glaubte ich, das, was zum Leben
nötig ist zu glauben: es gäbe nur
dieses Aus.
Nichts ist geblieben, denn Nichts
kommt zurück, so um mich
zu bestärken, die Vergeblichkeit
ist allein, ist wahr.
Und wie sie sich binden, Wörter -
nicht sie, dazwischen sind ja die
Körner,
unsichtbar und doch süß
wie der Sinn.
Ein Leben dauert an zu nichts
gekommen das Krähen versäumt
mit Kind und Frau und Freund
Verrat ist nicht Verrat
der Tod nicht Tod
auf keinem Boden gibt es nichts
was einen Boden hat
Da ist ein Garten
für ein Warten wo
nichts geschieht
Und was verfehlt ist
dauert an
Und wächst
sich aus.
ES GEHT ZU ENDE WAS BISHER WAR,
und die Stimmen sind fern wie morgens um fünf,
wir werden uns nie mehr wiedersehn,
wir werden vergessen.
Man siehts an der Luft, an den Augen der Leute,
überall rollen sie die Erinnerungen ein,
heut sah ich Fotos der siebziger Jahre, da waren
wir jung und alles schien offen,
du stiegst in den fahrenden Zug,
der kam nie an,
und fuhr ab nur zum Schein.
Alt sind unsere Gefühle geworden.
Und oft ist es kalt und du spürst nur Gewohnheit,
als wäre über den Augen ein Schleier,
und wir gehen mit Abwesendem um.
In allem spür ich schon das Vergessen,
und die Leute sehn mich gar nicht mehr an;
so denk ich: vielleicht bin ich plötzlich gestorben
und hab`s nicht bemerkt, bin unsichtbar geworden.
Es ist nicht nur die Liebe die jetzt vergeht,
es ist nicht nur Eiszeit der Sinne, es liegt
ein Stillstand um uns in der Luft, der uns Angst macht
und uns den Atem verschlägt.
Denn es geht zu Ende was bisher war,
und die Stimmen sind fern wie morgens um fünf,
wir werden uns nicht mehr wiedersehn,
wir werden vergessen am Leben zu sein.
IMMER NACH HAUSE. AUCH
GOTTWÄRTS
DU LIEBST SIE NOCH IMMER die Bahnhöfe
Der alten Monarchie, die weiche Anfahrt
Im tschechischen Laut, die böhmischen
Dörfer
In dir, in Europa, Land der Mitte,
Wo die Büffel über den Kirchturm
fliegen ins Nie;
Und dort geborgen in Schnitterliedern,
Halme
Gesungen, sanft im Korn wie Spiralen,
der Rock
Der Magd wie eine Tulpe hochgeschoben,
Die Zwiebel Lust der Erde duftet sie.
Sensen am Abend geschultert, schnitten
die Halme
Ab und Tränenkrüglein in den Händen
Kommt der Tod bald rollt über die Berge
Und trifft dich schon nah,
Siebenbürgen, Land der Riesen, der Tod.
Und hinter ihm tanzen sie Czárdás Polka
Hora,
Manchmal ein Walzer, auf die Trauer
gepfiffen,
Tränen im Auge, Iris im Schnee,
Schlittengeläute über Blumen,
Und ein Kaiser mit Backenbart auf allen
Briefen.
Post aus Galizien und von der Adria.
Landweite Melancholie.
Nichts kann vergehen, außer dem Schnee.
Das Reich ist vergangenes Jahr
Heute.
DER STUNDENTURM aus Schäßburg,
Siebenbürgen
1
Dort geh ich durchs Tor der Fallgitter,
die
Turmspitze ragt im Blick
in den vergangenen Himmel, ich
hör, sie schlägt, im Ohr berührt, dazu
der Außenlaut
und meine Sohle ist auf heißem Boden,
Tritt
da auf viele andere Tritte der länger
Toten. Und hör
im Schlagen: Senj mer derhiem, et
schnaat, menj Jang, bald
äs et Chrästdach. Namen, Namen
... und Melchior sie kamen . Wer ist
"Frau
Exegese"?
Turmsilben schlagen. Und die ganze
Historia
flandert vorbei, dreht sich in
Wochenbetten,
um, die Kinder sind vor der Geburt
gestorben. Sogar die Sekunde wird es
sein.
Die bemalten Holzfiguren: Die sieben
Tage sind
nicht mehr zu sehn.
Hör,
hör der Tod ist fühlbar geworden,
hier auf der Bank vor dem alten Museum
Bacons ist er/ ein leichter Wind, ein
Wehn
des alten Eichenblatts/ durchstochen.
Früher
das Blut und jetzt der Hunger. Früher
zuviel Gegenwart, dann zu viel Zukunft:
Lüge,
jetzt aber Nichts mehr, ein Summen, der
Burgplatz
die Leere, die wehtut. Dort, dort,
sieh: sie kommen!
2
Ach, du bist gut, noch immer erinnert,
nur ein
Arbeitsloser drängt dich in die Ecke
der Pinte
"Dracula" im alten
Waisenhaus, er will eine
Stelle in Deutschland, Automechaniker
ist er
ohne Autos, Idylle. Die Einzelheiten
aber
stehn Schlange und stören die Verse von
früher,
die schönen Gefühle, unter den Schuhen
der Dreck,
in der Luft aber heult ein Oben
unhörbar kommender Mord
und der Totschlag im Herzen, Unvernunft
Sorgen lebens notwendig wächst die
Gewalt.
Erfahrung braucht soviel Zeit.
Ein ganzes Volk stirbt so daran.
Mit Luther noch im rechten Ohr
"...Und lebet
darnach achthundert jahr/vnd
zeuget...war hundert
und fünf jar alt/ vnd zeuget Enos. Vnd
lebet darnach..."
Undsoweiter, zeuget ioc hier. Vom Pult
und Schallraum
Jetzt, abgezirkelt stehender Raum,
Sonne durchs
Kirchenfenster, und Orgelton, dann alle
Register
und Gesang/ nichts mehr zu hören, der
Tote hats gut,
er ist ja wie früher tot und geblieben:
der
Pfarrer Wagner am Altar. Genaugenommen:
Was trägt dies Fleisch? Ein Aber?
Denn hinter dem Altar, wo du
verschwindest,
da schwimmt Herr Jesus auf dem Zweifel,
gehst dreimal du herum wie bei der
Taufe,
ists ein verbotenes Lachen. Diedel
dumm.
Die vier Apostel, die dies schreiben,
verneigen sich davor: und es singt dazu
der Kirchenchor sein festliches Gesumm.
Die Zahl aber, weißt du die Zahl, sagt
Mirjam
unten im Worthof. Paradies spielen wir
da
Para Para. Und es riecht nach Krokus
und nach Erde, die Luft ist blau. Der
Vater aber
spielte nicht mehr lang Menschärgeredichnicht,
-
als er aus Russland kam, die Lunge
krank, ja,
der Atem, es rasselte auf der Brust,
dieser Vogel
der Tod hieß. Beim Würfeln hast du es
einfach
in der Hand und kommst vielleicht in
den Himmel.
Wieder nur 3 Punkte oder Augen
(Trinitäten).
Die Figur aber am Stundenturm ist
neutral und
heidnisch, griechisch-römisch, man
lernte es
oben im Gym. Heute ist immer schon
Dienstag,
der Bruch. Und jeder Bruch tut weh.
Inoperabel. Ganz
grimmig; der Mars, der zerschneidet,
rötlich, die Frau
aber verkauft das Grünzeug für über
hundert Lei.
Mittwochmarkt? Az Ur. Koronderdäppen
und Milchkannen
klappern, das Weiße läuft über auf
heißen Herdplatten,
stinkt, und man weiß, sagt Mirjam, dass
alles vorbei ist,
die Leute sehn manchmal zurück in die
Landschaft
und winken aus dem abfahrenden Zug.
Tränend dann
so einiges Singen, o Brüderchen, komm
tanz mitmir,
heißa Kathreinerle schnür dir die
Schuh, Diedeldumm.
Denn, wenn die Soldaten durch die Stadt
marschieren,
öffnen die Mädchen Fenster und die
Türen, hei warum,
hei darum... Klingendes Spiel. Und das,
was davon noch übrig blieb sind wir.
Die alte Sachsenstadt? Der Rabbi sagt,
die Null, ja die ist längst
fertiggeweint. Alles fehlt jetzt.
Und sonst ist auch nichts,
nur Erbsen an die Wand.
VERSBURGER
IN S:
Topologie.
Erkundungen privatsprachlich
zur innern
Umgehung meiner Stadt
UND wä
gefählt, verzweigt: bin ich gepfählt im Mundvoll Laut, im Bild vor mir, das
explodiert im Hirn: das Tor ist bei Haydels groß und heiter, im Heu die Burgen,
dimpiger Geruch und Samen, die Knabenschwänze, winzig die Raketen, so feuerst
du. ein lienig Nichts, liniert im Schreibheft blau, im Notenheft, so fächer auf
die Hausaufgaben jetzt. Das Fach es riecht nach Rosenöl. Kommoden voll. Die Oma
mit dem Höhrgerät, verrückt das Bild: so ists erhöhte Tempratur am Fenster, der
Blick fliegt unter die Burg, vereister Fahrweg: ein brauner Polizist vertreibt
die Kinder die dort Schlittenfahren. Die eine Flocke fällt aufs
Außenthermometer, ists unter Null. Der Kachelofen summt.
Die Angel
hängt, das trübe Kokelwasser, der Schlachthof stinkt, die Maiennacht, der
Grünfink sinkt ins Ohr Zurück, zurück zu den
En gros & den Details. Der Latzi hoch auf Rädern, die Tür im
Hinterhof, da fielen haufenweise Schachteln, Brettchen.
SCHÄSSBURG
Zwei S sind zuviel, dann aber drei
oder vier was blüht uns verschweig es
trink es bis zur Neige das S.
Und dann hör den Bruch in dir
scherz nicht bis hinab wars
die Kindheit harmlos die Hoden
Laß Gott nicht fragen:
wer wars
stirb gleich mit ihm
Nichts mehr ist
zu ertragen.
Ich wag ja nicht
mehr Glück zu sagen
wie alles was ich weiß
verstummt
Ein Glück das jenseits
ist vom Sagen
ein S war es
vergänglich wars und unbestimmt.
Das S wie es streitet
wortlos das S
im eigenen Namen
wie es die Kindheit weiß
wie es träumt und
untergeht wo aber ist er wo
mein liebster Hund
wo ist er
begraben?
ACH, das ferne Land
was geschieht wo
ich wohne das Land hat
den Namen vertauscht
und so nah fehlt
seine Ferne
Da wär Grasgrün
dann der Gegenlöns
vielleicht auch "Marine",
das Seestück und märkisch
die
brabbelnde Erde.
Wer hält die Zeit auf
diese Toten nie/ erst
nach ihnen sind sie
aus dem Stand gefallen: Er -
zählbar geworden.
Die schillernde Wunde -
ein Tor.
Aber gab es so
etwas wie eine Rettung nach altem Maß der Erde, fiktiv wie früher - die
Literatur, gegen die ich viel einzuwenden habe, loszusagen von ihr, wäre an der
Zeit über Gebühr, um das, was sie nur sagen und träumen konnte: wirklich zu leben,
es wäre so eine Probe: nach dem Tode: das eigentliche Leben, weil sie die
Oberfläche durchbricht, schon "dahinterkommt", so eine Grenze fühlbar
wird, zwischen dem, was wir sehen können und dem, was wir erhoffen, ja, im Eindruck sprachlos ahnen, doch in uns liegen
bleibt wie Fotonegative, die erst vom Bewußtsein entwickelt werden müssen,
um uns zu bleiben, sonst gehen sie
verloren; es ist also mit den Sinnen, der Wahrnehmung aufgenommene Nuance, wie
sie in Gedichten mitgeteilt werden kann durch ihre Mittel der sich selbst
durchdringenden Grenzlinien und Differenzen des Vergleiches, so dieses Gefühl
der Hitze in dieser Bucht, der flimmernden Luft, der Agaven:
Cinque
terre
Alltagswissen,
diesen ganzen flachen Umgang setzen, so dass wir anstatt Sekunden der wahren
Empfindung der Dichte und Undurchdringlichkeit zu leben, diese täglich bis zum
Tode versäumen, jeden Moment uns selbst und jenem Zwischenraum, der schon an
jenes Tor in die andere Zone reicht, entfremden, konventionelle
Mißmutes
und des Haßes, meilenweit
vom uns
umgebenden Reichtum entfernt.
Nur sich einlassen
können
in dieses
Glitzern, jetzt
das lange,
vertane Zeit aber ist gewonnen.
Das Unglück
des Zeitunglesens
Das
nützliche Lesen - es
spiegelt
diese Welt.
Sich
vertiefen können,
ist anders,
und war
längst schon gewesen
eine andere
Hirnspur.
Und du
siehst wieder den Engel
hinter dem
Papier deiner Augen.
Andere
Verbindungen, andere Wege
und
Augenkünste
als die
schlagenden.
Aber der
Blick jetzt in das Meer
ganz nahe am
Rande der Reling,
gibt gegen
die Zeit
Gewissheit.
Er erlebt den
befreiten innern Sinn Kants als kaum ausdrückbaren Bewußtseins-Lebensprozeß,
das von der Einbildungskraft oder dem
reinen Selbstbezug des Ich vorausentworfene "Zugleichsein" , das
insoweit vielleicht ein
"Regressus" ist, als es dieses
Bewußtsein der Einheit tatsächlich ( bis zu Dantes Zeit) einmal gegeben hat,
aber im "zeitlosen" Unbewußten bei allen Lebenden auch heute noch
vorhanden ist.
Ostern. Meine Theologin aus Pitesti, Ina: Gute
orthodoxe Erklärung: Gott sowohl transzendent als auch immanent. Er ist
unerschaffen, also uns entzogen, doch anwesend, sehr stark in der Welt durch
die nichterschaffenen Energien, Licht, Leben, Wärme. Nachbar Gott?
Überspringen der Aufklärung als Abweisung des Falls. Ihn im
Transzendenten zu isolieren. die Energien als Hybris in eigene Verwaltung zu
nehmen, als gehörten sie nicht mehr zu ihm. So haben wir uns zu Gefangenen der
irdischen Wirklichkeiten gemacht. Und den Kontakt mit ihm verloren. Tubalkain
war der erste Techniker, so das Paradies verloren! Baum der Erkenntnis, der
gespalten ist. des Teufels auch.
Das Orthodoxe ist eine "theonome Kultur" Dass das Geheimnis
des Menschen nicht in ihm selbst zu finden ist, sondern in "Gott" ,
also in jenen Energien - besser im Urgrund selbst. Wichtug dabei das rumänische
"har" (Gnade) Transfigurierung durch das ungeschaffene Licht, das wie
ein Laser in uns arbeitet. Licht des Geistes. Das wäre jenes "Wissen"
in uns, jenes Erstaunen, jenes Rätselahnung, die wir täglich spüren.
THEOPHANIE, VERGESSEN
(Meine Todesurteile)
Was suchst du da draußen, such dich
in deinem Skelett, es ist nur bekleidet mit Schein deinem weichen
fließenden und schmerzenden Fleisch/ Geistesgeschichte? Lach
ist Nie vergangen ist jetzt: Verschiebung und Wandlung des alten
theophanen Raumes mit dir in dir du Nichts als der Christus/ Opferung des
Leibes unter Foltern und Angst dies ach so bequeme
Theater der Idioten -
Sichtbarkeit aufzugeben
zu himmeln mit Hilfe der Engel
Ach ich lob mir das Bildverbot der Juden und Gott Nichts der tief sitzt in dir und schweigt
Orakel Trancekulte einst Dionys und Eleusis dann der Gottmensch und
weiter tief im Einzelnen Kunststätte Seele immer neue Räume des Absoluten
das gleich blieb und erschien im Blitz und Chock
Seines Lichts wenn das Ich hochstand und bereit
sich auszulöschen in ihm ohne das gewohnte Theater
des Mobs Mensch in der Illusion
Alltag erstickt
LÜGENTHEATER
Meine Mutter sagte es und fast denk ich
an Klythemnästra: sie sage nichts sie
schone ihren Mann den sie verrate und spielt Theater
ihr Ego ist allein die Wunde dieser Welt nichts ist als Lüge sie
zu schonen/ niemanden verletzen
Harmonie
verlogen Sein im Kleinsein und gebückt
in kauf genommen das Verbrechen
dass der Schein trügt/ und mit ihm zu leben
als wäre er der einzige Gemahl
Theater auf der Bühne wo alles Nichts
nur sichtbar ist
der Gott ein Fleisack und ein böser
in dem wir kurz gefangen in ihm
am Leben so ins Licht geblitzt und da sind
Sonst nichts als anderhalb Meter tief
der Gott ist eine Grube
wer hat sie uns gegraben in die
wir fallen gnadenlos nichts als ein Fleischsack
am längsten noch sichtbare Dauer
unser Skelett
Die
Toten wollen uns jetzt grüßen
sie haben den Tunnel
durchschwommen
sie haben Kurs auf einen Kreis genommen
aus Licht ein Gesicht
das ihnen
entgegengekommen
Sie kannten sich
und wußten sich schon
da war ein Gedanke
wie Vater und Sohn
es war eine Flamme,
die schlanke
Es war eine Flamme
die hob
sie dann hoch
sie sahn nicht zurück
zurück blieb ein Loch
in der Erde.
Der
Augenblick bricht auf
Ich weiß es schweigt
und doch ist mir zuletzt
ein Staunen wie Bewußtsein:
Bricht auf:
Hinweg hinweg steht
still ein Jetzt
Und bin in dir und werde
jetzt im Wahn-Sinn hell
steh still unnd atme noch
Ein Augen Blick war ganz bei ihnen
kehrt jetzt zurück ich staune wieder
dass ich noch da bin
überhaupt je war
Und hör die Stimme nur im Wort
die jetzt beginnt: du bis bei uns
komm sei uns näher als
es dir bewußt sein kann
wir sind in jedem Grashalm wachsend
in jedem Gras Halm
den du siehst es ist nicht mehr
es ist dein Blick der ihn erschafft
im Finger der bewegt
und uns bezeichnet
Wir sind so nah dass du uns
gar nicht sehen kannst
wir sind in dir
und du in uns geborgen.
Antwort an Ernst Meister
Es war Zeitlangsamkeit
wie Worte auch
Zeitworte alles
Ichsinn Wortsinn
und sicher riechts
nach Sterben drin
zu langsam um das
ewigschnelle Stillstehn
zu begreifen.
Es ist die Glocke
und das Flugzeug unten oben
es ist die Predigt die sich anmaßt
Gott zu sein
ein Wort nicht mehr
zu langsam schon für Mond
und Sonne welch ein kleines Licht
Hirnschimmern
unsre Häuser ganz aus Stein
anstatt aus den Gedanken die das Weltall
baun und innen sind im Überlicht bewegt.
Wahr ist: ein Jahr
ist selten Glück
wenn wir vergessen haben
dass uns von ihnen Nichts
Wortungesagtes eine volle Leere
die Energie des Nullpunkts
trennt, wir dort sind wo wir immer waren
Und Gäste hier in all den kurzen Jahren
die Toten unsre Helfer sind
Von ihrer Seite
kommt Bescheid
Nie irgendwie das weitergeht
es war schon längt
gewesen sein zuletzt.
Nicht einmal nur
schon immer wars
ein heimlich Leben
das noch kommt
weil es gewesen war
und ist.
Doch
dieser frühe Morgen
fahl das Licht und schloß die Augen
schlaftrunken diese Treppe in den Tag
und ging hinrunter
da sah ich dich ganz transparent
an einer Grenze zwischen Augenschein
und dem Gedanken
durchschimmern durch die Wand
Du sprachst mit mir und ich begann zu zittern
Kein Ort ist hier im Haus und in der Welt
wo du nicht bist ich weiß du mahns nicht nur
du liegt in mir und bist der
Andere der ich bin
und der ich immer war der nie verging
Er ist es der mich hier besucht: ein Du
das leben wird wenn Ich vergangen bin
der wortlos überlebt im Licht
nicht in den Sinnen
Es überlebt in deinem Sinn.
WASSERZEICHEN
Mühlnham, Schässburg
Bronzespiegel,
Sonnenfalle auf klingender Strömung.
Wie eine alte Spange wirft die Flut
zurück das dauernde Spiel,
und hältst du es ins Licht,
blitzt
zwischen Sonne und Fischgrund
Schimmernd auf dein Wasserzeichen.
MEIN GARTEN. Mühlnham
(von Minni Albert)
"Du meiner Seele Heimat du -
du schaffest Frieden, gibst mir Ruh,`
ich
komm zu dir.
Du nimmst mich auf, besänftigest mein
Herz,
und all mein Bangen, all mein Sehnen,
es löst sich auf -
du stillst den Schmerz.
Unter deinen hohen Bäumen
geht ein leises, lindes Träumen
an - und es versinkt die Welt..."
STEILAU
Steil ist die Erinnerung.
Sorglos noch, hinter Glas, der Schlaf.
Manchmal nur, Angst, trüber Ruch von
drüben.
Aus dem Zehnuhrwald blies Kühle.
Rauchzeichen lagen auf den Schwellen.
Niemand sah.
Auch das Tagpfauenauge war blind.
Kein Falter erbleichte.
Ungerührt öffneten Himmelsschlüsselblumen/
ihr Geheimnis.
Ein anderes Ufer kam.
In meinem Rauch glüht auf die
Sturzschrift.
RUFT DICH NICHT jeder Duft, Heu und
Rose,
ruft nicht jeder Geruch, jedes Bild?
Ruft nicht das seltsame Kraut,
weich wie Ohren junger Hunde und der
Geruch
von frischem Schrot?
Die Unwissenden entführt
mit Pfeife und Lockruf.
Den Fänger sah niemand.
Todtnauberg
6
Mein Fest mit dir/ dort weit
Wo der Dichter mit dem Denker
Stritt/ In der Hütte am Hochmoor
Das weiter TodtnAuBerg heißt.
Und wir Liebste
Tief durch die Sprache
Ineinander versessen
Frau Sprache
von Ewigkeit her
uns versprochen
Und so wohnen wir wund jetzt
Nahe bei ihnen
Den Toten!
Unsere Liebe
Zwischen den Generationen
So spät
Als hätten wir mit dem Denker
Vergessen
Dass auch die Sprache
Einst
winterschwarz tot war.
Und wir ein Ja du und ich
Wir mit unserer Liebe im Reinen
Können wir sie früh am Morgen schön
waschen die Sprache
Und liebend erwecken?
Hier: kann sie mit uns auferstehn!?
„Haus des Seins?“
Jedes Komma jedes Und
Hat der Mörder gespalten
gespalten die Zunge
und im Befehl vernichtet
vor den Opfern was war!
Blut klebt an ihrem Hauch
An jedem Laut.
Dort auch aus der Stadt woher
Ich
kam aus allen Städten
Mit unseren Lauten
Ist für immer eine Blutspur
Zu uns gelegt!
Wer sind wir heute Geliebte
Generationen in uns
zwischen uns/ und der Unterschied
von Krieg und Frieden/ und DU mein
überfälliges Leben/ das dich spät
fand/ dazwischen?
Lass uns die Zeiten vermischen
Wie unsere Glut die in uns zittert
Lass uns die Worte oben mischen
Mit denen die Mörder das Töten befahlen
Lass uns sie waschen im Liebesgeflüster
Lass sie uns jung in die Lippen tauchen
In Küssen so zur Welt
Gebracht/ sie und uns
Liebste zu einer neuen Geschichte.
Du sprachst von deinem Weltvertrauen
Sag wie retten wir meines?
Wie reiten wir aus ins Hochmoor heute
Auf Seinem Leichenfeld liegt die Zeit
Wie reinigen wir wenn wir uns Liebe
erklären
Und unsere Blicke im Auge ertrinken
„die Schliere im Auge der Sprache“?
WIDMUNGSGEDICHTE
2. Februar 96. Liselotte gestorben. Sie gehörte als liebste
"Feindin" zu mir. (Roman. Spitzweg.) Meine Rede am 7. am Grab sagte
etwas anderes. Der Tod löscht allen Groll. Er erreicht uns als eigener. (Vgl.
Notizbuch. 10. 2.)
Medea planen. Barbarin: L. Christa Wolf auch. Spiegel
Schrecklich Banalität, in die ich wieder auch nach Liselottes Tod
hineingerate. Das eigentliche Gefängnis. Werde immer, mich zu wehren - fast
unmöglich.
Täglich sehe ich, und sieht L. die Grube vor sich. Besser, sagt sie,
genau das, was ich auch meine: sich einäschern zu lassen. Freiheit. Und die
Asche verstreuen zu lassen. Die Hülle verbrennen, und so auch mit den armen
Verbrannten und Vergasten zusammen zu sein. Rauch und Asche sind rein. Und der
Auferstehungsleib ist sowieso anderswo.
Wie soll ich mich entziehen, nicht auch mitmachen im Banalen. Widerstand
leisten, Banalitätsverweigerung. Wach sein, mit ihrer Hilfe. Selbstbewusstsein,
aber auch richtige Selbsteinschätzung des schwachen Willens. Üben. Schonende
Zurückgezogenheit. Sensible Poesiepräsenz. Unaufdringlich aber deutlich!
"Was sind aber unsere Gespräche und unsere Schriften anders als
Beschreibung von Bildchen auf unserer Retina oder falschen Bildchen in unserem
Kopf?" Lichtenberg.
DAS IST Bewusstsein
macht doch Feige aus uns allen
Nichts was sonst halten könnte:
nur die Angst
wenn ich hinab in diese Grube sehe
hat dieses Loch zwei Seiten
eine in die Himmelszeit?
Was soll ich mit der Ewigkeit
sie dauert mit mir
nur dass ich werde
doch wär ich nicht
wär sie viel reiner schon
sie hängt an einem Faden
mit einem Groschenmesser
abzuschneiden
hängt alles nur an mir.
Doch schon das Messer
und mein Wille
gehör´n
bevor Bewusstsein zugerechnet wird
nicht mir und wird in tiefster Dunkelheit
nur meinem Auge angetan
Zu Rühmkorfs "Tabu I"
Es ist schon so wie du sagst
was du sagst zu den
"fleißigen alten Kerlen"
lieber Rühmi nur fehlt noch
"in Ewigkeit Amen" und dass wir sie nicht mehr teilen
wie früher die großen Ströme
nach dem Ende der Großen Teilung
kalt war der Krieg doch wir lebten
jetzt werden die Kriege heißer
und wir sind kalt und kälter geworden.
Auch ich bin beim nervösen Flackern
angekommen und hoffe etwas gefunden zu haben
alter Freund
dass die Erbsünde eine reine Lüge ist
an die alle inklusiv meiner noch glauben
auf Sand gebaut auf Kindermärchen ist unsere Angst
Ob Lena Jenissei der Rhein
Mississippi
die Donau auch und warum so exotisch
die Wolga sogar hier ach wie heißt er
Po natürlich und du denkst an Ärgeres
wir am Arsch der Welt
teilst mit keinen Armen wo andere nur austeilen
Jahre und Angst
Es stimmt früher da gabs weniger Gitter Chemie und Atome
offensichtlich nackter die Welt und aus-
gezogen ist sie so gegenwärtig
und kommt der Wahrheit näher
Für Moses Rosenkranz
Hast im Verborgenen
lahmgelegt die Welt
bist du/ als wäre dies
Jahrhundert
längst aus dieser der
Zeit gefallen, zurückgekehrt
tief in die Erde?
Du bist das, was ich
niemals sah.
Ein Baum, den se zum
Menschen
machen wollten, und
brannten ihn
zersägten seinen Stamm/ die
Blätter
trug der Wind - da lag ein
letztes Blatt,
da stand die Vorschrift für
den ganzen Baum, ein
Weltenbaum,
der durch das Nichts die
Achse schlug.
Dort drehn wir uns im Kreis
und warten auf den Herrn.
26.3.
76. Ein Gedicht für Moro (Moses Rosenkranz, den ich im März
besucht hatte! Er erzählte von seiner sowjetischen Haftzeit: 10 Jahre
Polarkreis)
5.4. 96. Doktor Schiwago-Film. Kitsch und doch: der
Osten öffnet mich wieder. Ein Weh überkommt
mich, die alte Verletzung. Das Wort kommt nie, Gefühle, wenn sie zu nah sind,
bleiben stumm. Regen/ das Dach ist kalt, ich glüh. Nur ein Knäuel von Wehmut, ungebraucht, liegt da
unten. Hat ja mein Herz berührt, sonst
ist es schön stumm. Und ich weine wieder, so rein und so dumm.
Gefühl biegt sich in mich/
und weiß sich nicht zu helfen
hält da am Bahnhof im
Schnee/ weißt du noch/ es lag
und blieb/ als wir doch
weiter gingen
riefs/ wir blieben nicht
stehen.
Jetzt erst seh ichs
so wie es war/ und steht
dort immer noch.
Kalt folgten mir die Jahre.
Das Schwermut-Syndrom ist
nur ganz allgemein der Rahmen. Es lähmt ja. Es ist eher eine Vereisung. Exil
als Krankheit. Schon bei Dante. Leben und Erkenntnisekel in seiner besonderen
Form. (Es gehört in die Sparte Depression. Melancholie als Erstarrung! Vgl.
mein Gedicht über die "Achtuhrschmerzen". "Zeitmale" wie
bei Wordsworth "The Prelude".
Konturlos nur/ was unten
liegt/ Als läg ich da/ Vom ungefaßten Rohstoff des Gefühls getroffen!
Im Zentrum das Bild Marias.
Was alles versäumt war, was alles nicht war / nach rückwärts geht die Hoffnung.
Was kommt ist tot und starr.
Was weh tut ist/ wenn sich
die Narbe schließt. Und alles wird schal.)
Pascal
starb mit 39, Kafka mit 41, Christus mit 33. Und ich lebe noch immer. Und es
wird so nie enden. Alles schon sauer, ohne je dagewesen zu sein! Wenn es ein
Genie der Kleinheit gibt, bin ich eines!
15.4.96. Traum von
Heissenbüttel. Saß in einer Bibliothek mit einer Bibliothekarin. 13 Jahre lang
hat er mit seiner Frau gelitten. Furchtbar. Sein Schwiegersohn hat seine Werke
herausgegeben. Ich nehme sie in mein Vorwort. Dann bin ich mit H. in einem
Hotel. Auch seine Geliebte ist da. Irgendein Kongreß. Wir sitzen an einem Tisch
mit andern Kollegen. Ich sage, wir hätten endlich 2 Monate frei. Freilich
schreibend. Er lädt mich auch zu sich in den Himmel ein. Und sagt: Saarland.
Wir nehmen dazu ein anderes Hotel. Es scheint aber nicht Berlin zu sein.
Für Petre Stoica (1931-2009)
Repetă: ia-ţi adio şi pleacă
ỉn ciuda faptului că nu vei ajunge niciodată.
Wiederhole: nimm Abschied,
auch wenn du niemals ankommen
wirst.
Der eigene Todesgedanke
Trifft sich mit dir Ernst / jetzt
Wird er von neuem als Schock erwachen
Und glaubt es doch nicht:
Petre die Zärtlichkeit folgt
Dir / wie ein Engel
Und dann kommst du immer wieder
Todesgedanken liegen / wie tote Vögel
In mir / die Schwelle Nie brennt sich
ein
Und dein Name schwarz lichterloh in mir
Übt es – vergangen zu sein!
Todesgedanken hier auf der Wiese / ein
Grün
auch ich bin noch da / sieh fliegend
die
Feder zu dir / ich kann sie noch halten
Szenen mit dir die nur ich jetzt noch
weiß
Denn du bist ja nun für Immer
gegangen
Schwer wird es mir als wär ICH
gestorben
Erinnernd noch da mit einem Blick
Immer an Tischen mit dir
Schreib Tische alt und holzrau mit Glas
Wir gespiegelt -
Bukarest / Ana Ipătescu zur Roten Zeit
Im Dämmerlicht übersetzten wir Trakl:
Schlaf und Tod, die düstern
Adler
Umrauschen nachtlang dieses Haupt:
Des Menschen goldnes Bildnis
Verschlänge die eisige Woge
Der Ewigkeit. An schaurigen Riffen
Zerschellt der purpurne Leib
Umrauschen nachtlang dieses Haupt:
Des Menschen goldnes Bildnis
Verschlänge die eisige Woge
Der Ewigkeit. An schaurigen Riffen
Zerschellt der purpurne Leib
Zum letzten Mal dann Düsseldorf /
Deutschland
Du sagtest zu mir: Komm setz dich zu
uns!
Und ich ging mit starrem Blick (warum
nur?)
Grüssend vorbei / als lebten wir nicht
Oder als lebten wir ewig.
REALITÄTSREQUIEM
1989
Für Cálin Nemes
Er ist
längst tot er ist
gestorben
nein nicht an einer Salve
nicht am
Blei der Schüsse
kein Loch in
seiner Brust kein Blut
und keine
Bajonette keine Folter
erledigt hat
ihn das was kam:
umgebracht
wurde er
weder von
den Aktionen
der
Alpträume in Form:
von grauen Zellen
Securitatae
das Grauen
umgekehrter Hoffnung
war fürs
Überleben gut
es war an
sie gebunden
Nein
umgebracht hat ihn
das andere
Grauen das so schön uns scheint:
hoffnungslos
Prozesse Alltag
so ähnlich
wie in Kafkas Zimmer
unsichtbares
Möbel Druck
dass nichts
als Schuld so hin zu sein
und ständig selbst ein Möbel
eingeräumt
Am 22.
Dezember 1989
da kam der
Mann, weil er erhoffte
dies nicht
zu sein
kam er vor
die Gewehre
und starren
Gesichter, wurde verhaftet und
am Morgen
standrechtlich erschossen
wachte nach
Stunden im Hof auf
verwundert
doch noch
immer im Körper zu sein
Doch
genau drei
Jahre später
fand er den
Tod
besser als
die Qual
dass es kein Alibi mehr gibt
dass es
keine Zellen mehr gibt
keine
Regierung und keinen Diktator
keinen
Geheimdienst keine Fahnen
die unmöglich machten
den
Zustand "Mensch" die Ausnahme
weil kurz
und fremd hier
So zu sein
um leben zu
können
angemessen
an den mitgebrachten
Kern den
Engel besser kennen
Freude
Das Leben
aber hergestellt von jener
Mehrheit-Mensch,
erfunden wie
im Tierreich und sich selber gleich:
das Volk,
die miserable Kreatur mit
ihren
schlimmsten Exponaten und den Tieren die
als Spiegel ihrer
selbst die
Außenwelt als hart "real"
erfanden
war
schlimmer als der Zustand Securitatae
und in
Ketten kann man träumen was noch aussteht
um sich
selber anders gleich zu sein.
Als das Volk
nun wirklich an die Macht
kam, seine
Leute wählte: die etwas dreckiger noch
im trüben
Grund ihm glichen: da hing sich jener Held
ein Mensch
der Ausnahme am Fenster Rahmen
(Blick in
einen düstern Innenhof)
in seinem
kleinen Zimmer an dem Rahmen
der dann
hier blieb: mit einem hier zum Strick
gedrehten
Leintuch
auf. Es
blieb dann
weiter hier
als
Scheißvorbild: oh, Windel
Totenlinnen alles-
eins.
Sich mit den
andern freuen
teilnehmen
zu können an
der eigenen
Freude die
ausbleibt
wenn du nicht teilst
was Freude
geben könnte
Nur das
Entsetzen aber
es bleibt
falls du täglich erkennst
was die
andern um dich
zur
vorgegebenen Freude
antreibt und
ach täglich
ausgeben
einnehmen
an Freude
meinen
zu müssen.
Guasta feste
heißt es wohl hier
oder im
Umkreis der besser wissenden:
du
Spielverderber, ach ja?
Was ist das
für ein Glücksspiel das euch treibt
ihr
Menschmaschinen
wehe du
sagst es
sie wenden
sich ab
wehe du
schtreibst es auf
dann liegst
du im Buch wie Blei
Gott, wie
schuldig ich bin,
aber sie
hören ja nicht mal auf ihn!
der mann
für ds
für ds
die gedanken kreisen
im geiste einer frau
was ist nur an ihm dran
das sie ohne ihn
nicht bewältigen kann
sie die vollkommenere
ausführung der göttlichen
menschfigur
mit allem versehen
mit dem geist das leben zu verstehen
es zu lenken wenn der
mann nicht will oder
tatsächlich nicht kann
mit dem körper
vollendet in schönheit
und für den fortbestand
mit der seele
dem gefühl für familie
und für die welt
die ganz große
menschengeduld
was fehlt ihr
was hat sie nicht
was hat der mann
was ist nur an ihm dran
der spukt im kopf
ein jeder empfindenden frau
nach langem überlegen
sie findet zum schluß
der mann für sie
göttlich geschaffen wurde
als lebensgefährte
als bestätigung ihrer
einzigkeit sonst
könnte sie es nicht erleben
das gefühl
für das wollüstige
auf und ab
als oel für ihren
lebensmotor
deshalb was ist dran
am mann
für ein besseres lebensgefühl
x
freude nur freude
heute ist sonntag
elegant gekleidete damen
schlendern durch den park
mit hut und handschuh
zeigen sie ihren gesells
chaftlichen stand
mit spitzen und schönem zier
ausladende kleider und
seidigem gewand
hand in hand mit ihrem
gemahl
der erwachenden natur
zugewandt
ins gespräch vertieft
rundum blickend
das gespür
für schönes aufgeschlossen
welch anmut
welch anblick
schönheit natur
die männer dem wohlgesonnen
schönheit zu begleiten
und fühlen das verlangen
der schönen frauen
zu gefallen
sie
stellen dar
was angesagt
ein liebevolles paar
ein miteinander
ein verstehen
ohne worte
im zusammen
spazieren gehen
am heiligen sonntag
das waren zeiten
das war so zu dieser zeit
sich gegenseitig
zu begleiten
die zeiten ändern sich
die menschen
die hüte kleider
das gewand
nur zu diser zeit
seinen bestimmten wert
nur fand
jahrhunderte sind vergangen
der wandel der zeit
hat angefangen
die werte von damals
zu überdenken
so manches wahrhaftig
war
sollte es nicht wert sein
in die heutige zeit
mit zu übernehmen
die werte
sie haben bestand
ob so oder so
der zeitgeist
sich ändert
die werte sie haben
bestand
hand in hand
das hat bestand
liebe
liebesgrüße vom park
claudia
FLÜGE
für Kathi
Ich flieg jetzt fort und
flieg von dir
mein Herz
Ist schwer
wie Blei
Ein Abschied jetzt?
Die Zeit liegt quer
Als wär es niemals mehr
Ich weiss nicht
ob mein Leben dauert
wie lang bis wann es
für dich ist
Und ob mein Aug dann sehen kann
Kennt unser Tod
Uns dann?
Die Zeit
läuft
uns davon
vergeblich ists
kein
Weinen hilft
Uns jetzt
Drei Tage WIR
Sind wie ein Ja
Sie jauchzen uns
Noch zu
Viel schneller
Ists Vergehn im Jetzt
Und schneller
Als der Flug
Ich seh den Flügel aus Metall
Ich bin schon in der Luft
Ich seh die Dörfer wo wir warn
Die Liebe dort den See
Die Liebe JA sie war mit uns
Und jetzt die Wolken neben mir
Zum Greifen weich wie Nacht
Ich seh an ihrem Rand ganz klar
Dort süsser dein Gesicht
Und fern die Insel himmelsnah
Ein Recht zu Sein für uns
Jetzt flieg ich hoch bin ohne dich
Und spür mich zweigeteilt
Das Wurzelwerk ist losgelöst
Im Erdreich blieb das Schmerzgemisch
Und wund ist jeder Körperteil
Ein Herz zu Herz wie vorher DU
Und überall an Hand und Fuß
Und am Gesicht bist du
Und auch das Silberhaar tut weh
Delphine schwimmen
das NIE allein
DU Haut an Haut
Bist meine tiefste Wunde
Ich denk an Absturz jetzt allein
Ich weiß nicht wann ich komm
Du aber du du hältst mein Herz
Der Körper ist wie Stein
Ich bin so schwer der Erde zu
Die Seele ist gehetzt
Und zieht den Flug hinunter
So dass
die Liebe wie der Tod
noch weicher fliegt als sonst
Sie weiss…
Der Erde Härte wartet schon
und wir sind wie gewesen
Ich flieg allein der Erde zu
Bald ist es Nacht ein Immer
Links ist der Ball der wiederkehrt
glutrot das Himmelsherz ist schön
-
ist wie ein Hoffnungsschimmer
Wie eine Hoffnung ein Beginn
geht
diese Sonne unter
Und überall ists wolkenweich
Ein Klopfen an dem Fenster Stimmen
Ganz nah am Himmel
Nah und
streng/ durch Glas
und durch den Tod
Getrennt. Er kommt wenn du hinausgreifst
In den Himmel, und
es berührst dies Immer.
So nah ist auch ein grosses Wunder
Dass wir uns nah berührt gesehn
Geliebt gelebt geatmet haben
Ich konnt es einen Tag nicht glauben
Dann war ich ganz bei dir
Im Himmel
Wo bist du denn Geliebte, Liebe
Ein jeder fliegt für sich?
Es tut so weh sich loszureissen
Die wurzel blutet und ist schwer
Jetzt von der Erde losgerissen
Stürz ich ihr zu mit Kopf und Gliedern
Oh bald bin ich bei dir…
9.7.03
TODTNAUBERG
Aber es
verbindet sich ja nun die Zeit in einem einzigen Punkt, alles fließt zusammen,
und manchmal glaub ich, verrückt zu werden. Begann jetzt nicht das Schönste,
ich mit der Karte auf den Knien, die Linke in deiner Rechten, ab nach Todtnauberg.
Und leitet dich über Breisach, Freiburg, Kirchenzarten. Und diese Landschaft
des Südschwarzwaldes um uns, eine Himmelslandschaft mit Almen, Tannenwäldern.
Nebel. Regen, nur manchmal kam die Sonne durch und beleuchtete fast
geisterhaft-ausserweltlich die Höhen. Und ich erzählte dir die Geschichte von
Celan und Heidegger und ihrem gescheiterten Treffen in Todnauberg.
Mit
einem Geschenk, einer Art Saunabürste verließen wir das gastliche Haus
„Enzian“. Für immer? Stiegen ins Auto und fuhren zur Heideggerhütte. Du hattest
dich erkundigt, bis nach O. braucht man nur eine Stunde und zehn Minuten. Es
war neun, halb elf mussten wir abfahren. Also anderthalb Stunden Heidegger. Auf
dem großen Parkplatz stellten wir das Auto ab, gingen zu Fuß weiter auf dem beschilderten
Heideggerweg. Eine herrliche Aussicht über Wolken und Berge hin bis zu den
Vogesen. Der Pfad war unser Liebespfad, Hand in Hand immer, und der Abschied
drängte uns zusammen, als könnten wir ineinander eintauchen, immer wieder
blieben wir stehen, um uns zu streicheln und zu küssen.
Und
dann juckte uns der Hafer als wir an einer Bank und einem Hinweisschild mit
Heideggerbild und ein Bild seiner Elfriede vorbeikamen. Ich hinterließ mit
deinem Lippenstift die denkwürdige
Inschrift auf dem Heideggerhinweisschild: „Du schreibst – wir
leben das Sein!“
Und
lachten, lachten, lachten. Mokierten uns über ihn, der da stand mit komischem
Hut, auf den Wanderstab gestützt, visionär weit in die Ferne blickend! Und treu
seine Gattin mit ähnlichem Blick daneben.
Und
dazu sein Gedicht über das Land hier:
Wälder lagern
Bäche stürzen
Felsen dauern
Regen rinnt.
Fluren warten
Brunnen quellen
Winde wohnen
Segen sinnt.
Wir
gingen zu weit auf diesem Pfad, eine Art via dell amore! Suchten überall die Hütte,
in jedem Transformatorenhäuschen, jeder Heuhütte, Almenhüttchen. Ich filmte mit
persiflierendem lachendem und rufendem Kommentar alles. Und wir fanden dann die
umgestürzte Tafel, das Hinweisschild zur echten Heideggerhütte, der legendären.
Ja, da war sie. Mein Gott, ein popeliger armseliger Schuppen, ein
Jägerhüttchen war das mit geschmacklosen
grünen Farben, einem winzigen Vorplatz mit Bäumchen, naja wenigstens der
Schwengelbrunnen mit fließendem Gebirgsquellwasser war urig und echt, an dem
sich auch der Meister mit unnachahmlicher Pose hatte fotografieren lassen. Und
hier also soll der größte Teil seines großen Werkes entstanden sein? Hier
sollte man vor Ehrfurcht niederknien? War auch
der pathetische Celan hier vor Ehrfurcht gestorben, nein, der eben
nicht, und hatte sich nur im Hüttenbuch, wo sich ja große Namen verewigt
hatten, eben auch Nazis, eingetragen,
woraus dann sein Gedicht „Todtnauberg“ entstanden war. Und am Brunnen fielen
mir seine Zeile ein: „Arnika, Augentrost, der/ Trunk aus dem Brunnen mit dem
Sternwürfel drauf.// In der Hütte..“
Celan
war 1967 hier gewesen und dieser Besuch hatte seine Spuren auch in uns
hinterlassen… Es hieß ja, dass Celans Gedicht „Todtnauberg – das Gedicht einer
epochalen Begegnung, das Beschwören einer Hoffnung, ein Bekenntnis, welches
einen Welthorizont aufreißt …“ sei, so der Augenzeuge und Celan-Freund Gerhart
Baumann: „Dieses Gedicht, eine unbedingte Forderung, ein unerhörter Anspruch …
Stimme zu einem benennbaren Du… musste auf ein ´ungesäumt kommendes´ Wort
pochen, auf das Geständnis eines unsühnbaren Irrtums, einer Schuld …“
Und hätte ich jetzt mein Gedicht, den beiden
Kontrahenten, dem Juden und dem ehemaligen Nazirektor gewidmet, vorlesen
sollen? Ich dachte nicht daran, ich hatte es aber mit dabei. Und eigentlich
fehlte jetzt etwas hier, nämlich der Heidegger-Celan-Spaziergang im nahen Hochmoor von Horbach.
Und ich
hatte mir vorgestellt, dass unsere Liebe, unser Liebesflüstern hier wie ein
Blitz alles reinigen könnte, vor allem die Sprache. War ich größenwahnsinnig oder fühlte ich diese
Reinigung so stark, weil unsere Liebe
bis in den Himmel reichte? Und ich hatte das Gedicht DIR gewidmet. Und das ging
so:
1
Hol dich ein
in der Hütte mit dem Dichter/ und dem Denker
der stumm
Nichts wissen wollte vom Unheil
Der Dichter
aber
Ein Jude war
so spät
unterwegs
zur Sprache geworden …
Von der
ermordeten Mutter
Und forderte
auf den Deutschen
in der
Hütte: Bekenne was wahr ist!
Braun das
verwelkende Laub des Vergangenen
Herbst/
Herbstzeitlosen fehlende Jahre/ Jahrtausende
Nass die
Sekunde
Und wo endet
die Tiefe des stehenden Wassers
Auf der
anderen Seite der Erde?
Welch ein
Boden und Grund will jetzt noch ein Zuhause
Rund und nie
gespalten in eine Antwort?
„Heimruf
gefangener Sehnsucht
uns: Wohnen
und Wandern“?
So sagte der
Denker schweigend betroffen
Im Nie gibt
es kein Blut.
Langher und
gesammelte Rede des Rektors
Zeit seit Sein
und Zeit
Vom
„kommenden Wort“?
Dachten wir
beide hier auch an ein Nachhausekommen? Ja, wir wussten es, zusammen sind wir
zu Hause.
Und sagten
es uns immer wieder, immer wieder, dass es ein Heimkommen ist!
2
Ja sie
trafen sich spät in der Hütte
Jede
Begegnung ist/ zu Verlass/ DA
Und welch
eine Verschränkung JETZT
Lässigkeit/
Ja
Zuverlässigkeit
und ewig das
Unberechenbare in EINEM
Langher und
heute: Du lebst und ich lebe
Aufgebrochen
Sind alle
Generationen Liebste
in uns.
Jede
Begegnung bricht auf
Das Gesicht
zur Rede die Worte zu
Den Augen/
der Dichter mochte den Fernsprecher nicht.
Und uns die
wir bisher nur unsere Stimmen kannten
trifft der
Blitz von jetzt und von immer die Liebe
wenn wir uns
in die Augen schauen.
Oh Geliebte
dieses Runde Verwelkte
Das Hochmoor
von je – Nie
Wären wir
uns so spät begegnet …
Nie. Wären
die Mörder nicht tätig gewesen.
Sollen wir
ihnen danken denn alles
Enthält ja
auch uns: Dank und Grauen
Und wir nun
anstatt des Nie
Auf der
Welt.
Die beiden
wissen wovon sie sprechen
Der
Heimatlose und der Heimatbesessene
Sie sprachen
vom Abgrund.
Ich aber
gehöre zum einen von ihnen
Ich gehöre
zum LOS:
So fanden
wir Liebste: uns
Auch wir
beide
Und so
unerklärlich sind uns die Gründe
wie jene
Zeit uns erschuf.
3
Hütte das
Frohe/ und wie geborgen
gesammelt
Kamine im
Nacken (denk an sie nicht!)
Die Fremde
gelöscht in der Warmen Glut?
(…)
Mein Herz
ist ja wieder zu Hause
im Reinen -
Du mein
Kind Du mein Weib und Frau Liebe
Für immer
hier/ unter der Haut
In deinem
Auge erwacht
Mein
Gedächtnis
Und mein Ich
ist
hinter deine
Augen gefallen!
Du mit dem
Gesicht im duftenden Moos:
Erde du
meine Mutter
Zwischen den
Beinen feucht das gekräuselte
Gras/ der
Duft meiner Geburt
Komm jetzt
zu mir
In meine
offenen Arme
Die Brust
ist die Wiege
Und was wir
sind
Hält Wort.
Die Lust des
Anfangs
In uns
So sind wir
reich
Nackt
Gleitend in
dir die
Liebesglut
Wort.
Lippe auf
Lippe
Gesprochen
Gehaucht und
getrunken
In alle
Zungen versenkt
So rot und
so warm
Geküsst und
geliebt.
Doch immer
wieder
„die halb-
beschrittenen Knüppel-
pfade im
Hochmoor/ Feuchtes
viel“,
worüber wir sprachen.
Als wären
wir plötzlich nicht mehr
Geliebte und
Geliebter nein
Behütet im
Abgrund:
Vater und
Tochter
5
Oh welch
eine Erwartung
Ein Hoffen
Liebste mit dir
Wir sinken
hinab an den Anfang
des/
unfertigen BeisammenSeins:
Mein DU und
ein Wir
Von uns nun
geboren
Sollten wir
endlich vom Warten genesen
Das all die
Zeit in sich hat seit die
Welt mit dem
Kriege verging
Gewartet
dass es einmal geschehe
Und
verschmilzt was gebrochen im Sein
Das Rätsel
des Wachseins?
Hast du auf
mich gewartet
Und
wusstest du dass es
Geschehen
wird - einmal
Und gar
nicht so bald?
Hab ich auf
dich gewartet
Und wusste
es nicht
Dass es
einmal geschieht
dass es geheiltes Leben gibt?
Da öffnet
sich uns
im Herzen
der Himmel
Geliebte wir
haben
das Ziel des
Lebens erreicht
War ich auch
krank und zu Ende gebracht
Du warfst
mir eine Sonne voraus
Die mir auch
den Tod
zum
Liebesbett macht
oh DU meine
Frau
meine Sonne!
6
Mein Fest
mit dir/ dort weit
Wo der Dichter
mit dem Denker
Stritt/ In
der Hütte
Das weiter
Todt-nAu-Berg heißt.
Und wir
Liebste
Tief durch
die Sprache
Ineinander
versessen
Frau Sprache
von Ewigkeit
her
uns
versprochen
Und so
wohnen wir wund jetzt
Nahe bei
ihnen
Den Toten!
Unsere Liebe
Zwischen den
Generationen
So spät
Als hätten
wir mit dem Denker
Vergessen
Dass auch
die Sprache
Einst winterschwarz tot war.
Und wir ein
Ja du und ich
Wir mit
unserer Liebe im Reinen
Können wir
sie früh am Morgen schön waschen die Sprache
Und liebend
erwecken?
Hier: kann
sie mit uns auferstehn!?
„Haus des
Seins?“
Jedes Komma
jedes Und
Hat der
Mörder gespalten
gespalten
die Zunge
und im
Befehl vernichtet
vor den
Opfern was war!
Blut klebt
an ihrem Hauch
An jedem
Laut.
Dort auch
aus der Stadt woher
Ich kam aus allen Städten
Mit unseren
Lauten
Ist für
immer eine Blutspur
Zu uns
gelegt!
Wer sind wir
heute Geliebte
Generationen
in uns
zwischen
uns/ und der Unterschied
von Krieg
und Frieden/ und DU mein
überfälliges
Leben/ das dich spät
fand/
dazwischen?
Lass uns die
Zeiten vermischen
Wie unsere
Glut die in uns zittert
Lass uns die
Worte oben mischen
Mit denen
die Mörder das Töten befahlen
Lass uns sie
waschen im Liebesgeflüster
Lass sie uns
jung in die Lippen tauchen
In Küssen so
zur Welt
Gebracht/
sie und uns
Liebste zu
einer neuen Geschichte.
Du sprachst
von deinem Weltvertrauen
Sag wie
retten wir meines?
Wie reiten
wir aus ins Hochmoor heute
Auf Seinem
Leichenfeld liegt die Zeit
Wie reinigen
wir wenn wir uns Liebe erklären
Und unsere
Blicke im Auge ertrinken
„die
Schliere im Auge der Sprache“?
Oh, Liebste,
komm begleit mich zu ihnen
Da ist keine
„Stiftung des Bleibenden“ weiter
Dort ist der
Ort wo wir vergingen
Im
Kindheitsglück der Untergang.
Gebär mich
von neuem
Mach mich
zum Kind!
Das der Welt
vertraut
Lehr mich
die Heimkehr
Zu dir!
Oh du meine
Frau meine Tochter
Du Weib und
Kind Geliebte
Nimm mir den
Tod aus den Knochen
Und schenk
mir den Anfang der Welt.
Die
schuldigen Toten
Siehst du
sie im Haus der Sprache
Schreien/
und ein jeder bringt seine Opfer mit
Sie
haben sich aus gesprochen
Im Himmel
Doch weiß
keiner mehr wo die Erde ist!
Wir stehen
in der Hütte von Todtnauberg heute
Ohne sie und
ohne Begleiter
Wir stehen
und stehen nun wortlos/ du heiter
So
unbeschwert leben und weiter weiter
Die Liebe
wartet bis auch sie vergeht
Ein Vergehen
doch
Die
Himmelsleitern/ bestehen ja weiter
Und was in
Liebe geblieben
Zusammengelegen
Hier ein
WortKind gezeugt
Dieser Baum
unsres Lebens
Und
eingebracht wie in Scheunen die Ernten
Vergeht nie
Bleibt im
Himmel bestehen …
Umarmten
und küssten wir uns hier? Nein, wir fassten uns nicht einmal an den
Händen?! Schlechtschlecht! Die Realität
war nicht so hochfliegend, ja, war sogar recht enttäuschend. Warum küssten wir
uns ausgerechnet hier nicht? War die
Aura hier, der genius loci nicht danach?
Gabs etwas stark Zerreissendes hier, einen Widerspruch, der fühlbar
wurde? Vielleicht das ausgesprochen Antiethische in seinem Denken, das ihn auch daran hinderte, irgend eine
Schuld einzusehen? Wars vielleicht
tatsächlich so, dass es keine Verantwortung gab, weil etwas unsere Taten
bestimmte, gegen das kein Kraut
gewachsen war? Oder war es die Anwesenheit Paul Celans hier? Wir schufen uns
wohl etwas Luft, es gab ein Ventil, das „Lästern“: Und küssten wir uns so
nicht, weil wir wieder viel zu lästern
hatten! Du filmtest mich lachend mit Heideggerpose am Brunnen. Und ich filmte das Hüttchen plus die Nähe des Dorfes.
Kaum fünf Minuten vom Dorfrand entfernt lag diese „Welteinsamkeit“ des Denkers.
In fünf Minuten konnte man wohl den Bäcker erreichen. Und auch Hotel „Enzian“ war zu sehen, wir hätten es zu
Fuß in zehn Minuten erreichen können!
Eine
Art Leichtigkeit erlaubten wir uns. Und erst später kamen wieder die schweren
Gedanken, die dieses Zweischneidige hier, auch das Unreine, das Aufgeblasene,
das Unnatürliche, das sich im „Natürlichen“ versteckte, unerträglich intensiv
empfand, wohlgemerkt, bei beiden, die Anmaßung
auch bei Celan, das Hochfahrende,
gleichzeitig mit der Bewunderung, was da alles in diesem Hüttchen in einem
Menschenhirn vorgegangen war!
Doch
das Unbehagen des Hochstilisierten, dieses kindisch-tödliche Ernstsnehmen der
eigenen Person, das Hochgstochene der Heidegger, aber auch der Celan-Sprache,
was sie wohl verband, der unbescheidene Pathos, diese Wortfetische, dieses
akademische Zitatologie auch bei Celan, die wichtiger zu sein scheint als das
Leben, die Geschichte, ja, sich anmasst, Geschichte zu SEIN. Nicht auch den
Opfern gegenüber Blasphemie? Und ich
erinnerte mich an die Wut von Moses Rosenkranz, wnen er über Celan sprach.
Das
Wort LiteratHURE fiel mir ein. Wo auch anstatt der wirklichen transzendentalen
ekstatischen Ergriffenheit wie etwa bei den Chassidim, nur wortkonstrukte
daraus bleiben.
Spät
für Celan
Nichts
ist das Insichkreisen Worte Worte
auch du
nur auf dem Trocknen wie ein zappelnder Fisch
anstatt
übers Wasser zu gehen
und im
Netz von Ihm gefangen
getragen
wieder nur Melodien
und die
Halbheit des Ufers: das Sehn
Griffel
gegriffen Staubfäden auf der Haut
vergessen
aber der Schmerz die Öffnung ist da
nah und
niemals in Namen getränkt
Verkünstelte
Eitelkeit Spiegel
Dunkelspiegel
laß ihn kommen den Boten
Boten-Selbst
hohe Röte Scham der Wangen
die
Tore/ kaum noch Jerusalem
Zelem
in jedem verschüttet
komm dass
wir warten
Denk an
Mea Sherim und die Steine
weil
der Rock zu kurz war/ und so
so ist
nun auch dein Gedicht
Ich
aber warte auf
den
verkleideten "Engel" und lese
Johanna
anders/
spiel mit der Hure
Literatur
verpaß ihr den erquickenden Schweif
des
Strahlenden/ denk an Marie
Ja,
anstatt Selbstmord begeh
diese
Fremde und warte entführt auf sie
Denn
läßt sich das Leben nie mehr um-schreiben
dieser
Irtum im hellsten Schein des Getäuschtseins -
so
schreib doch den Rohstoff
Poesie
... um!
Der
Dreivokal, dass ich nicht lache, wie er mich
trietzt
und engt vor dem stotternden Altar
dieser
Wand vor Ihm/ eingesperrt in den Kirchen
ein
Lallen von je
das in
mir liegt schwer im Magen dies
Verdorbene
Abend
Mahl nippst vom Symbol wie vom faden Papier
einer
Losung /vorbei zu gehen am
Wasser
des Lebens -
diese
Verbrecher an Gott.
Nimm
die wirkliche Nuß: deinen Kopf
das
wäre die Bilanz deines Lebens
unverloren
wie das Verlöschen
alles
Erhofften:
Schlag
sie auf einen Dreivokal lang
De
los nombres de Cristo
täglich
einen doppelten Hauch:
Zu
Hause das Herzensgebet
So nimm
ihn ernster
als
Ernst nur kein Wort mehr!
Erbarme
dich meiner!
Die
Erinnerung bliebe ein Blitz.
Mein
Gott, diese drei Personen
in mir
in dir in uns allen gespalten
immer
noch eingetaucht
ins
Leben diesen Traum/ wenn wir wirklich
noch da
sind
Der
Vater mit dem Sohn
der
ritt mich
zuschanden/
nicht mehr im Fieber, mein Kind
Nein
nein, du Herr der Permutationen
sprich
Stimme sags mir weck mich auf
vor dem
Tod noch: Hier sein!
Dunkelspiegel
Leuchtspiegel
plötzlich
ein Mensch nein
keiner
im Satz nur/ so laß sie doch endlich
wirklich werden, erscheinen
springen
wie ein Junges: Engelkücken
strebend
hinauf im Rücken nun gut am Morgen
kein
Blitz nur der uns den Schädel
zurechtnäht
Nein
auf der Brücke die Hand
mit dem
Kopf der Brust dem Körper halb
schon
über der Brüstung
das
Wasser wird eisig sein die schäumende
Erde
da
fällst du nicht hart
die
Hand die Stimme und alles
wird so
zu einer Gestalt und die Worte
endlich
wirklich geworden
(wie
hier nicht, nur nach- und so zu
getragen,
doch erinnert im Blitz): ist es dies
"Halt! Nicht! Komm zurück! Du
wirst
noch gebraucht!" Diese Stimme!
Das
Sieb der Worte nun doch
ein
Wehr. Unsichbar über dem Wasser
fließend
ist das Ersticken
Blitzworte
rettend
Sieh
da: Nichts/ stockt.
Wie
soll ich Euch nennen Tote wohl nicht
Engel
oder ganze Scharen
Bewohner
anderer
himmlischer Frequenzen?
Und
doch mit Schrecken zu sehen
dass wir unvergleichbar sind
Stimmen,
Stimmen von je
Du
weißt es gebogene Kurve die Welt hinab
wenn
sie kommen
hallt es:
Opfer
von heute von immer von je
Und
mähst du das Bild wär es Umkehr
Gras
nicht mehr sirrend die letzte
Sekunde
Schaufelts
unendlich und kehlig
am
Hallweg entlang auch du
bist
nun dort
und weißt es:
Celan
der
Niemandslanddichter
Komm
mit komm mit in den Tunnel
wenn
die Wunde der Welt: was wir sehen
ein
Schlitz in einer Pupille
langsam entschwindet.
Und
dann mussten wir los. Ein Drang überfiel mich aber plötzlich wieder, ausgerechnet jetzt; wars eine
unbewusste starke Erregung? Vielleicht gehörte das jetzt als die natürlichste Blasphemie der Welt dazu. Und so praktisch wie du auch in vitalen und organischen Dingen bist, sagtest
du ganz einfach: „setzt dich doch da unter die große Tanne, ich geh weiter.“
Und so tat ich’s mit heruntergelassenen Hosen und Tempotaschentüchern von dir
mit Blick auf die wichtigste Philosophenhütte Deutschlands in diesem
Jahrhundert…
Du
wartetest auf der Heideggerbank mit unserer Inschrift, die ja jetzt da bleibt;
wir aber mussten dem Abschied entgegen fahren, stiegen ins Auto, hatten noch genau
anderthalb stunden zusammen-Sein.
Blicke,
Blicke, Blicke. Die wir zurückließen hier. Stumm zuerst. Nur die Hände vereint, die Herzen, die Worte
konnten nichts mehr.
ZIEL CIEL
Hier im Paradies der Alltag
Der wie All Tag klingt
Für meine Linde
zu ihrem Einundsiebbzigsten
Ich danke dir / nicht nur
Dass dieser Tag jetzt sein kann
mit deinen glücklichen Eltern
Damals – Dank dass es dich gibt.
Ein Menschen Leben ist
vergangen
und sie?
Ziel Ciel – wo sind sie jetzt / wo
sind wir jetzt? Hier –
In diesem Jahr: schneeweiß der Blick
Schnee
gabs auch damals
mit
glücklichen Eltern
als du ankamst:
Schwarenberg Straße
Stuttgart Ost?
Und ich verdanke dir dass ich jetzt
lebe
Dass ich jetzt schreibe und
Auf dieser Zeile bin
Auf weißem Lichtschirm hier mit dir
Und geh voraus wie oft im Wald am
Strand
Und du im Blick dem Augenblick
Da Blicke zeugen können.
Wie ist es
Hast du mich aus dir geboren?
Wenn du besorgt mir übers Haar,
die Jacke streifst?
Und Mittags Abends dann am Tisch mich
wie eine Mutter
erwartest.
Jetzt mit dir im Nebenzimmer
mit dem gleichen Blick in den seltenen
Schnee
Der unsere nordentwöhnten Augen
blendet.
Draußen ungewohnten auf der Magnolie -
Wie sich die fühlt / auf dem Olivenbaum
wie Säuglinge zum ersten Mal
der Schnee für unsere Tiere
Sie spielen im Reinen / sie Tollen
im Niegesehnen Erstenmal der Welt.
Der Schnee wächst tief in unsere
Melancholie.
Und Kinderlieder fallen wie
Tropfen von den Bäumen.
So viele Augen Blicke sind mit dir
vergangen
ein Menschen Leben das wie Wind
schon hinter uns unmerklich uns verging:
hellbraun dein Auge ists auch heut wie
immer
wie immer Auge in Auge und Auge
in die gleiche Landschaft Meer und
weiß Pedona Peralla. Pedone der
weiß Fußgänger der Luft.
Hinter dem Haus weiße Stoppia mit
den guten Kastanien
unterm Mittelmeerschnee.
Sind wir alt geworden DU – mein
All Tags Mensch: Liebe ist Tun was geschieht
Täglich gemeinsam gewohnt und
gewöhnlich
wie ein Menschen Leben göttlich banal
doch
durchscheinend im Kaffeesatz morgens
nicht nur, in der Orange, im
Olivenbaum, im Pulsen unserer Adern,
Schlagen der Herzen -
Zuverlässig jeden Tag ein Wunder
vom Erwachen bis zur Nacht
morgens mittags abends
der Morgen der Mittag der Abend
die schlagende Uhr im Esszimmer
die Frühe mit dem ersten Sonnen Strahl
Vögel um Vier, Feuer um sieben
die Dea um acht, der Kater dann
auf dem Kühlschrank misst den Tag.
Üben wir ohne es zu wissen
Den griechischen Kugelmenschen
zusammen ideal die
Zwei suchenden Hälften:
Ziel Ciel – oben auf der Stoppia
waren wir
Lange nicht mehr. Lange Zange.
Kommt es von selbst
Uns entgegen und zu mit der Sense?
Du klagst: wir seien zu wenig gemeinsam
allein auf einem Berg hier:
Agliano Lucca Toskana Italien
Europa Terra Sonnensystem Galaxie
Milchstraße und ringsum nur Vakuum
unendliches Nichts?? Und jeder für sich
nur Metaphern (Gott) für uns alle?
Aber ich dank dir dass du da bist
ein Teil von mir ich ein Teil von dir
auch wenn du meinst
du lebtest mein Leben
ich etwa nicht deines?
Unser Blick ein Licht Blick übertragen
im Fenster zur Welt / neu der Flachbild
Fern Seher
sahen wir nicht gestern gemeinsam
Friederike Mayröcker in Wien
die den Tod hasst …
Mit fünfundachtzig: nicht nur du
sagtest sie sieht gut aus, zehn Jahre
älter
als du und sie schreibt weiter
nimmt den Alltag auf auch den Schneider
und Bäcker jeden der sie berührt
mit einem Blick einem Wort
das den Augenblick öffnet; Ziel Ciel.
Sie schreibt ihre Tagebuch-
Gedichte hält das Leben
sinnlos wortlos nicht aus
im Wort Los nur
seit Jandl der Tod ist…
Und so geht es weiter und weiter,…
Friederike lebt jetzt in Wien allein…
Sie kam uns ganz nah…
wie unsere Zukunft. Sah sie
aus.
Aber heute scheint so herrlich
die Sonne für Morgen ist Regen
und Südwind angesagt
die Schneeweiße von draußen ist
wie die Jahre schon geschmolzen
dahin
nur auf dem Schirm
wie ein grüner Buchstab bleibt
das Gras und seine
Umkehr
wieder nur als Schein.
Mahnend war die Eises Kälte
der Tod als wär er dahin
wie in der östlichen
Kindheit spät im Mär z nur
Winter Ade …
So gehen wir weiter und weiter
und wissen wie Ciel Ziel …
unser Leben ist.
Doch wenn ich aufschreiben wollte
was wir nur an einem Tag
gemeinsam sind / bräuchte ich tausend
Seiten.
20./23. Dezember 2009
PASTIORISIEREN
Zu Oskar Pastiors
Lyrik. GedichtGedichte an den Rand geschrieben.
24.September.
Ob das ein Leben ist
im Bildschirmauge/ sonst Nichts?
Doch jetzt lese ich
Gedrucktes, ich kann es mit der Hand anfassen, das Papier, darüber streichen:
In die Akzente (zum 70 von Oskar Pastior, als er noch lebte) schrieb ich
gestern an den Rand:
OSKAR ZU, MEIN
GEÖFFNETES POESIE GEDÄCHTNIS
Zwischentöne und Pastieurisierte
Über-Setzungen
Tagebuchgedichte
(Klammer dazu: Schon
als Oskar Pastior starb, konnte ich es nicht fassen. Der zweite Schock war dann
fast ähnlich groß, also auch eine Art Tod? Als ich Unfassbares erfuhr: dass
Oskar IM war und auch mich bespitzeln sollte! “Mein Freund, Der
Securitatespitzel Oskar Pastior.“ (DIE ZEIT 23. .September 2010) Es geht mir
näher, als ich es anfangs zugeben wollte: - Oskar ein IM der Geheimpolizei? Ich
muss dies nachklingen lassen, und ich kann es nicht glauben oder gar fassen.
Und ich muss mich abschreiben oder ihn? Tief hineintauchen auch in
LyrInnererinnert. Es, was war, nicht wahr? Er ist ja tot. Und besucht mich nun
als Geisterhafter tagnächtlich. Auch schön…!) Ja, er ist in mir, und seit Tagen
denk ich nur noch in Gedichten. Ohr Würmer manchmal… Die bohren aber).
I
Pastieur/ bei Melchior
im Weg/ Bähzüllus Wunhiet/ Wund glied / Pastiör/ Pass tier in die Getter Uhr/
die Schlagschlacht Terra krängende Tür/ vor Weg aufs Maul nicht mehr schaun,
eher aufs Keins Mal.
24.September 2010.
In die Akzente-Nummer
(zum 70 von Oskar als er noch lebte) schrieb ich zum damals gelassen wenigstens
Ver Fassten gestern hinein:
AUS GANG ZERSTÖRTE
NEGATION
1 These oder Tanz mit
Thesi
UN-Sinn ist in seinem
Verschickel zuhauf/ sogar Haufen…/ was Spass mach/ ist nur: Wenn man den Sinn
kennt./ Und lacht. Bei ihm/ nur breitgestreut das Chaos und Vieles wies vom
Hundeersten ins Tausendste, genau/ Un-verständnis samt/ Wörtlichnehmen/ zum
Lachen, was da raus kommt?/ Manchmal. Redundanz/ Radunz, Worttanz mit Thesi aus
Belleschdorf/ und Distanz als Absicht/ und das verstimmt. Sein IST ist Zeit
Verlust./ Schwach auch das Spiel/ etwa: „Schässburg aber ist das Andere von
Dessaus Halle“/ Des-Aus? Meint er das Abseits/ sogar im Satz?/ Oder die Regionalliga
als Kannsarm./ Ich bin dafür das Eine/ zu-samm wie ein Kränzchen/Nix Tod!/ zum
Fox Trott (Kain Hund!) zu führen./ Main Ein Wand: Aber das Andere ist/ nicht
der Un-Sinn/ und „Mannig-Faltige/ sogar beim alten Kant/ das Höchste ist IST/
der Innere Sinn/ in uns: ebenbildlich also sei das Ich, das Du, der Funke/ der
uns leben lässt, auch/ in höchster Verzweiflung. So etwas wie ER in uns. Das
höchste Gut sogar/ das Gegen Teil von Oskars MannIch-Faltungs-Chaos? Ich bin,
also IST er?
Das kann er/ ganz
schön gewitzt/ übers Vers Ohr hauen/ auf den Schreib Arm nehmen… und weiss/
jaja immer die Null und das weisse Blatt als Brudervorsich:
2 Anti Thesi. Damen
Wahl:
Auch wenn er um dies
Eine ja auch kreist. „denn sinn gibt auch was sinn nimmt uns sinn gibt was auch
sinn nimmt.“ Juja/ am Lebens Ende noch mal /Sinn des Gehens. / Oder seine
Holopoeme. „Einen Text möglichst so zu machen, dass jeder Teil das Ganze
enthält.“/ Wie die holographische Bildplatte mit einem Pferd (Pegas?)/ die dich
tatsächlich gerade bei ihm/ platt macht. „Und dann nimmt man den Hammer und
zerschlägt diese Platte/ und plötzlich ist das Pferd auf jedem Splitter zu
sehen. Also: jeder Splitter enthält dann wieder das ganze Pferd.“ Pegas und
Gott? Und: „sinnbeladen nämlich, lautend.“/ Erst wenn er liest/ ange spannt
(Pegas) ent lässt/ versteht man ihn. Eine Leserin: in.
„… eine Ästhetik des
„Missverständnisses“, die aufgestellt werden müsste“- weil’s das Viele ist/
welch ein Zusammenhalt? Wichtig nur: Der Text bin ich/ „
Und meines hier zu
ihm/ an kommend:
Molekül
Mole kühl, so viel
Wasser bis zum Hafen.
Bist du mein Traum?
Aber der Text ist ER!
3 ZWEITES TEIL. Rockt
Thesi: DES GANZEN JETZT
ANTITHESE und SYNTHESE
ALSO?
Begeistert ein
Nach-Lesen/ nach der Verstimmung/ OP-Stimmung Offen Halt? Halt! Schon könnte
ich ein Buch „An Hand von Oskar“ schreiben:
Terzine oder Abgrund,
stammt von ihm:…“meine Wechselbälger in Dreizeilerstrophen angeordnet sind –
ein kleines optisches Signal dafür, worum es mir (…) wohl in allen diesen
Gedichten geht: „…um mein Löcken wider die unselige Bipolarität in Sprache und
Denken, und in durch Sprache und Denken doch auch geformten Umwelt … und eben
die verquere Logik, die ausufernden Wortketten, und auch optisch die
Dreierstrophen als eine Möglichkeit, gegen diese binäre, bipolare Art des
Denkelns und Sprechens – aus der wir ja nicht herauskönnen … - anzugehen. Und
auch der Spaß daran, das widersinnige Lachen … ja, der Digitaldenker, der soll
ausgetrieben werden, diese Binärpulsare, Bösendorfer, Ja-Nein-Asketen usw. bis
weit hinter die Pointe.“ Oder Pinte?
Oweh, und mitten im
Digitalen, Janein sind wir im Pc (also doch hier/ wo wir uns gerade befinden?!)
und Internet und Mailmachen gelan dent, tut weht der Zeitstohl…Dr. dent. Nah,
versiuchs mal, zieh dir diesen Zahn: heute, nichts als nur noch Digitale,
Bildschirmstirnen… Das wärt doch einfach Kopfab!
.
Und gegen Oskars
„unselige Bipolarität“ ließe sich/ sogar zum so schön nachträglich Kommentieren
finden: ganz/ mit meiner Poetik der holografischen Mikrophysik / der
dreiwertigen Logik, ja/ Quantenlogik: Dann siehst du es doch endlich: Oskars
Poesie und Holografie ist Widerstand und unser Gut!
So also mir gesandt,
schon land.
So also bei mir
gesagt, schon lang:
„Moderne Literatur ist
undenkbar ohne radikales Sprachspiel, erwachsen aus radikaler Sprachskepsis;
heute weiß sie mehr denn je davon, dass sich der Baum wundern würde, wüsste er,
dass wir ihn "Baum" nennen; und doch glauben wir immer noch daran,
wir hätten in diesen vier Buchstaben etwas WIRKLICHES, und wir bilden uns etwas
darauf ein, wenn wir "Bewußtsein" oder gar "Gott" sagen.
Wittgenstein empfiehlt als Alternative Schweigen, Benjamin die unsichtbare,
aber spürbare "Aura" und den "Schock", Joyce die
"Epiphania"; und George Steiner meint - weit zurückgreifend - all
dies kulminiere in Arnold Schönbergs Oper "Moses und Aaron", dem
Aufschrei des Erweckerpatriarchen Moses: "Oh Wort, du Wort, das mir
fehlt." Das Fehlende also erst sage aus, was ist.
Ausgerechnet der
Stotterer (der Sprachbehinderte) Moses erhielt am Sinai von dem "Einen
Gott" die Tafeln, Mutationen des Namens (JHWH); ein Sinngeflecht, das wie
ein "Baum" angeordnet gewesen sein soll, die sogenannte schriftliche
Thora - oder die fünf Bücher Mose. SCHRIFT - aber das Sinai-Ereignis ist
unbeschreiblich, wie auch die deutsche Bibelübersetzung, genau wie jede andere
normale Übersetzung, nur eine Annäherung, eine sehr approximative Deutung sein
kann, da die hebräischen Worte zugleich auch Zahlen sind, also Ausdruck von
Proportionen, das riesige Sinngeflecht eines Gesamtzusammenhanges, das eine
Struktur ausdrückt, keine willkürliche, vom Geschehen abgetrennte Wort-Semantik
ist.
HIMMEL HERRGOTT.
VÖGEL. Ja. FRAU SPRACHE
Wie geht das? Aber ja:
Liebesakte täglich. klar und
wahr. Nicht im Lexikon
nur/ sondern im Himmel: wirklich./ Aufs gemeinsame Kommen: Musik: auf Ganz
klingt es nur!
Auf Gebot/ ein
Zehntes? Nackte Hochzeit fiebert,
arg geht die V ins Maß
der Augen/ des Voyeur. Was aber nur-sichtbar ist/ das ist es nicht.
Ist: Wahnsinniges
Stimmen Gewirr aber
von Floskel und
Bedeutung, löchert uns doch
die Schwester Sprach
Maschine.
Frau Sprache aber
zeigt ES mir/ Das Eine anders IST.
Ich fließ...
RAHMEN Weiße
Rahm der Greise
Mit Tonsur.
Russisch Puppen
Wie erinnert
Pup das Kind.
Die Zwei als Volk
Die Drei als Gott
Und unten Un-Eins das
Viel
Da wimmert es.
Das Bildverbot, ja,
Aussageverbot geht auf die Einsicht zurück, dass wir im Grunde nicht einmal
das, was sichtbar ist, geschweige denn das Unsichtbare im sichtbaren Augen-Bild
festlegen und aussagen können und dürfen. Wir machen uns ein Bild, schneiden
das Abgebildete aus dem großen Zusammenhang, trennen, isolieren, verfälschen
also. Ja, wir verlieren damit die Fähigkeit zum Offenen, also zu den
angesprochenen Mutationen des kosmischen Zusammenhanges, mit dem wir und alles,
was wir wissen, denken, benennen, auch ahnen können, zutiefst verbunden sind!
Wer nämlich benennt, teilt, verlässt das Eine, geht in einer
Innen-Außen-Beziehung ins Reich der Zwei über.
So beginnt auch die
Bibel mit der Zwei: Bereschith bara, Im Anfang schuf: B ist die Zwei. Doch so
gesehen, lässt sich Annäherung ans Eine, den "Sinn", und sei es in
einem einzelnen Grashalm, nur im Sinngeflecht selbst vollziehen, an das wir
über unsere Intuition "angeschlossen" sind. Aber diese "Gnade
Gottes" scheint auch in unserer Sprache, wenngleich in abgeschwächter Form
als SINN gespeichert zu sein. Mit dem flash des immer besseren Verstehens der
Zusammenhänge, des Ein-Leuchtens sind Glücksgefühle verbunden, die sich mit dem
Grad der Nähe zum Zentrum von Sinn ekstatisch verstärken. Das Sinnlose,
bruchstückhaft zusammenhanglose "Unten" aber schmerzt.
Jenes Glück der
Eins-Nähe empfand ich als „Anwesen“. Wir würden zwar da unten mit-fließen/ aber
besser oben/ wunderbar immer im Anwesen: nicht abwesend./ Das Quälende aber hat
uns/ die Störung Leben:
„Auch die Blaubeere,
auch das Blut der Fische,
auch der Lehm am Fluss
verwirrt die Vorschau
und löscht die Zeichen
im Plan.
Ebbe und Flut, des
Mondes Kommen und Gehen,
verwirrt, (…)
Das Sitzen wurde zur
Weltordnung erklärt;
(“Grenzstreifen“,
1968)
Vom Ekel damals, ging
auch Oskar aus.. sein, unser größtes Trauma, die Losung, nicht nur die
Zellenherrin Securitate… sie war das Pendant…
OP: Eigentlich alles/
poetologische Versuche, die den Sätzen entlaufen.
Des Geistes Kind/ das
Gegenstück und Innereien des Gegenfests Grammatopolis und Partein.
„Klumpatsch“ auch:
Avortus-Hieb/ Abgehn vom Befehlsstand und / Lust an Befehlsverweigerung:/
Fleischeslust,. Na schau./ Worttiefe Kost und Köstlichkeiten/ im Nicht-Wissen
Reichsein/ auch im Altersuntergang. Und grad im Warten auf das Ende.
„Neben der Kausalität
existiert also ein viel wichtigeres, umfassenderes Weltprinzip:
Gleichzeitigkeit und Sinn, auch Synchronizität und "sinnvoller
Zufall" genannt. Die alten Chinesen kannten schon, ähnlich wie heute die
Quantenlogik und die sogenannte Holistik, neben der Kausalität die Verbindung
der Dinge durch SINN (Tao). Und je näher wir diesem Zentrum des Einen im Tao
kommen, desto dichter wird das Geflecht von Einzel-Sinn auch im Ereignis.
Zufall z.B. ist nur der (noch) unerkannte Zusammenhang. Laotse, der Autor des
Buches vom Tao te King, nennt TAO auch das Nichts, weil es den Gegensatz zur
sinnlichen Wirklichkeit ausdrückt: "Dreißig Speichen umgeben eine Nabe:/
Auf dem Nichts daran beruht des Wagens Wirkung./ Man macht Schüsseln und Töpfe
zu Gefäßen: Auf dem Nichts darin beruht des Gefäßes Wirkung./ Man höhlt Türen
und Fenster aus an Zimmern,/ Auf dem Nichts darin beruht des Zimmers Wirkung./
Darum: das Etwas schafft Wirklichkeit,/ Das Nichts schafft Wirkung."
„Ich glaube, diese
Gebilde sind (vom Entstehen her gesehen) nichts anderes als hin und wieder zu
Papier gebrachte Strecken eines Sprachflusses, eines Kontinuums, dem
Organischen und Fließenden verwandt, also auch ohne feste Anfangs- und
Endpunkte. Wie sollte man so etwas betiteln.“ (OP, „Jalousien. Schnitzeljagd).
Die Hopi kennen keine
Substantive, nur Fließendes als Bezeichnung des Flusses Welt.
Der Sinn aber wird
durch die Sinne verdunkelt, ebenso durch den zerschneidenden Begriff, weil
diese nur Äußeres, nur das "Etwas", nicht aber das Nichts, die Leere
wahrnehmen können, die für das Wahrnehmen der nichtkausalen Weltformel jenseits
des reduktiven Ego-Verstandes viel wichtiger ist. “ (Aus: „Nachwort“ zu „Lauter
letzte Tage“, unveröff..)
In „Jalousien
aufgemacht“ gefundene eigene Gedichte: „An den Rand geschrieben“ -
Ich dacht´entgiftet
sei ich
niemals schuldig.
RANDPHÄNOMEN
AUFGEMACHT 90:
ist ein Üben mit dem Ü
als wär ich wieder
Kind / mit Ben und Hadschi Prost!
eşti Oma Ben./ Das
kluge Kleinhirn
von früher/
Gedächtnis. Und bald Zuhause in Alz Heim
wirst du gereimt Sein.
Damals noch gründig
gründlich gründet
Gründe den Grund/ ab
Buch dass Zufall
ein Kind ist.
Welches Ist
deine Farbe?/ Grün
grün grün
sind alle meine
Farben, und meines
ein Blatt, das
durchlässt.
Die Membrane als
Beweis.
Das ist der Innen
Reim, den ich auf
dein Verschickel mach.
Dazu die Außen Schale.
Und wir beide/ der
Tote und der Untote
Laufen/ durchs Grün
davon.
AUF DEM BEIBACKZETTEL
MIT FOTO:
WENN ICH ZU ENDE GEHE,
fort
Aus der Autobahn
Gefahren ist gut
das Wort staunt/
stapft sich aus
aber der Rand/ der
Unfall brachte
mich hinaus, das die
Entfernung wachse
aus der ich stamme,
mein Aus.
Hier aber bin ich
alt./ die Landschaft
bleibt Aliagno, meine
Fremde/ zu Haus
Und ich der ist, der
sitzt und redet,
fährt, im Augen Schein
erwachsen?
Nein! Ich bin doch gar
nicht, wenn ich
fahre, wer fährt, der
ist gefährlicher
zu Haus.
(Heute: Bewusster
Augenblick/ als ich die Treppe hinab/ ging wie jetzt im Leben:/ dachte: halt
den Augenblick/ an. Wenn er jetzt kommt/ ein Kreisel ist die Wiederkehr/ hab
ich’s getan/ Umkehr jener Treppenstufen; hinauf? Oder: wir leben so dahin,
stündlich, täglich…/ als hätten wir ewig Zeit… Und jetzt als Überlebender
weiter/ dieses so, als Oskar noch nicht tot war:
Sein Vater war mein
Zeichen Lehrer/ im Zeichen-Saal. Beachte das Doppel: )
FRAU UND MANN DIE
HALMENFRESSER, DIE HALMEN MESSER
Die Mitte, wo sie
wächst, das harte Gras,
ich kam, ich bin ihm
zu getan, tut weh
und glitscht wie
Meeres Grund, ein Drehen -
es saugt, wir sind
bewegt, dem andern zu.
Und Wahnsinn ohne Maß,
der Hals , der Kuss
an jedem Ende ist das
Gras, du hörst, es wächst
im Mund, hörst du, es
ist verkehrt,
ein Plus, ein Und ist
es/ das Kreuz.
Und er, S, 43
Petrarca, „… wahrscheinlich aus einem beliebigen Film, Bukarester Jahre): der
Junge, das Mädchen haben einen Grashalm im Mund (waagerecht), an dem sie kauen,
wetteifernd, wer zuerst schneller beim anderen, also in der Mitte (beim Kuss)
angelangt ist. Von beiden Seiten her auf eine Mitte zu. Und nun Kafkas entgegen
gesetzte Aussage: von der Mitte aus (auf der Vertikalen, die Schwenkung um 90
Grad!) nach beiden Seiten: das ist doch herrlich! Was entsteht, ist nämlich ein
Zeichen +.“ Also bleibt uns ein Und/ und ein KREUZ.
Halm, der Kuss, das
Weh
Im Gras
verkehrt
Doch wie schön ist die
Ruhe! Jetzt. Im Tod ist man/ in der Mitte angekommen:
Ich dacht´ entgiftet
zai ich
niemals schuldig
da war dies Weibstück
das mich ungeduldig
ans Stoff-Seil hing
und
auf, indem ich bin
der, der ich bin.
Viel mehr noch:
innerstes Fließen/ und
hab
das immer im Sinn.
EINGESTELLT VON DIETER
SCHLESAK UM 09:59
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SECURITATE. MEIN
ECKERMANN?
Wie sehr meine damaligen Gedichte als Widerstandsgedichte, also als „feindliche“
Objekte gesehen wurden, zeigen die Securitate- Unterlagen. Da werden meine
Gedichte kopiert und übersetzt, von der Securitate
kommentiert. Unsere Secu war also doch mein Eckermann. Einige dieser
Gedichte habe ich gar nicht mehr in
meinem Archiv, jetzt erst also, aus dem Secubestand tauchen sie wieder auf.
Herzlichen Dank:

MILDERNDE UMSTÄNDE IM PROZESS
ein riesiges Kollektiv von Toten Vergangenen
vernetzt das Außen:
Ämter Straßen Fluglinien Nachrichten
Systeme sogar das Netz der Banken wo die Masse
anrollt / und Menschen auf rotierendem Erdball
und meine Akte im Schrank
Polizeigewahrsam fürs Hirn und im Geschehen Befragung
Interesse kalt doch mit scharfer Kontur Securitate
tat weh / fahl der Tag / ein Zittern
Ausnahmezustand stob ins Bild das wir sahen.
Doch wehe meine Ewigkeit wird vernachlässigt
und ich werde gnadenlos jenem Summen übergeben
zur Ruhe im Patientenpark oder schreibend am Tisch
ganz allein ausgesetzt auf den Bergen einwärts
im Grünen zu frei.
Die Krankheit leben zu müssen
erreichte mich / erst im Westen
erbsündennah wie ein Totschlag
im Alleinsein wund und ganz da.
Securitate.
Betrug mit Macht oder Macht mit Betrug. Vorläufig im Essay Gedicht
1
Was nicht
sagbar ist unter der Sonne/was Macht bringt auch unter dem Mond
Und gegen alle Sterne/ die zerschellen würden/ aus ihrer Bahn geworfen
Wider die Natur von ihrem Sein abgewichen: der Begriff durfte die Lüge/ nicht fassen.
Das Gedicht aber braucht den Beweis nicht/ es ist wie ein Kind
Beweis.
Ihr aber ihr früheren Freunde (
hab ihr es in der Hölle gelernt?) ihr „arbeitet“ mit ihr
Nun groß geworden im Fernseh Licht/ Mit aufgerissenen Mäulern (Schweigen
wäre besser
gewesen … menschennah und geerdet), schreit ihr Erfindungen in eine/ nach glaubbarer Lüge
Gierende/ Welt.
Sie aber klatschen euch zu/ völlig verblendet. Beklatschen in stinkenden Sälen das Kunst
Licht.
In den Himmel gehoben, der leer ist ohne Gott : für euch ist er längst
gestorben/ zeigt ihr euc h schamlos als
Gottersatz vor/ dem Publikum ,
das euch braucht/ die selbstgemachten
Helden Puppen.
Ein X für ein U/ wenn Gefühle Zähne hätten wärt ihr längst tot / ihr
aber
Glaubt daran / Oh wenn ihr nur daran glauben müsstet, das laute Wort
Im Halse/ stecken geblieben /im
tieferen Sein wärt ihr aber gerettet.
Und sogar die Engel habt ihr zur Lüge bekehrt. Nicht wissend, was
wirklich geschehen war
In der Hölle / singen sie halbmündig ahnend / was sie da tun /verführt und
betrogen
Flüstern sie manchem Zuhörer zu:
Vorsicht, die Hölle färbt ab! Worüber ihr spracht.
In einer höllischen Zeit habt ihr
die größten Chancen /Chancen wie noch Nie / das wisst ihr, das nützt ihr
Aus/ steigend auf immer höheren Trampolinen, die man euch baut und baut und
baut
Bis ihr den falschen Himmel erreicht. Sag, Herr der Welt, wann fallen
sie herab und zurück
In die Hölle? Nie? Sie arbeiten
doch damit/ glaubst du sie sind blöde/ Dialektiker von Beruf
Sie haben es dort gelernt/arbeiten sie doch genau mit ihrem Fall: der vorgespielten Hölle
Wie sollen sie dann fallen, mein Freund?
2
Irre ich mich/habt ihr Nichts getan/ nur euer Machtwissen eingesetzt
Intelligent wie der Teufel/ sprühend, genial sag ich/ Aber. Aber sage
ich/ wir alle
Die durch die Hölle gingen/ haben ein vollklingendes Instrument/ gereift
In schmerzender Enttäuschung/ mächtig klingend einsetzbar/ für Wahrheit
oderLüge.
Die Zuhörer sind/ naiv und offen. Sie wollen das Lied vom Schmerz und
vom Standhalten hören.
Wie leicht ist es doch
Leichtgläubige zu betrügen /und größer als groß zu werden durch sie.
Größer als groß über Leichen zu gehen/ auf ihnen steigt man doch gut,
höher und höher hinauf.
Geht das gut und ewig/ wenn man mal oben ist/kann man nicht fallen? Wer
merkt es
Heute schon, dass Lügen doch sonst kurze Beine haben? Aber keiner will
es wissen wenn alle jubeln.
Wer stört/ der ist doch der Betrüger/ er bringt die Leute um ihr
Buchglück/ das sichtbar geworden War.
Wieder Helden zu haben. Echte, die wirklich gelitten und im Kampf nicht
gefallen
Aufgestanden immer wieder mit lauter leicht erzählten Geschichten
Helden gibt’s doch heute so selten/ lass sie uns doch/ wir möchten sie
nah ganz nahe haben.
So nah fassbar und lesbarer noch mit wirklichen Märchen. Lass sie uns
doch: verschwinde!
Vom Neid/ nicht von des Gedankens Blässe/ angekränkelt: grün und gelb
bist du auch im Vers?
Grünzahn, du, sagt einer / er muss es ja
wissen/ er kennt doch die Leiter zum Aufstieg zu gut!
Sie wollen nun auch mich als Leiche haben, höher zu steigen, aber wohin
noch? Ach, Heilig
Gesprochen zu werden/ heilig, heilig/ die nächste Lesereise geht zum
Papst.
Sich anpassen nun/ wie früher an den Zauber der Ideen: damals
Im guten Grund der Securitate.
Aber was wärt ihr, Freunde/ heute:
ohne SIE?
Ihr wärt wie vor ihr ein Nichts und ein Niemand vom Rande.
3
Ich sage jetzt alles/ was sonst/ doch aus Takt/ aus geklammert werden
muss.
Was unsagbar ist. Unsäglich bleibt. Und Wirklichkeit wurde.
Habe ich alles falsch gemacht? So ohne kurze Beine und Connection.
Mit der Wahrheit auf dem Papier/
geduldig. Die kurzen Beine
Gekappt und so auf dem Bauch/ gelandet: auf einem einsamen
Papier Berg in dieser Zeit der Macht als Betrug/ und dem Betrug als
Macht?
Oh, Freunde ich bewundere euch: die
Poetik des Marktes Mal war es die
der Securitate. Der Trommler geht um/ die Ware lacht und glitzert
schwarz
begehrlicher Blick in die Hölle. Freunde, das zahlt sich/ ehrlich nun/
AUS.
ZU MEINER LYRIK
Eigene Deutungen
DER SPRACHBAUM, DER HIER STEHT
Die
Welt ist ein Sprachbaum der Information, ein Buch; darin zu lesen, bis in den
Aufbau der Genen und Chromosomen, gelingt. Doch je genauer es entziffert ist,
umso näher dem Verschwinden befinden wir uns mit der schönen bunten Lichtwelt.
Der dichteste Ort der Welt ist der
Kopf, der sie vernichtet, Spiegel des "Schöpfers", der nun zur
Erschöpfung führt, eine Art neuer Sündenfall; wir kennen den ersten Fall am
Baum der Erkenntnis im menschheitlichen Kindheitsparadies Eden. Es scheint sich
zu erweisen, dass jene schönen alten Legenden lauter große Modelle sind, für
deren Gültigkeit wir jetzt mit unserem eignen Leben einstehn müssen.
Tod war schon in jener alten
Bibellegende Folge des Essens vom Baum der Erkenntnis; das Abreißen der Frucht,
- es war ein Eingriff, eine Störung. Heute ist dieser Eingriff in die Natur
eine große Störung, ja, Zerstörung geworden.
("Fels nach dem Ende. Kein/
Fließen mehr. Nach/dem Fall/ Jahrtausendespät/ versteinert das Hirn //
Erschüttert/ aus dem Mund/ kein Gott, Gebrochenes/ Hier." Hebräischer
Block).
Alles
ist noch da und doch wie längst vergangen. Und nur noch die Sprache, letzter
Widerschein eines möglichen Glückszustandes, leuchtet uns heim, macht die
Abwesenheit schmerzlich bewußt und führt doch Unmögliches wieder zusammen, bis
hin zum Totengespräch mit den Millionen Opfern dieses höllischen Laufes zum
Ende falscher Erkenntnis. Aber wie dem gerecht werden? Den Grund des
Hebräischen ins Deutsche zu bringen, gehört dazu. Er führt über die Grenze
unserer Vorstellung hinaus. Darauf verweist auch der Titel dieses Buches:
AUFBÄUMEN. Dieses "Aufbäumen" geht von einer figura etymologica aus, dass
der "Baum sich auf-bäumt". Darin überschneiden sich mehrere
Sinnebnen. Sich auflehnen; dann das Bild der verbrannten Toten auf einem Rost, Leiber,
die sich im Feuer krümmen. Dann das Paradiessymbol Baum und der Sprachbaum der
jüdischen Kabbala. Und schließlich, die Vorstellung, dass nach der kommenden
Katastrophe der Mensch wieder als posthistorischer Affe auf den Bäumen leben
wird.
Dieser Sprachbaum, dieser
Informationsbaum des Alls, von jener unsere Vorstellung überschreitenden
Intelligenz, die man mit einer Metapher "Gott" nannte, eingesetzt,
damit ein Mensch, ein Tier, ein Stein, ein Stern, ein Haus oder ein Fluß sein
kann, in seiner spezifischen Form so ist, wie wir ihn sehn und kennen, wird
nicht mathematisch, sondern poetisch oder "poietisch" (alte Lehre vom
Bau und der Struktur) in der Genesis entfaltet. Ihre geniale Proportionslehre
(im Hebräischen) freilich läßt sich nicht in unsere Neusprachen übertragen,
denn in jener Vor-Babel-Sprache liegt hinter dem Namenssinn noch der Zahlsinn,
da jeder Buchstabe gleichzeitig Zahl ist, und so ein hintergründiges
Bezugsgeflecht entsteht, das im Satz oft mehr aussagt, als die Erzählung, die
naiven Geschichten also von Adam und Eva, oder von Noah und der Sintflut oder
von Kain und Abel. Wir tun es und wir gehn damit um seit Kindertagen und wissen
es nicht. Die Katastrophe der heutigen Welt hat damit zu tun. Aber auch damit, dass
Zahl und Name, technisches Wissen einerseits und andererseits davon wissend ihm
zutiefst ent-sprechen können, auf tödliche Weise getrennt sind. Und
offensichtlich widersprechen die hergebrachten Denkweisen und Vorstellungen,
Normen des Verhaltens und der gesellschaftlichen Organisation in geradezu
gefährlicher Weise jenen mathematischen Wissensvoraussetzungen, die genau diese
Lebenspraxis hervorgebracht haben und sie täglich ermöglichen. Wir alle gehen
täglich mit den elektronischen Haustieren, wie Radio, Fernseher, Computer um,
die die Zeit- und Raum überschreitenden Tiefendimensionen in unseren Alltag
holen. Doch diesem Eingriff in die Natur durch die Technik ist das Bewußtsein
und die Moral entzogen. Und auch eine Lebens- und Denkpraxis, die auf einer
Ebne jenseits der Körperwelt funktionieren könnte.
Es paßt zu den Absurditäten des
Okzidents, dass er mit einem ungeheuer wichtigen Teil seiner Kultur so umgeht,
wie er mit dem meisten umgeht, was nicht in sein rationalistisches Konzept
paßt: verdrängend, ausklammernd, hassend. So auch mit dem Hebräischen, dem
Jüdischen und dessen gesamtem Kosmos, wo Zahl und Name, Tun und Transzendenz
noch zusammengehört hatten.
"ER starb. Wir zerschossen die
Tafeln. Das Tetragramm mit der/ Fünf mit der Zehn. Und es knallt so dröhnend
lautlos/ in den Ohren der Schrift./ Kugelvokale, Konsonanten zischen, bellen an
die Wand.../ Und Einer, der schreibt, zersplittert, zerschossen,
verbrannt." (Schrift an der Schwarzen Wand.)
Der hebräische Sprach-Baum der
Kabbala ist das Modell für die Struktur dieses Bandes, er ist aber verkehrt
gedacht: mit seinen zehn Ästen von der Zehn bis zur wortlosen, nicht
ausdrückbaren Eins ist er auf den Kopf gestellt, geht von der 10 zurück zur 1
und zur Null, wie beim Countdown: "Null, 10, 9, 8, 7, 6, 5, 4, 3, 2,
1...Null./ VOLLE LADUNG, die Welt/ ein Tumor an der Schläfe./ Schreib/
ab." (Sphärenklang). Anstatt Schöpfung - die Erschöpfung der Welt. So gehn
auch die Kapitel, die einem PROLOG NACH DEM ENDE folgen, zurück von der Zehn
zur Eins. Und das Prinzip des Rückwärtsgehens und vom Ende her Lesens wird auch
in einzelnen Gedichten angewendet. Ab der Mitte des Bandes ist auch das
Rückwärtslesen so angelegt, dass die zwei Zeitbewegungen, eine in die Zukunft,
die andere zurück in die Vergangenheit gehen. Die beiden Bewegungen werden wie
die innere Zeichnung einer Sanduhr zu Versen.
Die zehn Kapitel haben wie die Äste
oder Sphären des kabbalistischen Sprachbaums eine Beziehung zur Bedeutung der
ersten zehn Zahlen und Buchstaben. So zum Beispiel I, das letzte Kapitel, das
den Bogen zum PROLOG NACH DEM ENDE schlägt, und NICHTS STOCKT. NULL. DER CHOCK
heißt; es ist nach der unaussprechbaren, undenkbaren Eins (denn ausgesprochen
wäre es schon Zwei) und nach dem ersten hebräischen Buchstaben Aleph, der nicht
geschrieben werden darf, eigentlich zum Schweigen verdammt. ("Entworfen
der Baum, der in die Zeile wächst. 'Esset nicht davon, rührts nicht an`/ - :2:
bereschith bara -, `dass ihr nicht sterbet`. Was/ In dieser Sprache uns fehlt,
gehört/ in unsere Spaltung..." Optik der Erkenntnis.) Die SCHRIFT, auch
die heilige, beginnt mit dem Geteilten, der Zwei, mit B, dem Beth:
"Bereshith bara" (Im Anfang schuf", aber eigentlich im Kopf
schuf) denn Resch heißt Haupt, "reschith" Hauptsache KOPF. Das II.
Kapitel ist ihm gewidmet: HAUPT SACHE LICHTPUNKT DER ÖFFNET. Die 20: Kaph, ist
die schaffende Hand. Gott hat ja die Welt aus der schwingenden Information der
"Sprache," aus den 22 hebräischen Buchstaben und Zahlen ( Sephira=
Zahl, Kräften, Sphären) erschaffen, und Kabbala heißt "Macht der 22"
(Kaph=20, Beth= 2, La ist das Wort für Macht.)
Die sieben Schöpfungstage hängen
ebenfalls mit der Tiefenstruktur der ersten 7 Zahlen und Buchstaben zusammen.
Die ersten sieben Kapitel (10-4) von AUFBÄUMEN haben deshalb eine
Querverbindung zu den sieben Wochentagen und ihren Bedeutungen. Doch sie
beginnen erst mit dem vierten Kapitel. Denn Kapitel III-I sind der sogenannte
Urraum (Zimzum), der "achte Tag", jenseits von Zeit und Geschichte,
doch zugleich in ihnen verwoben: I Null, II Lichtpunkt, III Grenze oder das
Hinabgehen in Klang und Form: Dieses Hinabgehen ins Materielle ist sehr nah an
den Modellen der heutigen Informationstheorie: Erst die Erscheinungsform im
Kopf als Wissen des "Lichtpunktes" als Nulldimensionalität des Reshith
(allerdings immer noch als berührbare Unendlichkeit) ermöglicht es dem Urlicht
der Eins (En-Sof im Hebräischen) hier in der menschlichen Welt überhaupt zu
erscheinen. Dieser Punkt aber braucht Laut und Klang, die Begrenzung, Umhüllung
des Unmeßbaren, Verstofflichung des Gedächtnisses, das nicht von dieser Welt
ist (Wissen im Samen, in den Genen, Chromosomen, dem Atom), Mater Materia ist
ja Geist, der nicht als Geist erscheint,aber er braucht die Form, die Grenze,
um sich verkörpern zu können. BINA, der dritte Ast (oder die 3. Sphäre) die Ur-
Mutter ermöglicht es.
Wir sahen, der Ausgangspunkt von
AUFBÄUMEN ist das Essen vom Baum der Erkenntnis mit allen Folgen. Es gibt dazu
eine schöne altjüdische Legende: als Gott sich in Adam verkörpern wollte, dem
Ebenbild, gab es ein großes Geschrei im Himmel, weil Er Adam mit den eignen
göttlichen Kräften und Möglichkeiten ausstatten wollte. Da erbot sich die
Schechina ( die mystische Rose), diese Ur-Mutter, mit hinabzugehen und als
"Einwohnung Gottes in der Welt" den Mißbrauch der Erkenntnis und
damit ein kosmisches Unglück zu verhindern. Es scheint nicht gelungen zu sein.
Der Strahl, der über sie die 7 Tage (oder Stufen) der Erscheinungswelt als
kosmischen Bau bildet, war zu stark, diese Schwingungskonfigurationen brachen vor
allem im Licht der Augen die "Gefässe", (das Auge bricht.
Lichtbrechung, feste Welt!) der Strom von oben nach unten wurde unterbrochen.
Dazu kommt, dass Adam, der Mensch,
das Strömen im "Fall" nochmals unterbrach, das Außen, den
Augenschein, die Frucht vom Baum trennte, und so der Tod auf die Welt kam, denn
der abgerissene Körper stirbt ja "tat-sächlich"; Formen sterben, die
Information des Samens, der sie weiß, aber bleibt im Immateriellen erhalten!
("Niemand, der es weiß wie Gott: `Iß (ACHOL), so/ wird dein Auge
aufgetan,`/ die Netzhaut/ `Ein Ewigkeitszeichen`." Optik der Erkenntnis).
Essen, "Essen" der Sinne, Aneignung der Welt heißt im Hebräischen
"Achol"; es verbindet A, die Eins, mit Chol, dem Vielen, dem
spezifischen Schwingungsklang der in jedem Ding als Eigenart vibriert. Liebe
ist die Verbindung der fünf Sinne auf höherer Ebne der Berührung. A-Chol. Das
Zerreißen, die Spaltung ist die Hölle. Das Sichtbare, so vom Einen getrennt,
ist seither einem furchtbaren Ungenügen, ist den zerstörerischen Gewalten, die
Macht über den Körper haben, wehrlos ausgeliefert. Heute ist dies als Riß in
uns und in der Welt und als Schmerz zu spüren, auch die Not-Wende: Denn noch
nie war diese größte humane Aufgabe, das Ganze wieder herzustellen, die
abgerissene Verbindung wieder aufzunehmen, so lebensnotwendig und dringlich,
und dies nicht nur für die menschliche Welt, wie gerade heute. Denn jenes
Falsche, jener Makel, eine Wunde, die im Menschen am hörbarsten tickt, ist
nicht nur in einem, für viele unerklärlichen Leidensdruck spürbar, sondern auch
in der Falschheit des klassischen Erkenntnisansatzes: letzlich hält uns die
Natur den Spiegel unserer eignen Mittel und Instrumente vor, so z.B, formuliert
in Heisenbergs "Unschärferelationen," die die Berechnung einer zeitbedingten
kognitiven Unfähigkeit sind ( "...Und was wir fassen können, Unkenntnis/
Sprachgewimmel,/ geht Jetzt als Rechnung auf. Licht,/ das diese beiden Welten
trennt/ zusammenhält, strahlt/ Aus." Optik der Erkenntnis). Erstaunlich
ist, dass sich in der Quantentheorie unser Fehlverhalten sogar berechnen läßt
durch die auf den Beobachter bezogene Wahrscheinlichkeit und die damit
verbundene "unvollständige Kenntnis eines Systems". Das besagt die
Formel. Der Physikerphilosoph C.F. von Weizsäcker schreibt sogar "Vielheit
ist letztlich nicht wahr. Der Begriff eines isolierten Objekts ist...nur eine
Annäherung, und eine schlechte. Mathematisch gesprochen enthält der Hilbertraum
eines zusammengesetzten Objekts nur eine Menge vom Maße Null von Zuständen, in
denen eine bestimmte Zerlegung dieses Objekts in Teile real ist.... Fakten sind
irreversibel, aber Irreversibilität in einem isolierten Objekt bedeutet nur
mangelnde Kenntnis der Kohärenz (der `Phasenbeziehungen`) der Wirklichkeit...
Objekte (sind) nur Objekte
für
endliche Subjekte (d.h. für Subjekte, denen gewisses mögliches Wissen
fehlt." Aber diese Falschheit und Störung des Ganzen durch
unkontrollierbare Eingriffe ist für die gesamte Natur und für die menschliche
Gattung insgesamt gefährlich geworden, sie äußert sich ökologisch, atomar und
in zunehmendem Maße auch im biologischen Informationssystem als Krebs, als Aids
und als Neurose und Geisteskrankheit.
Aber
ist das Falsche nicht schon im Ansatz des Humanums da, das Auf-Tauchen in der
Körperexistenz, somit: Ausgewiesensein, also Hiersein. Die Ur-SCHRIFT,
Information und Gottes-Wissen also, die die Welt baut, war der Bibel nach
ursprünglich mit schwarzen Feuerbuchstaben auf weisses Feuer geschrieben (
Atomfeuer, Kern und Schalen?). Innerste Formung, die wirklich werden sollte.
Zwei Eingrabungen: Herzschrift und Mündlichkeit, sie waren aber noch nicht
sinnlich wahrnehmbar, nur als Gedankenanreger da. Das weiße Licht war die
SCHRIFT. Der Baum des Lebens. Das Mündliche und nach ihm Verkehrte, das davon
Abgespaltene, Gedeutete und menschlich Geschriebene hieß Baum der Erkenntnis,
die schwarze Schrift; es waren die Begrenzungen und die Gesetzesmacht, auch die
Naturgesetze und die Mächte der Zeit, also des Todes. (Zeitstrafen,
Paragraphen, Folter, Todesurteile gehören dazu.) Moses gelang es auf dem Sinai
zum weißen Licht, zu den verborgenen Tafeln der zehn Ur-Worte (der Sphären I-X)
vorzudringen. ( Der deutsche Vers in AUFBÄUMEN empfindet es heute wie eine
Satire: "Mit dem Zungenspitz zur Tafel/ weder Zehn noch schwarzer Stein./
Griffel Staub und etwas leichter./ Besser ist die Eins gelacht/ ganz und gar
noch ungedacht/ brennt dir schon der Fingersatz - Spiel nur spiel mein
Wortschatz weiter/ in der Wüste Himmelsleiter." Sinai.) Alles, was
aufgeschrieben werden kann, mit Tinte auf Papier, auch in der Genesis oder der
hebräischen Thora, ist nichts als Deutung, ja, nur halbwegs Wahrheit, gar
Fälschung. Im besten Fall Metapher und Gleichnis, der Rest aber ist Schweigen.
Im kleinen Blitz der Intuition und Ekstase Nichts als ein Schimmer. Aber auch
dies ist höchst aktuell. Nicht einmal die so einfachen mikrophysikalischen
Vorgänge, die in unserem Bildverständnis mal als "Teilchen" , mal als
"Welle" im Vor-Schein und "eingedeutscht" da sind, lassen
sich einfangen, sie sind wie Träume, die am Morgen aus dem Wachzustand
verschwinden; als wären sie noch unberührt von der Erbsünde des Augenscheins,
dem sogar die Buchstaben der Genesis ausgesetzt waren, wie die Kabbala meint.
Ihr grobmaterieller Charakter sei eine Folge des Falls. Ebenso wie Adams
Lichtgestalt eine materielle Haut bekam und die Erde nicht mehr durchsichtig
war wie vor dem Fall. Der Himmel war dichtgemacht. So wie das Chaos der
Augenblicke Jetzt, sei auch die Buchstabenkombination der niedergeschriebenen
Genesis noch verkehrt, erst beim Ende der Welt werde sie lesbar sein. Ein
Spiegel des Sünden-Falls in der Wirklichkeit, so erscheint zwangsläufig alles
gespalten und vermischt in Lüge, Wahrheit, Gut, Böse, also paradox und absurd,
Sprachprozess dessen, der ist und schon nicht mehr ist: der Abwesende. Aber
auch ein paradoxes Problemhandeln im Möglichen leuchtet auf.
Neben der mathematischen Formel und
der Musik ist das Gedicht die einzige Möglichkeit der herrschenden gefährlichen
Hohlform des Wirklichkeitswahns und seinen Täuschungsmanövern und sozialen
Manipulationen durch Hinabtauchen in die Tiefendimensionen zwischen den Zeilen
zu entgehen, und zugleich zum Angriff überzugehen: so dem historischen Erbe,
dem fassbaren Nichts zu ent-sprechen, - selbst eine dichte Sonde im Freilegen
des Absurden, wie beim Unfasslichen einer Todesnachricht, an dieses anzulegen.
Und entlarvt z.B. im Blitz der Erkenntnis, dass Differenz nur gedacht, in
Wahrheit aber Alles-Eins ist. ( "Von Schönberg vertont: Es ist
Alles-Eins." Sphärenklang.) Das Undenkbare des Todes, der Schlag einer
Todesnachricht, sind dafür Zeuge. Sie lassen nun auch historische, ontologische
und alle Kategorien der Logik oder der Zeit, Raum und Sprache hinter sich.
Heute als Möglichkeit kollektiver Auslöschung, wo jeden Augenblick auch das
Gedächtnis und die Toten auf der Erde noch einmal sterben können, ist der
Gedanke des Todes ein apokalyptisch Allgemeines, in seiner Tabula rasa noch
furchtbarer als früher; "Null, 10/9,8,7,6,5,4,3,2,1.../Null. VOLLE LADUNG,
die Welt..." Damit ist freilich Kunst lächerlich, jenes Nichtsein kann
nicht mehr an etwas Bestehendem, gar am Schönen gemessen werden, Nein, jeder
Satz wird durch sich selbst dementiert. "Streich Wolken Himmel/ Blau Meer:
immer noch da/ das Bild mit der fliegenden/ Feder hier durch: Viel Rauch/
anstatt Geruch wie schön/ die Wolken einst zogen im Hirn:/ Streich durch was
Himmel war/ gebrochen und wir. /Darüber die Erde tief;/ der vergangenen Zeit/
entsprochen." Fragmente für das Gewesene Kommen.)
Jeder Poet ist wie der Wissenschaftler an das
Noch-Nicht- Gewußte, den alles bedingenden apriorischen Grund (das Eine) durch
seinen Einfall gebunden, keine überholte Spezies, nein, er taucht dort ein und
holt ein unbekanntes Lebewesen vom Grund ans Licht. Es wurden formale Findungen
und Erfindungen, auch Schnitte traditioneller Strukturen (Sonett, Madrigal,
Akrostichon, Terzine, Rondell, Psalm, aber auch Innenreim, Anakoluth,
Inversion, Paranomasie etc.etc.) zur Herstellung der "Worthöfe" und
für die Differenzen mit dem Nichtsagbaren eingesetzt. Angestrebt wird ein Gedicht über das Gedicht und die
Literatur hinaus; die Sprache, der Satz, die Syntax der Versbewegung werden
gebrochen, als metonymischer Schreibprozess soll die "Wirklichkeit"
und unser kausal funktionierendes Bewußtsein umgekehrt werden wie ein
Handschuh, dass er so im Zwischenraum zwischen 1 und 0 mehr ausdrückt, als wir
wissen, wir meinen, den Verstand zu verlieren. Manchmal (vor allem im VII.
Kapitel) ist es ein Gespräch mit den Toten, die auf einer Ebne mit mehr Bezügen
leben, es wird so möglich, sich jenem Glück zu nähern, das wir schon hier
empfinden können, wenn das Netz der Zusammenhänge dicht ist und reich, schon im
Undenkbarbaren an der Grenze unserer Vorstellung, ziemlich nahe in der Reihe
des Zählbaren mit der Eins und dem Einen, nicht mehr getrennt und gespalten,
sondern heimgekehrt. "Die Leute gingen /in seine Verse hinein/ wie in
einen Gasthof, um vor dem plätschernden Regen /der Sekunden sicher zu
sein." (Geistergespräch. Milton). Auch wir freilich wissen genau so wenig
wie die Spinne, wie wir unser Netz weben, das dauernd zerreißt, und wir
Schmerzen empfinden, weil wir im Zerrissenen leben müssen. Und im Zweifel, dass
es doch nur ein Surrogat ist:"Unsichtbar schmerzt ein Papierkind."
Und: "Aufs Blatt geworfen, solange die Stunde/ hält,// ein Hof,
sonst/stürzt du atemlos/ hinab.//*/Zurück, zurück. Die Spindel Spur:/ der Zorn
nach vorn, nur was dazwischen/ sinnt, kommt noch im Himmel vor."
(Schatten, ein Blatt).
Wäre
eine Herausführung und Engführung durch WORTHÖFE und Sprach- BERÜHRUNG in
"Zustandsräumen" möglich? Das Unversöhnliche zwischen Unsagbarem und
Sagbaren, dem Noch-Nicht, uns und der andern Ebne, den getöteten Möglichkeiten
und dem Vergangenen zu heilen? Aber Berührung wird ja erst möglich in Zuständen
zwischen Leben und Tod, in Sphären von denen wir durch den Körper getrennt
sind. Und diese Art zu denken ist tabuisiert, mit Vergessen auch in uns
geschlagen. Muß der Verdrängung des Unvorstellbaren auf allen Ebnen mit
INVERSIONEN geantwortet werden, wie es Paul Celan versucht hat, ebenfalls mit
Para- und Hypotaxen? Freilich, man müßte selbst vom Blitz getroffen sein, um zu
"wissen". Und der Zweifel ist quälend, ob es nicht nur Annäherungen
am Blindenstock der Feder sind! Es ist aber so, dass viele von uns selbst
täglich mit innerem Druck den Todeszustand fühlen. Günter Kunert sprach von
einem "neuen Leiden", die wirklich neu seien: "dass der Tod,
eine ART Tod, mehr eigne Realität besitze als das sogenannte Leben... Sich des
Abgetötetwerden oder Abgetötetseions bewußt werden, löst das Schreien
aus..." Die Metapher ist ein vielleicht antiquiertes Sprungbrett dahin zu
kommen, wo wir uns jetzt befinden, hinüberzukommen in den historischen
Nullnereich, wo womöglich eine Tür wartet. Aber auch die gescheiterten Versuche
entsprechen genau dem radikalen Nachher in dem wir leben, als Gespenster der
Geschichte. Dieses Desaster ist aber nicht alltäglich bewußt, der Todeszustand
ist fast schon zur Gewohnheit geworden. Aber in bestimmten Augenblicken ist es
wie ein Stich: dass alles vergangen ist und wir doch noch da sind. Auch gibt es
da keine "Einfühlung" mehr in Kind und Kegel etwa, in einen Baum, in
eine Blume. Es gibt sie ja nicht mehr. Es gibt nur noch Namen dafür. Sie selbst
aber sind deutlich am Verschwinden, und wir halten davon nur ein wenig
Erinnerung fest, deren falsche Zusammenhänge so etwas wie Wirklichkeit
suggerieren. Die erinnerte Welt selbst aber gibt es, nun schon fast
augenfällig, nicht mehr. Ein altes Haus, einen gesunden Menschen, einen Fluß,
in dem noch Fische oder Pflanzen leben können. Zeit ist passé, nicht mal
einmal, geschweige denn zweimal kann man im gleichen Fluß baden. Wer könnte da
noch seinen Augen trauen! Zum Beispiel einem blauen Meer.
Und - weiß der Baum, dass ich ihn
"Baum" nenne? Ich weiß es, dass er es nicht weiß. Aber etwas weiß in
mir, was er ist. Kann er, der heute kranke Baum, durch das Licht des
Bewußtseins erlöst werden? Arme Paradiesische Vorstellung. Nein! Doch genau
damit beginnt dieses Buch: Mit einem PROLOG NACH DEM ENDE. Und: "...Kein
Hals/ mehr für oben: der Galgen ist/ eine Feder." (Es ist). Ist der Autor
also ein unverbesserlicher Pessimist? Nein. Das
VII.Kapitel spricht (analog zur 7. Potenz, dem siebenten "Ast" oder
"Sefiroth" des Sprachbaumes) vom TOD, DER LEBEN KANN , aber
gleichzeitig von der Geduld, mit der auf das Unmögliche gewartet werden muß:
"EIN LETZTES MAL du weißt/ es gut/ wohnt keiner mehr/ und dauerhaft zu
Haus.// Die Grenze höher/ weigernd/ steht." (Für Borchardt). Es ist eine Absenz, die das Schreiben bis
hin in die Satzfügungen, bestimmt, aber es ist durch den Abschied vom festen
Boden wissender und reifer geworden. Nur aus der Erinnerung wird scharf
geschossen: "Vor dem offnen Fenster ein Fluß, das andere Ufer/ vom
Wachturm, dem Gleichnis besetzt."// In somma, den Stuhl vor die Türe/
gesetzt, ist ein Leben." (Schatten, ein Blatt). Auch der geographische
Weltwechsel, die Heimwehkrankheit, die Sehnsucht nach einem bestimmten Ort, ist
vom Ende überholt, nur noch ein Zeichen für einen anderen, von ihm selbst
verdeckter Widerschein eines fernen Lichts. Dessen Ort zeigt sich mit dem
eignen Altern und dem der Welt, die sich schon an einer Grenze bewegt.
"Zwischen den Stühlen der Generationen/ sitz Ich. Auf dem Tisch der Sprung
im Glas, hinüber ist das Herz gekommen, ein Riß." (Schatten, ein Blatt).
Von oben, vom III. Kapitel an (DIE GRENZE
BERÜHRT) und vom X. Kapitel an, von "unten", dem JETZT (WER IST NOCH
AUSGEWIESEN) kommen die zwei gegenläufigen Zeitbewegungen des Exils. "Über
die Grenze kam er/ nie hinweg, er// fremd an zu Hause." Und:
"...Hinter seinem Rücken vorbeijagen, die Ewigkeit/ erreicht auf die
Schnelle?" (Chronokratie). Aber jeden Augenblick ist der Einbruch des
Unvorstellbaren möglich.
Der Riß und die Chance, Verleugnung
der eignen inneren Wahrheit, zugleich der Aufstand dagegen, zeigt sich in der
Geschlechtsliebe, der schaurigen Tiefe der Sexualität und Partnerschaft, dem
eigentlichen Krieg heute. Das IX. Kapitel heißt: DAS LUSTSYMBOL, DER RISS. Denn
in der Liebe kann nicht nur das Zufügen, sondern auch das Zusammenfügen, für
Augenblicke also das unterbrochene Strömen wieder gelebt werden. "Und
Sesam offen/ haargenau/ Die Springflut.// Die Seile angespannt/ Kommt ihr
hinüber..."(Kühl gestern Nacht). Vom sechsten zum siebenten Tag (vom IX.
zum X. "Ast" des Sprachbaumes), klingt der "Hieros Gamos"
immer noch an, als wäre die Spaltung aufgehoben: TOR EINER SINNENROSE. Und ist
doch Betrug: "Wo bist du, Liebste, wortlos Sprachschatz/ der Gefühle...
Weißt du das Falsche/ Wo es stimmt?" (Jahre vermessen). Qual der Sinne,
durch die der Same weiter will, Vereinigung vortäuscht, mißbraucht eine Frucht,
bevor der Prozeß überhaupt beginnen konnte. "...die Liebe federleicht
fliegt fort,/ die Uhren haben die Genauigkeit/ des Todes".( Augentier.) "Die
Hora mortis war ein Trick,/ damit sich keiner aufzubäumen traut."
Aufbäumen wenigstens im Wort? Das
VIII. Kapitel heißt: SPRACHE, DIE BRÜCKE. ("Wie hast du mich gequält/
langjährige Liebe/ Zeile.) Der Sprach- der Lebensbaum verbindet genau wie der
Liebesakt (es IST ein Liebesakt, die Zusammenführung der Sphären X und VI )
Himmel und Erde, ist Form des Wissens hier. Doch seine Imitation im Buch bringt
höllische Zweifel und den quälenden Lebensverlust mit sich: "...Als ein
Leben wächst.// Hier löscht es meinen Namen aus,/ liest mich auf, wird zu
einem/ Fall im Nichts- und im Niemandsland,// die Wunde anstatt ein Haus."
( Du, Vers.) Und auch sonst ist Sprache, das Mündliche "draußen/ in der
Rede ein böser Tag." (Schlimme Nacht).
Über Kapitel VII: TOD, DER LEBEN
KANN, dass trotzdem oder gerade wegen der erlebten Absurdität, die Hoffnung auf
das für unseren Verstand Unmögliche ist, habe ich schon gesprochen. Und dass
mit dem Absurden gearbeitet werden muß: dieses Annehmen des Absurden als
Zeichen gehört zum AUFBÄUMEN, ist sogar einer Totale des Widerstandes. Gemeint
ist, dass die Zerrissenheit jenes hier spiegelt, was bis zum Wahnsinn das
Fehlende, die Wunde ist.
Kapitel VI handelt vom Vergangenen, das nicht
vergehen will, um uns ist lauter Gewesenes in Raum und Zeit. (Die Schwere der
unbeantworteten Erinnerung. Dann die Uneingelösten Zeichen der Kindheit. Das,
was jedem einmal schien, wo aber noch niemand war, Heimat. So sagte es einmal
Ernst Bloch.) Doch es wird in jedem Augenblick übergangen, jeder Augenbliick
ist noch nie dagewesen, neu. Das Unwahrscheinlichste kann jeden Moment
eintreten. So wie der Lichtblitz auf dem Sinai. Dieses Plötzliche, die mögliche
Öffnung korrespondiert mit der I. Sphäre. Und mit der VII. Wenn man schon gar
nicht mehr daran glaubt, in der Hölle des Transzendenzverlustes, im Schmerz, im
Inferno lebt, ist die Rettung ganz unerwartet da.
Als wäre die V. Stufe, ( dazu das
Kapitel V: SCHRIFT AN DER FESTEN SCHWARZEN WAND) - die Vernichtung dessen, was
uns unmittelbar umgibt, die Blutspur der Geschichte, das aktuelle
Gewaltpotential, die Bedingung der Apokalypse, dieses Tabula rasa auch die
Möglichkeit für die radikale Wende und Rettung. Macht- und Staatsterror, Terror
der Masse unterbrechen den Strom nach oben, doch gerade dadurch entsteht ein großes
Vakuum, eine große Absenz, die einen Wirbel, eine Gegenbewegung erzeugt, wie
die Negation in der Geschichte, diese schließlich kippen läßt.
"...
sechs Schützen sind die Tiere... / Und die Null ist schon fertiggeweint."
(Schrift an der Schwarzen Wand). "Als wären die Toten ein Und".
Endstation der Geschichte: "Ich aber stand mit Siebzehn nackt im Schnee,/
sagt sie, man wählte für die Kammern aus.../ Ich habe überlebt./ Sie zählen bis
Zehn/ und nicht mehr weiter. Seither ist Ende; alles tut weh; wir leben nicht
mehr. // Wisch mich aus deinem Buch." (Siebzehn). Die Millionen Opfer
wissen mehr. Sie haben alles überholt. Nichts bleibt, was war. Denn wenn
überhaupt noch Sinn sein soll, im Tod der Millionen, muß es ein undenkbar neuer
sein. "Man redet umsonst von Gerechtigkeit, solange das größte der
Schlachtschiffe nicht an der Stirn eines Ertrunkenen zerschellt ist."
Schrieb Celan. Lächerlich jede Begriffsbrücke, die am höllisch gelebten
Augenblick vorbeigreift - reiner Hohn, Moral, Worte, Verse? Das Absurde, Unfassbare
allein spiegelt in unseren Mitteln etwas von der Wahrheit; als habe sich die
nur geahnte Un-Vorstellbarkeit in der Geschichte gräßlich wahrgenommen. Es war
etwas offenbar geworden, was nicht seinesgleichen hatte. Das Feste; Zeit-Raum-
Vorurteil, Ego, Eigennutz, Macht des gesellschaftlich verfassten Außen als
Technik und Bürokratie - haben in letzter Konsequenz jenen ORT hervorgebracht.
Und doch geht alles weiter, als wäre nichts geschehn. Dabei war Nichts
tatsächlich geschehn. Wie ist das möglich?
Das unfassbare Geschenk Licht, das
alle Dinge erst möglich macht, in uns als die Möglichkeit der Zusammenführung
im Blitz der Hirnsyntax liegt, ist umgeleitet worden in seine Beherrschung für
Raubbau und Profit. Davon ist im IV.Kapitel GELENKTES LICHT die Rede. "Im
Kreis: AtomPupille wuchs,/ Fingerflug Leitstrahl/ Tod wie Sand am Meer:/ Am
Ende Eins/ Lichtblitz geblendetes Auge hier/ maß-Los über dem Abgrund..."
(Optik der Erkenntnis). Das Resultat: die Angst, Zugehörigkeit höre im Tode
auf. So muß er verdrängt werden, notfalls durch Massenvernichtung. Als wäre er
abschaffbar. Und das Geschrei der Engel, als Gott Adam ebenbildlich mit seiner
Wissens- Macht ausstatten wollte, war sicher berechtigt. Auch das Angebot der
"Schechina", der Ur-Mutter, Adam zu begleiten, ihm auf die Finger zu
sehen, hat nichts genützt. In der dritten Sphäre taucht sie auf. Ihr ist das
III. Kapitel gewidmet. "...lebt noch und baut im Nichts ein Herz/ der
Farbe: Immernie// und wohnt lang nach dem Tod/ ein Leben durch die Augenwand."
(Haus mit dem Baumwappen) Abstieg der Eins, des Lichtstrahls durch sie, die
Umhüllung des Kerns. Doch davon und vom II. Kapitel dem Lichtpunkt war schon
die Rede.
Und
schließlich das letzte (oder erste) Kapitel, das alle andern zusammenfasst.
Auch davon war hier schon die Rede. In jedem Leben, vor allem aber in den
Schrecken der Geschichte zeigen sich Mißgriff und Fehlschlag. Wessen? Ist Gott
die Absenz, ist Gott heute der Tod? Das Nichts ist im Hebräischen Gott. Ayin
heißt Nichts. Es ist zugleich Name eines Buchstabens, er hat die Bedeutung von
Auge.
Dieses letzte Kapitel, das Eine als
treibende Absenz ist in allen andern enthalten, alle andern Stufen von X-II
sind Erwartung, Wartezeit. Die schmerzende Absenz, ein sich ins Absolute
verwandelndes Heimweh, das keinem Land mehr angehört, das die Substanz des
Fehlenden verdeckt, ist Hohlform unverzichtbarer Hoffnung, seiner Nirgends
erkennbaren Gestalt: "Sekunde, der Riß/ im Kopf das Hirn der Dornen. Ein
Lichtblitz in jeder Zelle.../ Nichts ist entschieden. Erst aus dem Auge des
Fehlenden käme der Blick, der dich sieht.../ Doch das Fehlende kommt. Schon
pfeifen es alle Kugeln von den Dächern." (Hinrichtung.) In diesem Gedicht
ist von der Kreuzigung die Rede. Sogar von Christi Resignation am Kreuz, die
Absenz des Andern ( Vater, warum hast Du mich verlassen?) zwingt ihn zur
"Vernunft", er steigt herab, er heiratet. ("Erschüttert,/ aus
dem Mund/ kein Gott, Gebrochenes/ Hier." Hebräischer Block). Diese
"Vernunft", die Sonde der großen terroristischen Staats- und
Ausdrucksmaschine erledigt jeden mit der Zeit.
Wir wissen es immer: wir müssen
unser Leben ändern. Nur wie? Das Zum -innern-Ort-kommen, wo etwas einbricht,
das uns erlöst, liegt nicht in unserer Hand, und schon gar nicht im Kopf. Das
ganze VII. Kapitel ist diesem Unplanbaren, Undenkbaren gewidmet. Und dem
Totengespräch jenseits des Fassbaren. "Vergessen der Namen,/ ein Dunkel,
ein Platz,/ wo sie waren." (Für Ion Caraion). Das Vertrauen freilich, dass
das Unfassbare jeden Augenblick einbrechen kann, jene Berührung und
phantastische Öffnung sich gerade dann einstellt, wenn wir am wenigsten darauf
hoffen, wir völlig deprimiert, zerstört sind, gehört zum Abwesenheitsglauben,
einer Art anarchischen Mystik des Negativen, wie sie in der Nachfolge Sabbatai
Zwis und Jakob Franks auch in chassidischen Kreisen kultiviert wurde. Dieser
mystische Nihilismus ist heute hochaktuell. Und zwar bis in die
Sprachkonsequenzen hinein. ( "Löschte das Augenlicht, also/ die
Landschaften und Städte aus, trog/ nicht mehr, Nein trank/ die Welt täglich
aus./ Es gab keinen andern Weg mehr/ als Jahre: gingen hinüber,/ wo ein anderes
schwereres Warten war/ das Weinen das Lachen und jeder Erfolg Ja/ die Frauen
nur etwas Trauer// Als hätte ich alles überlebt./ Ein Anfang klopfte/ ganz ohne
Tür bei mir an." Zeitpunkt.) Selbsterlösung (die ganze
Zivilisationsgeschichte ist dafür ein Beispiel): - Ungeduld führt in tieferes
Elend, es ist ein Ertrinken in der Zeit; in der Vergötzung des Fassbaren wird
der Sündenfall täglich wiederholt. "Der/ Himmel, nein, er kennt kein
Grab./ Und weiß und schneid ihn ab, damit er/ nicht vergeht. Was bleibt./ Ein
weißes Blatt. Gewebe/ Muster. Der Tod spricht nicht." (Es gibt kein
gestern.) Das "Nichts", wo alles, was fassbar ist, gar das
"Glück" abwesend sein muß, ist ähnlich dem Todesgefühl, ("Sinne?
Woher genommen, mundlos// gesagt, Worte durch die Trennwand/ gedacht; dort bist
du dich los./ Und die alte Wunde tickt leise." (Blumen, dort nichts). Wo
das EINE ist, sind wir nicht, weil "Es" dort ist, - und doch verwandelt
es uns im Blitz einer Zusammenführung mehr als alles andere. "Ein Loch im
Fundament öffnete den Einblick.../ Noch einsamer als der Herr ist
Niemand." (Das versteinte Buch). "...durchstreicht/ das Nichts/ jeden
Blick, der/ festgegraben war/ im Schein."
Im Poetischen ist es wie im Leben, die
Untätigkeit, das Lernen der Langsamkeit ist ein höheres Gut: Die vergessne
Pause der Sinne wahrzunehmen, um jenem Einbruch eine Chance zu geben: sich
zurücktreten lassen bis hin ins Gedächtnis eines Grashalms, eines Vogelgesangs,
der zerklüfteten Steine oder des Meeresgrundes, den wir voller Schrecken
manchmal sehn, indem wir den Atem anhalten und fast ersticken beim Tauchen, und
beim Sehen des Grundes, der Ungesehene in Gedanken, der mich freilich einmal
verschlingen wird. So läßt das Ungesehene sich auch in den Wörtern finden, wenn
man nicht gewaltsam eingreift. ("Du/ redest dir ein, dass du bist. Rede/
du schwerstes Nein." Hieronymus in der Zelle).
Der VERWESER ist die SPRACHE selbst
als Agens der Zeit. Nur der Tod rast, und das fühlen wir: voran, wartet, der
einzige Grenzwirklichkeit, die das beredte Sehn durchstößt in schmerzhafter
Ahnung. Der Tod aber ist heute kein individuelles Ereignis mehr, sondern ein
historisches, ein kollektives, Drohung des Untergangs und des Erinnerns an
unvorstellbares Grauen. Nach Hegel wird eine Zeit kommen, wo der Tod ein
menschliches Leben führen wird, sie ist da, diese Zeit. Doch heute, an diesem
Punkt des Übergangs von Zeit, wo wichtiges über Äußerstes zu sagen wäre, steht
in dieser Geldidylle Europa keine Sprache zur Verfügung und kein Bewußtsein
davon. Wir haben alkle eine downer-Programmierung in uns, so ist es unmöglich,
den neuen Weltzustand des Übergangs, den wir erleben und nicht wahrnehmen,
mitzugestalten. Er ist von uns verlassen, wie wir von ihm. Denn
"normale" und Alltagssprache im Mündlichen des Dialogs, gehört der
Vergiftung an, macht blind, wie die zweiwertige Logik, wie die
Alltags-Umgebung, Partner, Institutionen, Gesellschaften stehn heute dafür noch
nicht zur Verfügung. Was um uns ist, verfügbar, sind Relikte des Gewesenen, und
was wir ahnen, ist überdeckt vom Schleier des dauernd schon Vergangenen.
"Verhangen Verhängnis/ Iris.// Atomschleier:/ rund rast wie Licht /Er
selbst/ oh Auge/ kein Staunen." (Wirklichkeitswahn).
Das Totengespräch wäre das einzige
literarische Mittel, Geschichte am Ende in solchem Grenzgang vorauszudenken,
und die Vergangenheit, die unfertig und im Verbrechen stecken blieb, in diesem
weißen Blitz der Imagination zu öffnen, ja, als wäre sie wieder verfügbar, und
alles Versäumte noch zu erlösen. Denn das Ganze erst leuchtet wirklich heim.
Ja, mehr als das Leben, ist die Hoffnung, die
sich probeweise so verwirklicht: zuweilen wie ein Fotonegativ - entwickelbar,
als wäre dieses in dieser Unzeit ein Widerschein von Heimkehr. Das Gedicht lädt
dazu ein, Wort für Wort heimzukehren, doch dazu müssen Worte im Schweigen
gewaschen, das beredte Sehn durchstoßen werden.
"Rücksichtslos tun,/was dich
treibt, -/gegen die Zeit/ Verlust, dass du lebst.//Ein Auf Atmen so,/ wie du
dich hältst: /gehörst nicht dir,/ tu, was dich zur Berührung treibt,/ ist
ewig." (Freie Zeilen).
Eine Rezension:
Wiederkehr des absoluten Gedichts
Dieter
Schlesaks Lyrik-Band "Aufbäumen"
Worte,
Worte -, Substantive! Sie brauchen nur die Schwingen zu öffnen und Jahrtausende
entfallen ihrem Flug": Mit solchen pathetisch glühenden Sätzen formulierte
einst Gottfried Benn das Evangelium seines"absoluten Gedichts". Seine
monologische Dichtung der"Wallungswerte" und semantisch aufgeladenen
Einzelworte ist seit den sechziger Jahren oft totgesagt worden. Man kritisierte
die Geschichtsferne von Benns Konzept und seine metaphysische lüberhöhung des
poetischen Prozesses.
Die
Texte, die nun der rumäniendeutsehe Autor Dieter Schlesak in seinem Gedichtband
Aufbäumen vorlegt, arbeiten unübersehbar an einer Rekonstruktion des
"absoluten Gedichts". Zwar will Schlesak keineswegs die Bennsche
Kunstmetaphysik revitalisieren. Im poetologischen Nachwort, das er seinem Band
beigefügt hat, rekurriert Schlesak auf Paul Celans Dichtung der Sprachmaeie
und auf Denkfieuren der iüdischen Sprachmystik, der Kabbala. Aber in der
poetischen Praxis führt dieses Konzept zu ähnlichen Ergebnissen wie bei Benn.
Denn
auch Schlesak vertraut in seinen Gedichten auf die evokative Kraft des se
mantisch
aufgeladenen Einzelwortes, auf die magische Aura bedeutungsschwerer
Substantive. So flattern in seinen Gedichten die "Gleichnistauben"
auf, registriert das lyrische Subjekt den "Sphärenklang" des Seins. Ziel
seiner lyrischen Exkurse ist die "weiße Gegend", jene Zone des
Unvordenklichen und Unsagbaren, in der sich die Geheimnisse der Welt
offenbaren. Die "weiße Gegend" setzt Schlesak synonym mit einem
Zentralbegriff der Kabbala: dem unaussprechbaren "Nichts", das den
Urgrund des Seins bildet. Über die mannigfachen Analogien zwischen der
Bilderwelt der Gedichte und den Symbolen und Motiven der Kabbala wird man im
Nachwort eingehend unterrichtet. Aufbäumen, der Titel des Gedichtbands,
verweist nicht nur auf den biblischen "Baum der Erkenntnis" und den
"Sprachbaum" der Kabbala, sondern zitiert auch Bilder der
revolutionären Auflehnung und der Katastrophe: )etwa das von Celan
überlieferte Bild der verbrannten-'-I'o-ten,-der-si-ch- a-ufb-äur-ende-n Leiber
im Feuer. Im Nachwort signalisiert Schlesak auch den hohen Erkenntnisanspruch
seiner Gedichte. Der Lyrik, heißt es da, falle die Aufgabe zu, in
"Worthöfen"
und "an Sinn- und Sprachrändern das Nichtsagbare anzugehen" und
"sich den offenen Augenblick, dem Unvorhergesagten zu überlassen".
Das sprachmystisch inspirierte Gedicht ist für den Lyriker Schlesak der letzte
Ort, an dem man sich den von einer funktionalistischen Welt verursachten
Tennungen und Spaltungen widersetzen und zur Erfahrung des Ursprungs und des
Welt-Zu-sammenhangs gelangen kann.
Es geht aber
in diesen Gedichten nicht nur um mystische Erfahrung, sondern auch um
historische Erinnerung. Neben die des Eingedenken der jüdischen
Leidensgeschichte tritt bei Schlesak die poetische Erinnerung an die verlorene
Heimat. 1969 hat der Autor Siebenbürgen, das Land seiner Herkunft, verlassen,
ohne seither je wieder an einem Ort heimisch werden zu können. Dieser
schmerzhafte biographische Bruch hat sich in seine Gedichte eingeschrieben,
erscheint dort in hermetischer Chiffrierung. Denn fast alle sinnlichen
Wahrnehmungen, persönlichen Beobachtungen und Erinnerungen werden in diesen
Gedichten in eine dunkle Metaphorik transformiert. Schlesaks
sprachsystematische Poetik realisiert sich in Texten, die sich um große existenzielle
Schlüsselwörter gruppieren: Nichts, Sein, Zeit, Ewigkeit, Gott, Tod und Grenze
bilden die elementaren Vokabeln dieser Poeme. So entstehen fast durchweg
hermetische Gebilde:
"Hebräischer Block /
kommt näher. Fels nach dem / Ende. Kein / Fließen mehr.Nach / dem Fall /
Jahrtausendespät / versteinert das Hirn // Erschüttert, / aus dem Mund, / kein
Gott, Gebrochenes Hier."
Schlesak
sucht das ästhetische Risiko: Das Gedicht wird von ihm zum transzendenten
Schöpfungsakt erhöht, der alle profanen Erkenntnisprozesse weit über steigt.
Auch hier entsteht also ein "absolutes Gedicht", das die der Sprache
immanente Magie entfalten und mystische Epiphanien vermitteln will.
Diesen
selbsterteilten Auftrag kann Schlesaks Gedicht nicht immer erfüllen. Auf der
Suche nach kosmischen Urworten verfallen seine Gedichte zuweilen in ein
sakrales Raunen, das suggestive Erlösungsformeln herbeizitiert. Die
"radikale Umkehr aller Vorstellungen und Worte" bleibt hier eine
poetische Utopie. Aber es finden sich in Aufbäumen auch Texte, die in
ihrer Genauigkeitsemphase an die Dichtung
Celans heranreichen. "Das absolute Gedicht", formulierte Celan 1959,
"nein das gibt es gewiß nicht, das kann es nicht geben!" Aber, so
Celan weiter, es gibt den "unerhörten Anspruch" des Lyrikers, der
"mit seinem Dasein zur Sprache geht, wirklichkeitswund und Wirklichkeit
suchend". Dieter Schlesak hält an dem "unerhörten Anspruch" des
Gedichts fest.
Und das ist
schon viel. MICHAEL BRAUN
(Frankfurter
Rundschau)
In vielen Religionen und
Weltanschauungen finden sich Ansichten, die sich teilweise mit Symptomen
decken, die als schizophren definiert werden.
So ist es in Teilen des Taoismus,
im Buddhismus, wie auch im Pandämonismus, im Hinduismus ebenso wie in der Philosophie
des Solipsismus und der Esoterik durchaus üblich, unter Aufhebung der
Körpergrenzen den eigenen Geist auf die Umwelt auszudehnen bzw. das eigene
Bewußtsein als identisch mit der erlebten Welt anzusehen.
Determinismus und
Fatalismus
sind als philosophische bzw. religiöse Konzepte allgemein akzeptiert; es ist
daher unverständlich, weshalb die in diesen Bereichen tolerierte Auffassung von
der Nichtexistenz des freien Willens im Bereich der Psychosen als krankhaft
angesehen wird. Entsprechendes gilt für den Solipsismus ("Die Welt
existiert nur in meiner Einbildung."), der eigentlich nur die
philosophisch motivierte Form des Autismus darstellt.
|
||||
Was wir wahrnehmen können, prägt unsere «Erscheinungswelt»,
doch wie die Welt denn "wirklich" ist, darüber können wir nichts
sagen. Damit verabschiedet sich Kant auch von der Vorstellung einer
"wahren" Welt, da Wahrheit nun relativ wird. Diese These von Kant hat
bei einigen Lesern eine Art Schock ausgelöst, u.a. beim jungen
Schriftstellergenie Kleist.
„Wenn
alle Menschen statt der Augen grüne Gläser hätten, so würden sie urteilen
müssen, die Gegenstände, welche sie dadurch erblicken, sind grün und nie würden sie entscheiden können, ob ihr
Auge ihnen die Dinge zeigt, wie sie sind, oder ob es nicht etwas zu ihnen
hinzutut, was nicht ihnen, sondern dem Auge gehört. So ist es mit dem
Verstande. Wir können nicht entscheiden, ob das, was wir Wahrheit nennen,
wahrhaft Wahrheit ist, oder ob es uns nur so scheint. Ist das letzte, so ist
die Wahrheit, die wir hier sammeln, nach dem Tode nicht mehr und alles Bestreben, ein Eigentum sich zu
erwerben, das uns auch in das Grab folgt, ist vergeblich -
Ach,
Wilhelmine, wenn die Spitze dieses Gedankens Dein Herz nicht trifft, so lächle
nicht über einen andern, der sich tief in seinem heiligsten Innern davon
verwundet fühlt. Mein einziges, mein höchstes Ziel ist gesunken, und ich habe
nun keines mehr –„
(Kleist
an Wilhelmine von Zenge, 22. März 1801)
T. meint, es gäbe eine Rettung, nämlich alles
auf sich zu nehmen, und ganz konsequent dem nachzugehen, dass alles nur von ihm
geträumt ist, so jedes Verbrechen auf ihn selbst zurückwelt, seine geträumte
Welt ist, und er dafür die Verantwortung trägt. Doch auch der eigne Tode, der Muttertod,
ja,der Tod überhaupt ist nichts als ein Hirngespinst, und er geht von der
Unfassbarkeit des Todes aus, die ja absurd ist:
Nein,
ich kann es nicht glauben, und nichts ist beweisbar, auch nicht, dass Mutter
tot ist.
Ist
nicht auch die ganze „Phänomenologie“ Hegels solch ein riesiger Traum.
Ist das ganze Leben nur ein Traum? ( Und Calderons Verse fielen mir ein:
"Was ist Leben? Raserei! / Was ist Leben? Hohler Schaum, / Ein Gedicht,
ein Schatten kaum! Wenig kann das Glück uns geben; / Denn ein Traum ist alles
Leben / Und die Träume selbst ein Traum.")
Steckbrief




Dieter Schlesak
geboren
in:
Schäßburg
/ Transsylvanien
lebt
in:
Stuttgart,
Killesberg und in Camaiore/Toskana, Italien
Kontakt:
schlesak@tiscali.it
Vita
Ohlbaumbilder
Dieter Schlesak, Geboren in Schäßburg in Siebenbürgen. Volksschullehrer, dann Studium der Germanistik,
Redakteur in Bukarest bei der deutschsprachigen Zeitschrift „Neue Literatur“.
Verfasser von Lyrik, Prosa, Hör-
spielen, Romanen, Essays
über Literatur, über Grenzphänome und Religion; Reiseberichte. Übersetzungs-
und Herausgebertätigkeit. 1968 erschien sein erster Gedichtband Grenzstreifen
im Bukarester Literaturverlag.
1969: Übersiedlung nach Deutschland, der Kulturschock und das Ostwest-Trauma
werden von nun an sein Schreiben beherrschen; sein erster Gedichtband im Westen
erschein 1981bei Rowohlt: Weiße Gegend - Fühlt die Gewalt in diesem
Traum. 1986 kommt der Roman Vaterlandstage und die Kunst des
Verschwindens beim Benziger Verlag
heraus. Den Fall des Eisernen Vorhangs und die damit verbundenen
Hoffnungen und Enttäuschungen thematisiert Dieter Schlesak in mehreren Büchern:
Wenn die Dinge aus dem Namen fallen, 1991 (Rowohlt). Stehendes Ich in
laufender Zeit, 1994 (Reclam). So nah, so fremd, 1995. Eine transsylvanische
Reise, 2004. Dieter Schlesak lernt in Frankfurt beim S. Fischer Verlag
seine Frau Linde Birk kennen. 1973 ziehen beide nach Italien. Er wird
mit seinen 1989-1991 erschienenen drei Bänden Der neue Michelangelo.
Wiedergeburt der wahren Farben in der Sixtinischen Kapelle zum Kulturbürger
Italiens. Auch sein zweiter Roman Der Verweser spielt in Italien. 2006
erschien sein bisher wichtigster Roman Capesius, der
Auschwitzapotheker“ (Dietz Verlag), der in Englische, Italienische,
Spanische, Portugiesische, Hebräische und in viele andere Sprachen übersetzt
wurde. Bis 2009 hat Dieter Schlesak 30 Bücher veröffentlicht, darunter 9
Gedichtbände und 3 Romane. Er erhielt zahlreiche Preise, u.a. 1980: den
Andreas-Gryphius-Preis, 1993: den Nikolaus-Lenau-Preis, 2001 die
Ehrengabe der Deutschen Schillerstiftung. 2005 den Maria-Ensle-Preis der
Kunststiftung Baden-Württemberg und 2005 wurde ihm auch der
Ehrendoktor der Universität Bukarest
verliehen.
Dieter Schlesak, dr.h.c. in Schäßburg (Siebenbürgen) Rumänien geboren,
Lyriker, Romancier, Essayist, Übersetzer, Studium der Germanistik 1954-1959;
dann Redakteur der „Neuen Literatur“ in Bukarest. Unter dem Druck von
Securitate, Zensur und Lebenszustände, emigrierte er 1968 über Brüssel,
Luxemburg, Paris in die Bundesrepublik. Lernte beim Fischerverlag in Frankfurt
seine Frau, die Lektorin und Übersetzerin Linde Birk kennen; verkraftete aber
den Kulturschock nicht, fuhr 1968 wieder zurück, und verlor so gleich zwei
Länder, emigrierte endgültig 1969 nach Deutschland. Dann 1973 weiter nach
Italien. Und lebt seit l973 in Stuttgart und in Camaiore/Lucca. „Was
zusammenhängt mit einem existenziellen Grenzgänger, einem, der Reisen und
Länderwechsel zur Lebensmetapher gemacht hat, mit allem Gewinn, mit aller
Beschwernis. Ein verwurzelter Wurzelloser, der morgens beim Öffnen der Fenster
seines alten italienischen Bauernhauses, in dem er mit Frau und Hund und Kater
oben am Hang lebt, in der Ferne das Meer gleißen sieht und der gleichzeitig
tief empfundene Heimatgefühle für Transsylvanien hegt. In seinem Weiler nahe
dem norditalienischen Städtchen Camaiore ist er "Signore Dieter, il
tedesco", unter Stuttgarter Schriftstellern der Rumänendeutsche. "Ich
bin ein „Zwischenschaftler", sagt er, einer, der sich eingerichtet hat
zwischen allen Stühlen, zwischen allen Grenzen? Da muss er wohnen, der
rumänisch-deutsche, stuttgarterisch-toskanische Dichter Schlesak.
Es folgen Reisen durch Europa und Amerika. "Fernweh über den Globus gezogen / die Riesenfrucht möchte ich essen", heißt es in einem Gedicht des Lyrikers, der bis heute dreißig Bücher veröffentlicht hat, darunter neun Lyrikbände und vier Romane. In dem Roman "Vaterlandstage und die Kunst des Verschwindens" hat er in mitreißender assoziativer Prosa Biografisches verarbeitet, hat sich im 2002 erschienenen Roman "Der Verweser" mit einer alten Kriminalgeschichte aus dem nahen Lucca befasst, hat im Lyrikband "Tunneleffekt" sein Grundthema des Grenzgangs lyrisch variiert.
Seine innere Emigration und Einsamkeit, diese Abweichung vom Normalen, begreift Schlesak für Schreiben und Leben mittlerweile als "ontologisch"." mit dem gleichgesinnten „Eremiten von Paris“, dem Landsmann aus Transsylvanien hat er Jahrzehntelang einen Briefwechsel geführt, der ihn geprägt hat. Ebenso schon in Rumänien die rumänische Kultur, die jüdische, in Bukarest war er befreundet mit Celans Freundeskreis um Sperber und Kittner, und ist davon ebenfalls geprägt. "Er leitet aus seiner Emigration und Isolation "eine Art literarisches Mönchtum" ab. Und hat doch, im Äußeren, so gar nichts Mönchisches an sich, wenn er redet. Während dann Kater Romeo herbeischleicht, auf den Tisch springt, aus der Nähe hören will, was der toskanische
Dichter aus dem fernen Rumänien zu sagen hat. Zum Beispiel dies, dass man ihm jüngst sein altes Geburtshaus in Schässburg zurückgegeben habe, das er mit Hilfe einer Stiftung zu einem Literatur- und Kulturzentrum machen wolle. (Aus: Rainer Wochele, Literarischer Mönch, Stuttgarter Zeitung)
Mitglied des Deutschen P.E.N Zentrums, des P.E.N Zentrums deutschsprachiger Autoren im Ausland (London), VS u.a. Zahlreiche Preise und Auszeichnungen, zuletzt: Ehrengabe der Schillerstiftung 2001. Ehrendoktor der Universität Bukarest 2005, Lyrikpreis „Umberto Saba“, Triest, 2006; Preis der „Kunststiftung Baden-Württemberg“ Stuttgart 2007. Werke zuletzt erschienen: Lyrik: Herbst Zeit Lose, Liebesgedichte, München 2006; Sette volte sete. Grenzen Los. Oltre limite. italienisch-deutsch, Pisa 2006; Namen Los, Liebes-und Todesgedichte, Ludwigsburg 2007.. Essays und Prosa: Eine Transsylvanische Reise, Köln 2004, Romans Netz, Roman, Köln 2004; Capesius, der Auschwitzapotheker, Bonn 2006; Vlad. Die Draculakorrektur, Ludwigsburg 2007.
Zeuge an der Grenze unserer Vorstellung, Porträts, Studien und Essays, Uni München 2005; Übersetzer- und Herausgebertätigkeit. Nichita Stănescu, Elf Elegien, Übersetzung und Nachwort: Metapoesie der roten Zeit, 2005.
Sekundärliteratur und ein Verzeichnis des Gesamtwerkes, dessen Vorlass sich im Marbacher Deutschen Literaturarchiv befindet unter:
www.dieterschlesak.de
Es folgen Reisen durch Europa und Amerika. "Fernweh über den Globus gezogen / die Riesenfrucht möchte ich essen", heißt es in einem Gedicht des Lyrikers, der bis heute dreißig Bücher veröffentlicht hat, darunter neun Lyrikbände und vier Romane. In dem Roman "Vaterlandstage und die Kunst des Verschwindens" hat er in mitreißender assoziativer Prosa Biografisches verarbeitet, hat sich im 2002 erschienenen Roman "Der Verweser" mit einer alten Kriminalgeschichte aus dem nahen Lucca befasst, hat im Lyrikband "Tunneleffekt" sein Grundthema des Grenzgangs lyrisch variiert.
Seine innere Emigration und Einsamkeit, diese Abweichung vom Normalen, begreift Schlesak für Schreiben und Leben mittlerweile als "ontologisch"." mit dem gleichgesinnten „Eremiten von Paris“, dem Landsmann aus Transsylvanien hat er Jahrzehntelang einen Briefwechsel geführt, der ihn geprägt hat. Ebenso schon in Rumänien die rumänische Kultur, die jüdische, in Bukarest war er befreundet mit Celans Freundeskreis um Sperber und Kittner, und ist davon ebenfalls geprägt. "Er leitet aus seiner Emigration und Isolation "eine Art literarisches Mönchtum" ab. Und hat doch, im Äußeren, so gar nichts Mönchisches an sich, wenn er redet. Während dann Kater Romeo herbeischleicht, auf den Tisch springt, aus der Nähe hören will, was der toskanische
Dichter aus dem fernen Rumänien zu sagen hat. Zum Beispiel dies, dass man ihm jüngst sein altes Geburtshaus in Schässburg zurückgegeben habe, das er mit Hilfe einer Stiftung zu einem Literatur- und Kulturzentrum machen wolle. (Aus: Rainer Wochele, Literarischer Mönch, Stuttgarter Zeitung)
Mitglied des Deutschen P.E.N Zentrums, des P.E.N Zentrums deutschsprachiger Autoren im Ausland (London), VS u.a. Zahlreiche Preise und Auszeichnungen, zuletzt: Ehrengabe der Schillerstiftung 2001. Ehrendoktor der Universität Bukarest 2005, Lyrikpreis „Umberto Saba“, Triest, 2006; Preis der „Kunststiftung Baden-Württemberg“ Stuttgart 2007. Werke zuletzt erschienen: Lyrik: Herbst Zeit Lose, Liebesgedichte, München 2006; Sette volte sete. Grenzen Los. Oltre limite. italienisch-deutsch, Pisa 2006; Namen Los, Liebes-und Todesgedichte, Ludwigsburg 2007.. Essays und Prosa: Eine Transsylvanische Reise, Köln 2004, Romans Netz, Roman, Köln 2004; Capesius, der Auschwitzapotheker, Bonn 2006; Vlad. Die Draculakorrektur, Ludwigsburg 2007.
Zeuge an der Grenze unserer Vorstellung, Porträts, Studien und Essays, Uni München 2005; Übersetzer- und Herausgebertätigkeit. Nichita Stănescu, Elf Elegien, Übersetzung und Nachwort: Metapoesie der roten Zeit, 2005.
Sekundärliteratur und ein Verzeichnis des Gesamtwerkes, dessen Vorlass sich im Marbacher Deutschen Literaturarchiv befindet unter:
www.dieterschlesak.de
Würdigung
Andreas-Grypius Förderpreeis,1980.
Jahresstipendium des Deutschen Literaturfonds (l982 und l987).
Stipendium des Ministeriums für Wissenschaft und Kunst von Baden-Württemberg l988.
Schubart-Literaturpreis l989, alle für "Vaterlandstage und die Kunst des Verschwindens, Roman und die Fortsetzung: Der Verweser.Roman.
Förderstipendium der Akademie Schloß Solitude Stuttgart,1990-1992.
Nikolaus-Lenau-Preis 1993 für seine Lyrik.
Für die Prosa den Hauptpreis des Ostdeutschen Kulturrates 1994.
"Tunneleffek", Gedichte. Buch des Monats, "Text und Kritik", 1998.
Ehrengabe der Schillerstiftung 2001.
Stipendium, Kulturamt der Stadt München, Villa Waldberta 2004.
Ehrendoktor der Universität Bukarst 2005.
Literaturkabinett "Dieter Schlesak" am "Colegiul National Mircea Eliade in Sighisoara Schässburg, Transsylvanien. 2005.
Lyrikpreis „Umberto Saba“, Triest, 2006.
Maria-Ensle-Preis der „Kunststiftung Baden-Württemberg“ Stuttgart, 2007.
STIMMEN DER KRITIK
Bücher über DS: Oliver Sill
Marian Victor Buciu
Die Ausführungen von Dieter Schlesak haben den Vorzug der Klarheit. Was bei Heiner Müller bisher dunkel "deutsches Verhängnis", "Kolonisation" oder "Über-fremdung, bei Volker Braun locker "das nicht Nennenswerte" hieß und von Christa Wolf als "dunkle wilde Jagd" bedichtet wird ... ist hier plötzlich deutlich." Iris Ra-disch, DIE ZEIT
Sein Ich ist sich des Zeitsprungs gewiß, sein Ich warnt den Leser vor allzu großen Erwartungen ... Die enge Verbindung von gegenwärtigem Geschehen, das das Be-wußtsein noch nicht aufnehmen kann, und einer eben abgelaufenen Vergangenheit, die als Traumsequenz in eine Zukunft reicht, in welcher alles erst entwickelt wird, was im Präsens zu schnell vorüberjagt - ist der Übergang, in dem das Schlesaksche Ich stehengeblieben ist, um in der Fülle des Augenblicks seine vielschichtigen Beo-bachtungen machen zu können. Es wählt den quälenden Weg der Offenlegung von Wunden im Zeitbewußtsein am Ende des 20. Jahrhunderts.
Wolfgang Schlott, Kommune 2
Haben wir 1989 den Beginn eines neuen Zeitalters erlebt? Einen Umbruch, we er nur mit der Reformation oder der Französischen Revolution vergleichbar ist? Werden Historiker bei der Periodsierung der Vergangenheit Jahrhunderte einteilen in ein gro-ßes Vorher und Nachher? Dieter Schlesaks Essay über den Umsturz in Rumänien deutet Ereignisse vom 21. und 22. Dezember 1989 in Bukarest als welthistorischen Einschnitt, nach dem nichts mehr so ist, wie es war.
Schlesak erzählt von der Melancholie , die sich einstellt, wenn das jahrelang Ersehn-te plötzlich Wirklichkeit wird und dann doch alles ganz anders ist, als man sich vor-gestellt hatte. "Der Zustand der Sehnsucht wird gelöscht"
Frankfurter Allgemeine Zeitung
In Ihrem Buch sind all die Erfahrungen versammelt, die über zwei Jahrhunderte hin-weg viele, viele Revolutionäre gemacht haben. Ich denke an die Reden von Robespi-erre und Danton... an Kropotkin und Bakunin, an einige arkane Passagen bei Marx, an die Enthusiasmen der irischen, der spanischen, der vietnamesischen, der südame-rikanischen Rebellen und Revolutionäre. Sie alle versuchen das zu sagen, was Sie in Ihrem Band auf das trefflichste und... auf das tiefsinnigste präzisiert haben, nämlich das enthusiastische Erlebnis, den Furor gleichsam aus der Zeit zu fallen, dieses of-fenkundig beglückende Geühl, an einem Schnittpunkt der Geschichte stehend die Geschichte selbst förmlich "abzuschneiden".
Michael Naumann, Ehemaliger Leiter des Rowohltverlages
Dieter Schlesak, vigoroso e sottile narratore... sembrava riconoscersi nell´ indicativo presente. La vita, come diceva Svevo, originale e lascia presto indietro il suo ritratto stesso da una penna (...) Nel suo intervento a Trieste, Schlesak (...)ha detto genial-mente che soltanto dopo Stalingrado é comniciata, per la sua gente, la possibilita di' una vera letteratura che nasce dalla consapevolezza e dall' esperienza della disfatta del perverso sogno di dominio. Ii romanzo ,Giorni della patria di Schlesak é un´espressione poetica di questo amore di patria puro e purificato e reca significati-vamente ii sottotitob L´arte di sparire.
Claudio Magris, Corriere della Sera (8 febbraio 87).
Fassungslosigkeit breitet sich aus nach dem Zusammenbruch der Weltbilder. Aber sie hat ihr Gutes. Die vorgefaßten Denkweisen haben immer Sehen verhindert und Leben geraubt. Der Fassungs-Lose versucht, „ohne Vorbehalt zu sehen, den Wahr-nehmungsprozeß als gelernten zu entlarven. Jungsen heißt (nach Nietzsche: noch Chaos ins ich haben. Freisein heißt: sich dem Augenblick hingeben können (…) Ver-trauen in die Kräfte, die uns tragen, Kräfte, die größer sind als wir“ – Vertrauen auf Jugend, Liebe, Leben. Schlesak wiederholt damit trotz aller hier nicht berücksichtig-ten Differenzierungen die Antwort, die die sogenannte Lebensphilosophie schon vor hundert Jahren auf das Industriezeitalter gab. Hermann Kurzke in der Frankfurter Allgemeine Zeitung
Sprachgewaltig bannt Dieter Schlesak die Verhältnisse …. in das Bild des achten Tages der Menschheitsgeschichte. Neue Zürcher Zeitung
Hier ist, um mit Musil zu reden, nicht nur eine neue Seele da, sondern auch der da-zugehoerige Stil. Das vitale Sprach- und Erfahrungsmaterial ist in großraeumige Rhythmen uebersetzt, die in der Ferne die Zentnerschwere einer lyrischen Traditi-on von Gryphius bis Guenter und Klopstock ahnen lassen, bei denen die Form gerade noch die alles sprengende Erfahrung fasst... Man moechte auf die formale und sprachliche Kunstleistung hinweisen, auf die Vielfalt der Themen - und koennte doch nur sagen: Ecce Poeta. Viele dieser Gedichte lassen den Leser nicht los, sie greifen seine Erfahrung, sein Bewußtsein an.
Walter Hinderer, Frankfurter Allgemeine Zeitung
Er zeigt uns quer zu manch herrschender Meinung, dass im Mikrokosmos des leiden-den Ich die Veränderung der Welt radikal anders bewertet wird als im praktischen Optimismus des politischen Tagesgeschäfts. Hans-Jürgen Schmitt, Süddeutsche Zei-tung.
Sein Ich ist sich des Zeitsprungs gewiß, sein Ich warnt den Leser vor allzu großen Erwartungen ... Die enge Verbindung von gegenwärtigem Geschehen, das das Be-wußtsein noch nicht aufnehmen kann, und einer eben abgelaufenen Vergangenheit, die als Traumsequenz in eine Zukunft reicht, in welcher alles erst entwickelt wird, was im Präsens zu schnell vorüberjagt - ist der Übergang, in dem das Schlesaksche Ich stehengeblieben ist, um in der Fülle des Augenblicks seine vielschichtigen Beo-bachtungen machen zu können. Es wählt den quälenden Weg der Offenlegung von Wunden im Zeitbewußtsein am Ende des 20. Jahrhunderts.
Wolfgang Schlott, Kommune 2
Schlesak erzählt von der Melancholie , die sich einstellt, wenn das jahrelang Ersehn-te plötzlich Wirklichkeit wird und dann doch alles ganz anders ist, als man sich vor-gestellt hatte. "Der Zustand der Sehnsucht wird gelöscht"
Frankfurter Allgemeine Zeitung
Bitte besuchen Sie meine Homepage: www.dieterschlesak.de
PROJEKTE und Werkstatt:
Werkstatt Online (PDF)
Engelszungen – Roman, 1994-2006
Plädoyer für den Abschied – Liebesroman, 2002-2006
Tagebücher 1968-2006
Das Überlebenstagebuch eines Krebsschocks – 2000-2004
Der Tod ist nicht bei Trost – Gedichte
Terplan und die Kunst der Rückkehr – Roman
Zukunftsräume. Gibt es ein Leben nach dem Tod?
Lauter Letzte Tage – Essays und Porträts
Online-Veröffentlichungen
Die Dracula-Korrektur (Inhaltsverz. + Teil 1, PDF) –
Wer weiterlesen möchte – die Dracula-Korrektur wird für
den Druck vorbereitet, der Roman erscheint voraussichtlich
im August bei Buch&Media, München
Der Verweser – 2001, 2006
Bibliographie und Archiv
(Agliano und Marbach)
Kindlers deutsches Literaturlexikon 1999
Schlesak, Dieter, wurde am 7. 8. 1934 in Schässburg/Sighisoara als Angehöriger der deutschen Minderheit in Rumänien geboren. Nach dem Abitur unterrichtete er zwei Jahre an der Volksschule in Denndorf, von 1954 bis 1959 studierte er Germanistik in Bukarest, wo er anschließend als Redakteur der Zeitschrift Neue Literatur, Autor, Übersetzer und Herausgeber tätig war. 1969 reiste er in die Bundesrepublik Deutschland aus, ging 1973 ins selbst gewählte Exil nach Italien und lebt seither als freier Schriftsteller abwechselnd in Stuttgart und Camaiore.
1980 erhielt Schlesak den Andreas-Gryphius-Preis, 1982 und 1987 das Jahresstipendium des Deutschen Literaturfonds, 1989 den Schubart-Preis (für Vaterlandstage), 1993 den Nikolaus-Lenau-Preis, 1994 den Hauptpreis Prosa des Ostdeutschen Kulturrats und 2001 die Ehrengabe der Deutschen Schillerstiftung.
Im Brennpunkt von Schlesaks literarischem Schaffen steht von Anfang an das Phänomen Grenze, das ihn nicht allein in seiner politischen, sozialen und kulturellen Relevanz, sondern vor allem in seinen sprachlichen und metaphysischen Dimensionen beschäftigt. Der Debütband Grenzstreifen (1968) ist noch rumäniendeutschen Bedingtheiten verhaftet: Wie schon vor ihm Oskar Pastior verweigert auch Schlesak gereimte Partei- und Klassenkampfparolen und sucht sich mit dem Instrumentarium moderner Poesie „Die große Störung, Leben“ (ebd.) zu erschließen.
Der „Weltenwechsel“, den Schlesak als Schock erlebt, konfrontiert ihn mit neuen Grenzerfahrungen, die er in dem Prosaband Visa. Ost West Lektionen (1970) dokumentiert. Nun ist es nicht mehr der Denk-, sondern der Sinne- und Sinnverlust, der ihm als verdeckter Realitätsverlust zusetzt und ihn zum „Zwischenschaftler“ werden lässt, der sich schreibend im „Grenzraum der Erkenntnis“, „im Strom des Wechsel-Spiels oder des Wechsel-Ernstes zwischen beiden Teilen der entzweigeschnittenen Welt“ bewegt, um nicht an der „Melancholie wirklich erlebter Unwirklichkeit“ zu Grunde zu gehen (ebd.).
Lyrisch verdichten sich diese biografischen wie historischen Bruchlinien zu dem Band Weiße Gegend – Fühlt die Gewalt in diesem Traum (1981). Im „weglosen Gelände“, das die Diktaturen des 20. Jahrhunderts in Europa zurückgelassen haben, ertastet sich jede Gedichtzeile ihre eigene Vorläufigkeit:
Wie aufgelöst in diesem weißen
Licht der Nacht mit ihrer Wange
Ist die verbrannte Erde
Der Vergangenheiten –
Was liegenblieb, nur mit Ideen
begangen
Und Haut an Haut
mit dem Versäumten
(„Achtuhrschmerzen“, ebd.).
Dass mit den falschen Gewissheiten auch die Sprache gesplittert ist, materialisiert sich in Schlesaks „Hirnsyntax“, die zu seinem poetischen Markenzeichen wird: Der Vers zerfällt, syntaktische und semantische Strukturen fransen aus, wuchern ad hoc oder führen sich ad absurdum, die Funktion der Differenzierung verlagert sich vom Wort in die „Wortzwischenräume“, da es einzig in diesem Spannungsfeld noch möglich ist, Sinn zu generieren – wenn auch bloß als „Zwischensinn“ („Schreiben als posthumes Leben“ in So nah, so fremd, 1995).
An „Sinn- und Sprachrändern“ bewegt sich auch Schlesaks dritter Gedichtband Aufbäumen (1990), der statt der Schöpfung die „Erschöpfung der Welt“ thematisiert und als Strukturmodell den kabbalistischen Sprachbaum heranzieht, der mit seinen zehn Ästen auf den Kopf gestellt wird: Die Kapitel sind rückläufig angeordnet, das letzte ist das erste, „das Eine als treibende Absenz“, das jedoch auch alle anderen „als Hohlform unverzichtbarer Hoffnung“ (ebd.) mit einschließen:
Hölderlins
Bordeaux? Und Patmos, die Insel?
Und dann Johannes 15?
Wer doch verkommen wie er,
in der Sprachzeit langsam nach Haus
kommen könnte. Zu Fuß
nur mit einem Zeitwort auf
staubiger Landstraße. Wir aber
tragen den Augenblick im Autofenster
und die Sekunde rollt an den Reifen.
Kein
Land, Nie, Land,
dieses Anderswo
(„Chronokratie“, ebd.).
Die Facetten von Absenz und Angst im ortlosen virtuellen Zeitalter fächert Schlesak im Gedichtband Landsehn (1997) auf und schreibt sie in Tunneleffekt (2000) fort, wo sie, flankiert von zeitlosen Traumerinnerungen und Todeserfahrungen, zu Bausteinen einer „posthumen Poetik“ (ebd.) werden. – Nach dem „Poesia Erotica“-Intermezzo von Lippe Lust (2000) wendet sich Schlesak in Los (2002) erneut den zu inneren Ereignissen gewordenen Landschaften seines Exil zu, um in älteren und neueren Reisegedichten den „unbekannten Ort möglicher Erfahrung“ (ebd.) einzukreisen.
Neben den Lyrikbänden Weiße Gegend und Aufbäumen zählt auch der dazwischen verfasste Roman Vaterlandstage und die Kunst des Verschwindens (1986) zu Schlesaks bedeutenden literarischen Würfen. Mit gattungstypologischen Rastern nicht zu erfassen und am ehesten als Gedankenroman zu bezeichnen, rückt hier ein halbes Jahrhundert Lebens- und Zeitgeschichte mit den Hypostasen ihres Scheiterns seit den 30er Jahren ins Bewusstsein. Anstoß zum Nach-Denken ist für den Ich-Erzähler die Suche nach einer möglichen Heimkehr ins Land seiner Herkunft, aus dem er, von zwei Diktaturen beschädigt, emigriert ist. Also erfindet er ein Alter Ego, den Schriftsteller Michael T., und schickt ihn statt seiner nach Osten. Was jedoch wie eine tatsächlich stattgefundene Reise anmutet, ist eine sprachlich vollzogene Revision eines geschichtlich wie gesellschaftlich verbogenen Ichs mit all seinen Brüchen und Widersprüchen, die bei dem von zwei Erzählinstanzen vorgenommenen unausgesetzten Verhör und Selbstverhör zu Tage treten. Das Erlebte und Erinnerte zersplittert in unzählige Partikel, die sich weder chronologisch noch kausallogisch zusammenfügen: „Die Sprache ist blockiert und zerstückelt und vom Alptraum verwandelt bis hin zum sprachunfähigen Stottern, in dem sich sprachlos die Realität in Fratzen auflöst, in Kopfsummen des Wahnsinns" („Analyse meiner Selbstbiografie“ in Nachruf auf die rumäniendeutsche Literatur, 1990).
Historisch schließt an Vaterlandstage der Essayband Wenn die Dinge aus dem Namen fallen (1991) an, der die „enteignete“ Revolution von 1989 untersucht, gefolgt von dem synoptischen Journal Stehendes Ich in laufender Zeit (1994), das den europäischen Nach-Wende-Geist bis 1993 kritisch ausleuchtet.
Schlesaks zweiter Roman Der Verweser (2002) ist ebenfalls als Fiktion in der Fiktion angelegt, doch ist hier nur die Rahmenhandlung autobiografisch geprägt und aus der Ich-Perspektive eines in der Toskana lebenden Autors erzählt. Als auktorial gestaltete Binnenhandlung wird eine Luccheser Liebes- und Mordgeschichte des 16. Jahrhunderts herangezogen, deren Hauptfigur, der Arzt und Schriftsteller Nicolao Granucci, dem Ich-Erzähler so zusetzt, dass dieser meint, Granucci gewesen/geworden zu sein. Als metapsychischer Schaltkreis fungiert u. a. der Schreibprozess, dessen Magie wie Missbrauch Schlesak nachgeht.
(Text: Edith Konradt)
Werke:
Francisc Munteanu: Der Himmel beginnt beim dritten Stockwerk, En., Übs., Bukarest 1965; Michael Albert: Ausgewählte Schriften, Hg., Vorw., Bukarest 1966; Schiller: Gedichte, Hg., Vorw., Bukarest 1967; Imperiul demonilor. Proza austriaca moderna, Anth., Hg., Vorw., Bukarest 1968; Nichita Stanescu: 11 Elegien, G., Übs., Bukarest 1968; Grenzstreifen, G., Bukarest 1968; Rainer Maria Rilke: Gedichte, Hg., Vorw., Bukarest 1969; Grenzgänge. Deutsche Dichtung aus Rumänien, Anth., Hg. zus. m. Wolf Peter Schnetz, Regensburg 1969; Fische und Vögel. Junge rumänische Lyrik, Anth., Hg. zus. m. Wolf Peter Schnetz, Regensburg 1969; Visa. Ost West Lektionen, Pr., Ffm 1970; Luchterhands Loseblatt Lyrik: Deutsche Gedichte aus Rumänien, Hg., Neuwied 1970; Geschäfte mit Odysseus, Pr., Bern 1972; Briefe über die Grenze, G., zus. m. Magdalena Constantinescu, Göttingen 1978; Weiße Gegend – Fühlt die Gewalt in diesem Traum, G., Reinbek 1981; Königin, die Welt ist narr, Hsp. 1981; Vaterlandstage und die Kunst des Verschwindens, R., Zür. 1986; Der neue Michelangelo, 4 Bde., Bildmeditationen, zus. m. Fabrizio Mancinelli et al., Luzern 1989-1995; Aufbäumen, G., Reinbek 1990; Wenn die Dinge aus dem Namen fallen, Ess., Reinbek 1991; Stehendes Ich in laufender Zeit, Tageb., Leipzig 1994; So nah, so fremd. Heimatlegenden, Tageb. und Aufs., Dinklage 1995; Landsehn, G., Berlin 1997; Gefährliche Serpentinen. Rumänische Lyrik der Gegenwart, Anth., Hg., Nachw., Berlin 1998; Tunneleffekt, G., Ess., Berlin 2000; Lippe Lust, G., München 2000; Weiße Gegend, G., Neuaufl., München 2000; Der Verweser, R., München 2002; Los. Reisegedichte, München 2002. Romans Netz, Liebesroman, Köln 2004; Eine TRanssylvanische Reise, Köln 2004; Zeugen an der Grenze unserer Vorstellung, Essays, Studien, Porträts, München 2005; Sette Volte sete, Grenzen Los, Poesie, Gedichte, Pisa 2006; Herbst Zeit Lose, Liebesgedichte, München 2006.
Archive (Agliano und Marbach)
Bio/Bibliographie bis Ende 2006 (PDF-Datei)
Marbacher Bestände (PDF-Datei)
PROJEKTE und Werkstatt:
Werkstatt Online (PDF)
Engelszungen – Roman, 1994-2006
Plädoyer für den Abschied – Liebesroman, 2002-2006
Tagebücher 1968-2006
Das Überlebenstagebuch eines Krebsschocks – 2000-2004
Der Tod ist nicht bei Trost – Gedichte
Terplan und die Kunst der Rückkehr – Roman
Zukunftsräume. Gibt es ein Leben nach dem Tod?
Lauter Letzte Tage – Essays und Porträts
Online-Veröffentlichungen
Die Dracula-Korrektur (Inhaltsverz. + Teil 1, PDF) –
Wer weiterlesen möchte – die Dracula-Korrektur wird für
den Druck vorbereitet, der Roman erscheint voraussichtlich
im August bei Buch&Media, München
Der Verweser – 2001, 2006
Bibliographie und Archiv
(Agliano und Marbach)
Kindlers deutsches Literaturlexikon 1999
Schlesak, Dieter, wurde am 7. 8. 1934 in Schässburg/Sighisoara als Angehöriger der deutschen Minderheit in Rumänien geboren. Nach dem Abitur unterrichtete er zwei Jahre an der Volksschule in Denndorf, von 1954 bis 1959 studierte er Germanistik in Bukarest, wo er anschließend als Redakteur der Zeitschrift Neue Literatur, Autor, Übersetzer und Herausgeber tätig war. 1969 reiste er in die Bundesrepublik Deutschland aus, ging 1973 ins selbst gewählte Exil nach Italien und lebt seither als freier Schriftsteller abwechselnd in Stuttgart und Camaiore.
1980 erhielt Schlesak den Andreas-Gryphius-Preis, 1982 und 1987 das Jahresstipendium des Deutschen Literaturfonds, 1989 den Schubart-Preis (für Vaterlandstage), 1993 den Nikolaus-Lenau-Preis, 1994 den Hauptpreis Prosa des Ostdeutschen Kulturrats und 2001 die Ehrengabe der Deutschen Schillerstiftung.
Im Brennpunkt von Schlesaks literarischem Schaffen steht von Anfang an das Phänomen Grenze, das ihn nicht allein in seiner politischen, sozialen und kulturellen Relevanz, sondern vor allem in seinen sprachlichen und metaphysischen Dimensionen beschäftigt. Der Debütband Grenzstreifen (1968) ist noch rumäniendeutschen Bedingtheiten verhaftet: Wie schon vor ihm Oskar Pastior verweigert auch Schlesak gereimte Partei- und Klassenkampfparolen und sucht sich mit dem Instrumentarium moderner Poesie „Die große Störung, Leben“ (ebd.) zu erschließen.
Der „Weltenwechsel“, den Schlesak als Schock erlebt, konfrontiert ihn mit neuen Grenzerfahrungen, die er in dem Prosaband Visa. Ost West Lektionen (1970) dokumentiert. Nun ist es nicht mehr der Denk-, sondern der Sinne- und Sinnverlust, der ihm als verdeckter Realitätsverlust zusetzt und ihn zum „Zwischenschaftler“ werden lässt, der sich schreibend im „Grenzraum der Erkenntnis“, „im Strom des Wechsel-Spiels oder des Wechsel-Ernstes zwischen beiden Teilen der entzweigeschnittenen Welt“ bewegt, um nicht an der „Melancholie wirklich erlebter Unwirklichkeit“ zu Grunde zu gehen (ebd.).
Lyrisch verdichten sich diese biografischen wie historischen Bruchlinien zu dem Band Weiße Gegend – Fühlt die Gewalt in diesem Traum (1981). Im „weglosen Gelände“, das die Diktaturen des 20. Jahrhunderts in Europa zurückgelassen haben, ertastet sich jede Gedichtzeile ihre eigene Vorläufigkeit:
Wie aufgelöst in diesem weißen
Licht der Nacht mit ihrer Wange
Ist die verbrannte Erde
Der Vergangenheiten –
Was liegenblieb, nur mit Ideen
begangen
Und Haut an Haut
mit dem Versäumten
(„Achtuhrschmerzen“, ebd.).
Dass mit den falschen Gewissheiten auch die Sprache gesplittert ist, materialisiert sich in Schlesaks „Hirnsyntax“, die zu seinem poetischen Markenzeichen wird: Der Vers zerfällt, syntaktische und semantische Strukturen fransen aus, wuchern ad hoc oder führen sich ad absurdum, die Funktion der Differenzierung verlagert sich vom Wort in die „Wortzwischenräume“, da es einzig in diesem Spannungsfeld noch möglich ist, Sinn zu generieren – wenn auch bloß als „Zwischensinn“ („Schreiben als posthumes Leben“ in So nah, so fremd, 1995).
An „Sinn- und Sprachrändern“ bewegt sich auch Schlesaks dritter Gedichtband Aufbäumen (1990), der statt der Schöpfung die „Erschöpfung der Welt“ thematisiert und als Strukturmodell den kabbalistischen Sprachbaum heranzieht, der mit seinen zehn Ästen auf den Kopf gestellt wird: Die Kapitel sind rückläufig angeordnet, das letzte ist das erste, „das Eine als treibende Absenz“, das jedoch auch alle anderen „als Hohlform unverzichtbarer Hoffnung“ (ebd.) mit einschließen:
Hölderlins
Bordeaux? Und Patmos, die Insel?
Und dann Johannes 15?
Wer doch verkommen wie er,
in der Sprachzeit langsam nach Haus
kommen könnte. Zu Fuß
nur mit einem Zeitwort auf
staubiger Landstraße. Wir aber
tragen den Augenblick im Autofenster
und die Sekunde rollt an den Reifen.
Kein
Land, Nie, Land,
dieses Anderswo
(„Chronokratie“, ebd.).
Die Facetten von Absenz und Angst im ortlosen virtuellen Zeitalter fächert Schlesak im Gedichtband Landsehn (1997) auf und schreibt sie in Tunneleffekt (2000) fort, wo sie, flankiert von zeitlosen Traumerinnerungen und Todeserfahrungen, zu Bausteinen einer „posthumen Poetik“ (ebd.) werden. – Nach dem „Poesia Erotica“-Intermezzo von Lippe Lust (2000) wendet sich Schlesak in Los (2002) erneut den zu inneren Ereignissen gewordenen Landschaften seines Exil zu, um in älteren und neueren Reisegedichten den „unbekannten Ort möglicher Erfahrung“ (ebd.) einzukreisen.
Neben den Lyrikbänden Weiße Gegend und Aufbäumen zählt auch der dazwischen verfasste Roman Vaterlandstage und die Kunst des Verschwindens (1986) zu Schlesaks bedeutenden literarischen Würfen. Mit gattungstypologischen Rastern nicht zu erfassen und am ehesten als Gedankenroman zu bezeichnen, rückt hier ein halbes Jahrhundert Lebens- und Zeitgeschichte mit den Hypostasen ihres Scheiterns seit den 30er Jahren ins Bewusstsein. Anstoß zum Nach-Denken ist für den Ich-Erzähler die Suche nach einer möglichen Heimkehr ins Land seiner Herkunft, aus dem er, von zwei Diktaturen beschädigt, emigriert ist. Also erfindet er ein Alter Ego, den Schriftsteller Michael T., und schickt ihn statt seiner nach Osten. Was jedoch wie eine tatsächlich stattgefundene Reise anmutet, ist eine sprachlich vollzogene Revision eines geschichtlich wie gesellschaftlich verbogenen Ichs mit all seinen Brüchen und Widersprüchen, die bei dem von zwei Erzählinstanzen vorgenommenen unausgesetzten Verhör und Selbstverhör zu Tage treten. Das Erlebte und Erinnerte zersplittert in unzählige Partikel, die sich weder chronologisch noch kausallogisch zusammenfügen: „Die Sprache ist blockiert und zerstückelt und vom Alptraum verwandelt bis hin zum sprachunfähigen Stottern, in dem sich sprachlos die Realität in Fratzen auflöst, in Kopfsummen des Wahnsinns" („Analyse meiner Selbstbiografie“ in Nachruf auf die rumäniendeutsche Literatur, 1990).
Historisch schließt an Vaterlandstage der Essayband Wenn die Dinge aus dem Namen fallen (1991) an, der die „enteignete“ Revolution von 1989 untersucht, gefolgt von dem synoptischen Journal Stehendes Ich in laufender Zeit (1994), das den europäischen Nach-Wende-Geist bis 1993 kritisch ausleuchtet.
Schlesaks zweiter Roman Der Verweser (2002) ist ebenfalls als Fiktion in der Fiktion angelegt, doch ist hier nur die Rahmenhandlung autobiografisch geprägt und aus der Ich-Perspektive eines in der Toskana lebenden Autors erzählt. Als auktorial gestaltete Binnenhandlung wird eine Luccheser Liebes- und Mordgeschichte des 16. Jahrhunderts herangezogen, deren Hauptfigur, der Arzt und Schriftsteller Nicolao Granucci, dem Ich-Erzähler so zusetzt, dass dieser meint, Granucci gewesen/geworden zu sein. Als metapsychischer Schaltkreis fungiert u. a. der Schreibprozess, dessen Magie wie Missbrauch Schlesak nachgeht.
(Text: Edith Konradt)
Werke:
Francisc Munteanu: Der Himmel beginnt beim dritten Stockwerk, En., Übs., Bukarest 1965; Michael Albert: Ausgewählte Schriften, Hg., Vorw., Bukarest 1966; Schiller: Gedichte, Hg., Vorw., Bukarest 1967; Imperiul demonilor. Proza austriaca moderna, Anth., Hg., Vorw., Bukarest 1968; Nichita Stanescu: 11 Elegien, G., Übs., Bukarest 1968; Grenzstreifen, G., Bukarest 1968; Rainer Maria Rilke: Gedichte, Hg., Vorw., Bukarest 1969; Grenzgänge. Deutsche Dichtung aus Rumänien, Anth., Hg. zus. m. Wolf Peter Schnetz, Regensburg 1969; Fische und Vögel. Junge rumänische Lyrik, Anth., Hg. zus. m. Wolf Peter Schnetz, Regensburg 1969; Visa. Ost West Lektionen, Pr., Ffm 1970; Luchterhands Loseblatt Lyrik: Deutsche Gedichte aus Rumänien, Hg., Neuwied 1970; Geschäfte mit Odysseus, Pr., Bern 1972; Briefe über die Grenze, G., zus. m. Magdalena Constantinescu, Göttingen 1978; Weiße Gegend – Fühlt die Gewalt in diesem Traum, G., Reinbek 1981; Königin, die Welt ist narr, Hsp. 1981; Vaterlandstage und die Kunst des Verschwindens, R., Zür. 1986; Der neue Michelangelo, 4 Bde., Bildmeditationen, zus. m. Fabrizio Mancinelli et al., Luzern 1989-1995; Aufbäumen, G., Reinbek 1990; Wenn die Dinge aus dem Namen fallen, Ess., Reinbek 1991; Stehendes Ich in laufender Zeit, Tageb., Leipzig 1994; So nah, so fremd. Heimatlegenden, Tageb. und Aufs., Dinklage 1995; Landsehn, G., Berlin 1997; Gefährliche Serpentinen. Rumänische Lyrik der Gegenwart, Anth., Hg., Nachw., Berlin 1998; Tunneleffekt, G., Ess., Berlin 2000; Lippe Lust, G., München 2000; Weiße Gegend, G., Neuaufl., München 2000; Der Verweser, R., München 2002; Los. Reisegedichte, München 2002. Romans Netz, Liebesroman, Köln 2004; Eine TRanssylvanische Reise, Köln 2004; Zeugen an der Grenze unserer Vorstellung, Essays, Studien, Porträts, München 2005; Sette Volte sete, Grenzen Los, Poesie, Gedichte, Pisa 2006; Herbst Zeit Lose, Liebesgedichte, München 2006.
Archive (Agliano und Marbach)
Bio/Bibliographie bis Ende 2006 (PDF-Datei)
Marbacher Bestände (PDF-Datei)
Rainer Wochele
Literarischer Mönch
Ein Besuch bei Dieter Schlesak in der Toskana Leute, das Lesezeichen kriegt diesmal Flügel, es flattert diesmal über Grenzen hinweg, äußere, innere, nimmt Kurs gen Süden, will sich ganz leicht machen in mediterranem Licht, hat aber auch Ballast an Bord, der erdwärts zieht. Italienisch eingefärbt kommt"s heute daher und zugleich rumänisch grundiert und schicksalhaft beladen. Was zusammenhängt mit einem existenziellen Grenzgänger, einem, der Reisen und Länderwechsel zur Lebensmetapher gemacht hat, mit allem Gewinn, mit aller Beschwernis. Ein verwurzelter Wurzelloser, der morgens beim Öffnen der Fenster seines alten italienischen Bauernhauses, in dem er mit Frau und Hund und Kater oben am Hang lebt, in der Ferne das Meer gleißen sieht und der gleichzeitig tief empfundene Heimatgefühle für Stuttgart hegt; Lebenszeit verbringt er hier und dort. Dieter Schlesak heißt er, in seinem Weiler nahe dem norditalienischen Städtchen Camaiore ist er "Signore Dieter, il tedesco", unter Stuttgarter Schriftstellern eher ein Rumäne. "Ich bin ein ,Zwischenschaftler"", sagt er. "Zwischenschaftler", was ist denn das für ein Erdenbürger? Vielleicht einer, der sich eingerichtet hat, am Platz zwischen allen Stühlen, zwischen allen Grenzen? Schöner Platz, das. Dort oben, halbhoch irgendwo, da muss er wohnen, der rumänisch-deutsche, stuttgarterisch-toskanische Dichter Schlesak. Auf Schmalstspursträßchen, ein Stück weit hinter Camaiore bergwärts, vom Kirchplätzchen in Pieve aus lotsen die Schlesaks zum Weiler Agliano hinauf. Wo man dann in satter toskanischer Idylle sitzt, die beiden alten, zum Dichteranwesen verschmolzenen umgebauten Bauernhäuser im Rücken, Tal und zwischengelagerten Hügel davor, in der Ferne rechts ein Zipfel Meer, links ein Zipfel Meer, ein Landschaftsbild voller Grenzbereiche. Und um Grenzen geht"s denn auch im Lebensbericht des Hausherrn Dieter Schlesak, während die Ehefrau Linde Birk-Schlesak, eine namhafte literarische Übersetzerin aus dem Französischen und Italienischen, Tee und Kuchen serviert. Doch wie Dieter Schlesaks Lebensodyssee zusammenraffen aufs Wesentliche? Vielleicht so. Er wird 1934 in Schässburg als Angehöriger der siebenbürgischen deutschen Minderheit in Rumänien geboren, studiert nach Schulbesuch Germanistik in Bukarest, arbeitet als Redakteur der Zeitschrift "Neue Literatur", ist Schriftsteller, Herausgeber, Übersetzer. Nach vorherigen Kontakten zur deutschen Organisation Inter-Nationes, dem damaligen Besucherdienst des Auswärtigen Amtes in Bonn, erhält er 1968 eine Einladung zu einem Schriftstellertreffen in Luxemburg, lernt Grass, Bernhard, Handke kennen. Er wird nach Bonn geholt, bei Verlagen herumgereicht, lernt in Frankfurt beim S. Fischer Verlag seine heutige Frau kennen, nimmt aber Deutschland wahr als Kulturschock. "Diese Mattscheibenwelt, die allgemeine Hetze und Kälte stieß mich ab, alles wie hinter Glas." Das in Rumänien heiß ersehnte Deutschland wird ihm zum "Hassobjekt". Nach sechs Monaten im Westen kehrt er nach Rumänien zurück, sieht dort alles mit "Westblick", ist "geschockt vom Gestank, Fusel, der Armut, der Langsamkeit", hat nun zwei Heimaten verloren. Dennoch, 1969 endgültige Ausreise nach Deutschland. Nach Frankfurt und Köln wird Stuttgart Station, wo die Schlesaks mittlerweile eine Zweitwohnung haben. 1973 entdecken sie bei einem Italienaufenthalt die beiden halb verfallenen Bauernhäuser, kaufen sie mit einem Kredit, "wir waren arm, wir hatten nix", lassen sie umbauen, ziehen weg aus Deutschland, denn, wie Schlesak sagt, "in Italien war mein Heimweh nach Rumänien, waren meine Schuldgefühle dem verlassenen Land gegenüber, geringer". Es folgen Reisen durch Europa und Amerika. "Fernweh über den Globus gezogen / die Riesenfrucht möchte ich essen", heißt es in einem Gedicht des Lyrikers, Essayisten, Übersetzers, Herausgebers und Romanciers, der bis heute dreißig Bücher veröffentlicht hat, darunter neun Lyrikbände und drei Romane. In dem Roman "Vaterlandstage und die Kunst des Verschwindens" hat er in mitreißender assoziativer Prosa Biografisches verarbeitet, hat sich im 2002 erschienenen Roman "Der Verweser" mit einer alten Kriminalgeschichte aus dem nahen Lucca befasst, hat im Lyrikband "Tunneleffekt" sein Grundthema des Grenzgangs lyrisch variiert. "In Rumänien bin ich der Fremde, hier in Italien der Deutsche, und in Deutschland bin ich der Rumäne", sagt er, eben ein "Zwischenschaftler". Seine innere Emigration und Einsamkeit, diese Abweichung vom Normalen, begreift Schlesak für Schreiben und Leben mittlerweile als "ontologisch", leitet daraus "eine Art literarisches Mönchtum" ab. Und hat doch, im Äußeren, so gar nichts Mönchisches an sich, wie er da vor seinem Haus sitzt und mit leidenschaftlicher Stimme, in der gleichwohl ständig ein Ton der Melancholie mitschwingt, von Leben und Schreiben erzählt. Während dann Kater Romeo herbeischleicht, auf den Tisch springt, aus der Nähe hören will, was der toskanische Dichter aus dem fernen Rumänien zu sagen hat. Zum Beispiel dies, dass man ihm jüngst sein altes Geburtshaus in Rumänien zurückgegeben habe, das er mit Hilfe einer Stiftung zu einem deutsch-rumänischen Literatur- und Kulturzentrum machen wolle. "Ich kehre auf diesem Wege geistig nach Rumänien zurück." Und oben dann, in seinem Arbeitszimmer, von dem aus er an klaren Tagen bis Korsika blicken kann, da sagt er, er habe jetzt Hand an seine Kindheit gelegt. Und meint den Umstand, dass er herausgefunden hat, dass die deutsche Minderheit in Rumänien tief mit Nazideutschland verstrickt war und dass fast alle seine männlichen Verwandten in der SS gewesen sind und zu den Wachmannschaften deutscher Konzentrationslager gehört haben. Aus dem Freundeskreis seiner Eltern stammte der Auschwitz-Apotheker Victor Capesius, der das Zyklon B verwahrt hat. Schlesak hat diesen für ihn albtraumhaften historischen Hintergrund nach vielen Interviews mit Zeitzeugen jetzt zu einem bestürzenden, halb dokumentarischen Text verarbeitet. Wahrlich, dieser grenzgängerische Schriftsteller scheint bewundernswerte Kräfte zu haben, um geistige Schmerzen auszuhalten. Und ist doch dann, als man unten vorm Haus in landschaftlicher Abendidylle die Gläser zum Abschiedstrunk hebt, wieder ganz toskanisch heiter.
Stuttgarter
Zeitung, 21.9.2005
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Walter Hinck Elegie des Abschieds Dieter Schlesaks Dichtung ruht im Elegischen. Im Band "Herbst Zeit Lose. Liebesgedichte", in dem diese Verse stehen, mischt sich noch in den Taumel des Sinnlichen und den Jubel der Sprache ein Zug von Trauer; über alle Himmel Schlesaks zieht eine Wolke. Der 1934 im rumänischen Transsylvanien als Angehöriger der deutschen Minderheit geborene Lyriker, Romanautor und Essayist, nach seinem Studium in Bukarest Redakteur der Zeitschrift "Neue Literatur", kam 1969 in die Bundesrepublik und lebt seit 1973 in der Toskana und in Stuttgart. Seine bedeutendste Übersetzung rumänischer Dichtung ist sicherlich die Übertragung der "Elf Elegien" von Nichita Stanescu, dem Dichter der inneren Emigration zur Zeit der Diktatur Ceauçescus (Neudruck 2005). In der italienischen und rumänischen Literaturkritik gilt Schlesak als einer der wichtigen Vertreter moderner deutscher Lyrik; ein Band von siebzig Gedichten mit Übersetzungen ist kürzlich in Pisa erschienen. Jenseits der Alpen hat Schlesak ein Echo gefunden, das man ihm auch in Deutschland wünscht. Mit seinem Band "Herbst Zeit Lose. Liebesgedichte" schließt sich Schlesak an die Tradition einer Liebeslyrik an, die man heute leicht in den Verdacht der prickelnden Oberflächlichkeit bringen kann, wenn man sie erotische Lyrik nennt - einer Lyrik, mit der wir Namen wie Catull und Horaz verbinden, die Liebesgenuß und -erfüllung preist. Sie begegnet uns auch in Goethes "Römischen Elegien", deren Titel in einer Handschrift noch "Erotica Romana" lautet. Zumal Schlesaks Gedichte im Abschnitt "Komm, schlaf jetzt mit mir" zieren sich nicht, beschreiben Liebe als "Vulkan" in "Flammen". Aber fast immer geht aus dem Aufruhr der Sinne das Besinnen hervor. Ein an barocke Vergänglichkeitsklagen erinnernder Ton ist Signal: das Begehren nach dem Augenblicksbegehren verstummt; wahre Liebe will Ewigkeit. "Doch die Liebe ist Leben für immer", heißt der Sammeltitel für eine der Gedichtreihen. Im Gedicht "Meine Liebste laß uns gehen" ist nach der Zeit der wilden Vereinigungen nun die Zeit des Abschieds gekommen. Die über die Augen gelegten Hände deuten an, dass sich der Vorhang vor der Welt der sinnlichen Wahrnehmungen schließt. Aber noch einmal bringt sich Erotisches in Erinnerung, das weibliche Geschlecht, als poetisches Bild für Geburt und Zeugung. Was den Augen mangelt, kann das Herz bewahren - Herz verstanden als Inbegriff für jenes Unbeschreibbare, das mit der Seele, dem ebenfalls unbeschreibbaren Spirituellen, verschwistert ist. Unendliche Traurigkeit durchdringt die vierte Strophe. Trennung der Liebenden und Einsamkeit des einzelnen werden unwiderruflich, und nicht zufällig wählt Schlesak in der Zeile "doch gehen ja gehen" eine die Gemütssaite berührende Wiederholungsform des Volkslieds. Noch gewähren die Erde des Grabes und "die Seele im Flug" eine "Umarmung". Aber bleibt auch das poetische Bild des offenen Himmels in Kraft, so besiegelt doch der Schlußvers eine Endgültigkeit: "Denn alles fällt ab was wir waren." Es gibt im Band auch Gedichte von geringerer Direktheit, Beispiele wie in der Strophe: "Denn was dann nicht mehr ist / und war / die Erde, jede Zelle / Atome dieser Hand die wir so warm berühren werden! / Du meine und ich deine Hand / Sind ihre Elemente. Sie drehn sich rasend schnell / wie Glücksgefühle / und duften weiter." Von "Verjüngung" wird gesprochen. Die Abschiedselegie "Meine Liebste laß uns gehen" ist von herber Trauer. Hingenommen wird das Bedingte unserer Existenz mit einer Kraft der melancholischen Gefaßtheit, zu der wohl nur eine Liebe verhelfen kann, die ihrer Unverlierbarkeit gewiß ist. Dieses Liebesgedicht schön zu nennen wäre zu wenig; es macht dem Gefälligen keine Zugeständnisse, ist aber nicht fatalistisch, es ist bewegend, doch nicht erweichend, die poetischen Bilder leiten uns unaufdringlich, aber unausweichlich zur Frage nach unserer Endlichkeit, kurz, dies ist ein großes Gedicht. - Dieter Schlesak: "Herbst Zeit Lose". Liebesgedichte. Buch & Media GmbH /Lyrikedition 2000, München 2006. 172 S., br., 17,50 [Euro]. Redaktion Marcel Reich-Ranicki Kastentext: Dieter Schlesak Meine Liebste lass uns gehen sieh wir haben uns schon die Hände über die Augen gelegt. War nicht dein Geschlecht schon wie immer der Aus- und der Eingang zur Welt? Bleib mir im Herzen wenn wir vergehen. Der Himmel ist uns hier offen doch gehen ja gehen muss jeder allein diesen Weg. Die letzte Umarmung Liebste die letzte ist wenn wir uns nicht mehr sehn der Leib in der Erde die Seele im Flug Denn alles fällt ab was wir waren. Alle Rechte vorbehalten. (c) F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main |
Renate Färber-Husemann
Dieter Schlesak: „Capesius,
der Auschwitzapotheker“
Dieses intensive Buch ist
schwer zu ertragen. Doch wer sich darauf
einlässt, wird es vor der letzten Seite kaum aus der Hand legen. Dieter Schlesak treibt den Leser durch alle Schrecken des Vernichtungslagers.
Trost gibt es keinen, auch am Ende werden nicht die Guten belohnt und die Bösen
bestraft, denn das Buch handelt von Auschwitz. Noch lange nach Ende der Lektüre
glaubt man, die nicht mehr menschlichen Schreie der Opfer in den Gaskammern zu
hören. Im Mittelpunkt steht Viktor
Capesius – ein Name wie aus einem Arztroman der fünfziger Jahre. Doch der Mann
hat wirklich gelebt, leitete als SS-Offizier die Apotheke , wurde im
Frankfurter Auschwitz-Prozeß zu neun Jahren Haft verurteilt und verbrachte
anschließend ein Alter im Wohlstand.
Und das ist die Geschichte, die klingt, als
habe jemand mit einer bizarren
Fantasie sie ausgedacht und die doch
passiert ist: An der Rampe in Birkenau standen sich eines Tages die früheren
Kunden, Nachbarn, Bekannten aus Schäßburg in Siebenbürgen und ihr einstiger
Apotheker gegenüber. Die nicht Arbeitsfähigen schickte er kaltblütig ins Gas. Aus
dem rumänischen Städtchen stammt auch der vielfach ausgezeichnete Romancier,
Lyriker und Essayist Dieter Schlesak, Jahrgang 1934. 30 Jahre seines Lebens hat er mit dem
gutbürgerlichen Massenmörder verbracht. Er hat mit überlebenden Juden aus
Schäßburg gesprochen, hat Dokumente, Briefe, Tagebuchaufzeichnungen gesammelt,
sich in die Akten des Auschwitzprozesses vertieft, bevor er dieses Buch
schrieb.
Auch
Capesius wurde von Schlesak mehrmals befragt. Der Schriftsteller
traf einen Mann, der sich keiner Schuld
bewußt war. Er hatte Alte, Kranke,
Mütter und ihre Kinder mit einem jovialen Lächeln im Gesicht in den
grauenhaften Tod durch Cyklon B geschickt und wurde im Prozess mit den herzzerreißenden
Zeugenaussagen der wenigen Überlebenden aus seiner Heimatstadt konfrontiert.
Sein ungerührter Kommentar später war:
“Eine kommunistische Verschwörung gegen mich. Ihnen war ich
ausgeliefert. Sie machten mich fertig.”
Viele der Täter von
damals - diese Geschichte ist
tausendfach erzählt worden – sind nach dem Ende der Nazizeit unauffällig in bürgerliche Existenzen zurückgeschlüpft.
Capesius hatte bald wieder eine Apotheke in Göppingen, dazu einen Kosmetikladen in Reutlingen und lebte –
so Schlesak – in geradezu protziger
Umgebung. Woher kam das Geld? Überlebende Häftlinge berichteten im Prozess von
seinen Beutezügen: Er durchsuchte die
Koffer der Ermordeten, fand versteckte Juwelen in Salbendöschen und
Zahnpastatuben. Er hortete Goldzähne, die den Toten aus dem Munde gerissen
worden waren – und setzte sich aus
Auschwitz vor der Befreiung durch die Rote Armee vermutlich mit diesem
zusammengestohlenen Vermögen ab. So
profitierte also auch die Wirtschaftswunderzeit von Auschwitz.
Während die Täter mit ihrem notorisch guten Gewissen wieder in
die Rolle der Biedermänner schlüpften, haben die Opfer Auschwitz nie
verlassen. “Der Entkommene entkommt
nicht. Auch das Opfer wird nicht verschont”, schreibt Schlesak und
schildert seine Begegnung mit Baila, einer Überlebenden aus Schäßstadt,
die nicht weiss, warum sie überlebt hat, denn ihre beiden Kinder wurden von der Rampe direkt ins Gas geschickt. Und sie lebt mit einem Schmerz, der nicht
heilen kann, nämlich mit dem Wissen, dass ihre Kinder vor dem Tod nach der Mama
geschrieen haben und die Mama nicht da war.
Warum geht gerade dieses
Buch so nahe? Das liegt auch an der besonderen Begabung Dieter Schlesaks, in dieser
hopchkomplizierten Collage nie den roten Faden zu verlieren. Er hat eben nicht
nur die Geschichte der Schäßburger Juden und ihres Mörders geschrieben, sondern
, wenn diese Wortwahl erlaubt ist, den grauenhaften Alltag von Auschwitz
geschildert und die absolute Gefühlskälte der Täter.
Alles was Schlesak erzählt, beruht auf historischen Quellen und auf
Interviews. Entstanden ist dabei etwas
ganz Eigenes: Kein Roman, kein Sachbuch, keine Dokumentation, stattdessen
vielleicht eine Essenz von Auschwitz mit
dem Facit: Es gibt keine Gerechtigkeit.
Die Täter schliefen gut, die Opfer aber haben auch nach ihrer Befreiung Auschwitz nicht verlassen.
Redaktion: Uwe Kossack
Sendung: Dienstag, 30. Januar 2007, 10.55 Uhr, SWR 2
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