Lieber Herr Gärtner, diese Art der Darstellung, was die Deutung meiner Akte betrifft, entsetzt mich. Sie beruht auf Unkenntnis, was die sechziger Jahre betrifft! Und auch auf Böswilligkeit! In meiner "Offiziersakte" (die auch Vorlaufakte genannt wird, angelegt in der Hoffnung Agenten zu gewinnen und zum "Arbeiten" zu bringen!) gibt es keine Berichte oder Tabelle, an wen ich "angesetzt" werden soll. Es gibt nur Offiziersberichte und auch einmal die Reaktion des Chefs von Petritiu, jenes Offiziers, der mich dazu bringen sollte zu berichten. Und auch seinen Bericht, wie heftig ich auf Anwerbungsversuche und Versuche, mich dazu zu bringen, zu schreiben, reagiert habe; warum wird dieses verschwiegen? Und dass er auch erfunden oder übertrieben hat, ist sicher, auch das wird verschwiegen.
Wir von der Neuen Literatur bekamen andauernd Besuch von Ausländern, wurden auch als Reisebegleiter für Westdeutsche (wir konnten auch dolmetschen, kannten ja die Sprache) oft vom Schriftstellerverband angefordert. Doch mussten wir nach dem Besuch immer über unsere Tätigkeit als Reiseleiter dem Schriftstellerverband einen Bericht verfassen. Der wurde dann sicher weitergereicht.
Ich habe meine Akte noch nicht, ich hatte nur gelesen, nicht kopiert, Kopien aber verlangt! Ich kann also nicht zitieren, erwarte das Konvolut aber für Februar. Darum bat ich Sie auch, bis dahin mit dem Gespräch zu warten! Doch ich werde das alles noch genau belegen und darüber schreiben, wie es wirklich war, die Erinnerung kann nach Jahrzehnten täuschen, doch in der Akte ist ja viel festgehalten, ich war erstaunt über meinen Mut, Nein zu sagen.
Ich hoffe sehr, dass nun in der Sendung nicht vorweg und böswillig eine falsche Darstellung geboten wird. Im Offiziersbericht wird immer wieder gesagt, dass ich mich verweigere!
Und die Berichte über Ausländer waren keine IM-Berichte, sondern solche des Reiseleiters für den Verband.
Der Offizier musste sich rechtfertigen, zeigen, dass ihm einiges "gelungen" sei. Doch alles, auch angebliche Berichte über Kollegen vom NW und der NL, ebenso Tertullian, beziehen sich nur auf Ausländer und auf Auslandsbeziehungen (Bundesnachrichtendienst!), der anscheinend damals in Rumänien auch aktiv geworden ist und seine Agenten geschickt hat.
Es kann auch sein, dass Pestritiu mich dazu befragt hat und ich davon gesprochen habe, auch meine Kollegen seien Begleiter gewesen, hätten Briefe mit Westdeutschen gewechselt, wie ich ja auch, etc. Und das dann aufgebauscht und einiges dazu erfunden worden ist!
Jedenfalls waren wir deutschen Redakteure und Autoren in einer besonders gefährlichen Feindbildzone: diese (westlichen) Ausländerbeziehungen für die Securitate ein "Arbeitsgebiet", und 1971, als ich schon zwei Jahre im Westen lebte, wurde es sogar Gesetz, dass über jedes Gespräch mit einem Ausländer berichtet werden musste, also per Gesetz jeder rumänische Staatsbürger zum potentiellen IM gemacht wurde.
Es ist heute leicht zu urteilen, sich mit Akten zu "profilieren", ohne die wirkliche Hölle erlebt zu haben, cool nur durch Akteneinsicht und Papierarbeit Vergangenheit "aufarbeiten" zu wollen, ohne wirklich Bescheid zu wissen! Denn die heutigen "Vergangenheitsbewältiger" waren, wie Wichner, in jener Zeit noch Kinder.
Die Securitate darf nicht von neuem siegen, und ihr Akten-Sumpf darf nicht als einziger Wahrheitsquell die Öffentlichkeit bestimmen, dazu muss die Erinnerung der Augenzeugen kommen, es gibt nur noch sehr wenige, die berichtigen und Fälschungen erkennen oder alles in den richtigen Zusammenhang bringen können, wie etwa jene Sache mit den Ausländern und dem westlichen Ausland, wenn es um deutsche Redakteure der NL oder des NW ging!.
Wenn die Sendung von TTT am Sonntag (16.) und 3sat am 20.1. die Wahrheit über jene Zeit und keine Geschichtsfälschung bringen soll, muss all dies beachtet werden. Auch im Falle Pastior, und um ihn geht es ja in erster Reihe und nicht um mich!
Und falls Ernest Wichner auf solch einer schiefen Darstellung beharrt, bitte ich Sie dazu aus diesem meinem Brief die "Gegendarstellung" und Richtigstellung zu zitieren!
Mit meinen besten Grüßen
Ihr Dieter Schlesak
Sonntag, 16. Januar 2011
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